1 COPYRIGHT: COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darfEs ohne Genehmigung nicht verwertet Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. darf ohne Genehmigung nicht werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Kultur benutzt darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio werden. Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft am 19. Februar 2009 Redaktion: Peter Kirsten Der große Wurf der Physiker Probleme mit der Stringtheorie Von Uwe Springfeld Unterlegt: leise Streichmusik Sprecherin: In den vergangenen 20 Jahren führten Wissenschaftler physikalische Theorien zu aufsehenerregenden Ergebnissen. Sie sagen heute: Es gibt parallele Universen. Wir leben in neun Dimensionen. Alle Kräfte, die in unserer Welt wirken und von denen wir nur einen Teil im Alltag spüren, werden durch Botenpartikel übertragen. Und sämtliche Partikel, die Kraftboten und solche, die Elementarteilchenphysiker darüber hinaus seit über 50 Jahren in langen Listen klassifizieren, sortieren und in reproduzierbaren Experimenten beobachten, sind lediglich verschiedene Erscheinungen eines einzigen, unteilbaren Urteilchens. Eines Strings, wie die Wissenschaftler sagen. Ihre Theorie: Die Stringtheorie. Sprecher: Man ist skeptisch. Aber man möchte sich überzeugen lassen. Von den Strings, die sich wie Fäden ausstrecken oder wie Gummibänder zum Kreis schließen. Von sechs aufgerollten Dimensionen und davon, dass unsere Welt letztlich nur eine Erscheinungsform der Weise ist, wie diese Strings schwingen. Sprecherin: Doch von einem Gedanken möchte man dabei nicht lassen. Physik ist mehr als eine mathematische Spekulation. Mehr als ein Versuch, aus den Gleichungen anerkannter Theorien beliebige Interpretationen herauszulesen. Physik befasst sich mit der Materie, die uns umgibt. Insofern hat die Physik etwas mit Realität zu tun. Die Realität, nicht die Mathematik, sagt, ob eine physikalische 2 Theorie wie die von den fadenförmigen Urteilchen richtig ist oder nicht. Physiker müssen im konkreten, einzelnen Versuch nachweisen, ob ihre jeweilige Theorie stimmt. Man ruft also nach dem physikalischen Experiment. Auch gestandene Physiker selbst halten das Experiment für das Maß aller physikalischen Dinge. Peter Jenni zum Beispiel. Er ist etwas über Fünfzig, Experimentalphysiker und Sprecher von 2000 Physikern, die mit „Altas“ am Forschungsinstitut CERN bei Genf einen der größten Teilchendetektoren der Welt betreiben wollen, das Herzstück des weltgrößten Beschleunigerrings LHC. Peter Jenni hat ein einfaches Kriterium, zwischen fundierter, wissenschaftlicher Spekulation und Humbug zu unterscheiden. take 1. (Jenni-26; 0:25) Humbug ist natürlich, was nicht alles experimentell nachgewiesen werden kann – Natürlich hat nicht jedermann ein Experiment zur Verfügung. Aber das wird veröffentlicht, das Experiment kann wiederholt werden, und das sind eben 2000 andere Physiker in diesem Experiment, die auch sehr genau auch solche Sachen überprüfen werden. Sprecherin: Die Stringtheorie. Eine Weltordnung von Symmetrie und Supersymmetrie. Man muss etwas suchen, bis man an der Convent Avenue im Norden Manhattans das Büro des Physikers Michio Kaku gefunden hat. Der Weg führte in den zweiten Stock, entlang eines gewundenen Gangs, durch das Arbeitszimmer zweier seiner Professor-Kollegen hindurch in eine Kammer, die übersäht ist von Papier. Hier versucht Michio Kaku die Stringtheorie aus der Physik ins Verständliche zu übersetzen. Zum Beispiel, wie aus den Strings, den straff gespannten Fäden, alle Materie hervorgeht. take 2. Teilchen sind wie Töne (Kaku-2; 0:24) The theory is called string theory and string theory says that all particle which we see in nature are nothing but particle notes. Like a b c on a string. So an electron would be like an a. The neutrino would be like b. The quark would be like c. And then I have many, many notes which means I have many, many particles. Voice over: Die Theorie heißt Stringtheorie. Sie besagt, dass die Elementarteilchen, die wir beobachten, nichts als Noten sind. Wie ein a auf einer Saite. Ein Elektron könnte beispielsweise so ein a sein. Ein Neutrino vielleicht ein h. Quarks könnten wie ein c sein. So bekommen wir viele, viele Noten, was bedeutet, wir haben viele, viele Elementarteilchen. 3 Sprecher: Die Stringtheorie soll einen etablierten Ansatz der Teilchenphysik erweitern. Die Rede ist vom Standardmodell der Elementarteilchen. Danach gibt es drei Teilchenfamilien. Zur ersten zählen sechs Quarks. Zur zweiten zählen sechs weitere Teilchen, Leptonen genannt, wie zum Beispiel das Elektron. Zur dritten zählen 12 Botenteilchen, die die Wirkungen verschiedener Kraftfelder übertragen. Laut Standardmodell der Elementarteilchen gibt es nicht beliebig viele Kraftfelder, sondern exakt vier Stück. Auf Grundlage dieser vier Kräfte und 24 Teilchen wollen Physiker heute das Universum erklären. Für Stringtheoretiker ganz einfach. take 3. Das Universum ist eine Symphonie (Kaku-3; 0:29) It turns out that the laws of physics can now be summarize as laws of harmony on this strings - When the strings bind to each other they can form molecules and that means that chemistry can be resolved as melodies played out on these strings - the universe is a symphony of strings - and the mind of god that Einstein talked about is music, cosmic music, which is resonating through eleven dimensional hyperspace. Voice over: Es stellt sich heraus, dass man physikalische Gesetze als Gesetze der Harmonie auf diesen Saiten verstehen kann. Wenn die Strings sich miteinander verknüpfen, können sie beispielsweise Moleküle bilden. Das bedeutet, die Chemie löst sich in Melodien auf, die auf diesen Strings gespielt werden. Das Universum ist eine Symphonie der Strings. Und Gottes Wille, von dem Einstein gesprochen hatte, ist Musik, eine kosmische Musik, die durch einen elfdimensionalen Hyperraum klingt. Sprecher: Das Standardmodell hat einige Schwächen. Auf einige Fragen gibt es einfach keine Antwort. Beispielsweise: Warum gibt es gerade drei Teilchenfamilien. Und nicht vier oder fünf, oder nur eine. Weshalb kommt im Universum nur Materie vor, und keine Antimaterie, die laut Modell genau so wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ist. Und warum lässt sich die Gravitation überhaupt nicht beschreiben? Eine Antwort kennt man seit langem. Im Standardmodell der Elementarteilchen werden realitätsferne Vereinfachungen gemacht. Ein Elementarteilchen ist dort beispielweise keine Kugel, kein Würfel oder Quader wie ein Klinkerstein, sondern ein mathematischer Punkt. Und ein Punkt hat keine Ausdehnung, in keine Richtung. 4 Als im 17. Jahrhundert Isaac Newton eine Mechanik entwickelte, argumentierte er für diese Vereinfachung. Jeder Körper habe einen Schwerpunkt. Was bedeut, dass er sich so verhält, als sei seine gesamte Masse in diesem einen Punkt versammelt. Für Probleme der klassischen Mechanik taugt diese Simplifizierung. Aber nicht für eine Physik, die sich mit Elementarteilchen beschäftigt. Schwerpunkte haben bei Elementarteilchen keinen Sinn. Dort muss man Kräfte, und nicht Massen auf den Punkt bringen. Sprecherin: Wie zum Beispiel in Berlin, Ortsteil Adlershof. Dorthin hat die Humboldt-Universität ihre physikalische Fakultät ausgelagert. Im sechsten Stock eines Neubaus, den Gang entlang an einem Pflanzenarrangement, das an Gewächshaus erinnert, um einige Ecken herum, hat der etwa 40 jährige Jan Plefka sein Büro. Der Inhaber einer der Lichtenberg-Professuren der Volkswagenstiftung. Er arbeitet am Thema „Quantenfeldtheorie jenseits des Standartmodells der Elementarteilchen“. Und: „Stringtheorie.“ take 4. Ziel der Stringtheorie (Plefka-2; 0:21) Wenn ich die Regeln, die ich in der Quantenfeldtheorien erlernt habe, zur Beschreibung der anderen Naturkräfte auf die Gravitation anwende, dann führt das auf inhärente Widersprüche. Die Stringtheorie ist ein Ansatz, die Widersprüche aufzulösen – was wir suchen ist ein Überbau, der die Gravitation auch konsistent beschreiben kann. Sprecher: Die Stringtheorie hat ein erklärtes Ziel. Sie will die Schwächen des Standardmodells der Elementarteilchen ausmerzen. Sie will alle Teilchen auf ein einziges Urteilchen zurückführen, auf eben diesen String. Hinzu alle Botenteilchen, die beispielsweise die Kräfte des Magneten oder der Gravitation übertragen. Deshalb ist die Suche nach dem passenden String auch eine Suche danach, wie man alle vier Kräfte der Natur als Erscheinung einer einzigen grundlegenden Kraft beschreiben kann. Einige dieser Kräfte kann man heute nur beschreiben, wenn man mit der Quantenphysik nach dem Ursprung und der Struktur von Materie fragt. Materie ist etwas konstantes. Begriffe wie Zeit und Raum, also Größen der Veränderungen, haben hier wenig Sinn. Anders bei der Gravitation, die, mit Methoden der allgemeinen Relativitätstheorie , die Geschichte des Universums widerspiegelt. Ohne Begriffe von Raum und Zeit bewegt sich hier gar nichts. 5 Die verschiedenen Theorien wollen bislang nicht zusammen. Sollten die Physiker dieses Ziel jetzt erreichen, hätten sie geschafft, woran sie seit einem knappen Jahrhundert arbeiten. Sie hätten eine Theorie, die alle Erscheinungen der Materie und jede beliebige Kraftwirkung im Universum beschreiben könnte. Sie hätten, grob gesagt, eine Theorie für alles. Durch die Literatur geistert sie als „Theory of Everything“. take 5. Theory of everything (Plefka-17; 0:19) Es ist eigentlich ein sehr unglückliches Wort, vielleicht noch ein bisschen glücklicher als die Weltformel, die man da im deutschen häufig benutzt – Theory of everything bedeutet eben, dass es gelungen ist, eine Vereinheitlichung von Gravitation und Quantenfeldtheorie herzustellen. Also eine Vereinheitlichung aller uns bekannten Naturkräfte. Sprecherin: Man verändert die Grundlage des Standardmodells der Elementarteilchen. Man nimmt nicht mehr an, ein Elementarteilchen sei ein Punkt ohne jede Ausdehnung. Das Teilchen als Kugel, Würfel, Quader oder noch realistischer, als beliebig geformtes Ding anzusehen, kommt aus rein praktischen Gründen nicht in Frage. Die Mathematik ist derart kompliziert, dass man solche Figuren schlicht nicht mehr berechnen kann. Also schließen die Theoretiker einen Kompromiss mit der Natur. Sie dehnen den Punkt in nur eine Richtung aus. Sie ziehen ihn zum Faden, machen ihn zum String. Damit lässt sich rechnen, wenn auch nur unter extremen Mühen. Beim Kalkulieren bekommt man eine Ahnung, dass man in die richtige Richtung überlegt. Weil die Theorie das liefern könnte, woran Generationen von Physikern verzweifelten. Die speziellen Botenteilchen, die die Kraftwirkung der Gravitation übertragen. Doch gleichzeitig erhält man eine Welt mit neun Dimensionen, parallele Universen aber bislang kein einziges Experiment, das irgendwie zu Gunsten der Stringtheorie spricht. Wie sollte man auch neun Dimensionen, parallele Universen und fadenförmigen Urteilchen experimentell nachweisen? Am Large Hadron Collider, dem weltgrößten Elementarteilchenbeschleuniger? take 6. Experiment und LHC (Plefka-13; 0:25) Ja, ja, das ist natürlich die Gretchenfrage für nen Stringtheoretiker, nicht – Also, wenn man ehrlich ist, gibt es mit den technologischen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, kein baubares Experiment, das die Stringtheorie bestätigen oder widerlegen könnte. Wir hoffen allerdings sehr auf den 6 Large Hadron Collider am CERN, wir hoffen, da Hinweise zu bekommen, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Sprecher: Der experimentelle Nachweis der Stringtheorie. Das heißt nicht, Strings würden sich direkt im Experiment zeigen. Die Strings selbst wird man nie sehen können. Das geht eindeutig aus der Theorie hervor. Man kann sie aber indirekt nachweisen. Über Vorhersagen, die nur die Stringtheorie macht. Ein Experiment rankt sich um eines der Botenteilchen, um das Graviton. Das bislang unentdeckte Graviton soll die Anziehungskraft der Gravitation übertragen. Gleichzeitig soll es die Fähigkeit haben, sich auch entlang der sechs von der Stringtheorie vorhergesagten zusätzlichen Dimensionen zu bewegen. Wird man das am LHC beobachten können? take 7. (Plefka-16; 0:24) Das wären also Events am LHC, wo es fehlende Energie gibt und wo Gravitonen erzeugt werden und in die zusätzlichen Raumrichtungen entweichen und im Detektor nicht nachgewiesen werden können. Danach wird auch gesucht, nach solchen Hinweisen auf zusätzliche Raumdimensionen. Aber ich persönlich halte das für ein Szenario, was schon auch gezimmert wurde in Hinblick auf die Parameter der Maschine LHC. Sprecher: Hinzu kommt, dass auch andere Theorien vergleichbare Vorhersagen machen. Auch wenn man neben dem Graviton weitere neue Teilchen finden würde, wäre das nicht zwangsläufig ein Indiz für die Stringtheorie. Andere Ansätze gehen beispielsweise von einer höheren, von einer Supersymmetrie zwischen den Botenund den anderen Elementarteilchen aus und sagen ebenfalls viele neue Teilchen vorher. Als einzige sagt die Stringtheorie einen Zusammenhang zwischen der Masse eines Teilchens und der Art und Weise vorher, wie es sich um sich selbst dreht. Je höher der Eigendrehimpuls ist, desto größer soll die Masse eines Teilchens sein. Die Forscher sprechen vom Regge-Verhalten der Teilchen. Aus den bislang beobachteten Teilchen kann man auf diesen Zusammenhang nicht zurück schliessen. Wieder sind die Forscher am LHC in Genf gefragt. Kann man dort diesen Zusammenhang nachweisen? Der Physiker Jan Louis von der Universität Hamburg. take 8. LHC (Louis-26; 0:24) Ich red da so ungern drüber, so ein Wort kann einem im Mund 7 umgedreht werden, dass man sagt: Die Stringtheorie hat sie vorhergesagt, das LHC hat sie nicht gesehen, also ist die Stringtheorie ausgeschlossen. Das ist völlig falsch. Ich würde sagen, es ist unglaublich unwahrscheinlich, das wäre ein absolutes Wunder. Und wir würden es auch überhaupt nicht verstehen. Im Rahmen der Stringtheorie. Ich kann’s mir eigentlich nicht vorstellen. Aber es ist möglich. Aber es ist sehr, sehr unwahrscheinlich. Sprecher: Das Problem aller Vorhersagen aus der Stringtheorie: Die Masse der neuen Teilchen hängt direkt von der Länge der Strings ab. Genau an dieser Stelle steht in den Gleichungen aber ein nahezu frei wählbarer Parameter. Man setzt ein, was man für wahrscheinlich hält. Damit kann man grob kalkulieren. Am Teilchenbeschleuniger LHC konzentriert man die Energie einer herumfliegenden Mücke auf ein winziges Proton. In der Kollision erzeugen die Wissenschaftler damit Energiedichten, wie sie Bruchteile einer Sekunde nach dem Urknall herrschten. Neue Teilchen, wie sie von der Stringtheorie vorhergesagt werden, sind dabei nicht zu erwarten. Wahrscheinlich wird dieser Effekt erst in Beschleunigern, die in Wissenschaftssprache ausgedrückt 16 Größenordnungen über dem LHC liegen. In verständlichen Maßen: Ein Teilchenbeschleuniger so groß wie die Umlaufbahn der Erde um die Sonne bei einer Energie so groß, als schlägt der Marsmond Demios auf unseren Planeten ein. take 9. Prinzipielle Messbarkeit (Louis-29; 0:22) Plötzlich kann es Entwicklungen geben, sowohl in der Messtechnik, sowohl in der Theorie, dass man ganz überraschende Eigenschaften bemerkt – Genau so könnte sich die Fähigkeit, in den Kosmos reinzuschauen, natürlich sehr stark verbessern und daraus Rückschlüsse ziehen. Also wenn sie nach unserem augenblicklichen Kenntnisstand gehen, dann ist es sicherlich schwierig. Sprecherin: Muss man von tatsächlich jeder Theorie verlangen, dass sie durch Experimente gestützt wird? Für die Theorie vom Urknall reicht die Beobachtung vom expandierenden Universum und eine überall vorhandene Hintergrundstrahlung. Gibt es also irgendwelche konkret vorhersagbaren Beobachtungen, die die Stringtheorie stützen? Das Bild wird von Industriebauten, sauber gemähtem Rasen und Parkplätzen bestimmt. Nur das schwüle Klima erinnert an den tropischen Regenwald, der sich von Westen kommend an den Europäischen Weltraumbahnhof in Kourou, Französisch-Guayana, heranschiebt. Hier, in Äquatornähe, wird die Ariane 5 für den 8 Start vorbereitet, die am 16. April 2009 den Satelliten Planck in die Umlaufbahn bringen soll. Der Satellit, benannt nach dem Begründer der Quantenphysik, hat die Aufgabe mit bislang ungekannter Genauigkeit die kosmische Hintergrundstrahlung zu vermessen. In den Daten hoffen Stringtheoretiker auch Indizien zu finden, die ihre Theorie unterstützen. take 10. Astronomische Beobachtung ergänzt Teilchenbeschleuniger (Louis-31; 0:22) Ich weiß nicht, wie viele Teilchenbeschleuniger unsere Gesellschaft noch bauen wird – aber wir werden sicherlich weiter in den Himmel schauen. Mit allen möglichen Objekten, und Satelliten in den Orbit schicken – Das heißt, die Messtechnik, Strahlung aus dem Kosmos zu beobachten, die wird sicherlich noch unglaublich viel verbessert werden – Da würde ich am ehesten erwarten, dass wir da an solche Theorien näher rankommen. Sprecher: Einmal angenommen, die Stringtheorie stimmt. Dann müssen in der Astronomie bestimmte Beobachtungen möglich sein. Weil es den Mikro-Bruchteil einer Sekunde nach dem Urknall freie Strings gegeben haben muss, bevor sie auf Nimmerwiedersehen in der Materie verschwanden. Zu diesem unvorstellbar kurzen Moment muss es auch neun gleichartige Dimensionen gegeben haben. Dann, die Wissenschaftler sprechen von einer inflationären Phase, müssen sich sechs Dimensionen aus noch unerklärlichen Ursachen zu runden schaumgummiartigen Stoßdämpfern zwischen parallelen Universen aufgerollt haben. Solche Ereignisse können nicht spurlos am Universum vorbeigegangen sein. Einige Signale müssen bis heute überdauert haben. take 11. Astronomische Beobachtung, Quantengravitation (Louis-32; 0:22) Aus dieser inflationären Phase kann man verschiedene charakteristische Signale herausarbeiten – die man dann in der nächsten Generation satellitengestützter Experimente nachmessen wird. Da ist im Moment ne Diskussion im Gange. Wie viel Quantengravitation man nachmessen kann. Das ist ne Frage, die im Moment sehr stark diskutiert wird. Sprecher: Seit 1965 Arno Penzias und Robert Woodrow Wilson die Hintergrundstrahlung entdeckten, wurde angenommen, sie sei überall im Universum gleich. Doch Daten des Satelliten Cosmic Background Explorer belehrten die Wissenschaftler 1992 eines besseren. In der Hintergrundstrahlung zeigten sich feine Veränderungen. 9 Zehn Jahre später untersuchte ein anderer Satetellit erneut die Hintergrundstrahlung. Doch nicht genau genug für den Physiker Gary Shiu von der University of Wisconsin. Er entwickelte ein Modell, wie sich die Energie der kosmischen Hintergrundstrahlung verteilt haben müsste, sollte sein Szenario aus der Stringtheorie der Wirklichkeit nahekommen. Nun hofft man auf den Planck-Satelliten. Kann die Stringtheorie in den nächsten fünf Jahren mit relevanten Messdaten aufwarten, die die Theorie unterstützen? Nur, wenn Shius konkretes Szenarium zum Urknall stimmt. Doch leider, sagt Jan Plefka, lässt sich die Situation kurz nach dem Urknall nicht zweifelsfrei durchrechnen. take 12. eingeschränkte Vorhersagekraft (Plefka-15; 0:23) Was für ne Stringtheorie wir nehmen zu Beginn – da gibt es so viele Möglichkeiten, das zu tun, diese Kompaktifizierungen auszuführen, dass wir in der Näherung der Teilchentheorie am Ende dann ein wahnsinnig breites Spektrum dann an konsistenten Theorien generieren können – Unserem momentanen Verständnis nach stellst sich da schon die Frage, wo ist denn da die Vorhersagekraft, die wir da noch haben in diesen Konstruktionen. Sprecherin: Die Stringtheorie. Man möchte mit dem Kopf schütteln. Heute erwartet man von einer naturwissenschaftlichen Theorie anwendbare Ergebnisse. In der Stringtheorie sind nach technischen Maßstäben von heute nicht einmal Experimente oder vorhersagbaren Beobachtungen möglich. Gar nichts. Weshalb vertreten so viele Physiker die Stringtheorie? Jan Louis ist theoretischer Physiker an der Universität Hamburg. Sein Büro befindet sich aber auf dem Gelände des Deutschen Elektronensynchrotrons DESY. take 13. Stand und Leistung der Stringtheorie (Louis-12; 0:26) Es ist ne Theorie, die konzeptionell noch unzureichend verstanden ist. Von daher lässt sie also Fragen noch offen. Es ist bisher zum Beispiel noch nicht möglich, im Rahmen der Stringtheorie wirklich diesen Urknall zu beschreiben – Aber die Stringtheorie geht einen Schritt weiter als alle anderen Theorien, die wir kennen, es gelingt ihr eben, zumindest in einem bestimmten Bereich, eine Quantengravitation zu liefern. Sprecher: Viele Physiker kritisieren die Stringtheorie. Nicht Jan Louis, aber der Physiker Lee Smolin vom Perimeter Institut für theoretische Physik in Ontario, Kanada. In seinem Buch „die Zukunft der Physik“, das im Frühjahr erscheint, argumentiert er sinngemäß: Die Stringtheorie habe die gestellten Erwartungen auf 10 Erkenntnis und wissenschaftlichen Fortschritt nicht halten können. Nach 30 Jahren der Entwicklung habe sie lediglich einige Spezialfälle der Quantengravitation durchrechnen können. Außerdem fehle jede theorieinhärente Erklärung, wo die sechs zusätzlichen Dimensionen hin seien, die die Stringtheorie braucht, die in der Realität aber verschwunden seien. Deshalb sei das Gedankengebäude weit davon entfernt, eine physikalische Theorie zu sein und werde lediglich durch die soziale Dominanz der 1000 Stringtheoretiker innerhalb der Scientific Community künstlich am Leben erhalten. Sprecherin: Die Argumentation klingt so gut, hat bei näherem Nachdenken aber eine Schwäche. Verwechselt Smolin einen professoralen Diskussionsstil des Rechthabens um jeden Preis mit dem Inhalt naturwissenschaftlicher Diskussionen, der Realität? Physikalische Diskussionen befassen sich mit der Natur. Und die Natur richtet sich nicht nach den individuellen professoralen Befindlichkeiten in einer Scientific Community. Sollte der Ansatz der Stringtheorie tatsächlich falsch sein, wird sich das früher oder später herausstellen. Sprecher: Anders der Wissenschaftstheoretiker Richard Dawid von der Universität Wien. Er publizierte einen Artikel zur Stringtheorie in einem Buch, das der SuhrkampVerlag im Herbst 2008 unter dem provokanten Titel „Pseudowissenschaft“ herausbrachte. Zwar weist Richard Dawid gleich in der Einleitung darauf hin, die momentane Debatte um die Stringtheorie sei kein Beispiel für die Anwendung des Begriffs Pseudowissenschaft. Aber hier wie dort gehe es um die Grenzen der Wissenschaftlichkeit und die Verteidigung des jeweiligen Wissenschaftsparadigmas. Und, wie er später ausführt: experimentelle Belege für die Stringtheorie fehlen. Was Stringtheoretiker Jan Louis nicht anficht. take 14. Stringtheorie als Mathematik (Louis-18; 0:24) Die Stringtheorie gibt im Moment unglaubliche Impulse in die Mathematik weil wir in der Lage sind, jetzt mathematisch die Probleme zu formulieren oder so ist es besser ausgedrückt. Physikalisch sind wir in der Lage zu formulieren, was ist die Mathematik, die wir brauchen. Im Moment würde ich sagen, die Zusammenarbeit zwischen Mathematik und Physik ist ähnlich fruchtbar wie zu Zeiten der Quantenmechanik, wo Physiker und Mathematiker ganz, ganz, ganz eng zusammengearbeitet haben. 11 Sprecherin: Stielt sich die Stringtheorie aus der Physik? Ist die modernste, wichtigste und bedeutendste Idee der theoretischen Physik vergleichbar mit Astrologie, Kaffeesatzleserei und Kartenlegen? Wie wichtig sind überhaupt empirische Daten als Stütze physikalischer Theorien? Oder kann eine physikalische Theorie auch anhand anderer Faktoren als Experimental- oder Beobachtungsdaten als wahr und gültig anerkannt werden? take 15. Stand der Forschung (Louis-16, 0:22) Also dass wir in ner Phase sind, wo wir die Theorie entwickeln, wo wir aber noch nicht hergehen können und die Theorie richtig definieren. Also wenn sie so an die Entwicklung der Quantenmechanik denken, das hat sich über 20, 30 Jahre hingezogen, und dann gibt’s einen Punkt, wo wir die Quantenmechanik einfach definieren können durch einen Satz von Axiomen. In dieser Situation sind wir in der Stringtheorie noch nicht. Sprecher: Stringtheoretiker argumentieren: Zwar gibt es in Teilbereichen der Stringtheorie Konkurrenz durch andere Denkansätze wie Supersymmetrie und Schleifengravitation, aber in der eigentlichen Frage der Vereinheitlichung aller physikalischen Kräfte und Teilchen steht die Stringtheorie konkurrenzlos dar. Hinzu kommt, dass es wie zum Beispiel bei der Entdeckung der Quarks in der Teilchenphysik schon fast die Regel ist, Theorien rein mathematisch zu entwickeln und zum Teil erst Jahrzehnte später experimentell zu untermauern. Außerdem ist es möglich, mit Methoden der Stringtheorie andere physikalische Theorien wie zum Beispiel das Standardmodell der Elementarteilchen zu modellieren. Zudem zeigt der Ansatz wesentliche Kriterien einer wissenschaftlichen Theorie. Jan Louis. take 16. Bewertung Stringtheorie (Louis-27; 0:25) Also sie ist erstmal konsistent, so wie wir sie im Augenblick kennen – es gibt keinen Grund, warum sie inkonsistent ist, sie hat unglaublich interessante Konzepte ins Spiel gebracht – sie ist relativ konservativ – es wird fast kein Physikgesetz außer Kraft gesetzt – die Theorie ist interessant und im Augenblick haben wir nicht viel besseres. Sprecher: Dass es in absehbarer Zeit weder Beobachtungs- noch Experimentaldaten zu ihrer Theorie geben wird, sehen Stringtheoretiker gelassen. Sie haben das Gewicht in der Physik von den experimentellen Daten hin zur Theorie verschoben. Unausgesprochen gehen sie davon aus, dass man Kriterien entwickeln kann, die auch ohne experimentelle Belege etwas über die Wahrheit der Stringtheorie aussagen. Dass es beispielsweise, wie mehrfach betont, keine Alternativ-Theorie 12 gibt. Oder dass sie in den 30 Jahren ihrer Entwicklung nie unsinnige Ergebnisse produzierte. Oder dass es in dieser Zeit noch nicht mal zu einer Stockung im Forschungsfluss kam. Zudem sei die Stringtheorie ästhetisch, sagt Jan Plefka. take 17. Symmetrie, Dimension und Ästhetik (Plefka-11; 0:22) Dieser hohe Grad an Symmetrie ist eigentlich das, was den Zauber ausmacht der Stringtheorie, in gewissen Sinne. Das Erstaunliche ist, das so eine einfache, relativ einfache zweidimensionale Feldtheorie so profunde Voraussagen in einer höherdimensionalen Raumzeit machen kann. Und diese Eigenschaften würden verloren gehen, wenn ich nicht leben würde in neun Dimensionen mit der Theorie. Musik vom Anfang untergelegt Sprecherin: Stringtheorie. Sicherlich ist es zu hoch gegriffen, wenn in diesem Zusammenhang Wissenschaftstheoretiker wie Richard Dawid die Abwertung des physikalischen Experiments zugunsten theoretisch-mathematischer Ausarbeitungen als Paradigmawechsel in der Physik beschreiben. Noch betreibt die Stringtheorie keine Physik im engeren Sinn. Beim gegenwärtigen Forschungsstand sollte man sie besser als ein „mathematisches Modell des Universums und der Welt“ bezeichnen. Aber nicht als physikalische Theorie. Sicher ist die Stringtheorie ein interessantes, mathematisches Modell. In ihm lässt sich fundiert spekulieren. Denn es sagt: wir leben nicht in drei, sondern in neun Raumdimensionen, in denen ganze Universen nebeneinander liegen. Und: alle Teilchen und Kräfte sind Ausdruck einer schwingenden Ursaite, die Welt ist der Klang einer kosmischen Symphonie. Vielleicht werden dem Modell eines Tages Experimente in die Physik hinüberhelfen.