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Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation sind weltweit 2 Milliarden Menschen mit dem Tuberkuloseerreger infiziert und 20 Millionen erkrankt. Jährlich gibt
es rund neun Millionen Neuinfektionen und ungefähr 1.6 Millionen Menschen sterben an den Folgen der Krankheit [1]. Der Tuberkuloseerreger Mycobacterium tuberculosis, welcher 1882 von dem deutschen Arzt Robert Koch entdeckt wurde, ist ein
obligat aerobes, langsam wachsendes, grampositives Stäbchen der Familie der Mycobacteriaceae. M. tuberculosis ist der häufigste Erreger von Tuberkuloseinfektionen
beim Menschen und H37Rv ist der am besten untersuchte Stamm in der Tuberkuloseforschung. Die deutliche Zunahme an Tuberkuloseerkrankungen und die steigende Anzahl an multiresistenten Stämmen macht die Suche nach neuen Antituberkulotika dringend erforderlich. Durch die Sequenzierung des mykobakteriellen Genoms
im Jahre 1998 ergaben sich völlig neue Ansatzpunkte zur Entwicklung von neuen
Medikamenten [2]. Hinsichtlich der Entwicklung neuer Antituberkulotika sind solche
Enzyme von Interesse, die im Menschen nicht vorkommen. Einige dieser potentiellen
Zielproteine gehören in die Klasse der Thiamindiphosphat (ThDP)-abhängigen Enzyme, von denen 15 im mykobakteriellen Genom identifiziert werden können (Tabelle
A.1).
Abb. 1.1: Struktur von ThDP ThDP besteht aus einer Diphosphatgruppe und zwei aromatischen Ringsystemen, einem Aminopyrimidin- und Thiazoliumring, die über eine Methylengruppe miteinander verbunden sind. Das mit einem * gekennzeichnete C2-Atom des Thiazoliumrings stellt das Reaktionszentrum des Cofaktors dar [3, 4]. Im enzymgebundenen Zustand ist
der Cofaktor in der sogenannten V-Konformation (Drehwinkel φT ≈ ± 90°, φP ≈ ± 90°) stabilisiert [5, 6, 7], in welcher die 4’-Aminogruppe des Aminopyrimidinrings und das C2-Atom des
Thiazoliumrings in räumlicher Nähe zueinander positioniert sind.
ThDP-abhängige Enzyme katalysieren in Gegenwart von zweiwertigen Metallionen die
Spaltung und Bildung von C-C-Bindungen. Ihr Cofaktor (siehe Abbildung 1.1) ist die
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biologisch aktive Form des wasserlöslichen Vitamin B1 (Thiamin). ThDP-abhängige
Enzyme gehören verschiedenen Enzymklassen an (Lyasen, Transferasen und Oxidoreduktasen) und haben eine bedeutende Rolle in zentralen Stoffwechselwegen. Im
Folgenden wird insbesondere auf die ThDP-abhängigen Carboxylyasen (EC 4.1.1.)
eingegangen, welche die nichtoxidative Decarboxylierung von α-Ketosäuren zu Aldehyden katalysieren.
Abb. 1.2: Schematische Darstellung des Katalysezyklus ThDP-abhängiger Carboxylyasen. Erklärungen siehe Text. Schema modifiziert nach [8, 9].
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Der Katalysemechanismus der ThDP-abhängigen Carboxylyasen umfasst vier Reaktionsschritte (siehe Abbildung 1.2). Der initiale Schritt im katalytischen Zyklus ist
die Aktivierung des Cofaktors. Dabei führt die Wechselwirkung eines konservierten
Glutamatrestes im aktiven Zentrum mit dem N1’-Atom des Pyrimidinrings des ThDP
zur Bildung der iminotautomeren Form des Cofaktors, welche, begünstigt durch die
V-Konformation, das Proton vom C2-H-Atom abstrahiert. Das bei der Cofaktoraktivierung gebildete reaktive C2-Carbanion des Thiazoliumrings greift nachfolgend das
Cα-Atom des Substrates (α-Ketosäure) an und es entsteht das erste kovalent gebundene tetrahedrale Reaktionsintermediat (I1 ). Im folgenden Schritt kommt es zur Decarboxylierung und zur Ausbildung des zweiten kovalenten Reaktionsintermediates,
einem resonanzstabilisierten Carbanion/Enamin-Intermediat (I2 ). Die Protonierung
des α-Carbanions führt zur Aldehydabspaltung und das verbleibende Carbanion des
Cofaktors kann im nächsten Zyklus erneut mit einem Substratmolekül reagieren.
Für weitere Informationen über die Wirkungsweise von Carboxylyasen und anderen
ThDP-abhängigen Enzymen sei auf die Übersichtsartikel von Kluger [10], Schowen
[11], Schellenberger [12] und Jordan [13] verwiesen.
Abb. 1.3: Einteilung ThDP-abhängiger Carboxylyasen nach deren verschiedenen physiologischen Bedeutungen im Stoffwechsel.
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ThDP-abhängige Enzyme, die die nichtoxidative Decarboxylierung von α-Ketosäuren zu Aldehyden katalysieren, werden in der ENZYME-Datenbank [14]
in
Pyruvatdecarboxylasen
(BFD,
EC
4.1.1.7),
vatdecarboxylasen
(PDC,
EC
4.1.1.1),
Oxalyl-CoA-Decarboxylasen
(PPDC,
EC
4.1.1.43),
Benzoylformiatdecarboxylasen
(EC
4.1.1.8),
Phenylpyru-
Indolpyruvatdecarboxylasen
(IPDC,
EC 4.1.1.71), Verzweigtketten-α-Ketosäuredecarboxylasen (BCDC, EC 4.1.1.72),
5-Guanidino-2-Oxopentanatdecarboxylasen
(EC
4.1.1.75),
Sulfopyruvatdecar-
boxylasen (EC 4.1.1.79) und Phosphonopyruvatdecarboxylasen (EC 4.1.1.82)
untergliedert. Diese Einteilung beruht auf der unterschiedlichen beobachteten
Substratspezifität dieser Enzyme, die deren verschiedene physiologische Bedeutung
im Stoffwechsel widerspiegelt (Abbildung 1.3).
Pyruvatdecarboxylasen sind Schlüsselenzyme in der alkoholischen Gärung und
katalysieren die Decarboxylierung von Pyruvat zu Acetaldehyd [15]. Der entstehende Acetaldehyd dient als Elektronenakzeptor für die in der Glykolyse oder
im Entner-Doudoroff-Weg gebildeten Reduktionsäquivalente (NADH). Dadurch
können Mikroorganismen auch unter anaeroben Bedingungen weiterhin Glucose
zur Abdeckung ihres Energiebedarfs abbauen (siehe Abbildung 1.4). Den Indolpyruvatdecarboxylasen und den Phenylpyruvatdecarboxylasen wird eine Schlüsselrolle
in der Biosynthese der Pflanzenhormone Indolessigsäure und Phenylessigsäure
zugeschrieben, welche sich von den Aminosäuren Tryptophan und Phenylalanin ableiten [16, 17] (siehe Abbildung 1.4). Die Verzweigtketten-α-Ketosäuredecarboxylasen
zeichnen sich durch die Umsetzung eines breiten Substratspektrums aus. Neben
α-Ketosäuren, die sich von den verzweigtkettigen Aminosäuren ableiten (Leucin,
Isoleucin und Valin), werden auch aromatische α-Ketosäuren decarboxyliert [18, 19].
α-Ketosäuredecarboxylasen mit breitem Substratspektrum sind Schlüsselenzyme
im Ehrlichweg (siehe Abbildung 1.4) [20, 21, 22]. Der Ehrlichweg ist eine Form
des Aminosäureabbaus und ermöglicht den Mikroorganismen unter Stickstoffmangelbedingungen ihren Stickstoffbedarf durch den Abbau von Aminosäuren,
welche im umgebenden Medium vorliegen, zu decken [23]. Der erste Schritt dieses
Stoffwechselweges ist die Transaminierung der Aminosäure zur entsprechenden
α-Ketosäure. Im nachfolgenden Schritt wird diese durch eine ThDP-abhängige
α-Ketosäuredecarboxylase zum entsprechenden Aldehyd decarboxyliert und in
Abhängigkeit vom Redoxstatus der Zelle zu den sogenannten Fuselalkoholen oder
Fuselsäuren reduziert bzw. oxidiert. In einigen thermophilen Mikroorganismen (Pyrococcus furiosus, Thermococcus litoralis) wird die nichtoxidative Decarboxylierung von
α-Ketosäuren zu Aldehyden durch Ferredoxin-abhängige Oxidoreduktasen katalysiert (IPFOR - Indolpyruvat-Ferredoxin-Oxidoreduktase, VFOR - α-Ketoisovaleriat-
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Ferredoxin-Oxidoreduktase, KGFOR - α-Ketoglutarat-Ferredoxin-Oxidoreduktase)
(Abbildung 1.4, gestrichtelte Linie) [24, 25]. Diese Reaktion findet jedoch, verglichen
mit der ebenfalls durch diese Enzyme katalysierten oxidativen Decarboxylierung von
α-Ketosäuren zu Acyl-CoA-Derivaten, in geringerem Maße statt [26].
Abb. 1.4: Schematische Darstellung der alkoholischen Gärung und des Ehrlichwegs.
(A) Die alkoholische Gärung von Pyruvat zu Ethanol wird durch Pyruvatdecarboxylasen (1)
und Alkoholdehydrogenasen (2) katalysiert. Für einige thermophile Organismen ist beschrieben, dass die Decarboxylierung von Pyruvat zu Acetaldehyd in geringem Maße auch durch
Pyruvat-Ferredoxin-Oxidoreduktasen (PFOR) katalysiert wird [27, 26]. (B) Am Aminosäureabbau über den sogenannten Ehrlichweg sind Aminotransferasen (1), ThDP-abhängige α-Ketosäuredecarboxylasen (2), Alkoholdehydrogenasen (3) und Aldehydoxidasen (4) beteiligt. Letztere oxidieren Aldehyde unter Reduktion eines Elektronenakzeptors zu den entsprechenden
Säuren. Für einige Endprodukte des Ehrlichwegs, die sich von Tryptophan und Phenylalanin
ableiten, ist bekannt, dass sie als Pflanzenhormone wirken.
Der Ehrlichweg, welcher auch häufig als Aminosäuregärung bezeichnet wird, ist am
umfangreichsten an Hefen untersucht worden [21, 22, 28]. Vulharan et al. zeigten,
dass S. cerevisiae in Anwesenheit der Aminosäuren Leucin, Methionin und Phenyl-
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alanin den Transkriptionslevel des Gens aro10, das für die ThDP-abhängige α-Ketosäuredecarboxylase Aro10 codiert, erhöhen, während die Transkriptionsniveaus der
Gene anderer ThDP-abhängiger Decarboxylasen (PDC1, PDC5, PDC6, THI3) nahezu unverändert blieben. Da sich jedoch eine schlechte Korrelation zwischen der
Transkriptmenge und der im zellfreien Extrakt gemessenen Aro10-Aktivität zeigte
[28, 21], wurde postuliert, dass die Enzymaktivität von Aro10 nicht nur primär über
die Transkriptrate und damit über die Enzymmenge, sondern zusätzlich auch durch
einen posttranskriptionellen Mechanismus reguliert wird.
Transkriptionelle und posttranskriptionelle Mechanismen zur Regulation der Enzymaktivität sind auch für die meisten Pyruvatdecarboxylasen und die Phenylpyruvatdecarboxylase aus Azospirillum brasilense (AbPPDC) beschrieben. Es konnte gezeigt
werden, dass die Transkription der Gene, welche für die PDC aus Kluyveromyces
lactis (KlPDC) und die AbPPDC codieren, durch geringe Sauerstoffkonzentrationen
und Glucose bzw. das Auxin Indolessigsäure, induziert werden [29, 30, 31, 32]. Außerdem wurde gezeigt, dass beide Enzyme allosterisch durch ihre Substrate Pyruvat
(KlPDC) [33] bzw. Indolpyruvat (AbPPDC) [34] reguliert werden. Somit können sowohl
Pyruvatdecarboxylasen, als auch ThDP-abhängige α-Ketosäuredecarboxylasen die eine Rolle im Aminosäureabbau spielen, in nichtregulierte und allosterisch regulierte
Enzyme untergliedert werden (Tabelle 1.1).
Tab. 1.1: Untergliederung von Pyruvatdecarboxylasen und am Aminsäureabbau beteiligter α-Ketosäuredecarboxylasen in nichtregulierte und substrataktivierte Enzyme.
Pyruvatdecarboxylasen
α-Ketosäuredecarboxylasen beteiligt
im Aminosäureabbau
nichtreguliert
Zymomonas mobilis (ZmPDC) [35]
nichtreguliert
Indolpyruvatdecarboxylase aus
Enterobacter cloacae (EcIPDC) [36]
α-Ketosäuredecarboxylase aus
Lactococcus lactis (KdcA) [19]
substrataktiviert
Saccharomyces cerevisae (ScPDC) [37]
Kluyveromyces lactis (KlPDC) [33]
Pisum sativum (PsPDC) [38]
substrataktiviert
Phenylpyruvatdecarboxylase aus
Azospirillum brasilense (AbPPDC) [34]
Während eine Regulation auf Transkriptionsebene eine energieaufwendige und
zeitlich gesehen eine langsame aber langanhaltende Regulationsmöglichkeit darstellt, kann durch die allosterische Regulation durch das Substrat eine schnelle
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Anpassung der Enzymaktivität auf sich ändernde Bedingungen erreicht werden.
Die kinetischen und strukturellen Ursachen der Substrataktivierung wurden in den
letzten Jahren ausführlichst an Pyruvatdecarboxylasen aus Hefen untersucht.
Die allosterische Regulation von ThDP-abhängigen Carboxylyasen durch ihre
Substrate äußert sich in einer sigmoiden Abhängigkeit der katalytischen Aktivität
von der Substratkonzentration, was erstmals 1969 für die PDC aus Weizensamen
[39] und wenig später auch für die PDC aus Hefe beschrieben wurde [40, 41, 42].
Dieses Verhalten bezeichnet man als Substrataktivierung, welches eine Form der
homotropen Kooperativität ist und in den vergangenen Jahrzehnten für weitere Pyruvatdecarboxylasen und andere ThDP-abhängige Carboxylyasen, wie die
AbPPDC [34], nachgewiesen wurde. Die umfangreichsten Untersuchungen zur
Substrataktivierung wurden an der ScPDC durchgeführt. 1970 zeigten Hübner et
al., dass α-Ketosäureamide nicht durch die ScPDC umgesetzt werden, jedoch in
der Lage sind dieses Enzym zu aktivieren, was sich im Übergang der sigmoiden
v/S-Charakteristik in eine hyperbole Abhängigkeit widerspiegelt [42]. Weitere Einblicke in den Aktivierungsmechnismus der ScPDC wurden 1978 durch den Einsatz
von stopped-flow-Techniken erlangt [37]. Es konnte erstmals gezeigt werden,
dass die Progresskurven lag-Phasen aufweisen, welche nach einer Präinkubation
mit dem Aktivator Pyruvamid nicht mehr beobachtet werden und dass die Geschwindigkeitskonstanten der Aktivierung eine hyperbole Abhängigkeit von der
Substratkonzentration zeigen [37]. Ausgehend von diesen Beobachtungen wurde
ein kinetisches Modell der Substrataktivierung der ScPDC aufgestellt. Dieses wurde
1991 von Alvarez et al. erweitert [43] und ist bis heute akzeptiert (Abbildung 1.5).
Abb. 1.5: Kinetisches Modell der substrataktivierten ScPDC nach [43]. Enzymspezies
sind mit E bezeichnet, wobei die Indizes „i“ und „a“ inaktive Enzymspezies und aktive Enzymspezies kennzeichnen. Substrate sind mit S bezeichnet und sind wenn sie links bzw. rechts
neben den Enzymspezies geschrieben sind, in der regulatorischen Bindungsstelle bzw. im aktiven Zentrum des Enzyms gebunden. Isomerisierungsschritte (k iso und k −iso ) sind im Vergleich
zu Substratbindungsschritten (K A , K M ) sehr langsam. Die Reaktionsprodukte (Aldehyd, CO2 )
sind mit P gekennzeichnet.
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Das Modell beschreibt die schnelle Bindung eines Substratmoleküls in der regulatorischen Bindungsstelle des Enzyms, was einen langsamen Isomerisierungsschritt
einer inaktiven in eine aktive Enzymform induziert. Es wurde postuliert, dass dieser
langsame Isomerisierungsschritt mit einer konformationellen Änderung des Enzyms
einhergeht [44, 45]. Ein alternatives Modell der Substrataktivierung der ScPDC von
Sergienko und Jordan schlägt die Existenz von verschiedenen aktivierten Enzymspezies vor [46, 47].
Durch H/D-Austauschexperimente konnte gezeigt werden, dass die Aktivierung der
ScPDC mit einer deutlichen Beschleunigung der initialen Cofaktoraktivierung (Ylidbildung) verbunden ist [48]. Wenngleich die kinetischen Aspekte der Aktivierung der
ScPDC aufgeklärt wurden, existieren verschiedene Vorstellungen über die strukturellen Ereignisse, die zur Aktivierung führen.
Bereits vor dem Bekanntwerden dreidimensionaler Strukturen substrataktivierter
Pyruvatdecarboxylasen konnte mit SH-Gruppen-spezifischen Modifizierungsreagenzien gezeigt werden, dass Thiolgruppen einen entscheidenden Einfluss auf die katalytischen und Aktivierungseigenschaften der ScPDC besitzen [49, 50]. Jordan und
Mitarbeiter führten basierend auf diesen Ergebnissen umfangreiche Mutationsstudien durch und postulierten einen Informationstransfer vom regulatorischen Zentrum
zum Pyrimidinring des Cofaktors, welcher über mehrere Aminosäureseitenketten des
Enzyms vermittelt wird [51, 52, 53, 54, 55, 56]. Für das 20 Å vom aktiven Zentrum entfernte Cys221 wurde eine entscheidene Rolle in der Substrataktivierung
der ScPDC beschrieben. Die kovalente Bindung eines Pyruvatmoleküls an die Thiolgruppe des Cys221-Restes (Thiohemiketalbildung) soll den Startpunkt eines Signalübertragungswegs darstellen, der über die Aminosäurereste His92, Glu91, Trp412
und Teile eines loops bis in das aktive Zentrum des Enzyms führt. Diese Wechselwirkung zwischen der regulatorischen Bindungsstelle und dem aktiven Zentrum
resultiert in der Ausbildung der iminotautomeren Form des ThDP, welche an der C2H-Abstraktion beteiligt ist.
Ein alternatives Modell von König und Mitarbeitern schlägt vor, dass das strukturelle Ereigniss der Aktivierung der ScPDC in einer globalen Änderung der Dimeranordnung liegt, was zur Stabilisierung zweier loop-Regionen über dem aktiven Zentrum
führt. Dieses Modell beruht auf der Tatsache, dass in der Röntgenkristallstruktur der
aktiverten ScPDC der artifizielle Aktivator Pyruvamid nicht kovalent an das Cys221,
sondern 10 Å von diesem entfernt, gebunden ist [57]. Ein Vergleich der Kristallstrukturen von nichtaktivierter und Pyruvamid-aktiverter ScPDC zeigt, dass die Aktivierung mit einer Verdrehung der katalytisch aktiven Dimere im Tetramer verbunden
ist und es dadurch zum Übergang eines symmetrischen in einen asymmetrischen Te-
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tramer kommt (Abbildung 1.6). Dieser Übergang resultiert in der Ausbildung neuer
Dimer-Dimer-Wechselwirkungen und führt zur Strukturierung zweier loop-Regionen
(Aminosäure 104-113 und 290-304), welche in der nichtaktivierten Form flexibel
sind. Die Strukturierung dieser loop-Regionen über dem aktiven Zentrum schirmt
dieses vom umgebenden Milieu ab (Lösungsmittelausschluss) und ermöglicht so
die Katalyse. Die globalen strukturellen Änderungen während der Aktivierung der
ScPDC wurden auch in Lösung nachgewiesen, wie die aus Röntgenkleinwinkelstreuexperimenten berechneten niedrig aufgelösten Strukturen zeigten [58].
Abb. 1.6: Vergleich der Quartärstrukturen von aktivierten und nichtaktivierten Zuständen der ScPDC und AbPPDC. Die Kristallstrukturen der nichtaktivierten ScPDC (1PVD)
und der Pyruvamid-aktivierten ScPDC (1QPB) sind links, die Kristallstrukturen der nichtaktivierten AbPPDC (2NXW) und der mit Phenylpyruvat aktivierten AbPPDC (2Q5O) rechts dargestellt. Die oberen (A) und die unteren Abbildungen (B) zeigen die um jeweils 90° um die x-Achse
gedrehte Orientierung der Kristallstrukturen. Die funktionellen Dimere im Tetramer sind verschiedenfarbig und die Cofaktoren (ThDP bzw. 3-Deaza-ThDP) als Kalottenmodell dargestellt.
Auch die kürzlich gelösten Kristallstrukturen von nichtaktivierten und aktivierten
Zuständen der AbPPDC zeigen, dass die Bindung von Substrat in der regulatorischen Bindungsstelle der AbPPDC zu globalen strukturellen Änderungen führt
[59, 60]. Vergleicht man die Strukturen der AbPPDC mit denen der ScPDC fällt auf,
dass die Aktivierung der AbPPDC mit dem Übergang eines asymmetrischen zu einem
symmetrischen Tetramer verbunden ist und somit den entgegengesetzten Übergang
während der ScPDC-Aktivierung darstellt (Abbildung 1.6). Jedoch ist auch die
Aktivierung der AbPPDC mit der Strukturierung eines loops (Aminosäuren 104-120)
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bzw. Verschiebung eines zweiten loops (Aminosäuren 280-294) über dem aktiven
Zentrum verbunden. Globale strukturelle Änderungen, welche zur Strukturierung
von loop-Regionen und zur Abschirmung des aktiven Zentrums führen, scheinen
somit ein gemeinsames Merkmal der Aktivierung beider Enzyme zu sein.
Während die soeben beschriebene Aktivierung ThDP-abhängiger Decarboxylasen
durch ihr Substrat eine homotrope Kooperativität darstellt, sind für ThDP-abhängige
Carboxylyasen auch heterotrope Mechanismen der Aktivierung bekannt. Die
Oxalyl-CoA-Decarboxylase (EC 4.1.1.8) aus Oxalobacter formigens (Ofoxc), welche
Oxalyl-CoA zu Formyl-CoA decarboxyliert, wird zum Beispiel durch ADP aktiviert
[61]. Die Oxalyl-CoA-Decarboxylasen sind beim anaeroben Abbau von Oxalat von
Bedeutung. Oxalat ist eine der am höchsten oxidierten in der Natur vorkommende
organische Verbindung und wirkt als starker Chelator für zweiwertige Metallionen.
Diese Eigenschaften limitieren dessen Katabolismus und machen Oxalat toxisch für
die meisten Tiere, vor allem Säugtiere. Erhöhte Oxalatkonzentrationen im Körper
sind verbunden mit verschiedenen Krankheiten wie zum Beispiel Nierensteine
(Calciumoxalatsteine) [62]. Da Menschen nicht in der Lage sind Oxalsäure, welche
entweder durch die Nahrung aufgenommen wurde (Rhabarber, Spinat, Mangold)
bzw. im Zellstoffwechsel entstanden ist, abzubauen, muss diese über den Urin oder
den Darm ausgeschieden bzw. durch Darmbakterien wie Oxalobacter formigens aber
auch Enterococcus faecaelis [63], Bifdobacterien [64] und Lactobacillen [65] abgebaut
werden [66, 67]. Die Fähigkeit dieser darmbewohnenden Mikroorganismen über die
Nahrung aufgenommenes Oxalat abzubauen und somit dessen Resorption zu verringern, führt dazu, dass ihnen eine gesundheitsfördernde Wirkung zugeschrieben
wird [68, 69].
Am anaeroben Abbau von Oxalat zu Kohlendioxid und Formiat ist neben der OxalylCoA-Decarboxylase (EC 4.1.1.8) auch die Formyl-CoA-Transferase (EC 2.8.3.16)
beteiligt. Am besten untersucht ist der anaerobe Oxalatmetabolismus bei dem Darmbakterium Oxalobacter formigens, welches seinen Energiebedarf ausschließlich aus
dem Oxalatabbau deckt [70] (siehe Abbildung 1.7). Ein Oxalat-Formiat-Antiporter
transportiert zweifach negativ geladenes Oxalat in und einfach negativ geladenes
Formiat aus der Zelle [71, 72, 73]. Oxalat wird durch eine Formyl-CoA-Transferase
im Austausch gegen Formiat auf Formyl-CoA übertragen [74, 75]. Oxalyl-CoA stellt
eine aktivierte Form des Oxalats dar und kann durch die ThDP-abhängige Oxalyl-
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Abb. 1.7: Oxalatmetabolismus
in O. formigens In O. formigens
ist der Eintritt von zweifach negativ geladenem Oxalat an den
Export seines Decarboxylierungsproduktes, des einfach negativ
geladenen Formiates, gebunden.
Dieser Antiport führt zur Bildung
eines negativen Membranpotentials im Zellinneren. Weiterhin
kommt es durch die intrazelluläre
Decarboxylierung von Oxalat zum
Verbrauch eines cytosolischen
Protons. Diese beiden Prozesse
führen zum Aufbau einer protonenmotorischen Kraft, welche
die Synthese von ATP ermöglicht.
Schema modifiziert nach [61].
CoA Decarboxylase zu Formyl-CoA decarboxyliert werden. Die Decarboxylierung
von Oxalyl-CoA ist mit dem Verbrauch eines Protons verbunden und führt daher
in Kombination mit dem elektrogenen Oxalat-Formiat-Antiport zum Aufbau eines
Membranpotentials, welches O. formigens zur ATP-Synthese nutzt.
Erste kinetische Untersuchungen der Oxalyl-CoA-Decarboxylase aus Oxalobacter
formigens (Ofoxc) wurden von Baetz und Allison durchgeführt [76]. Im Jahre 2005
gelang es Berthold et al., die Kristallstruktur der Ofoxc aufzuklären, welche die erste
Kristallstruktur einer Oxalyl-CoA-Decarboxylase darstellte [61]. Pro Ofoxc-Monomer
ist neben den Cofaktoren ThDP und Magnesium auch ein ADP-Molekül gebunden.
Ebensfalls durchgeführte kinetische Analysen zeigten, dass die Ofoxc durch ADP
aktiviert und Coenzym A inhibiert wird [61]. Der Regulationsmechanismus der
Enzymaktivität durch ADP wird als putative Anpassung der an die Decarboxylierung von Oxalat geknüpften Energiegewinnung interpretiert. In einer erst kürzlich
erschienenen Arbeit gelang es, die Substratbindungsstelle zu identifizieren und die
Kristallstruktur mit einem kovalent am Cofaktor gebundenen Reaktionsintermediat
aufzuklären, was weitere Einblicke in den Katalysemechanismus dieses Enzyms
ermöglichte [77].
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In den Proteindatenbanken S WISSPROT und T REMBL sind 28 Gene beschrieben, für
die eine putative Funktion als Oxalyl-CoA-Decarboxylase vorhergesagt wird [78].
Diese zeichnen sich durch eine hohe Sequenzidentität aus (Tabelle A.4). Neben den
oben beschriebenen symbiotischen Darmbakterien sind Oxalyl-CoA-Decarboxylasen
auch in E. coli [79] und in der Familie der Mycobacteriaceae [78] anzutreffen. In
M. tuberculosis ist ein knock-out des Gens rv0118c, welches für die Oxalyl-CoADecarboxylase codiert, letal [80], was das Enzym zum potentiellen Ziel für die
Entwicklung von Antituberkulotika macht. Im Genom des Darmbakterium E. coli
ist neben der Oxalyl-CoA-Decarboxylase auch ein Gen zu finden, das für eine
Formyl-CoA-Transferase codiert [79], obwohl eine Energiegewinnung durch den
Abbau von Oxalat bisher für diesen Mikroorganismus nicht beschrieben wurde [81].
Wenngleich die Kristallstruktur der Formyl-CoA-Transferase aus E. coli aufgeklärt
wurde [82, 83], sind keine strukturellen und kinetischen Daten der putativen
Oxalyl-CoA-Decarboxylase aus E. coli (EcyfdU ) als auch des mykobakteriellen
Enzyms bekannt.
Ziel der vorliegenden Arbeit war die kinetische und strukturelle Charakterisierung
zweier ThDP-abhängiger Carboxylyasen. Der Schwerpunkt der Arbeit lag in der Untersuchung des mykobakteriellen Enzyms, welches durch das Gen rv0853c codiert
wird. Aufgrund der Sequenzhomologie wird für dieses Enzym eine putative Funktion
als Indolpyruvat- bzw. Pyruvatdecarboxylase vorhergesagt. In kinetischen Experimenten wurde sowohl die Substratspezifität als auch das Aktivierungsverhalten des
Enzyms untersucht. Des Weiteren sollte die putative Oxalyl-CoA-Decarboxylase aus
M. tuberculosis, welches durch das Gen rv0118c codiert wird, kinetisch und strukturell charakterisiert werden. Da das mykobakterielle Enzym nicht löslich heterolog
überexprimiert bzw. enzymatisch aktiv rückgefaltet werden konnte, wurde alternativ das Enzym aus Escherichia coli untersucht (EcyfdU ). Dabei standen vor allem
Analysen zur Substratbindung als auch zum Aktivierungsverhalten im Vordergrund.
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