Quelle: , 04.-06.04.2015, Seite 15 / Geschichte Kampf der Sozialsysteme Vor 150 Jahren endete der Amerikanische Bürgerkrieg Von Jürgen Heiser Entscheidungsschlacht im Sezessionskrieg bei Richmond/Virginia am 2. April 1865 (Holzstich aus: Illustrierte Zeitung, Leipzig, vom 27.5.1865); Foto: picture alliance / akg-images Am Abend des 14. April 1865, fünf Tage nach der Kapitulation der Konföderiertenarmee im Amerikanischen Bürgerkrieg, wollte John Wilkes Booth einen mit Gleichgesinnten ausgeheckten Plan umsetzen. Der 26jährige weiße Südstaatler und fanatische Befürworter der Sklaverei sah ihn als notwendige Vollstreckung einer historischen Mission an. Booth war von Beruf Schauspieler, weshalb es ihm nicht schwerfiel, sich Zugang zum Ford’s Theatre in Washington D.C. zu verschaffen, wo er gelegentlich gearbeitet hatte. Er hoffte, möglichst nah an US-Präsident Abraham Lincoln heranzukommen, der sich und seiner Frau Mary nach dem Ende des Bürgerkrieges einen Theaterbesuch gönnen wollte. Das Ehepaar saß in der Präsidentenloge und wollte sich zusammen mit einem befreundeten Major der Unionstruppen, Henry Rathbone, und dessen Verlobter Clara Harris eine Komödie ansehen. Unerwartet hatte Booth leichtes Spiel, da der zum Schutz des Präsidenten abgestellte Polizist John Parker seinen Posten im Flur vor der Loge kurzfristig verließ. Gegen 22 Uhr drang Booth lautlos in die Präsidentenloge ein, richtete seine 2 Waffe auf den Kopf des Präsidenten und streckte ihn mit einem gezielten Schuss nieder. Lincoln starb am nächsten Morgen, ohne je das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Trotz seines geglückten Mordanschlags auf die politische Symbolfigur der Sklavenbefreiung konnten Booth und seinesgleichen den objektiven geschichtlichen Prozess nicht mehr aufhalten. Die am 9. April 1865 erfolgte Kapitulation der Army of Northern Virginia, des wichtigsten Großverbandes des Heeres der Konföderiertenstaaten unter dem Befehl von General Robert E. Lee, war mit der Niederlage der Sklavenhalterstaaten bereits besiegelt. Parteiischer Gerichtshof Im Winter 1860/61 hatten sich die Südstaaten von den Vereinigten Staaten von Amerika losgesagt. Äußerer Anlass war die Wahl des eher gemäßigten Sklavereigegners Abraham Lincoln zum 16. US-Präsidenten. Im Februar 1861 erklärten sieben Südstaaten unter Führung von South Carolina ihre Unabhängigkeit. Insgesamt elf Staaten schlossen sich zu den »Konföderierten Staaten von Amerika« zusammen. Ihr Präsident wurde Jefferson Davis, die Hauptstadt Richmond in Virginia. Die Sezession der Konföderierten erfolgte nicht als Reaktion darauf, dass die Nordstaaten den Südstaaten wegen der Sklaverei etwa die Pistole auf die Brust gesetzt hätten. Es war vielmehr umgekehrt so, dass die Südstaaten seit langem ihr System der Sklaverei weiter ausdehnen wollten. Dazu versuchten sie, ihren Einfluss in den Nordstaaten stärker geltend zu machen, vor allem aber die Sklaverei in den an ihre eigenen Gebiete angrenzenden US-Staaten und in den noch nicht in den Bund aufgenommenen westlichen »Territorien« zu etablieren. Auf politischer und rechtlicher Ebene ließen die Sklavenhalterstaaten dabei keine Möglichkeit aus, ihre Interessen durchzusetzen. Die Trennung zwischen Nord- und Südstaaten verlief nicht entlang einer klaren geographischen Linie. Sie war vielmehr politisch durch die Konkurrenz zwischen dem aufstrebenden Industriekapitalismus des Nordens bestimmt, der freie Lohnarbeiter brauchte, und der Pflanzeroligarchie des Südens, die ohne Ausbeutung der Sklaven nicht bestehen konnte. Die Südstaaten verfügten auch auf der Gegenseite über Parteigänger, die ihr Gesellschaftsmodell tatkräftig unterstützten. Das wird an der Rolle deutlich, die der Oberste Gerichtshof mit Sitz in Washington in diesem Zusammenhang spielte. Dieser Gerichtshof aus neun Richtern, von denen damals fünf dem Süden angehörten, war seit langem »das willigste Instrument der Sklavenhalter«, wie es Karl Marx in seinem Artikel »Der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten« am 25. Oktober 1861 für die österreichische Tageszeitung Die Presse formulierte. Der Gerichtshof entschied 1857 im Fall des Sklaven Dred Scott, der vor Gericht seine Freiheit erstreiten wollte, dass er als Sklave kein Staatsbürger sei, die Verfassung also nicht für ihn gelte. Vielmehr 3 sei er »Eigentum«, und jeder Bürger der USA habe das Recht, sein von der Verfassung geschütztes Eigentum zu behalten und in jedes Territorium der USA mitzunehmen. Da die Verfassung Sklaven als Eigentum betrachte, so das Gericht, konnten Sklaven auch in jedem Staat der Union sowie in den freien Territorien von ihren Eigentümern zur Arbeit gezwungen werden. Das höchste Gericht der USA war deshalb der Meinung, dass die Regierung in Washington das System der Sklaverei in allen Unionsstaaten dulden müsse. Süden sucht Streit Doch der Grundwiderspruch zwischen Nord- und Südstaaten erwies sich letztlich als nicht justiziabel und blieb unüberbrückbar. »Mit dem Verzicht auf ihre Eroberungspläne würde die südliche Konföderation auf ihre Lebensfähigkeit und auf den Zweck der Sezession verzichten«, schrieb Marx in seinem Artikel weiter (MEW, Band 15, Seite 345). Die Unionsstaaten aber hätten »mit einer friedlichen Preisgabe des streitigen Gebiets an die südliche Konföderation« (S. 345) dieser mehr als drei Viertel vom Gebiet der USA überlassen, und das »Sklavensystem würde die ganze Union verpesten«. Weil also die Nordstaaten sich dem Druck aus dem Süden nicht fügten, beschlossen die Sklavenhalterstaaten, die Entscheidung militärisch herbeizuführen. So kam es am 12. April 1861 zu dem, was seither als offizieller Kriegsbeginn gilt: dem Bombardement von Fort Sumter durch die Konföderiertenarmee. Äußerst weitsichtig folgerte Zeitzeuge Marx: »Der gegenwärtige Kampf zwischen Süd und Nord ist also nichts als ein Kampf zweier sozialer Systeme, des Systems der Sklaverei und des Systems der freien Arbeit. Weil beide Systeme nicht länger friedlich auf dem nordamerikanischen Kontinent nebeneinander hausen können, ist der Kampf ausgebrochen. Er kann nur beendet werden durch den Sieg des einen oder des andern Systems« (S. 346). Als US-Präsident Abraham Lincoln am 22. September 1862 die Emanzipationsproklamation unterzeichnete, in der alle unter Kontrolle der abtrünnigen Südstaaten stehenden Sklaven mit Wirkung vom 1. Januar 1863 für frei erklärt wurden, war der Bürgerkrieg noch in vollem Gange. Am Ende forderte er nach vagen Angaben zwischen 627.000 und 888.000 Tote auf beiden Seiten. Die Proklamation war zwar ein entscheidender Schritt in Richtung Sklavenbefreiung, sie bedeutete aber ebensowenig wie der 13. Verfassungszusatz, der am 18. Dezember 1865 in Kraft trat und die Sklaverei auf dem gesamten Gebiet der USA endgültig abschaffte, das Ende der Unterdrückung der Schwarzen. Vor allem aber blieb den USA bis in unsere Zeit hinein das Erbe des Rassismus, der tief verwurzelt ist in der Rechtfertigung der Entmenschlichung der aus Afrika verschleppten Sklaven zum Zwecke ihrer ökonomischen Ausbeutung. Das Ende des Bürgerkrieges der Vereinigten Staaten war somit der Beginn eines bislang 150jährigen Kampfes der afroamerikanischen Bevölkerung um ihre Bürger- und Menschenrechte, deren volle Verwirklichung noch aussteht. 4 Quellentext: »Der Krieg ging nicht vom Norden aus, sondern vom Süden« Vor allem ist zu erinnern, dass der Krieg nicht vom Norden ausging, sondern vom Süden. Der Norden befindet sich in der Defensive. Er hatte monatelang ruhig zugesehen, wie die Sezessionisten Forts, Kriegsarsenale, Schiffswerften, Zollhäuser, Kassen, Schiffe, Waffenvorräte der Union sich aneigneten, ihre Flagge insultierten, Truppenteile derselben gefangennahmen. Die Sezessionisten beschlossen endlich durch einen geräuschvollen Kriegsakt, die Unionsregierung aus ihrer passiven Haltung herauszuzwingen und schritten nur aus diesem Grunde zum Bombardement des Fort Sumter bei Charleston (...), das den Platz in wenigen Stunden zum Fall brachte. Kaum war diese Nachricht nach Montgomery, dem Sitz des Sezessionskongresses, telegraphiert worden, als Kriegsminister Walker öffentlich im Namen der neuen Konföderation erklärte: »Kein Mensch kann sagen, wo der heute eröffnete Krieg enden wird.« Zugleich prophezeite er, »dass die Flagge der südlichen Konföderation noch vor dem ersten Mai vom Dome des alten Kapitols zu Washington und binnen kurzem vielleicht auch von der Faneuilhalle zu Boston (Symbol der Unabhängigkeit der nordamerikanischen Kolonien von England; jW) herabwehen werde«. (...) Für Lincoln blieb nur noch die Wahl, von Washington zu fliehen, Maryland und Delaware zu räumen, Kentucky, Missouri und Virginia preiszugeben oder auf den Krieg mit Krieg zu antworten. Karl Marx: Der nordamerikanische Bürgerkrieg. In: MEW, Band 15, Berlin/DDR 1961, S. 330 f.