Posttraumatische Belastungsstörung Vortrag: Torsten Berghändler, Gais, Moderation: Peter Eglin, Meierskappel Dr. med. T. Berghändler, Gais Trauma und Traumatisierung Trauma-Exposition ≠ Traumatisierung Dr. med. T. Berghändler, Gais Häufigkeit von traumatischen Stressoren und PTSD Mind. ein traumatisches Ereignis im Leben 92% 87% Männer Frauen Mindestens einmal im Leben PTB Dr. med. T. Berghändler, Gais 9% Breslau et al. 1998 1 ASR und PTSD als pathologische Stressantwort Spezifische Anpassung an ein Trauma, dass nicht der typischen Stress-Antwort entspricht Nur 25% aller Traumatisierter bekommen die Symptome einer PTSD, die bei 60% nach wenigen Monaten von selbst verschwindet. 12 Monate nach Trauma keine Spontanremissionen mehr (Maerker & Ehlert 2001) Dr. med. T. Berghändler, Gais Traumareaktive Entwicklungen TRAUMA Anpassungsstörung p g g Akute Belastungsreaktion g Depression Angst Somatisierung Sucht Dissoziation Bewältigung Integration Kompensation Saluto-genese-Patho PTSD Persönlichkeitsänderung (komplexe PTSD) Persönlichkeitsstörung Dr. med. T. Berghändler, Gais Verläufe bei Posttraumatischen Störungen Belastung Akute Belastungsreaktion Posttraumatische Belastungsstörung Akuter Schock (ca.2 Stunden Zeit Ereignis 4 Wochen Monate bis Jahre Dr. med. T. Berghändler, Gais 2 Prävalenz Lebenszeitprävalenz in der Allgemeinbevölkerung zwischen 1% und 9,2%, höhere Prävalenz bei subsyndromalen Störungsbildern Frauen : Männer 2:1 Trauma-Arten: Typ I Trauma: Kurz dauernd, Typ-I-Trauma: dauernd einmalig Typ-II-Trauma: Lang andauernd, mehrfach man-made-desaster vs. natürliche Katastrophen Prävalenz abhängig von der Art des Traumas: 50-80% nach Vergewaltigung >25% nach anderen Gewaltverbrechen 20% bei Kriegsopfern 2-18% nach Verkehrsunfällen (subsyndromal zusätzlich 28%) niedrige Prävalenzraten (<10%) nach medizinischen Ereignissen ? Unklare Prävalenz für sekundäre Traumatisierung bei Helfern und Angehörigen Dr. med. T. Berghändler, Gais Prävalenz nach medizinischen Ereignissen Verschiedene Prävalenzraten nach medizinischen Ereignissen: Herzinfarkt: 10-22% (erhöhtes Risiko für Reinfarkt) Koronare Bypass-OP 2-15% Herztransplantation 10,5-17% Lungentransplantation 9 9,8% 8% Awareness during anaesthesia: 56% Krebs: 4-40% Brustkrebs 13,8 % (>15% subsyndromal) Angehörige krebskranker Kinder: 13,7 Geburten: ca. 1,7% Verbrennungen: 18-35-45% Unfälle 2-9% (ASR bis > 40%) Intensivstation: 9,8 - 24% ARDS: 23,9% (43,5 direkt nach ICU) Dr. med. T. Berghändler, Gais PTSD-Epidemiologie bei Helfern Berufsfeuerwehr NRW* Polizei St. Gallen* Rega CH CH* Bergführer* Intensiv-Pflege** 18,2 % 13,5 % 63% 6,3 2,7 % 7% * Ehlert (div.); ** Teegen & Müller 2000 Dr. med. T. Berghändler, Gais 3 PTSD: warum relevant? Intensives psychisches Leiden Erhebliche negative Beeinflussung des somatischen Heilungsprozesses Unbehandelt hohe Chronifizierungsrate Dr. med. T. Berghändler, Gais Kernsymptome der PTSD Vermeidungsverhalten incl. Dissoziationen Intrusionen (Flashbacks, Affektzustände, somatische Sensationen, Alpträume, i t interpersonelle ll Reinszenierungen) R i i ) Hyperarrousal Depression Emotionale Abflachung (numbing) Angst Dr. med. T. Berghändler, Gais Flashback-Erinnerungen Flashbacks können in ihrem Auftreten nicht kontrolliert werden werden als tatsächliches und gegenwärtiges Geschehen erlebt werden als Bruchstücke sensorischen Erlebens des Traumas wahrgenommen (bildhafte Vorstellungen, Gerüche, Geräusche, kinästhetische Sensationen) bleiben im Gegensatz zu anderen Gedächnisinhalten über die Zeit stabil sind nicht in ein persönliches Narrativ integriert Dr. med. T. Berghändler, Gais 4 Diagnostische Kriterien 1 (nach DSM-IV 1996) A. Konfrontation mit einem traumatischen Ereignis 1. Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod oder ernsthafter Verletzung oder Gefahr für eigene oder fremde körperliche Unversehrtheit (objektiv) B. Beharrliches Wiedererleben des Ereignisses in Form von (1 von 3) und/oder und 1. Wiederkehrenden und eindringlichen belastenden Erinnerungen (Bilder, Gedanken, Wahrnehmungen) 2. Wiederkehrende belastende Träume und/oder 2. Reaktion: Intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen (subjektiv) 3. Handeln oder Fühlen, als ob das Ereignis wiederkehrt Dr. med. T. Berghändler, Gais Diagnostische Kriterien 2 (nach DSM-IV 1996) 3. Unfähigkeit, einen wichtigen C. anhaltendes VermeiAspekt des Traumas zu dungsverhalten bzgl. Trauma-assoziierter Reize erinnern 4. Deutlich vermindertes oder Abflachung der Interesse oder Teilnahme an allgemeinen ll i Reagibilität R ibili ä (3 wichtigen Aktivitäten von 7) 5. Gefühl der Losgelöstheit 1. Bewusstes Vermeiden von oder Entfremdung von anderen Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen in Bezug auf das 6. Eingeschränkte Bandbreite des Affektes Trauma 2. Bewusstes Vermeiden von 7. Gefühl einer eingeschränkAktivitäten, Orten oder Menschen, ten Zukunftsperspektive die Erinnerungen wachrufen Dr. med. T. Berghändler, Gais Diagnostische Kriterien 3 (nach DSM-IV 1996) D. anhaltende Symptome erhöhten Arrousals (2 von 5) E. Das Störungsbild dauert länger als einen Monat F. Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen 1. Schwierigkeiten, ein- oder d h durchzuschlafen hl f 2. Reizbarkeit oder Wutausbrüche 3. Konzentrationsschwierigkeiten 4. Übermässige Wachsamkeit (Hypervigilanz) Alle Kriterien müssen berücksichtigt sein 5. Übertriebene (sonst subsyndromale PTSD - als Schreckreaktion Anpassungsstörung zu kodieren) Dr. med. T. Berghändler, Gais 5 Diagnostische Kriterien 4 (nach DSM-IV 1996) Akute PTSD: wenn Symptome weniger als 3 Monate andauern Chronische PTSD: Symptome mehr als 3 Monate andauernd Mit verzögertem Beginn: Beginn der Symptome mind. 6 Monate nach dem belastendem Ereignis ASD -> PSD: 1-2 Monate; >2 Monate PTSD Subsyndromal: wenn nicht alle Kriterien B-F erfüllt sind Dr. med. T. Berghändler, Gais Synopse A-Kriterium ICD-10 (FK): „Die Betroffenen sind einem kurz- oder langanhaltendem g oder Geschehen Ereignis von aussergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmass ausgesetzt, das nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweifelung auslösen würde“ DSM-IV: 1. Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod oder ernsthafter Verletzung oder Gefahr für eigene oder fremde körperliche Unversehrtheit und 2. Reaktion: Intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen Die subjektive Bewertung der Belastung rückt in den Fokus der Pathogenese Dr. med. T. Berghändler, Gais Akute Belastungsstörung / acute stress disorder Kriterien A-F weitgehend identisch (+ Dissoziationen) Zeitkriterium: die Störung dauert mind. 2 Tage und höchstens 4 Wochen und tritt innerhalb von 4 Wochen nach dem traumatischen Ereignis auf (= insg insg. 8 Wochen) Differentialdiagnostisch sind auszuschliessen: Drogen, Medikamente, andere psychische Erkrankungen, medizinische Krankheitsfaktoren; Verschlechterung einer vorbestehenden psychischen Störung Risiko der Entwicklung einer späteren PTSD durch Ausmass der subjektiven Belastung und Entsprechung der Symptomatik vorhersagbar Dr. med. T. Berghändler, Gais 6 Screening-Fragen für ASD und PTSD 1. 2. 3. Manchmal passieren extrem schreckliche Dinge, wie z.B. sich in einer lebensbedrohlichen Situation zu befinden, eine Katastrophe zu erleben, einen ernsthaften Unfall zu haben, zusehen zu müssen, wie eine andere Person getötet oder schwer verletzt wird, oder zu hören, daß einer Ihnen nahestehenden Person etwas derartiges zugestos-sen ist. Haben Sie etwas derartiges erlebt? Derartige Ereignisse kommen manchmal immer wieder über einen längeren Zeitraum in Alpträumen, Vorstellungen oder Gedanken zurück, die Sie nicht loswerden können. War das bei Ihnen auch so? Oder waren Sie sehr durcheinander, wenn Sie sich in einer Situation befanden, die Sie an diese(s) schreckliche(n) Ereigniss(e) erinnerte? (aus SCID) Dr. med. T. Berghändler, Gais Diagnostik- und TherapieAlgorhythmus PTSD ja Psychose? Akute Suizidalität? Psychiatrische Akutversorgung ja Klin. Zustand nein •Stabile und sichere psychosoziale Situation? •Ausreichende körperliche Stabilisierung? nein TraumaTrauma spezifische Stabilisierung Psychosomatischpsychiatrische Differentialdiagnose Traumabearbeitung ja Psychotherapeutische Ver-fahren (KBT, EMDR, PDT) nein nein •Supportive Therapie •Psychosoziale Intervention •Psychopharmakotherapie Adjuvante Verfahren (Körper-, Kunsttherapie, Entspannung Entscheidung Handlung Psychosoziale Reintegration Dr. med. T. Berghändler, Gais Was ist zu tun? Bei Risiko-Patienten an PTSD denken Screening-Fragen KL-Psychosomatiker y / Psychiater y einschalten Pat. und Angehörige aufklären über mögliche Symptome Vertrauensvolle Beziehung herstellen Beobachten des Spontanverlaufs Dr. med. T. Berghändler, Gais 7 CISM: Demobilization, Defusing, Debriefing für Helfer (nach Mitchell 1987) Demobilization (strukturiertes Einsatzende) Zeit Unmittelbar nach Ende des Dienstes Ziele - Stressabbau - Beginn der Erholungs-phase Dauer 10 min. Informationen, 20 min. Ruhe, Essen Defusing (Einsatzkurzbesprechung) Debriefing (Einsatznachbesprechung) Innerhalb der ersten 8 Stunden nach Einsatzende Einsatzende, aber vor dem ersten Nachtschlaf 24-72 Std. bis 2-3 Wochen später möglich Redukt. d. Belastungsstörung Stärkung der Gruppe - emotionale Last erleichtern - Austausch von Informationen - ggf. Debriefing vereinbaren Wie defusing, jedoch ausführlicher 20-45 min. 2-3 Stunden - Dr. med. T. Berghändler, Gais Empfehlungen für Profis Bei den meisten Traumatisierungen nehmen Angst, Wiederdurchleben, Vermeidungsimpulse oder Übererregung mit der Zeit ab. Betroffene zu natürlichen Hilfen ermutigen und zur Entscheidung Entscheidung, ob, mit wem und wie sie mit anderen sprechen. Wenn Opfer kurz nach Trauma mit Professionellen sprechen: Ablauf der Ereignisse rekonstruieren Vor starken Affekten schützen Aktiv und stützend zuhören, nicht nach Details und emotionalen Reaktionen bohren. Die Person sagen lassen, wozu sie sich in der Lage fühlt, ohne sie zu mehr zu drängen (affektiv neutrales Narrativ) Jegliche natürliche Erholung validieren. Dr. med. T. Berghändler, Gais Therapie der Akuten Stressreaktion Herstellen einer sicheren Umgebung Organisation des psychosozialen Helfersystems Information und Psychoedukation bzgl. traumaspezifischer Symptome Frühzeitiges Hinzuziehen eines traumaerfahrenen Psychotherapeuten Symptomatische Pharmakotherapie: nur kurzfristig Benzodiazepine, z.B. Lexotanil oder Temesta i.R. β-Blocker, z.B. Propanolol α2-Agonisten (Prazosin, Clonidin) atypische Neuroleptika Bei Dauerintrusionen kurze EMDR-Intervention Kurzzeit-Programme: Kognitive Verhaltenstherapie 2-3 Wochen nach Trauma; EMDR Dr. med. T. Berghändler, Gais 8 Therapeutische Grundlagen bei der PTSD Situative Absicherung Fürsorglich-respektierende therapeutische Grundhaltung Glauben Sie Ihrer Patientin; sie glaubt sich selber wahrwahr scheinlich oftmals nicht. Das Leben hält die unglaublichsten Geschichten parat, die Ihr Vorstellungsvermögen und Ihren Erfahrungshorizont oftmals sprengen werden Symptomatische Medikation Information/Psychoedukation Dr. med. T. Berghändler, Gais Therapie der PTSD 1 PTSD-Therapie ist keine Anfänger-Therapie Voraussetzung ist ein verständnisvoll-empatisches, unterstützendes, akzeptierendes Setting Die ea aktuelle tue e Lebenssituation ebe ss tuat o des zu u be behandelnden a de de Patienten sollte bei Therapiebeginn sicher sein Auseinandersetzung mit dem Geschehen initial im Rahmen dessen, was der Patient affektiv aushalten kann. Nicht eingebettetes Debriefing ist kontraindiziert und obsolet ! Dr. med. T. Berghändler, Gais Therapie der PTSD 2 Grundsätzlich: nicht zu früh (PTSD-Induktion!) Gesamtbehandlungsplan! CBT Therapie der Wahl (incl. (incl EMDR) Unspezifisch / unterstützend: Relaxation -> klassische Konditionierung Erhöhung des Aktivierungsniveaus: -> Veränderung der Aufmerksamkeit Veränderung der Körperaufmerksamkeit: -> Rückgang der Körper-Vermeidung (Schonung) Dr. med. T. Berghändler, Gais 9 Pharmakotherapeutische Ansätze bei PTSD wenige placebokontrollierte Doppelblindstudien mit Antidepressiva: SSRI, SNRI und MAOI (eingeschränkte Wirksamkeit, auf Teilsymptomatik beschränkt) Cortisol während oder nach Trauma Beta Blocker Beta-Blocker Clonidin (α2-Agonist), Prazosin, Catapressan Opioid-Antagonisten (Nalmefen, Naltrexon) mit Vorsicht Phenytoin, DHEA, Tianeptin machen Hippocampus-Atrophie reversibel (Watanabe et al. 1992) D-Cycloserin 50 mg/d reduzierte Numbing, Ängstlichkeit und Vermeidung bei chronischer PTSD (Heresco-Levy et al. 2002) Antiepileptika: div. in Evaluation Keine Benzodiazepine! Dr. med. T. Berghändler, Gais Beta-Blocker Peri- (ICU, OP) oder posttraumatische Gabe hat hemmenden Einfluss auf Encodierung traumatischer Informationen, bei f > m (Krauseneck, Schelling et al. 2004) Propanolol 4x40 mg/d post-Trauma für 10 Tage senkte signifikant die physiologische Reaktivität auf Exposition von Schlüsselreizen 3 Monate post Ereignis (n= 8/0 // 14/6) (Pitman et al. 2002) Propanolol 3x40 mg/d post-Trauma für 7 Tage: leichtere Symptomatik, aber nicht weniger PTSD (Vaiva et al. 2003) Metoprolol-Kasuistik: hochdosiert Beta-Blocker löst Albträume aus und induziert PTSD (Reeves 2003) Dr. med. T. Berghändler, Gais PTSD und Cortison-Medikation Hinweise, dass Corticoid-Medikation eine PTSD vermeiden kann? Pat. mit septischem Schock auf Intensivstation erlitten unter Hydrocortison-Stressmedikation (100mg im Bolus + 0.18mg/kg/h) hatten eine signifikant niedrigere Inzidenz für PTSD (Schelling et al. 1999) Pat. mit Stress-Dosis Hydrocortison nach Herz-OP hatten gleiche Anzahl von Symptomen, aber mildere Ausprägung von PTSD (Schellling et al. 2004) Dr. med. T. Berghändler, Gais 10 Wirksamkeit der Therapien Effektstärken von etwa 1,25 bei Therapieabschluss und in der 4-Monats-Katamnese 1,33 (EMDR) bis 1,63 (KVT) In dieser Metaanalyse konnte nur eine psychodynamische Studie berücksichtigt werden. Ein entscheidender Vorteil der Psychotherapie gegenüber der Pharmakotherapie ist die deutlich geringere Rate von Therapieabbrüchen (14% vs. 32%). (van Etten, Taylor 1998) Dr. med. T. Berghändler, Gais Worauf Sie als Therapeut bei sich selber achten sollten Seien Sie empathisch und authentisch: eine übererregte Amygdala bemerkt jede Hostilität ihrerseits vor Ihnen Therapie (möglichst) immer mit Supervision und/oder Intervision Es gibt die sekundäre Traumatisierung des Therapeuten (oder Dolmetschers) Nie mehr als 2-3 Trauma-Patienten parallel Biografische Therapiepausen planen Dr. med. T. Berghändler, Gais 11