Endocytose ist ein wichtiger Mechanismus bei der Wegfindung von

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Rüdiger Klein | Endocytose ist ein wichtiger Mechanismus bei der Wegfindung ...
Tätigkeitsbericht 2004
Entwicklungs- und Evolutionsbiologie/Genetik, Neurobiologie
Endocytose ist ein wichtiger Mechanismus bei der Wegfindung von
Zellen während der Entwicklung des Nervensystems
Rüdiger Klein
Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Nervenzellen entwickeln während ihres Wachstums einen langen Fortsatz (Axon) sowie mehrere kurze
fein verzweigte Fortsätze (Dendriten). Das Axon selbst wiederum bildet einen Wachstumskegel mit
fußartigen und fühlerartigen Ausläufern (Lamellipodien und Filopodien) aus, mit deren Hilfe sich die
Nervenzelle ihren Weg durch das Gewebe bahnt bzw. mit anderen Nervenzellen zu einem Nervensystem
verbindet. Andere Zellen, mit denen die wandernde Zelle in Berührung kommt, weisen ihr dabei den
Weg, indem sie kurz an die Nervenzelle binden und diese dann wieder abstoßen. Dadurch fällt der
Wachstumskegel des Axons in sich zusammen, die Lamellipodien und Filopodien ziehen sich zurück
und nach einer Regenerierungsphase sucht sich das Axon einen neuen Weg (vgl. Video).
Abstract
During development of the nervous system each neuron is generating a long process called axon and
several short, widely ramified structures called dendrites. Each of those axons is developing a growth
cone from which foot- and tentacle-like extensions are protruding (lamellipodia and filopodia). The
neurons are thus able to channel through tissue or contact other nerve cells to build a complete nervous
system. Other cells that are contacted by a migrating neuron are leading the way, such that they first
bind to the respective neuron and reject it shortly after. Thereupon the axon's growth cone collapses and
lamellipodia and filopodia are retracting. After a phase of regeneration the axon is seeking a new path
(compare video).
Wissenschaftler der Abteilung Molekulare Neurobiologie untersuchen, mit welchen Mechanismen
Nervenzellen untereinander Kontakt aufnehmen. Im Zentrum ihrer Forschung stehen dabei zwei spezielle
Protein-Gruppen, die Ephrin-Liganden und die Eph-Rezeptoren, die wie ein Schlüssel zu seinem Schloss
ineinander passen. Über eine Verankerung in der Zellmembran sitzen diese Proteine fest auf der
Oberfläche der Zellen, die sich begegnen. Jeweils ein Ephrin-Ligand der "wegsuchenden" Zelle kann
mit einem Eph-Rezeptor einer "wegweisenden" Zelle binden oder umgekehrt. Sie bilden einen so
genannten Ephrin/Eph-Komplex, eine feste Verbindung, über die das Rezeptorprotein - wie eine Antenne
- ein Signal in das Innere der Zelle weitergibt, auf der es sitzt. Dadurch werden zelluläre Prozesse
ausgelöst, die schließlich zur Abstoßung der beiden Zellen voneinander führen. Die endgültige Trennung
der Zellen wird dann durch das Auflösen des Ephrin/Eph-Komplexes ausgelöst. Ephrine und EphRezeptoren gehören zu den Rezeptor-Tyrosinkinasen, die durch Phosphorylierung aktiviert werden. Sie
kommen in zwei Unterklassen EphA und EphB bzw. ephrinA und ephrinB vor. Sie spielen wichtige
Rollen bei der Organbildung während der Embryogenese, bei der Entwicklung des Nervensystems und
der Blutgefäβe, aber auch bei pathologischen Vorgängen wie Tumorwachstum.
© 2004 Max-Planck-Gesellschaft
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Unter Endozytose versteht man im weitesten Sinne die Aufnahme von extrazellulärem Material durch
Zellen. Allerdings werden unterschiedliche Formen der Endozytose je nach molekularem Mechanismus
unterschieden. Die Studien zur Ephrin/Eph-Endozytose wurden an Zellen in Kultur und aus Gewebe
studiert, die EphB2 Rezeptoren bzw. ephrinB1-Liganden exprimierten. Dabei brachte man Nervenzellen
mit Tumorzellen (so genannte HeLa-Zellen) zusammen und konnte so die Kontaktaufnahme bzw die
darauffolgende Abstoßungsreaktion studieren. Mithilfe von Konstrukten aus Antikörpern und EphB2Rezeptoren konnte nachgewiesen werden, dass Endozytose nur unter Anwesenheit von Ephrin-Liganden
geschieht. Endozytose wurde dabei nicht nur bei primären Zellkulturen von Nervenzellen beobachtet
sondern auch bei intakten embryonalen Nervenzellen aus Mäusen.
Die wichtigste Beobachtung war, dass die Aufnahme des Ephrin/Eph-Komplexes in die Zelle durch
Endocytose erst die Voraussetzung für die Abstoßung der Zellen bildete. Normalerweise kennt man
Endocytose als einen Vorgang, mit dem Zellen gelöste Proteine, Partikel aus ihrer Umgebung in
Membranen einschließen und in sich aufnehmen. Dass Proteine, die in einer Zellmembran verankert sind,
durch die Komplexbildung mit anderen Proteinen aus der Membran gelöst und dann durch Endocytose
in beide Nachbarzellen einverleibt werden können, ist völlig neu.
Bei Experimenten, die mit Zellkulturen von Nerven-, Bindegewebs- und Krebszellen (HeLa-Zellen)
durchgeführt wurden, konnten gezeigt werden, dass die Endocytose in beide Richtungen erfolgen kann
und sowohl in den "wegsuchenden" also auch in den "wegweisenden" Zellen Signalketten im Innern
auslöst. Dabei sorgt die vorwärts gerichtete Endocytose (in die Zelle, die den Rezeptor bildet) bei
Kontakten zwischen Nervenzellen für die Ablösung des Axons von der wegweisenden Zelle und den
Rückzug der Lamellipodien. Die rückwärts gerichtete Endocytose (in die Zelle, die den Liganden bildet)
dagegen bewirkt, dass der Wachstumskegel des Axons selbst in sich zusammenfällt (Kollaps). Welche
der beiden Endocytose-Arten überwiegt, hängt zum einen vom Zelltyp zum anderen aber zuch von
verschiedenen Bedingungen der Umgebung ab, jedoch sind für eine effiziente Abstoßung offensichtlich
beide Arten der Endocytose wichtig. Verhindert man die Endozytose in der "wegweisenden" Zelle, hat
die "wegsuchende" Zelle Schwierigkeiten, sich von der "wegweisenden" Zelle loszumachen, d.h. der
axonale Fortsatz bleibt länger in Kontakt. Dies könnte zu Defekten in der Netzwerkbildung des Gehirns
führen.
Unter dem Mikroskop wurden mit Zeitraffer-Videoaufnahmen die Kontaktaufnahmen von Zellen in
Zellkultur beobachtet und ausgewertet. Dabei wurde ein Mikroskop eingesetzt, das so ausgerüstet war,
dass Zellkulturen wie in einem Inkubator bei 37° C, 65%iger Luftfeuchtigkeit und in 5%
CO2-Atmosphäre weiterleben können. Die Ephrin-Liganden und Eph-Rezeptoren wurden mit
fluoreszierenden Proteinen markiert, wodurch die Endocytose direkt verfolgt werden konnte.
Gleichzeitig filmten wir die Kontaktaufnahme der Zellen im Phasenkontrastlicht. Auf diese Weise
konnten wir parallel sowohl die ganzen Zellen als auch das Schicksal ihrer Ephrin/Eph-Rezeptoren genau
verfolgen. Die Abbildung 1 zeigt eine Nervenzelle, die mit einer HeLa-Zelle in Kontakt kommt, deren
Fortsatz zunächst weit gestreckt wird und dann zusammenbricht. Im Film ist der Kontakt zwischen HeLaZellen zu sehen und im fluoreszierenden Bild die Aufnahme des Ephrin/Eph-Komplexes.
Die neue Erkenntnis, dass Endocytose eine wichtige Voraussetzung für die Signalketten bei Wachstum
und Entwicklung von Nervensystemen ist, wirft ein völlig neues Bild auf die Rolle von Ephrin-EphKomplexen bei der Plastizität im sich entwickelnden Gehirn. Erst kürzlich konnten wir in
Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus der Abteilung Zelluläre und Systemneurobiologie (s. zweiter
Forschungsschwerpunkt) nachweisen, dass Ephrin-Eph-Komplexe bei der Neubildung von Synapsen
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essentiell sind. Dabei könnte die jetzt entdeckte Endozytose des Komplexes ein wichtiger
Steuerungsmechanismus sein.
Abb. 1 : Eine Nervenzelle (unten) stößt auf eine (HeLa-)Krebszelle (oben) mit fluoreszierenden EphB-Rezeptoren.
In Abbildung A handelt es sich um einen normalen EphB-Rezeptor, in Abbildung B ist der EphB-Rezeptor genetisch
verändert, sodass er keine Endocytose mehr vermitteln kann und der Zellkontakt dadurch länger anhält. Dadurch
wird der Fortsatz viel länger gestreckt, bis die abgestoβene Nervenzelle den Zellkontakt auflöst.
Bild : Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried
Referenzen und weiterführende Links
[ Video ] http://www.neuro.mpg.de/images/movies/movie.mov
In der oberen Bildschirmhälfte sind Phasenkontrastaufnahmen des Axons einer kultivierten neuronalen
Zelle aus dem Kortex embryonaler Mäuse zu sehen. Der Wachstumskegel des Axons steht kurz vor dem
Kontakt mit einer HeLa-Zelle (oben rechts). Deutlich zu sehen sind die Filopodien und Lamellipodien
des Axons. Die HeLa-Zelle besitzt einen fluoreszenzmarkierten Rezeptor. Dieser ist in der unteren
Bildschirmhälfte zu sehen. Sobald der Wachstumskegel in Kontakt mit den Fortsätzen der HeLa-Zelle
tritt, bilden sich Komplexe, die der EphB2-Rezeptor mit EphrinB-Liganden der neuronalen Zelle bildet.
EphrinB-Liganden induzieren Signaltransduktionskaskaden, die dazu führen, dass der Wachstumskegel
kollabiert und der gesamte Axon sich zurückzieht. Dabei werden die Fortsätze der HeLa-Zelle
herausgezogen. Sie bleiben förmlich am kollabierenden Wachstumskegel solange kleben, bis der Kontakt
mittels Endocytose aufgehoben werden kann. Dies ist deutlich daran zu sehen, wie kontinuierlich
fluoreszierende Komplexe vom Wachstumskegel aufgenommen werden. Am Ende des Films sieht man,
wie sich der Wachstumskegel neu formiert.
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