Burnout: Behandlung und Rückfall-Prophylaxe Vortrag vom 21.6.2013 in Egnach MIGROS Genossenschaft Ostschweiz © DR. MED. TORSTEN BERGHÄNDLER 21.6.2013 1 9-Item Maastricht Vital Exhaustion -Fragebogen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Fühlen Sie sich oft müde? Haben Sie oft Probleme einzuschlafen? Wachen Sie nachts öfter auf? Fühlen Sie sich ausgelaugt? Fühlen Sie sich in letzter Zeit lustloser als früher Irritieren Sie Kleinigkeiten in letzter Zeit mehr als früher? Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Ihre Batterien leer sind? Fühlen Sie sich entmutigt? Wachen Sie manchmal erschöpft oder ermüdet auf? “ja” = 2 Punkte, “weiss nicht” = 1 Punkt, “nein” = 0 Punkte Dr. med. Torsten Berghändler, Herisau und Gais Kopp et al, Psychosom Med2 1998;60:752 Auswertung » 0-2 Punkte: keine Erschöpfung » 3-10 Punkte: geringe - erhebliche Erschöpfung » 11 und mehr Punkte: schwere Erschöpfung Sie sollten etwas tun! Hohe Erschöpfungswerte erhöhen das Risiko für einen Herzinfarkt Appels, Br J Psychiatry 1990;156:465 Appels et al, Eur Heart J 1988;9:758 Dr. med. Torsten Berghändler, Herisau und Gais 3 Auswertung » 0-2 Punkte: keine Erschöpfung » 3-10 Punkte: geringe - erhebliche Erschöpfung » 11 und mehr Punkte: schwere Erschöpfung Sie sollten etwas tun! Hohe Erschöpfungswerte erhöhen das Risiko für einen Burnout Appels, Br J Psychiatry 1990;156:465 Appels et al, Eur Heart J 1988;9:758 Dr. med. Torsten Berghändler, Herisau und Gais 4 Propädeutik © DR. MED. TORSTEN BERGHÄNDLER 21.6.2013 5 Wer hat ein Burnout-Risiko ? © DR. MED. TORSTEN BERGHÄNDLER 21.6.2013 6 Der Burnout-Zyklus Stadium 12 Erkrankung Depression Stadium 1 Sich beweisen wollen Stadium 11 Stadium 2 Verstärkter Einsatz Burnout Stadium 3 völlige Erschöpfung Subtile Vernachlässsigung eigener Bedürfnisse Stadium 10 Innere Leere Stadium 4 Stadium 9 Verdrängung von Konflikten Verlust des Gefühls für die eigene Persönlichkeit Stadium 8 Beobachtbare Verhaltensänderungen Risiko- Normverhalten Stadium 7 Rückzug Stadium 5 Umdeutung von Werten Stadium 6 Verstärkte Verleugnung der aufgetretenen Probleme Verhalten Burnout-Typen nach Burisch 30%/70% Äussere Faktoren Umwelt Persönlichkeit » Selbst-Verbrenner » Opfer der Umstände Innere Faktoren Selbstverbrenner Opfer der Umstände „Wearout“ Biologische Erkenntnisse » Veränderung der Stressachse, Cortisol- Belastungsspitzen » » Erniedrigtes BDNF Verschlechterung neuronaler Funktionen durch Hypercortisolismus » Erniedrigter Interleukin-10-Spiegel » » korreliert mit erhöhter Infektionsrate Möglicherweise 2 (6?) verschiedene biologische Typen (z.B. Hellhammer et al 2006; Tops et al. 2007) » „Noradrenalin-Verbrenner“, „low serotonine“ » „Cortison-Verbraucher“, „low dopamine“ » „low oxitocine“ 9 BDNF » BDNF verbessert die synaptische Plastizität und damit Lernvermögen und Gedächnisleistung » BDNF hat eine neuroprotektive Wirkung gegen die Toxizität von unkontrollierbarem Stress » Erhöhung von BDNF durch Antidepressiva » Sport verbessert die Induktion der Genexpression von BDNF » Konzentration von BDNF besonders hoch bei Kombination von Ausdauertraining und Antidepressiva (Russo-Neustadt et al. 2000; Cotman CW, Engesser C 2002) » BDNF - eigene antidepressive Wirkung? Dr. med. Torsten Berghändler, Herisau und Gais 10 Differential-diagnostische Fragestellung Was würden Sie tun, wenn Sie nicht derart erschöpft wären? » » Burnout-Syndrom: Ideen, wegen Erschöpfung nicht umsetzbar Depression: keine Ideen, Motivation verloren Behandlung © DR. MED. TORSTEN BERGHÄNDLER 21.6.2013 12 Therapeutischer Rahmen » » » » » » Spezialisierten Psychiater/Psychologen aufsuchen/ beiziehen BOS diagnostizieren, von Depression unterscheiden vorübergehende AUF, i.d.R. 100% ggf. Klinikaufenthalt 4-6 Wochen weitere AUF für einige Wochen (Erlerntes aufbereiten) langsamer Wiedereinstieg » möglichst Gespräch mit Arbeitgeber © DR. MED. TORSTEN BERGHÄNDLER » 07.APRIL 2011 13 Sofortmassnahmen » Auszeit (AUF) nehmen » » » » » » » » Tagesplanung Rhythmisierung von Aktivität & Passivität Ruhephasen bei Müdigkeit, ausreichend Schlaf Tägliche körperliche Aktivität / Sport Entspannungstechniken / Stressmanagement Reduktion von belastenden Aktivitäten Psychotherapie / Coaching Ggf. unterstützend Medikamente (Antidepressiva, keine Benzodiazepine !) Entspannungsmethoden » » » » Progressive Muskelrelaxation nach Jakobson Autogenes Training Yoga MBSR (mindfullness based stress reduction / Achtsamkeitstraining) » Tai Chi » Meditation (z.B. Tang YY et al. 2010) » Sport (≠ Leistungssport) » » Genuss partnerschaftliche Sexualität Kognitives Stressmanagement » » » » Situation ist veränderbar, kontrollierbar? (A) Situation verändert sich von alleine? (B) Bewertung und Bezug zur Situation verändern Informationen einholen, ob A oder B » Love it or leave it » GAG: » Gern haben » Aendern » Gehen Psychotherapeutische und Coaching-Ansätze » Risikofaktorenanalyse » Identifikation problematischer Persönlichkeitsvariablen » Identifikation problematischer Umfeldvariablen » Stressmanagement / Entspannung » » » » » » » Symptomtagebücher (Schlaf, Energie...) Bearbeitung relevanter biografischer Konflikte Zeitmanagement - > Teilzeitarbeit Konfliktlösungen anstreben Verbesserung der sozialen Kompetenz Verbesserung der Emotionsregulation Verbesserung der Selbstfürsorge Weitere Zielpunkte der Psychotherapie » Ausgeglichene, angemessene Erwartungen an sich selber (Beruf, Familie, Freundeskreis usw.) » Reflektierte Übernahme von (zu) viel Verantwortung (keine Unersetzlichkeitsphantasien) » Hilfe holen und annehmen können » bei Misserfolg Bewältigungsstrategien » Erfolg wird selber wahr- und angenommen » Keine Abhängigkeit von Lob und Anerkennung von aussen » Es gibt ein Leben ausserhalb der Arbeit Dr. med. Torsten Berghändler, Herisau und Gais 18 Wie kann man wieder einsteigen? » Verständnisvolle Vorgesetzte » Keine Entwertung / Degradierung: cave Verbitterung » Langsamer beruflicher Wiedereinstieg » Anpassung des Arbeitspensums » Anpassung der Arbeitsstruktur » Dazu stehen, dass man eine Krise hatte » Veränderung der inneren Einstellungen » Langsamer, stufenweiser Aufbau der Leistung » Leben nach dem BOS ≠ vor dem BOS Massnahmen nach der Rückkehr » Arbeitsbedingungen/ -belastungen verändern » Kräfte gezielt einsetzen; jeder Mensch hat nur begrenzte Energie » Verschnaufpausen in den Alltag einbauen » Beachte des Pareto-Prinzips (80/20-Regel) » Wenn es zu hektisch wird: Halten Sie inne und fragen Sie sich: „Was kann passieren, wenn ich die Arbeit aufschiebe? Sind die Folgen wirklich so schlimm?“ » Lernen Sie NEIN zu sagen! » Verwirklichen Sie Plan B Rückfallprophylaxe » Beschädigte Ware? © DR. MED. TORSTEN BERGHÄNDLER 21.6.2013 21 Eigene Vorbeugung » Erkennen Sie Ihre Risikofaktoren » Sorgen Sie für ausreichenden körperlichen und geistigen Ausgleich (Sport, Hobbies) » Sorgen Sie für eine stabile Partnerschaft und befriedigende soziale Beziehungen » Arbeit und Karriere sind nicht alles! Aber: haben Sie für sich Alternativen? » Überlegen Sie, wo Sie sich Unterstützung und Aussprache holen können » Fahren Sie mehrgleisig bzgl. Ihrer Selbstbestätigung » Haben Sie einen „Plan B“ ? Dr. med. Torsten Berghändler, Herisau und Gais 22 Eigene präventive Massnahmen » » » » » » » Verkürzung der Arbeitszeit Verbesserung der beruflichen Abgrenzung Alternative und vielfältige Lebensziele Fachliche Beratung und Unterstützung Team- und Arbeitsprozessentwicklung Supervision und Coaching An die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers denken Dr. med. Torsten Berghändler, Herisau und Gais 23 Persönliche Massnahmen » » Nehmen Sie sich Zeit für Hobbys und für Entspannung Überprüfen Sie ihren Tagesrhythmus. Sind Sie ein Morgenoder ein Nachtmensch? Passen Sie Ihren Arbeitsalltag an. » Verlagern Sie berufliche Probleme nicht ins Privatleben. » Nehmen Sie sich Zeit, Wochenendarbeit, Jetlags oder Übermüdung auszukurieren. » Haben Sie schon an ein Sabbathical, an Teilzeitarbeit gedacht? » » Teilzeitarbeitende sind nicht vollwertig (z.B. Frauen, Behinderte...) » Teilzeitarbeit im Kader ist unmöglich » Teilzeitarbeit als Mann ist noch unmöglicher Macht es Sinn, sich versetzen zu lassen, die Stelle zu kündigen oder gar den Beruf zu wechseln („Plan B“)? » Was ist wirklich wichtig im Leben / was bleibt? (Kinder...?) » Beachten Sie das Peter-Prinzips Gesundheitserhaltendes Verhalten » » » Ausreichende sportliche Aktivitäten (5x30 min/Woche) Positiver Kontaktes zur eigenen Körperlichkeit Vorteilhaftes Gesundheitsverhalten Wenig, moderat Suchtmittel Ausreichend Schlaf Ausgebaute und gelebte Genussfähigkeit Gesunde Ernährung Dr. med. Torsten Berghändler, Herisau und Gais 26 Stressabbau durch Sport » Ungeklärte Datenlage: Empfehlungen zwischen 1000 kcal und 3500 kcal/Woche » Optimaler Energieverbrauch (bzgl. Mortalität) 2000-3000 kcal/Woche = 2-4 Trainingseinheiten/Woche von je 30 min. Dauer » Empfehlung Gesundheitsförderung: 1000 kcal/w (Lee et al. 2001) » Evt. gesundheitliche Vorteile bereits bei 500 kcal/Woche (Warburton et al. 2006) » Wsh. präventiv wirksam bereits leichtere Alltagsaktivitäten: Tägliches Gehen von 3,2 km bei 61-80jährigen Männern senkt die Gesamtmortalität um 41,2% (Hakim et al 1998) Dr. med. Torsten Berghändler, Herisau und Gais 27 Bewegungspyramide Koordinative Fähigkeiten üben 2x/Woche Ausdauer 20-60 Min. Basisempfehlung Dr. med. T. Berghändler, Klinik Gais 28 Alltagsaktivitäten: Zeitaufwand für 150 kcal Energieverbrauch: (Reimers 2003) Aktivität Erforderlicher Zeitaufwand (min) Auto waschen/wachsen // Fenster, Böden putzen 45-60 Volleyballspiel 45 Gartenarbeit 30-45 Rollstuhlfahren 30-40 Gehen (2,8 km) 35 Rad fahren 8 km), rasches Tanzen 30 Laub harken, gehen (3,2 km) Wassergymnastik 30 Bahnen schwimmen, Rollstuhlbasketball 20 Basketballspiel 15-20 Rad fahren (6,4 km), Seilhüpfen, Laufen (2,4 km) 15 Schneeschaufeln, Treppensteigen 15 Dr. med. T. Berghändler, Klinik Gais 29 Energieverbrauch durch Sport (Reimers 2003) Aktivität Max. Energieverbrauch (kcal/h) Gehen (3 km/h) 190 Gehen (6 km/h) 280 Laufen (9 km/h) 600 Laufen (15 km/h) 900 Skilanglauf (9 km/h) 600 Skilanglauf (15 km/h) 1300 Eislaufen (21 km/h) 740 Radfahren (15 km/h) 400 Radfahren (30 km/h) 900 Rudern (6 km/h, Rollsitz) 550 Kanufahren 525 Schwimmen (1,5 km/h) 400 Schwimmen (3,5 km/h) 1100 Dr. med. T. Berghändler, Klinik Gais 30 Sekundärprävention am Arbeitsplatz » » » » » » » » » » » angemessene Arbeitsmenge, angemessene Aufgaben Nicht zu viele Überstunden, Ferien werden genommen klare Verantwortungsbereiche, keine Rollenambiguität Nicht zu viele Projekte gleichzeitig, ausreichend Handlungsspielraum Schwierige KlientInnen/Kunden können abgegeben werden klare Erwartungen des Chefs, Spannungen mit Chef können besprochen werden Arbeitsplatz-Angst ist nicht Führungstechnik Explizit positive Rückmeldungen und Wertschätzung Konflikte mit Kollegen sind besprech- und lösbar Wenig Konkurrenzdruck, Belastungen im Team sind transparent Fürsorgepflicht wird wahrgenommen Dr. med. Torsten Berghändler, Herisau und Gais 31 Vorbeugung durch Führung » Vertrauensressourcen: informelle Netzwerke » Identifikation mit der Arbeit, nicht nur mit dem Unternehmen » Vertrauen bilden durch Kommunikation langfristiger Strategien » Entwicklungsmöglichkeiten auch für „unbequeme“ (aber kooperationsbereite) Mitarbeiter » Familienfreundliche Arbeitsbedingungen; Teilzeitarbeit nach H. Kernen » Arbeitsbelastung positiv erleben lassen können » Wertschätzung wagen, Führung durch Angst vermeiden » neue berufliche Herausforderungen anbieten » Frühwarnzeichen ernst nehmen und besprechen » Doppelbelastung bei Frauen beachten Dr. med. T. Berghändler, Klinik Gais 33 Zur Nachhaltigkeit der Zitrone Dr. med. Torsten Berghändler, Herisau und Gais 34 Ziel: ausgeglichene emotionale Bilanz » Einsatz: » Eingesetzte Zeit » Persönliches Engagement » Befriedigung: » » » » Erfolgserlebnisse Anerkennung Gefühl der Selbstverwirklichung Gemeinschaftserleben Dr. med. Torsten Berghändler, Herisau und Gais 35 Einige Erkenntnisse über Burnout » » » » » » » » Burnout ist anders als Depression, tritt aber oft zusammen mit Depression auf Heilt nicht von selbst Braucht eine aktive Bewältigungsstrategie Braucht meist eine lange Zeit bis zur „Heilung“ Benötigt eine schrittweise Rehabilitation Erfordert ein neues Gleichgewicht zwischen An- und Entspannung Hinterlässt meist eine Narbe: Rückfallrisiko, Trauer, Verbitterung... Burnout ist ein relevantes lebensgeschichtliches Ereignis Fazit » Nicht jeder gute Mitarbeiter bekommt ein Burnout, aber: » Burnout erwischt in der Regel die guten Mitarbeiter: » „ein Fauler bekommt keinen Burnout“ » Burnout ist (auch) eine Referenz für Leistungsbereitschaft » Burnout ist (oftmals) auch ein Versagen des Managements, des/der Vorgesetzten (-> Fürsorgepflicht) Dr. med. Torsten Berghändler, Herisau und Gais 39 Herzlichen Dank Fragen und Diskussion © DR. MED. TORSTEN BERGHÄNDLER 21.6.2013 40