Astroglia Vorlesung in der Reihe „Molekulare und zelluläre Neurobiologie“ von Dr. rer. nat. Bernhard Reuss Institut für Anatomie u. Zellbiologie III - Neuroanatomie (IZN) Universität Heidelberg INF 307, 69120 Heidelberg Astrocyten => Gliazellen (Makroglia) Vorkommen ausschließlich im ZNS Identifizierungsmarker: GFAP, S100, GS Wichtige Funktonen: 1.) Nährstofftransport zu den Neuronen 2.) Nährstoffspeicherung (Glycogen) 3.) Nährstoffkonversion (Glucose => Lactat) 4.) Abtransport neuronaler Stoffwechselprodukte (CO2) 5.) Abtransport überschüssiger Ionen (K+, Ca++) 6.) Aufnahme und Degradation von Neurotransmittern aus dem synaptischen Spalt (Glutamat, Dopamin) 7.) Schutz bei Infektionen (Antigenpräsentation) 8.) Schutz bei Verletzungen (Reaktive Astrogliose) Verschiedene Subtypen: Protoplasmatische Astrocyten => graue Substanz Fibrilläre Astrocyten => weiße Substanz Laminäre Astrocyten => Kleinhirnrinde (Glomeruli) Lamina gliae limitans superficialis => Grenzschicht zur Pia Lamina gliae limitans perivascularis => Grenze zu den Gefäßen Ependymzellen => Auskleidung der Ventrikel Radiärglia => Auftreten vorallem während der Entwicklung, beim Erwachsenen im Kleinhirn (Bergmann Glia) und der Retina (Müller Gliazellen) Protoplasmatische Astrocyten Fibrilläre Astrocyten Laminäre Astrocten Ependymzellen Lamina limitans gliae superficialis Radiäre Gliazellen Die Fortsätze radiärer Gliazellen dienen als Führungsschiene für die Wanderung neuronaler Vorläuferzellen während der Entwicklung GFAP: ein wichtiger biochemischer Marker für Astrocyten Striatale Kultur Mesencephale Kultur Gliazelldifferenzierung (Anhand von in vitro Befunden): Multipotente Neuroepitheliale Vorläuferzellen des Neuralrohrs (Nestin+) Shh, Vitronectin,PDGF, FGFs Neuronale Stammzellen Gliastammzellen (A2B5+, Nestin+, FGFR+, PLP+, DM-20) O2A-Vorläuferzellen (A2B5+, Ran-2-, GFAP-) LIF, BMPs, CNTF, EGF Astrocytenstammzellen Typ-1 Astrocyten (Ran-2+, A2B5-, GFAP+) Unreife Oligodendrocyten (O4+, GalC+, MBP-) PDGF, GRO-alpha,Neuregulin, T3, RA, cAMP Oligodendrocyten (O4+, GalC+, MBP+) Typ-2 Astrocyten (Ran-2-, A2B5+, GFAP+) Gliazelldifferenzierung (in vivo): Gliogenese später als Neurogenese Bei der Maus Neurogenese zwischen E10 und E16 Entstehung der Astrocyten ab E16 kommt erst postnatal zum Abschluß Bildung der Oligodendrocyten findet ausschließlich postnatal statt und kommt erst spät zum Abschluß Astrogliäre Expression von Wachstumsfaktoren Starke Zunahme im Verlauf von Läsionen => Reparaturprozesse z.B.: FGF-1, FGF-2 EGF, IGF BDNF, NGF TGF-beta1, -2 Ebenso werden verschiedene Cytokine aktiviert wie z.B. IFN alpha, beta und gamma IL-1, IL-6, IL-8 TNF-alpha, TNF-beta Regulation astrogliärer Wachstumsfaktoren durch physiologische Faktoren: Neurotransmitter: Glutamat, Dopamin Hormone: Thyroxin, Ostrogen, Progesteron Rezeptoren für FGFs, EGF-R, TrkA Überexpression von EGF-R => Tumorentstehung Das neurotrophe Faktorkonzept Dopamin induziert die astrogliäre Expression von FGF-2 Die DA-abhängige Freisetzung von FGF-2 fördert das Überleben DAerger Mittelhirnneurone Astrocyten exprimieren verschiedene FGF-Rezeptoren Astrogliäre Neurotransmitterrezeptoren Glutamat-Rezeptoren AMPA/Kainat: GluR4 sowie vereinzelt GluR1 Metabotrop: mGluR5 NMDA: nur in vivo (Bergmann Glia und Hippocampus GABA-Rezeptoren Hippocampus, Rückenmark und Retina (Protoplasmatische Astrocyten) Sehnerv, Bergmann Glia und Pituizyten (Fibrilläre Astrocyten) Bewirken in Astrocyten durch Cl-Ausstromeine Depolarisierung mit „Calciumaktionspotential“ Purinerge Rezeptoren Adenosin und ATP-Rezeptoren => Extrazelluläre Ausbreitung von Calciumwellen Aminerge Rezeptoren Beta-adrenerge Rezeptoren vom Beta-2 Subtyp Induktion in den Astrocyten der Dominanzsäulen nach Deprivation eines Auges Alpha1-adrenerge Rezeptoren Serotonin- und Histamin-Rezeptoren 5-HT1A-, sowie H1-Rezeptoren Dopamin-Rezeptoren D1DR und D2DR Astrogliäre Neurotransmitterrezeptoren Acetylcholin-Rezeptoren M3-muskarinerge Rezeptoren auf Astrocyten von Cortex, Hippocampus und Corpus Callosum => M. Alzheimer Rezeptoren für Neuropeptide Somatostatin Substanz P => Schmerzwahrnehmung (Wird nach Läsionen Aktiviert) Atriales Natriuretisches Peptid Opioidrezeptoren (Kappa) NO => lösliche Guanylatcyklase Arachidonsäure und Eicosanoide Auch Eicosanoide und Arachidonsäure beeinflußen Astrocyten Dopamin-abhängige Calciumantworten Olanzapin (Zyprexal) inhibiert die DA-abhängige Calciumantwort Wechselwirkung von Astrocyten und Neuronen I Nährstoffversorgung: Transport von Glucose aus dem Blutserum über die Endothelzellen zu den astrogliären Endfüßen Aufnahme von Glucose in die Astrocyten (GluT-1) Umwandlung von Glucose in Lactat (Glycolyse) Abgabe von Lactat an Neuronen die Lactat als Energiesubstrat für den Citratcyklus und die mitochondriale Atmung verwenden Abtransport neuronaler Metabolite: Transport von CO2 von den Neuronen zu den Blutkapillaren Synaptogenese: Isolierte Neuronen => kaum Synapsenbildung Neuronen in Co-Kultur mit Astrocyten => Zahl und Funktionalität der Synapsen stark erhöht Wechselwirkung von Astrocyten mit Neuronen II Abtransport von Glutamat aus dem synaptischen Spalt Astrogliäre Glutamat-Transporter: GLAST und GLT-1 Umwandlung und Inaktivierung des Glutamats durch GlutaminSynthetase => Glutamin Glutamin wird an Neurone abgegeben, wo erneut Glutamat gebildet wird Astrocyten sind Zulieferer des Kohlenstoffgrundgerüsts für die neuronale Glutamat-Synthese Freisetzung von Neurotransmittern Astrocyten setzen nach Stimulierung mit Bradykinin Glutamat frei, was zu einer langsamen Depolarisation benachbarter Neurone führt dieser Vorgang wird durch eine intrazelluläre Calciumantwort vermittelt Kann durch NMDA-Antagonisten blockiert werden Adrenalin bewirkt Abgabe des NMDA-Antagonisten Homocystein Wechselwirkung von Astrocyten mit Neuronen III Entfernung von Kalium aus dem extrazellulären Raum Durch die neuronale Aktivität (Aktionspotentiale) gelangt ständig K+ in den extrazellulären Raum Steigt die K+ Konzentration zu stark an führt dies zu einer Dauerdepolarisation (Tetanus) Um dies zu verhindern muß ständig K+ aus dem extrazellulären Raum entfernt werden Diese Aufgabe wird von den K+-Transportern der Astrocyten wahrgenommen Sie pumpen das K+ aus dem extrazellulären Raum ab und transportieren es über ihre Gap Junctions an Orte mit niedrigerer K+Konzentration (Spatial Buffering) Wechselwirkung von Astrocyten mit Neuronen IV Aktivierung astrogliärer Glycogenspeicher Inaktivierung von Monoaminen Wechselwirkung der Astrocyten untereinander Gap Junctions: Interzelluläre Kanäle Permeabilität für Substanzen bis zu 1 kDa Metabolite (Glucose, Aminosäuren, Nucleotide) Ionen (K+, Na+) Sekundäre Botenstoffe (Ca++, cAMP, IP3) Peptide, Proteine und Nucleinsäuren können nicht passieren Bausteine => Connexine Transmembranproteine (4xTMD, 2xEL, 1xIL, C- und N-Terminus) 16 Subtypen identifiziert Nomenklatur richtet sich nach Molekulargewicht (Cx43 = 43 kDa) Unterschiedliche Permebilität, Ionenselektivität und Spannungsabhängigkeit In Astrocyten vorwiegend Cx43 aber auch Cx30 und Cx26 möglich Funktion der astrogliären Gap Junctions: Spatial buffering: Aufnahme von K+ durch Astrocyten und Abtransport über Gap Junctions des funktionellen Syncytiums Gleiches gilt umgekehrt auch für Glucose (Transport zum Verbrauchsort) „Spreading Depression“: Nach Hirnschädigung Entstehung von Sekundärläsionen durch Gap-Junction-vermittelte Signalweiterleitung aus geschädigten Zellen in gesundes Gewebe Übermittlung von Calciumwellen Gap Junctions Nachweis der Gap Junction Kopplung durch Lucifer Yellow Astrogliäre Calciumwellen Ausbreitung eines astrogliären Calciumsignals nach mechanischer Stimulierung Ausbreitung DA-abhängiger Calciumwellen: Abhängigkeit von der Gap Junction Kopplung Auslösung astrogliärer Calciumsignale durch Glutamat Wechselwirkung von Astrocyten mit Oligodendrocyten Regulation der Myelinisierung: Während der Myelinisierung sind unreife Oligodendrocyten über Gap Junctions mit Astrocyten gekoppelt Zudem stellen Astrocyten trophische Faktoren für die Myelinisierung bereit Während der Myelinisierung findet starke Zunahme der GFAPExpression statt Bei genetischem Defekt von GFAP => Störung der Myelinisierung Wechselwirkung von Astrocyten mit Endothelzellen Induktion der Blut-Hirn-Schranke: BHS Schränkt die Diffusion von Blutbestandteilen zu den Zellen des Gehirns ein (kein Farbstoffübertritt aus den Kapillaren in das Hirnparenchym) Astrocyten stehen mit ihren perivaskulären Fortsätzen (Lamina gliae limitans perivaskularis) in direktem Kontakt mit der Basalmembran der Endothelzellen Die Diffusionsbarriere wird jedoch nicht von Astrocyten sondern von Tight-Junctions zwischen den Endothelzellen gebildet Astrocyten spielen eine Rolle für die Induktion der Tight Junctions zwischen den Kapillarendothelzellen Diese Induktion hängt einerseits von humoralen Faktoren aber auch von Matrixproteinen der Astrocyten ab Die Lamina gliae limitans perivascularis Die Lamina gliae limitans perivascularis (EM) Die Rolle der Astrocyten in der Regulation des cerebralen Blutflußes Wechselwirkung von Astrocyten mit Mikrogliazellen Auslösung einer Immunantwort: ZNS = immunprivilegierter Raum Niedrige Präsenz von MHC-Antigenen Läsionen/Infektionen => Zusammenbruch der Blut Hirn Schranke Astrocyten => Antigenpräsentierende Zellen (MHC-I und II) Für Auslösung einer Immunantwort im Gehirn ist Kommunikation zwischen Astrocyten und Mikrogliazellen über Cytokine wichtig Kommunikation von Glia und Immunzellen bei einer Hirninfektion Verhalten von Astrocyten bei Schädigung des ZNS Reaktive Astrogliose I: Rasche Veränderung von Morphologie und Stoffwechsel der Astrocyten nach Schädigung des ZNS (mechanisch, ischämisch, toxisch oder durch infektiöse Agentien) Vermehrung der Astrocyten mit gleichzeitiger Zunahme der Intensität der GFAP-Expression Zahlreiche andere Veränderungen: Zelladhäsionsmoleküle (N-CAM, ICAM-1, Laminin, Tenascin-C etc.) Antigenpräsentation (MHC-I, MHC-II) Cytokine (G-CSF, GM-CSF, IFNs, IL-1, IL-6 Wachstumsfaktoren (FGFs, Neurotrophine, IGF-1, TGF-β TNF-α) Cytoskelettproteine (MAP-2, Vimentin, GFAP) Early Response Proteine (c-fos, hsp68, krox-24 Verhalten von Astrocyten bei Schädigung des ZNS Reaktive Astrogliose II: Lipide (Leukotriene, Prostaglandine, Thromboxane) Enzyme (Glutamin-Synthetase, Glutathion-S-Transferase, MAO PKC, div. Proteasen, div. Protease-Inhibitoren) Rezeptoren (EGF-Rezeptor, TNF-α-Rezeptor) Transporter (Transferrin, Apolipoprotein E) Funktion der reaktiven Astrogliose teilweise unklar => Induktion einer Immunantwort => Schutz von Neuronen durch neurotrophe Faktoren => Kontrolle des Eintretens von Blutzellen über die BHS => Inaktivierung neurotoxischer Substanzen (Glutamat etc) z.T. negative Auswirkungen wie Inhibition des Axonwachstums Die Rolle von Astrocyten bei Erkrankungen I Tumore: Entstehung durch fortschreitende Mutation des Genoms => Wegfall der Proliferationskontrolle Bei spontan auftretenden Gliomen Mutation des EGF-Rezeptors häufig Bei langsam auftretenden Astrogliomen Ausfall des p53-Gens Weitere Störungen sind: Inaktivierung von Rb (Retinoblastoma), Überexpression von PDGF, TGF-a, TGF-b, sowie von c-erb B-1, c-myc, ras, c-fos und ros Gliome weisen häufig auch eine gestörte Gap Junction Kopplung auf Transfektion von Cx43 führt zu einem verringerten Tumorwachstum Rolle von Astrocyten bei Erkrankungen II Epilepsien: Bei bestimmten Formen von Epilepsien treten vermehrt astrogliäre Calciumwellen auf. Sie gehen häufig von astrogliären Narben nach Mikroläsionen des Gehirns aus. Auch Tumore können die Ursache für spontan auftretende Calciumentladungen sein Hirnödem: Bei Zusammenbruch der Blut Hirn Schranke (Infektionen, Tumore, mech. Läsionen, Operationen) entsteht häufig durch Diffusion von Wasser ins Hirnparenchym ein sog. Ödem Astrocyten spielen für den Abtransport des Gewebewassers aus dem Hirnparenchym zu den Blutgefäßen eine wichtige Rolle. Sie sind daher für das Verschwinden von Ödemen wichtig Wichtigster Wassertransporter der Astrocyten ist Aquaporin-4 Rolle von Astrocyten bei Erkrankungen III Hepathische Enzephalopathie: Chronischen Lebererkrankungen (Leberzirrhose => HCV, EthOH) Erhöhte Konzentration von NH4+ schädigt die Astrocyten => Reaktive Astrogliose (erhöhte GFAP Expression, Aktivierung zahlreicher Faktoren und Rezeptoren) Glutamataufnahme und Energiestoffwechsel gestört MAO-B erhöht => vermehrter Abbau aminerger Transmitter Hirnischämien: Nähr und Sauerstoffmangel aufgrund von Gefäßverschlüssen Reaktive Gliose Ausbildung von Sekundärläsionen (Penumbra) Entstehung von Glianarben => Epilepsien Rolle von Astrocyten bei Erkrankungen IV M. Parkinson: Absterben dopaminerger Neurone der Substantia nigra möglicherweise Verursacht durch fehlen neurotropher Faktoren z.B. verringerte Expression von FGF-2 im Gehirn von Parkinsonpatienten Parkinsonismus auch aufgrund des Konsums verunreinigter Drogen möglich: MPTP (N-Methyl-4-Phenyl-1,2,5,6-Tetrahydropyridin) Wird in Astrocyten in MPP+ umgewandelt, das durch MonoaminTransporter in Neuronen aufgenommen wird, wo es die mitochondriale Atmung blockiert M. Alzheimer: Degeneration cholinerger Neurone des Nucleus basalis In Amyloid-β-Plaques Auftreten reaktiver Astrocyten mit Expression von S100β Rolle von Astrocyten bei Erkrankungen V Virale Infektionen und Toxoplasmose: Borna Virus: natürliches Vorkommen in Pferden und Schafen Bei perinatalen Infektionen => latenter Verlauf mit Schädigung des ZNS => Depressionen, Schizophrenie Bei latentem Verlauf Nachweis des Virus vorallem in Astrocyten Funktionelle Störung bislang unklar HIV: SIDA-Neuropathie durch latente Infektion der Astrocyten Durch Störung astrogliärer Funktionen kommt es zu Schädigung der Neuronen Toxoplasmen: Vermehrung in Astrocyten => neuropsychiatrische Störungen (auch bei SIDA)