CONTINUING MEDICAL EDUCATION Hypothyreose – Diagnose und Therapie mit L-Thyroxin unter besonderer Berücksichtigung von TSH 3 CME-PUNKTE Prof. Dr. med. Henri Wallaschofski, Erfurt VNR: 2760512016151150012 Gültigkeitsdauer: 01.06.2016–30.06.2017 Zertifiziert von der Ärztekammer Nordrhein 1. Einleitung Weltweit liegt die Häufigkeit einer subklinischen oder manifesten Hypothyreose je nach Jodangebot und Ernährungsform zwischen ein und fünf Prozent in der Allgemeinbevölkerung [1]. Auch in Deutschland stellt die Schilddrüsenunterfunktion ein ernst zu nehmendes Krankheitsbild dar, das jedoch in der Regel gut behandelbar ist. Internationale Fachgesellschaften sind sich im Wesentlichen darüber einig, wie die Hypothyreose behandelt werden soll. Weniger klar ist hingegen, welche Patienten therapiert werden sollen bzw. ab welchem TSH-Wert eine Therapie mit L-Thyroxin begonnen werden sollte. Die vorliegende Fortbildung widmet sich dieser Thematik, indem zuerst allgemeine Grundlagen zur Hypothyreose, deren Symptome und Diagnosekriterien besprochen werden. Anhand der Betrachtung der Laborwerte inklusive möglicher Konstellationen wird anschließend der Frage nachgegangen, auf welche TSH-Referenzwerte in der Literatur Bezug genommen wird und wann eine Hypothyreose behandelt werden sollte. Schließlich wird auf die schon seit langem etablierte Behandlung der Hypothyreose mit L-Thyroxin und die in letzter Zeit häufiger diskutierte Möglichkeit einer Kombinationstherapie von Levothyroxin und Liothyronin eingegangen. 2. Allgemeine Grundlagen zur Hypothyreose Definition Bei der Hypothyreose besteht eine Minderversorgung des Körpers mit Schilddrüsenhormonen, woraus ein Zustand eines Hypometabolismus resultiert [2]. Je nach Ausmaß des hormonellen Defizits ergibt sich ein breites Krankheitsspektrum, das von der latenten oder subklinischen über die manifeste Hypothyreose bis hin zum seltenen Extremfall des hypothyreoten Komas reicht. TSH fT4 TSH fT4 TSH fT4 erhöht normal erniedrigt Euthyreose subklinische Hypothyreose Hypothyreose Abb. 1: Vereinfachte Einteilung der Hypothyreose anhand der Laborwerte TSH und fT4 (freies Thyroxin), adaptiert nach [3] 1 Während die subklinische Hypothyreose durch einen erhöhten Wert des Thyroidea-stimulierenden Hormons (TSH, Thyreotropin) bei noch kompensierter Hormonlage, also normaler T4-Sekretion, charakterisiert ist, sind bei der manifesten Hypothyreose zusätzlich zum erhöhten TSH auch erniedrigte periphere Schilddrüsenhormone nachweisbar, s. Abb. 1. Es ist unschwer zu erkennen, dass der Normwert für das TSH eine Schlüsselstellung für die Differenzierung von normalem Schilddrüsenstoffwechsel und latenter Hypothyreose einnimmt [4]. CONTINUING MEDICAL EDUCATION Hypothyreose – Diagnose und Therapie mit L-Thyroxin unter besonderer Berücksichtigung von TSH So wird in den praktischen Guidelines der American Association of Clinical Endocrinologists (AACE) und der American Thyroid Association (ATA) die subklinische Hypothyreose durch ein Serum-TSH über der Referenzgrenze in Kombination mit normalem freien Thyroxin (fT4) charakterisiert. Von einer manifesten Hypothyreose wird in diesen Guidelines gesprochen, wenn TSH erhöht (normalerweise über 10 mIU/l) und das fT4 gleichzeitig subnormal ist [5]. Epidemiologie Bei der Hypothyreose handelt es sich um eine relativ häufige Erkrankung, die mit dem Lebensalter zunimmt. Im Vergleich zu den Männern erkranken Frauen etwa bis zu 4-mal häufiger. Die Prävalenz der manifesten wird auf 1–3 % und jene der subklinischen Hypothyreose auf 6–10 % geschätzt [3]. Dass dies nur grobe Richtwerte sind, zeigen weitere Untersuchungen, wie z. B. NHANES III (The Third National Health and Nutrition Examination Survey), an der US-Population, die bei einem oberen TSH-Normalwert von 4,5 mIU/ml auf eine Prävalenz der subklinischen bzw. manifesten Hypothyreose von 4,3 % bzw. 0,3 % kommen [6]. In der Colorado Thyroid Disease Prevalence Study werden bei Personen, die keine Schilddrüsenmedikamente einnehmen, Prävalenzen der subklinischen und manifesten Hypothyreose bei einem etwas höheren oberen TSH-Normalwert mit 8,5 % und 0,4 % angegeben [7]. In Deutschland wird über niedrigere Hypothyreose-Prävalenzraten berichtet. In einer epidemiologischen Untersuchung in einem ehemaligen Jodmangelgebiet (Study of Health in Pomerania, SHIP) konnte lediglich bei 0,5 % eine subklinische und bei 0,7 % eine manifeste Hypothyreose festgestellt werden [8]. Hier lag auch die Normalverteilung der TSH-Werte wesentlich niedriger als beispielsweise in der oben erwähnten NHANES-Studie (s. Kapitel „TSH-Referenzwerte aus Populationsstudien“). Ursachen/Einteilung der Hypothyreose Hinsichtlich der Ursachen der Hypothyreose lassen sich hauptsächlich die primäre und sekundäre Hypothyreose unterscheiden. Ursachen der primären Hypothyreose Angeborene Fehlbildungen (z. B. Schilddrüsenagenesie, dystope Lage) Iodverwertungsstörungen (z. B. Defekte des Jodidtransporters) Transiente Hypothyreose bei Säuglingen Autoimmunthyreoiditis (z. B. Hashimoto) Andere Thyreoiditiden (z. B. Quervain) Therapeutische Maßnahmen (Z.n. Strumaresektion, Z.n. Radiojodtherapie, Z.n. Bestrahlung, Medikamenteneinnahme (Thyreostatika, Lithium, Amiodaron, Interferon)) Strumigene Substanzen Extremer Jodmangel Seltene Erkrankungen der Schilddrüse (z. B. Amyloidose, Sarkoidose) Tab. 1: Ursachen der primären Hypothyreose, verändert nach [3] 2 Liegt die Ursache in der Schilddrüse selbst, spricht man von einer primären Hypothyreose. Kommt die Störung jedoch aufgrund einer verminderten hypophysären TSH-Sekretion oder eines hypothalamischen TRH-Mangels zustande, handelt es sich um eine sekundäre Hypothyreose. Die am häufigsten vorkommende primäre Hypothyreose lässt sich wiederum in eine angeborene (kongenitale) und eine erworbene Form unterscheiden. Häufigste Ursache der erworbenen primären Hypothyreose ist die chronische Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto). Weitere mögliche Ursachen sind beispielsweise Z. n. Radiojodtherapie, Z.n. Strumektomie, exzessive Jodzufuhr (z. B. Amiodaron) oder Thyreostatika, s. Tab. 1. CONTINUING MEDICAL EDUCATION Hypothyreose – Diagnose und Therapie mit L-Thyroxin unter besonderer Berücksichtigung von TSH 3. Klinische Symptome der Hypothyreose Symptome der Hypothyreose Allgemeine Symptome • Leistungsminderung, Müdigkeit, Schwäche • Gewichtszunahme, Kälteintoleranz Schilddrüse • Klein oder Struma Herz- und Kreislaufsystem • Sinusbradykardie • Herzinsuffizienz, Kardiomegalie, Perikarderguss • Arterielle Hypotonie, paradoxe Hypertonie Lunge • Ateminsuffizienz, Hyperkapnie Haut und Hautanhangsgebilde •Trockene, blasse Haut (Handflächen), Haarausfall, brüchige Nägel •Prätibiales Myxödem (selten bei Autoimmunthyreoiditis, häufiger bei M. Basedow) Augen •Lidödeme •Exophthalmus (selten bei Autoimmunthyreoiditis, häufiger bei M. Basedow) Mund und Larynx •Große Zunge •Verwaschene Sprache, tiefe, rauhe Stimme Nervensystem • Antriebsarmut, Apathie, Schläfrigkeit, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisschwäche • Depressives Syndrom, Psychose • Stupor, Koma • Kleinhirnataxie, Innenohrschwerhörigkeit • Hyporeflexie Muskel- und Skelettsystem • Muskelschwäche, Muskelatrophie, Muskelschmerzen, Erhöhung der Kreatinkinase • Verzögerte Skelettreife bei Kindern Gastrointestinaltrakt • Appetitlosigkeit • Obstipation • Megakolon, Ileus (selten) • Aszites (selten) Sexualorgane • Frau: Zyklusstörungen, Amenorrhö, Menorrhagien, Infertilität • Mann: Abnahme der Libido, Impotenz und Gynäkomastie Stoffwechsel •Verminderter Grundumsatz mit Gewichtszunahme, Adipositas •Hohes Cholesterin •Niedriger Blutzucker Sonstige Laborwerte •Hyponatriämie •Blutbildveränderungen (Anämie) •Kreatinkinaseerhöhung Tab. 2: Symptome der Hypothyreose, verändert nach [3] Wie oben beschrieben, ist die Hypothyreose durch einen Mangel an Schilddrüsenhormonen gekennzeichnet. Es ist deshalb gut nachzuvollziehen, dass das klinische Bild der Erkrankung durch Ätiologie, Zeitraum bzw. Ausprägung der Unterversorgung der unterschiedlichen Organsysteme und bestehende Begleiterkrankungen geprägt ist. Die Hypothyreose beginnt meist schleichend, schwere Symptome sind erst feststellbar, wenn ein Großteil der Schilddrüsenfunktion zum Erliegen gekommen ist [4]. Am häufigsten wird über Kälteintoleranz, Obstipation, Gewichtszunahme, Dysmenorrhoe, Fatigue-Symptomatik oder Depression berichtet. In Tabelle 2 ist die große Symptomenvielfalt unterschiedlicher Organe bei der Hypothyreose zusammengefasst. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass es keine verlässlichen klinischen Symptome gibt. Dies unterstreicht auch eine Studie von Ross und seinen Mitarbeitern, die zeigte, dass sich Patienten mit latenter und manifester Hypothyreose gegenüber euthyreoten Probanden hinsichtlich typischer Beschwerden der Hypothyreose, wie in Tabelle 2 beschrieben, nicht wesentlich unterscheiden [9]. Um das Vorliegen und den Schweregrad einer Hypothyreose zu beurteilen, wurden unterschiedliche Rating-Skalen verwendet, die jedoch eine niedrige Sensitivität und Spezifität aufweisen [5]. Nichtsdestotrotz ist es nützlich, objektive klinische Parameter verwenden zu können, die den Schweregrad einer Hypothyreose beschreiben. So belegten schon früher durchgeführte Studien beispielsweise eine gute Korrelation zwischen dem Hypothyreose-Schweregrad und der Achillessehnenreflexzeit (ASRZ) [10]. Bereits Patientinnen mit TSH-Werten unter 12 mU/l zeigten im Vergleich zu den Kontrollen eine signifikante Verlängerung der ASRZ. Diese Verlangsamung nahm bei höheren TSH-Werten weiter relevant zu, s. Abb. 2. Die Messung der Achillessehnenreflexzeit wird in der täglichen Praxis heute jedoch sehr selten durchgeführt. Weitere klinische und metabolische Parameter wie etwa Ruhe-Herzfrequenz, Serum-Cholesterin, Ausmaß von Angstzuständen, Schlafmuster und Menstruationszyklus-Veränderungen werden eingesetzt, um bei einer Normalisierung einen wiederhergestellten Euthyreose-Status anzuzeigen und das individuelle Therapieziel des Patienten an seinen konkreten Beschwerden zu definieren [5]. 3 CONTINUING MEDICAL EDUCATION Hypothyreose – Diagnose und Therapie mit L-Thyroxin unter besonderer Berücksichtigung von TSH Achillessehnenreflexzeit bei Hypothyreose ASR (ms) euthyreot p<0,0001 p<0,0001 590- p<0,005 p=ns p<0,0001 540490440390340290- n=81 Kontrollen euthyreot n=94 SCH I + II TSH≤12 mU/l n=59 SCH III TSH>12 mU/l n=28 MH IV nomales T3 n=28 MH V erniedrigtes T3 Abb. 2: Durchschnittliche Achillessehnenreflexzeit bei subklinischen und manifesten Hypothyreosen im Vergleich zu Kontrollen, nach [10]. SCH = Subklinische Hypothyreose; MH = Manifeste Hypothyreose 4. Synthese der Schilddrüsenhormone [11,12] Schilddrüsenhormonsynthese I- BASAL NIS TSH-R T3 T4 IcAMP In den Thyreozyten wird das dimere Glykoprotein Thyreoglobulin (Tg) gebildet, an dem die Schilddrüsenhormonsynthese erfolgt, s. Abb. 3. Die Thyreoperoxidase (TPO, Iodid-Peroxidase) katalysiert die Jodierung von Tyrosylresten, die an Tg gebunden sind, an Position C-3 oder an C-3 und C-5. Hierdurch entstehen mit 3-Monojodtyrosin (MIT) und 3,5-Dijodtyrosin (DIT) die Vorstufen der Schilddrüsenhormone, s. Abb. 4. Thyreoglobulin (Tg) Tg + IAPIKAL Iodination DIT TPO Tg – MIT Kopplung Abb. 3: Ablauf und Lokalisation der Schilddrüsenhormonsynthese, adaptiert nach [13] 4 In den Follikeln (funktionelle Einheit der Schilddrüse) erfolgt die Biosynthese der Schilddrüsenhormone aus Jod und der Aminosäure L-Tyrosin. Da die Jodid-Konzentration im Blutplasma 25- bis 30-fach niedriger ist als in den Follikelepithelzellen, wird Jodid über einen Natriumjodsymporter (NIS) gegen das Konzentrationsgefälle aus dem Blut in die Thyreozyten transportiert, s. Abb. 3. TSH stimuliert diesen Transporter. Durch Kopplung eines MIT- und DIT-Moleküls entsteht das Schilddrüsenhormon Trijodthyronin (T3); zwei DIT-Moleküle ergeben Thyroxin (T4, Tetrajodthyronin). Zum größten Teil bildet die Schilddrüse T4 (80 %), zu einem kleineren T3 (20 %). Dieses Verhältnis kann sich in Abhängigkeit vom Jodierungsgrad des Thyreoglobulins ändern [15]. CONTINUING MEDICAL EDUCATION Hypothyreose – Diagnose und Therapie mit L-Thyroxin unter besonderer Berücksichtigung von TSH Mono- und Dijodtyrosin J MIT HO CH2CH COOH NH2 J DIT HO CH2CH COOH NH2 J In biologisch inaktiver Form werden T3 und T4 an Thyreoglobulin gebunden in den Schilddrüsenfollikeln gespeichert und bei Bedarf durch proteolytische Spaltung freigesetzt. Die Schilddrüsenhormone werden vermutlich über spezifische Transporter (z.B. T3-Transporter MCT-8) via Interstitium in die Blutbahn abgegeben [15]. Im zirkulierenden Blut sind sie zum größten Teil an Transportproteine gebunden. Hierzu zählen TBG (thyroxinbindendes Globulin), TBPA (thyroxinbindendes Präalbumin) und Albumin. Das Verhältnis von freiem zu eiweißgebundenem Hormon ist kleiner als 1:1000 [16]. Biologisch aktiv sind jedoch nur die freien Hormone. Synthese und Freisetzung der Schilddrüsenhormone sind weitgehend TSH-gesteuert. Abb. 4: Struktur von MIT und DIT, adaptiert nach [14] 5. Laborwerte bei Hypothyreose Erhöhtes TBG Vermindertes TBG Faktoren, die die Bindung hemmen Vererbt Vererbt Salicylate Schwangerschaft Androgene Furosemid Neugeborenenzustand Anabole Steroide Freie Fettsäuren Glukokortikoide Phenytoin Hepatitis Schwere Erkrankung Carbamazepin Porphyrie Leberversagen NSAID (variabel, vorübergehend) Heroin Nephrose Heparin Methadon Nikotinsäure Mitotan L-Asparaginase Östrogene 5-Fluorouracil SERM (z. B. Tamoxifen, Raloxifen) Perphanazin Tab. 3: Faktoren, die die T4- und T3-Bindung beeinflussen, nach [5] Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4) Der überwiegende Teil des biologisch aktiven T3 entsteht durch eine Dejodase-vermittelte Aktivierung des Prohormons T4 und nicht direkt im Zusammenhang der thyreoglobulingebundenen Schilddrüsenhormonsynthese. Dies kann in der Schilddrüse selbst, vornehmlich aber in Leber, Niere, Adenohypophyse oder Muskelzellen erfolgen [15]. Etwa 99,97 % von Thyroxin im Serum sind proteingebunden (s.o.). Infolgedessen ist der Serum-Gesamt-T4-Spiegel von Faktoren abhängig, die diese Bindung beeinflussen (unabhängig von Schilddrüsenerkrankungen) [5], s. Tab. 3. Aus diesem Grunde wurden Messmethoden etabliert, die das freie T4 (fT4) im Serum bestimmen und die Messung des Gesamt-T4 mehr und mehr verdrängt haben. Die Bestimmung des freien T4 gilt als primärer Test zur Diagnose einer Hypothyreose bei Patienten mit früherer Hyperthyreose nach Thyreostatika- oder operativer Therapie oder nach Radiojodablation. Bei diesen Patienten kann das Serum-TSH über Wochen bzw. Monate niedrig bleiben. Wie Thyroxin ist auch Trijodthyronin proteingebunden (hauptsächlich an TBG), mit etwa 99,7 % jedoch in geringerem Ausmaß. Auch hier werden Messmethoden eingesetzt, die den freien Anteil von T3 bestimmen (direkter Immunoassay). Es kann jedoch konstatiert werden, dass T3-Messungen im Serum (frei oder gesamt) im Rahmen der Hypothyreose nur begrenzt aussagekräftig sind, da die Werte u.a. aufgrund einer Überstimulation des übrigen (funktionierenden) Schilddrüsengewebes häufig im Normbereich liegen [5]. Die Bestimmung von fT3 für die Diagnostik und Verlaufsbeobachtung ist verzichtbar. 5 CONTINUING MEDICAL EDUCATION Hypothyreose – Diagnose und Therapie mit L-Thyroxin unter besonderer Berücksichtigung von TSH FT4- und TSH-Werte TSH (mU/I) Medikamente Complianceprobleme unter T4 Störung der Bestimmungsmethode NTI (Erholungsphase) T3-Resistenz TSHoma overt Subklinische Hypothyreose 2,5 mU/l 0,5 mU/l Normal TSH mU/l (log) TSH unerwartet niedrig TSH unerwartet hoch Euthyreose Mögliche Konstellationen von fT4- und TSH-Spiegeln in physiologischen und pathologischen Zuständen Wie oben beschrieben, ist das freie T4 neben einem erhöhten TSH-Wert bei der subklinischen Form der Hypothyreose im Normbereich und bei der manifesten, overten Form erniedrigt. In Abb. 5 ist zu erkennen, dass über den gesamten Konzentrationsbereich eine inverse log-lineare Beziehung von TSH zu fT4 besteht [15]. Subklinische Hyperthyreose Nicht selten kommt es vor, dass die Laborkonstellation von fT4 und TSH unklar ist overt und eine detaillierte Abwägung der Befunde erfordert. So ist beispielsweise als häufigste Ursache eines inappropriat ho8,0 fT4 Normales fT4 20,0 (pmol/I) hen TSH-Wertes bei gleichzeitig normalen oder erhöhten SchilddrüsenhormonkonNTI = non-thyroidal illness; TSHom = TSH-produzierender Hypophysentumor zentrationen eine Störung in der laborchemischen TSH-Bestimmung zu nennen Abb. 5: FT4- und TSH-Werte bei Schilddrüsenfunktionsstörungen und bei Euthyreose, nach [15] [15], s. Abb. 5. Diese Laborkonstellation könnte jedoch auch auf ein Complianceproblem unter Thyroxintherapie hinweisen, da sich der TSH-Spiegel erst unter längerer, beständiger Einnahme normalisiert. Medikamente NTI Sekundäre Hypothyreose 6. TSH-Referenzwerte – Allgemeines Bei primärer Hypothyreose ist das basale TSH stets erhöht und kann bereits das subklinische Erkrankungsstadium mit noch im Referenzbereich liegenden freien Schilddrüsenhormon-Konzentrationen im Serum anzeigen [3]. Der Normwert für TSH nimmt aus diesem Grunde eine Schlüsselstellung für die Differenzierung von normalem Schilddrüsenstoffwechsel und latenter Hypothyreose ein [4], s.u. Um das Ergebnis eines Laborbefundes als „normal“ oder „nicht normal“ einordnen zu können, wird es üblicherweise mit Referenzwerten verglichen, die statistisch aus Untersuchungsergebnissen gesunder Personen ermittelt werden. Gemeinhin werden Werte als „normal“ angesehen, die bei rund 95 % aller Personen vorkommen. Bei Vorliegen einer Normalverteilung, kann die Verteilung neben dem Median und Perzentilen zusätzlich durch Mittelwert und Standardabweichung beschrieben werden [17]. Der Referenzbereich, der aus einer Gruppe von Referenzpersonen abgeleitet wurde, stellt den Referenzbereich für die Population dar, aus der er bestimmt wurde. Die Auswahl der Referenzpersonen aus der Referenzpopulation kann sowohl zufällig als auch unter Berücksichtigung bestimmter Kriterien wie Alter, Geschlecht, sozialer Schicht etc. erfolgen [17]. 6 CONTINUING MEDICAL EDUCATION Hypothyreose – Diagnose und Therapie mit L-Thyroxin unter besonderer Berücksichtigung von TSH 7. TSH-Referenzwerte aus Populationsstudien Referenzpopulation (Risikofaktoren ausgeschlossen) Gesamt Männer Frauen 0,45 0,47 0,41 1,39 1,40 1,37 4,12 4,15 4,09 Tab. 4: Serum-TSH-Konzentration der Referenzpopulation von NHANES III (Median; 2,5 %- und 97,5 %-Perzentile), nach [6] 5- mlU/l Im Vergleich dazu bewegt sich das im Rahmen der deutschen Study of Health in Pomerania (SHIP-1) ermittelte Referenzintervall (Referenzpopulation: 1.488 Personen) im Bereich von 0,25–2,12 mU/l [8,18] und ist somit wesentlich niedriger, s. Abb. 6. Die Ursache für dieses Phänomen wird im Wesentlichen an der Verwendung unterschiedlicher TSH-Assays liegen und auf eine unterschiedliche Jodversorgung zurückzuführen sein, die zu einer Häufung von mikroskopisch kleinen autonomen Adenomen führt, häufig infolge von konstitutiv aktiven TSH-Rezeptor-Mutationen, die eine TSH-Absenkung zur Folge haben [4]. 43210- Im Rahmen des Third National Health Nutrition and Examination Survey (NHANES III) wurde bei einer US-Referenzpopulation von 13.344 Personen eine mediane TSH-Konzentration von 1,39 mIU/l ermittelt, mit 95%-Referenzgrenzen zwischen 0,45 mIU/l und 4,12 mIU/l, s. Tab. 4 und Abb. 6. Bei Männern lag dieses Intervall etwas höher, bei Frauen etwas niedriger. NHANES Hersteller SHIP Aus oben genannten Ergebnissen lässt sich festhalten, dass die TSH-Normbereiche nicht unkritisch aus Regionen Abb. 6: Vergleich der TSH-Referenzintervalle bei NHANES III und SHIP sowie vom mit anderer Jodversorgung übernommen werden können, Hersteller (Byk-Sangtec Diagnostica) angegeben, nach [18] sondern u.a. die lokale Jodversorgung berücksichtigt werden muss, um TSH-Bereiche generieren zu können, die sicher zwischen normalem Schilddrüsenstoffwechsel und latenter Hypothyreose unterscheiden. Zudem müssen die Referenzbereiche Assay-spezifisch etabliert werden. Empfehlungen zu TSH-Referenzintervallen gibt beispielsweise die National Academy of Clinical Biochemistry (NACB) in ihrer Guideline 22 zur Labormedizin [19]: TSH-Referenzintervalle sollten aus dem 95%-Konfidenzbereich log-transformierter Werte von mindestens 120 gründlich untersuchten normalen euthyreoten Freiwilligen mit folgenden Eigenschaften ermittelt werden: • Keine nachweisbaren Schilddrüsen-Auto-, TPO- oder Tg-Antikörper (mittels sensitivem Immunoassay gemessen) • Keine Schilddrüsendysfunktion in Eigen- und Familienanamnese • Keine sicht- oder tastbare Struma • Keine Medikamente (außer Östrogen) 7 CONTINUING MEDICAL EDUCATION Hypothyreose – Diagnose und Therapie mit L-Thyroxin unter besonderer Berücksichtigung von TSH 8. Variation und Interpretation der Serum-TSH-Werte Normalerweise weisen die TSH-Konzentrationen im Serum ein zirkadianes Muster auf, mit einem Anstieg, der am späten Nachmittag beginnt und seinen Peak nach Mitternacht erreicht. Die TSH-Werte variieren im Tagesverlauf um bis zu 50 % des Durchschnittswertes [20] bzw. bis zu 40 % bei Proben, die zur gleichen Tageszeit entnommen wurden [21]. Unterschiede bei den Serum-TSH-Werten innerhalb eines normalen Bereichs von bis zu 40–50 % zeigen also nicht notwendigerweise eine Veränderung des Schilddrüsen-Status an [5]. Sowohl für einen geringen Anstieg als auch Abfall von freiem T4 im Serum ist die TSH-Sekretion sehr sensitiv. Schon zu Beginn einer Hypo- oder Hyperthyreose sind abnormale TSH-Werte festzustellen, bevor fT4-Veränderungen nachweisbar sind [5]. Die TSH-Serum-Konzentration ist zudem vom Alter abhängig. Sie steigt mit dem Alter an, auch bei älteren Menschen ohne Schilddrüsenerkrankung [22]. Wenn leichte Erhöhungen bei älteren Menschen gemessen werden, handelt es sich also eventuell nicht gleich um eine subklinische Schilddrüsen-Dysfunktion. Hier wird das Dilemma der Festlegung auf einen Normalbereich deutlich: auf der einen Seite wird gewünscht, den Normalbereich enger zu fassen (s.o.), auf der anderen Seite müsste er für ältere Patienten wiederum etwas breiter sein. Dementsprechend wird in den Guidelines der ATA (American Thyroid Association) zur Therapie der Hypothyreose erwähnt, dass der normale TSH-Bereich bei älteren Menschen (> 65 Jahre) höher ist, infolgedessen im Rahmen einer L-Thyroxin-Therapie höhere Serum-TSH-Zielwerte angemessen sein könnten [23], s.u. Des Weiteren können nicht normale TSH-Werte bei nicht-schilddrüsenassoziierten Erkrankungen bzw. Situationen auftreten, wie z.B. bei akut erkrankten hospitalisierten Patienten, in der Schwangerschaft, bei Anorexia nervosa etc. TSH-Referenzwerte sollten auch unbedingt vom Cut-off-Bereich zur Therapieeinleitung und dem TSH-Zielbereich einer Hormonsubstitution unterschieden werden. 9. Screening der Allgemeinbevölkerung auf Hypothyreose Organisation Screening-Empfehlungen American Thyroid Association Frauen und Männer über 35 Jahre sollten alle 5 Jahre gescreent werden American Association of Clinical Endocrinologists Ältere Patienten, vor allem Frauen, sollten gescreent werden American Academy of Family Physicians Patienten sollten ab einem Alter von 60 Jahren gescreent werden American College of Physicians Frauen mit einem Zufallsbefund, der auf eine symptomatische Schilddrüsenerkrankung hindeutet, sollten ab einem Alter von 50 Jahren untersucht werden U.S. Preventive Services Task Force Unzureichende Evidenz für oder gegen ein Screening Royal College of Physicians of London Ein Screening gesunder Erwachsener ist nicht gerechtfertigt Tab. 5: Unterschiedliche Empfehlungen für ein Screening auf Schilddrüsendysfunktion, adaptiert nach [5] 8 Hinsichtlich eines Screenings der Allgemeinbevölkerung auf Hypothyreose besteht kein einheitlicher Konsens und es besteht eine große Bandbreite der Empfehlungen. So empfiehlt beispielsweise die ATA ein Screening auf Schilddrüsendysfunktion mittels TSH-Messung im Serum bei allen Erwachsenen ab dem 35. Lebensjahr und danach alle fünf Jahre [24]. Andere Organisationen empfehlen überhaupt kein Routine-Screening, s. Tab. 5. Dementsprechend kann die Datenlage als nicht eindeutig interpretiert werden. Ein TSH-Screening kann anderseits bei Patienten mit einer hohen Prätestwahrscheinlichkeit für eine Schilddrüsenerkrankung, wie Patienten mit Typ-1-Diabetes oder anderen organspezifischen Autoimmunerkrankungen, oder unerfülltem Kinderwunsch sinnvoll erscheinen. CONTINUING MEDICAL EDUCATION Hypothyreose – Diagnose und Therapie mit L-Thyroxin unter besonderer Berücksichtigung von TSH 10. Bei welchem TSH-Wert sollte eine Hypothyreose behandelt werden? Internationale Fachgesellschaften sind sich einig, dass Patienten mit einer primären Hypothyreose ab einem TSH-Wert > 10 mIU/l behandelt werden sollten [5, 25]. Patienten mit solchen TSH-Spiegeln weisen ein erhöhtes Herzinsuffizienzund kardiovaskuläres Mortalitätsrisiko auf und sollten infolgedessen gemäß den AACE/ATA-Guidelines mit L-Thyroxin behandelt werden [5]. Umstritten ist hingegen, welche Patienten mit einem TSH-Spiegel zwischen 4,5 mIU/l und 10 mIU/l profitieren und zu TSH-Spiegeln von 2,5–4,5 mIU/l gibt es so gut wie keine klinischen Outcome-Daten [5]. Einer retrospektiven Kohortenuntersuchung von Taylor et al. zufolge ist der TSH-Wert zu Therapiebeginn mit L-Thyroxin jedoch in den vergangenen Jahren gesunken (UK-Datenbank) [26]. Anlass für diese Untersuchung war die Beobachtung, dass die Schilddrüsenhormon-Verschreibungen in den USA und UK in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen haben. Es zeigte sich, dass der mediane TSH-Spiegel zu Beginn einer Levothyroxin-Therapie zwischen 2001 und 2009 von 8,7 auf 7,9 mIU/l fiel, s. Abb. 7. Zudem konnten die Autoren ein erhebliches Risiko supprimierter TSH-Spiegel nach Therapie feststellen. Infolgedessen bleibt der Nutzen dieser „Schwellenverschiebung“ weiter diskussionswürdig. euthyreot Mediane TSH-Spiegel – 25 8,4 – – 20 8,2 – – 15 8,0 – 7,8 – 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Jahr Angepasste Häufigkeit der Erstverschreibungen Medianer TSH-Spiegel Abb. 7: Mediane TSH-Spiegel zum Zeitpunkt der Erstverschreibung („index prescription“) von Levothyroxin und Häufigkeit der Erstverschreibungen pro Jahr, adaptiert nach [26] 9 – 10 Häufigkeit der Erstverschreibungen pro 10.000 Patientenjahre Medianer TSH-Spiegel (mIU/l) 8,6 – In diesem Zusammenhang wurde in einem Review vom selben Autor und seinen Mitarbeitern untersucht, welche klinischen Auswirkungen unterschiedliche TSH-Spiegel innerhalb des Referenzbereiches haben [27]. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass höhere TSH-Spiegel mit mehr CV-Risikofaktoren und -Ereignissen sowie schlechteren metabolischen und Schwangerschaftsparametern assoziiert sind, niedrigere TSH-Spiegel dagegen mit geringerer Knochenmineralisierungsdichte und erhöhtem Frakturrisiko. Extrapolierte Daten legen nahe, dass schon eine Behandlung leicht erhöhterTSH-Werte einen Nutzen bringen könnte [27]. CONTINUING MEDICAL EDUCATION Hypothyreose – Diagnose und Therapie mit L-Thyroxin unter besonderer Berücksichtigung von TSH 11. Behandlung der Hypothyreose mit L-Thyroxin – Grundlagen Schon seit den 70er-Jahren ist L-Thyroxin, ein T4-Präparat, das außerhalb der Schilddrüse in stoffwechselaktives T3 umgewandelt wird, zur Hypothyreose-Therapie im Einsatz und bildet seitdem deren Hauptsäule. Die Monotherapie ist sehr einfach, weil das synthetische T4-Hormon mit etwa sieben Tagen eine lange Plasmahalbwertszeit aufweist. Innerhalb von drei Stunden sind 60–90 % einer nüchtern eingenommenen Dosis resorbiert [28]. Guidelines sehen Levothyroxin ebenfalls als Mittel der Wahl bei der Hypothyreose-Behandlung, so lautet beispielsweise die nachdrückliche („strong“) Empfehlung der ATA-Guidelines [23]: Aufgrund seiner Wirksamkeit bei der Linderung der Hypothyreosesymptome, Langzeiterfahrung bezüglich der Vorteile, seines günstigen Nebenwirkungsprofils, seiner einfachen Verabreichung, guten intestinalen Resorption, langen Halbwertszeit im Serum und niedrigen Kosten wird Levothyroxin als Mittel der Wahl zur Behandlung der Hypothyreose empfohlen. 12. Dosierung und Einnahme von L-Thyroxin Um eine Startdosis mit L-Thyroxin festzulegen, sollten laut ATA-Guidelines folgende Faktoren berücksichtigt werden [23]: • Gewicht des Patienten • Alter • Magere Körpermasse (lean body mass) •Allgemeine klinische Umstände (inkl. Herzerkrankung) • Schwangerschaftsstatus • Ursache der Hypothyreose • Grad der TSH-Erhöhung •Der klinischen Situation angemessener SerumTSH-Zielwert So erfordern hypothyreote Patienten mit minimaler endogener Schilddrüsenfunktion Levothyroxin-Dosen von 1,6–1,8 µg/kg des aktuellen Körpergewichts; manche Studien setzen für bestimmte Patientengruppen höhere Werte an. Zudem benötigen athyreote Patienten (nach Thyreoidektomie) im Allgemeinen eine höhere LT4-Dosis als Patienten mit einer Hashimoto-Thyreoiditis [23]. Es besteht noch kein Konsens darüber, zu welcher Tageszeit L-Thyroxin am besten eingenommen werden sollte. Diskutiert werden 30–60 min vor dem Frühstück oder vor dem Schlafengehen. Bolk und Mitarbeiter bevorzugen in ihrer Studie die abendliche Gabe [29]. Die ATA-Guidelines empfehlen die konsequente Einnahme von L-Thyroxin 60 Minuten vor dem Frühstück oder vor dem Schlafengehen (mindestens drei Stunden nach dem Abendessen), da dessen Resorption bei gleichzeitiger Nahrungsaufnahme beeinträchtigt sein kann [23]. Insgesamt sollte hierbei auch auf die Compliance des Patienten geachtet und die Behandlung auf die individuellen Gegebenheiten angepasst werden. Die Dosisanpassung sollte laut AACE/ATA-Guidelines anhand von Serum-TSH-Bestimmungen 4–8 Wochen nach Beginn der Therapie mit L-Tyroxin erfolgen [5]. Wenn die Erhaltungsdosis gefunden wurde, sind Follow-up-TSH-Untersuchungen nach sechs und dann nach zwölf Monaten angemessen. Dosisanpassungen können beispielsweise bei gleichzeitiger Einnahme oder zeitgleichem Absetzen von Medikamenten, die die Resorption, Plasmabindung oder den Stoffwechsel beeinflussen, erforderlich sein. 10 CONTINUING MEDICAL EDUCATION Hypothyreose – Diagnose und Therapie mit L-Thyroxin unter besonderer Berücksichtigung von TSH Beeinträchtigungen der Resorption Gallensäurebindende Substanzen (Colestyramin, Colestipol, Colesevelam) Kalziumsalze (Karbonat, Zitrat, Azetat) Ernährung Sucralfat Chrompicolinat • Grapefruitsaft* Kationenaustauschharze (Kayexalate) Kohle Orale Bisphosphonate Protonenpumpenhemmer Raloxifen* •Gleichzeitige Nahrungsaufnahme • Espresso Orlistat ** • Ballaststoffreiche Ernährung Ciprofloxacin • Sojanahrung (Kinder) • Soja H2-RezeptorAntagonisten* Multivitamine (die Eisensulfat oder Kalziumkarbonat enthalten) Malabsorptionssyndrome Eisensulfat • Jejunoilealer Bypass Die Resorption des Hormons kann aber auch durch Nahrungsmittel beeinträchtigt sein. Nach Angaben der European Thyroid Association (ETA) gilt dies zum Beispiel für Milch (aufgrund des Kalziumgehalts), Kaffee, Sojaprodukte und Papaya [28]. In den AACE/ATA-Guidelines werden Medikamente und Zustände zusammengefasst, die die L-Thyroxin-Resorption beeinflussen können [5], s. Tab. 6. • Zöliakie Phosphatbinder (Sevelamer, • (biliäre) Zirrhose Aluminiumhydroxid) • Achlorhydrie *Auswirkung ungewiss Des Weiteren können Dosisanpassungen aufgrund des Alters notwendig sein: obwohl ältere Patienten L-Thyroxin weniger effizient resorbieren, benötigen sie aufgrund ihrer verminderten mageren Körpermasse häufig täglich 20–25 %/kg weniger als jüngere Patienten [5]. **Mechanismus ungewiss Tab. 6: Medikamente und Zustände, die die L-Thyroxin-Resorption beeinflussen können, adaptiert nach [5] 13. Erreichen der Therapieziele euthyreot Serum-TSH-Werte 100 – 10,0 3,7 Prozentualer Anteil 80 – 60 – 70,5 65,8 40 – 20 – 19,5 0– Thyroxin (n=190) 30,5 Thyroxin (n=190) Abb. 8: Anteil der verminderten, normalen und erhöhten Serum-TSH-Werte entsprechend des lokalen Referenzbereichs (links) und des Referenzbereichs vom Hersteller (rechts), adaptiert nach [31] Daten der SHIP-Studie zeigen, dass ein großer Anteil der Patienten, die Schilddrüsenmedikamente einnehmen, entweder unter- oder übertherapiert sind [31]. Die TSH-Referenzwerte lagen entsprechend der lokalen Gegebenheiten als ehemaliges Jodmangelgebiet (s.o.) bei 0,27–2,15 mIU/l (Patienten < 50 Jahre) sowie bei 0,19–2,09 mIU/l (Patienten ≥ 50 Jahre). So wiesen 10 % jener Patienten, die mit Thyroxin behandelt wurden, einen erhöhten TSH-Wert auf, bei fast 20 % war dieser Wert erniedrigt, s. Abb. 9, linke Säule. Wurden die vom Hersteller angegebenen Referenzwerte zugrunde gelegt, war der Anteil der normalen TSH-Werte noch niedriger (Abb. 9, rechte Säule). Die Autoren kommen in dieser Studie zu dem Schluss, dass das TSH-Monitoring dieser Patienten verbessert werden müsste (Dosisanpassung, Compliance etc.). Internationale Studien bestätigen dieses Phänomen und zeigen ebenfalls, dass ein hoher Anteil an Patienten unter Schilddrüsenmedikation keine euthyreote Stoffwechsellage erreicht. In der Colorado Thyroid Disease Prevalence Study lagen gleichermaßen nur 60 % der Patienten unter Schilddrüsenmedikation innerhalb des normalen TSH-Bereiches [7]. 11 CONTINUING MEDICAL EDUCATION Hypothyreose – Diagnose und Therapie mit L-Thyroxin unter besonderer Berücksichtigung von TSH 14. Kombinationstherapie – ein Paradigmenwechsel? 5–10 % der mit Levothyroxin behandelten Hypothyreose-Patienten, sind trotz normaler TSH-Werte im Serum immer noch symptomatisch [32]. Die Levothyroxin-Monotherapie könnte also nicht immer in allen Geweben gleichzeitig einen euthyreoten Status erreichen. Aus diesem Grunde sprechen sich manche Endokrinologen für eine Kombinationstherapie von T4 und T3 (Trijodthyronin) aus. Wiersinga ging in einem Review von 2014 der Frage nach, ob im Rahmen der Hormonersatztherapie bei Hypothyreose ein Paradigmenwechsel stattfindet [33]. Er beschreibt, dass die Kombinationstherapie von Levothyroxin und Liothyronin an Popularität zunimmt – und dies obwohl evidenzbasierte Daten im Allgemeinen keine Überlegenheit gegenüber der Levothyroxin-Monotherapie zeigten. Wiersinga kommt zu dem Schluss, dass die in aktuellen Leitlinien gemeinhin formulierte Empfehlung, die LevothyroxinMonotherapie als Standardtherapie bei Hypothyreose anzusehen, weiterhin Gültigkeit hat. Die ETA-Guidelines sehen die L-T4/L-T3-Kombinationstherapie ebenfalls als eine experimentelle Therapieoption an [32]. Gleichermaßen sprechen sich die Autoren der ATA-Guidelines gegen eine routinemäßige Anwendung einer Kombinationstherapie von Levothyroxin und Liothyronin bei primärer Hypothyreose aus [23]. 15. Zusammenfassung Die AACE/ATA-Guidelines sehen eine Hypothyreose als subklinisch an, wenn der Serum-TSH-Wert über der Referenzgrenze und das freie Thyroxin im Normbereich liegt; bei der manifesten Form der Hypothyreose ist das fT4 gleichzeitig subnormal. Infolgedessen nimmt der Normwert des TSH für die Differenzierung von normalem Schilddrüsenstoffwechsel und latenter Hypothyreose eine Schlüsselstellung ein und nimmt demzufolge auch Einfluss auf die Therapie der Hypothyreose bzw. deren Beginn. Vorliegende Fortbildung stellt dar, dass aus diversen Populationsstudien unterschiedliche TSH-Referenzwerte resultieren. Die TSH-Normbereiche sollten aus diesem Grund nicht unkritisch aus anderen Regionen übernommen werden. Hinsichtlich des Einsatzes von L-Thyroxin als Mittel der Wahl zur Therapie der Hypothyreose herrscht Konsens. Weitere Studien wären jedoch hilfreich, die Anhaltspunkte darüber geben, ab welchem TSH-Wert mit der Therapie begonnen werden sollte. Eine routinemäßige Anwendung einer Kombinationstherapie von Levothyroxin und Liothyronin wird derzeit nicht empfohlen, sondern nur bei bestimmten Hypothyreose-Patienten zur Anwendung kommen und von Spezialisten verordnet werden. 12 CONTINUING MEDICAL EDUCATION Hypothyreose – Diagnose und Therapie mit L-Thyroxin unter besonderer Berücksichtigung von TSH 16. Literaturverzeichnis [1] Brabant G et al. Dtsch Arztebl. 2006;103:A-2110-2115. [2] Siegenthalers Differenzialdiagnose: Innere Krankheiten – vom Symptom zur Diagnose. Thieme, 19. Auflage, 2005. [3] Hörmann, Rudolf; Schilddrüsenkrankheiten: Leitfaden für Praxis und Klinik. 4. Auflage, 2005. [4] Hypothyreose, 17. Konferenz über die menschliche Schilddrüse, Heidelberg. Hrsg. R. Hehrmann, O. 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