Chronische Schmerzen

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Chronische Schmerzen:
Behandlungskonzepte
Dr. med. T. Berghändler
Klinik Gais, Psychosomatik
Dr. med. T. Berghändler, Gais
Akute und chronische
Schmerzen
Akute Schmerzen (< 6 Monate)
Chronische Schmerzen (>6 M.)
Ursache ist bekannt und meistens
behebbar
Ursache ist oft unbekannt
Warnfunktion
Schutzfunktion
Kein Zusammenhang mehr mit
Grunderkrankung; keine
Warnfunktion
Sensibilisierung der Schmerzleitung
Behandlungsziel: Ursache
beseitigen
Behandlungsziel: lindern; damit
umgehen lernen; Verstärkung
verhindern
Akute und chronische Schmerzen sind gleichermassen echte Schmerzen
Dr. med. T. Berghändler, Gais
Schmerzgedächtnis und
chronische Schmerzen
Bereits nach wenigen Minuten können intensive Schmerzreize zu
anhaltenden strukturell anatomischen und neurophysiologischen
Veränderungen führen, welche Weiterleitung und Verarbeitung von
Schmerzreizen intensivieren (Ehlert 1995)
  Schmerzerfahrung entsteht aus der Interaktion von sensorischem
Input und gespeichertem Schmerzwissen (Schmerzschema oder
Schmerzengramm)
  Für chronische Schmerzen gilt: Voraktivierung und
Verbindungsstärke eines Schmerzschemas sind so starr, dass ein
minimaler sensorischer Input oder eine kognitive Aktivierung das
gesamte Schmerzschema oder wesentliche Teile desselben über
Prozesse der Mustererkennung und Mustervervollständigung
aktiviert. → Produkt dysfunktionaler Informationsverarbeitung eines
(Hoppe 1986)!
sensorischen Inputs
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Merkmale des chronischen
Schmerzes
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Eine Reihe von erfolglosen (insbesondere kausalen)
Behandlungsversuchen
Deutliche Beeinträchtigung auf verschiedenen Ebenen des
Verhaltens und des Erlebens:
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kognitiv-emotional (Befindlichkeit, Denken, Stimmung)
behavioral (verstärktes schmerzbezogenes Verhalten, Reduktion von
Alternativverhalten)
sozial (Arbeitsunfähigkeit, Beeinträchtigung der Interaktion mit
Familie, Freunden und Bekannten)
physiologisch-organisch (Mobilitätsverlust, etc.)
Tendenz zur Schmerzausbreitung auf verschiedenste
Körperareale
Entwicklung zur Dauerschmerzbelastung ohne Linderungsphasen
Tendenz zur Schmerzintensivierung
(Gröner/Herwig, 1996)
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Diagnostische Kriterien: anhaltende
somatoforme Schmerzstörung
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ICD-10 F45.4
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mind. 6 Monate kontinuierlich anhaltender
schwerer belastender Schmerz
nicht adäquat durch physiologische Prozesse oder
körperliche Störungen erklärbar
Hauptfokus für die Aufmerksamkeit des Patienten
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Chronische Schmerzstörung mit
somatischen und psychischen
Faktoren (F45.41)
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seit mindestens 6 Monaten bestehende Schmerzen in einer
oder mehreren anatomischen Regionen, die ihren Ausgangspunkt in einem physiologischen Prozess oder einer körperlichen
Störung haben.
Psychischen Faktoren wird eine wichtige Rolle für Schweregrad,
Exazerbation oder Aufrechterhaltung der Schmerzen beigemessen, jedoch nicht die ursächliche Rolle für deren Beginn.
Der Schmerz verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden
und Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen
wichtigen Funktionsbereichen.
Der Schmerz wird nicht absichtlich erzeugt oder vorgetäuscht
(wie bei der vorgetäuschten Störung oder Simulation).
Schmerzstörungen insbesondere im Zusammenhang mit einer
affektiven, Angst-, Somatisierungs- oder psychotischen Störung
sollen hier nicht berücksichtigt werden.
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Angst und Vermeidung
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Angst vor der Bewegung führt zur Vermeidung
der Bewegung und sekundär zu
Fehlhaltung/ -nutzung
  Behinderung
  Depression
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Chronifizierung ist nicht so sehr eine Frage
des Zeitpunktes als vielmehr des Verhaltens
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Behandlung chronischer
Schmerzstörungen
Psychogener
anhaltende
Schmerz
somatoforme Schmerzstörung
Organisches Korrelat
Psychotherapie
Analgesie
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Chronisches
Schmerzsyndrom!
Grundsätzliches zur
Schmerztherapie
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Schmerz als Krankheit begreifen
Welche Probleme hat der Patient ausser dem
Schmerz?
Familiäre und berufliche Situation berücksichtigen
Verständigung auf ein gemeinsames Therapieziel
Multimodale Therapie – es gibt keinen Königsweg
Interdisziplinär denken („Case management“)
Patienten aktivieren
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Grundregeln der medikamentösen
Therapie chronischer Schmerzen
Möglichst frühzeitige und vollständige
Schmerzunterdrückung auf verschiedenen Ebenen zur
Verhinderung maladaptiver Neuroplastizität
  Verwendung langwirkender retardierter Analgetika
  Nicht invasiv, sondern oral medizieren
  Nach festem Zeitplan medizieren
  Vorgehen nach WHO-Stufenschema
  Individuell, nach Schmerzstärke
  Kombination mit Co-Analgetika, aktivierender Psycho-/
Physiotherapie; Rekonditionierung und
Wiedereingliederung
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Prinzipien beim Einsatz
Auswahl nach Schmerzsituation
  Ausreichend hoch dosiert / regelmässige Gabe
  Kombination mit Opioiden möglich
  Nicht-Opioide können jederzeit abrupt abgesetzt
werden
  Antipyretische Analgetika haben geringe Wirkungsstärke – müssen deshalb in initialen Dosierungen in
der Nähe der empfohlenen Max.-Dosierung liegen
  Zeitintervalle zur Nachdosierung genau einhalten
  Nebenwirkungen lassen sich nur geringfügig therapieren – bei Zunahme Absetzen des Analgetikums
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Co-analgetische Behandlung
mit Antidepressiva 1
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Antidepressiva sind wirksam bei chronischen
neuropathischen, psychogenen und nozizeptiven
Schmerzen sowie somatoformer Schmerzstörung
(Fishbain et al. 1998, 2000; Bajwa et al., 2003)
 
Dual wirksame triziklische und neuere dual wirksame
Antidepressiva sind wahrscheinlich gleich stark wirksam
(Salerno et al. 2002,; Stahl , Briley 2004)
Bei der Indikationsstellung ist v.a das
Nebenwirkungsspektrum zu berücksichtigen
  Depressivität verstärkt und generalisiert die
Schmerzwahrnehmung
  Zur Therapie reichen geringere Dosen bei schnellerem
Wirkungseintritt als bei komorbider Depressivität
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Co-analgetische Behandlung
mit Antidepressiva 2
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Bei akuten Schmerzen TCA = SNRI, NaSSA > SNRI >
SSRI SNRI: Serotonin- Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer;
NaSSA: Noradrenerges und spezifisch serotonerges AD (Fishbain 2000)
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Bei chronischen Schmerzen SNRI, NaSSA > TCA
(Nebenwirkungsspektrum)
Bei komorbider Depression steht die Behandlung der
Depression im Vordergrund, da diese einer intensiven
aktivierenden physiotherapeutischen Behandlung
(Ausdauer, Kraft, Dehnung, Körperwahrnehmung) im
Wege steht
Die Auswahl des Antidepressivums richtet sich nach
dem Nebenwirkungsspektrum, wenn eine lange und
hoch dosierte Behandlung notwendig ist
Dr. med. T. Berghändler, Gais
Medikamentöse Behandlung
mit TCA (Lynch 2001, Atkinson et al 1999)
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Amitriptylin (Saroten®), Imipramin (Tofranil®),
Clomipramin (Anafranil®), Doxepin (Sinquan®)
bei
diabetischer Polyneuropathie, postherpetischer Neuropathie,
zentralen Schmerzen, Schmerzen nach Stroke, Spannungskopfschmerz, Migräne, chronischer orofacialer Schmerz
  Analgetisch wirksam auch in Abwesenheit einer Depression
  In geringer Dosierung als bei Depressionsbehandlung
  Schnellerer Wirkungseintritt innerhalb 1 Woche
  postoperative Schmerzen bereits 1 Woche präoperativ mit
Desipramin behandelt reduziert Opiat-Gabe
  Trizyklische Antidepressiva mit tertiären Aminen haben eine
bessere Membrangängigkeit (Na+)
®
  Maprotilin (Ludiomil ) bei chronischen Lumbalgien
 
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Medikamentöse Behandlung
mit SNRI, NaSSA (Lynch 2001)
Venlafaxin (Efexor®), Mirtazapin (Remeron®)
und Duloxetin (Cymbalta®) haben einen
dosisabhängigen, Naloxon-reversiblen,
antinozizeptiven Effekt durch Opioid-Rezeptorvermittelte, noradrenerge und serotonerge
Wirkung (Schreiber et al 2001, Marchand et al 2004)
  Opiat-Analgesie-Augmentation
  Cave: Venlafaxin ist strukturverwandt mit
Tramadol
  Venlavaxin-Wirkung innerhalb von 3-4 Tagen
bei 75 mg/d
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Dr. med. T. Berghändler, Gais
Psychotherapie bei Schmerz
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Kognitive Verhaltenstherapie
Interpersonelle Psychotherapie
Systemische Therapieansätze
Analytisch orientierte Psychotherapieformen
EMDR (Eye Movement Desensitization and
Reprocessing)
  Hypnose, Entspannungsverfahren, MBSR
  ACT (Acceptance and Commitment Therapy)
  Anwendung von wirksamen Therapiemethoden aus verschiedenen Schulen ist sinnvoll
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Dr. med. T. Berghändler, Gais
Therapie somatoformer
Schmerzstörungen 1
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Informationen zu somatoformen Störungen:
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chronischer Verlauf mit Rückfällen
niedrige Morbidität und Mortalität
Verzicht auf invasive Diagnostik ist sinnvoll
Zeit-kontingente, nicht symptom-kontingente Visiten
verabreden (alle 2-6 Wochen)
Bei Beschwerden Hypothesen-geleitet körperlich
untersuchen; ausführliche Anamnese (mit Tagebuch)
Case-Manager (HA) koordiniert die Abklärungen und
Therapien
ggf. Angehörige mit einbeziehen
  IV-Bezüger in der Familie („Vorbildsfunktion“)?
Dr. med. T. Berghändler, Gais
(Smith, 1986, 1995)
Therapie somatoformer
Schmerzstörungen 2
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Vertrauensvolle Beziehung herstellen und beibehalten
explizites Formulieren von Therapiezielen (≠Heilung)
nicht über die Realität der Beschwerden diskutieren
früh, d.h. vor Chronifizierung, mit Therapie beginnen
Arbeitgeber kontaktieren und miteinbeziehen
rasche Wiederaufnahme der Arbeit / Erhalt des
Arbeitsplatzes anstreben; AU > 6 Monate = Rente
bei IV-Verfahren: berufliche Wiedereingliederung vor
Rente („Rente chronifiziert entgültig“)
Manchmal ist Rente sinnvoll und palliativtherapeutisch!
(Özelsel-Heymann M. Psychoth Praxis 2003)
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Therapie somatoformer
Schmerzstörungen 3
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Psychotherapie (KVT)
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Einsatz von Pharmaka:
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Schmerzbewältigungsstrategien (Entfokussierung, Coping)
Veränderung maladaptiver Beziehungsmuster
Auflösung ungünstiger Kognitionen
erhöhtes Aktivitätsniveau
Entspannungstraining, evt. Hypnotherapie
Antidepressiva
adäquate Analgesie
Vermeiden von Tranquilizern und Neuroleptika
Intensive Physiotherapie
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Ausdauer, Kraft, Dehnung, Körperwahrnehmung
Haldorsen et al. Pain 2002
Dr. med. T. Berghändler, Gais
Aktivierung
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Aktivitäten-Tagebuch
Schmerz-Tagebuch
Einbezug der Angehörigen
Psychoedukation
Re-Konditionierung
Psychische Stabilisierung
Dr. med. T. Berghändler, Gais
Physiotherapie-Ziele
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Kräftigung der Muskulatur
Korrektur von pathomechanischen Zuständen
Haltungskorrektur
Erhaltung und Vergrösserung
der aktiven Beweglichkeit
Verbesserung der
Körperwahrnehmung
Erlernung neuer
Bewegungsmuster
Verbesserung der
koordinativen Fähigkeiten
Dr. med. T. Berghändler, Gais
Ziel
Adäquaterer Umgang mit den
Schmerzen
  Verhindern des sozialen Rückzugs
  Verändern der Schonhaltung
  Schmerzfreiheit ist kein Ziel
  Ggf. Akzeptanz eines neuen,
niedrigeren Leistungsniveaus
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Dr. med. T. Berghändler, Gais
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