Kurs 3. Studienjahr / Strahlentherapie T1. Physikalische Aspekte ionisierender Strahlung (Ionisation/Wechselwirkung, Primärprozesse, Dosisbegriffe, Dosimetrie, Gerätekunde) T2. Molekulare und zelluläre Strahlenbiologie (Sekundärprozesse, Folgeeffekte, zelluläre Strahlenempfindlichkeit, Strahlenschäden,Normalgewebe- und Tumor-Strahlenbiologie) T3. Normalgewebe- und Tumor-Strahlenbiologie (Faktoren der Strahlenempfindlichkeit von Tumoren und Normalgeweben) T4. Klinische Anwendung / Bestrahlungsplanung (Grundlagen der Radioonkologie / klinische Aspekte, räumliche und zeitliche Dosisverteilung, therapeutische Breite, Patientendemo) T5. Strahlenrisiko / Strahlenschutz (Deterministische - / stochastische Effekte, akutes Strahlensyndrom, teratogenes, genetisches u. karzinogenes Risiko, Natürliche - / zivilisatorische Strahlenbelastung) Kurs 3. Studienjahr / Strahlentherapie T3. Normalgewebe- und Tumor-Strahlenbiologie ¾ Strahlenempfindlichkeit von Tumoren (Tm-Entität, Tm-Größe, Gesamtdosis, Gesamtbehandlungszeit, Reoxygenierung, Zeitintervall, Einfluss des LET) ¾ Strahlenempfindlichkeit von Normalgeweben - Frühreaktionen - Spätveränderungen Erworbene Eigenschaften maligner Tumoren Unabhängigkeit von Wachstumssignalen Unterdrückung/ Umgehung der Apoptose gesteigerte Angiogenese Unempfindlichkeit gegenüber wachstumshemmenden Signalen Gewebeinvasion + Metastasierung unbegrenztes replikatives Potential D. Hanahan and R.A. Weinberg, Cell (2000) 100: 57-70. TUMORSTRAHLENBIOLOGIE - Metastasierung (systemische Dissemination) Primary Tumor Beteiligte Faktoren: - Verlust an Adhäsionsmolekülen ECM ECM - Proteasen - „Mobilitätsfaktoren“ Metastatic Cells Lymphatic / Blood Vessel Secondary Tumor ( c- met- Rezeptor ) ( SCATTER -Faktor ) TUMORSTRAHLENBIOLOGIE Klinischer Bezug (Tumorkontrolle) Bestrahlung wirkt nur dort, wo sie appliziert wird (im Gegensatz zur Chemotherapie) Loko-reg. Ausdehnung der Tumorerkrankung Erkrankung lokal T = kurativ regionär (Lymphknoten) N therapierbar metastatisch M (M0) TNM Klassifikation der UICC Entscheidungsrelevanz für die Radiotherapie: 1. Kurativ oder palliativ 2. Auswahl der Zielgebiete TUMORSTRAHLENBIOLOGIE Klinischer Bezug (Tumor- und Normalgewebe) Zielvolumenkonzept = Erfassung des Zielgebietes (maximal notwendige Dosis) = Ausspaarung von Normalgewebe (minimal mögliche Dosis) 1. Nur Tumorregion mit angrenzendem Infiltrationsgebiet Hirntumoren, Prostatakarzinom 2. Tumorregion / Infiltrationszone + regionäre Lymphabstromgebiete Mamma-Ca, Rektumkarzinom, Kopf-Hals-Tumoren, Lungen-Ca. 3. Systemisch Ganzkörperbestrahlung, Bestrahlung des Liquorraumes TUMORSTRAHLENBIOLOGIE Klinisches Beispiel (Mammakarzinom) 1. Ausbreitungsmuster Tumorgröße (T-Stadium) regionär (N-Stadium) Lymphknoten axillär / supraclaviculär / parasternal) fern (M-Stadium) Lunge, Leber, Skelett, selten Gehirn (=Staginguntersuch.) Anatomie Operation CT GKS TUMORSTRAHLENBIOLOGIE Klinisches Beispiel (Mammakarzinom) 2. Zielgebiet (nach Operation / brusterhaltend) Brust + / - regionäre Lymphabstromgebiete = strahlenbiol. Erkenntnisse über die Tumorkontrolle 3. Aussparung / Schonung von Normalgewebe Lunge, Herz, Armplexus = strahlenbiol Erkenntnisse über Normalgewebsreaktionen Overgaard et al., 1997 TUMORSTRAHLENBIOLOGIE Einflußfaktoren auf die lokale Tumorkontrolle 1. Tumorentität 2. Tumorgröße 3. Gesamtdosis / Dosis pro Fraktion 4. Gesamtbehandlungszeit der Strahlentherapie 5. Hypoxische Tumorzellfraktion / Reoxygenierung 6. Zeitintervall zwischen den Fraktionen (Einfluß ??) 7. Einsatz von Strahlen mit hohem LET Einflußfaktoren auf die lokale Tumorkontrolle - 1. Tumorentität Mittelwerte der Proliferationsaktivität histologisch unterschiedlicher Tumoren (Tubiana und Malaise 1976) Einflußfaktoren auf die lokale Tumorkontrolle - 1. Tumorentität Wachstumsparameter solider humaner Tumoren (nach Steel) Parameter Volumenverdopplungszeit Durchschnitt Variationsbreite 90 Tage 16 - 170 Tage Potentielle Verdopplungszeit 4 Tage 2 - 23 Tage Zellzykluszeit 2 Tage 0.6 - 4 Tage Wachstumsfraktion 40 % 6 - 90 % Zellverlust 90 % 40 - 96 % TUMORSTRAHLENBIOLOGIE Einflußfaktoren auf die lokale Tumorkontrolle 1. Tumorentität 2. Tumorgröße 3. Gesamtdosis / Dosis pro Fraktion 4. Gesamtbehandlungszeit der Strahlentherapie 5. Hypoxische Tumorzellfraktion / Reoxygenierung 6. Zeitintervall zwischen den Fraktionen (Einfluß ??) 7. Einsatz von Strahlen mit hohem LET Einflußfaktoren auf die lokale Tumorkontrolle - 2. Tumorgröße - Anstieg der zur Tumorkontrolle notwendigen Strahlendosis mit dem Logarithmus des Tumorvolumens TUMORSTRAHLENBIOLOGIE Einflußfaktoren auf die lokale Tumorkontrolle 1. Tumorentität 2. Tumorgröße 3. Gesamtdosis / Dosis pro Fraktion 4. Gesamtbehandlungszeit der Strahlentherapie 5. Hypoxische Tumorzellfraktion / Reoxygenierung 6. Zeitintervall zwischen den Fraktionen (Einfluß ??) 7. Einsatz von Strahlen mit hohem LET Einflußfaktoren auf die lokale Tumorkontrolle - 3. Gesamtdosis / Dosis pro Fraktion - Dosis-EffektKurve für die lokale Tumorkontrolle Einflußfaktoren auf die lokale Tumorkontrolle - 3. Gesamtdosis / Dosis pro Fraktion - Prinzip der Fraktionierung der Dosis TUMORSTRAHLENBIOLOGIE Einflußfaktoren auf die lokale Tumorkontrolle 1. Tumorentität 2. Tumorgröße 3. Gesamtdosis / Dosis pro Fraktion 4. Gesamtbehandlungszeit der Strahlentherapie 5. Hypoxische Tumorzellfraktion / Reoxygenierung 6. Zeitintervall zwischen den Fraktionen (Einfluß ??) 7. Einsatz von Strahlen mit hohem LET Einflußfaktoren auf die lokale Tumorkontrolle - 4. Gesamtbehandlungszeit - Wachstumskurven unbehandelter und bestrahlter Tumoren Zeitfaktor in der Radioonkologie Einflußfaktoren auf die lokale Tumorkontrolle - 4. Gesamtbehandlungszeit - Einfluß der Gesamtbehandlungszeit einer Bestrahlung mit 30 Fraktionen auf die lokale Kontrolle eines humanen Plattenepithelkarzinoms der Maus Einflußfaktoren auf die lokale Tumorkontrolle - 4. Gesamtbehandlungszeit Prospektive Phase III Studie 5 versus 6 Bestrahlungstage beim Plattenepithelkarzinom des Kopf-Halsbereiches Overgaard et al., 2003 TUMORSTRAHLENBIOLOGIE - Zeitfaktor in der Radioonkologie ZEITFAKTOR = Abnahme der Tumorkontrollwahrscheinlichkeit mit zunehmender Gesamtbehandlungszeit einer fraktionierten Strahlentherapie - Existenz eines Zeitfaktors in der Radioonkolgie gesichert durch: • Experimentelle Untersuchungen • Randomisierte klinische Studien PEC H&N + NSCLC Biologischer Mechanismus? • • • • Wachstumsgeschwindigkeit unbehandelter Tm? beschleunigte Proliferation klonogener Tm-Zellen? zunehmende Hypoxie als alternative Erklärungsmöglichkeit? weitere mögliche Mechanismen? Zunehmende Hypoxie als alternative Erklärungsmöglichkeit des Zeitfaktors ?! wachsender Anteil hypoxischer klonogener TmZellen mit zunehmender Gesamtbehandlungszeit? • hypoxische Tm-Zellen sind resistenter als gut oxygenierte • tierexp. zunehmende Rarefizierung des Tumorgefäßnetzes während faktionierter RT • tierexp. Abnahme interstitieller pO2 während faktionierter RT TUMORSTRAHLENBIOLOGIE Einflußfaktoren auf die lokale Tumorkontrolle 1. Tumorentität 2. Tumorgröße 3. Gesamtdosis / Dosis pro Fraktion 4. Gesamtbehandlungszeit der Strahlentherapie 5. Hypoxische Tumorzellfraktion / Reoxygenierung 6. Zeitintervall zwischen den Fraktionen (Einfluß ??) 7. Einsatz von Strahlen mit hohem LET Einflußfaktoren auf die lokale Tumorkontrolle - 5. Hypoxische Tm-Zellfraktion / Reoxygenierung - Reoxygenierung während fraktionierter Strahlentherapie. Unmittelbar nach Bestrahlung sind alle überlebenden klonogenen Zellen hypoxisch. Bis zur nächsten Fraktion kommt es zur Reoxygenierung. Dies wiederholt sich über die Behandlung. (nach Hall) Hypoxie in soliden Tumoren – ein Problem für die Effektivität der Strahlentherapie Sauerstoffverstärkungsfaktor = Dosis - anoxische Bedingungen Dosis - oxische Bedingungen ⇒ Bei Strahlen mit niedrigem LET ist die Strahlenresistenz unter anoxischen Bedingungen erhöht Hypoxie in soliden Tumoren – ein Problem für die Effektivität der Strahlentherapie Tumorhypoxie = schlechte Prognose nach Radiatio ? Response (%) 5 J LC/ N=31 Cervix (Kolstad 1968) OAS 22M. HNO (Nordsmark 1996) >median M. Weinmann LC 2 J. <median >10 <10 >10 <10 21-30 11-20 0-10 pO2 (mm Hg) MFS 1J. Sarkome (Brizel 1996) Cervix (Höckel 1993) HNO (Gatenby 1988) 20-40 10-19 0-9 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 CR Tag 90 STRAHLENBIOLOGIE Ionisierende Strahlung Ionisation Freie Radikale DNA-Schädigung Reparatur ? Chromosomenaberrationen asymmetrische symmetrische Zelltod Mutation, Zelltransformation Gewebe-, Organ-, Organismus-Schäden Karzinogenese, Genetische Effekte Deterministische Effekte ("high dose effects") Stochastische Effekte ("low dose effects") STRAHLENBIOLOGIE - NORMALGEWEBE Strukturtypen der Gewebe ¾ H - Typ „Hierarchische Struktur“ Kutis, Serosa, Mukosa, Testis ¾ F - Typ „Flexible Struktur“ Leber, Lunge, Niere, ZNS STRAHLENBIOLOGIE - NORMALGEWEBE „H-Typ“-Gewebe • Kutis • Serosa • Mukosa • Testis Gewebe mit hierarchischer Struktur (schematisch) STRAHLENBIOLOGIE - NORMALGEWEBE Ablauf der akuten Strahlenreaktion an der Darmschleimhaut STRAHLENBIOLOGIE - NORMALGEWEBE Spätveränderungen am Dünndarm STRAHLENBIOLOGIE - NORMALGEWEBE Haut (Kutis und Subkutis) Tag 1 - 4 Tag 8 - 22 Tag 24 - 51 Früherythem Mittelerythem Haupterythem Frühformen: -Radiodermatitis sicca (50 Gy frakt. RT) -Radiodermatitis acuta erosiva (60 Gy frakt. RT) -Radiodermatitis gangraenosa (70 Gy frakt. RT) Spätformen: -Chronische Radiodermatitis -Radiogene Fibrose (Fett ↓, Koll. Faser ↑, Kapillaren ↓) Strahlenreaktion der Mundschleimhaut Mucositis enoralis - Grad 1 •Rötung; Gefäßzeichnung vermehrt; leichte Ödembildung Strahlenreaktion der Mundschleimhaut Mucositis enoralis - Grad 1-2 •Rötung deutlich; Gefäßinjektion; Ödem deutlich; beginnende Belagbildung Strahlenreaktion der Mundschleimhaut Mucositis enoralis - Grad 2 •Rötung; Gefäßinjektion; fokale Fibrinbeläge Strahlenreaktion der Mundschleimhaut Mucositis enoralis - Grad 2-3 •Rötung; Ödem deutlich; beginnende Konfluenz der Fibrinbeläge Strahlenreaktion der Mundschleimhaut Mucositis enoralis - Grad 3 •Rötung; Ödem; konfluierende Pseudomembran (Fibrin) Strahlenreaktion der Mundschleimhaut Verlauf akute Mukositis über 6 Wochen Bestrahlung L. Plasswilm / Tübingen / St. Gallen Strahlenreaktion der Haut Hautreaktion - Grad 1 [geringes Erythem und diskretes Ödem nach 50 Gy Radiotherapie + lokaler Hyperthermie der linken Supraklavikulargrube] Strahlenreaktion der Haut Hautreaktion bei Z.n. hyperfrakt.-akzelerierter RT wg. Larynx-Ca. [links: akute Hautreaktion mit umschriebenen feuchten Epitheliolysen; rechts: in Abheilung begriffene Hautreaktion Strahlenreaktion der Haut Verlauf akute Dermatitis über 6 Wochen Bestrahlung L. Plasswilm / Tübingen / St. Gallen Akute und chronische Nebenwirkungen Kopfhaar - Reaktion Grad 3 [vollständige reversible Allopezie im Bereich der Bestrahlungsfelder] STRAHLENBIOLOGIE - NORMALGEWEBE Radiogene Gefäßveränderung Pathogenese: Strahlung bewirkt Endothelverlust ⇓ ungeregelte Regeneration durch Stammzellen ⇓ Endothelzellpolster - Lumeneinengung - Lumenverschluß Rarefizierung der Gefäße Teleangiektasien arteriosklerotischer Wandumbau STRAHLENBIOLOGIE - NORMALGEWEBE Kapillare Arteriole Arterie Strahlenfolgen an • Kapillare • Arteriole • Arterie STRAHLENBIOLOGIE - NORMALGEWEBE Lunge - Radiopneumopathie TD 5/5 : 25 Gy TD 50/5 : 35 Gy Nachweis: Rö-Aufn.:20 % , Klinik 1% Pathomechanismus: Akut: ionisierende Strahlung Endothelschwellung Arteriolenwandverdickung interstitielles Oedem Chron: Pneumocyten 2 < Pneumocyten-1mangel (≈Lungenfibrose) - Metaplasie der Bronchialepithelien - Sklerose der Arteriolen - Verdickung (Fibrose) der Septen Surfactantmangel STRAHLENBIOLOGIE - NORMALGEWEBE Strahlenspätschäden am Lungenparenchym STRAHLENBIOLOGIE - NORMALGEWEBE Prinzipien der Pathogenese eines Strahlenschadens AKUT CHRONISCH Entzündung Hauptmerkmal Schweregrad ↑D Latenzverhalten Atrophie, Nekrose, Fibrose (↓Mikrozirkulation) Schweregrad ↑D ↓D Tage-Wochen ↓D Zeit α/β > 5 Gy (10 Gy) = verminderte Anzahl funktionaler Zellen (Hypoplasie) Zeit Monate-Jahre Fraktionierungssensitivität α/β < 5 Gy (~2 Gy) = verminderte Funktion der Zellen (Atrophie) STRAHLENBIOLOGIE - NORMALGEWEBE Früh- und spät reagierende Normalgewebe FRÜH Kriterien SPÄT hoch Zellumsatz niedrig kurz Zellzyklusdauer lang gering Intrazelluläre Erholung groß groß Repopulationsfähigkeit keine / gering „H“ Gewebetyp i.d.R. „F“ Späte Nebenwirkungen einer Strahlentherapie sind stark abhängig von der Dosis pro Fraktion. Bei hohen Dosen pro Fraktion nimmt die Komplikationshäufigkeit zu. STRAHLENBIOLOGIE - NORMALGEWEBE Konsequenz der strahlenbiologischen Erkenntnisse Therapieplanung 1. Maximale Schonung von Normalgewebe durch Anpassung der Therapiefelder an das Tumorgebiet „räumlich / geometrisch“ 2. Definition von Toleranzdosen / Dosisbegrenzungen („dose constraints“) 3. Auswahl geeigneter Fraktionierungsschemata Minimierung der Nebenwirkungsrisiken Anforderungen an eine optimale Radiotherapie Spannungsfeld zwischen Tumorkontrolle und Nebenwirkungen Dosis / Wirkungsbeziehungen Toleranz dosis Tumorkontrolle Risikogebiet für Rückfall Nebenwirkung Risikoorgan Vol (%) DVH Tumor Risikoorgane Dosis (%)