FNPTR 2010_Redetext DEUTSCH_web

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STIFTUNG FRAUENKIRCHE DRESDEN
Herausforderungen und Chancen für
anhaltenden Frieden (Challenges and
opportunities for sustainable Peace)
Rede von
Präsident a. D. Martti Ahtisaari,
Nobelpreisträger des Jahres 2008
im Rahmen der Reihe
"Friedensnobelpreisträger in der Dresdner Frauenkirche"
am 1. Dezember 2010
Hinweise:
Die Rede wurde in englischer Sprache gehalten;
dies ist die verschriftlichte Übersetzung.
Es gilt das gesprochene Wort.
Exzellenzen, Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich danke der Stiftung Frauenkirche Dresden für die Einladung, in dieser Vortragsreihe als
erster zu sprechen.
Der Wiederaufbau der Frauenkirche ist ein Symbol der Versöhnung der Kriegsgegner der
Vergangenheit. Ich denke, wir brauchen solche starken Symbole, um unserem Eintreten und
Vertrauen in Frieden Ausdruck zu verleihen.
Vor fast genau 15 Jahren sprach hier in Dresden der damalige Bundespräsident Roman Herzog aus Anlass des 50. Jahrestages der Zerstörung von Dresden im zweiten Weltkrieg. Seine
klugen Worte sind es Wert, sie an dieser Stelle zu wiederholen:
„Es gibt keinen Sinn, darüber zu richten, ob der Bombenkrieg, an dessen Unmenschlichkeit ohnehin niemand zweifelt, im juristischen Sinne rechtmäßig war oder nicht.
Was bringt uns das – angesichts des Abstands von fünfzig Jahren und angesichts der
bitteren Erkenntnis, dass die Völkerrechtsordnung auch heute noch weithin machtlos
ist gegenüber Krieg und Massenmord?
Wer heute die Konsequenzen aus den Erfahrungen jener Zeit ziehen will, auch wer die
Wunden von damals heilen will, dem stellt sich eine ganz andere Frage. Die Frage nämlich, ob wir aus der Vergangenheit genug gelernt haben und ob wir alles tun, um die
Wiederkehr des Schreckens – in welcher Form auch immer – zu verhindern.“
Ich wurde gebeten, zum Thema Friedensvermittlung heute sowie über Herausforderungen
und Chancen während meiner 30-jährigen Arbeit als Vermittler zu sprechen. Lassen Sie mich
vorher jedoch etwas über die aktuellen globalen Herausforderungen und deren Konfliktpotential sagen.
Ich freue mich besonders, heute auch vor so vielen jungen Menschen, Schülern und Studenten zu sprechen. Es geht ja schließlich um eure Zukunft und die Zukunft eurer Kinder; und
ihr besitzt Wissen und Ideen, wie wir auch unsere größten Herausforderungen meistern können.
Ich sagte es bereits in meiner Nobelpreisrede im Dezember 2008, ich bin überzeugt, dass
alle Konflikte lösbar sind. Frieden ist eine Frage des Willens.
Ich bin besonders besorgt über die große Zahl an Konflikten, die die internationale Gemeinschaft nicht vermochte beizulegen. Wir sollten nicht hinnehmen, dass sich einige Konflikte zu
„eingefrorenen Konflikten“ entwickeln. Jeder Konflikt sollte als entscheidende Herausforderung gesehen werden, der die sofortige Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft
benötigt.
Manchmal denke ich, dass wir das Ausmaß der Kosten von Konflikten nicht wirklich begreifen. Dem Internationalen Währungsfonds zufolge wird die aktuelle Finanzkrise dem globalen
Banken- und Finanzsektor Verluste in Höhe von drei Billionen US-Dollar verursachen. Oft
wurde die derzeitige Krise als Bezugspunkt dargestellt, als etwas, das so vorher noch nie da
gewesen ist, dessen enorme Kosten sich niemand wirklich vorstellen kann, und dessen erneutes Auftreten in Zukunft auf jeden Fall verhindert werden muss.
Vor diesem Hintergrund ist es interessant, Konflikte und Sicherheit als ökonomische Einflussgrößen zu betrachten. Dem in Mumbai ansässigen Think Tank Strategic Foresight Group
zufolge haben die Krisen im Nahen Osten im Laufe der vergangenen 20 Jahre einen finanziellen Schaden in Höhe von insgesamt zwölf Billionen US-Dollar verursacht. Dort sind die Kosten des wirtschaftlichen Verfalls zum Beispiel in Israel und Palästina, im Libanon und Irak enthalten. Nicht berücksichtigt sind zum Beispiel die Kosten der westlichen Militäreinsätze oder
jegliche Bewertung des individuellen Leids der Menschen und des allgemeinen Zustands der
Unsicherheit. Es ist schockierend, dass allein die ökonomischen Kosten der Konflikte der vergangenen 20 Jahre um ein Vielfaches höher sind als die von der Finanzkrise verursachten
Verluste.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
Ich denke, global gesehen ist das Problem mit den schlimmsten Auswirkungen der stetig
anwachsende Unterschied zwischen Arm und Reich. Der Einkommensunterschied zwischen
den obersten 20 Prozent und den untersten 20 Prozent der Weltbevölkerung stand im Jahr
1998 im Verhältnis 74 zu 1. Der Unterschied zwischen dem Bruttoinlandsprodukt der 20
reichsten und der 20 ärmsten Länder ist zwischen 1960 und 1995 um mehr als das Doppelte
angewachsen. Die Lage hat sich noch verschärft. Drei Milliarden Menschen müssen mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen. Dieses Ungleichgewicht wird physisch, politisch,
psychologisch und moralisch gesehen verheerende Folgen haben.
Das Risiko einer wachsenden Ungleichheit wurde durch die derzeitige Finanzkrise noch weiter verschärft. Viele der Regionen und Länder, die am meisten unter dem Rückzug des Kapitals aus neuen Märkten und dem Zusammenbruch des internationalen Handels leiden, sind
bereits in einer instabilen Lage. Viele haben sich gerade erst von jahrelangen Konflikten befreit.
Und wie wir alle wissen, hat die Wirtschaftskrise zu einem dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit weltweit geführt. Sie zwingt so die Volkswirtschaften in die Knie und schmälert die
Hoffnungen für die Zukunft. Besonders junge Menschen sind durch das Auf und Ab der
Weltwirtschaft gefährdet. Jüngsten Statistiken zufolge war letztes Jahr die Zahl der jungen
Menschen, die ohne Arbeit blieben, mit 80 bis zu 100 Millionen so hoch wie nie zuvor. Allein
in den vergangen zwei Jahren hat die weltweite Rezession zu 7,8 Millionen mehr Arbeitslosen
unter den jungen Menschen geführt. Niedrige Löhne, Kurzarbeit und stagnierende Wirtschaften halten zudem mehr als 150 Millionen junge Menschen – diejenigen also, die Arbeit
haben – in der Armut gefangen.
Wir stehen vor einer riesigen sozialen und ökonomischen Herausforderung wenn so vielen
jungen Menschen die Möglichkeit einer produktiven Zukunft verwehrt wird; und sie sich als
Folge davon entfremdet, isoliert und ohnmächtig fühlen.
Wachsende Ungleichheit zwischen Ländern und innerhalb der Gesellschaften verschärfen
bereits bestehende Unterschiede. Durch Abbau von Sozialleistungen und dem Verlust von
Beschäftigungsmöglichkeiten verlieren die Schwächsten in der Gesellschaft schnell Hoffnung
und Vertrauen in die Zukunft. Dies fördert wiederum den Anstieg von Fundamentalismus
und Gewalt und schafft Nährböden für Verbrechen, Terrorismus und Krieg.
Seit ihrer Gründung sind die Vereinten Nationen ein Hauptakteur im Bereich der Friedensstiftung. Auch regionale Organisationen, die Europäische Union, die Afrikanische Union und
andere werden immer aktiver im Bereich Friedensstiftung und Vermittlung bei Konflikten.
Das stellt eine positive Entwicklung dar und führt dazu, dass das grundsätzliche Vermögen
der internationalen Gemeinschaft zur Beilegung von Konflikten gestärkt wird, und hoffentlich
auch ihr Vermögen, wesentlich aktiver präventive Diplomatie zu betreiben. Es bedarf jedoch
einer durchdachten Politik und dem Aufbau von Kapazitäten wenn es um die gemeinsame
Verwendung von Plänen und Ressourcen geht, selbst im Hinblick auf die Kapazitäten innerhalb der UNO und zwischen den verschiedenen Akteuren.
Gleichzeitig sind die Vereinten Nationen oder regionale Organisationen nicht immer in der
Lage, sich an der Friedensvermittlung als Akteure zu beteiligen. Die Regierungen der vom
Krieg zerrütteten Gesellschaften sind oft nur ungern bereit, interne Streitigkeiten und Konflikte zu „internationalisieren“. Das bedeutet beispielsweise, dass die Regierungen der Beteiligung der UN bei der Konfliktlösung oder dem Krisenmanagement bei bestimmten internen
Konflikten zögerlich und kritisch gegenüber stehen.
Der Aceh-Friedensprozess gemeinsam mit vielen anderen ist ein deutliches Beispiel dafür,
dass wir hin und wieder offen sein und die übliche Vorgehensweise in Frage stellen müssen.
Das Aceh-Friedensabkommen wurde von mir und der Crisis Management Initiative (CMI)
verhandelt, einer Nichtregierungsorganisation, die ich im Jahr 2000 gegründet habe. Die
indonesische Regierung und das Free Aceh Movement haben am 15. August 2005 eine Absichtserklärung in Helsinki unterzeichnet. Heute noch leistet die CMI beiden Parteien Unterstützung bei der vollständigen Umsetzung des Abkommens. Dieses Beispiel zeigt, wie Nichtregierungsakteure als Moderatoren oder Vermittler eine wesentliche Rolle bei Friedensprozessen spielen können.
Ich habe im Laufe der Jahre einige bedeutende Erkenntnisse über die Rolle von Friedensvermittlern und über die Gestaltung von Friedensprozessen gewinnen können, über die ich heute sprechen möchte.
Heute sind auf dem Gebiet der Friedensvermittlung viele verschiedene Initiativen tätig, die
manchmal sogar in Konkurrenz zueinander stehen. Viele verschiedene Akteure wie internationale und regionale Organisationen, Nichtregierungsorganisationen, bedeutende Persönlichkeiten sowie große und kleine Staaten sind aktiv an Dialogen und Verhandlungen beteiligt, um Konflikte zu verhindern und Kriege zu beenden.
Friedensprozesse sind außerdem oft komplexe und vielschichtige Angelegenheiten, an denen
eine Reihe von Akteuren auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft beteiligt ist. Vermittlungsarbeit bedarf deshalb einer strategischen Gestaltung, guter Unterstützung sowie einer
geschickten Umsetzung. Dem Vermittler fällt eine wesentliche Rolle beim Verständnis des
gesamten Prozesses zu, und bei der Organisierung der nötigen politischen Unterstützung auf
lokaler und internationaler Ebene, der jeweilig relevanten Expertise, der logistischen Unterstützung sowie bei der Verhandlungsführung.
Eine gut funktionierende Vermittlungsstrategie muss auf verschiedenen Ebenen ansetzen und
mehrere Prozesse gleichzeitig tragen können: den offiziellen Vermittlungsprozess; mögliche
quasi-offizielle, von inoffiziellen Gruppen vorangetriebene Prozesse; öffentliche Friedenspro-
zesse mit dem Ziel eines anhaltenden Dialogs und eine Reihe von Aktivitäten der Zivilgesellschaft.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Vermittler von Anfang an wissen sollten, was bei den
Gesprächen herauskommen soll, auch wenn sie nur dort sind, um den Parteien zu helfen.
Ohne ein klares Ziel vor Augen läuft es oft darauf hinaus, dass man zwar lange Gespräche
führt, aber nur bescheidene oder gar keine Ergebnisse erzielt. Das Wichtigste ist natürlich die
Rolle der Parteien selbst, aber wir sollten uns keinen Illusionen bezüglich ihrer Kompromissbereitschaft und –fähigkeit insbesondere in den Anfangsphasen der Verhandlungen hingeben. Wie wir alle wissen, muss ein Mittler sein Ego vollständig aufgeben. Es hat sich oft als
nützlich erwiesen, wenn die Konfliktparteien nach erreichter Übereinkunft den Ruhm für sich
beanspruchen können, auch wenn sie es nicht wirklich verdient haben.
Wie im nationalen Umfeld ist es auch bei internationalen Friedensmittlern so, dass sie sich die
Konflikte, in denen sie vermitteln, nicht aussuchen, sondern dass die Konfliktparteien den
Mittler auswählen. Der Einsatz eines Dritten als Vermittler basiert auf dem Vertrauen aller
Konfliktparteien. Vermittler können auf Grund ihres Rufs, ihrer Fähigkeiten, ihres Wissens
oder ihrer Mittel ausgewählt werden. Normalerweise sind Vermittler offizielle Diplomaten,
aber auch Praktiker aus Nichtregierungsorganisationen und sogar einfache Bürger werden
zunehmend in den Friedensprozess mit einbezogen.
Vermittlung kann nur dann gelingen, wenn die richtigen Personen am Verhandlungstisch
sitzen. Verhandlungen mit nicht legitimierten Vertretern funktionieren selten. Der Vermittler
und die an den Verhandlungen teilnehmenden Parteien müssen sicherstellen, dass die Leute,
mit denen sie verhandeln, wirklich die Gruppen vertreten, die sie vorgeben zu repräsentieren. Verfügt eine Gruppe über keine Führungspersönlichkeit mit einer entsprechenden Legitimation, ist eine Vermittlung erst dann sinnvoll, wenn eine solche Persönlichkeit gefunden
wurde.
Das größte Risiko kommt oft von den sogenannten Spielverderbern – Politiker und Parteien,
die befürchten, dass der ausgehandelte Frieden eine Bedrohung ihrer Macht, Weltsicht und
Interessen mit sich bringt. Deshalb greifen sie oft zu Gewalt, um die Friedensbemühungen zu
torpedieren. Aus diesem Grunde ist ein mehrgleisiger Ansatz oft so wichtig, d.h. alle Teile der
entsprechenden Gesellschaft werden mit einbezogen, damit auch jeder die Vorteile eines
nachhaltigen Friedens erkennen kann. Spielverderber erhalten nicht automatisch einen Platz
am Verhandlungstisch, aber man muss sie auch anhören. Deshalb ist es wichtig, auch über
den Verhandlungstisch hinaus zu gehen. Die verschiedenen Gruppen akzeptieren wahrscheinlich eine erzielte Vereinbarung nicht so einfach, wenn sie nicht ausreichend mit in den
Prozess einbezogen wurden um zu verstehen, warum die Vereinbarung gerade so gestaltet
wurde und warum sie die bestmögliche Alternative ist.
Auch lokale Strukturen für traditionelle Streitschlichtung, Versöhnung und Verwaltung sollten
die Möglichkeit bekommen, sich selbst neu zu formieren, denn sie können möglicherweise
eine wichtige Rolle in der Streitschlichtung und Versöhnung vor Ort spielen. Das ist eine
grundlegende Voraussetzung für einen andauernden und nachhaltigen Frieden.
Normalerweise werden Gemeinschaften in der Diaspora nicht formal als Verhandlungspartner in offizielle Verhandlungen zur Streitschlichtung in ihren Heimatländern einbezogen.
Aber es setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass auch Gemeinschaften in der
Diaspora von der Konfliktdynamik betroffen sind und diese auch wieder zurück nach Hause
transportieren. Die Anerkennung ihres Interesses und ihres Anteils an den politischen Verhandlungen wäre ein wichtiger Realitätscheck bei Bemühungen zur Konfliktlösung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
in den Friedensverhandlungen müssen beide Parteien wirklich ernsthaft etwas zu sagen haben. Die Verhandlungen über den zukünftigen Status des Kosovo sind ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn diese Bedingung nicht erfüllt ist. Ganz am Anfang meines Mandats
als UNO-Sondergesandter für den zukünftigen Status des Kosovo und insbesondere während
meiner ersten Besuche in Belgrad und Pristina Ende November 2005 wurde offensichtlich,
dass die Positionen und Wahrnehmungen zu diesem Status so tief eingefahren und so gegensätzlich waren, dass ein sofortiger Versuch, diese Differenzen zu beheben, zum Scheitern
verurteilt gewesen wäre.
Mein Team und ich nahmen deshalb unsere Arbeit Anfang 2006 mit der Einsicht auf, dass
wir versuchen sollten, die Kluft zwischen Belgrad und Pristina zumindest in Bezug auf die
„technischen Aspekte“ des Status zu schließen:
Rechte der Gemeinschaften und deren Mitglieder, Dezentralisierung, religiöses und kulturelles Erbe, wirtschaftliche Bestimmungen und Eigentum. Man ging damals davon aus, dass
technische Vereinbarungen oder zumindest eine gewisse Annäherung als Bausteine zur Lösung der Statusfrage betrachtet werden können.
Aber leider hatten wir damals keine zwei Parteien, die bereit waren, an den Verhandlungstisch zu kommen und über die Bedürfnisse und Interessen der jeweils anderen Partei nachzudenken. Sie wissen sicher, dass unsere Aufgabe darin bestand, die Frage bezüglich des Status
des Kosovo zu lösen, was uns auch gelungen ist. Leider war eine Partei nicht bereit, die Lösung zu akzeptieren. Dies ist ein Beispiel für die oftmals komplizierten Situationen, denen
sich Friedensmittler gegenübersehen, und sie müssen dann sorgfältig zwischen den Kosten
und Folgen der vorgeschlagenen Lösungen abwägen.
Der endgültige Vorschlag zum Status des Kosovo war dann sorgfältig nach zahlreichen Verhandlungsrunden mit den betroffenen Parteien ausgearbeitet. Ich glaube, dass die Unabhängigkeit des Kosovo für alle Parteien von Nutzen ist. Wenn Serbien dies anerkennt, kann
das eine Chance für dauerhaften Frieden auf dem Balkan sein und auch Serbiens Bemühungen um Beitritt in die Europäische Union voranbringen. Die internationale Gemeinschaft und
insbesondere die Europäische Union müssen sicherstellen, dass auch alle Menschen des Kosovo diesem Ziel näherkommen können.
Vielleicht liegt die Komplexität der internationalen Friedensvermittlung auch in deren „Umfeld“ begründet. Von großer Bedeutung sind hierbei die Rolle und das Engagement der regionalen Akteure. Sie können die Friedensbemühungen entweder unterstützen oder unterminieren. Es wäre unklug, einen Prozess in Gang zu setzen, ohne ernsthaft darüber nachzudenken, wie die regionalen Akteure parallel zu den Friedensgesprächen mit einbezogen werden
können. Der Prozess, der 1990 zur Unabhängigkeit Namibias führte, ist ein herausragendes
Beispiel für die konstruktive Zusammenarbeit der internationalen und regionalen Akteure im
Friedensprozess. Wenn ich heute auf die insgesamt 13 Jahre, die ich mit diesem Prozess zugebracht habe, zurückblicke, kann ich es kaum glauben, dass wir es geschafft haben, die
wichtigsten Akteure – die fünf westlichen Länder, die P5, die OAU und insbesondere die afrikanischen Frontstaaten, die südafrikanische Regierung und alle politischen Parteien Namibias, einschließlich der SWAPO, auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Die Gemeinsame
Kommission bestehend aus Südafrika, den USA, Angola, Kuba und der Sowjetunion spielte
eine wichtige Rolle bei der Konfliktlösung. Die Rolle der UNO und aufeinanderfolgender USRegierungen änderte sich während des langen Friedensprozesses. Es gab Zeiten, da wurde
die UNO benötigt, zu anderen Zeiten arbeitete sie mehr im Hintergrund. Die Zusammenarbeit der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates war und ist von ausschlaggebender Bedeutung. Im Kosovo war dies leider nicht der Fall, wie wir nur allzu gut wissen.
Die Liste potentieller Probleme, die in Friedensverhandlungen diskutiert werden müssen, ist
sehr lang und umfasst Themen wie Abrüstung, Demobilisierung und Reintegration, Geschlechterfragen, Beziehungen mit der Zivilgesellschaft, Verfassungsgebung, Machtteilung
und die Frage, wer einer Gemeinschaft beistehen kann, wenn alles Andere zusammenbricht.
Friedensvereinbarungen können nicht alle Probleme lösen. Bestenfalls können sie als institutioneller und politischer Rahmen sowie als Arrangement dienen, die es den Parteien ermöglichen, auch weiterhin in Bezug auf die vereinbarten Regelungen zusammenzuarbeiten.
Trotzdem gibt es nur sehr begrenzte Untersuchungen und Diskussionen darüber, welche
Themen in produktiver Weise in einen Friedensprozess eingeschlossen werden und welche
besser außen vor bleiben können und sollten. Wie bei der interessenbasierten Mediation entscheiden die Parteien und der Vermittler letztendlich über die Themen und die Punkte auf
der Tagesordnung.
Wenn wir jedoch an mehrdimensionale Konflikte denken, wie zum Beispiel damals in Aceh,
dann besteht die Herausforderung für den Vermittler darin, ein Gleichgewicht zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu finden. Während der Friedensgespräche zu Aceh
hatten wir ein wenig Raum für die Diskussion der Vergangenheit, aber an einem bestimmten
Punkt mussten wir damit zum Schluss kommen. Um vorwärts zu kommen und unser gemeinsam vereinbartes Ziel zu erreichen, mussten wir uns dann auf die Zukunft konzentrieren
anstatt immer weiter zu versuchen, alle Fehler der Vergangenheit am Verhandlungstisch zu
lösen.
In den letzten Jahren kam es in Zusammenhang mit internationaler Streitschlichtung immer
wieder zu Diskussionen über die Gerechtigkeit in der Phase des Übergangs und den Umgang
mit der Vergangenheit. Und es gab einen Grund dafür: Gerechtigkeit ist ein Eckpfeiler eines
dauerhaften Friedens. Wenn sich ein Vermittler in einen Friedensprozess einschaltet, dann
gibt es zwei Hauptsorgen. Erstens, wie kann man vermeiden, dass das Problem, welches den
Konflikt ursprünglich verursacht hat, immer wieder hoch kommt, und zweitens, wie kann
man den Grundstein für die Versöhnung legen. Wir alle wissen, dass viele Friedensvereinbarungen leider nicht nachhaltig sind, und bei den meisten kommt es in einem Zeitrahmen
von weniger als 5 Jahren wieder zum Aufleben der Gewalt. Teilweise ist das darauf zurückzuführen, dass das kollektive Gedächtnis und das Leid so stark sind, dass es, wenn man nicht in
irgendeiner Form damit umgeht, wenig Potential für eine friedliche Zukunft gibt. Hier kann
Südafrika als positives Beispiel erwähnt werden.
Schlussfolgerungen
Wir alle tragen Verantwortung für den globalen Frieden und für die Sicherheit der Menschen. Es ist unsere Verantwortung zu handeln, um Gewalt zu verhindern, Konflikte zu lösen
und beim Wiederaufbau zu helfen. Diese Verantwortung bedeutet Engagement – wir können
nicht einfach kommen und wieder gehen aus rein nationalen oder persönlichen Interessen
oder wirtschaftlichen Erwägungen heraus. Was wir brauchen, ist Ausdauer – die Fähigkeit,
uns in vom Krieg zerrütteten Ländern langfristig auch im Prozess des Wiederaufbaus und der
Versöhnung zu engagieren.
Der Frieden benötigt den Beitrag eines jeden Einzelnen. Wir können bei der Auswahl unserer
Partner für den Frieden nicht wählerisch sein – wir müssen mit allen Parteien sprechen, die
die Unterstützung des Volkes genießen, seien es die Hamas in Palästina oder die Taliban in
Afghanistan. In dieser Hinsicht sollten sich nationale Interessen nicht in den sensiblen Prozess
der Friedenschaffung einmischen, denn der Frieden muss hier das höchste nationale Interesse
sein.
Der Frieden erfordert Kompromisse, auch seitens externer Akteure, zugunsten gemeinsamer
Interessen. Konfliktzonen sind keine Orte des Wettstreits, denn so kann Frieden nicht gelingen. Der Frieden in Konfliktzonen sollte auch ein Hauptziel für die transatlantische Partnerschaft sein. Es ist doch ganz logisch, denn der Frieden kann auch die Interessen anderer
mächtiger Staaten sichern. Den nötigen Konsens für den Frieden zu erhöhen, das ist die Aufgabe aller Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, und besonders natürlich der Hauptakteure.
Zugunsten langfristiger Vorteile müssen wir uns auch ernsthaft mit Präventivmaßnahmen
befassen. Präventivmaßnahmen zu den Hauptursachen für Konflikte, z.B. die immer größer
werdende Kluft zwischen arm und reich, erfordern vollen Einsatz. Und jeder Einsatz benötigt
auch Mittel. Wir müssen auch in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs die Mittel für die Zusammenarbeit bereitstellen. Konflikte gehen auch in Zeiten des Abschwungs weiter.
Meine Damen und Herren, Frieden ist eine Frage des Willens. Ich möchte das insbesondere
vor dem hier anwesenden jungen Publikum betonen. Sie und Ihre Generation spielen eine
wichtige Rolle bei der Schaffung und Aufrechterhaltung dieses Willens und bei dessen praktischer Umsetzung. Für diese Arbeit können Sie auf meine feste Unterstützung rechnen. Ich
wünsche Ihnen viel Glück dabei.
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