SZ-Archiv: A66908199 - Kinderwunschzentrum an der Oper München

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Montag, 4. April 2016
Bayern Region Seite 50DAH,EBE,ED,FS,FFB,München Ost,München West,M-Nord,M-Süd,STA,Wolfrhsn. Seite R2
Social Freezing Auch in München haben Frauen die Möglichkeit, ihre Kinderwünsche buchstäblich auf Eis zu legen.
Seit Firmen wie Apple oder Facebook Schlagzeilen gemacht haben, weil sie ihren Mitarbeitern das Verfahren bezahlen,
stößt die in den Achtzigerjahren erstmals praktizierte Methode in Deutschland auf immer mehr Interesse
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Hormonbehandlung
Eizellenentnahme
Einfrieren
Künstliche Befruchtung
Einsetzen des Embryos
Zu Beginn der Behandlung spritzt sich die Frau
das Steuerhormon Gonadotropin, um die
Reifung von mehreren Eizellen zu stimulieren.
Unter Narkose führt der Arzt einen
vaginalen Ultraschall durch und entnimmt
dabei mit einer Nadel mehrere Eizellen.
Am selben Tag werden die Eizellen
in flüssigem Stickstoff bei
-196 Grad Celsius eingefroren.
Wenn die Frau sich für eine Schwangerschaft
entscheidet, werden einige Eizellen aufgetaut
und im Labor künstlich befruchtet.
Nach fünf Tagen wird in der Regel
ein Embryo in die Gebärmutter
eingesetzt.
Später schwanger
Das Münchner Kinderwunschzentrum an der Oper bietet Frauen die Möglichkeit, ihre Eizellen einfrieren zu lassen.
Die Nachfrage nach der mehrere Tausend Euro teuren Prozedur ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen
von silke lode
E
s gibt gute Gründe, warum manche
Menschen ihren Kinderwunsch aufschieben. Im Job steht ein wichtiger
Schritt an. Reisen, Partys, Hobbys: Der
Wunsch, das Leben frei und unabhängig
zu genießen, ist noch zu groß. Kinder?
Jetzt noch nicht. Manchmal fehlt auch einfach der richtige Partner. Bei Männern ist
das alles kein Problem. Bei Frauen sieht es
anders aus. Die berühmte biologische Uhr
ist ein fast exklusiv weibliches Thema. Für
Frauen ab 40 verschlechtern sich die Chancen auf eine Schwangerschaft und ein gesundes Kind exponentiell. Jede Frau weiß
das, auch ohne den genauen Verlauf der
Kurven zu kennen, die Zahl und Qualität
von Eizellen im Laufe eines Lebens oder
die Risiken einer Fehlgeburt abbilden. Und
jede Frau hört spätestens mit Mitte 30 die
biologische Uhr ticken.
Inzwischen hat die Medizin Wege gefunden, diese Uhr anzuhalten. Frauen können
sich Eizellen entnehmen lassen, die dann
eingefroren und später – künstlich befruchtet – wieder eingesetzt werden. Seit
Firmen wie Apple oder Facebook vor zwei
Jahren für Schlagzeilen gesorgt haben,
weil sie ihren Mitarbeiterinnen das in
Deutschland „Social Freezing“ genannte
Verfahren bezahlen, ist diese Option auch
hierzulande bekannt. Und sie stößt auf Akzeptanz: Eine Umfrage der Zeitschrift Eltern Anfang 2016 hat ergeben, dass zwei
Drittel der 18- bis 30-Jährigen die Methode grundsätzlich akzeptabel finden, 31 Prozent können sich diesen Weg zum Wunschkind auch für sich selbst vorstellen.
ße 2a. In der ehemaligen Residenzpost verkauft unten Louis Vuitton Designerkleidung, Roland Kuffler betreibt sein Flaggschiff-Restaurant „Kuffler“. In einer der
oberen Etagen sind die Räume des Kinderwunschzentrums. Dunkles Parkett, Kunst
an den Wänden, rote Kunstledersessel in
den Wartezimmern. Puchta macht kein Geheimnis daraus, welche Klientel vor allem
nach dem jüngsten Angebot der Reproduktionsmedizin fragt: „Sehr selbstbewusste,
gut ausgebildete Frauen, meist Akademikerinnen. Frauen, die sehr genaue Vorstellungen haben, was sie wollen, und die sehr
offen sind, was technische Möglichkeiten
angeht.“ Unausgesprochen ist auch klar,
dass diese Frauen Geld haben müssen,
denn die Kasse bezahlt den Eingriff nicht.
2500 Euro kostet im Kinderwunsch Zentrum an der Oper jede Eizellentnahme, hinzu kommen 500 bis 1200 Euro für Medikamente und 20 Euro pro Monat für die Lagerung im Eis.
Puchta gehört zu einem in Deutschland
eher kleinen Kreis von Ärzten, die aktiv für
das Social Freezing werben. Immer wieder
wird er dafür von Kollegen kritisiert. „Ich
stehe aber dazu“, weist Puchta die Kritik zurück. „Es ist nichts Schlechtes, über eine
gute Sache aufzuklären.“ Ihm geht es darum, dem Einfrieren von Eizellen das Stigma zu nehmen – auch wenn es für die Be-
handlung keinerlei medizinische, sondern
nur soziale Gründe gibt. In seinem Sprechzimmer hängen Hunderte Babykarten an
der Wand, die meisten von Kindern, deren
Eltern den Weg einer künstlicher Befruchtung nehmen mussten. Doch auch ungefähr 25 Schwangerschaften hat Puchta begleitet, bei denen Frauen ihre eingefrorenen Zellen auftauen und nach der Befruchtung im Labor wieder einsetzen ließen.
Sehr viel mehr Menschen halten sich diese
Option zumindest offen. Gerade hat Jörg
Puchta der 1000. Frau Eizellen entnommen, um sie auf Eis zu legen. Bundesweite
Zahlen gibt es laut den Berufsverbänden
der Reproduktionsmediziner nicht, das Social Freezing beschäftigt weder die Krankenkassen, noch ist es meldepflichtig.
Die Risiken der Behandlung sind kleiner geworden. Probleme gab es früher vor
allem beim ersten Schritt: Um gleich mehrere Eizellen entnehmen zu können, wird
der Eierstock mit Medikamenten zu einer
erhöhten Produktion angeregt. Früher geschah das noch mit anderen Hormonen,
die laut Jörg Puchta ziemlich gefürchtet
waren, da sie häufiger zu einer hormonellen Überstimulation geführt haben. „Dieses Risiko ist heute gleich Null“, sagt Puchta und betont, dass ihm als Arzt eine solche
Aussage nicht leicht über die Lippen komme. Heute werden dafür Gonadotropine
verwendet, also Sexualhormone mit einer
Steuerungsfunktion, die Puchta als „natürliche Botenstoffe“ beschreibt.
Per Ultraschall wird dann überprüft,
wie gut der Eierstock reagiert hat. Der Eisprung wird etwas später künstlich ausgelöst mit Hilfe von zwei Spritzen, die auf die
Minute genau gesetzt werden müssen.
37 Stunden später findet die Eizellentnahme statt – das Zeitfenster dafür beträgt
nur eine Stunde. Auch bei diesem Schritt
ist einiges einfacher geworden: „Früher
musste der Bauch geöffnet werden, heute
Das Zeitfenster für die
Entnahme der Eizellen beträgt
nur eine Stunde
erreichen wir den Eierstock minimalinvasiv mit einer dünnen Nadel von der Scheide aus“, erklärt Puchta. Noch am selben
Tag werden die Eizellen eingefroren. Auch
die Gefriertechnik ist inzwischen weiterentwickelt worden: Bei einem Bad in flüssigem Stickstoff werden die Zellen in Bruchteilen von Sekunden quasi verglast, Vitrifikation nennt sich dieses Verfahren. Im Inneren bilden sich so keine Eiskristalle
mehr. „Aktuelle Studien haben gezeigt,
dass die Vitalitätsrate beim Auftauen dadurch auf 95 Prozent erhöht werden konn-
te“, sagt Puchta. Gelagert werden die Zellen in „Straws“, die man sich wie Strohhalme mit einem Barcode zur Identifizierung
vorstellen muss. Hunderte von ihnen haben Platz in einem der Tanks, die wie große
Gasflaschen aussehen. Gefüllt sind sie mit
flüssigen Stickstoff, minus 196 Grad kalt.
Für Debatten sorgt vor allem der nächste Schritt: das Auftauen der Zellen und die
anschließende künstliche Befruchtung. Gesetzliche Vorgaben, bis zu welchem Alter eine Frau ihre Schwangerschaft künstlich
aufschieben darf, gibt es nicht. Als Richtlinie gilt laut Puchta, dass Frauen spätestens mit Anfang 40 schwanger sein sollten.
Er selbst hält medizinische Kriterien für
sinnvoller als eine reine Altersgrenze: „Die
Frau muss körperlich fit sein, darf weder
Herz- noch Kreislaufbeschwerden noch Diabetes oder Bluthochdruck haben“, sagt er.
Relativ klare Grenzen sind der Medizin
allerdings an anderer Stelle gesetzt: Wer
erst mit 35 oder 40 Jahren kommt, um Eizellen auf Eis legen zu lassen, der hat deutlich schlechtere Karten. „Die Eierstöcke
produzieren dann oft schon zu wenig Eizellen, und deren Qualität kann schon zu
stark abgenommen haben“, sagt Puchta.
30 Jahre sei ein gutes Alter, meint er, jünger ist kein Problem. Nur haben die meisten Frauen in dem Alter noch andere Sorgen als ihre biologische Uhr.
Jörg Puchta wirbt aktiv
für Social Freezing – und stößt
damit bei Kollegen auf Kritik
Jörg Puchta spürt diese Entwicklung
deutlich. Der Reproduktionsmediziner arbeitet am Münchner Kinderwunsch Zentrum an der Oper, wo laut Puchta 2007 in
Deutschland erstmals einer Frau Eizellen
entnommen und für einen späteren Kinderwunsch eingefroren worden sind. Damals kamen zwei, drei Frauen in die Klinik, weil sie aus sozialen Gründen ihren
Kinderwunsch auf später verschieben wollten. Ein Jahr später waren es zehn oder elf,
wie Puchta sich erinnert. „Ab 2012 nahm es
zu, seit 2013/14 haben wir eine unglaubliche Nachfrage“, sagt Puchta, einer von
sechs Ärzten der Münchner Klinik.
Die Praxis findet sich an einer der besten Adressen der Stadt: Maximilianstra-
Einige Freundinnen hatten
schon Erfahrung damit
Im Kinderwunschzentrum an der Oper friert Jörg Puchta entnommene Eizellen in Tanks mit flüssigem Stickstoff ein.
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FOTOS: FLORIAN PELJAK
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