3 Strukturen Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird Mathematik weniger explorativ als vielmehr konstruktiv betrieben. Dabei wurden besondere Anstrengungen in die saubere Formulierung mathematischer Grundlagen gesteckt und ’inhärente Bedeutung’ von Begri↵en (wie zum Beispiel das Zahlen vom zählen kommen) einer Fixierung logischer Zusammenhänge geopfert. Nun sind Zahlen nur noch Objekte, die gewissen Regeln genügen. Wir wollen dies in einigen Stichpunkten nachvollziehen. Strukturen sind die Wa↵en der Mathematiker. (N. Bourbaki) Mathematics is a game played according to certain simple rules with meaningless marks on paper. (D. Hilbert) 3.1 Axiomatischer Aufbau Peano-Axiomen der natürlichen Zahlen Natürliche Zahlen kann man axiomatisch charakterisieren. Dazu fordern wir die folgenden fünf auf Peano1 zurückgehenden Eigenschaften und bezeichnen jedes System, welches diese erfüllt als natürliche Zahlen. Insbesondere können alle beweisbaren Eigenschaften natürlicher Zahlen auf dieses Axiomsystem zurückgeführt werden. P1 1 ist eine natürliche Zahl. P2 jede natürliche Zahl n besitzt eine eindeutig bestimmte natürliche Zahl n0 als Nachfolger. P3 1 ist nicht Nachfolger einer natürlichen Zahl. P4 Natürliche Zahlen mit gleichem Nachfolger sind gleich. P5 Sei P (n) eine Aussage2 über natürliche Zahlen. Gilt nun (i) P (1), (ii) P (n) impliziert P (n0 ), so gilt P (n) für alle natürlichen Zahlen n. 1 2 Guiseppe Peano, 1858–1932 Wir fordern nicht, dass die Aussage in der zugrundeliegenden Sprache, also durch Variablen, das Symbol ’, logische Verknüpfungen und Quantoren ausdrückbar ist. Genauer: Dies ist ein Axiom der Logik zweiter Stufe, für eine Teilmenge P der natürlichen Zahlen kann P (n) als n 2 P verstanden werden und wir haben ein Axiom, welches über alle Teilmengen der natürlichen Zahlen eine Aussage tri↵t. 95 3 Strukturen Um zu sehen, wie man damit umgeht, definieren wir die Operationen und Ordnungsrelation auf den so axiomatisch charakterisierten natürlichen Zahlen. Auch dies folgt Peano. Addition: Die Summe n + m natürlicher Zahlen ist durch die beiden Forderungen n + 1 := n0 , n + m0 := (n + m)0 (3.1.1) charakterisiert. Um dies zu zeigen, bezeichne P (m) die Aussage, dass n + m definiert ist. Dann gilt P (1) aufgrund der ersten Forderung und P (m) impliziert aufgrund der zweiten stets P (m0 ). Nach P5 ist damit n + m für jede natürliche Zahl definiert. Die Definition ist eindeutig, da nach P4 zu jeder Zahl m0 genau ein m existiert mit m0 = m. Multiplikation: Wir gehen analog vor und fordern 1 · n := n, (m0 ) · n = m · n + n. (3.1.2) Dies charakterisiert wiederum die Multiplikation eindeutig. Ordnung: Wir definieren m < n als 9k m + k = n. (3.1.3) Alternativ (und äquivalent) kann man n durch Nachfolgerbildung von m aus erreichen. Hilberts Axiome der (ebenen) Geometrie David Hilbert3 axiomatisierte die euklidische Geometrie. Wir beschränken uns auf die ebene Geometrie und fassen die Axiome Hilberts kurz zusammen. Im dreidimensionalen sind es 20 Axiome, der ebene Fall begnügt sich mit einigen wenigen weniger. Zur Notation: im Folgenden bezeichnen Großbuchstaben A, B, C, ..., P, Q, R... Punkte und Kleinbuchstaben g, h, ... Geraden. Relationen sind Inzidenz (sprich, Punkte liegen auf Geraden, Geraden gehen durch Punkte), die Eigenschaft zwischen Punkten zu liegen (Ordnung für Punkte einer Geraden) und Kongruenz von Strecken und Winkeln (in Zeichen ⌘). Dabei sind Strecken bestimmt durch (ungeordnete) Punktepaare und bestehen aus dazwischenliegenden Punkten und Winkel durch (ungeordnete) Paare von Halbgeraden mit gemeinsamem Startpunkt. Halbgeraden werden ebenso durch die Ordnung von Punkten charakterisiert. Inzidenz I.1 Zu zwei verschiedenen Punkten P un Q existiert genau eine dazu inzidente Gerade g. I.2 Zwei verschiedene zu einer Geraden g inzidente Punkte P und Q bestimmen die Gerade g eindeutig. I.3 Zu jeder Geraden g existieren mindestens zwei inzidente Punkte P und Q. Anordnung II.1 A zwischen B und C impliziert A zwischen C und B. II.2 Zu zwei Punkten A und C existiert mindestens ein B mit B zwischen A und C. Ebenso existiert mindestens ein D mit C zwischen A und D. 3 David Hilbert, 1862–1943 96 3.1 Axiomatischer Aufbau II.3 Von drei zu einer Geraden g inzidenten Punkten liegt stets einer zwischen den beiden anderen. II.4 Die Punkte zwischen A und B werden als Strecke AB bezeichnet. Seien nun drei Punkte A, B, C, die nicht zu einer gemeinsamen Geraden inzident sind gegeben. Dann schneidet jede Gerade h die AB in einem Punkt schneidet und keinen der Punkte A, B, C enthält entweder BC oder CA. Kongruenz III.1 Seien A, B zwei Punkte und A0 ein Punkt auf einer Geraden g. Dann existiert auf jeder Seite der Geraden g genau ein Punkt B 0 mit AB ⌘ A0 B 0 (kongruent oder gleich). III.2 Gilt AB ⌘ A0 B 0 und AB ⌘ A00 B 00 , so folgt A0 B 0 ⌘ A00 B 00 . III.3 Seien AB und BC zwei Strecken auf einer Geraden und seien A0 B 0 und B 0 C 0 zwei Strecken auf einer (möglicherweise anderen) Geraden. Dann impliziert AB ⌘ A0 B 0 und BC ⌘ B 0 C 0 stets AC ⌘ A0 C 0 . III.4 Ein ungeordnetes Paar von Halbgeraden g, h mit gemeinsamem Startpunkt S sei als Winkel \(g, h) bezeichnet. Zu einem Winkel \(g, h) und einer Halbgeraden g 0 und einer Seite von g 0 existiert stets ein eindeutig bestimmtes h0 mit \(g, h) ⌘ \(g 0 , h0 ) (kongruent oder gleich) derart, dass alle inneren Punkte des Winkels \(g 0 , h0 ) auf der gegebenen Seite liegen. Weiter gilt \(g, h) ⌘ \(h, g). III.5 Aus \(g, h) ⌘ \(g 0 , h0 ) und \(g, h) ⌘ \(g 00 , h00 ) folgt \(g 0 , h0 ) ⌘ \(g 00 , h00 ). III.6 Für drei Punkte ABC bezeichen \ABC den Winkel \(BA, BC). Wenn für zwei Dreiecke A, B, C und A0 , B 0 , C 0 AB ⌘ A0 B 0 , BC ⌘ B 0 C 0 , \ABC ⌘ \A0 B 0 C 0 (3.1.4) gilt, so folgt \BCA ⌘ \B 0 C 0 A0 , \CAB ⌘ \C 0 A0 B 0 . (3.1.5) Parallelen IV Schneiden zwei Geraden g und h eine dritte Gerade nicht, so schneiden sich auch g und h nicht. Stetigkeit V.1 Seien AB und CD zwei Strecken. So existiert eine natürliche Zahl n, so dass n-maliges Abtragen von CD entlang der Halbgeraden von A in Richtung B den Punkt B überschreitet. V.2 Zu den Punkten einer Geraden können (unter Beibehaltung der Anordnungs- und Kongruenzbeziehungen der vorhandenen Punkte) keine weiteren hinzugenommen werden, ohne dass eines der Axiome I.1 ... III.6 oder V.1 verletzt wird. Man beachte, dass die verwendeten Zeichen durch ihre Eigenschaften definiert werden. Eine Definition, was genau Kongruenz von Strecken bedeutet, wird nicht gegeben. Das erlaubt es, Punkte und Geraden durch andere Objekte zu tauschen, solange die Eigenschaften unverändert bleiben. Symmetrie und Reflexivität von ⌘ folgt aus I.1 ... III.1. Zusammen mit III.2 wird ⌘ zur Äquivalenzrelation. 97 3 Strukturen Hilbert konnte zeigen, dass keines der Axiome entbehrlich ist. Dazu hat er (vorausgesetzt die reellen Zahlen existieren) jeweils ein Modell einer Geometrie angegeben, in der alle anderen Axiome gelten und das betre↵ende Axiom verletzt ist. Einige der Modelle entsprechen bekannten nichteuklidischen Geometrien. Modelle, die V.1 verletzen, stehen in Zusammenhang zur Nichtstandardanalysis. Modelle, die V.2 verletzen, ergeben sich zum Beispiel, wenn man die reellen Zahlen durch den Körper der konstruierbaren Zahlen ersetzt. Die Existenz eines Modells impliziert die Widerspruchsfreiheit des Axiomsystems. Das Standardmodell ist der R2 mit seinen Elementen als Punkten und den üblichen Geraden. Weiss man nun, dass die reellen Zahlen widerspruchsfrei existieren, so sind die Hilbertschen Axiome frei von Widersprüchen. Mengenlehre In allgemeineren Konstruktionen werden obige Axiome zu Sätzen in entsprechenden Modellen. Allerdings ergibt sich ein Problem, da die Widerspruchsfreiheit der zugrundegelegten Axiomsysteme in der Regel nicht gezeigt werden kann. Durchgesetzt hat sich in der Mathematik ein Aufbau auf der Basis der Mengenlehre und entsprechend im Rahmen der Mengenlehre konstruierte Modelle. Die naive Mengenlehre, wie sie von Georg Cantor4 aufgebaut wurde, hat sich als besonders anfällig für solche Widersprüche erwiesen. Der bekannteste ist Russels Antinomie5 . Diese betrachtet die Menge R = {x : x 62 x} (3.1.6) und fragt, ob R 2 R oder ob R 62 R gilt. Beides ist äquivalent, aber zueinander im Widerspruch. Solche Mengen muss man also ausschließen, wenn man sinnvoll Mengenlehre treiben will. Dazu gibt es viele Möglichkeiten. Wir folgen dem klassenlogischen Ansatz des Axiomsystems von von Neumann6 , Bernays7 und Gödel8 . Grundobjekte sind dabei Mengen (geschrieben in Kleinbuchstaben x, y, z, ...), Klassen (geschrieben in Großbuchstaben M, N, ...) und die Elementbeziehung 2, wobei nur Mengen als Elemente auftreten dürfen. Die Axiome sind insbesondere dazu da, zu charakterisieren, welche Klassen selbst wieder Mengen sind. A Nur Mengen können Elemente von Klassen sein und Mengen sind spezielle Klassen. E Zwei Klassen sind gleich, wenn sie dieselben Elemente haben. K Zu jeder Eigenschaft E(x) von Mengen x existiert eine Klasse, die genau die Mengen mit E(x) zum Element besitzt. Diese wird mit {x | E(x)} bezeichnet. 4 Georg Cantor, 1845–1918 Bertrand Russel, 1872–1970 6 John von Neumann, 1903–1957 7 Paul Bernays, 1888-1977 8 Kurt Gödel, 1906-1978 5 98 (3.1.7) 3.1 Axiomatischer Aufbau Damit kann man erste Objekte definieren. So ist V := {x | x = x} (3.1.8) eine Klasse und für jede Menge gilt x 2 V . Ebenso ist ? := {x | x 6= x} (3.1.9) eine Klasse, diese enthält keine Elemente und wird (vorerst) leere Klasse genannt. Wir können bisher nicht entscheiden ob diese eine Menge ist, zu obigen Axiomen gibt es ein Modell ohne Mengen und nur mit der leeren Klasse. Dass die leere Klasse eine Menge ist fordert M.0 Die leere Klasse ist eine Menge, ? 2 V . Für weitere Axiome benötigen wir ein paar Notationen. Das Axiom K erlaubt es, Operationen für Mengen zu definieren. Sei dazu für Klassen M und N M \ N := {x | x 2 M ^ x 2 N }, M [ N = {x | x 2 M _ x 2 N } (3.1.10) Schnitt und Vereinigung und bezeichne M ⇢ N M ⇢N :, Weiter sei [ M := {x | 9y : y 2 M ^ x 2 y}, 8x : x 2 M ) x 2 N. \ M := {x | 8y : y 2 M ) x 2 y}. (3.1.11) (3.1.12) Für Mengen a und b definieren wir weiter die Paarmenge {a, b} := {x | x = a _ x = b}, (3.1.13) P(a) := {x | x ⇢ a}. (3.1.14) sowie die Potenzmenge Damit können wir weitere Axiome festlegen. Diese erlauben es aus gegebenen Mengen weitere zu konstruieren. M.1 Die Paarmenge zweier Mengen ist eine Menge, 8a, b : {a, b} 2 V. (3.1.15) M.2 Die Vereinigungsmenge einer Menge ist eine Menge, [ 8a : a 2 V. (3.1.16) 8a : P(a) 2 V. (3.1.17) M.3 Die Potenzmenge einer Menge ist eine Menge, M.4 (Aussonderungsaxiom) Der Schnitt einer Menge mit einer Klasse ist eine Menge, 8a, B : a \ B 2 V. (3.1.18) 99 3 Strukturen M.5 (Fundierungsaxiom) Zu jeder nichtleeren Menge a existiert ein dazu disjunktes Element x 2 a, 8a : a 6= ? ) 9x : x 2 a ^ x \ a = ?. (3.1.19) Da Paarmengen Mengen sind, kann man geordnete Paare definieren. Wir modellieren diese als (a, b) := {{a}, {a, b}} (3.1.20) und es ist nach M.1 klar, dass (a, b) 2 V . Weiter gilt (a, b) = (c, d) genau dann, wenn a = c und b = d. Man weise dies als Übung nach! Wir bezeichnen eine Klasse als funktional, falls sie wie eine Funktion aufgebaut ist. Genauer, es gilt FktF , falls alle Elemente von F Paare sind und zusätzlich aus (a, b) 2 F und (a, c) 2 F stets b = c folgt. Solche funktionalen Klassen kann man auf andere Klassen anwenden, so definiert man F [M ] := {b | 9a : a 2 M ^ (a, b) 2 F }. (3.1.21) Ebenso setzt man D(F ) := {a | 9b : (a, b) 2 F }, W (F ) := {b | 9a : (a, b) 2 F } = F [D(F )] (3.1.22) für Definitions- und Wertebereich. Funktionale Klassen, die Mengen sind, werden kurz als Funktion bezeichnet. Ist D(F ) = A und W (F ) ⇢ B, so schreibt man kurz F : A ! B. M.6 (Ersetzungsaxiom) Für funktionales F und eine Menge a ist F [a] wieder eine Menge, 8F, a : FktF ) F [a] 2 V. M.7 (Auswahlaxiom) Zu jeder Menge x mit ? 62 x existiert eine Funktion f : x ! g(y) 2 y für jedes y 2 x. Wir wollen eine Klasse A als induktiv bezeichnen, falls die Eigenschaft IndA mit IndA :, ? 2 A ^ (a 2 A ) a0 := a [ {a} 2 A) (3.1.23) S x mit (3.1.24) dafür gilt. Induktive Klassen enthalten also mindestens die Elemente ?, {?}, {?, {?}}, {?, {?}, {?, {?}}}, ... M.8 (Unendlichkeitsaxiom) Es existiert eine induktive Menge. Diese Axiome genügen (falls widerspruchsfrei...) die Mathematik aufzubauen. Es werden keine weiteren Objekte benötigt, der Existenz durch Axiome zu garantieren wäre. Um das zu sehen konstruieren wir uns ein Modell der Menge der natürlichen Zahlen in der NBG-Mengenlehre. Sei dazu \ ! := {x | Indx}. (3.1.25) Die Existenz der Menge ! ist durch M.8 garantiert. Wir bezeichnen Elemente von ! mit Buchstaben m, n und definieren n0 := n [ {n}. Dann gilt (1) ? 2 ! (also, 0 ist eine natürliche Zahl); (2) n 2 ! impliziert n0 2 ! (jede natürliche Zahl besitzt einen Nachfolger); (3) es existiert kein n 2 ! mit n0 = ? (da ja n 2 n0 gilt und ? leer ist); 100 3.2 Konstruktiver Aufbau (4) aus n0 = m0 folgt n = m; (5) jedes x ⇢ ! mit ? 2 x und n 2 x ) n0 2 x erfüllt schon x = !. Dies sind aber gerade die Peano-Axiome. Wir können die Menge ! also als Menge der natürlichen Zahlen bezeichnen. Aussage (4) bedarf eines Beweises. Dazu zeigen wir, dass aus n 2 ! und y 2 n schon y ⇢ n folgt. Sei also ay = {n | y 2 n ) y ⇢ n}. Dann gilt ? 2 ay und aus n 2 ay und y 2 n0 = n [ {n} folgt y 2 n oder y = n und damit in beiden Fällen nach Voraussetzung y ⇢ n. Also ist ay induktiv und somit ay = !. Damit implizert aber m 2 m0 = n0 = n [ {n} schon m = n oder m 2 n und somit nach dem gerade Gezeigten m ⇢ n. Entsprechend folgt n ⇢ m und damit m = n. Diese Konstruktion der natürlichen Zahlen im Rahmen der abstrakten Mengenlehre geht auf von Neumann zurück. 3.2 Konstruktiver Aufbau Basierend auf der gerade axiomatisch begründeten Mengenlehre kann man (zumindest einen) einen Teil der Mathematik konstruktiv aufbauen. Eine Konstruktion der natürlichen Zahlen als kleinste induktive Menge ! haben wir gerade gesehen. Ausgehend von den damit gültigen Aussagen der Peano-Axiome (nun als Sätze) kann man damit das Rechnen mit natürlichen Zahlen definieren und seine Eigenschaften nachweisen. Wir skizzieren dies kurz. Natürliche Zahlen N0 identifizieren wir mit !, schreiben 0 für das Element ? 2 ! und definieren die Operationen der Addition + und Multiplikation · unter Ausnutzung des Induktionsaxioms durch n + 0 := n, n + m0 := (n + m)0 (3.2.1) (m0 ) · n := m · n + n. (3.2.2) sowie entsprechend mit 1 := 00 1 · n := n, Alle bekannten Eigenschaften der natürlichen Zahlen folgen. Man versuche dies zu beweisen! Die Menge der so konstruierten natürlichen Zahlen sei N0 . Ganze Zahlen Ganze Zahlen ergeben sich, wenn man beliebige Di↵erenzen natürlicher Zahlen bilden möchte. Deshalb ist es naheliegend, diese als Paare natürlicher Zahlen (m, n) verbunden mit der Äquivalenzrelation (m, n) ⌘ (m̃, ñ) :, m + ñ = m̃ + n (3.2.3) zu definieren. Zusammen mit den Operationen (m, n) + (m̃, ñ) := (m + m̃, n + ñ) und (m, n) (m̃, ñ) := (m + ñ, n + m̃) liefert dies (nach Identifikation äquivalenter Paare) ein Modell der 101 3 Strukturen ganzen Zahlen. Die weiteren Operationen ergeben sich aus (m, n) · (m̃, ñ) = (m · m̃ + n · ñ, m · ñ + n · m̃) (3.2.4) (m, n) < (m̃, ñ) (3.2.5) zusammen mit :, m + ñ < m̃ + n. Die Korrektheit und Wohldefiniertheit der Operationen (nach Identitfikation) rechne man nach. Die Menge der ganzen Zahlen sei Z. Die natürlichen Zahlen N0 können in Z durch n 7! (n, 0) eingebettet werden. Rationale Zahlen Um Quotienten bilden zu können betrachten wir nun Paare ganzer Zahlen p, q 2 Z mit q > 0. Setzt man nun (p, q) ⌘ (p̃, q̃) :, p · q̃ = p̃ · q (3.2.6) und definiert (p, q) + (p̃, q̃) = (p · q̃ + p̃ · q, q · q̃) zusammen mit (3.2.7) (p, q) = ( p, q) und (p, q) · (p̃, q̃) = (p · p̃, q · q̃) (3.2.8) (p, q) ÷ (p̃, q̃) = (p · q̃, q · p̃), (3.2.9) sowie so erhält man wiederum (nach Identifikation) korrekt definierte Operationen. Weiter sei (für q, q̃ > 0) (p, q) < (p̃, q̃) :, p · q̃ < p̃ · q. (3.2.10) Die Menge der erhaltenen Zahlen sei mit Q bezeichnet. Sie wird durch die Operationen und die Relation < zu einem geordneten Körper. Man rechne auch dies nach! Man kann den Körper Q der rationalen Zahlen ebenso direkt axiomatisch einführen. Die rationalen Zahlen sind das kleinste Modell, welches alle der nachfolgend aufgeführten Axiome erfüllt. Kleinbuchstaben a, b, c, ... bezeichnen dabei (rationale) Zahlen, für diese seien die binären Operationen + und · und die binäre Relation < definiert. Weiter bezeichne = die (metamathematische) Gleichheit und 0 und 1 seien spezielle, voneinander verschiedene, Elemente. Frei vorkommende Variablen seien stets mit Allquantoren versehen. Addition A1 a + 0 = a = 0 + a A2 a + b = b + a A3 (a + b) + c = a + (b + c) A4 9b : a + b = 0 = b + a Multiplikation M1 a · 1 = 1 · a = a 102 3.2 Konstruktiver Aufbau M2 a · b = b · a M3 (a · b) · c = a · (b · c) M4 a 6= 0 ) 9b : a · b = 1 = b · a Distributivgesetz D a · (b + c) = a · b + a · c Ordnungsaxiome O1 a 6= b ) (a < b , ¬(b < a)) O2 ¬(a < a) O3 a < b ^ b < c ) a < c O4 a < b ) a + c < b + c O5 a < b ^ c > 0 ) a · c < b · c Ist nun Q ein Modell für diese Axiome, gilt also in der Struktur Q jede dieser Aussagen, so existiert eine eindeutig bestimmte injektive Abbildung f : Q ! Q mit f (0) = 0, f (1) = 1 und f (a + b) = f (a) + f (b) sowie f (a · b) = f (a) · f (b) und a < b ) f (a) < f (b). In diesem Sinne ist Q das kleinste Modell dieser Axiome. Reelle Zahlen Nach Dedekind9 definieren wir die reellen Zahlen als sogenannte Dedekind-Schnitte der Menge der rationalen Zahlen. Dies entspricht Hilberts Forderung der Vollständigkeit aus seiner Axiomatisierung der Geometrie beziehungsweise den folgenden beiden zusätzlichen Axiomen: AR Für jede (reelle) Zahl r existiert eine natürliche Zahl n mit n > r. V Fügt man weitere Elemente unter Beibehaltung aller definierten Operationen und Relationen hinzu, so wird mindestens eines der Axiome A1 bis O5 oder AR verletzt. Jede rationale Zahl a Teilt die Menge Q in zwei Teile, nämlich La = {b | b < a} [ {a} Ra = {b | b > a}. (3.2.11) Allerdings kann man Q auch anders in zwei Teile zerlegen, so ist L = {a | a < 0 _pa2 < 2} und R = {a | a > 0 ^ a2 > 2} eine Zerlegung, die nicht von einer rationalen Zahl (da 2 irrational ist) erzeugt wird. Die Menge der reellen Zahlen ergibt sich als Gesamtheit aller Möglichkeiten Q zu zerschneiden. Wir formulieren das exakt. Eine Teilmenge L ⇢ Q heiße links, falls zu jedem a 2 L und jedem b < a stets b 2 L gilt. Ebenso heiße eine Teilmenge R ⇢ Q rechts, falls 8a 2 R 8b 2 Q : a < b ) b 2 R (3.2.12) und die Menge kein kleinstes Element besitzt, also 8a 2 R 9b 2 R : b < a. (3.2.13) R := {R ⇢ Q | R 6= Q ^ R ist rechts} (3.2.14) Damit definiert man 9 Richard Dedekind, 1831–1916 103 3 Strukturen zusammen mit entsprechenden Definitionen der Addition und Multiplikation. So definiert man R < R0 :, R0 ⇢ R (3.2.15) und R + R0 := {a + b | a 2 R ^ b 2 R0 }. (3.2.16) Für die Multiplikation ist das schwieriger, eine Variante ist R · R0 :={a · b | a 2 R ^ b 2 R0 ^ (a > 0 _ b > 0)} [ {a · b | a 2 Q \ R ^ b 2 Q \ R0 ^ (a < 0 ^ b < 0)}. (3.2.17) 3.3 Axiome und Modelle Wir wollen den Zusammenhang zwischen Axiomen und Modellen noch etwas genauer untersuchen und einige Resultate zu Beweis- und Entscheidbarkeit angeben. Dazu müssen wir etwas formaler vorgehen als bisher. Sei dazu eine Menge von Aussagen oder Formeln, also Aussagen mit Variablen und eingesetzten Konstanten. Wir beschränken uns vorerst auf Sprachen erster Ordnung, vereinbaren also dass Allquantoren vor Variablen stehen dürfen aber nicht über Teilmengen von Variablen laufen können. Damit kann man formalisieren, was ein Mathematiker unter natürlichem Schließen versteht. Wir können aus einer Menge von Aussagen oder Formeln neue Aussagen gewinnen. Dazu wenden wir üblicherweise Schlussregeln an (und nennen das, wenn formal korrekt ausgeführt, einen Beweis). Will man das formalisieren, so kann man dafür Regeln aufstellen. Zur Notation dieser Verwenden wir eine in der Logik übliche Schreibweise, oberhalb eines horizontalen Striches stehen die die Voraussetzungen, unter dem Strich die Folgerungen. Die Notation definiert rekursiv das Symbol ` '2 [⇤ `' , `' ` (' ) ) ` zu lesen als ’erlaubt den Beweis von’. Hierbei bezeichnet ⇤ eine Auflistung der Regeln der Aussagenlogik. Äquivalent dazu ist eine Fassung des Kalküls, in der die Regeln der Aussagenlogik selbst in den Schlussregeln implementiert sind. Ein Modell eines Systems von Aussagen ist eine mathematische Struktur (z.B. implementiert im Rahmen der Mengenlehre), in der alle Aussagen aus wahr sind. Gilt eine weitere Aussage ' in jedem Modell von , so sagen wir ' folgt semantisch und schreiben ✏ '. Nach Konstruktion implizert (die Existenz eines Modells vorausgesetzt) ` ' stets ✏ '. Semantisches Schließen hat keine o↵ensichtlichen Regeln. Jedoch gilt die Vollständigkeit des natürlichen Schließens im Rahmen der Logik erster Stufe. Jede in jedem Modell wahre Aussage ist auch beweisbar. Satz 3.3.1 (Gödel). Im Rahmen der Logik erster Stufe stimmen ` und ✏ überein. 104 3.3 Axiome und Modelle Existiert kein Modell, so ist jede Aussage beweisbar. Insbesondere ist die Aussage ' ^ ¬' beweisbar und das gegebene System ist inkonsistent. Zu einem konsistenten System existiert ein Modell. Interessanter wird es bei der Frage nach der Beweisbarkeit ’interessanter’ Aussagen. So bestimmt die Peano-Arithmetik PA das, was man gewöhnlich unter natürlichen Zahlen versteht. Im Rahmen einer Logik erster Stufe muss das Induktionsaxiom vorsichtig formuliert werden (um Allquantoren über Formeln oder Allquantoren über Mengen natürlicher Zahlen zu vermeiden). Es hat sich durchgesetzt dabei axiomatisch die Eigenschaften der Nachfolgeoperation und der Addition und Multiplikation zu fordern und statt dem Induktionsaxiom ein Schema bestehend aus jeweils einem Axiom zu jeder mit Nachfolgeoperation, +, · und Ordnungsrelation bildbaren Formel zu fordern. Das liefert zwar unendlich viele Axiome, aber obiges Resultat ist anwendbar und jede in jedem Modell wahre Aussage ist beweisbar. Jedoch gilt Satz 3.3.2 (Gödelscher Unvollständigkeitssatz). Angenommen, ist formal konsistent und rekursiv aufzählbar und mächtig genug, ein Modell der Peano-Arithmetik zu implementieren, ` P A. Dann existiert eine Formel ' für die weder ` ' nocht ` ¬' gilt. Aussagen dieser Form heißen oft Gödel-Aussagen. Die Existenzaussage ist relativ abstrakt, jedoch gilt konkret Korollar 3.3.3 (Gödel). Die Widerspruchsfreiheit des Systems solche Aussage. aus vorigem Satz ist eine Man muss also damit leben, dass man entweder ein zu komplexes Axiomsystem besitzt (was dazu führt dass die Menge der beweisbaren Aussagen nicht mehr rekursiv abzählbar ist), in dem alle interessanten Aussagen beweisbar sind, oder es gibt Aussagen die nicht beweisbar sein dürfen. Setzt man für das Standardmodell N der natürlichen Zahlen (bestimmt durch die Peano-Axiome mit dem Induktionsaxiom als Axiom basierend auf der Logik zweiter Stufe) W A = {' | ' gilt in N} so erhält man das System der wahren Arithmetik. Es gilt W A ` P A, W A ist also mächtiger als die Peano-Arithmetik. Es ist auch vollständig, jede formulierbare Aussage über natürliche Zahlen ist entweder wahr (und gehört dann zu W A) oder falsch (und gehört dann nicht dazu). Insbesondere existieren keine Gödel-Aussagen. Jedoch enthält die wahre Arithmetik überabzählbar viele wahre Aussagen (für jede Teilmenge von N mindestens eine) und kann damit nicht rekursiv aufzählbar sein. Der Unvollständigkeitssatz von Gödel ist also in diesem Fall nicht anwendbar.10 Nicht alle Gödel-Aussagen sind so abstrakt wie oben skizziert. Eine bekannte Gödel-Aussage für die Peano-Arithmetik ist der Satz von Goodstein11 . Dieser konstruiert zu jeder natürlichen Zahl als Startwert eine rekursive Folge natürlicher Zahlen und zeigt, dass diese irgendwann die Null erreichen muss. Im Rahmen der wahren Arithmetik gilt dieser Satz, er ist in der NBG-Mengenlehre beweisbar. Im Rahmen der Peano-Arithmetik ist er weder beweisbar noch 10 Man beachte, dass der Satz von Gödel aber sehr wohl in der NBG-Mengenlehre gilt. Diese ist in Logik erster Stufe formalisierbar und enthält ein Modell der Peano-Arithmetik! Zur Formulierung von W A benötigt man aber Logik zweiter Stufe. 11 Reuben Louis Goodstein, 1912–1985 105 3 Strukturen widerlegbar. Es existieren also (wegen der semantischen Vollständigkeit des natürlichen Schließens) Modelle der Peano-Arithmetik (also Modelle der natürlichen Zahlen mit der üblichen Addition und Multiplikation aber dem eingeschränkten Induktionsschema), in denen der Satz von Goodstein nicht gilt. 106