Ein Enzym mit enger Verwandtschaft zu humanen Mono

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Bartunik, Hans D. | Ein Enzym mit enger Verwandtschaft zu humanen ...
Tätigkeitsbericht 2009/2010
Ein Enzym mit enger Verwandtschaft zu humanen Monoaminoxidasen ermöglicht Bodenbakterium ein Leben von Nikotin
Bartunik, Hans D.
Max-Planck-Arbeitsgruppen für strukturelle Molekularbiologie am DESY, Hamburg
Arbeitsgruppe – Proteindynamik
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Das Bodenbakterium Arthrobacter nicotinovorans „ernährt“ sich von Nikotin. Der Abbau von
L-Nikotin und D -Nikotin erfolgt durch zwei genetisch nicht verwandte Flavoenzyme, 6HLNO und
6HDNO. Ihre Kristallstrukturen bieten eine Erklärung für die Stereospezifizität der Enzymkatalyse.
6HLNO zeigt in Struktur und Funktionsweise enge Verwandtschaft zu humanen Monoaminoxidasen
(MAO), die eine zentrale Rolle beim Abbau von Neurotransmittern spielen. Die Strukturanalyse von
6HLNO-Reaktionsintermediaten und des Inhibitionsmechanismus erweitert die Grundlagen für eine
mögliche Entwicklung neuer MAO-Wirkstoffe.
Abstract
The soil bacterium Arthrobacter nicotinovorans grows on nicotine. Degradation of L-nicotine and
D-nicotine involves two genetically unrelated flavoenzymes, 6HLNO and 6HDNO. Their crystal
structures may explain the stereospecificity of their enzymatic reactions. 6HLNO by its structure and
mechanism is closely related to human monoamine oxidases (MAO), which play central roles in
degradation of neurotransmitters. Structural analysis of 6HLNO reaction intermediates and the
inhibition mechanism extends the basis for possible development of new leads for MAO.
Nikotinabbau durch zwei verschiedene Enzyme mit spiegelbildlicher Reaktionsweise
Nikotin, das in Tabakpflanzen nahezu vollständig in der (linksdrehenden) L-Form vorliegt und als
Insektizid fungiert, dient einer Reihe von Bakterienarten als alleinige Nahrungsquelle, um aus dem
Abbau des Alkaloids ihren Bedarf an Kohlenstoff und Stickstoff zu decken [1]. Im Bodenbakterium
Arthrobacter nicotinovorans beginnt der Nikotinabbau mit der Hydroxylierung des Pyridinrings an
C6. Im darauf folgenden Schritt, der für L-Nikotin durch 6-Hydroxy-L-Nikotin-Oxidase (6HLNO)
und für D -Nikotin durch 6-Hydroxy-D -Nikotin-Oxidase (6HDNO) katalysiert wird, wird der Pyrrolidinring zum Myosmin-Intermediat oxidiert. Anschließende Ringöffnung durch Hydrolyse führt zum
Produkt 6-Hydroxy-Pseudooxynikotin (Abb. 1). Im menschlichen Körper, der Nikotin (auch) durch
Passivrauchen und in vergleichbarer Menge durch Nahrung (bestimmte Gemüse, Tee) aufnimmt,
beginnt der Abbau von Nikotin zu einem hohen Prozentsatz mit einem direkten Angriff auf den
Pyrrolidinring, dessen Oxidation durch die Enzyme Cytochrom-P450 und Aldehydoxidase zur
Bildung von Cotinin führen [2].
© 2009/2010 Max-Planck-Gesellschaft
www.mpg.de
Tätigkeitsbericht 20092010
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Abb. 1: Nikotinabbau durch Arthrobacter nicotinovorans.
Urheber: MPI-Arbeitsgruppen für strukturelle Molekularbiologie am DESY; aus [3]
6HLNO und 6HDNO sind Flavoenzyme, die mithilfe von FAD-Kofaktoren ein und dieselbe Reaktion
an den stereomeren Substraten katalysieren. Die beiden Enzyme weisen jedoch völlig verschiedene
Sequenzen und Konformationen auf. Die Kristallstrukturanalyse von 6HLNO im Komplex mit
6-Hydroxy-L-Nikotin (Abb. 2) zeigt das L-Substrat in einer Orientierung relativ zum Isoalloxazinring
des Kofaktors, die Hydridtransfer vom Pyrrolidin-Kohlenstoffatom C2’, dem chiralen Zentrum, zum
FAD als ersten Reaktionsschritt ermöglicht [3]. Auf der experimentellen Grundlage dieser Komplexstruktur und der Struktur des freien 6HDNO [4] wurde ein Modell der Substratbindung an 6HDNO
entwickelt, das – bis auf eine Spiegelung an der Ebene des Isoalloxazinrings –eine identische Orientierung des D -Substrats relativ zum Kofaktor zeigt. Arthrobacter nicotinovorans setzt also zwei
genetisch nicht verwandte Proteine mit unterschiedlicher Gesamtstruktur und chemisch induzierter
Symmetriebeziehung in der Orientierung der spiegelbildlichen Substrate zum Flavinring des Kofaktors ein, um absolute Stereospezifizität der Katalyse zu erreichen. In weiteren Experimenten gelang es
unter Einsatz von Tieftemperaturverfahren, den gesamten Verlauf der Enzymreaktion in 6HLNOKristallen vom Andocken des Substrats an die aktive Stelle (Michaelis-Zustand) über das MyosminIntermediat bis zur Bildung des Keton-Produkts Pseudooxynikotin in einer Serie von Kristallstrukturen hoher Auflösung zu verfolgen. In Verbindung mit früheren NMR-Messungen wurde damit eine
experimentelle Grundlage zur Aufklärung des vollständigen Strukturmechanismus einer Flavooxidase auf molekularer Ebene geschaffen.
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Abb. 2: Kristallstruktur der 6-Hydroxy-L-Nikotin-Oxidase im Komplex mit dem Substrat L-Nikotin. Die
Abbildung zeigt eine Untereinheit des homodimeren Enzyms, das aus der FAD-bindenden Domäne (cyan) und
der Substrat-bindenden Domäne mit zwei Unterdomänen (S1: rot; S2: lachsfarben) aufgebaut ist. Das Substrat
(grün) bindet an das aktive Zentrum an der Re-Seite des FAD-Kofaktors (gelb). Die Funktion eines an S1
gebundenen Phospholipids (grau) ist noch unbekannt.
Urheber: MPI-Arbeitsgruppen für strukturelle Molekularbiologie am DESY; aus [3]
Enge Verwandtschaft von 6HLNO mit MAO-A und MAO-B
Die Aufklärung der Kristallstruktur von 6HLNO [3] zeigte eine enge Verwandtschaft zu einem
Humanenzym auf, das am Nikotinabbau nicht direkt beteiligt ist, aber durch Nikotinabbauprodukte
inhibiert wird und am Entstehen der Nikotinabhängigkeit beteiligt ist [5]. Dieses Enzym, die in zwei
Isoformen vorliegende Monoaminoxidase (MAO-A und MAO-B), spielt eine zentrale Rolle bei der
Kontrolle der Konzentration von Neurotransmittern wie Dopamin und Serotonin in der Zelle. MAOInhibitoren sind von Bedeutung für die Behandlung einer Reihe von neurologischen Erkrankungen,
die insbesondere Parkinson, Alzheimer und mentale Störungen einschließen. MAO unterscheidet sich
im dreidimensionalen Aufbau von 6HLNO im Wesentlichen durch eine zusätzliche Helix am C-terminalen Ende, die der Verankerung in der mitochondrialen Membran dient. Die aktiven Zentren weisen
ähnliche Lagen und Architekturen auf. Kristallstrukturen zeigten, dass 6HLNO auch die MAOSubstrate Dopamin und Serotonin binden kann. Angesichts der engen Verwandtschaft der StrukturFunktionsbeziehungen beider Aminoxidasen ist die Kenntnis des genauen Reaktionswegs und
intermediärer Bindungsstellen im 6HLNO-Molekül von potenziellem Interesse für eine mögliche
gerichtete Entwicklung von MAO-Inhibitoren.
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Literaturhinweise
[1] R. Brandsch:
Microbiology and biochemistry of nicotine degradation.
Applied Microbiology and Biotechnology 69, 493–498 (2006).
[2] J. Hukkanen, P. Jacob, N. L. Benowitz:
Metabolism and disposition kinetics of nicotine.
Pharmacological Reviews 57, 79–115 (2005).
[3] G. S. Kachalova, G. P. Bourenkov, T. Mengesdorf, S. Schenk, H. R. Maun, M. Burghammer,
C. Riekel, K. Decker, H. D. Bartunik:
Crystal structure analysis of free and substrate-bound 6-hydroxy-L-nicotine oxidase from
Arthrobacter nicotinovorans.
Journal of Molecular Biology 396 (3), 785–799 (2010).
[4] J. W. A. Koetter, G. E. Schulz:
Crystal structure of 6-hydroxy-D-nicotine oxidase from Arthrobacter nicotinovorans.
Journal of Molecular Biology 352, 418–428 (2005).
[5] T. P. George, A. H. Weinberger:
Monoamine oxidase inhibition for tobacco pharmacotherapy.
Clinical Pharmacology & Therapeutics 83, 619–621 (2008).
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