josef gielen — ein regisseur der wortmusik

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JOSEF GIELEN — EIN REGISSEUR DER WORTMUSIK
Von Heinz K i n d e r m a n n
(Wien)
Der Rheinländer Josef Gielen, der erst als Dreiundzwanzigjähriger den Weg
zur Bühne fand und nach Königsberger Lehrjahren als Schauspieler sich erst
während seines Wirkens am Darmstädter Landestheater (1921/24) erstmalig
Regie-Aufgaben zuwandte, trägt, wie soviele seiner Landsleute, die Musik im
Blut. Eben diese Eigenheit machte ihn den Wienern so rasch vertraut, weil auch
hier eigentlich nur das musikgetragene Wort in den höchsten Regionen auch des
Sprechtheaters „zählt". Wundert es uns, daß der junge Regisseur Gielen einst
in Darmstadt seine Inszenierungen mit so musikgeladenen Komödien und Tragikomödien wie mit Eichendorffs »Freiern", mit Hauptmanns „Schluck und J a u " ,
mit Shakespeares „Was ihr wollt" oder „Kaufmann von Venedig" begann?
Nach zehn überaus fruchtbaren Regisseurjahren am Staatlichen Schauspielhaus
in Dresden (1924/34) führte ihn der Weg zwangsläufig in den Opernbereich:
von der Dresdner Staatsoper (1934/36), wo Gielen u. a. die Uraufführung von
Richard Strauß' „Arabella" vollendet gelang, ging es an die Staatsoper Berlin
(1936/37). Aber das Sprechtheater ließ ihn nicht los. Eben dasjenige, in dem das
musikgetragene Wort längst schon zu Hause war, gewann Gielen nun ein erstesmal: das Burgtheater. In den Jahren 1937/39 ließ Gielen dort seine dunkel aufrauschenden, seine immer dichtergetreuen, immer in satten Farben gehaltenen
und doch nie schrillen, sondern immer zur Gehaltenheit bei aller Ausdruckskraft
neigenden Inszenierungen von Sdireyvogls „Gott im Kreml", von O'Neills
„Trauer muß Elektra tragen", von Schillers „Teil" und Paul Emsts „Pantalon
und seine Söhne" oder Björnsons „Wenn der junge Wein blüht" — um nur
einiges zu nennen — zum in aufwühlender Zeit doppelt empfänglichen Publikum sprechen.
Der Eindruck dieser Regiearbeiten war so nachhaltig, daß man Gielen 1948
nach der kurzfristigen Direktion Asian aus Buenos Aires nach Wien zurückholte; und nicht nur als Spielleiter, sondern sogar als Burgtheaterdirektor. Inzwischen hatte Gielen in zehnjähriger Arbeit das Teatro Colon in Buenos Aires
aus einem wenig angesehenen Institut zur Weltberühmtheit gebracht. Seine
„Zauberflöten"-Inszenierung war die erste deutschsprachige Aufführung in
Buenos Aires überhaupt. Aber gerade auch sie schlug ja die Brücke nach Wien,
so daß der Übergang in die Burgtheater-Sphäre nicht allzu schwierig wurde.
Es war das Große von Gielens Regieleistungen seiner Direktoren-Zeit, daß er,
gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Bertold Viertel, selbst im Ronacher-Behelf
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Heinz Kindermann
(das Haus am Ring konnte ja erst 1955 wieder eröffnet werden) die wahre
Burgtheater-Kunst großen Stils wieder herstellen half. Schon der Einsatz mit
Ferdinand Bruckners heiß-kalter, tragisch-ironischer „Elisabeth von England"
(unvergeßlich Maria Eis und O. W. Fischer) versprach den Beginn eines neuen
Burgtheater-Kapitels. Shakespeares „Julius Caesar" in Nehers linear-monumentalen Bühnenbildern wurde unter Gielens Händen zur Tragödie der Macht; und
Asians brüchiger Caesar, Baisers sehr menschlicher Brutus, Skodas draufgängerischer Marc Anton erfüllten den Willen des Regisseurs, indem sie die Melodie
ihrer Rollen hörbar machten und zugleich ins Sichtbare übertrugen. Mit weldier
barodken Farbenfülle und mit welchem Lichterglanz der irdischen und himmlischen Stimmen trat vor allem Claudels „Seidener Schuh", Gielens Lieblingswerk, vor uns hin! Teo Ottos Al Fresco-Dekorationen und Honeggers Musik
vereinigten sich mit Gielens Intentionen zu einem echten Gesamtkunstwerk, das
von den bedeutendsten Schauspielern des Hauses wie von einer Fülle der vollendeten Instrumente eines Orchesters getragen wurde. Der Schritt von diesem
Gesamtkunstwerk Claudels zu „Faust II" war naheliegend und gelang vollauf.
Viele Inszenierungen Gielens während seiner Direktionszeit (bis 1954) gehören, wie die oben angeführten, zu jenen „Sternstunden", die in die Geschichte
des Burgtheaters und seiner denkwürdigsten Augenblicke eingingen. Shakespeares
„Was ihr wollt" etwa in seiner schalkhaften Beschwingtheit; oder Garcia Lorcas
drückende „Bluthochzeit"; Zuckmayers haß-überwindender „Gesang im Feuerofen", den Gielen zum Ruf des Wiederfindens werden ließ; oder „Wallenstein"
an einem Abend mit Werner Krauß als zentraler, vereinsamter Gestalt inmitten
eines Weltchaos. Schärfer als dies bisher geschah, rückte Gielen die Gestalt Wallensteins in die Sphäre des alle übrigen turmhoch Uberragenden und eben daran
Scheiternden. Und wenn wir an Gielens Inszenierung von Eliots „Mord im
Dom" oder von Christopher Frys „Venus im Licht", von Bruckners „Pyrrhus
und Andromache", oder von Millers „Hexenjagd" denken, dann wissen wir,
daß seine Gabe, den Dichter zu verstehen und sein Konzept im Unisono der
Schauspieler lebendig zu machen, nur dort ihre Grenze erhält, wo das Abgründige ins Nichts weist. Gielen ist kein Freund des Absurden, des Abwegigen und
des Zorns um der brutalen Rache oder Vernichtung willen. Im Gegenteil: sein
Leben und Wirken hat ihm die Wege zur humanen Weltsicht gewiesen, wie sie
ihm — schon nach Beendigung seiner Direktionszeit — in der vollendetsten
Schauspielinszenierung anläßlich der Wiedereröffnung des Hauses am Ring
(1955) mit seinem „Don Carlos" (in den einzigartigen Bühnenbildern Stefan
Hlawas) gelang.
Immer auch weiß Gielen um das ö f f n e n der Weltenge nach oben, nach dem
Unendlichen hin. Ob er Mells „Jeanne d'Arc" (für Bregenz und das Burgtheater) oder Hochwälders „Herberge", Grillparzers „Bruderzwist" oder Reinhold Schneiders „Großen Verzicht" oder Bruckners „Irdenes Wägelchen" und
Felix Brauns „Orpheus" zum Leben erweckte: immer gelang ihm jene „Berührung der Sphären", der irdischen und der überirdischen, die letztlich nur durch
direkte oder indirekte Musik vernehmbar gemacht werden kann.
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Eben deshalb erscheinen Gielen die Schauspieler wie Stimmen oder Instrumente eines Septetts oder Oktetts. Dem Lastenden fügt er immer wieder das
Schwerelose als Widerpart hinzu. Ebenso aber ergibt sidi ihm jedesmal wieder
das Gleichgewicht der Welt aus diesem Zusammenklang an sich divergierender
oder dissonanter Stimmen. War nicht auch gerade diese Kunst das letzte Geheimnis von Gielens „Rosenkavalier u -Inszenierung für Salzburg und für die
Wiedereröffnung der Staatsoper?
O b aber Schauspiel oder O p e r : Gielens überaus kultivierte und dodi jedesmal
wieder packende Regie geht von der Musik des Wortes aus und führt zur Musik
des geheimen Wissens um mehr als das Mensdilich-Begrenzte hin. Sie ist nie
bläßlidi-ätherisch, sondern liebt die kräftigen Farben und die klar erkennbaren
Aktionen. Sie zeigt die Gegensätzlichkeiten der Welt ohne Beschönigung und
sehnt sich doch insgeheim nadi einem vollendenden Schließen der Kreise.
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