Mm Kleinkunst

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1
Kl
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kunst
eine Bühne für Hackbrett Schorsch,
Melody Mandy und Piano Joe
Bachelorarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Bachelor of Science in der Studienrichtung Architektur
am Institut für experimentelle Architektur - Hochbau
der Architektur Fakultät der Leopold-FranzensUniversität
WS 2009/10 und SS 2010
Thema:
urban memory - Gebaute Gedächtnisspeicher im
sozialen Kontext
Betreuer:
Bmstr. DI Ursula Ender
DI Daniel Luckeneder
für meine Eltern
01 Erinnern und Vergessen
Seite 5
02 Die Entwicklung der Musik
Seite 23
5
04 Kleinkunst
eine Bühne für Hackbrett Schorsch,
Melody Mandy und Piano Joe
03 Musik-Erinnern-Vergessen
Was ist Musik und was löst sie aus?
Seite 42
Seite 33
05 Der Entwurf
Seite 65
01 Erinnern und Vergessen
„…Und dennoch müssen wir festhalten, daß es die Erinnerungsfähigkeit ist, so fragwürdig sie auch sein mag, die Menschen erst zu Menschen macht. Ohne sie könnten wir kein Selbst aufbauen und nicht mit anderen als individuellen Personen kommunizieren…“
unfreiwil ig
passive Erinnerung
Das allseits bekannte Internetlexikon Wikipedia definiert den Begriff
folgendermaßen:
der Erinnerung (Psychologie)
„Erinnerung ist das mentale Wiedererleben früherer Erlebnisse und Erfahrungen.“1
Erinnerung
aktive Erinnerung
Speicherplatz nicht
unerschöpflich
unzuverlässig
Wichtiges von
Unwichtigem
unterscheiden!
Es wird außerdem festgehalten, dass die Erinnerung in zwei Formen des Erinnerns eingeteilt
werden kann, erstens die aktive Erinnerung und zweitens die passive Erinnerung.
Interessant daran ist die Theorie, die von den Lehrenden der Psychologie verfolgt wird. Sie besagt,
dass Menschen, die aktiv etwas erinnern, viel konstruieren, indem sie, vielleicht ohne es bewusst
zu merken, etwas dazu erfinden oder etwas Erlebtes weglassen. Zwar ist auch das unwillkürliche,
passive Erinnern nicht immer wahrheitsgetreu und Schematisierungen unterworfen, selbst wenn man
bei flashbacks das Gefühl hat, sich besonders detailliert und mit großer Gewissheit der Dinge, zu
erinnern. Es konnte jedoch in empirischen Studien gezeigt werden, dass aktives Erinnern, das vor dem
Hintergrund bestimmter Vorgaben abläuft, unzuverlässiger ist als unfreiwilliges Erinnern.2
Allgemein wird angenommen, dass der größte Feind des Erinnerns in jedem Fall das Vergessen ist.
Verschiedene Studien der Hirnforschung zeigen jedoch ein anderes Bild: Sie besagen, dass das
Gedächtnis nicht über beliebig viel Speicherplatz verfügt. Während im Langzeitgedächtnis die
Ressourcen fast unerschöpflich sind, haushaltet zumindest das Kurzzeitgedächtnis sehr sparsam mit
seinem Speicherplatz. In diesem Zusammenhang entdecken Gedächtnisforscher nun eine besondere
Kunst: das absichtliche Vergessen. Wer diese beherrscht, kann sich Wichtiges besser
merken. Im Gegensatz zu dem der sich an alles erinnern will, er behält weniger. So lehren uns die
„Vergessensforscher“ also, dass Vergänglichkeit auch Vorteile bringt: Wer unnützes Wissen umgehend
wieder loslässt, reserviert Speicherplatz für Wichtiges.3
1
Online unter URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Erinnerung_(Psychologie)
2
Vgl. Leuzinger-Bohleber, 2006, S.60.
3
Vgl. Etzold, 2003, Online unter URL: http://www.zeit.de/2003/40/Vergessen
9
Das Gedächtnis
„Unter Gedächtnis versteht man die Fähigkeit des Nervensystems von Lebewesen, aufgenommene
Informationen zu behalten, zu ordnen und wieder abzurufen. Die gespeicherten Informationen sind das
Ergebnis von bewussten oder unbewussten Lernprozessen, die Fähigkeit zur Gedächtnisbildung ist
Ausdruck der Plastizität von neuronalen Systemen. Im übertragenen Sinne wird das Wort Gedächtnis
auch allgemein für die Speicherung von Informationen in anderen biologischen und technischen
Gebieten benutzt.“4
Der Begriff Gedächtnis umschreibt somit den Speicher
kollektives
Gedächtnis
der Erinnerungen.
Die wesentlichen drei Entdeckungen im Zusammenhang mit dem Thema Erinnerung und Gedächtnis
des 20. Jahrhunderts sind Halbwachs’ Abhängigkeit des Gedächtnisses von sozialen
Rahmen, Freuds Entdeckung der Nachträglichkeit und das Modell der rezenten
Hirnforschung vom Funktionsgedächtnis.5 Auf diese möchte ich nun näher eingehen.
Maurice Halbwachs und das kollektive Gedächtnis 6
Die zentrale These, die Halbwachs in all seinen Werken vertritt, ist die von der sozialen Bedingtheit
des Gedächtnisses, bei der Erinnerungswissen durch den Austausch zwischen Individuen und
innerhalb von sozialen Rahmen hergestellt wird. Das heißt umgekehrt: die sozialen Rahmen sind
Bedingung für das Erinnern des Einzelnen.7
4
Online unter URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Gedächtnis
5
Vgl. Sieder, 2006, Online unter URL: www.univie.ac.at/culturalstudies/studium/csi-b_handouts_
ss06/csi-b_handouts_2006-06-12.doc, S.5.
6
Vgl. Online unter URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Maurice_Halbwachs
7
Sieder, 2006, Online unter URL: www.univie.ac.at/culturalstudies/studium/csi-b_handouts_ss06/
csi-b_handouts_2006-06-12.doc, S.1.
Maurice Halbwachs, geboren am 11. März 1877 in Reims, war ein
französischer Soziologe und Philosoph, dessen Werk bis heute das
Konzept des kollektiven Gedächtnisses maßgeblich mitprägt.
Halbwachs besuchte die École Normale Supérieure in Paris und studierte dort Philosophie bei Henri Bergson. 1905 wandte er sich als
Schüler Émile Durkheims der Soziologie zu.
Nach dem ersten Weltkrieg wird er Professor der Soziologie und
Pädagogik an der französischen Universität Straßburg. Er arbeitete
1932 als Gastprofessor für ein Jahr an der University of Chicago
und wurde 1935 von Straßburg an die Sorbonne berufen. Dort lehrte er Soziologie, arbeitete eng mit Marcel Mauss zusammen und
gab die Annales de Sociologie, die Nachfolgezeitschrift der Année
Sociologique heraus. 1944 folgte er dem Ruf auf den Lehrstuhl für
Sozialpsychologie des Collège de France.
Am 23. Juli 1944 wird der Sozialist Halbwachs, der an mehreren
linken Zeitschriften mitarbeitet, von der Gestapo verhaftet und in das
KZ Buchenwald gebracht, wo er am 16. März 1945 stirbt. 6
„Es gibt kein mögliches Gedächtnis außerhalb derjenigen Bezugsrahmen, deren sich die in der Gesellschaft lebenden Menschen bedienen, um ihre Erinnerungen zu fixieren und wiederzufinden.“ 8
Halbwachs sieht bei seiner Theorie vollkommen von der körperlichen, d.h. neuronalen und
hirnphysiologischen Basis des Gedächtnisses ab und stellt stattdessen die sozialen Bezugsrahmen
heraus, ohne die kein individuelles Gedächtnis sich konstituieren und erhalten könnte.
Er deutet sogar an, dass ein in völliger Einsamkeit aufwachsendes Individuum gar kein
Gedächtnis habe, da dieses dem Menschen erst im Prozess seiner Sozialisation zuwächst. 8
Laut Halbwachs ist zwar immer nur der Einzelne, derjenige der Gedächtnis „hat“, aber dieses
Gedächtnis ist kollektiv geprägt. Die Rede vom „kollektiven Gedächtnis“ ist nicht metaphorisch
zu verstehen.9 Es ist aber natürlich auch kein Gedächtnis mit einem menschlichen Organ, wie es
das Gehirn ist. So haben Kollektive zwar kein Gedächtnis in diesem Sinne, aber sie bestimmen
das Gedächtnis ihrer Glieder durch Kommunikation. Denn Erinnerungen, auch solche
persönlichster Art, entstehen nur durch Kommunikation und Interaktion im Rahmen sozialer Gruppen.
Dabei erinnern wir uns nicht nur an Dinge, die wir von anderen erfahren, sondern auch, an das was
uns andere erzählen und was uns von anderen als bedeutsam bestätigt und zurückgespiegelt wird.
Das Gedächtnis lebt und erhält sich in der Kommunikation.10
Wenn dieser soziale Rahmen nun aber nicht mehr existiert (weil sich z.B. ein ehemaliger Freundeskreis
nie mehr in seiner ursprünglichen Zusammensetzung trifft) oder ein sozialer Rahmen durch einen
anderen abgelöst wird, hat das Gedächtnis der aufgelösten Gruppe keinen Ort mehr an dem es
kommunizieren kann und hört dadurch auf zu existieren. Die Folge ist, dass die ehemals beteiligten
Individuen die Erinnerungen der sozialen Gruppe, welche nun keinen Bezusrahmen mehr haben,
vergessen.11
8
Halbwachs, 1966, Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, S. 121.
9
Vgl. Assmann, 2007, S.35f.
10
Vgl. Assmann, 2007, S.35f.
11
Sieder, 2006, Online unter URL: www.univie.ac.at/culturalstudies/studium/csi-b_
handouts_ss06/csi-b_handouts_2006-06-12.doc, S.1.
11
Wann ist ein Gedächtnis nun individuell, wann kollektiv?
Vom Individuum aus gesehen ist das Gedächtnis ein Agglomerat an Erinnerungen, das sich aus seiner
Teilhabe an einer Vielfalt von Gruppengedächtnissen ergibt. Von einer Gruppe aus gesehen stellt
es sich als eine Frage der Distribution dar, als ein Wissen, das sie unter ihren Mitgliedern verteilt.
Die Erinnerungen bilden jeweils ein „unabhängiges System“, dessen Elemente sich gegenseitig
stützen und bestimmen, sowohl was das Individuum betrifft, als auch im Rahmen der Gruppe. Es
ist für Halbwachs daher wichtig, das individuelle und das kollektive Gedächtnis zu unterscheiden.
Individuell wird ein Gedächtnis dadurch, dass es eine einzigartige, sich nicht wiederholende
Verbindung, verschiedener Kollektivgedächtnisse darstellt.1213
Laut Jan Assmann stellt man sich das Gedächtnis zunächst als ein reines Innenphänomen vor,
lokalisiert im Gehirn des Individuums und somit ein Thema der Gehirnphysiologie, Neurologie und
Psychologie, aber nicht der historischen Kulturwissenschaften. Was dieses Gedächtnis aber inhaltlich
aufnimmt, wie es diese Inhalte organisiert, wie es sie zu behalten vermag, ist weitestgehend keine
Frage innerer Kapazität und Steuerung, sondern äußerer, d.h. gesellschaftlicher und kultureller
Rahmenbedingungen.14
Er teilt anschließend, das kollektive Gedächtnis nach Halbwachs in die Begriffe kommunikatives und
kulturelles Gedächtnis ein. Beides sind Begriffe die sich auf die Außendimension des Gehirns beziehen.
Er definiert außerdem zwei weitere Begriffe dieser Außendimension: das mimetische Gedächtnis und
das Gedächtnis der Dinge:
Jan Assmann, geboren am
7. Juli 1938 in Langelsheim; eigentlich Johann Chr. Assmann, ist ein deutscher Ägyptologe, Religions- und Kulturwissenschaftler.
Assmann studierte Ägyptologie, Klassische Archäologie und Gräzistik in München, Heidelberg, Paris und Göttingen. 1966/1967
erhielt er ein Reisestipendium des Deutschen Archäologischen
Instituts in Kairo, an dem er von 1967 bis 1971 beschäftigt war.
1971 habilitierte er sich und war von 1976 bis 2003 Professor
für Ägyptologie in Heidelberg, seither ist er Honorarprofessor
für allgemeine Kulturwissenschaft an der Universität Konstanz.
International bekannt wird Jan Assmann, mit der Theorie des kulturellen Gedächtnisses, die er als Kulturwissenschaftler zusammen mit seiner Frau Aleida Assmann entwickelte.13
kommunikatives Gedächtnis
mimetisches Gedächtnis
12
Vgl. Assmann, 2007, S. 35f.
13
Vgl. Online unter URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Jan_Assmann
14
Vgl. Assmann, 2007, S.19f.
Das mimetische Gedächtnis
Außendi
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o
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des Gehirns
bezieht sich auf das Handeln, hier geschieht das Lernen durch Nachmachen.
Die Verwendung von schriftlichen Handlungsanleitungen wie Gebrauchsanweisungen,
Kochbüchern, Bauanleitungen etc. ist eine verhältnismäßig späte und nie vollständig
durchgreifende Entwicklung, denn handeln lässt sich nie vollständig kodifizieren.
Auch heute beruhen weite Bereiche des Alltaghandelns, von Brauch und Sitte noch immer auf
mimetischen Traditionen.15
Das Gedächtnis der Dinge
kulturelles Gedächtnis
Der Mensch ist immer schon von Dingen umgeben, die für ihn der Vorstellung von Zweckmäßigkeit,
Bequemlichkeit und Schönheit entsprechen, seien es alltägliche und intime Gerätschaften, wie
zum Beispiel das Bett, der Stuhl, Kleidung und Werkzeug oder gar Häuser, Dörfer und Städte.
Diese Dinge spiegeln ihm ein Bild seiner selbst wider, erinnern ihn an sich, seine
Vergangenheit, seine Vorfahren usw. Die Dingwelt, in der er lebt, hat einen Zeitindex, welcher mit
der Gegenwart zugleich auch auf verschiedene Vergangenheitsschichten deutet.16
Sprache und Kommunikation: das kommunikative Gedächtnis
das Gedächtnis der Dinge
Auch die Sprache und die Fähigkeit, mit anderen zu kommunizieren, entwickelt der Mensch nicht
von innen, aus sich heraus, sondern nur im Austausch mit anderen. Denn Bewusstsein und
Gedächtnis bauen sich im Einzelnen nur durch Teilnahme an Interaktionen mit anderen
Individuen auf.17
15
Vgl. Assmann, 2007, S.19f.
16
Vgl. Assmann, 2007, S.19f.
17
Vgl. Assmann, 2007, S.19f.
13
Die Überlieferung des Sinns: das kulturelle Gedächtnis
Das kulturelle Gedächtnis schlussendlich, bildet einen Raum, in den alle drei vorher definierten
Bereiche mehr oder weniger bruchlos übergehen. Wenn zum Beispiel mimetische Routinen
den Status von „Riten“ annehmen, wenn sie also zusätzlich zu ihrer Zweckbedeutung noch eine
Sinnbedeutung besitzen, wird der Bereich des mimetischen Handlungsgedächtnisses
überschritten. Riten gehören in den Bereich des kulturellen Gedächtnisses, da sie
eine Überlieferungsund Vergegenwärtigungsform des kulturellen Sinnes darstellen.
Dies gilt außerdem für Dinge, wenn sie nicht nur auf einen Zweck, sondern auf einen Sinn verweisen.
Sie werden zu Symbolen, Ikonen, Repräsentationen wie beispielsweise Denksteine, Grabmale,
Tempel, Idole usw. Sie überschreiten den Horizont des Dinggedächtnisses, weil sie den
impliziten Zeit- und Identitätsindex explizit machen.18
Rezente Gedächtnis-Forschung
Die in den letzten Jahren betriebene Gedächtnisforschung hat neue Vorstellungen und Modelle
vom Gedächtnis hervorgebracht, wobei die rezente Gedächtnisforschung mehrere, miteinander
kommunizierende Gedächtnissysteme (des deklarativen Gedächtnisses) kennt und voneinander
unterscheidet:
das episodische Gedächtnissystem19
speichert spezifische Ereignisse, von denen eine Erzählung oder ein Bericht gegeben
werden kann. Diese verarbeiteten und gespeicherten Informationen beziehen sich auf eigene
Erfahrungen durch Ereignisse, die einen unmittelbar betroffen haben, mit Rücksicht
auf die zeitliche Sequenz der erlebten Episoden (es ist also autobiographisch angelegt).
Das episodische Gedächtnis kann als Produkt der Interaktion mehrerer Gehirne und einer sozialen
18
Vgl. Assmann, 2007, S.19f.
19
Sieder, 2006, Online unter URL: www.univie.ac.at/culturalstudies/studium/csi-b_handouts_ss06/
csi-b_handouts_2006-06-12.doc, S.2.
episodisches
Gedächtnissystem
Umwelt, die diese Interaktion kontextualisiert und bestimmt, gesehen werden.
semantisches
Gedächtnissystem
Demgegenüber enthält
das semantische Gedächtnissystem
das „Weltwissen“ einer Person, es speichert kognitives Wissen z.B. Wissen über Sprache
(Grammatik, Wörter, Sätze und Texte), Symbole und Formeln der Mathematik, Physik etc.
Die Wissenseinheiten sind nicht zeitlich, sondern konzeptuell miteinander verbunden und organisiert.
Die Inhalte beider Gedächtnissysteme können prinzipiell bewusst erinnert werden. In der Regel wird
allerdings lediglich die Information im episodischen Gedächtnis bewusst verarbeitet, was oft mentale
Anstrengung erfordert. Wohingegen die Informationen aus dem semantischen Gedächtnis automatisch
und ohne besondere Anstrengung aktualisiert werden.20
autobiographisches
Gedächtnissystem
autobiographische Gedächtnissystem schlussendlich bringt das Gewusste
und Erlebte des episodischen Gedächtnisses in einen größeren lebensgeschichtlichen
Zusammenhang (Kohärenz).21
Das
Diese drei Gedächtnissysteme sind – systemtheoretisch gesprochen – füreinander Umwelt. Die
Umwelt schickt Reize an ein System, dieses wiederum, reagiert auf den Reiz nach seinen eigenen
Möglichkeiten. Ein Ereignis im einen Gedächtnissystem hat spezifische Folgen für ein anderes
Gedächtnissystem. So wird beispielsweise ein Ereignis, das im episodischen Gedächtnissystem
erinnert wird, im autobiographischen Gedächtnissystem auf seine Bedeutung (Relevanz) geprüft und
gegebenenfalls mit anderen Ereignissen in einen zeitlichen oder kausalen Zusammenhang
gebracht. Das Ereignis erhält seinen Platz im autobiographischen Gedächtnis.
Für die Kulturwissenschaften scheint vor allem dieses autobiographische Gedächtnissystem
von größter Bedeutung. Es verschafft dem Menschen überhaupt erst die Möglichkeit, sich eine
20
Stangl, Online unter URL: http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEDAECHTNIS/ModelleInhalt.shtml
21
Sieder, 2006, Online unter URL: www.univie.ac.at/culturalstudies/studium/csi-b_handouts_ ss06/
csi-b_handouts_2006-06-12.doc, S.2.
15
Geschichte zu konstruieren und diese Geschichte als Ressource einzusetzen: sei es in den
intimen Beziehungen, im Berufsleben, in der künstlerischen oder wissenschaftlichen Arbeit usw. Es
ist zwangsläufig ego-zentriert, setzt bei den durch Ereignisse ausgelösten Affekten und Emotionen
ein und führt schlussendlich zur Formulierung von Erzählungen. Erst durch das autobiographische
Gedächtnis des Menschen kann Kultur entstehen!22
Der Raum- und Zeitbezug des autobiographischen Gedächtnisses
Die Erinnerungen dieses Gedächtnisses sind raum- und zeitkonkret, d.h. Räume und Zeit
werden durch Kollektive festgelegt, benannt und verwaltet. Es neigt also zur Verräumlichung,
Verörtlichung und Verzeitlichung der Ereignisse, die es rekonstruiert und in Zusammenhänge
stellt. Verräumlichung, Verörtlichung und Verzeitlichung erfolgen jedoch anders als in anderen
Denksystemen, wie zum Beispiel in der Physik, der Geographie usw. Der Raum, der hier vorgestellt
wird, ist ein erlebter Raum, der Ort ein erlebter Ort, die Zeit eine erlebte Zeit. Das im Mittelpunkt der
Wahrnehmung stehende Organ ist der Leib (Psyche und Physis), der sich allerdings im Lauf des
Lebens verändert und zum Tod hin verfällt.23
Immer wenn sich das autobiographische Gedächtnis nun Ort, Raum und Zeit konstruiert,
erinnert es auch Eigenschaften der Orte, Räume und Zeiten, und jener Personen, die hier
gehandelt haben. Eine solche Erinnerung ist also immer qualitativ und evaluierend.
Der Mensch verschafft sich über sein autobiographisches Gedächtnis eine Vorstellung von seiner
eigenen Herkunft anhand von qualitativ bestimmten und subjektiven Zeiten, Orten und Räumen. Diese
Vorstellung wiederum geht ein in die Vorstellung und das Gefühl von sich selbst: in die personale
Identität.24
22
Sieder, 2006, Online unter URL: www.univie.ac.at/culturalstudies/studium/csi-b_handouts_ss06/
csi-b_handouts_2006-06-12.doc, S.2.
23
Sieder, 2006, Online unter URL: www.univie.ac.at/culturalstudies/studium/csi-b_handouts_ss06/
csi-b_handouts_2006-06-12.doc, S.2f
24
Sieder, 2006, Online unter URL: www.univie.ac.at/culturalstudies/studium/csi-b_handouts_ss06/
csi-b_handouts_2006-06-12.doc, S.3f
17
Doch dann stellt sich die Frage:
wie verlässlich ist nun diese autobiographische
Gedächtnissystem wirklich?
Systems besteht zunächst darin, temporale und kausale
zwischen verschiedenen Ereignissen herzustellen. Diese werden
immer erst im Nachhinein hergestellt, das heißt, das Gedächtnis rekonstruiert Dinge.
Dies ist vor allem deshalb relevant, da ein Handlungsgeschehen für ein Subjekt in
der Gegenwart relativ ergebnisoffen ist, im Rückblick jedoch ist schon entschieden
worden und es wird nicht mehr in Frage gestellt warum für was entschieden wurde.
Erfolgt nun eine Bewertung, die Entscheidung über einen Stellenwert, Platz des Ereignisses in einem
autobiographischen Zusammenhang, ist immer der in der Gegenwart sich Erinnernde, der dem
Erinnerten aktuelle Bedeutung zuweist. Mitunter erhält dann eine Bewertung von „damals“, eine
neue Bewertung.
Die
Leistung
des
Verknüpfungen
Daniel Schacter, geboren am 17.06.1952 in New York, studierte an der
University of North Carolina at Chapel Hill und der University of Toronto.
Schacter ist Professor der Psychologie an der Harvard University. Er erforscht hauptsächlich die psychologischen und biologischen Aspekte des
menschlichen Gedächtnisses, mit Schwerpunkt auf den Unterschied zwischen bewussten und unbewussten Formen der Erinnerung. 26
Sigmund Freud hielt diesen Vorgang, den er „Modus der Nachträglichkeit“
nennt,
für
das
Prinzip
alles
gesunden
sowie
pathologischen
Seelenlebens.
Hier sind sich Freud, Halbwachs und teilweise auch die rezente Hirnforschung einig.25
Weitere Indizien für die Unzuverlässigkeit des autobiographischen Gedächtnisses liefert uns Daniel
Schacter. In seinem Buch The Seven Sins of Memory: How the Mind Forgets and Remembers
(2001) listet er die sieben Sünden des Gedächtnisses bzw. Gedächtnisfehler auf:26
25
Louis Althusser Louis, Für Marx, Frankfurt am Main 1968 (Suhrkamp).
26
Vgl. Online unter URL: http://en.wikipedia.org/wiki/Daniel_Schacter
Die drei Sünden des Vergessens:
Transcience – Flüchtigkeit
Das Verblassen der Erinnerung:
Hirnphysiologisch gesehen lösen sich synaptische Verknüpfungen wieder auf, wenn die
Synapsen im Gehirn längere Zeit nicht mehr auf eine bestimmte Weise verschaltet worden
sind, wodurch die gespeicherte Information verloren geht. Vergessen wird also, was
über längere Zeit nicht mehr kommuniziert wird (In diesem Punkt stimmt die alte Theorie
Halbwachs’ durchaus mit der aktuellen Sicht der Hirnforschung überein.).
Unaufmerksamkeit
Absent-Mindedness – Unaufmerksamkeit
Die Selektivität der „Einspeicherung“
Mangelnde Aufmerksamkeit der Personen für Einzelheiten, beispielsweise aus fehlendem
Interesse, führt zu fehlerhafter Enkodierung. Blocking – Blockierung
Die Blockade einer Erinnerung:
Offenbar gibt es hirnphysiologische Möglichkeiten, ein Engramm bzw. dessen Abrufung zu
blockieren. Die gespeicherte Information ist somit nicht zugänglich.
Bias
Die drei Sünden des Verzerrens:
Misattribution – Falsch-Zuordnung
Fehlerinnerungen:
Hier werden Quellen verwechselt oder vergessen. Trotzdem sind wir oft überzeugt,
uns richtig zu erinnern, weil uns das Erinnerte sprichwörtlich, „vor Augen steht“.
Die Ursache dafür ist, dass phantasierte, so nie gesehene Bilder und einmal wirklich
gesehene Bilder von genau denselben Gehirnregionen rezipiert werden. Ob ich das Bild
wirklich mit dem Auge gesehen oder es mir nur vorgestellt habe, macht für die Rezeption
des Visuellen im Gehirn offenbar keinen Unterschied.
Falsch-Zuordnung
19
sieben Sünden des
Gedächtnisses
Suggestibility – Beeinflussbarkeit
Die besondere Vorstellungskraft der Erinnerung:
Das Gehirn kann sich etwas vorstellen, woran der Mensch dann auch glaubt, obwohl es
‚nur’ seiner Vorstellung entspringt. Trotzdem bleiben diese Fehlinformationen im Gedächtnis.
Bias - Bias
Die Verzerrung von Erinnerungen:
Erinnerungen sind durch aktuelle Überzeugungen und Annahmen der sich erinnernden
Person gefärbt. Es lässt sich zum Beispiel nachweisen, dass bestimmte Muster einer
fremden Kultur im Sinn eines bekannten Musters „verzerrt“ erinnert werden. So wird das
Fremde immer über das vertraute Eigene wahrgenommen und man erkennt im Fremden,
was man am Eigenen kennt. Folglich wird das Fremde partiell verkannt.
Blockierung
Beeinflussbarkeit
Flüchtigkeit
Persistenz
Die Sünde des Sich-Aufdrängens:
Persistence – Persistenz
Die Persistenz von Erinnerungen:
Manche Erinnerungen wollen nicht vergehen, lassen sich nicht ausschalten, obwohl
man sie eigentlich loswerden möchte. In diesem Zusammenhang relevant sind vor allem
Traumata und Depressionen. 27 28
xxWas für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des autobiographischen Gedächtnisses wichtig
ist, ist die Tatsache dass es nicht unterscheidet zwischen „wahren“ und „falschen“
27
Vgl. Myers, 2008, S.409.
28
Sieder, 2006, Online unter URL: www.univie.ac.at/culturalstudies/studium/csi-b_handouts_ss06/
csi-b_handouts_2006-06-12.doc, S.6f.
Erinnerungen. „Es ist nicht sein eigener Richter. Es erinnert was es erinnert.“ Wahre und falsche
Erinnerung fühlen sich für den sich Erinnernden genau gleich an. Das geht so weit, das sogar eine
„falsche Erinnerung“ echte Emotionen wecken kann.
Das autobiographische Gedächtnis ist also durchaus kritisch zu lesen. 29
Angesichts der Eigenart des menschlichen Gedächtnisses (s. o.) könnte sogar der Eindruck
entstehen, das Verhältnis zwischen dem, was die Subjekte erlebt haben, was sie darüber erzählen
und wie sie daraus ihre Zukunft entwerfen, sei höchst unzuverlässig und ideologisch, gar beliebig.
Es sind jedoch auch drei Faktoren (werden im Folgenden erläuert30), definiert von Aleida Assman, zu
nennen, die sie als Stabilisatoren des autobiographischen Gedächtnisses bezeichnet: 31
Der Affekt
Jedes Erleben löst einen Affekt aus, der von der erlebenden Person einer ersten (stillen oder lauten)
Ansprache unterworfen wird und in dem meisten Fällen darüber in den Zustand einer Emotion oder
eines Gefühls überführt wird.
Ist ein sozial-kultureller Rahmen vorhanden, der es uns nahelegt und ermöglicht, können und werden
wir dieses Gefühl kommunizieren. Ist diese Möglichkeit ein Gefühl zu kommunizieren jedoch
dauerhaft nicht gegeben, kann dies zu psychischen und sozialen Schwierigkeiten führen.
Einer kulturpsychologischen Theorie32 folgend, kommt das durch den Affekt nachhaltig Markierte
anfangs relativ beziehungslos neben anderen Affekten zu stehen: man könnte es als eine Art ProtoNarrativ bezeichnen. Zu diesem Zeitpunkt ist es sozusagen noch nicht in Worte gefasst. Nun setzt
aber – vorangetrieben durch den bedrängenden Affekt – der Vorgang der Symbolisierung ein:
29
Sieder, 2006, Online unter URL: www.univie.ac.at/culturalstudies/studium/csi-b_handouts_ss06/
csi-b_handouts_2006-06-12.doc, S.4f.
30
Assmann, 1998. S.131-152.
31
Sieder, 2006, Online unter URL: www.univie.ac.at/culturalstudies/studium/csi-b_handouts_ss06/
csi-b_handouts_2006-06-12.doc, S.5.
32
Vgl. Online unter URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Aleida_Assmann
Aleida Assmann, geboren am 22. März 1947 in Gadderbaum, heute zu Bielefeld, ist eine deutsche Anglistin, Ägyptologin, Literatur- und Kulturwissenschaftlerin.
Sie studierte von 1966 bis 1972 Anglistik und Ägyptologie in Heidelberg und Tübingen. 1977 promovierte sie
im Fach Anglistik in Heidelberg. 1992 habilitierte sie sich
an der Neuphilologischen Fakultät der Universität Heidelberg, 1993 folgte sie einem Ruf auf den Lehrstuhl für
Anglistik und Allgemeine Literaturwissenschaft an der
Universität Konstanz. 2001 wurde sie zum Fellow der
Princeton University in New Jersey ernannt. Im SS 2005
hatte sie die „Peter-Ustinov-Gastprofessur“ an der Universität Wien inne. 32
Das Erlebte wird „zur Sprache gebracht“, es wird ein Narrativ produziert. Dieses rekonstruiert das
Geschehen, hebt dabei relevante Elemente hervor und bewertet diese. Vor allem aber befragt es das
Geschehene auf seine Bedeutung für einen größeren autobiographischen oder auch historischen
Zusammenhang. Erst durch diesen Prozess erhält das Erlebnis seinen biographischen oder
seinen historischen Sinn. Diese Theorie der Symbolisierung entspricht weitestgehend der rezenten
Theorie der Gedächtnissysteme.
Stabilisatoren
Trauma
Die Symbolisierung
Affekt
des
gerade
Erlebten,
des
Proto-Narrativs,
erfolgt
in
zwei
Schritten:
1) Es werden Worte, Sätze und/oder Bilder gefunden und erfunden, die das
Geschehen sprachlich oder bildlich oder auch im körperlichen Habitus des Erzählers fassen.
2) Die mehrfache Wiederholung des Narrativs hebt es in den Rang einer Anekdote, eine
bewährte Erzählung, die von Mal zu Mal „geschliffener“ und „erprobter“ wird.33
Das Trauma / Die Verdrängung:
„Was für die Erinnerungen der Jugend der Affekt ist, ist
für die Erinnerungen des Alters das Symbol.“35
Symbolisierung
Affekt, den ein Ereignis auslöst, ein für die Person erträgliches Maß
übersteigt, entsteht ein Sonderfall der Stabilisierung: Das Geschehen wirkt traumatisierend.
In diesem Fall kann das Protonarrativ nicht symbolisiert und deshalb auch nicht in eine
Erzählung übersetzt werden. „Trauma, das ist die Unmöglichkeit der Narration.“34
Wenn der
Das Trauma ist also das Gegenteil von Vergessen, aber es ist auch nicht Erinnern.35 Ähnliches kann
man über den Vorgang der Verdrängung sagen. Auch hier wird nicht vergessen, aber auch nicht
in Erzählung transformiert. Das Verdrängte bleibt somit bestehen und kehrt unter Umständen
wieder. Nämlich in so genannten Symptombildungen, d. i. in Äußerungen und Handlungen, über die
der Betroffene wenig Kontrolle und keine volle Klarheit über ihren Zusammenhang mit dem auslösenden
Erlebnis hat.
33
Jerome Bruner, Sinn, Kultur und Ich-Identität. Zur Kulturpsychologie des Sinns, Heidelberg 1997.
34
Assmann, 2006, S.257.
35
Assmann, 2006, S.264.
21
Zusammenfassend kann man sagen, dass die je eigenen biographischen Erinnerungen
unentbehrlich sind, denn sie sind der Stoff, aus dem Erfahrungen, Beziehungen und vor
allem das Bild der eigenen Identität gemacht ist. Allerdings ist immer nur ein kleiner Teil der
Erinnerungen sprachlich aufbereitet und bildet das Rückgrat einer impliziten Lebensgeschichte. Man
könnte es so ausdrücken, dass der Großteil unserer Erinnerungen in uns ‚schlummert‘
und darauf wartet, durch einen äußeren Anlass ‚geweckt‘ zu werden. Passiert dies werden die
Erinnerungen plötzlich bewusst, gewinnen noch einmal eine sinnliche Präsenz und können unter
entsprechenden Umständen in Worte gefasst und zum Bestand des verfügbaren Repertoires
hinzugefügt werden. Abgesehen von den verfügbaren und den unverfügbaren Erinnerungen gibt es
noch die unzugänglichen Erinnerungen, welche aufgrund eines Traumas oder Depressionen unter
Verschluss gehalten werden. Sie sind oft zu schmerzhaft oder zu beschämend, um ohne äußere Hilfe,
sei es durch Therapie oder Druck, ins Bewusstsein zurückgeholt werden zu können.
Erinnerungen gelten bestimmte Merkmale, die sich
Für die episodischen
verallgemeinernd festhalten lassen. Erstens sind sie grundsätzlich perspektivisch,
subjektiv und deshalb nicht austauschbar und unübertragbar.
also
Zweitens existieren Erinnerungen nicht isoliert, sondern sind immer mit den Erinnerungen anderer
vernetzt. Durch die Kreuzung, Überlappung und Anschlussfähigkeit bestätigen
und festigen sie sich gegenseitig und gewinnen dadurch nicht nur an Kohärenz und
Glaubwürdigkeit, sondern wirken sie auch verbindend und gemeinschaftsbildend.
betrachtet fragmentarisch, d.h. begrenzt
Drittens sind Erinnerungen einzeln
und ungeformt. Was als Erinnerung aufblitzt, sind in der Regel ausgeschnittene,
unverbundene Momente, ohne ein Vorher und Nachher. Sie erhalten erst im Nachhinein
mithilfe von Erzählungen eine Form und Struktur, die sie zugleich ergänzt und stabilisiert.
Viertens sind Erinnerungen flüchtig und labil. Manche ändern sich im Lauf der Zeit (man erinnere sich
an das Prinzip der Nachträglichkeit) mit der Veränderung der Person und ihrer Lebensumstände, andere
verblassen oder gehen ganz verloren. Insbesondere verändern sich die Relevanzstrukturen
und Bewertungsmuster, mit Hilfe derer man Erinnertes und Erlebtes beurteilt, im Laufe des Lebens,
sodass ehemals Wichtiges nach und nach unwichtig und ehemals Unwichtiges in der Rückschau
wichtig werden kann. Die in Erzählungen gebundenen und oft wiederholten Erinnerungen sind am
wirken verbindend
gemeinschaftsbildend
Erinnerungen
flüchtig
besten konserviert, trotzdem sind auch ihnen feste zeitliche Grenzen gesetzt: mit dem Ableben ihres
Trägers lösen sie sich notwendig wieder auf.
existieren nicht isoliert
Sowohl für individuelle als auch kollektive Formen des Gedächtnisses gilt, dass sie perspektivisch
organisiert sind. Im Gegensatz zu Wissensspeichern ist das Gedächtnis nämlich nicht auf
größtmögliche Vollständigkeit eingestellt; es nimmt nicht beliebig viel in sich auf, sondern beruht auf
einer Auswahl. Vergessen ist deshalb ein konstitutiver Teil des individuellen wie des kollektiven
Gedächtnisses.
unübertragbar
unaustauschbar
labil
Der Begriff der ‚plastischen Kraft‘ des Gedächtnisses nach Nietzsche beschreibt die Fähigkeit,
eine möglichst klare Grenze zwischen Erinnern und Vergessen aufzurichten, die das Wichtige vom
Unwichtigen, oder, genauer: das Lebensdienliche vom Nichtlebensdienlichen scheidet. Ohne diese
Filter, so meinte Nietzsche, könne es keine Identitätsbildung und keine klare Handlungsorientierung
geben. Ein allzu vollgestopfter Wissensspeicher führt seiner Meinung nach zu einer Aufweichung des
Gedächtnisses und dadurch zu einem Verlust an Identität. 36
fragmentarisch
vernetzt
36
Vgl. Bohleber Werner, Die Entwicklung der Traumatheorie in der Psychoanalyse, in: Psyche 2000/54,
797-839.
23
02 Die Entwicklung der Musik
Ursprungsmythen 37
Es existiert eine Vielzahl von Ursprungsmythen der Musik, wobei für die meisten Völker der Welt die
Entstehung der Musik das Werk von Göttern und Geistern, übernatürlichen oder historisch
nicht greifbaren Personen ist.
So ist zum Beispiel nach chinesischer Mythologie die Tonleiter das Geschenk eines
Wundervogels. Im alten Ägypten beispielsweise war Thot, der Gott der Schreibkunst, gleichzeitig
Schöpfer der Musik aus dem Wortklang, und Hathor die Göttin von Tanz, Gesang und Kunst.
Für die Griechen galt der Musensohn Orpheus als Schöpfer des Tanzes und
der Musik. Der Sänger soll laut den Griechen Götter, Menschen, Tiere und
Pflanzen mit seiner Musik berührt und sogar Steine zum Weinen gebracht haben.
Die aztekischen Mythen besagen, dass ein Mensch die Musik auf Befehl Gottes von der Sonne holte.
Völker mit schamanistischen Vorstellungen wie beispielsweise die Inuit glauben, dass Melodien den
Menschen zu Beginn der Zeit durch Geisterbeschwörung vermittelt worden sind. Wiederum andere
indigene Völker wie die Seneca verbinden die Entstehung der Musik mit dem Besuch eines Gottes in
Menschengestalt oder dem Geschenk eines ersten Instruments, welches als heilig verehrt wird.
Erste Instrumente, Gesang
Die ersten bekannten zum Musizieren hergestellten Instrumente sind die Knochenflöten von
Geißenklösterle auf der Schwäbischen Alb und werden mit einem Alter von rund 35.000 Jahren datiert.
Der Großteil der Anthropologen und Evolutionspsychologen sind sich jedoch darüber einig, dass die
Musik noch viel früher zum Alltag des Menschen bzw. dessen Vorfahren gehörte. Warum
der Mensch im Verlauf der Evolution seine musikalischen Fähigkeiten erlangte, ist jedoch Unklar. Die
anatomischen Voraussetzungen für den differenzierten Gesang erhielt er vermutlich vor rund zwei
Millionenen Jahre durch eine Senkung des Kehlkopfes, die mit der Durchsetzung des aufrechten
Ganges einherging und einer Vergrößerung der Mundhöhle, welche nun ein größeres Spektrum an
Lauten produzieren konnte. Diese Entwicklung der Mundhöhle ist auf eine Umstellung der Nahrung hin zu
37
das gesamte Kapitel stützt sich auf folgenden Artikel:
Vgl. Online unter URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Aleida_Assmann
27
mehr fleischliches Kost und einer damit verbundenen Rückbildung des Kauapparates zurückzuführen.
Verschiedene Wissenschaftler sehen die Ursprünge der Musik deshalb als eine kommunikative
Anpassung an das Leben in größeren sozialen Gruppen. Wohingegen andere wiederum vermuten,
dass es sich um ein Merkmal handelt, dass sich hauptsächlich durch sexuelle Selektion entwickelt hat.
Neuere Ansätze gehen davon aus, dass beide Faktoren eine Rolle gespielt haben.
Historische Bedeutungsentwicklung
In einem Zeitraum der Jahrtausende umfasste, praktizierten die animistischen und schamanistischen
schriftlosen Hochkulturen Riten und Beschwörung von Geisteswesen. Teil
ihrer kultischen Zeremonien sind und waren Trommeln, Gesang und Tanz.
Die Sumerer beispielsweise pflegten die kultische Musik der staatlichen Priestermusiker und –
musikerinnen, welche gesungen, teilweise mit Instrumentalbegleitung, aber nie nur instrumental war.
Entsprechend der jeweiligen Funktionen bildeten sich verschiedene Genres heraus, zum Beispiel
Klagelieder, Götterhymen, für diese wiederum waren einzelne Musikergruppen zuständig.
Die Musik der alten Ägypter wird durch Hieroglypheninschriften, Grabdekorationen und
Musikinstrumente als Grabbeigaben dokumentiert. Die Musik stand im alten Ägypten noch ganz im
Zeichen des Kultes, dabei war der magische Tanz ein Masken- oder Waffentanz. Das Alte Reich
entwickelte als erste Kultur in Ergänzung einer ansatzweise vorhandenen Notenschrift die Chirnomie,
bei der der Leiter, gleich einem Dirigenten, einem Ensemble Tonschritte und Rhythmus durch genau
festgelegte Handbewegungen und Armstellungen vermittelte.
Mit der zunehmenden Differenzierung der sozialen Gruppen und dem technisch verbesserten Bau von
Instrumenten löste sich die Musik allmählich aus der kultischen Bindung.
Viele Kulturen bis in die Gegenwart kannten und kennen keinen eigenen Begriff für die Musik,
sie fassen sie als Einheit von Tanz, Kult und Sprache auf. Die griechische Antike bezeichnete sie als
eine Einheit von Poesie, Tanz und Tonkunst, aus der sich letztere durch einen Begriffseinengung löste.
Riten und
kultische Zeremonien
Unterscheidung zw.
Theorie und Praxis
Einheit von Tanz,
Kult und Sprache
Die mathematisch-rationale Musikauffassung schließlich wird auf Pythagoras zurückgeführt.
Platon und Aristoteles gelten wegen ihrer Beschäftigung mit der ästhetischen Wirkung der Musik
als Begründer der Musikphilosophie. Mit der Unterscheidung zwischen theoretischer Lehre und
praktischer Musikausübung, welche von Aristoxenos getroffen wurde, begann die Differenzierung von
Wissenschaft und Kunst, Vernunfterkenntnis und Sinneswahrnehmung.
Im Mittelalter war die Musik stark von Zahlenordnungen geprägt und so wurde in der Renaissance
erstmals die kreative Leistung des Komponisten, der durch Übung erworbenen handwerklichen
Meisterschaft vorgezogen.
schöpferischer Aspekt
subjektives Erleben und
Empfinden
Im 17. Jahrhundert setzte sich mit dem beginnenden Rationalismus der schöpferische Aspekt
durch. In der Romantik stand das persönliche, subjektive Erleben und Empfinden und
dessen metaphysische Bedeutung im Vordergrund. Gleichzeitig wurde die Unterhaltungsmusik immer
unabhängiger und wuchs seit Ende des 19. Jahrhunderts zu einem eigenen Zweig, der schließlich
Jazz, Pop- und Rockmusik mit einer Vielfalt an stark differenzierten Einzelgenres hervorbrachte. An
der Wende zum 20. Jahrhundert schließlich stieß die Musikgeschichtsforschung auf größtes Interesse
und mithilfe der Schallaufzeichnung wurde die technische Reproduktion von Musik möglich. Dadurch
gewann die Musik in allen ihren bekannten historischen, sozialen und ethnischen Formen eine bis
heute anhaltende Präsenz und Verfügbarkeit, die sich durch Massenmedien, zuletzt durch die
digitale Revolution, noch steigerte. Diese Tatsachen und der um 1910 einsetzende Stilpluralismus
der Moderne, während dem die „Neue Musik“ auf veränderte soziale Funktionen reagierte oder sie
selbst erst schuf, begründen ein verschwimmen der alten Grenzen von Gattungen, Stilen und Sparten
der U- und E-Musik. Das musikalische Denken der Postmoderne tendiert zu einem ästhetischen
Universalismus, der Außermusikalisches miteinbezieht, sei es multimedial oder im Sinne des
Gesamtkunstwerks, oder in der Hinwendung zu neuen Denkmodellen.
29
Der Einfluss von Medien Technik und Wirtschaft
Die Medien haben die ehrenvolle Aufgabe die flüchtig verklingende Musik festzuhalten, sie
für Mitmenschen und Nachwelt verfügbar zu machen und lassen die Musik erst entstehen.
Notation
Wird Musik nicht mündlich weitergegeben, wird sie oft festgehalten in Zeichensystemen, die
der visuellen Darstellung und Klärung der musikalischen Gedanken dienen, der Notation. Diese
überbrückt Zeit und Raum, kann aufbewahrt werden, reproduziert, vervielfältigt und
verbreitet, wodurch sie dazu dient Einblicke in den Schaffensvorgang eines Werks zu gewähren und
dessen musikalische Strukturen nachzuvollziehen. Zugleich schafft sie eine der Voraussetzungen, die
notwendig sind um zu komponieren und eine Kompositionsidee zu verwirklichen, da der musikalische
Gedanke in der Notation festgehalten wird. Dies geschieht je nach Kodierung mithilfe von Buchstaben,
Ziffern, diskreter oder nicht diskreter grafischer Zeichen.
Erste Notationen sind aus dem alten Ägypten und dem antiken Griechenland bekannt. Bereits um
das Jahr 1025 wurden die bis heute gültigen Notenlinien im Terzabstand und die Notenschlüssel
eingeführt. Die heute international gültige Standardnotation entstand im 17. Jahrhundert.
Notendruck
Kurz nach Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern (ca. 1450) begann auch
der Notendruck, welche eine verstärkt überregionale Verbreitung von Musikstücken zur Folge
hatte.
Reproduktionstechniken
1877 begann die Schallaufzeichnung mit Thomas Alva Edisons Phonographen. Zehn Jahre später
entwickelte Emil Berliner die erste Schallplatte, die Schellackplatte, und das dazu gehörige Grammophon.
Durch die bald darauf einsetzende Serienfertigung hielt die Musik aller Gattungen Einzug in die
Haushalte. Die Erfindung und Vermarktung der Schallplatte beeinflusste bald auch die Musik selbst.
Notation und
Reproduktionstechniken
Verschiedene technische Änderungen verbesserten das Medium Schallplatte. Besipielsweise
lies Polyvinylchlorid als Fertigungsmaterial schmalere Rillen zu, was wiederum die Spieldauer
verlängerte und die Tonqualität steigerte. Die schon vorher entwickelte Stereofonie führte 1958
zur Stereo-Schallplatte und in den 1960er zum zweikanaligen Rundfunk. Diese Entwicklung
erforderte eine neue Generation von Wiedergabegeräten, die Stereoanlage wurde geboren.
Tonbänder waren auch im privaten Bereich beliebt, besonders in Form von Compact Cassetten zum
Abspielen und Aufnehmen von Musik mithilfe des Kassettenrekordes oder zum mobilen
Einsatz im Walkman.
Zeit und Raum
überbrücken
Verbreitung
Verv
i
e
l
f
äl
t
i
g
ung
Aufbewahrung
1982 wurde schließlich die Compact Disc eingeführt, welche sich seither zum weltweiten Standard
auf dem Tonträgermarkt entwickelt hat. Sie steht am Anfang der digitalen Medien, mittels derer
Musik in höchster Qualität bei verhältnismäßig geringem Platzbedarf aufgezeichnet werden kann.
Die Entwicklung von Audioformaten wie beispielsweise des MP3 Formats waren ein weiterer Schritt
zur Digitalisierung, welche mit der Verbreitung von Computern einherging. Diese beschreiten einen
neuen Verbreitungsweg musikalischer Aufnahmen über das Internet in Form von herunterladbaren
Musikdateien.
Internet
Private Homepages, Fanseiten, Blogs und Nachschlagewerke bieten Informationen und
ermöglichen Kommunikation über musikbezogenen Themen im Internet. Webportale und
Plattformen nehmen heutzutage eine bedeutende Funktion für das Musikangebot
ein. Die Plattformen dienen teilweise sowohl der Selbstvermarktung von Musikern als auch
der Online-Zusammenarbeit und der Bildung sozialer Netzwerke durch Communitybildung.
Filesharing-Programme mithilfe derer Internetnutzer kostenlos Musik austauschen können, schaden
heute der Musikindustrie und führten bereits zu Klagen seitens derer oder einzelner Künstler.
31
Musik und Gesellschaft
Musik findet in der Gesellschaft statt und steht zu ihr in stetiger und gegenseitiger Abhängigkeit
und Einflussnahme. So wird die Musik in ihrer Produktion, bei der Komposition und Aufführung
von gesellschaftlichen Faktoren beeinflusst. Sie ist abhängig von den sozialen Rollen der
Menschen, die sie komponieren, spielen, hören, verbreiten, sammeln, kaufen, bevorzugen oder
ablehnen.Abhängig ist sie ebenfalls von den Institutionen, die durch Musik andererseits erst entstehen.
Sie bildet über ethische, ästhetische oder auch andere Welturteile Normen in Bezug auf das Verhalten
ihr gegenüber und ist in der Lage soziale Gruppen zu gründen und zu verändern. Sozialgeschichte
Seit dem Hochmittelalter hat sich das musikalische Leben vielfach gewandelt, in
sozialer wie in technischer Hinsicht. Es änderte sich nicht nur die Musik, sondern
auch das, was als Musik angesehen wurde, ihr Wesen und ihre Funktion.
Bis zum Beginn der Neuzeit war Musik entweder funktional, also beispielsweise mit Arbeit oder
Gottesdienst verbunden, oder sie hatte als Tanz- und Volksmusik Gemeinschaft gestiftet. Dies
wandelte sich jedoch zur Darbietung von Musik, welche von nun an als Kunstwerk um ihrer selbst
willen aufgenommen wurde. Sie musste sich nun nicht mehr das Interesse mit anderen
ganz alltäglichen Dingen wie der Arbeit oder dem Schlaf teilen, sondern wurde mit großer
Aufmerksamkeit gehört.
EIm Deutschen Reich traten Gesangvereine hervor: Ein gedrucktes und überregional verbreitetes
Repertoire an Chorwerken stiftete soziale Identität, die Feste des Deutschen Sängerbundes wurden zum
Ausdruck der nationalkulturellen Identitätsbildung. Verbesserte Reisemöglichkeiten durch Eisenbahn
und Dampfschifffahrt, begünstigten zudem diese Massenveranstaltungen. Das Virtuosentum im
Konzertsaal belebte den Musikmarkt und schuf die ersten international bekannten Stars.
Nach dem zweiten Weltkrieg bildete sich mit dem wachsenden Wohlstand breiterer
Gesellschaftsschichten langsam die Konsumgesellschaft, welche eine hohe Nachfrage
nach
elektrischem
Zubehör,
wie
Tonbandgeräten,
hervorrief.
Das
Transistorradio
Nordmende Transita aus den 1960er-Jahren galt als vorbildliches Produktdesign, war
Stel enwert ändert sich
tragbar, erschwinglich und wurde bald für viele Jugendliche zum Statussymbol.
Die Musikindustrie übernahm überwiegend die Ökonomisierung des vergangenen
Jahrhunderts, die Musikschaffenden wurden zu Arbeitnehmern einer sich konzentrierenden
Rundfunkanstalten dominiert
Industrie,
welche
von
Tonträgerherstellern
und
wurden. Letzere entschieden nun auch, welche Musik gehört wurde.
Die Erwartungshaltung des Publikums kehrte sich nach und nach um. Die breitere Medienverfügbarkeit
des Angebots führte zu einer unkonzentrierten und beschleunigten Rezeption, was sich wiederum auf
die Unterhaltungsmusik, den Jazz, Pop und Rock mit ihren zahlreichen eigenständigen Strömungen
auswirkte. Diese entstanden in der Spannung zwischen weiterer Standardisierung auf der einen,
wachsendem Innovationsdruck auf der anderen Seite.
Musikalische Sozialisation
Welche
Musikrichtungen wir bevorzugen hängt von vielen unterschiedlichen
Geschlecht und Sozialisation eine Rolle.
Faktoren ab, so spielen Alter,
Die Musikalische Sozialisation beschreibt die Ausbildung von Werten, Normen
und Regeln in Bezug auf Musik und die Ausbildung musikalischer Kompetenz.
Bei Kindern und Jugendlichen besteht generell ein Interesse an Musik. Welcher Art
Musik sich junge Menschen zuwenden bestimmt jedoch die musikalische Sozialisation.
Zwar
können
bestimmte
gesellschaftliche
Institutionen
wie
die
wahlfreies
Handeln.
Familie
diese
fördern,
sie
ist
aber
dennoch
Musikpädagogik kann die Sozialisation beeinflussen, wenn Betroffene ein Interesse zeigen und dazu
in der Lage sind.
Die Schule vermittelt zentrale Werte und Prinzipien, zu denen die ästhetische Bildung gehört.
Während das gemeinsame Singen bis in die 1950er Jahre der hauptsächliche Berührungspunkt mit
Musik gewesen ist, bekamen die Schulen mit der Ausbreitung der elektronischen Medien eine starke
Konkurrenz um den Zugang zur Musik. In der Regel haben bereits Kinder im Vorschulalter hinreichende
Erfahrung mit Musik gesammelt und die Schule ist somit nicht mehr die erste Enkulturationsinstanz.
Eine wichtige soziale Funktion der Schule besteht darin, gleichaltrige Jugendliche zusammenzubringen,
33
sodass sich Gruppen bilden. Da Musikhören wenigstens als Nebenbeschäftigung zu den wichtigsten
Freizeitinhalten bei Jugendlichen gehört, spielt die Orientierung nach dem Musikgeschmack
anderer eine wichtige Rolle beim Anbahnen sozialer Kontakte. Für die Jugendlichen ist der
Musikgeschmack ein Persönlichkeitsmerkmal.
Innerhalb der einzelnen Gruppen wird Musik häufig thematisiert und es finden gegenseitige
Anpassungen des Musikgeschmacks statt, wodurch kollektiv geteiltes Wissen entsteht, welches
wiederum den Zusammenhalt der Gruppe stärkt.
Bei der Sozialisation durch Medien spielen die audiovisuellen Medien, welche in der zweiten Hälfte
des 20. Jahrhunderts zum einflussreichen Enkulturationsfaktor geworden sind, eine große Rolle. Der
dadurch ausgelöste Wandel betrifft nicht nur die Art der Musik, die gehört wird, sondern vor allem
die Umstände der Mediennutzung. Musik wird einerseits weiterhin nebenbei gehört, andererseits
wird durch die Entwicklung mobiler Abspielgeräte das Musikhören an jedem beliebigen Ort
möglich. Es zeigt sich außerdem, dass vor allem Jugendliche Musik nicht nur in der Gruppe oder als
Publikum hören, sondern sich häufig auch alleine dem Musikkonsum widmen. Diese Tatsache spricht
auch für den Umgang mit Musik im Sinne einer Selbstsozialisation.
03 Musik-Erinnern-Vergessen
Was ist Musik und was löst sie aus?
Musik
Definitionsentwicklung
Trotz zahlreicher historischer Versuche, zu einem allgemein und grundsätzlichen Musikbegriff zu gelangen
und der Tatsache, dass die Frage, was die Musik ist oder nicht ist, so alt ist wie das Nachdenken über die
Musik selbst, gab und gibt es keine allein gültige Definition. So wird sie in der Geschichte beispielsweise
als rationale, zahlenbezogene Wissenschaft; als gefühlsbetone Kunst; als reine Theorie oder reine Praxis
– oder als Einheit beider verstanden. Mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert wird der rationalistische
Musikbegriff, welcher bis dahin herrschte durch eine rein gefühlsbetonte Definition ersetzt. Fortan steht
das persönliche Erleben und Empfinden im Vordergrund. Heinrich Christoph Kochs Wort „Musik ist die
Kunst, durch Töne Empfindungen auszudrücken“ ist modellhaft für ein ganzes Jahrhundert.38
Im Folgenden werde ich weitere Bereiche im Zusammenhang mit Musik erläutern und
versuchen selbst zu definieren was Musik alles sein kann, was sie bei Menschen die mit ihr
in Berührung kommen auslöst und wie Musik, Erinnern und Vergessen zueinander stehen.
Natürlich gibt es andere Auffassungen und viele Bereiche die nicht behandelt werden, die folgenden
sind aber für mein Projekt und weiteres Arbeiten wichtig.
Musik ist Gruppenzugehörigkeit, verbindet und schafft Lebensinhalte –
musikalische Lebenswelten
verbindet
Musik hat die einzigartige Eigenschaft, Menschen miteinander zu verbinden. Dabei ist es ganz
egal welchen Alters, welchen Aussehens, welcher Herkunft die Menschen sind oder
welcher sozialen Schicht sie angehören, was zählt ist die gemeinsame Begeisterung für
eine bestimmte Musik. Auf diese Weise bringt Musik Menschen zusammen, die sich sonst vielleicht
nie begegnet wären, aber sich dann zum Beispiel gemeinsam auf einem Konzert wiederfinden. Sie
werden sich aber auch in dem meisten Fällen nie wieder in dieser Zusammensetzung treffen, weshalb
das kollektive Gedächtnis der Gruppe (in diesem Fall das Publikum als Ganzes) keinen Ort mehr
hat an dem es kommunizieren kann. Ein Ersatzspeicher, der zumindest Teile der Erinnerungen
speichert, könnte manche Aufgaben des kollektiven Gedächtnisses übernehmen und
38
Vgl. Online unter URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Musik
37
dazu beitragen, dass weiter erinnert wird was erlebt wurde. Dieser Speicher unterstützt beispielsweise
durch Mitschneiden eines Konzertes die Erinnerungen der Besucher. Aber auch die Möglichkeit für
das Publikum Gefühle und Eindrücke in symbolischer oder schriftlicher Form festzuhalten und anderen
Teilnehmenden zugänglich zu machen, erweitern die eigenen Eindrücke und können Erinnerungen
festigen.
schafft Lebensinhalte
Musikalische Lebenswelten sind das, was der Mensch als selbstverständliche Umgebung und
Umwelt in Bezug auf die Musik erlebt. Sie werden durch das musikalische Alltagserleben
geprägt und prägen wiederum die alltägliche Umwelt des einzelnen Menschen.39
Die Musik erfüllt ein Grundbedürfnis nach Fürsorge und emotionaler Hinwendung,
gewährt Identifikation mit der sozialen Gruppe und mit sich selbst. Sie befriedigt auch das Bedürfnis nach
Heimat und kultureller Zugehörigkeit. Sie wird somit zu einem Bestandteil der Lebensqualität im Alltag.
Da Musik Bindungen an soziokulturelle Räume erzeugt schafft sie Heimat, sei es in der realen Welt, in
der medialen Vermittlung oder im Cyberspace.40
schafft
Lebensinhalte: Die musikalischen Lebenswelten führen zur
Bildung von Subkulturen, welche es den Menschen ermöglichen, ihre
kognitiven und emotionalen Entwürfe erfüllend auszuleben. Dies betrifft sowohl
Musik
die Jugendkulturen wie Punk und Hip-Hop etc., als auch Kenner und Liebhaber der Oper etc.
Subkulturen stellen kommunikative Netze dar, deren Mitglieder sich nicht nur
über den gemeinsamen Musikgeschmack definieren, sondern darüber hinaus oft über
und Lebensstil, Gruppensprachen und gemeinsame
einen Kleidungsmusikbegleitete Handlungen, wie beispielsweise dem gemeinsamen Besuch von Festivals.41
Diese
gemeinsam
gelebte
Treue
zu
einer
Band
oder
einem/r
Verbundenheit
und
Identifikation.
einzelnen
Sänger/in,
schafft
Die einzelnen Subkulturen haben ihr eigenes kollektives Gedächtnis, das die gemeinsamen
39
Vgl. Online unter URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Musik
40
Vgl. Online unter URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Musik
41
Vgl. Online unter URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Musik
Erlebnisse, Bewertungen und Auffassungen der Musik erinnert. Das stabile Netzwerk
ist Kommunikation
des kollektiven Gedächtnisses ist teilweise auch ein kulturelles und kommunikatives Gedächtnis,
wenn man die Ausrichtung des gesamten Lebensstils, die Bildung von Gruppensprachen und weitere
Merkmale der Subkulturen in Betracht zieht.
Lösen sich die Subkulturen auf, verlaufen sich die gemeinsamen Erinnerungen, welche im kulturellen
bzw. kollektiven Gedächtnis gespeichert sind jedoch. Ersatzspeicher beispielsweise in Form
Fotos, Tonaufzeichnungen, Aufzeichnungen in schriftlicher Form, können
von
verschiedene Erinnerungen dokumentieren und im individuellen Gedächtnis selbst dann noch
verankern, wenn das kollektive Gedächtnis keinen Ort mehr hat an dem es kommunizieren kann.
Lebensinhalte schafft die Musik auch für die Musiker selbst. Verschiedenste Gefühle werden
in den Musikstücken/Texte eingebracht und verarbeitet. Die Musiker verarbeiten eigene
Erfahrungen, Erlebtes, also Erinnerungen in ihren Stücken.
Musik ist Kommunikation und Ausdruck – Musik als Zeichensystem
ist Ausdruck
Durch dieses Verarbeiten und Transformieren in Musik teilen sie ihre Erinnerungen mit den
Menschen die sich ihre Lieder und Melodien anhören. Die Musik wird vielfach als die „Sprache
der Gefühle“ verstanden. Sie ist bestens in der Lage Emotionen, Affekte und Motivationszustände
zu schildern und durch Ausdrucksmuster dem Hörer zugänglich zu machen. In Form von Melodien
können meist nur allgemeine Gefühlsregungen wie Ärger, Glück, Lebensfreude, Traurigkeit transportiert
werden. Durch den Text können nicht nur diese Gefühlsregungen und ihr Ursprung präzisiert werden,
sondern auch spezifische Erinnerungen, Werte, Ideen Erfahrungen etc. kommuniziert werden.
Signale sind ein Sonderfall im Grenzbereich zwischen Musik und akustischer Kommunikation. In
der Regel erfüllen sie den Zweck eine Information zu übermitteln und eine erwünschte Handlung
auszulösen. Oft wird durch hohe Lautstärke oder hohe Frequenzen eine Aufmerksamkeit geweckt.42
42
Vgl. Online unter URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Musik
39
Musik weckt Emotionen, Stimmungen und Erinnerungen
weckt Emotionen
Wie bereits oben erwähnt wurde, verwenden Musiker Erinnerungen, Erfahrungen u.Ä. in
ihren Musikstücken. Die Motivation dies zu tun kann beispielsweise der Wunsch sein Dinge zu
verarbeiten oder verschiedene Inhalte und Botschaften zu kommunizieren.
Die verwendeten Erinnerungen kann man in zwei Arten einteilen: Erinnerungen aus dem
episodischen Gedächtnis, also persönliche Erfahrungen und Erlebnisse, die man gemacht hat,
und Erinnerungen des semantischen Gedächtnisses, also beispielsweise das allgemeine Wissen über
Komposition, Melodie etc.
Diese
werden
wie
vorher
definiert
mithilfe
der
Instrumente
Text
und
Melodie
verarbeitet und
kommuniziert. Durch das Überarbeiten bekannter Melodien oder
Texte werden fremde Erinnerungen mit eigenen überlagert. Die anhand der
Melodie kommunizierten Gefühlsregungen sind meist zwar nur ganz allgemein, aber für den
Hörer grundsätzlich leicht zu enkodieren. Der Grund dafür ist, dass die meisten Menschen
aufgrund ihres semantischen Wissens beispielsweise eine fröhliche von einer traurigen Melodie
unterscheiden können, und Eigenschaften, welche diese definieren weitverbreitet dieselben sind.
Anders die Kommunikation und Vermittlung von Inhalten und Gefühlen durch einen Musiktext: Dieser
ist oft schwerer dekodierbar, sei es aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten einen Text zu verstehen,
Mangel an der Fähigkeit verwendete Metaphern zu interpretieren oder Falschinterpretationen von
Inhalten etc.
Ist das Musikstück einmal komponiert kommen bei den Musizierenden zu den Erinnerungen, welche
zur Entstehung geführt haben, solche die mit der Entstehung des Stücks in Verbindung gebracht
werden und die mit dem hören/spielen desselben in Zusammenhang gebracht werden.
Die Frage, inwieweit ein Musiker den Hörer mithilfe der gespielten Musik manipulieren, dadurch
Überzeugungen weitergeben und gezielt gewisse Emotionen wecken kann, gestaltet sich weitaus
schwieriger. Man kann zwar versuchen bestimmte Inhalte zu vermitteln und Gefühlsregungen zu
provozieren, wie der Hörer jedoch damit umgeht und diese enkodiert ist von unterschiedlichsten
Faktoren abhängig (einige davon s.o.).
Kennt man ein bestimmtes Stück noch nicht, kann dieses beim Hörer durch den Inhalt des Texts eine
bereits vorhandene Erinnerung an ähnliche Erfahrungen wachrufen und zu einer Identifizierung mit
dem Inhalt und den betroffenen Personen oder dem Musiker führen.
Die Melodie kann einen durch das Vermitteln bestimmter Gefühlslagen an Erfahrungen erinnern, die
man mit dieser Gefühlslage in Verbindung bringt und bereits bestehende Emotionen verstärken.
Dieser Effekt ist aber stark von meiner momentanen Verfassung und Gefühlen abhängig.
Auch das „Prinzip der Nachträglichkeit“ spielt eine Rolle: die episodische Erinnerung, welche beim
Hören eines Stücks wachgerufen wird, kann eine andere sein, als die die zu einem anderen, späteren
Zeitpunkt, in einer anderen Lebensphase oder Gefühlslage, durch dasselbe Lied geweckt wird.
Kennt man das Musikstück einmal kann es Erinnerungen, die man speziell mit dem Hören des Stückes
in Verbindung bringt, wecken. So verbindet man beispielsweise ein bestimmtes Lied mit einer
bestimmten Lebensphase. Hört man es dann wieder, werden mitunter die damit verknüpften
Erinnerungen und daran geknüpfte Gefühle schlagartig wieder wach, selbst wenn diese längst
vergangen sind. Dieses Phänomen gehört dem unfreiwilligen Erinnern an, welches, wie bereits
erwähnt, oft zuverlässiger ist als freiwilliges Erinnern.
Ein anderer, wissenschaftlich bewiesener Aspekt ist eine Stimmungsanhebung die mit dem
Singen einhergeht. Diese hat ihren Ursprung in der dadurch verursachten, enorm hohen EndorphinAusschüttung.
beeinflusst die Stimmung
41
Musik ist Selbstverwirklichung – Musikalität
ist Selbstverwirklichung
Grundsätzlich ist Musikalität bei jedem Menschen universell vorhanden. Eine gewisse musikalische
Veranlagung ist jedoch Voraussetzung, damit sich Musikalität bis zu einem entsprechenden Grad
entwickeln kann. Erst durch eine intensive Förderung kann sie sich voll entfalten.43
Musik befreit und ist Therapie – Musiktherapie und Medizin
Die Musiktherapie ist eine Methode der angewandten Psychologie, welche gezielt
Musik einsetzt, um in einem Therapieverfahren die seelische, körperliche und
geistige Gesundheit wiederherzustellen, zu erhalten und zu fördern.
Sie steht in enger Beziehung zur Medizin, aber auch zur Pädagogik, Psychologie und Musikwissenschaft.
Bereits die Naturvölker maßen der Unheil abwehrenden und magischen Kraft
von Musik eine große Bedeutung zu. Diese erhielt in der Neuzeit zunehmende
Bestätigung
und
Nachweise
ihrer
Wirkung
durch
die
Wissenschaften.
Das musiktherapeutische Verfahren wird bei zahlreichen Diagnosen eingesetzt, unter anderem
bei funktionalen, somatoformen und hirnbedingten Störungen, bei Psychosen und Neurosen, bei
Missbrauchs- und Abhängigkeitsstörungen, sowie bei der Arbeit mit Menschen mit Behinderung. Die
Therapie geschieht passiv durch Hören von und Reagieren auf Musik oder aktiv durch
Musizieren des Patienten.44
Ist eine Therapie erfolgreich kann beispielsweise eine Narration durch Trauma oder Verdrängung
unzugänglicher Erinnerungen erfolgen.
Macht man aktiv Musik, kann man sich ganz dieser Tätigkeit hingeben und alles andere um einen
herum vergessen, wodurch sie auf Musizierende befreiend wirkt.
43
Vgl. Online unter URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Musik
44
Vgl. Online unter URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Musik
ist Therapie
befreit
43
04
Kl
e
i
n
kunst
eine Bühne für Hackbrett Schorsch,
Melody Mandy und Piano Joe
das hier ist nicht das leben,
doch jetzt beginnt die show,
fuer hackbrett schorsch, melody mandy und piano joe.
es sind nicht ihre lieder doch sie singen sie fuer uns.
das ist kleinkunst.
sie sind nicht hochkultur und deshalb ist es nicht en vogue.
sie mischen johnny cash mit abba songs und country roads.
doch sie sind nach sekunden liebling ihres publikums.
Lyrics. Fiva MC . Kleinkunst
das ist kleinkunst.
mandy heisst maria,
da mandys ma maria heisst.
und deshalb nennt sie jeder seit sie klein ist nur maria 2.
doch sie will einzigartig sein, wie nicky und michelle,
nicht das maedchen aus dem kaff,
kurz vorm ende der welt.
sie backt seit dem sie 16 ist in vaters firma brote
und in der nacht da schlaeft sie nicht,
nein, sie singt karaoke.
in ihrem zimmer haengen bilder, all ihrer idole.
ihr laecheln an der wand,
ihr style an ihrer garderobe.
rote fetzenjeans, mit schmetterlingen, lilanes paillettenhemd, feder!
boas, lederstiefel,
jetzt fehlt ihr nur noch die band.
maria will nicht wieder dahin, wo sie jeden kennt.
es waer ihr peinlich,
wenn sie merken, woran sie ihr leben haengt.
so nimmt sie sich zusamnnen,
denn sie haelts nicht weiter aus
und gibt am naechsten tag eine announce in der zeitung auf.
als sie glaubt, das waers dann auch,
klingelt ihr handy
und zum ersten mal spricht sie es aus"hallo hier ist melody mandy"
georgs vater glaubte nach vier toechtern
nicht mehr an 'nen sohn
und dankte gott, indem er ihn so nannte wie sein schutzpatron.von
dessen heldentaten blieb ihm nichts ausser der name.
so taettowiert er sich nach jahren,
'n drachen auf den arm.
er faehrt den groessten wagen bei der freiwilligen feuerwehr
und seit johannes weg ist,
hat er hier keine freunde mehr.
am liebsten waere georg mal wer richtig grosses.
so alice cooper oder axel rose von guns n roses.
ein rockstar der gitarre spielt und groupies flach legt,
nur wie will er die frauen kriegen,
georg spielt nur hackbrett.
das besser als der rest vom dorf und jeden sonntag frueh umsonst.
sein publikum ist alt,
weil tot ist, wer dann nicht mehr kommt.
eines tages liest er auf der wache, diese zeilen
"M. aus W. waere bereit, die liebe zur musik zu teilen."
so waehlt er ihre nummer
und sie meldet sich sofort.
er sagt
"melody mandy hier ist der hackbrett schorsch"
johannes lebt in einer stadt,
die er nicht leiden kann,
doch waer er da nie hin,
haett die mama ihm nicht so leid getan.
er hatte andere plaene,
seit dem er klavier spielen kann,
waer er gern wie udo juergens oder richard clayderman.
der bub solls besser haben,
weil er doch mehr kann,
so studiert er dort jetzt,
deutsch und sport auf lehramt.
abends sitzt er in dem zimmer dieser duesteren stadt
und wetzt mit seinen finger, die weissen keybordtasten ab.
er hoff so sehr, dass man sein talent erkennt
jeder mensch in dieser stadt
spielt in irgendeiner band,
doch die wollen nur gitarre, schlagzeug oder bass.
fuer pianisten findet sich in dieser stadt kein platz.
er schliesst schon damit ab,
bis am naechsten tag die post ankommt.
der absender ist georg,
der immer noch zu hause wohnt.
auf dem zettel nur vier worte
"jetzt beginnt die show"
fuer hackbrett schorsch, melody mandy und piano joe.
Musik
konservieren
flüchtig
47
Speicher schaffen!
Es wird ein Ort für die Musik geschaffen, an dem es möglich ist, zu musizieren, sich auszutauschen,
sich zu verwirklichen und an dem neue Erinnerungen kreiert und alte erinnert werden.
lagern
Erinnerung
Die mit der Musik verknüpften Erinnerungen, sind oftmals so
Um beide
flüchtig wie die Musik selbst.
längerfristig zu konservieren soll dieser Ort, zum Austausch beider anregen.
Sie werden jedoch nicht nur im kollektiven Gedächtnis der Besucher gespeichert, sondern auch virtuell
gelagert und somit ständig abrufbar für alle Beteiligten.
Der Ort nennt sich „Kleinkunst“ und fungiert als
Treffpunkt für Musikbegeisterte und Platt-
form für Musiker. Dabei ist es ganz egal wie bekannt ein Musiker ist, hier soll jeder die Möglichkeit
erhalten sich zu entfalten und auf der Bühne zu stehen.
Die Schnittstelle zur Außenwelt, welche die Erinnerungen publiziert ist ein Radiosender. Der virtuelle
Speicher der all die Vorort produzierten Dinge festhält ist ein virtueller Musikladen auf den man im
gesamten Gebäude immer wieder Zugriff hat. Es werden Erinnerungen geweckt, produziert, konserviert und verteilt.
Auch das
Konzept
Gebäude selbst wird zum Speicher von Erinnerungen: durch veränderliche
Elemente kann der Raum auf die jeweilige Musik eingestellt werden und erinnert später an diese.
Zunächst wird festgelegt welche Bereiche es innerhalb des Gebäudes geben soll. Die verschiedenen Bereiche bieten Platz für unterschiedliche Aktivitäten: es kann Musik gehört werden, gemacht
werden, gekauft werden, dazu getanzt werden und natürlich darüber geredet werden. Auf dieser
Grundlage bilden sich vier unterschiedliche Bereiche heraus.
Bereich 1
zu Musik tanzen
öffentlich gesellig
Musik hören
Musik machen
49
Bereiche
Der erste ist ein öffentlicher und geselliger Bereich. Er soll
ein großer, offener Raum werden, an dem
unterschiedliche
Aktivitäten zur gleichen Zeit stattfinden können und der sich
an verschiedene Szenarien anpassen kann. Er ist zugleich Cafe,
wie auch Konzertsaal. Hier trifft man sich zufällig oder geplant,
musiziert gemeinsam oder lauscht einem spontanen Konzert. Der
Raum soll ein Ort der Inspiration und des Austausches sein.
Bereich 2
öffentlich ruhig
Musik machen
Musik hören
51
Bereiche
Der zweite Bereich ist ebenfalls öffentlich, jedoch ruhiger.
Hier wird nicht aktiv musiziert, man hat viel eher die Möglich-
keit sich in Ruhe Musik des digitalen Musikladens anzuhören oder ungestört einem Konzert zu lauschen.
Bereich 3
zu Musik tanzen
öffentlich
Musik hören
Musik machen
53
Bereiche
halböffentlich. Hier kann man
Proberäume mieten und das hauseigene Tonstudio nutzen.
Bereich Nummer drei ist
Bereich 4
Schnittstelle nach außen
Musik machen
Musik hören
55
Bereiche
Der vierte Bereich beherbergt den
Radiosender, welcher die
Schnittstelle zur Außenwelt darstellt. Er trägt Informationen
und Geschehnisse aus dem Innenraum nach Außen.
Außenraum
Bereich 1 öffentmultliifcunkth, iogesel
nssaallig
Bereich 4 Schnit stel e nach radiaußen
osender
hoeren
sehen
tasten
Bereich 2 öffentlich, ruhichilgout
Berei
c
h
3
hal
b
öffent
l
i
c
h
proberäume und tonstudio
57
„Musik ist eine Sprache, die verbindet“ sie ist eine Art der Kommunikation und zugleich schafft sie
Kommunikation. Um diese Dinge zu fördern sind die Verknüpfungen und Beziehungen der einzelnen
Räume bzw. Bereiche zueinander sehr wichtig.
Erinnerung mit der Sinnesaufnahme verknüpft ist, fördert die Anregung vieler
Sinne die Chance auf eine bleibende Erinnerung. Die Verknüpfungen der Räume sprechen deshalb
verschiedene Sinne an, manche sind akustische Beziehungen, andere Sichtbeziehungen und
Da die
wieder andere taktiler Natur, das heißt man spürt beispielsweise nur die Vibrationen einer Musik, die
man aber in diesem Moment nicht hört. Es wird versucht dadurch an möglicherweise bis dahin unbe-
Beziehungen
kannte Musikstücke oder sogar Richtungen heranzuführen und einen ersten Kontakt herzustellen. So wird man im Multifunktionsraum plötzlich am Boden Vibrationen aus den darunter liegenden
Proberäume spüren.
Die Proberäume lassen sich nach außen zu gerade vorbeilaufenden Passanten öffnen, die dadurch
zufällig zum Publikum werden.
Bereich 2
Bereich 1
Bereich 4
59
schematiSchni
scher t
Aus diesen verschiedenen Beziehungen ergeben sich
drei verschiedene Ebenen, welche die
vier Bereiche beherbergen und die in einem ersten Versuch mithilfe eines schematischen Schnittes
dargestellt werden. In diesem werden abgesehen von den Beziehungen auch bereits bestimmte notwendige bauliche Formen, z.B. aufgrund einer angenehmen Akustik, miteinbezogen.
chill-out 1
chill-out 2
Balkon
WC Gäste
Ebene 1
chill-out 4
chill-out 5
halb-öffentlich
WC
öf entlic
h
chill-out 3
Küche
Umkleide
Ebene 2
Barbereich
nicht-öffentlich
Bühnenbereich
öffentlich
WC Gäste
nicht-öffentlich
Erschließung
Radio
Tanzfläche
Haupteingang
Garderobe
Instrumentenverleih
Foyer
Proberaum 1
Proberaum 2
Küche
Proberaum 3
Küche
öffentlich
Cafebereich
Lager Lebensmittel
Erschließung
halb-öffentlich
Barbereich
Aufenthaltsbereich
Proberaum 4
Proberaum 5
Proberaum 8
Tonstudio
WC Angestellte
nicht-öffentlich
Proberaum 6
Proberaum 7
Eingang
Proberaum 9
Lager Mobibliar
Technik
Erschließung
nicht-öffentlich
Zulieferung
Ebene 0
61
Raumbeziehungen
Nach dieser ersten Annäherung an eine Form folgt der nächste Schritt, bei dem die einzelnen Bereiche
nun in ein Raumprogramm übersetzt werden und in öffentliche, halb-öffentliche und nicht
öffentliche unterteilt werden. Öffentliche Räume sind für jeden zugänglich, halb-öffentliche nur unter
gewissen Umständen, wenn man beispielsweise eine Proberaum mietet, und nicht-öffentliche sind
grundsätzlich Angestellten vorbehalten.
Es wird diesmal die räumliche Beziehung der einzelnen Räume bzw. Bereiche zueinander bestimmt
und festgestellt, welche zwingend direkte räumliche Verbindungen miteinander haben sollen. Dies
geschieht sowohl innerhalb der einzelnen Ebenen als auch geschossübergreifend.
Maßstab 1:750
ße
tra
a
ari
m
fs
hil
tz
pla
tz
la
up
t
ark
ba
m
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h
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bezie
hung
zum
inn
e
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fuß
g
än
rge
un
ah
df
lle
ha
m
t
ark
63
Bauplatz
Bei der Wahl des Bauplatzes waren folgende Kriterien wichtig:
Der Bauplatz sollte zwar
zentral liegen, um eine gute Erreichbarkeit zu gewährleisten, aber
andrerseits doch etwas abgelegen um sicherzustellen, dass der Großteil der Besucher bewusst
und aufgrund der Musik hingeht. Die Lage an einem Fußgängerstrom und Möglichkeit zur
Tribünenausbildung ist wichtig um ein Publikum für spontane Konzerte geöffneter Proberäume
zu ergattern.
Der Mariahilfpark in Innsbruck erschien nach einiger Recherche und Analyse unterschiedlicher Bauplätze als für das Projekt am geeignetsten.
65
Bauplatz
05 der Entwurf
h
se
ch
a
r
re
d
un
r
ge
n
gä
fa
fa
ad
hrr
Lageplan
fuß
m
gebäude als
r
lautspreche
bezie
hung
zum
inn
z
lat
tp
ark
69
Entwurfskonzept
Aufgrund verschiedener Erkenntnisse aus dem Bereich der Raum-Akustik werden beispielsweise pa-
ideale Form für Räume
der Musik heraus - es ist eine Tröte. Diese Tröte wird nun vervielfältigt, skaliert, verdreht
und die Ergebnisse über und nebeneinander angeordnet. Sie verschneiden sich und
rallele Wandscheiben vermieden und irgendwann kristallisiert sich die
erzeugen Verbindungen zwischen verschiedenen Bereichen. Eine saugt den Besucher ins Gebäude
und wieder eine andere große Tröte transportiert die Erinnerungen weit in die Stadt hinein.
Der Ort lebt von seinen Besuchern, auch wenn er teilweise mit ihnen spielt, lässt er sich auch
durch sie verändern und modifizieren. Raumbereiche können zusammengeschlossen werden und der Resonanzkörper in dem man sich befindet vergrößert sich, was wiederum die
Akustik verändert.
irgendwann wird der Raum selbst zu einem Instrument das von den Besuchern gespielt wird.
Raumhöhen werden mit Podesten verändert und
öffenbare tore
akustikpaneele zur
schallabsorption
tribünen für
zufällig vorbeikommendes
publikum
UG
Das Untergeschoss hat durch Proberäume, welche großflächig nach außen hin geöffnet werden kön-
schaltbare Verbindungen nach außen und überdies einen eigenen Eingang. Der
Zugang zu allen Proberäumen erfolgt über einen großen Raum, der mehr ist als nur Verkehrsfläche, er regt zum Verweilen und zum Austausch an. Von diesem Raum aus gibt es zusätzlich
noch eine sehr spezielle Verbindung - sie führt direkt auf die Bühne im Großraum. Einrichtungen
nen, mehrere
wie ein Tonstudio und ein Instrumentenverleih runden das Raumprogramm im Proberaumbereich ab.
Neben
Teil
im
diesem
halböffentlichen
Untergeschoss,
der
Bereich
gibt
WC-Anlagen
es
überdies
unterbringt.
Sind
noch
im
einen
öffentlichen
halböffentlichen
Be-
reich Besucher Willkommen kann eine direkte Verbindung zwischen den beiden geschaffen
werden
und
dem
allgemeinen
Besucher
ein
Einblick
gewährt werden.
Die Anlieferung von Gütern erfolgt ebenfalls im UG, wo auch noch ein Lagerraum und die Technik des
Hauses Platz finden.
71
Der
Haupteingang
des
Gebäudes
befindet
sich
im
Erdgeschoss,
direkt
ge-
folgt von der Garderobe, dem Stiegenhaus und einem Ausschank. Im nicht öffentlichen
Bereich
sind
ein
weiteres
Lager
und
die
Künstlergarderobe
untergebracht.
Den flächenmäßig größten Anteil des Erdgeschosses macht der Großraum aus, welcher in verschiedene kleinere
Auch
von
der
wo
Bereiche abgegrenzt werden kann und auch in der Nutzung sehr flexibel ist.
Radiosender
aus
alle
befindet
wichtigen
sich
in
diesem
Geschehnisse
Geschoss
und
überblickt
erhält
einen
werden
Platz
können.
Ein zweites Stiegenhaus ermöglicht einen Rundgang durch die beiden oberirdischen Geschosse.
EG
73
abgang proberäume
in der neigung verstellbare
schallabsorber
ersatzspeicher in form
beschreibbarer flächen
bühne für spontane
oder geplante
auftritte
höhenverstellbarer boden
75
aktustikvorhänge zur
raumtrennung
sichtbeziehung zu
darunterliegenden
proberäumen
EG
beziehung nach
außen
am boden sind vibrationen
vom darunterliegenden
proberaum zu spüren
OG
Im ruhigeren Obergeschoss befindet sich der Balkon mit
bester Aussicht auf die Bühne des
Großraums und kleinere Chill-Out Räume mit Ausblick über den Inn und die Stadt. Zusätzlich
gibt es eine zweite Küche und einen WC-Bereich.
77
Schnit
79
Pattern
1. Symbole aus der Musik
2. Zerlegen, neu kombinieren, überlagern und verändern
81
Zerlegen, verwandeln und neu verbinden ist eine der Methoden die „Realität“ zu hinterfragen.
M.C. Escher
Pattern
Symbole aus der Musik werden zerschnitten, neu kombiniert überlagert und verändert um anschließend in ein neues Muster überführt zu werden.
Verschiedene
Dieses Muster wird einerseits für die Fassadengestaltung, andererseits für Akustikpaneele aus PUSchaum verwendet.
83
3. Einzelteile zu einem neuen
Muster zusammenfügen
cortenstahl
funktion:
fassandenbekleidung
konstruktion
sichtbar:
eingangströte
fassadenbekleidung
sichtbeton hell
funktion:
konstruktion
sichtbar:
fassaden
innenwände
sichtbeton dunkel eingefärbt
funktion:
konstruktion
sichtbar:
fassaden
innenwände
glasfassade mit alumium fensterteilung
funktion:
konstruktion
sichtbar:
fassaden
innenwände
außenhülle &
innenausstattung
Materialität
innenausstattung
eternit
gussasphalt dunkel
pu-schaum
textil
funktion:
funktion:
funktion:
funktion:
bodenbelag
absturzsicherung
estrich
schallabsorption
sichtbar:
sichtbar:
sichtbar:
bodenbelag
akustikpaneele
optische und akustische
raumtrennung
schallabsorption
boden großraum
brüstung großraum
sichtbar:
raumteiler großraum
85
Quellen
87
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