SWR2 ZEITWORT 05.01.2013, 6.45 Uhr 05.01.1902: Büchners Revolutionsdrama „Dantons Tod“ wird uraufgeführt Von Christian Berndt© Die Revolutionäre halten feurige Reden, die Massen jubeln und singen die Marseillaise. Die Uraufführung von Georg Büchners Drama „Dantons Tod“ am 5. Januar 1902 im Berliner Belle-Alliance-Theater geht wuchtig über die Bühne. Das Publikum ist von der Inszenierung der Neuen Freien Volksbühne – einem Theater der Arbeiterbewegung – begeistert. Die Presse, wie die „Vossische Zeitung“, dagegen weniger: Sprecher „Georg Büchner wird seine Stellung in der Literatur behaupten, an eine dramatische Wiederauferstehung von „Dantons Tod“ aber glaube ich nicht. Selbst für den Fall, dass eine bessere Aufführung als die gestrige, überwiegend dilettantenhafte, geboten werden sollte.“ In diesem Urteil über die Bühnenuntauglichkeit des Dramas sind sich die Kritiker weitgehend einig mit den Zeitgenossen Büchners. Als 1835 der gerade 21jährige Medizinstudent sein erstes Drama, „Dantons Tod“ in aller Eile fertig stellt, steht er kurz vor der Flucht. Büchner wird wegen seiner revolutionären Flugschrift, „Der Hessische Landbote“, steckbrieflich gesucht. In „Dantons Tod“ setzt er sich mit der Französischen Revolution auseinander, die in seiner Zeit - der politischen Aufbruchsstimmung des Vormärz - wieder hochaktuell geworden ist. Hauptfigur ist Georges Danton – ein begnadeter Agitator, der zunächst treibende Kraft der Revolution und ihrer Radikalisierung ist, dann aber für Mäßigung eintritt. Damit gerät er in Konflikt mit Revolutionsführer Robespierre - hier in einer Verfilmung von 1963: Filmausschnitt : „Wer mir in den Arm fällt, wenn ich das Schwert ziehe, ist mein Feind. - Wo die Notwehr aufhört, fängt der Mord an. Ich sehe keinen Grund, der uns länger zum Töten zwänge. - Die soziale Revolution ist noch nicht zu Ende. Wer eine Revolution zur Hälfte beendet, gräbt sich selbst sein Grab.“ Büchner hat die historischen Quellen zur Französischen Revolution studiert und viele Originalzitate eingebaut. „Dantons Tod“ soll kein klassisches Erbauungsdrama sein, sondern präzise die historische Situation beschreiben. Trotzdem wird es kein Dokumentarstück, denn mit virtuoser Sprachgewalt lässt Büchner die Figuren nicht nur sehr lebendig werden, sondern auch in damals unerhörter Weise derbe Alltagssprache einfließen. Ein Kritiker schreibt damals: Sprecher „Diese Sprache, zuweilen spröde und dunkel, sonst lakonisch schlagfertig, kurz, verliert sich nicht selten ins Gemeine und ‚stinkt’ dann, um mit einem Lieblingswort des Verfassers zu reden. Büchners Produkt gewährt keinen Kunstgenuss, höchstens den Genuss des Schwindels.“ Büchners Drama irritiert, auch wenn einige Kritiker schon damals von einem Meisterwerk sprechen. Als Büchner mit 23 Jahren stirbt, ist er bald nur noch ein Geheimtipp. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wird er von den Naturalisten wiederentdeckt, die sich in seiner realistischen Kunst wiedererkennen. Etwa in der Art, mit der er in „Dantons Tod“ die Szenen unverbunden aneinanderreiht, statt sie dramatisch zu steigern. So entsteht statt klassischem Drama ein atmosphärisch dichtes Revolutionsbild. Bei der Uraufführung wird diese ruppige Montageform belächelt - heute gilt sie als modern. Irritierend wirkt auch, dass Danton nicht als positiver Held, sondern genusssüchtiger Zweifler dargestellt ist. Büchner enthält sich eines eindeutigen Urteils über die Revolution, vielmehr stellt er politische Ideologien kritisch nebeneinander. Nach der Uraufführung 1902 folgen größere Bühnen - bis 1916 Max Reinhardt mit seiner bahnbrechenden Berliner Inszenierung den Weltruhm des Stücks begründet.