Implementation des Nachhaltigkeitsprinzips in das deutsche und das koreanische Recht Von Professor Dr.-Ing. habil. Yeong Heui Lee / und Professor Dr. iur. Walter Bückmann In: Korea Institute of International and Comparative Law (Hrsg.): Korean Journal of Comparative Law, Vol. 32, Seoul 2004, S. 141-180. Abstract Der Beitrag beschäftigt sich mit der Umsetzung der nachhaltigkeitsbezogenen Vorgaben der Rio-Deklaration, die auf der Weltkonferenz von Rio neben der Agenda 21 beschlossen wurden und ihren Empfehlungen, nachhaltige Entwicklung im Interesse der Bedürfnisse künftiger Generationen und umfassenden Umweltschutz als integralen Bestandteil vorrangig zu verwirklichen. Das Nachhaltigkeitsprinzip ist in der Republik Korea – in begrenzterem Umfang auch in Deutschland – in umwelt- und planungsrechtliche Gesetze inkorporiert worden. In der Republik Korea wird die verfassungsrechtliche Verankerung der ökologischen Dimension des Nachhaltigkeitsprinzips aus der Umweltverbürgung des Art. 35 der koreanischen Verfassung (KVerf) entnommen, der allen Bürgern das Recht auf Leben in einer gesunden und lebenswerten Umwelt garantiert und Staat und Bürgerschaft dazu verpflichtet, dafür alle Anstrengungen zu unternehmen. Das Umweltgrundrecht impliziert das Recht, vom Staat zu fordern, eine intakte Umwelt zu erhalten und ggf. wiederherzustellen. Darin liegt die generelle verfassungsmäßige Gewährleistung des Aufbaus einer gesunden und lebenswerten Lebensumwelt. Die Verfassung impliziert, dass alle Vorkehrungen gegen die Belastungen der Yeong Heui Lee und Walter Bückmann Umwelt, insbesondere stofflichen Belastungen, untereinander vernetzt werden müssen. Nun gewährt Art. 35 Abs. 1 KVerf freilich den Bürgern nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die erforderlichen Anstrengungen für den Umweltschutz zu unternehmen und hat infolgedessen auch die Bedeutung, dass im Interesse der Erhaltung und Verbesserung der Lebensqualität von der Bürgerschaft eine dem Nachhaltigkeitsgebot entsprechende Änderung des gesellschaftlichen Verhaltens gefordert ist. Ein wesentliches Element der Nachhaltigkeit enthält auch die verfassungsrechtliche Verankerung der künftigen zivilisatorischen Entwicklung im Sinne einer "qualitativen Siedlungsentwicklung durch den Staat". Nach der Verfassung stehen das Land und seine Ressourcen unter dem Schutz des Staates und es hat zu diesem Zweck eine gleichgewichtige Entwicklung und optimale Nutzung durch umfassende Planung zu erfolgen. Somit ist die nachhaltige Entwicklung des Landes via umfassende strategische Nachhaltigkeitsplanung in Korea explizites Verfassungsgebot. Seit der Rio-Konferenz wurde das gesamte einfache Umweltrecht, insbesondere das "Grundlagengesetz für die Umweltpolitik", den Anforderungen der Agenda 21 von Rio angepasst. Zweck dieses Gesetzes ist demzufolge der Ausgleich der Belange von Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt im Interesse der nachhaltigen Entwicklung des Staates. Sowohl den lebenden als auch den künftigen Generationen soll die Gunst einer intakten Umwelt zugute kommen. Vor allem inkorporiert § 2 GUP (Grundlinien der Umweltpolitik) die Intentionen der Agenda 21 von Rio: "Ecologically Sound and Sustainable Development" sowie "Intergenerational Equity", ferner die "vorrangige Berücksichtigung der Belange des Umweltschutzes bei jeglicher Nutzung der Umwelt". In den letzten Jahren wurde die Verrechtlichung der Nachhaltigkeit weiter ausgebaut und präzisiert und es wurden dabei vor allem auch die Vollzugskontrollmechanismen und die präventiven Instrumente verstärkt. Eine bedeutsame Ausprägung des Nachhaltigkeitsgebots findet sich, wie in Deutschland, im Naturschutzrecht und zwar im "Gesetz zum Schutz der natürlichen Umwelt". Das 1997 novellierte Gesetz hat das Leitbild der Nachhaltigkeit vor allem in die Zweck- und Grundsätzebestimmung auf- 2 Implementation des Nachhaltigkeitsprinzips in das deutsche und das koreanische Recht - Abstract genommen und legt wesentliche Grundprinzipien des Schutzes und der Achtung der natürlichen Umwelt fest, insbesondere den nachhaltigen Umgang mit der Natur für die gegenwärtigen und künftigen Generationen, die Stärkung der Partizipation in Agenden des Naturschutzes und die Verstärkung der internationalen Kooperation. Das Nachhaltigkeitsgebot ist weiterhin durch die Novelle von 1995 in das "Naturparkgesetz" sowie in das am 9. 2. 2004 erlassene "Gesetz über den Schutz der Wildtiere und – pflanzen" aufgenommen worden. Darüber hinaus wurde das Nachhaltigkeitsgebot in zahlreiche weitere Fachgesetze aufgenommen, so in § 1 des "Gesetzes über die Kostentragung zur Verbesserung der Umwelt" und in das "Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung für Umwelt, Verkehr und natürliche Katastrophen" in der Fassung der Novelle von 1999, ferner in das "Grundlagengesetz für das Forstwesen " und das "Grundlagengesetz für die Entwicklung des Ozeanund des Fischereiwesens". Das "Gesetz für das Management der Küstengebiete" bezweckt, durch geeignete Maßnahmen zur effektiven Erhaltung die Nutzung und Entwicklung der Küstengebiete die Küstenumwelt zu schützen und die Förderung der nachhaltigen Entwicklung der Küstengebiete zu bewirken, um diese als lebenswerte und reichhaltige Lebensgrundlage aufzubauen. Von Bedeutung ist jedoch insbesondere die Inkorporation des Nachhaltigkeitsgedankens in das Planungsrecht. Während in Deutschland ganzheitliche Ansätze zur Konzeptualisierung der Nachhaltigkeit nach wie vor den Gegenstand einer kontroversen theoretischen (und rechtspolitischen) Diskussion bilden, sind in Korea zwei neue konkrete Gesetzesvorhaben, die eine durchgreifende Umsetzung des Nachhaltigkeitsgebots bezwecken, Ende 2001 erlassen und am 4. 2. 2002 verkündet worden. Es handelt sich um das "Grundlagengesetz für die Entwicklung und Bewahrung des Staatsgebiets" und das "Grundlagengesetz über die Nutzung und die Planung des Landes". Das Grundlagengesetz für die Entwicklung und Bewahrung des Staatsgebiets ist seit 1. 1. 2003 in Kraft, gleichzeitig wurde das frühere "Gesetz über die umfassende Planung für die Entwicklung des Staatsgebiets " abgelöst und das Instrumentarium des Gesetzes weiterentwickelt. 3 Yeong Heui Lee und Walter Bückmann Durch das "Grundlagengesetz über die Nutzung und die Planung des Landes" – gleichfalls seit dem 1. 1. 2003 in Kraft – wurden die früheren Regelungen, das "Gesetz über die Nutzung und das Management des Landes" und das "Stadtplanungsgesetz", außer Kraft gesetzt. Mit dem Grundlagengesetz über die Nutzung und die Planung des Landes sollen die zur Zeit unterschiedlichen Flächennutzungsmanagementsysteme in einem Gesetz vereinigt und ein verbessertes nachhaltiges Flächennutzungsmanagement geschaffen werden. Leitlinien sind die Verbesserung des für die Planung grundlegenden Landesmanagementsystems, die Erhöhung der Transparenz des Landesmanagements und die Festlegung der Prinzipien des partizipatorischen Landesmanagements und des Ressourcensparens. Leitprinzip ist, dass das Land durch Erhaltung der natürlichen Umwelt sowie durch effektive Nutzung der Ressourcen genutzt und gemanaged werden soll, um eine ökologiegerechte und nachhaltige Entwicklung zu verwirklichen. Die Republik Korea gehört zu den Staaten, die sich durch ihre speziellen Eigenarten der Umweltplanung auszeichnen. Die koreanische PlanungsInfrastruktur ist für die Umsetzung des Nachhaltigkeitsgebots besonders geeignet. Die Republik hat seit der Rio-Konferenz von 1992 alle wesentlichen Planungen an den Leitzielen und Grundgedanken der Agenda 21 von Rio orientiert. Strategische Planung ist in Korea das bewährte Instrument des Aufbaus und der Entwicklung eines sich effektiv entwickelnden Gemeinwesens, welches das Nachhaltigkeitsprinzip verwirklichen und seine Zukunftsprobleme – Wirtschaftsentwicklung, technologische Innovation, nachhaltige ökologische Modernisierung, Stärkung der Position der Republik in der zukünftigen globalen Entwicklung, lösen wird. Der überschlägige Vergleich der deutschen und der koreanischen Regelungen zeigt deutliche Unterschiede, speziell zwischen dem deutschen "Raumordnungsgesetz" und dem koreanischen "Grundlagengesetz für die Entwicklung und Bewahrung des Staatsgebiets ". Während das deutsche Raumordnungsgesetz neben der Hervorhebung der Generationengerechtigkeit in der Zweckbestimmung lediglich den formalen Aspekt des Nach- 4 Implementation des Nachhaltigkeitsprinzips in das deutsche und das koreanische Recht - Abstract haltigkeitsprinzips formuliert, alle drei Dimensionen der Zukunftsfähigkeit bei planerischen Entscheidungen zu berücksichtigen, strukturiert das koreanische Gesetz die Realisierung einer zukunftsfähigen Entwicklung inhaltlich insoweit vor, als es eine dem Nachhaltigkeitsgedanken entsprechende Vorrangregelung für ökologische Belange festlegt. Vor allem setzt das koreanische Grundlagengesetz für die Entwicklung und Bewahrung des Staatsgebiets die ökologische Säule der nachhaltigen Entwicklung offensiver um, indem es auch die Instrumente der Realisierung im Gesetz fixiert, woran es in Deutschland fehlt. Im Gegensatz zu der deutschen Regelung gibt das koreanische "Grundlagengesetz für die Entwicklung und Bewahrung des Staatsgebiets " Mindestinhalte einer Nachhaltigkeitsplanung vor, unter anderem das Herunterbrechen genereller Zielaussagen in konkrete Zielbestimmungen, die Analyse und Darlegung der vorfindlichen Situation und die Prognose möglicher Änderungen der Rahmenbedingungen. So bauen die koreanischen Regelungen wichtige Elemente des Nachhaltigkeitskonzepts so in das Umwelt- und Planungsrecht ein, dass sie in der Rechtswirklichkeit auch tatsächlich Relevanz erlangen können. Wegen des abstrakten Charakters des deutschen Raumordnungsrechts als "Planung der Planung" sowie seiner komplizierten und störungsanfälligen Umsetzungsmodi und wegen der unbestimmten Umschreibung des Nachhaltigkeitsprinzips erscheint es dagegen als ungewiss, ob die angestrebte nachhaltige Raumentwicklung in Deutschland mit dieser Regelung irgendwann einmal in der Rechtswirklichkeit ankommen kann. Ein bedeutsamer Unterschied zwischen Deutschland und Südkorea liegt auch darin, dass es in Deutschland nach wie vor kein mit dem koreanischen medienübergreifenden Umweltgesetz, dem "Grundlagengesetz für die Umweltpolitik", vergleichbares Gesetz gibt und auch in absehbarer Zeit nicht geben wird, da das Projekt eines umfassenden Umweltgesetzbuchs als endgültig gescheitert zu betrachten ist. Dies erschwert in Deutschland die Konzipierung langfristiger verbindlicher Perspektiven für die nachhaltige Entwicklung. 5