Haus der Wannsee

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Haus der Wannsee-Konferenz
Raum 12 – Die Ghettosa
Während des Zweiten Weltkrieges richteten die deutschen Besatzungsbehörden in Osteuropa Wohnbezirke
ausschließlich für Juden ein, die sie "Ghettos" nannten. Vorher hatte es dort keine Ghettos gegeben. Die
osteuropäischen Juden nannten die Lebenswelt ihrer Gemeinden "Schtetl". In den größeren Städten hatten sie
inmitten der Wohngegenden ihrer nichtjüdischen Landsleute gelebt.
Foto aus Filmsequenz zur Ankunft von Magdeburger
Juden im Ghetto Warschau am 16. April 1942
Die seit 1939 eingerichteten Ghettos ermöglichten den Zugriff von SS und Polizei auf hunderttausende von
Menschen. Zunächst beutete man die Juden als Zwangsarbeitskräfte aus. Fotos von zusammengepferchten,
verarmten und verhungerten Juden in solchen Ghettos wurden für antisemitische Propaganda missbraucht. Bei
den späteren, oft äußerst grausamen Ghettoliquidierungen deportierte man ihre Bewohner in die
Vernichtungslager. Unter ihnen befanden sich tausende aus dem Westen verschleppte Juden sowie Sinti und
Roma (Zigeuner).
12.1. Ghettogründungen
Die ersten Ghettos wurden im besetzten Polen noch 1939, die letzten in Ungarn im Sommer 1944 errichtet. Es
wurden die schlechtesten Stadtviertel ausgewählt - oftmals ohne Kanalisation und Elektrizität.
Ghettogründungen fußten teils auf zentralen Entscheidungen, teils auf lokalen Initiativen der deutschen
Besatzungsorgane.
Heydrich verfügte für das annektierte Westpolen, dass Ghettos zur späteren Deportation von Juden nach Osten
dienen sollten. Später bestimmte er Theresienstadt als zentrales Ghetto und Abschiebelager für tschechische
Juden. Bald darauf wurde der böhmische Ort zum Ziel für Transporte von Juden aus Westeuropa, dem
Deutschen Reich und Ungarn.
Im Generalgouvernement wurden Ghettos zu verschiedenen Zeitpunkten gegründet. Wiederholt argumentierten
deutsche Besatzungsbehörden mit der Abwehr von Seuchengefahr, dem Unterbinden von Schwarzhandel oder
mit der Notwendigkeit jüdischer Arbeitsleistung.
In der besetzten Sowjetunion wurden Ghettos unter dem Vorwand der militärischen Sicherung gegen
Partisanengruppen eingerichtet. Manche dieser Ghettos existierten nur kurze Zeit, weil schon 1941 mit großen
Erschießungsaktionen begonnen wurde.
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Litzmannstädter Zeitung, Sonntag, den 22. September 1940 (Auszug)
"Das Getto - eine Stätte des Verfalls".
In dieser Reportage über den Ort Kutno wurden antisemitische Vorurteile anhand eines Besuches im Ghetto
publiziert.
"250000 Juden verwalten sich selbst"
Litzmannstädter Zeitung, Sonntag, den 9. Juni 1940
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"Das Getto - ein Postulat der Selbsterhaltung"
Litzmannstädter Zeitung, Sonntag, den 9. Juni 1940
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Die Zahl von 250.000 Juden war eine zu hohe Schätzung. Im Ghetto von Litzmannstadt (polnisch Łódż) waren
zu diesem Zeitpunkt etwa 158.000 Menschen eingesperrt. In diesem Artikel wurde die Einrichtung des Ghettos
mit der Abwehr von Seuchengefahren, Schleichhandel und Betrugsmanövern begründet.
Berliner Illustrierte Zeitung vom 24. Juli 1941 (Auszug):
"So lebt ein Volk, aus dem die Mörder von Bromberg, von Lemberg, Dubno, Bialystok
hervorgingen."
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12.2. Zwangsarbeit unter deutscher Kommunalverwaltung
In allen Ghettos Osteuropas herrschte Zwangsarbeitspflicht. Kriegswichtige Produktionskapazitäten konnten vor
Ort kostengünstig ausgebeutet werden. Als Gegenleistung wurden die Ghettobewohner mit minimalsten
Lebensmittelrationen versorgt. Die Zwangsarbeit wurde von deutschen zivilen Ghettoverwaltungen
unterschiedlich organisiert. So überwachte in Litzmannstadt eine städtische Behörde die Ausführung von
Aufträgen in Fabriken innerhalb des Ghettos. In Warschau siedelten sich Firmenfilialen direkt im Ghetto an und
lenkten selbst die Auftragserfüllung. In Riga vermittelte eine Außenstelle des deutschen Arbeitsamts jüdische
Zwangsarbeiter zum Einsatz außerhalb des Ghettogrenzen.
Seit Frühjahr 1942 wurden im Ghetto Stroh-Postenschuhe für die deutschen Truppen im Osten angefertigt. Die
Kriegsaufträge der Wehrmacht beliefen sich auf mindestens 1,6 Millionen Paar Schuhe.
Eine Kolonne jüdischer Arbeitskräfte kehrt ins Ghetto Kaunas zurück, undatiert (Ausschnitt).
Fotograf: George Kadish
(BH Tel Aviv)
12.3. Alltag im Ghetto
Die Lebensbedingungen in den Ghettos wurden durch deutsche Ghettoverwaltungen von außen bestimmt. Die
Juden erhielten trotz permanenter Ausbeutung ihrer Arbeitskraft viel zu wenig Lebensmittel. Die medizinische
Versorgung war minimal. Notwendige hygienische Maßnahmen für eine auf engstem Raum
zusammengedrängte Zwangsgemeinschaft wurden verweigert. Hunger und Krankheiten verursachten ein von
deutscher Seite zugelassenes Massensterben. Damit von diesen Realitäten nichts an die Außenwelt drang, war
es nur aus wenigen Ghettos erlaubt, vorgedruckte Postkarten abzusenden.
Die Eingeschlossenen mussten um ihr Überleben kämpfen. Sie weigerten sich, soziale Normen und Werte der
menschlichen Gemeinschaft aufzugeben. Mit Schmuggel und Tauschhandel bekämpfte man die
Mangelernährung. Krankenstationen, öffentliche Bäder und Müllabfuhren wurden eingerichtet. Der andauernden
Erniedrigung zu Arbeitssklaven setzte man ein eigenständiges Kulturleben entgegen.
Die Unterkünfte im Ghetto Theresienstadt waren so überfüllt, dass man nur mit Hilfe solcher
Stockbettkonstruktionen für sich und die eigenen Habseligkeiten ein Stück Privatheit schaffen konnte.
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Das Ghettotor von Wilna
von außen, undatiert
(USHMM Washington D.C.)
Links ein Mitglied des jüdischen
Ghetto-Ordnungsdienstes,
rechts ein litauischer Hilfspolizist.
Standfoto aus einem deutschen
Propagandafilm über die
Lebensverhältnisse im Ghetto
Warschau, Frühjahr 1942
(GHWK Berlin)
Die hier gezeigten Kinder
werden im Film kurz vorher
wegen Verdachts des
Schmuggelns von Polizisten
angehalten und mit Gewalt zur
Herausgabe der mitgebrachten
Nahrungsmittel gezwungen.
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Am Freitag, den 26. Juli 1940 schossen deutsche Wachpolizisten innerhalb kurzer Zeit auf vier Personen,
die sich zum Teil etwa 100 Meter vom Ghettozaun entfernt aufgehalten hatten. Solche Vorfälle wurden
vom jüdischen Ordnungsdienst im Ghetto Litzmannstadt in Tagesmeldungen zusammengefasst
(AP Łódż)
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12.4. Arbeiten oder kämpfen? Die "Judenräte" und der Widerstand
Die deutschen Ghettoverwaltungen bestimmten innerhalb der Ghettos so genannte Judenräte. Die Mitglieder
hafteten mit ihrem Leben für die Umsetzung deutscher Anweisungen. Wichtigstes Organ dieser Räte wurde die
jüdische Ghettopolizei. Die ersten Selektionen der Arbeitsunfähigen mussten auf deutsche Anweisung hin von
ihr durchgeführt werden. Die Judenräte lehnten Vorbereitungen zur Massenflucht oder Aufstandspläne ab, weil
dies alle Ghettobewohner gefährdete. Sie hofften, diese durch unentbehrliche Arbeitsleistungen retten zu
können. Angehörige von Widerstandsgruppen hingegen argumentierten, Willfährigkeit den Deutschen
gegenüber nehme den Ghettobewohnern die Würde, ohne ihr Überleben zu sichern. Beide Strategien konnten
die angeordnete Vernichtung nicht verhindern.
Mordechai Chaim Rumkowski, der "Älteste
der Juden" im Ghetto Litzmannstadt,
erstattet Heinrich Himmler Bericht, 6. Juni
1941. Fotograf: Walter Genewein
(JM Frankfurt a. M.)
Adam Czerniakow, "Vorsitzender des
Warschauer Judenrats", im Gespräch mit
einem deutschen Luftwaffenoffizier,
undatiert. Fotograf: Hans-Joachim Gerke
(USHMM Washington D.C.)
Dr. Paul Eppstein, "Vorsitzender des
Theresienstädter Judenrats", begrüßt
ankommende Juden aus den Niederlanden
am 20. Januar 1944. Fotograf: Ivan V. Fric
(USHMM Washington D.C.)
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Der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD im Ostland an den untergeordneten Kommandeur für
das besetzte Weißrussland, 2. März 1943 "betr.: Bildung von Judenbanden"
(RGVA Moskwa)
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Im Zuge der Vernichtung des Ghettos in Bialystok Anfang Februar 1943 wurden über 10.000 Juden nach
Treblinka deportiert. Einigen Personen gelang in dieser Zeit die Flucht aus dem Ghetto. Sie schlossen sich zu
Partisanengruppen zusammen oder suchten Kontakt zu größeren Verbänden.
Deckblatt eines bebilderten Rechenschaftsberichts des SS-Brigadeführers Jürgen Stroop ("Stroop-Bericht") an
Heinrich Himmler über die Niederschlagung des Warschauer Ghettoaufstandes im April 1943
(IPN Warszawa)
"Mit Gewalt aus den Bunkern hervorgeholt",
Blatt 15 des Bildteils im so genannten Stroop-Bericht
(IPN Warszawa)
"Bunker" wurden die Verstecke genannt, in denen sich Juden während der großen Räumungsaktionen
verbargen.
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12.5. Die Vernichtung der Ghettos
Mit der Entscheidung, sämtliche Juden im deutschen Machtbereich zu töten, war auch das Schicksal der noch
in den Ghettos lebenden Menschen besiegelt. Allerdings beeinflusste die Arbeitsleistung jedes Einzelnen den
Zeitpunkt seiner Ermordung. Arbeitsausweise, Berufsausbildung und körperliche Verfassung wurden angesichts
der Selektionen überlebenswichtig. Manche Ghettos wurden für die Kriegswirtschaft so wichtig, dass die
Absicht, sie aufzulösen, nicht unwidersprochen blieb. Diese Ghettos wurden 1943 durch Befehle Himmlers in
Konzentrationslager umgewandelt. Damit sicherten sich SS und Polizei die zentrale Kontrolle über diejenigen
Juden, die wegen ihrer Arbeitsleistung noch am Leben waren. Andere Ghettos wurden hingegen umstellt und
die Bewohner ermordet.
Bekanntmachung des Judenrates in Warschau über die beginnende Deportation aller Ghettobewohner
"nach dem Osten" vom 22. Juli 1942
(AZIH Warszawa)
Zwischen dem 22. Juli und Ende September 1942 fanden die großen Deportationen aus dem Ghetto
Warschau in das Vernichtungslager Treblinka statt. Ihnen fielen zunächst über 240.000 Menschen zum
Opfer. Einen Tag nach dieser Ankündigung wählte Adam Czerniakow den Freitod.
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Bekanntmachung des "Ältesten der Juden", Chaim Rumkowski, über die bevorstehende Deportation von
Juden aus dem Westen aus dem Ghetto Litzmannstadt, 29. April 1942 (YIVO New York)
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Von den im Laufe des Herbstes 1941 nach Litzmannstadt deportierten 20.000 Juden und 5.000 Sinti und Roma
waren die letzteren bereits Anfang Januar 1942 im Vernichtungslager Kulmhof ermordet worden. Zwischen
Januar und April 1942 wurden dann etwa 44.000 polnische Juden in das Vernichtungslager verschleppt, bevor
zwischen dem 4. und dem 15. Mai 1942 noch einmal etwa 11.000 nichtpolnische Juden dorthin deportiert und
ermordet wurden.
Deportation der
Arbeitsunfähigen aus dem
Ghetto Brzeziny nach
Kulmhof, 18.-19. Mai 1942
(USHMM Washington D.C.)
Seit dem Frühjahr 1940
existierte in der polnischen
Ortschaft Brzeziny (Löwenstadt) ein Ghetto, in dem
etwa 7.000 Juden leben
mussten. Etwa die Hälfte von
ihnen musste Zwangsarbeit
für deutsche Privat-firmen
innerhalb des Ghettos
leisten.
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Deportation der Arbeitsfähigen aus dem Ghetto
Brzeziny in das Ghetto
Litzmannstadt, 18.-21.
Mai 1942
(USHMM Washington D.C.)
Etwa zeitgleich mit der
Verschleppung der
Arbeits-unfähigen wurden
die noch arbeitsfähigen
Juden in das Ghetto
Litzmannstadt deportiert.
Es handelte sich um etwa
3.700 Personen.
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Schreiben Himmlers (Auszug) an seinen regionalen Stellvertreter in der besetzten Ukraine zur
Vernichtung des Ghettos in Pinsk vom 27. Oktober 1942
(BA Berlin)
Das Ghetto mit seinen etwa 20.000 jüdischen Bewohnern wurde zwischen dem 29. Oktober und dem 1.
November 1942 aufgelöst. Fast alle Juden wurden vor Ort durch Angehörige des deutschen PolizeiBataillons 306 erschossen.
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Himmlers Befehl zur Einrichtung von Konzentrationslagern in den besetzten Ländern Estland, Lettland,
Litauen sowie Weißrussland vom 21. Juni 1943
(BA Berlin)
In Durchführung dieses Befehls wurden die Konzentrationslager Vaivara (Estland), Kaiserwald (Lettland)
und Kaunas (Litauen) errichtet.
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