Kants handschriftlicher Nachlass.

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Kants handschriftlicher Nachlass.
Von E. v. Aster.
Der 16. Band der Berliner Kaut-Ausgabe, der dritte des von Adickes
herausgegebenen handschriftlichen Nachlassesl) bringt die Reflexionen
zur Logik. Er enthält fast ausschliesslich die Bemerkungen Kants in
seinem Handexemplar von Meiers Auszug aus der Vernunftlehre, an das
er seine Vorlesungen über Logik anzuknüpfen pflegte. Die Paragraphen
des Meiersehen Handbuches hat Adickes unter dem Text im Wortlaut
fortlaufend mit abgedruckt. Ausserdem hat er zur Ergänzung eine Reihe
von Kollegnachrichten aus den 70. und 80. Jahren benutzt und auszugsweise wiedergegeben.
Der ga:aze Inhalt ist mit verschwindenden Ausnahmen bisher unveröffentlicht, nur enthält er zum grossen Teil das Material, aus dem Jäsche
für seine Bearbeitung der Kautischen Logik geschöpft hat. Die betreffenden Stellen, die eine offenbare Benutzung Jäsches verraten, hat Adickes
als solche kenntlich gemacht und ausserdem zum Inhalt der einzelnen
Reflexionen jedesmal auf die einschlägigen Paragraphen der Jäscheschen
"Logik" verwiesen. Das ganze Material ist vom Herausgeber zunächst
sachlich geordnet unter Überschriften, die in ungefährem Anschluss an
Meiers Buch und Jäsches Logik gewählt sind, innerhalb der einzelnen
Titel dann chronologisch angeordnet. Weiche ungeheure geduldige Arbeit
und welche ausserordentliche Mühe die Entzifferung des Textes, den wir
jetzt so schön geordnet und mit grösster Sorgfalt chronologisch bestimmt
vor uns haben, gekostet hat, davon geben die zwei Lichtdrucktafeln am
Schluss des Bandes am besten ein Bild, die die zwei kompliziertesten
Seiten des Kautischen Manuskripts naturgetreu wiedergeben. Das Auge
schweift zunächst völlig ratlos auf diesem unbeschreiblichen Gewirr von
durch- und übereinander laufenden, in schwer lesbarer, kritzliger Handschrift flüchtig geschriebenen Notizen umher - und doch bieten, wie
Adickes mitteilt, gerade derartig beschriebene Manuskriptseiten die besten
Anhaltspunkte zur Unterscheidung der einzelnen Schriftphasen und damit
zur Datierung der Reflexionen. Denn auch in diesem Band ist das Prinzip
streng festgehalten, nur die nach äusseren Schriftindizien unzweifelhaften
Datierungen zu verzeichnen.
Die Entstehungszeit der abgedruckten Reflexionen reicht von Anfang der !JO. bis zum Ende der 90. Jahre. Reichlich vertreten ist nament1) Kants handschriftlicher Nachlass, Band III. Logik.
875 S.
Preis M. 23,-, geb, M. 25,-.
Berlin 1914.
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lieh die Mitte der 50. Jahre (die Zeit der dilucidatio nova), dann wieder
die Mitte und das Ende der 60. Jahre, endlich stammen viele Reflexionen
aus der Zeit der Reife der kritischen Philosophie, Msm sieht, es ist zahlreiches Material aus einar für das Verständnis der philosophischen Entwicklung Kants sehr interessanten und wichtigen Zeit.. Will man freilich
dies Material zu dem historischen Zweck voll ausnützen, so gehört dazu
ein genaueres und längeres Studium, als es die blosse Lektüre des Bandes
gewährt. Hier ist Adickes selbst, der das gesamte handschriftliche Material wie kein zweiter beherrscht der gewiesene Interpret und wir dürfen
von den Schriften, die er uns in Aussicht stellt und mit deren Publikation
er zum Teil schon begonnen hat, sicherlich sehr intelressaute Aufschlüsse
erwarten. 1) Was den vorliegenden Band des Nachlasses angeht, so meint
Adickes speziell von den Reflexionen aus der Mitte der 50. Jahre, dass
sie sogar in den scheinbar nichtssagenden Beispielen für den, der sie in
grösseren Zusammenhang zu stellen weiss, Leben und typische Bedeutung
gewinnen und uns einen Einblick in Kants Denk- und Anschauungsweise
in den 50. Jahren gewähren. Diesem Ergebnis vermag ich an Hand des
Materials selbst nicht ganz zu folgen. Was bei der Lektüre auffällt, ist
eher im Grossen und Ganzen der ziemlich enge Anschluss dieser frühen
Reflexionen an den Text der Meiersehen Vorlage, der später ganz zurücktritt. Charakteristisch dafür sind namentlich auch die zahlreichen Auszüge
aus der ausführlicheren Vernunftlehre von Meier, die Adickes anmerkungsweise in extenso wiedergegeben hat. Gerade bei diesem ziemlich engen
Anschluss an das zu Grunde gelegte Buch ist es mir nicht ohne Weiteres
möglich, hier wie an den Beispielen oder in der speziellen Fassung der
Gedanken das spezifisch Kautische herauszufinden.
Immerhin fallen eine Reihe sachlich recht interessanter Dinge auf.
Ich hebe gleich einen der wichtigsten Punkte heraus. Es war mir sehr
überraschend zu sehen, wie Kant in einer längeren Reflexion, die Adickes
mit Sicherheit als 1755/6 abgefasst datiert, das Verhältnis von Mathematik
und Philosophie bestimmt: (1634) "Die Erste Haupteinteilung der Philosophie ist 1. diejenige, da die Gründe durch eine von den Sinnen und den
deutlichen Bildern der imagination abgezogene Betrachtung, also durch
den intelleeturn purum, erkannt werden; 2. diejenige, welche die Gründe
vermittelst der Vergleichung sinnlicher Vorstellungen unmittelbar abnimmt.
Die erste ist die Philosophie im eigentlichen Verstande, die zweyte die
Mathematik. Diese Erklärungen bestimmen das spezifische Merkmal beyder
Wissenschaften. Wir können aber in verschiedener absieht sinnliche Vorstellungen mit einander vergleichen. Allein in absieht auf die Gründe
können wir keine andere Vergleichung anstellen, die unmittelbar durch
die Sinne auf die Erkenntnis des Grundes führen sollte, als in so fern sie
die Grösse betrifft. Folglich ist die Mathematik die einzige Wissenschaft.
wo eine deutliche einsieht der Gründe unmittelbar von den Sinnen oder
der Vertreterin, der Einbildungskraft, abhängt." (S. 53 f.) Ohne die
1 ) Erschienen ist bisher • Untersuchungen zu K.s physischer Geographie•, Tübingen 1911 und "K.s Ansichten über Geschichte und Bau der
Erde", 1911, in Aussicht gestellt sind uns "K. als Naturwissenschaftler", •
"K. als Ästhetiker", "K. als Metaphysiker und Erkenntnistheoretiker".
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Adickessche Datierung hätte ich diese Definition der Mathematik unbedenklich in die zweite Hälfte der 60. Jahre verlegt. In derselben Reflexion folgt dann noch eine weitere merkwürdige und nicht ganz klare
Auslassung über die Möglichkeit einer philosophischen, also rein begriff.
Iichen Grössenerkenntnis neben der auf Anschauung gestützten Grössenerkenntnis der Mathematik. "Eine philosophische Erkenntnis von den
Grossen und ihren Verhältnissen ist gantz anders. Ich weis z. E. gewiss,
dass der Cirkel eine Figur sey, die mit ihrem Umfange den grössten Raum
einschliesst, den sie mit diesem Umfange einschliessen kan. Den Beweiss
gibt die Geometrie. Aber wenn ich frage: woher muss denn aber diejenige Figur, die den grössten Raum etc. einschliesst, so beschaffen seyn,
dass sie sich durch und durch ähnlich ist. Dieses wäre eine philosophische
Frage; eben dieses bey den Perpendikularlinien. Ein philosophisch Erkenntnis der geometrischen und Arithmetischen Aufgaben würde vortreflich seyn, sie würde den Weg zur Erfindungskunst bahnen, aber sie ist
sehr schwer. z. E. Dass, wenn ich von einem punkte auf eine Linie eine
andere so ziehe, dass sie lauter gleiche Winkel macht, diese die Kürtzeste
unter allen Möglichen sey, beweist die Geometrie, aber woher muss man
eben diese Bestimmung treffen, um die Kiirzeste zu zeigen? Das kann
nur eine erhabene Philosophie zeigen." Man sieht hier zugleich den
wesentlichen Untersehied zwischen dieser Auffassung der philosophischen
und mathematischen Erkenntnis und der von 1763/4 trotz' der Charakteristik der Mathematik als anschaulicher Erkenntnis. Vielleicht darf man
noch zur Ergänzung Reflexion 1670 (S. 72) heranziehen "In allen Wissenschaften muss der theoretische Theil dem Praktischen vorhergehen. Man
muss vorher wissen, wie man reden soll, ehe man redet; man muss richtig
denken lernen, ehe man mit vergeblichem Denken sich occupiren soll.
In der Mathematik allein kan die ausübende Logik der lehrenden voraus
gehen. Denn da hat man einen sichern Leitfaden desNachdenkens: unsere
Sinne oder deren Vicaria, die imaginatio, kan uns die Fehler der Denkungsart leicht überführen." Die "philosophische Grössenlehre" soll offenbar
auf Begriffe bringen und nachträglich in rationaler Form entwickeln, was
die "praktisch" gerichtete Mathematik "durch eine unmittelbare sinnliche
Reihe Vorstellungen" - durch die praktische Übersetzung der Begriffe
in die Imagination oder durch ihre Konstruktion - begreift. Der Mathematik als Wissenschaft aus der Konstruktion der Begriffe geht hier
noch eine philosophische Wissenschaft aus Begriffen, die sich auf dieselben
Gegenstände, die Grössen, bezieht, zur Seite.
Eine zweite interessante Stelle aus derselben Zeit, an der sich Kant
von der Meinung seiner Vorlage emanzipiert, bringt Nr. 1676 (S. 76ff.).
In § 10 des Meiersehen Auszugs heisst es "Die Erfahrung lehret, dass wir
uns unendlich viele Dinge vorstellen. Eine Vorstellung verhält sich als
ein Bild, welches, die malerische Geschicklichkeit der Seele, in ihrem Inwendigen zeichnet." Dem gegenüber wirft Kaut die Frage auf: können
wir sagen, dass die Vorstellung, die in der Seele von einem Dinge anzutreffen ist, diejenige Ähnlichkeit mit dem vorgestellten Gegenstande habe,
die zwischen einem Gemälde und dem abgeschilderten Dinge besteht?
Er sucht mit naheliegenden Gründen zu beweisen, dass das unmöglich
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ist: wenn ich ein Haus sehe, ist nicht in meiner Seele ein ganz kleines
Häuschen, wenn ich Saures schmecke, so bildet mir meine Empfindung
doch nicht spitzige Salzteilchen ab, die meine Geschmacksnerven reizen.
Dann aber fährt K. positiv fort "Was ist dann also in der Vorstellung
mit den Vorgestellten Dingen übereinstimmendes? Die Vorstellung, weil
sie ihren Grund von dem vorgestellten Dinge entlehnt, komt darin mit
demselben überein, dass sie auf solche Art aus ihren Theilbegriffen zusammengesetzt ist, als die ganze vorgestellte Sache ans ihren Theilen."
Er versucht also die spezifische Ähnlichkeit der Vorstellungen und ihrer
äusseren Gegenstände auf das gleichartige VerhäUnis der Teile zum
Ganzen zurückzuführen, ein Gedanke, der bei Leibniz gelegentlich angestrebt wird, sonst aber in dieser Form kaum in der vorkantischen Philosophie sich äussert. Im Übrigen zeigt die Bemerkung, wie lebhaft ihn
schon damals das Verhältnis von Vorstellung und vorgestelltem Gegenstand
beschäftigte.
Eine Reihe von Reflexionen wird dadurch wertvoll, dass sie, was
man in diesem Zusammenhang kaum suchen würde, auf die Entwicklung
der Kautischen Ästhetik, der Lehre vom Schönen, ein Licht werfen.
(S. 99 ff., von Refl. 174 7-1947) Der Ausgangspunkt ist die Unterscheidung
logischer und ästhetischer Vollkommenheit der Erkenntnis. Der Begriff
der Vollkommenheit erscheint dabei überhaupt zunächst als ästhetischer
Grundbegriff (17M3: "eine sinnliche Beurtei~ung der Vollkommenheit heisst
Geschmack," 1758: "Man kan sagen: alle Vollkommenheit ist Schönheit").
In dem Begriff der Vollkommenheit aber liegt der einer "Regel oder Absicht" und der weitere einer "Zusammenstimmung zu derselben" (1755);
Deutlichkeit der Erkenntnis als Zusammenstimmung zu der Absicht der
Belehrung macht die logische, Schönheit des Objekts und Annehmlichkeit
des Vortrags die ästhetische Vollkommenheit des Erkenntnisses aus. Ein
etwas anderer Gedanke tritt uns in den Reflexionen aus der 2. Hälfte der
60. Jahre entgegen: die logische Vollkommenheit der Erkenntnis besteht
in der Übereinstimmung mit dem Objekt, die ästhetische in der Übereinstimmung mit dem Subjekt, die Übereinstimmung mit der Tätigkeit
der Erkenntniskräfte des Subjekts macht das Wesen des Schönen aus.
Die Schönheit bleibt indessen noch abhängig von der logischen Vollkommenheit ("dem vollkommensten Subjekt würden nur die Erkenntnisse
nach ihrer objektiven Vollkommenheit gefallen - 1783), auch ~leibt die
Giltigkeit des Gesch~acksurteils noch etwas wesentlich Subjektives. In
letzterer Hinsicht vollzieht sich erst in den Reflexionen aus der Zeit
1769/70 eine Wandlung, es wird zwischen dem Angenehmen und Schönen,
der Empfindung und dem Geschmack schärfer geschieden, Reiz und Rührung der aus den Gesetzen der Tätigkeit des Subjekts entspringenden
Lust an der Form gegenübergestellt. Zugleich erhält auch der Gegensatz
der logischen und ästhetischen Vollkommenheit in der Erkenntnis wieder
einen etwas anderen Sinn: "die ästhetische Vollkommenheit der Erkenntnis
in Einstimmung mit dem Verstande besteht darin, dass dadurch Viel von
einem Dinge, in der logischen aber wenig von viel Dingen gedacht wird
(1801; man vergleiche zu derselben Frage der formalen Vollkommenheit
der Erkenntnis in logischer und in ästhetischer Beziehung die spätere
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E. v. Aster,
Reflexion 1884: "die logische Vollkommenheit gehet darauf aus, das Besondre im Allgemeinen, die ästhetische: das Allgemeine im Besonderen
zu erkennen. Jene bringt alles auf Begriffe, diese auf Anschauungen.")
Der materialen logischen Vollkommenheit der Erkenntnis, die in der
Übereinstimmung mit dem Objekt, also in der Wahrheit besteht, korrespondiert die formale logische Vollkommenheit, die mit der "Deutlichkeit
als Bedingung der Wahrheit nach Gesetzen des Verstandes" zusammenfällt, ebenso der materialen ästhetischen Vollkommenheit oder der Gefühlswirkung der Empfindung die formale: der auf die .Anschauung" sich beziehende Geschmack (1838 - vermutlich Anfang der 70. Jahre). Ende
der 70. Jahre taucht dann der Begriff des "Spiels" der Gemütskräfte auf.
"Was unsere Gemütskräfte in ein leichtes und starkes Spiel setzt, ist angenehm. Was solche in ein harmonisches Spiel setzt, ist schön." Diese
Andeutungen mögen zur Kennzeichnung der Richtung und des Sinnes
dieser ästhetischen Reflexionen genügen, obgleich der Inhalt derselben
und was er an Interessantem bietet weit über das hier Erwähnte hinausgeht.
In dem folgenden Abschnitt, in dem es sich um Wesen und Kriterium der Wahrheit handelt, zeigen eine Reihe von Reflexionen in typischen Wendungen den Standpunkt der nova dilucidatio: durch das innere
Kriterium der Widerspruchslosigkeit und das äussere Kriterium des zureichenden Grundes wird die Wahrheit einer Erkenntnis erwiesen. Dann
folgen Notizen aus den 60. Jahren, in denen die Scheidung zwischen formalen und materialen Wahrheitskriterien vollzogen wird: "Wenn ich die
Mittel, die Unrichtigkeit zu verhüten, suche, so verlange ich noch nicht
die Mittel, zur Wahrheit zu gelangen, sondern allererst zur Unwissenheit"
(2126) eine Reflexion, die mit der für die skeptische Neigung der Kautischen Philosophie in der Mitte der 60. Jahre charakteristischen Wendung
schliesst. "Solte nicht in der Weltweisheit Irrthum und Warheit in einander gerechnet und von einander abgezogen eben so das 0 geben, wie
die grobste Unwissenheit?" Die Frage nach der Wahrheit hat dann, wie
n 2128 in Kürze ausgeführt wird, einen dreifachen Sinn. Sie bedeutet
ieinmal auf eine Vorstellung angewandt, ob der Gegenstand dieserVorstellung wirklich sei und das heisst genauer: ob die Vorstellung eine
Sensation ist: Die Wahrnehmung allein entscheidet die Frage nach der
Wirklichkeit. Zweitens bedeutet sie einer Vorstellung gegenüber, ob dieselbe eine Erkenntnis enthalte. d. h. Vorstellung eintis möglichen Gegenstandes sei, also: ob die Vorstellung in sich selbst widerspruchslos ist.
Endlich einem Urteil gegenüber gestellt: ob die Vorstellung die "Erkenntnis einer schon gegebenen Erkenntnis sei", ob sie also mit den gegebenen
Erkenntnissen der Anschauung zusammenstimmt. Der kritische Gedanke
tritt uns in einer Reflexion wie 2135 entgegen: "Wenn nicht aus einem
inneren Widerspruch die Falschheit erkannt werden kan, so ist aus dem
Verhältnis gegen andere Erkenntnisse nur die Falschheit zu erkennen,
wenn dadurch alles Kennzeichen der Wahrheit aufhört" (Abfassungszeit
zwischen 1772 und 75.)
Zur Geschichte der Begriffe analytisch und synthetisch bringen
eine grosse Anzahl von Reflexionen neues Material. Soweit sie (in üb-
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rigens spärlicher Zahl) aus der Zeit bis zum Anfang der 60. Jahre stammen,
verwenden sie das Begriffspaar nur in dem alten Sinne der analytischen
und synthetischen· Methode: wir können Begriffe analytisch und synthetisch, vom Ganzen aus zu den Teilen und von den Teilen zum Ganzen
deutlich machen, Im Anschluss an den Paragraphen der Meiersehen Vernunftlehre, der von der willkürlichen Begriffsbildung spricht findet sich
aus dem Anfang der 60. Jahre stammend die Bemerkung "alle willkürlichen Begriffe sind synthetisch und umgekehrt" (2901'), mit der weiteren
Hinzufügung, alle Begriffe seien entweder rational oder empirisch oder
fingiert. Nur .fingierte" Begriffe also sind Gegenstand der Synthesis
(vgl. auch 2890). Doch wird dann bereits in einer Reflexion, die Adickes
mit Wahrscheinlichkeit der Zeit 1764-66 (oder bis 613?) zuweist von analytischen und synthetischen Sätzen gesprochen mit der Hinzufügung "die
Subjekte der ersteren sind Begriffe (conceptus reflexi) der zweiten conceptus abstracti" und dem Beispiel für 1 "ein Körper ist ausgedehnt", für
2 "ein Körper hat Anziehung", also bereits das uns aus der Kritik d. r, V.
so geläufige Beispiel. Wir können hinzufügen, dass in einer vermutlich
aus der gleichen Zeit stammenden Reflexion (2350) die "reinen Vernunft.
begriffe" und die willkürlichen Begriffe als vollständig erkennbar (completudo interna) den empirischen Begriffen gegenübergestellt werden, die
diese Vollständigkeit nicht erlangen können.l) In Notizen aus dem Ende
der 60. Jahre (1769--70) wird dann genauer zwischen Begriff und Gegenstand geschieden, das analytische Urteil zu einem Urteil über den Begriff,
das synthetische zu einem solchen über den Gegenstand (2392), bei dem
ersten entspringt eine neue Form des Begriffs, bei dem zweiten eine
neue Materie, erstere vermehren die Erkenntnis formaliter, letztere materialiter. Beispiel eines analytischen Satzes: "Alles x, welchem der Begriff des Körpers zukommt (a+b), dem kommt auch die Ausdehnung (b)
zu. Eines synthetischen: Alles x, welchem der Begriff des Körpers (a-j-b)
zukommt, dem kommt auch die Anziehung (c) zu" (3126, dazu auch 3127).
(Vgl. hierzu auch Reflexion 295, 438, 439, bei Erdmann, Refl. Ks zur Krit.
Phil. TI). Zugleich schliesst sich hier an 2392 "Deutliche Erkenntnisse werden
gemacht per synthesin in de:: Mathematik. Objecte werden deutlich gemacht per synthesin in der Philosophie und Erkenntnisse werden deutlich
gemacht per analysin in scientiis rationalibus"; eine auch später in ähnlicher Form wiederkehrende Wendung. In dieselbe Zeit scheint eine Reflexion zu fallen (2355 ), in der als synthetisch die Handlung bezeichnet
wird, durch die man klar erkennt, was man noch nicht weiss, als analytisch diejenige, durch die man klar erkennt, was man schon weiss - eine
Wendung, die ja in dem "eine deutliche Erkenntnis'' und eine "Erkenntnis
deutlich machen" auch schon steckt. Hier fügt sich dann zugleich an die
Bezeichnung der analytischen als erläuternder, der synthetischen als erweiternder Erkenntnis (2397, Abfassungszeit wahrscheinlich zwischen 1769
Auf der anderen Seite findet sich der Reflexion 292, 500 u. a. bei
Erdmann entsprechend in 2083 die Wendung: "Alle analytische Urteile
sind allgemein, synthetische sind empirisch und besondre" - der
Zeit der Träume eines Geistersehers entstammend ?
1)
426
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und 72). In einer Reihe weiterer Notizen wird die Deutlichkeit durch
"Coordination" per synthesin in Mathematik und Naturwissenschaft der
durch "Subordination" per analysin in der Philosophie der reinen
Vernunft gegenübergestellt (2357, vermutlich 1769-72, u. a.)l), Die erste
Art der Deutlichkeit wird als "completudo", letztere als "Tiefsinnigkeit",
später (2409, Ende der 70. oder 80. Jahre) die eine als "extensive" oder
"Verstandesdeutlichkeit", die andere als "intensive" oder "Vernunftdeutlichkeit" bezeichnet. (Vgl. auch 2367-2383). Wieder in einer Anzahl von
Reflexionen zwischen 1769-72 wird gegenübergestellt der Fall, dass
"weder das Objekt, noch ein Begriff gegeben: wie ein Fall der
Mathematik, in der wir daher durch willkürliche Synthesis die
Sache denken; zweitens der Fall, dass das Objekt (durch die Sinne) geigeben ist, aber nicht sein Begriff: Empirische Synthesis; drittens,
dass der Begriff, aber nicht das Objekt gegeben ist ("verworren",
wie gelegentlich noch weiter hinzugesetzt wird), wie in der Metaphysik:
Analysis (2395, 2396). Endlich wird der Fall der moralischen Begriffe
noch besonders namhaft gemacht als derjenige, in dem die Sache selbst
durch den Begriff gegeben werde. Wieder etwas später erscheint als
Grundeinteilung die zwischen gegebenen und gemachten Begriffen
(conceptus dati und factitii) die ersteren entweder a priori (intellectuelle)
oder a posteriori (empirisch) gegeben, die letzteren entweder willkürliche
(mathematische) oder "durch Vernunft geschlossene" Begriffe, d. h. Ideen,
zn denen dann wohl auch die moralischen Begriffe gezählt werden (2852,
1853, 2855 zwischen 1770 und 1775). Die a priori gegebenen Begriffe
werden nicht als conceptus, sondern als notiones bezeichnet.
Zur .,synthetischen Einheit des Bewusstseins" ist bemerkenswert die
aus den 80. Jahren stammende Reflexion 3030: "Die synthetische Einheit
des Bewusstseins ist der transeendeute Grund der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori. Ich verbinde nämlich A mit dem Bewusstsein.
Dann B (entweder blos als von A vorgestellt oder auch als etwas, was
dazu kommt). Drittens die Einheit beiderlei distributiven Bewusstseins
in collectives, d. i. in den Begriff eines Dinges. Also erstlieh die analytische Einheit des Bewusstseins von A und non A (= B) und dann die
synthetische Einheit beider." Das Denken des A nnd B in einem Begriff
- dem Begriff eines Dinges - setzt die synthetische Einheit des Bewusstseins voraus. Nehmen wir hierzu Reflexion 3051: "Begriffe gehören zu einem Bewusstsein nur dadurch. dass sie unter, nicht neben einander (wie Empfindungen) gedacht werden." Das "Bewusstsein" aber,
"dass ein Begriff unter einem anderen enthalten ist (als sein Prädikat,
1) Doch vergleiche
man hierzu wieder Reflexion 3342 (1764-68 ?
69-70?), in der von coordinierender und subordinierender Synthesis und
Analysis gesprochen wird: "Die Synthesis und Analysis ist entweder der
coordination: wenn das Gantze eher wie die Theile oder umgekehrt gedacht werden, oder der Subordination: wenn der Grund eher wie die Folge
und das allgemeine eher als das besondre, das abstractum eher als das
concretum gedacht wird."
Kants handschriftlicher Nachlass.
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sein Grund, oder als ein Glied seiner Einteilung)", ist das Wesen des
Urteils.
Die Antinomien 1ehre ist in 2731 und 2732 ausgesprochen, von
denen Adickes Wenigsens die erste zwischen 1776 und 1779 ansetzt, man
vergleiche im Gegensatz dazu 2788 (wahrscheinlich 1764- 68): "Der Anfang der Welt und die unendliche Dauer derselben sind gleich unverständlich, jenes macht aber doch meine Vernunfterkenntnis complet, dieses
nicht. Jene hypothesis ist eine notwendige hypothesis der Vernunft"
(ähnlich 2678).
Die Unterscheidung von Glauben und Wissen spielt in den Reflexionen 2422-2504 eine Rolle. Der "moralische Gewissheit" gebende
"Vernunftglaube" wird zunächst dem Wissen gegenüber als eine auf praktischem Grunde ruhende "Hypothese" definiert, wider die sich nichts
sagen lässt und die doch als Voraussetzung sehr fruchtbar ist (2448 1764-68 ?) Einige Seiten später wird der Glaube als eine subjektiv, aber
nicht aus objektiven logischen Gründen hinTeichende Überzeugung (die
sich daher auch nicht allgemein mitteilen lasse) bezeichnet (2459, 2473 u.a.),
aus etwas späterer Zeit scheint die Definition des Glaubens als eines
Fürwahrhaltens nach praktischen Gesetzen (nicht aus praktischen Gründen)
zu stammen (2462 - 1771-73 ?). Hier wird bereits schärfer zwischen
den nach praktischen Gesetzen erfolgenden Glauben an historische Tatsachen und dem eigentlichen moralisch-religiösen Glauben unterschieden:
"Nach praktischen Gesetzen überhaupt heisst es so: wenn ich das nicht
annehmen wolte, so würde mit solcher Art zu urtheilen ich nichts Kluges
thun könen." "Ich denke, dass ein America sey, denn wenn ich bey
eolchen Zeugnissen es noch nicht annehmen wolte, was wolte ich denn
annehmen in Ansehung meiner handJungen und Entschliessungen," "Der
Moralische Glaube ist, der nach moralischen Gesetzen nothwendig ist als
Folge oder als Grund der Moralität" (vgl. hierzu auch 2714). Mit der
Unterscheidung des Fürwahrhaltens nach praktisehen Gesetzen und
aus objektiven Gründen scheint es zusammenzuhängen, wenn an späterer
Stelle (2679) die Bezeichnung des Glaubens als Hypothese ausdrücklich
abgelehnt wird ("Glaube ist keine Hypothesis, denn er ist nicht Meinen.")
Die Scheidung zwischen historischem und moralisehem Glauben erfährt
dann eine weitere Verschärfung, wenn der erstere als ein nur für jetzt,
der letztere als absolut geltendes subjektiv hinreichendes Fürwahrhalten
gekennzeichnet wird. "Woher \l:ann ich wissen, es ~werde immer zureichen? weil es die Bedingung eines objektiv nothwendigen Vorsatzes
ist. W ober kau ich diese Überzeugung aber nicht mittheilen? Weil sie
moralische Gesinnung voraussetzt. Die Ursache ist: wer die Moralität als
an sich a priori gewiss ansieht, der muss ein Gottlieh Wesen annehmen.
Wer da glaubt, sie setze selbst in der Beurtheilung ein Gottlieh Daseyn
voraus, der kan nicht durch moralischen Glauben davon überzeugt werden"
(2492). Am nächsten an Forbergs "Als ob" Theorie streift die aus den
90. Jahren stammende Reflexion 2503: "Glaube -- Was ich wünsche,
glaube ich gern, wenn ich nur Grund dazu hätte . , . Ist es aber Pflicht,
es zu wünschen (denn zu Glauben gibt es keine Pflicht), so habe ich
Recht es zu glauben, wenn ich kann. - Kann ich aber es nicht glauben
428
E. v. Aster,
(z. B. das künftige Leben), so habe ich doch Grund genug so zu handeln,
als ob ein solches bevorstände. - Also gibt es einen in praktischer Absicht hinreichenden Grund zu glauben, wenn gleich der theoretische für
mich unzureichend ist, und, was den letzteren betrifft, so mag ich immer
zweifeln."
Die vorstehenden flüchtigen und kurzen Bemerkungen sollen nur
auf das reiche Material, das uns der Band für wichtige Fragen der Kautinterpretation und der philosophischen Entwicklung Kants liefert, hinweisen. nicht es sachlich durchdringen oder gar erschöpfen, das muss ein.
gehenderer Arbeit vorbehalten bleiben. Der Band erweckt die lebhafte
Hoffnung, dass wir auch die Reflexionen zur Metaphysik in nicht allzu
ferner Zeit erhalten werden.
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