Universität Trier Trier, im Juli 2003 Fachbereich I – Psychologie DIE ZEITLICHE STABILITÄT DER HERZPERIODENVARIABILITÄT WÄHREND EMOTIONALER FILME Diplomarbeit vorgelegt von Henning Holle Betreuer: Dr. Dirk Hagemann Prof. Dr. Dieter Bartussek 2 Stabilität der Herzperiodenvariabilität Inhaltsverzeichnis INHALTSVERZEICHNIS .......................................................................................... 2 0. EINFÜHRUNG..................................................................................................... 4 1. THEORETISCHER HINTERGRUND ............................................................. 6 1.1 ARBEITSDEFINITION EMOTION ........................................................................ 6 1.2 DIE AUTONOME KONTROLLE DES HERZENS .................................................. 10 1.2.1 Sympathikus und Vagus............................................................................ 11 1.2.2 Autonome Innervation des Herzens.......................................................... 13 1.2.3 Erregungsverlauf am Herzen ................................................................... 14 1.2.4 Chronotrope Wirkung .............................................................................. 15 1.2.5 Dromotrope Wirkung ............................................................................... 15 1.2.6 Inotrope Wirkung ..................................................................................... 16 1.2.7 Vagale Beat-by-Beat-Kontrolle................................................................ 16 1.3 1.3.1 1.4 Ursachen der RSA .................................................................................... 18 MAßE DER HERZRATENVARIABILITÄT ........................................................... 19 1.4.1 Frequency Domain Maße......................................................................... 20 1.4.2 Time Domain Maße.................................................................................. 22 1.5 VAGALE REAKTIVITÄT UND EMOTION .......................................................... 23 1.5.1 Das Modell von Thayer ............................................................................ 24 1.5.2 Modifiziertes Modell nach Lang .............................................................. 26 1.5.3 Vagale Reaktivität als Traitkomponente des Affektiven Stils ................... 28 1.5.4 Zeitliche Stabilität der vagalen Reaktivität .............................................. 29 1.6 2. RESPIRATORISCHE SINUSARRHYTHMIE ......................................................... 17 HYPOTHESEN................................................................................................. 30 METHODE ......................................................................................................... 32 2.1 VERSUCHSPERSONEN .................................................................................... 32 2.2 VERSUCHSABLAUF ........................................................................................ 32 2.3 STIMULUSMATERIAL ..................................................................................... 33 2.4 ERHOBENE RATINGDATEN ............................................................................ 34 2.5 ERFASSUNG DES EKG ................................................................................... 34 Henning Holle 2.6 3. 3 DATENVERARBEITUNG UND ANALYSE .......................................................... 35 ERGEBNISSE .................................................................................................... 37 3.1 RATINGS ........................................................................................................ 37 3.2 VERÄNDERUNGEN DER HERZPERIODE ........................................................... 40 3.3 VERÄNDERUNGEN DER VAGALEN AKTIVITÄT ............................................... 42 3.4 DIE VAGALE KOMPONENTE DER EMOTIONALEN REAKTION .......................... 46 3.5 LATENT-STATE-TRAIT-ANALYSE DER REAKTIONSMAßE. ............................. 50 3.5.1 Beschreibung der Modelle ....................................................................... 51 3.5.2 Latent-State-Trait Modell mit Methodenfaktor. ....................................... 52 3.5.3 Modell mit unkorrelierten States und Methodenfaktor ............................ 54 2.5.4 Modell mit unkorrelierten States.............................................................. 56 3.5.5 Ergebnisse der LST-Analyse .................................................................... 58 4. DISKUSSION ..................................................................................................... 66 5. LITERATURVERZEICHNIS .......................................................................... 71 ANHANG A: BESCHREIBUNG DER FILME ...................................................... 74 ANHANG B: FAKTORENANALYSE L-MSSD .................................................... 76 ANHANG C: FAKTORENANALYSE DER REAKTIONSMAßE L-MSSD ...... 77 4 Stabilität der Herzperiodenvariabilität 0. Einführung Im Bereich der Emotionsforschung hat sich bis dato eine Vielzahl von Arbeiten mit den autonomen Komponenten der Emotion beschäftigt. Eine mögliche Funktion dieser autonomen Veränderungen, z. B. Beschleunigung der Herzrate, erhöhte Kontraktionskraft des Herzmuskels usw., ist die Bereitstellung körperlicher Ressourcen im Sinne einer Handlungsbereitschaft (Oatley & Jenkins, 1996). Häufig wurde dabei die Veränderung der Herzrate als globaler Indikator für autonome Aktivierung angesehen; teilweise sogar mit sympathisch vermitteltem Arousal gleichgesetzt (Porges, 1995). Tatsächlich steht das Herz aber unter sympathischer und parasympathischer (=vagaler) Kontrolle, so dass z. B. ein Anstieg der Herzrate durch erhöhte sympathische Aktivität, verminderte vagale Aktivität oder durch eine Kombination aus beidem erreicht werden kann. Es wäre also sinnvoll, die autonomen Veränderungen, die mit dem Erleben einer Emotion einhergehen, getrennt in ihren sympathischen und vagalen Anteilen abzubilden. Vor allem die vagalen Anteile könnten dabei in Bezug auf Emotionen bedeutsam sein, da nur der Parasympathikus die physiologischen Voraussetzungen für flexible und schnelle Anpassungsprozesse erfüllt (Thayer & Lane, 2000). Auf der anderen Seite scheint es eine Verbindung zwischen einem niedrigen vagalen Tonus, einer beeinträchtigten Fähigkeit zur Emotionsregulation und der Panikstörung zu geben (Friedman & Thayer, 1998). Wenn man dem Konstrukt der vagalen Reaktivität aber eine solch wichtige Rolle als Indikator organismischer Responsitivät zuschreibt, sollten die psychophysiologischen Maße der vagalen Reaktivität auch eine gewisse zeitliche Stabilität und transsituative Konsistenz im Sinne eines Traits aufweisen. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der zeitlichen Stabilität der kardiovaskulären vagalen Reaktion im Kontext einer emotionalen Stimulation. Zweiundsechzig Probanden sahen acht emotionale Filme, die Ausschnitte aus Henning Holle 5 kommerziellen Spielfilmen darstellten. Die Filme waren dabei so ausgewählt, dass sie möglichst spezifisch und intensiv eine von vier basic emotions (Ärger, Ekel, Freude und Trauer) induzieren, wobei je zwei Filme auf eine Emotion abzielten. Zusätzlich wurde ein neutraler Film gezeigt. Während der Präsentation wurde ein Elektrokardiogramm (EKG) aufgezeichnet. Aus dem EKG wurde ein Time-DomainMaß der Herzperiodenvariabilität errechnet (root mean square of successive differences rMSSD, d. h. die Wurzel aus dem Mittelwert der quadrierten sukzessiven Differenzen). Die Herzperiodenvariabilität diente als Indikator für das Ausmaß der vagalen Beeinflussung des Herzens. Um ein filmspezifisches Maß für vagale Reaktivität zu erhalten, wurde die Herzperiodenvariabilität des neutralen Films von der Herzperiodenvariabilität jedes emotionalen Films abgezogen. Die Herzperiodenvariabilität der einzelnen Filme zeigte eine mittlere Stabilität über die vier Messgelegenheiten (die meisten Korrelationen lagen im Bereich von r = .50 bis r = .70). Die Reaktivitätsmaße der Herzperiodenvariabilität zeigten jedoch verminderte Retest-Korrelationen, die sich um r = 0 bewegten. In einer differenzierten Analyse nach der Latent-State-Trait-Theorie (Steyer, Schmitt, & Eid, 1999) wurde deutlich, dass die vagale Reaktion auf emotionale Filme keine zeitliche stabile Disposition (i.S. eines Traits) ist. Der messgelegenheitsspezifische Einfluss (State-Anteil) ist hingegen vergleichsweise groß. 6 Stabilität der Herzperiodenvariabilität 1. Theoretischer Hintergrund „Everyone knows what an emotion is, until asked to give a definition. Then, it seems, no one knows.” (Fehr & Russell, 1984) 1.1 Arbeitsdefinition Emotion Die Frage, wie man Emotionen definieren kann, ist so alt wie die Emotionsforschung selbst. Fehr und Russell (1984) haben gezeigt, dass Menschen sehr wohl in der Lage sind, Beispiele für Emotionen zu geben. Jeder Mensch scheint z. B. eine Vorstellung davon zu haben, wie sich für ihn die prototypische Emotion Freude anfühlt und in welchen Situationen er diese Emotion typischerweise erlebt. Schwierig wird es erst, wenn man versucht, Emotionen zu definieren, indem notwendige und hinreichende Bedingungen spezifiziert werden. Diese Arbeit folgt dem Vorschlag von Frijda (1986), nach welchem die Veränderung hin zu einer Handlungsbereitschaft (englisch: change in readiness for action) eine notwendige Bedingung für eine Emotion darstellt. Sie stellt jedoch keine hinreichende Bedingung dar, d. h. nach diesem Verständnis geht nicht jede Vorbereitung einer Handlung mit einer Emotion einher. Aus diesem zentralen Element der Handlungsbereitschaft lässt sich eine Arbeitsdefinition für Emotionen ableiten (Oatley & Jenkins, 1996): 1. Eine Emotion entsteht, wenn eine Person bewusst oder unbewusst ein Ereignis bewertet, das als relevant für ein Anliegen (ein Ziel) erachtet wird. Die gefühlte Emotion ist positiv, wenn das Ereignis die Zielerreichung begünstigt wird und negativ, wenn es die Zielerreichung behindert. 2. Im Zentrum einer Emotion stehen die Handlungsbereitschaft und das Anstoßen von Plänen; eine Emotion setzt die Priorität für eine oder mehrere Handlungsarten fest und verleiht ihnen eine gewisse Dringlichkeit. So Henning Holle 7 entsteht durch die Emotion ein gewisser Wettbewerb der Pläne und Handlungen, in dessen Verlauf es zu Handlungsunterbrechungen und – veränderungen kommen kann. Unterschiedliche Arten der Handlungsbereitschaft führen damit zu unterschiedlichen Beziehungen der Pläne untereinander. 3. Eine Emotion wird normalerweise als ein distinkter mentaler Zustand erlebt, in dessen Folge oder Begleitung es manchmal zu körperlichen Veränderungen, Veränderungen im Ausdruck oder zu Handlungen kommt. Der Autor ist sich bewusst, dass die Emotionsforschung von einer konsensfähigen Definition noch weit entfernt ist und die Entscheidung somit recht willkürlich ist. Die gewählte Definition fällt nach der Klassifikation von Meyer, Schützwohl und Reisenzein (1993) in den Bereich der Syndromdefinitionen, d. h. eine Emotion wird als Gesamtereignis aus mentalem Erleben, Verhalten und physiologischen Veränderungen verstanden. Beispiele für Dimensionen des zentralen Konstruktes Handlungsbereitschaft finden sich in Tabelle 1. Frijda, Kuipers und ter Schure (1989) extrahierten diese Dimensionen aus imaginierten prototypischen emotionalen Episoden. An den Beispielitems wird leicht ersichtlich, auf welche Weise Handlungsbereitschaften die Pläne der Person beeinflussen. 8 Stabilität der Herzperiodenvariabilität Tabelle 1 Auswahl von Dimensionen der Handlungsbereitschaft mit Beispielitems nach Frijda et al. (1989) Dimension Action readiness item Antagonismus „Ich wollte opponieren, angreifen, verletzen oder beleidigen” Annäherung „Ich wollte mich annähern, Kontakt aufnehmen“ Vermeidung „Ich wollte nichts mehr mit der Person / der Sache zu tun haben“ Überschwang „Ich wollte mich bewegen, singen, springen, Dinge unternehmen“ Hoffnungslosigkeit „Ich wollte etwas tun, aber ich wusste nicht was; Ich war hilflos“ Kontrolle „Ich stand über den Dingen; Ich hatte die Sache im Griff; Ich hatte die Zügel in der Hand“ Inhibition „Ich fühlte mich gehemmt, paralysiert“ Entspannung „Ich fühlte mich entspannt; dachte, dass alles OK ist; sah keinen Anlass, etwas zu unternehmen“ Ein Beispiel möge die zentrale Rolle der Handlungsbereitschaft für die Emotion verdeutlichen: Sie möchten kurz vor Ladenschluss noch etwas Einkaufen und gehen auf dem Bürgersteig die Straße entlang. Ein Auto fährt mit überhöhtem Tempo dicht am Bordstein vorbei, wobei sie durch das aufgewirbelte Wasser völlig durchnässt werden. Wutentbrannt drehen sie sich nach dem Auto um und schütteln drohend ihre Faust. Die Handlung „Einkaufen“ wird hier für einen gewissen Zeitraum unterbrochen, weil die Handlung „Protest“ zunächst eine höhere Dringlichkeit bekommen hat. Da Sie nun nass und schmutzig sind, wird das Erreichen einiger Ziele unwahrscheinlicher, z. B. dass der Einkauf heute noch erledigt wird. Die gefühlte Emotion wird also negativ sein. Die beiden Handlungen stehen miteinander im Wettbewerb, wobei dem Protest aktuell eine höhere Dringlichkeit zugeordnet ist. Henning Holle 9 Wenn die Intensität der erlebten Emotion „Ärger“ nachlässt, ist damit zu rechnen, dass die Handlung „Einkaufen“ fortgesetzt wird. Versucht man diese emotionale Episode in den Dimensionen der Handlungsbereitschaft (vgl. Tabelle 1) zu beschreiben, scheinen hier Antagonismus und Annäherung besonders wichtig zu sein. Emotionen dienen somit als Verbindungspunkte zwischen den Handlungen; sie teilen uns mit, dass eine bedeutsame Veränderung eingetreten ist und wir unsere Handlungen entsprechend anpassen müssen. Aus diesem Verständnis von Emotion ergibt sich eine interessante Sichtweise des Verhältnisses von Kognition und Emotion. Oft werden die beiden als konkurrierende Prozesse (miss-)verstanden, wobei den Emotionen die Rolle eines phylogenetischen Erbes zugedacht wird, dass uns beim Treffen von rationalen Entscheidungen behindert. In real life, purely logical search through all possibilities is not possible (because of limitations of resources, multiple goals, and problems of coordination with others). Nevertheless we must act and, (…), herein are the roots of human tragedy: despite our limitations we must take responsibility for our actions, and suffer their effects. This is why emotions or something like them are necessary to bridge across the unexpected and the unknown, to guide reason, and to give priorities among multiple goals (Oatley & Jenkins, 1996). Die Pläne, die durch Emotionen angestoßen werden, sind hauptsächlich sozialer Natur, d. h. sie beziehen andere Personen mit ein. Insofern sorgen sie für eine gewisse Infrastruktur des sozialen Miteinanders, ein Aspekt, den rein kognitiv orientierte Emotionstheorien, wie z. B. die goal-relevance-theory von Lazarus (Oatley & Jenkins, 1996), häufig vernachlässigen. Nach Frijda (1986) kann man Emotionen also als distinkte mentale Zustände verstehen, die eine wichtige Rolle in der Handlungsregulation spielen. Neben diesen motivationalen Voraussetzungen müssen allerdings auch gewisse körperliche Handlungsbereitschaften geschaffen werden, damit der Organismus erfolgreich 10 Stabilität der Herzperiodenvariabilität handeln kann. Emotionen sollten nach dieser Vorstellung mit einer Aktivierung von körperlichen Ressourcen einhergehen, die in Art und Verlauf auf die situativen Anforderungen abgestimmt ist. Im folgenden soll skizziert werden, wie das autonome Nervensystem einen wichtigen Teil dieser Anpassungsleistungen vollbringt, wobei der Schwerpunkt auf der kardiovaskulären Handlungsbereitschaft liegt. Ferner wird aufgezeigt, wie über die Analyse der Herzperiodenvariabilität ein nicht-invasives und valides Maß für die vagale Beeinflussung des Herzens errechnet werden kann. 1.2 Die autonome Kontrolle des Herzens Das autonome Nervensystem stellt neben dem endokrinen System das zweite große System für die Kommunikation zwischen den einzelnen Organen des Körpers dar. Es innerviert die glatte Muskulatur aller Organe und Organsysteme, das Herz und die Drüsen. Das autonome Nervensystem (ANS) regelt dabei lebenswichtige Funktionen, z. B. der Atmung, des Kreislaufes, der Verdauung und des Stoffwechsels. Im Gegensatz zum somatosensorischen Nervensystem unterliegt es nur eingeschränkt der direkten, willkürlichen Kontrolle, weshalb es auch als autonom bezeichnet wird (Birbaumer & Schmidt, 1999). Das ANS sorgt für eine kontinuierliche Anpassung der intraorganismischen Prozesse an die äußeren Umstände. So wird z. B. bei einigen Menschen der Anblick einer Schlange von einem Anstieg des Herzzeitvolumens und der Muskeldurchblutung begleitet, was die anschließende Flucht erleichtert. Hier wird wieder das Konzept der Handlungsbereitschaft deutlich. „Die vegetativen Veränderungen werden dabei aktiv vom Gehirn erzeugt, d. h. sie sind integrale Bestandteile jeglichen Verhaltens und keine passiven Begleiterscheinungen oder reflektorische Reaktion auf sensorische, motorische, emotionale oder kognitive Prozesse.“ (Birbaumer & Schmidt, 1999). Umgekehrt erlaubt dieser enge Henning Holle Zusammenhang, 11 aus der Messung vegetativer Effekte Rückschlüsse auf zentralnervöse Prozesse zu ziehen. Das autonome Nervensystem setzt sich aus drei Teilsystemen zusammen, dem Sympathikus, dem Parasympathikus bzw. Vagus und dem Darmnervensystem. Das Darmnervensystem ist das einzige System, das wirklich autonom arbeitet. Es beinhaltet eigenständige motorische Programme, z. B. für die Bewegungen des Darmes zur Durchmischung und Weiterleitung des Darminhalts (Birbaumer & Schmidt, 1999). Dieses System liegt jedoch nicht im Fokus dieser Arbeit. 1.2.1 Sympathikus und Vagus Zunächst soll hier der anatomische Aufbau der beiden Systeme skizziert werden, um anschließend die Besonderheiten jedes Teilsystems herauszuarbeiten. 1.2.1.1 Gemeinsamkeiten der beiden Systeme Sowohl das sympathische als auch das vagale System sind als zweizellige Neuronenketten organisiert. Der Zellkörper des ersten Neurons – präganglionär genannt – liegt hierbei noch innerhalb des Zentralnervensystems, genauer im Hirnstamm (Vagus) oder im Rückenmark (Sympathikus & Vagus). Acetylcholin ist in beiden Fällen der präganglionäre Neurotransmitter, der dort an Rezeptoren des nicotinergen Typs bindet. Beide Systeme innervieren die gesamte glatte Muskulatur des Magen-DarmTraktes, der Ausscheidungsorgane, der Sexualorgane, der Lunge und der Vorhöfe des Herzens. Auch diverse Drüsen (Tränen- und Speicheldrüsen, Drüsen des MagenDarm-Traktes) werden durch beide Systeme innerviert (Birbaumer & Schmidt, 1999). Die beiden Systeme unterscheiden sich jedoch sowohl, was die Lage der meisten Ganglien relativ zu den Effektororganen angeht, als auch bei den verwendeten postganglionären Neurotransmittern (Jänig, 2000). 12 Stabilität der Herzperiodenvariabilität 1.2.1.2 Besonderheiten des Sympathikus Einige Organe werden ausschließlich sympathisch innerviert. Hierzu zählen das gesamte Gefäßsystem (mit Ausnahme der Genitalorgane) und die Schweißdrüsen. Die Zellkörper der präganglionären Neuronen des Sympathikus liegen im Brustmark und im oberen Lendenmark. Die meist myelinisierten Axone verlassen das Rückenmark über die Vorderwurzeln und ziehen zu den sympathischen Ganglien. Die meisten dieser Ganglien liegen paarweise links und rechts der Wirbelsäule. Im Bauch- und Beckenraum gibt es jedoch auch unpaare Ganglien. Die paarigen Ganglienketten werden auch als linker und rechter Grenzstrang bezeichnet (Birbaumer & Schmidt, 1999). Von hier ziehen die Axone zu den Erfolgsorganen, wobei die postganglionären Axone unmyelinisiert und sehr dünn sind. Sie leiten die Erregung nur mit etwa 1 m/s weiter (Antoni, 2000b). Bei den meisten sympathischen postganglionären Axonen kommt Noradrenalin als Neurotransmitter zum Einsatz, lediglich bei den Nebennierenrinden wird Acetylcholin verwendet (Jänig, 2000). Die sympathische Beeinflussung des Herzens vollzieht sich dabei nur über langsame Second-Messenger-Systeme (Berne & Levy, 2001). Aufgrund der relativen Länge der postganglionären Axone, der geringeren Leitgeschwindigkeit und dem langsamen postganglionären Second-Messenger-System wirkt hier eine sympathische Aktivierung erst nach einer längeren Latenzzeit auf das Effektororgan (Berne & Levy, 2001). 1.2.1.3 Besonderheiten des Parasympathikus Die meisten präganglionären Neuronen des Parasympathikus liegen im Hirnstamm und im Kreuzmark. Vom Hirnstamm aus ziehen die Fasern für den gesamten Brust- und den oberen Bauchraum durch den X. Hirnnerv (Nervus vagus) zu den nah an den Erfolgsorganen gelegenen Ganglien. Die Axone aus dem Kreuzmark laufen im nervus splanchnicus pelvinus und ziehen zu den Henning Holle 13 Beckenorganen. Die Kopforgane (innere Augenmuskeln, Drüsen) werden über verschiedene, aus dem Hirnstamm entspringende Hirnnerven (III = Nervus oculomotorius, VII = Nervus facialis, IX = Nervus glossopharyngeus) versorgt (Birbaumer & Schmidt, 1999). Der postganglionäre Neurotransmitter des Parasympathikus ist Acetylcholin, hier bindet er jedoch an muscarinerge Rezeptoren. Die Rezeptoren des Herzens regulieren dabei direkt Kalium-Ionen-Kanäle, welche für ein promptes Entstehen postsynaptischer Aktionspotentiale sorgen. Beim Vagus ist die Latenzzeit daher im Vergleich zum Sympathikus kurz (Berne & Levy, 2001). 1.2.2 Autonome Innervation des Herzens Nachdem bis hierhin die allgemeinen Eigenschaften von Sympathikus und Parasympathikus beschrieben wurden, soll nun aufgezeigt werden, wie die beiden Systeme in der autonomen Kontrolle des Herzens interagieren. Die sympathische und parasympathische Regulation des Herzens wird von verschiedenen absteigenden Bahnen moduliert, welche ihren Ursprung im Hypothalamus und in der Amygdala haben. Von dort projizieren sie zu den bulbomedullären Nuclei und zu den präganglionären sympathischen Neuronen (Wittling, 1995). Genauer „Hirnstammkontrollzentren“ die werden rostrale als wichtige ventromediale subkortikale Medulla, das periaquäduktale Grau, der laterale und paraventrikuläre Hypothalamus und der zentrale Nucleus der Amygdala angesehen (Wittling, 1997). Die präganglionären Neurone des Sympathikus befinden sich im intermediolateralen Trakt im oberen Brustmark. Von dort ziehen die Axone durch das Rückenmark zu den Ganglien im Grenzstrang. Die postganglionären Fasern innervieren den Sinusknoten, den Herzmuskel im Bereich der Hauptkammern, den Atrioventrikularknoten (AV-Knoten) und den Herzmuskel im Bereich der Vorkammern (Wittling, 1997). 14 Stabilität der Herzperiodenvariabilität Die vagalen präganglionären Zellkörper sind entweder im dorsalen motorischen Nucleus oder im Nucleus ambiguus des verlängerten Rückenmarks lokalisiert. Die präganglionären Axone laufen durch den Vagus zu den parasympathischen Ganglien, die sich in der Herzwand befinden. Die postganglionären Fasern innervieren den Sinusknoten, den AV-Knoten, den Vorhofmyokard und in geringem Maße den Herzmuskel im Bereich der Hauptkammern (Berne & Levy, 2001). 1.2.3 Erregungsverlauf am Herzen Der Sinusknoten, der im rechten Vorhof nahe der Einmündung der Vena cava superior liegt, funktioniert als primärer Schrittmacher. In Ruhelage sorgt er für eine Frequenz von 60 – 90 Schlägen. Vom Sinusknoten breitet sich die Erregung innerhalb von 100 ms über die Muskulatur beider Vorhöfe aus. Während der Erregungssausbreitung kontrahieren die Vorhöfe. Im AV-Knoten wird die Weiterleitung zunächst für 90 ms verzögert. Dies verhindert die gleichzeitige Kontraktion von Vorkammern und Ventrikeln. Dann erfolgt die Weiterleitung über das His-Bündel, welches sich im Verlauf zunächst in den linken und rechten TawaraSchenkel, dann in Purkinje-Fasern aufteilt. Dieses Fasersystem ist schnell leitend (2 m/s) und sorgt dafür, dass verschiedene Regionen der Herzkammer gleichzeitig erregt werden. Von den subendokardialen Endigungen der Purkinje-Fasern breitet sich die Erregung schließlich über die Kammermuskulatur aus. Diese letzte Phase der Erregungsausbreitung dauert 100 ms. Die Erregungsausbreitung des Herzens ist also gekennzeichnet durch eine Erregungsausbreitung über beide Vorhöfe, eine Verzögerung im AV-Knoten und anschließend eine schnelle Ausbreitung der Erregung auf die Kammermuskulatur. Im Gegensatz zu Skelettmuskel- oder Nervenfasern ist das Aktionspotential der Herzmuskelzellen durch eine lange Plateauphase gekennzeichnet. Dadurch erhöht sich die Dauer des gesamten Aktionspotentials der Herzmuskulatur auf 200-400 ms, Henning Holle 15 d. h. etwa 100mal länger als bei einer Skelettmuskel- oder einer Nervenfaser (Antoni, 2000a). Das autonome Nervensystem beeinflusst die Pumpleistung des Herzens, indem es den beschriebenen Ablauf der Erregungsausbreitung an drei Ansatzpunkten moduliert, (1) dem Sinusknoten, (2) dem AV-Knoten und (3) der Muskulatur im Bereich der Hauptkammern. 1.2.4 Chronotrope Wirkung Unter chronotroper Kontrolle versteht man die Beeinflussung des Sinusknotens als primärem Schrittmacher. So führen die Reizung des rechten Herzvagus sowie die Applikation von Acetylcholin auf den Sinusknoten zu einer Verlangsamung der Herzrate. Dies wird als negativ chronotrope Wirkung bezeichnet. Eine positiv chronotrope Wirkung lässt sich bei Sympathikusreizung oder der Gabe von Noradrenalin beobachten (Antoni, 2000a). Vagus und Sympathikus nehmen durch ihre Ruheaktivität – Tonus genannt – einen unterschiedlich starken Einfluss auf die chronotrope Kontrolle. Wird das Herz denerviert, schlägt es deutlich schneller (Birbaumer & Schmidt, 1999). Ebenso steigt die Herzrate im Ruhezustand nach Gabe des Vagus-Antagonisten Atropin deutlich an, während der sympathische Antagonist Propranolol nur zu einer leichten Verlangsamung führt (Berne & Levy, 2001). Im Ruhezustand scheint also der vagale Tonus zu überwiegen. 1.2.5 Dromotrope Wirkung Unter dromotroper Wirkung versteht man die vegetative Beeinflussung des AV-Knotens und damit der Erregungsleitung des Herzens. Der Sympathikus verkürzt die atrioventrikuläre Überleitung und damit die Pause zwischen Vorhofund Kammerkontraktion (positiv dromotrope Wirkung). Der Vagus hingegen 16 Stabilität der Herzperiodenvariabilität verlangsamt die atrioventrikuläre Leitung, im Extremfall bis zum totalen AV-Block (Antoni, 2000a). 1.2.6 Inotrope Wirkung Vagusaktivität führt zu einer Verringerung der Kontraktionskraft der Vorhöfe (negativ inotrope Wirkung). Im Bereich der Kammern lässt sich unter vagalem Einfluss kaum eine Verringerung feststellen, da dieser kaum innerviert wird. Unter sympathischem Einfluss erhöht sich sowohl die Kontraktionskraft der Vorhof- als auch der Kammermuskulatur (positiv inotrope Wirkung) (Antoni, 2000a). 1.2.7 Vagale Beat-by-Beat-Kontrolle Über die chronotrope und dromotrope Wirkung ist es dem Parasympathikus möglich, kurzfristige Veränderungen der Herzrate zu bewerkstelligen, was als vagale Beat-by-Beat-Kontrolle bezeichnet wird. Bei den vagalen postgänglionären Neuronen bindet Acetylcholin an muscarinerge Rezeptoren, welche die KaliumIonen-Kanäle direkt regulieren. Dies führt zu einer Inhibition des SA-Knotens und des AV-Knotens und damit zu einer prompten Verlangsamung des Herzschlags. Gleichzeitig ist viel Acetylcholinesterase im synaptischen Spalt vorhanden, was eine schnelle Spaltung von Acetylcholin ermöglicht. Eine Abnahme der vagalen Stimulation führt hingegen zu einer Disinhibition. Aufgrund des überwiegenden vagalen Tonus im Ruhezustand resultiert dies in einem kurzfristigen Anstieg der Herzrate. Die Wirkung des Vagus auf das Herz ist also gekennzeichnet durch eine kurze Latenzzeit von 50–100 ms (Berne & Levy, 2001) und ein rasches Nachlassen der Wirkung nach Ende der Stimulation. Die Auswirkungen des Sympathikus auf die Herzrate sind eher graduell, was sich zum einen mit den langen und langsam leitenden postganglionären Fasern (Antoni, 2000a), zum anderen mit den langsameren kardioeffektorischen SecondMessenger-Rezeptoren (Berne & Levy, 2001) erklären lässt. Die sympathische Latenzzeit bis zum Einsetzen eines Aktionspotentials im Effektororgan liegt im Henning Holle 17 Bereich von 1300-2000 ms (Berntson, Cacioppo, & Quigley, 1993). Während der sympathischen Stimulation wird ein Großteil des Noradrenalins wieder in den präsynaptischen Spalt aufgenommen, während der Rest vom Blutstrom weggespült wird. Im Vergleich zur parasympathischen Deaktiverung mittels Acetylcholinesterase ist dies ein langsamer Prozess, der sich in der langen Abklingzeit (englisch: decay time) von mehr als 15 s nach Ende der Stimulation niederschlägt (Berne & Levy, 2001). Zusammenfassend lässt sich sagen: Thus the vagus nerves are able to exert beat-by-beat control of heart rate, whereas the sympathetic nerves are not able to alter cardiac behaviour very much within one cardiac cycle (Berne & Levy, 2001). Die sympathischen kardioeffektorischen Synapsen werden in diesem Zusammenhang auch als Low-Pass-Filter bezeichnet, da sie aufgrund ihrer Trägheit nur auf niederfrequente Oszillationen reagieren können (Berntson et al., 1993). Die absolute Pumpleistung des Herzens (gemessen z. B. durch das Herzzeitvolumen) kann also auf chronotrope, dromotrope und intrope Weise beeinflusst werden. Kurzfristige Veränderungen der Leistung sind dabei nur durch eine Veränderung der vagalen Aktivität möglich. 1.3 Respiratorische Sinusarrhythmie Der Parasympathikus vollbringt im Ruhezustand eine kontinuierliche Anpassung der Herzrate, die sogenannte respiratorische Sinusarrhythmie (RSA). Während der Inspiration beschleunigt sich der Herzschlag, wogegen er sich bei der Exspiration verlangsamt (Berne & Levy, 2001). Die Herzrate variiert also in Abhängigkeit der Atemfrequenz, wobei diese chronotrope und dromotrope Wirkung erreicht wird. kurzfristige Variation über 18 Stabilität der Herzperiodenvariabilität 1.3.1 Ursachen der RSA Zwei Reflexe zur Kreislaufregulation scheinen eine besonders wichtige Rolle bei der Entstehung der RSA zu spielen. 1.3.1.1 Barorezeptorreflex Der Barorezeptorreflex wird auch als Karotissinusreflex oder Barosensorreflex bezeichnet. Drucksensoren im Aortenbogen und in der Karotisarterie melden fortlaufend über den Karotissinusnerven den mittleren Blutdruck an die Kreislaufzentren im Hirnstamm. Ein Abfallen des Blutdrucks führt zu einer vagalen Hemmung (negative chronotrope und dromotrope Wirkung) und einer sympathischen Erregung (positiv chronotrope, dromotrope und intrope Wirkung). Entsprechend umgekehrte Folgen hat ein Ansteigen des arteriellen mittleren Blutdrucks (Birbaumer & Schmidt, 1999). Der Barorezeptorreflex ist in erster Linie für die Verlangsamung des Herzschlags während der Exspiration verantwortlich. Während der Exspiration verringert sich das Volumen des Brustkorbs, d. h. der intrathorakale Druck erhöht sich. Dadurch erhöht sich auch der Blutdruck, was die Barorezeptoren im Aortenbogen und in den Karotisarterien zum Feuern veranlasst. Über die Kreislaufzentren im Hirnstamm wird eine vermehrte vagale Aktivität initiiert und durch die beschriebenen Mechanismen wird eine negativ chronotrope und dromotrope Wirkung erreicht, was zu einer Verlangsamung der Herzrate führt (Berne & Levy, 2001). 1.3.1.2 Bainbridge-Reflex In den Vorhöfen befinden sich zwei Arten von Dehnungsrezeptoren. Die ARezeptoren feuern während der Kontraktion der Vorhöfe, die B-Rezeptoren bei passiver Dehnung der Vorhöfe, z. B. durch vermehrt einströmendes venöses Blut. Die Impulse der Vorhofrezeptoren laufen über Vagusafferenzen zu den kreislaufsteuernden Neuronen des Nucleus tractus solitarii. Die Erregung von B- Henning Holle 19 Rezeptoren führt zu einer Erregung der sympathischen und einer Hemmung der vagalen Strukturen (Antoni, 2000a). Bainbridge hat demonstriert, dass der Reflex nach beidseitiger Durchtrennung der Vagi verschwindet, was für eine vagale Vermittlung spricht (Berne & Levy, 2001). Hauptsächlich der Bainbridge-Reflex bewirkt die Beschleunigung der Herzrate während der Inspiration. Bei der Inspiration dehnt sich der Brustkorb, wodurch der intrathorakale Druck abfällt. Dies führt zu einem beschleunigten Rückfluss des venösen Blutes, was eine Dehnung der rechten Vorkammer zur Folge hat. Das Feuern der B-Rezeptoren bewirkt eine Disinhibition des Vagus, sodass das Herz dann schneller schlägt. Aus dem Zusammenspiel dieser beiden Reflexe entsteht die rhythmische Variation der Herzrate. Für eine vagale Vermittlung dieser Reflexe spricht dabei, dass die RSA nach der Gabe eines Parasympathikus-Antagonisten verschwindet, während Sympathikus-Antagonisten kaum Auswirkungen zeigen (Berne & Levy, 2001). Die RSA kann also als Indikator für das Ausmaß der vagalen Beeinflussung der Herzrate gesehen werden (Wittling, 1997). Im folgenden wird aufgezeigt, wie aus einem EKG einige Indikatoren für die RSA und damit für die vagale Aktivität errechnet werden können. 1.4 Maße der Herzratenvariabilität Unglücklicherweise stellt die RSA nicht die einzige Varianzquelle der Herzratenvariabilität dar. Auch das Ausmaß der körperlichen Aktivität, circadiane Rhythmen, Veränderungen im Renin-Angiotensin-System stellen zusätzliche Varianzquellen dar (Stein, Bosner, Kleiger, & Conger, 1994). Verschiedene Ansätze wurden mit dem Ziel entwickelt, die Quellen zu trennen, um einen möglichst reinen Indikator für RSA zu errechnen. Ausgangspunkt für die Berechnung aller Maße stellt zunächst ein EKG dar, in dem fortlaufend die R-Zacken identifiziert werden. Die RZacke signalisiert die schnelle Depolarisation entlang der His’schen Bündel Richtung 20 Stabilität der Herzperiodenvariabilität Endmyokard und ist das am leichtesten identifizierbare Signal im EKG (Antoni, 2000a). Nun kann eine Datenreihe generiert werden, die entweder die fortlaufenden Herzraten oder die Herzperioden beinhaltet. Letztere enthält die Abstände zwischen den einzelnen R-Zacken in ms und wird als Inter-Beat-Interval-Zeitreihe (IBIZeitreihe) bezeichnet. Berntson et al. (1997) empfehlen in ihrem Committee Report von Herzperiodenvariabilität statt Herzratenvariabilität zu sprechen, wenn als Ausgangsbasis eine IBI-Zeitreihe verwendet wurde. Diese Konvention wird für den Rest dieser Arbeit eingehalten. 1.4.1 Frequency Domain Maße Bei einer Frequency-Domain-Analyse wird die Gesamtvarianz der IBIZeitreihe zerlegt. Dabei wird deutlich, wie viel der Gesamtvarianz auf periodische Oszillationen verschiedener Frequenzen zurückzuführen ist. Stein et. al (1994) erläutern das Prinzip an folgendem hypothetischen Beispiel, in dem die Herzperiodenvariabilität nur das Resultat dreier zusammenwirkender Frequenzen darstellt, nämlich einer „hohen“ Frequenz von 0.25 Hz (15 Zyklen pro Minute), einer „niedrigen“ Frequenz von 0.1 Hz (6 Zyklen pro Minute) und einer sehr niedrigen Frequenz von 0.016 Hz (1 Zyklus pro Minute, siehe Abbildung 1 oben links). Aus der Kombination dieser Signale ergibt sich die beobachtete Herzperiodenvariabilität. Die Fourier-Analyse des Signals (Abbildung 1, unten links) zeigt grafisch, welchen Anteil an der Gesamtvarianz die einzelnen Frequenzen erklären. Dieser Anteil wird auch als Power (Skala: ms2) bezeichnet. Einige Forscher berichten auch die spektrale Amplitude (Skala: ms), was der Quadratwurzel der Power entspricht. Henning Holle 21 Abbildung 1: Hypothetisches Beispiel der Fourier-Analyse einer IBI-Zeitreihe Quelle: (Stein et al., 1994) Auch in realen IBI-Zeitreihen finden sich immer wieder ähnliche periodische Einflüsse auf die Herzperiodenvariabilität in bestimmten Frequenzbändern. In Bezug auf die Namensgebung der einzelnen Bänder herrscht allerdings noch kein Konsens. Diese Arbeit folgt den Richtlinien aus dem Committee Report zur Herzratenvariabilität (Berntson et al., 1997). Das high-frequency Band (HF-Band) reicht von ungefähr 0.15 bis 0.4 Hz und spiegelt im Wesentlichen die respiratorischen Einflüsse auf die Herzperiodenvariabilität wider, weswegen es auch als respiratorisches Band 22 Stabilität der Herzperiodenvariabilität bezeichnet wird. Die HF-Power kommt nach vagaler Blockade praktisch zum Erliegen, während eine sympathische Blockade kaum Auswirkung auf die HF-Power zeigt (Akselrod et al., 1981). Dies ist auch physiologisch plausibel, da nur die vagale Kontrolle die zeitlichen Eigenschaften besitzt, die für hochfrequente Oszillationen der Herzrate nötig sind. Deshalb wird Power im HF-Band als sehr valider Indikator für das Ausmaß vagalen Informationsflusses zum Sinusknoten des Herzens gesehen (Wittling, 1997). Etwas langsamere periodische Einflüsse akkumulieren im low-frequency Band (LF-Band), das von 0.05 bis 0.15 Hz reicht. Nach Ansicht einiger Autoren reflektiert das LF-Band hauptsächlich sympathische Einflüsse; die Mehrheit sieht in diesem Band jedoch sowohl sympathische als auch vagale Aktivität abgebildet (Berntson et al., 1997). Weitere Fluktuationen der Herzperioden findet man im Frequenzbereich unterhalb von 0.05 Hz. Häufiger beschriebene Bänder sind hier die very low frequencies (VLF; ungefähr 0.003 – 0.05 Hz) und die ultra low frequencies (ULF), welche circadiane Rhythmen umfassen. Es gibt recht wenig Forschungsarbeiten zu diesen Bändern, und die dahinterliegenden physiologischen Mechanismen sind noch nicht gut verstanden (Berntson et al., 1997). 1.4.2 Time Domain Maße Die Time-Domain-Maße stellen eine etwas unaufwändigere Art zur Beschreibung von bestimmten Varianzanteilen der Herzperiodenvariabilität dar. Eine erste Klasse von Time-Domain-Maßen betrachtet die Varianz der IBIZeitreihe. Ein Beispiel ist SDNN (englisch: standard deviation of all normal N-N intervals, d. h. die Standardabweichung aller normalen R-R-Intervalle in einem 24-hEKG). Diese IBI-basierten Maße erfassen ein recht breites Spektrum an Einflüssen, sowohl kurzfristige (z. B. respiratorische) als auch langfristige (z. B. circadiane) Einflüsse. Henning Holle Die zweite 23 Klasse von Time-Domain-Maßen vergleicht die Längen benachbarter R-R-Intervalle, d. h. es wird die Variabilität der Abstände zwischen den Abständen betrachtet. PNN50 (englisch: proportion of adjacent R-R intervals that are > 50 ms apart, measured in percent, d. h. der prozentuale Anteil benachbarter R-RIntervalle, die sich um mehr als 50 ms unterscheiden) und r-MSSD (englisch: root mean square of successive differences, d. h. die Wurzel des Mittelwertes der quadrierten sukzessiven Längendifferenzen benachbarter R-R-Intervalle) sind hier zwei häufig verwendete Vertreter. Sie sind so gut wie unabhängig von langfristigen Einflüssen und reflektieren hauptsächlich den vagalen Tonus (Sgoifo et al., 1999; Stein et al., 1994). Ein Nachteil der Time-Domain-Maße ist, dass sie eher qualitative als quantitative Informationen liefern. Dennoch gibt es für jedes Frequency-DomainMaß ein hoch korrelierendes Time-Domain-Maß (Stein et al., 1994). Besonders rMSSD korreliert innerhalb von Bedingungen so hoch mit der HF-Power der Herzperiodenvariabilität, dass sie als austauschbar bezeichnet werden (Sgoifo et al., 1999). Festzuhalten ist, dass über die Herzperiodenvariabilität ein valider Indikator für das Ausmaß der vagalen Beeinflussung des Herzens errechnet werden kann. Den Königsweg stellt dabei die recht aufwändige Berechnung der HF-Power dar. RMSSD ist jedoch aufgrund der hohen Korrelation ein akzeptabler Ersatz. 1.5 Vagale Reaktivität und Emotion Zunächst sollen hier einige Anmerkungen zum Konstrukt der vagalen Reaktivität erfolgen. Wie Berntson et al. (1997) anmerken, wird die HF-Komponente der Herzperiodenvariabilität oft als Indikator der vagalen Kontrolle verwendet. Sie weisen jedoch daraufhin, dass mehrere Dimensionen der vagalen Kontrolle für den Zusammenhang relevant sind: 24 Stabilität der Herzperiodenvariabilität a) Ausmaß der zentralnervösen vagalen Inhibition des Herzens b) Durchschnittliches Niveau der vagalen Inhibition des Herzens (auch als cardiac vagal tone bezeichnet) c) Phasische Variation der vagalen Inhibition des Herzens, die in Verbindung mit der Atmung steht d) Dynamische vagale Reaktionen, die das R-R-Intervall beeinflussen. Diese Dimensionen hängen oft eng miteinander zusammen, jedoch beschreiben die Autoren auch Konstellationen, in denen sie voneinander dissoziiert werden können, z. B. bei extremer vagaler oder parasympathischer Stimulation durch die Gabe von Medikamenten. Im Rahmen einer emotionalen Episode geht es um die kurzfristige Variation der vagalen Beeinflussung des Herzen relativ zu einer Baseline. Im folgenden werden einige theoretische Ansätze vorgestellt, die erklären, wie solche phasischen Variationen eine adaptive Handlungsbereitschaft des kardiovaskulären Systems ermöglichen. 1.5.1 Das Modell von Thayer Thayer (2002; 2000) betont die Rolle des Parasympathikus in der Regulation von Aufmerksamkeit und Emotion. Er betrachtet den menschlichen Organismus als ein dynamisches System mit vielen Freiheitsgraden. Innerhalb des Systems gibt es lose miteinander verbundene Bio-Oszillatoren. Wenn das System eine zielgerichtete Verhaltensweise in einem bestimmten situativen Kontext ausführt, wirken die einzelnen Bio-Oszillatoren in einer koordinierten Weise zusammen. Die vielen einzelnen Elemente des Systems können zu diesem Zeitpunkt sparsamer durch eine geringere Anzahl von Kontrollparametern beschrieben werden. Emotionen werden in dieser systemischen Betrachtungsweise als Attraktoren angesehen, d. h. sie stellen bevorzugte Konfigurationen im Verhaltensrepertoire des Organismus dar. Abbildung 2 verdeutlicht diese Approximation relativ stabiler Zustände im Henning Holle 25 konstanten Fluss der Organismus-Umwelt-Interaktionen. Die exakte Ausprägung der Kontrollparameter ist irrelevant; der Attraktor (sprich die Emotion) wird approximiert, wenn die Konfiguration in das basin of attraction fällt. Anmerkung: Die Koordinaten (0.1,0.1) und (0.9,0.9) stellen die Attraktoren dar. Die Diagonale zwischen den Koordinaten (0,1) und (1,0) trennt die beiden Basins of Attraction Abbildung 2: Basins of Attraction in einem Attraktorennetz Dieser systemische Ansatz kann erklären, wie trotz enormer situativer Variabilität dieselbe Emotion erlebt werden kann. Thayer versteht distinkte Emotionen als einen Zustand im Verhaltensrepertoire des Organismus, der durch ein kleines Set an Kontrollparametern definiert wird. Er verweist auf die breite Befundlage, die auf Valenz und Arousal als wichtigste Dimensionen der Emotion hindeutet, weshalb sie in seinem dynamischen Modell auch die wichtigsten Kontrollparameter darstellen. Die vagale Reaktivität ist in diesem System ein wichtiger Indikator für die Flexibilität des Systems. Der Parasympathikus sorgt nach Thayer für die schnellen Anpassungen im System. Irrelevante Informationen und Reaktionen werden inhibiert, so dass sich die Aufmerksamkeit eher auf relevante Bereiche konzentriert. Im Falle einer geringen vagalen Reaktivität gelingt diese Anpassungsleistung 26 Stabilität der Herzperiodenvariabilität weniger gut. Aufgrund der geringeren Inhibition kann es dazu kommen, dass positive Feedback-Schleifen immer wieder durchlaufen werden. Dies äußert sich z. B. in dem hohen Arousal, das bei Angstpatienten häufig beobachtet wird. Der Organismus reagiert häufiger nicht situationsadäquat und die erlebten Emotionen sind nicht funktional: „...the individual is ‚stuck’ in an attractor or behavioral pattern that is not responsive to the demands placed upon it by the environment” (Thayer & Lane, 2000). Eine geringe vagale Reaktivität wirkt sich darüber hinaus negativ auf die selektive Aufmerksamkeit des Individuums aus. Irrelevante Aspekte der Situation werden weniger gut inhibiert, deshalb muss ein Teil der Aufmerksamkeit auf sie verwendet werden. Die Reaktion des Organismus auf die situativen Gegebenheiten fällt damit suboptimal aus, da weniger bedeutsame Informationen aufgenommen und verarbeitet werden können. 1.5.2 Modifiziertes Modell nach Lang Wie kann nun die vagale Flexibilität in das Gesamtereignis Emotion integriert werden? Eine Erklärung bietet Lang (1988), der von drei Reaktionssystemen ausgeht, die nur lose miteinander verbunden sind; nämlich das kognitiv-verbale, das körperlich-physiologische und das behavioral-expressive System. Die Veränderungen, die während einer Emotion in diesen drei Systemen stattfinden, werden auch als Reaktionstrias bezeichnet. Diese Annahme geschieht vor dem Hintergrund zahlreicher Befunde, die auf bemerkenswert niedrige Zusammenhänge zwischen dem Erleben, dem Ausdruck und körperlichen Veränderungen während einer Emotion hinweisen. Oatley und Jennings (1996) erweitern Langs Argumentation, indem sie den Systemen unterschiedliche Funktionen zuschreiben. Die meisten Emotionstheorien beschäftigen sich mit dem kognitiv-verbalen System. Einige Aspekte dieses Systems können von uns erlebt werden, und nach diesen Erfahrungen dauert eine emotionale Henning Holle 27 Episode einige Minuten bis Stunden. Diesen Aspekt von Emotion bemerken wir und können uns im Anschluss darauf beziehen: „Ich war wütend, weil sie mich bei der Auswahl übergangen haben!“ Daraus können wir einiges über unsere Anliegen und Ziele erfahren. Die Funktion des kognitiv-verbalen Systems liegt also darin, für einen Zustand der Handlungsbereitschaft zu sorgen, die nach Frijda im Zentrum der Emotion steht (vgl. Seite 6). Einige Ziele und Pläne erhalten eine höhere Dringlichkeit und werden mit höherem Einsatz („Das nächste Mal möchte ich dazugehören!“) verfolgt als andere. Die Reaktionen des körperlich-physiologischen (z. B. Anstieg der Herzrate) und des behavioral-expressiven Systems (z. B. Kontraktion des musc. Corrugator) spielen sich im Sekundenbereich ab. Die meisten dieser Reaktion entgehen unserer Aufmerksamkeit und Berichte über körperliche Veränderungen scheinen nicht sehr genau zu sein (Rime, Philippot, & Cisamolo, 1990). Die Funktion des körperlichphysiologischen Systems liegt zum einen in der Regulation des komplexen Systems im Sinne der Homöostase, zum anderen in der antizipatorischen Bereitstellung körperlicher Ressourcen, z. B. für eine Flucht. Das Ausmaß der vagalen Reaktivität könnte hier vor allem für die kurzfristigen Anpassungsleistungen bedeutsam sein. So könnte ein schneller Anstieg der Herzrate über eine Vagus-Disinhibition erreicht werden. Wenn man diese Überlegungen berücksichtigt, ist es nicht verwunderlich, dass die Reaktionen in den Systemen häufig eine geringe Kohärenz aufweisen. Lang argumentiert, dass deshalb eine Beschränkung auf nur eine Reaktionsebene nicht zulässig ist, da dies mit einem zu großen Informationsverlust verbunden sei. Informativer sind Untersuchungen, in denen möglichst alle Reaktionsebenen der Emotion erfasst werden. Dies ermöglicht eine differenzierte Analyse, unter welchen situativen Gegebenheiten die drei Systeme kohärent reagieren und wann es zu welchen Dissoziationen kommt. 28 Stabilität der Herzperiodenvariabilität Der Ansatz von Lang kann einen heuristischen Rahmen liefern, indem er die unterschiedlichen Komponenten einer Emotion den drei Systemen zuordnet und ihnen Funktionen zuschreibt. Thayers Modell hingegen liefert eine Vorstellung davon, wie die Prozesse im körperlich-physiologischen System einerseits für eine fortwährende Regulation des komplexen Systems sorgen, anderseits aber auch körperliche Ressourcen im richtigen Moment zu Verfügung zu stellen, um für eine systemübergreifende Handlungsbereitschaft zu sorgen. Dies ermöglicht schließlich in Koordination mit den anderen Systemen eine erfolgreiche Interaktion mit der Umwelt. 1.5.3 Vagale Reaktivität als Traitkomponente des Affektiven Stils Die verschiedenen Emotionen werden nicht von allen Menschen gleich häufig und gleich intensiv erlebt, sondern es gibt beträchtliche interindividuelle Unterschiede. Ein einflussreiches Modell, das darauf abzielt, diese interindividuelle Varianz im emotionalen Erleben durch Unterschiede im kortikalen Aktivitätsmuster zu erklären, ist das Modell der anterioren Asymmetrie und Emotion von Davidson und seinen Mitarbeitern (Davidson, 1992, 1993). Davidson zeigt auf, dass mit der tonischen frontalen Asymmetrie (gemessen durch ein Ruhe-Elektroencephalogramm (Ruhe-EEG)) die affektive Reaktion auf emotionale Stimuli vorhergesagt werden kann. Die tonische frontale Asymmetrie ist dabei transsituativ konsistent und zeitlich stabil im Sinne eines Traits und beeinflusst somit langfristig das emotionale Erleben des Individuums, weshalb Davidson es als Affektiver Stil bezeichnet (Wheeler, Davidson, & Tomarken, 1993). Dabei sind die tonischen frontalen Asymmetrien weder als notwendige noch als hinreichende Faktoren für eine Affektivität zu verstehen, sondern als Vulnerabilität im Sinne eines Diathese-Stress-Modells. Im Rahmen dieser Arbeit ist das Konzept des Affektiven Stils ein bedeutsamer Beitrag der Theorie von Davidson. Jedoch beschränkt sich sein Modell auf das Erleben und den Ausdruck und vernachlässigt damit die autonomen Henning Holle 29 Veränderungen, welche den dritten Bestandteil in der Reaktionstrias auf emotionale Stimuli bilden. Es wäre sinnvoll, wenn der Affektive Stil um autonome Traits erweitert würde, z. B. im Sinne von Thayers vagaler Flexibilität. So könnte eine Person mit positiver Affektivität neben der tonischen linksfrontalen Aktiviertheit durch eine hohe vagale Reaktivität gekennzeichnet sein. Dies ermöglicht eine situationsadäquate Handlungsbereitschaft, indem während der Verarbeitung der Situation irrelevante Informationen inhibiert werden und eine schnelle autonome Aktivierung via Vagus-Disinhibition erfolgt. Für die tonische frontale Asymmetrie und die affektive Reaktivität konnte Hagemann (1999) zeigen, dass es sich um transsituativ konsistente und zeitlich stabile Verhaltensdispositionen handelt. Für die vagale Reaktivität wurde diese Annahme bisher gemacht (z. B. Thayer & Lane, 2000), empirische Belege stehen jedoch noch aus. 1.5.4 Zeitliche Stabilität der vagalen Reaktivität Nach Wissen des Autors liegen derzeit noch keine Studien über die zeitliche Stabilität der vagalen Reaktivität vor. Für die verschiedenen Indizes der Herzperiodenvariablität wurde in 24 h EKGs eine hohe zeitliche Stabilität berichtet, zumindest im Zeitintervall von 3 bis 65 Tagen (Kleiger et al., 1991). Über die Stabilität von Reaktionsmaßen lassen sich daraus aber noch keine Schlüsse ziehen. Für die Herzratenreaktivität auf Stimuli wie mentale Arithmetik wurde für einen Zeitraum von 8 bis 14 Tagen eine mittlere Stabilität (Retest-Korrelation r = .55) berichtet (Prkachin, Mills, Zwaal, & Husted, 2001). In einer Metaanalyse kommen Swain und Suls (1996) zu dem Schluss, dass die Herzratenreaktion im Vergleich zu systolischem und diastolischem Blutdruck noch die größte zeitliche Stabilität zeigt (Durchschnittliche Retest-Korrelation: .55). Dabei zeigten sich auf kognitive und behaviorale Stressoren stabilere Reaktionen als auf physische Stressoren (z. B. Kältereiz). Ferner scheinen Herzratenreaktionen auf sprachfreie Stimuli zeitlich 30 Stabilität der Herzperiodenvariabilität stabiler zu sein als auf sprachgebundene. Da die Herzratenreaktion aber ein Komposit aus sympathischen und parasympathischen Anteilen darstellt, kann nicht automatisch auf eine zeitliche Stabilität der vagalen Reaktion geschlossen werden. 1.6 Hypothesen Zusammenfassend lassen sich die bisherigen Ausführungen zu folgenden Hypothesen verdichten: Hypothese I: Das Konzept der Handlungsbereitschaft (Frijda, 1986) betont die Funktionalität von Emotionen in der aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt. Eine Voraussetzung für ein erfolgreiches Handeln stellt die schnelle und adaptive Aktivierung des körperlich-physiologischen Systems (Lang, 1988) dar, die nur durch verminderte vagale Aktivität erreicht werden kann (Berne & Levy, 2001). Eine Veränderung der vagalen Beeinflussung des Herzens kann dabei nicht-invasiv und valide durch das Time-Domain-Maß r-MSSD abgebildet werden (Kleiger et al., 1991). Eine emotionale Induktion sollte also mit einer verkürzten durchschnittlichen Herzperiode (MIBI, Hypothese Ia) und einer verminderten Herzperiodenvariablität (r-MSSD, Hypothese Ib) einhergehen. Hypothese II: Die Reaktion des körperlich-physiologischen Systems sollte dabei nicht gleichartig für alle Personen ausfallen, sondern es sollten sich interindividuelle Unterschiede zeigen. Gerade das Ausmaß der vagalen Reaktivität scheint dabei von Bedeutung zu sein und könnte ein Indikator für die Fähigkeit zur Emotionsregulation sein (Thayer & Lane, 2000). Diese Rolle kann man dem Konstrukt allerdings nur zuschreiben, wenn sich eine gewisse zeitliche Stabilität und transsituative Konsistenz der vagalen Reaktivität zeigt. Henning Holle 31 Eine emotionale Induktion sollte also mit einer verkürzten Herzperiode (Hypothese Ia) und verminderter Herzperiodenvariablität (Hypothese Ib) einhergehen. Bei einer wiederholten emotionalen Induktion sollte sich dabei eine gewisse zeitliche Stabilität der Auswirkung auf die Herzperiodenvariablität beobachten lassen (Hypothese II), z. B. in Form einer hohen Retest-Korrelation. 32 Stabilität der Herzperiodenvariabilität 2. Methode 2.1 Versuchspersonen Dreiundsechzig Versuchspersonen wurden durch Aushänge und das Versenden einer e-Mail an der Universität Trier rekrutiert. Als Intention wurde „die Verarbeitung visueller Reize im Gehirn“ angegeben und es wurde eine Aufwandsentschädigung von 200 DM für die vollständige Teilnahme in Aussicht gestellt. Eine Versuchsperson musste aufgrund ihres ungewöhnlich submissiven Verhaltens gegenüber dem Versuchsleiter aus der Stichprobe ausgeschlossen werden. Unter den verbleibenden 62 Versuchspersonen befanden sich 31 Männer (durchschnittliches Alter: 25 Jahre; SD = 3.2; Spannweite: 21 – 36 Jahre) und 31 Frauen (durchschnittliches Alter: 23 Jahre; SD = 3.4; Spannweite: 19 – 34 Jahre). Die Stichprobe bestand ausschließlich aus Rechtshändern, wobei die Händigkeit mit Hilfe des Edinburgh Inventory (Oldfield, 1971) kontrolliert wurde. 2.2 Die Versuchsablauf für umfangreicheren diese Arbeit relevanten Untersuchung erhoben. Daten Hier wurden im Rahmen einer werden nur die Abläufe wiedergegeben, die im Rahmen der formulierten Fragestellung bedeutsam sind. Eine ausführlichere Darstellung findet sich bei Hagemann (1999). Zu Beginn der ersten Messgelegenheit wurde den Probanden eine schriftliche Einverständniserklärung vorgelegt. Gleichzeitig wurde jede Versuchsperson über ihr Recht informiert, die Untersuchung jederzeit ohne Angabe von Gründen abbrechen zu dürfen. Die Datenerhebung erfolgte an vier Messgelegenheiten mit je einem Monat Abstand. Zu Beginn jeder Messgelegenheit wurden die Personen in eine schalldichte und elektrisch isolierte Kabine geführt, wo sie auf einem bequemen Stuhl Platz nahmen. Dann wurden die Elektroden für die physiologischen Messungen angebracht. In der Henning Holle 33 ersten Phase wurde ein Ruhe-EEG aufgezeichnet und eine Erfassung der emotionalen Grundstimmung durchgeführt. In der zweiten Phase wurde schließlich die affektive Reaktivität auf Filme und Bilder erfasst. Am Ende jedes Films gaben die Versuchspersonen emotionale Ratings ab. Das letzte Rating startete dann automatisch den anschließenden Film. Im folgenden werden nur die relevanten Operationalisierungen dargestellt. 2.3 Stimulusmaterial Insgesamt wurden 8 kurze Ausschnitte aus kommerziellen Spielfilmen zur Induktion verschiedener Emotionen ausgewählt. Die Filme sind identisch mit dem Stimulusmaterial von Tomarken, Davidson und Henriques (1990), wobei der interessierte Leser eine Beschreibung der Filme im Anhang dieser Arbeit oder bei Hagemann, Naumann, Maier et al. (1999) findet. Zwei der Filme wurden so ausgewählt, dass Personen im Anschluss an den Film über intensive positive Emotionen berichten. Die anderen sechs Filme wurden so gewählt, dass sie möglichst spezifisch und intensiv eine der Emotionen Ärger, Ekel bzw. Trauer induzieren, wobei jeweils zwei Filme auf eine Emotion abzielten. Alle Filme wurden in Farbe und ohne Ton präsentiert, und haben sich bei der Induktion von Emotionen bewährt. Hagemann et al. (1999) berichten, dass nahezu alle Filme die jeweils intendierte diskrete Zielemotion auslösen konnten und dass die durch negative Filme ausgelösten Emotionen besser unterscheidbar waren als die durch positive Filme ausgelösten Emotionen (die durch positive Filme induzierte Zielemotion wird im folgenden als Freude, engl. happiness, bezeichnet). Zusätzlich wurde ein Film gezeigt, der eine Zugfahrt aus Sicht des Zugführers zeigt. Dieser emotional neutrale Film wurde bei jeder Messgelegenheit als erster Film präsentiert, während die Reihenfolge der anschließenden Filme eingeschränkt randomisiert wurde. Dabei wurde ausgeschlossen, dass zwei Filme der gleichen Zielemotion direkt aufeinander folgen. Der neutrale Film zu Beginn sollte den Versuchspersonen Gelegenheit geben, sich mit der experimentellen Situation vertraut zu machen. Gleichzeitig konnte der 34 Stabilität der Herzperiodenvariabilität neutrale Film so als Referenz bei der Bewertung der sich anschließenden emotionalen Filme verwendet werden. Die Darbietung der Filme erfolgte mit einem VHS Videorecorder (JVC HR-J248) über einen PC (CPU: Pentium - 100MHz; RAM: 16 MB; Festplatte: 1 GB; Graphikkarte: S3; TV-Karte: Grand TV-Capture; Betriebsystem: Windows 3.11) auf einem Computerbildschirm (Eizo Flex Scan T662-T, TCO II, 20 Zoll). 2.4 Erhobene Ratingdaten Im Anschluss an jeden Film gaben die Versuchsperson mittels einer Computertastatur emotionale Ratings ab. Dabei wurden analog zum Vorgehen von Wheeler, Davidson und Tomarken (1993) und Tomarken et al. (1990) die aktuelle Ausprägung von vier positiven (Interesse, Glück, Freude und Vergnügen) und vier negativen (Trauer, Angst, Ärger und Ekel) Emotionen auf einer 10-stufigen Skala erfasst. Die Skalen reichten von 0 (überhaupt nicht) bis 9 (sehr stark). Darüber hinaus bewerteten die Versuchspersonen Valenz und Arousal, wobei dies ebenfalls auf einer 10-stufigen Skala erfolgte. Im Falle der Valenz reichte diese von „insgesamt war das Gefühl unangenehm/0“ bis „insgesamt war das Gefühl angenehm/9“, im Falle des Arousals von „insgesamt war die Intensität des Gefühls gering/0“ bis „insgesamt war die Intensität des Gefühls heftig/9“. Hagemann (1999) berichtet eine zufriedenstellende interne Konsistenz der mit diesen Skalen erfassten affektiven Reaktivität auf Filme. Die einzelnen Emotionsskalen erwiesen sich als ausreichend konsistent, um ihrerseits zu hochreliablen Skalen für positive bzw. negative affektive Reaktivität aggregiert zu werden. 2.5 Erfassung des EKG Vor dem Aufkleben der Elektrode wurde das Hautareal mit Alkohol gereinigt und vorsichtig angerauht. Für die Aufzeichnung des Elektrokardiogramms (EKG) wurden im Anschluss Ag/AgCl–Elektroden (8 mm Durchmesser) am linken und Henning Holle 35 rechten Unterarm angebracht. Dies entspricht einer Extremitäten Ableitung Typ I nach Einthoven. Das EKG wurde mit einer Frequenz von 500 Hz und einem lowpass-Filter von 100 Hz aufgezeichnet. Die physiologischen Signale wurden verstärkt und gefiltert auf zwei 32-Kanal-Verstärkern (Synamps, Model 5083, Neuroscan, Inc.) bei einer Eingangsimpedanz von 10 MΩ. Die Datenaufzeichnung erfolgte auf einem PC (CPU: Pentium 166 MHz; RAM: 32 MB; Festplatte: 4 GB; Betriebsystem: DOS 6.22) mit Hilfe des Programms Scan 3.0 (Modul: Aquire; Neuroscan, Inc.). Für spätere Analysen wurden alle Daten auf magnetooptischer Diskette und CD-ROM doppelt gesichert. Vor Beginn der Datenerhebung wurden die Verstärker mit einem SinusSignal kalibriert (1 mV, 10 Hz). 2.6 Datenverarbeitung und Analyse Für die Verarbeitung der EKG-Daten wurde das Programm Brain Vision Analyser V. 1.03 der Firma Brain Products GmbH verwendet. Zunächst wurde die Polarität der EKG-Daten umgekehrt, so dass positive Werte nun oberhalb der Abszisse lagen. Dadurch stellten die R-Zacken die Maxima in der Datenreihe dar. Die Daten wurden nun in neun filmspezifische Segmente zerlegt. Auf diese Segmente wurde ein Makro zur Detektion der R-Zacken angewendet. Die R-Zacken werden dabei durch einen Vergleich der aktuellen Steigung mit der durchschnittlichen Steigung der Messstrecke identifiziert. Im Anschluss wurden die gesetzten Marker visuell überprüft und gegebenenfalls von Hand korrigiert. Falls sich hierbei eine R-Zacke nicht mehr eindeutig identifizieren ließ, wurde sie für bis zu zwei fehlende R-Zacken linear interpoliert. Anschließend wurden die Positionen der R-Zacken in Form einer Text-Datei exportiert. Aus den Positionen der R-Zacken wurde deren Abstand in Millisekunden errechnet, so dass sich eine IBI-Zeitreihe ergab. Aus dieser Zeitreihe wurden schließlich die Maße MIBI (Mean of IBI, d. h. das durchschnittliche Inter-BeatIntervall) und r-MSSD für jeden Film errechnet. 36 Stabilität der Herzperiodenvariabilität Die filmspezifischen r-MSSD-Variablen zeigten bei einer ersten visuellen Inspektion der Daten stark linksschiefe Verteilungen, wodurch viele statistische Verfahren nicht anwendbar gewesen wären. Aus diesem Grund wurde eine leicht modifizierte Form der Berechnung gewählt, nämlich der Logarithmus naturalis des Mittelwertes der quadrierten sukzessiven Differenzen (l-MSSD). Die so errechneten Variablen zeigten sich grafisch annähernd normalverteilt. Für die kardiovaskulären Variablen (MIBI und l-MSSD) wurden Reaktionsmaße gebildet. Ein populäres Verfahren ist dabei die Errechnung eines raw change scores, indem der Baseline-Wert von dem Wert der experimentellen Bedingung subtrahiert wird. Da solche raw change scores nach wie vor den Standard zur Messung von Veränderung darstellen (z. B. Myrtek, Foerster, & Wittmann, 1977), wurden sie auch im Rahmen dieser Arbeit verwendet, obwohl sie in der psychophysiologischen Forschung nicht unumstritten sind (Sherwood et al., 1990). So wurden vagale Reaktionsmaße errechnet, indem r-MSSD des neutralen Films von r-MSSD jedes emotionalen Filmes subtrahiert wurde. So ergaben sich filmspezifsche vagale Reaktionsmaße. Analog wurden filmspezifische Maße für die Herzratenreaktivität errechnet. Für eine Abschätzung der zeitlichen Stabilität der Reaktionen wurden die Differenzmaße innerhalb der Messgelegenheiten über die acht filmspezifischen Reaktionen aggregiert. Für diese Aggregate wurde anschließend die RetestKorrelation bestimmt. Die statistischen Analysen wurden dabei mit dem Programm SPSS für Windows (Version 11.0; SPSS Inc.) vorgenommen. Henning Holle 3. 37 Ergebnisse Zunächst soll der Frage nachgegangen werden, ob die emotionalen Filme sich in erwarteter Weise auf das Erleben der Probanden ausgewirkt haben. Danach werden die Effekte der Filme auf die durchschnittliche Herzperiode (Hypothese Ia) und die Herzperiodenvariabilität (Hypothese Ib) berichtet. Schließlich wird die zeitliche Stabilität der Reaktionsmaße der Herzperiodenvariabilität analysiert (Hypothese II). 3.1 Ratings Es zeigte sich ein signifikanter Haupteffekt Filmart in den 4 (Messgelegenheit) X 3 (Valenz der Filme) ANOVAs für Arousal (F(2,120) = 54.340, p = .000, ω2= .37) und Valenz (F(2,180) = 172.79, p = .000, ω2= .65) (vgl. Abbildung 3). Wie aus der Grafik hervorgeht, wurden die durch die negativen Filme erzeugten Gefühle deutlich unangenehmer (Valenz) und intensiver (Arousal) bewertet als die Gefühle während des neutralen Films. Auch in Bezug auf die positiven Filme zeigten sich die erwarteten Ergebnisse: Die während der positiven Filme erlebten Gefühle wurden angenehmer und intensiver bewertet als die während des neutralen Films. Die Gefühle während der negativen Filme waren dabei intensiver (d. h. sie gingen mit höherem Arousal einher) als die Gefühle während der positiven Filme. 38 Stabilität der Herzperiodenvariabilität 7 6,0 5,5 6 Mittelwert Valenz-Ratings +- 2 SE Mittelwert Arousal-Rating +- 2 SE 5,0 4,5 4,0 3,5 3,0 2,5 neutral positiv negativ Anmerkung: Mittelwerte +2 Standardfehler der Arousal-Ratings für den neutralen Film, die zwei positiven Filme und die sechs negativen Filme, jeweils aggregiert über vier Messgelegenheiten. Skala reicht von 0 „geringe Intensität“ bis 9 „heftige Intensität des Gefühls“. N = 61 5 4 3 2 neutral positiv negativ Anmerkung: Mittelwerte +2 Standardfehler der Valenz-Ratings für den neutralen Film, die zwei positiven Filme und die sechs negativen Filme, jeweils aggregiert über vier Messgelegenheiten. Skala reicht von 0 „unangenehm“ bis 9 „angenehmes Gefühl“. N = 61 Abbildung 3: Valenzspezifische Mittelwerte der Arousal- und Valenz-Ratings Der Haupteffekt Messgelegenheit wurde sowohl für Arousal (F(3,180) = 5.07, p = .002, ω2= .05) als auch Valenz (F(3,180) = 3.17, p = .026, ω2= .03) signifikant (siehe Abbildung 4). Im Falle des Arousals zeigte sich eine Habituation über die Messgelegenheiten, d. h. die durch die Filme erzeugten Gefühle nahmen in ihrer Intensität bei wiederholter Präsentation ab. Für die Valenz hingegen zeigte sich eine Sensitivierung, d. h. die Gefühle während der Filme wurden zunehmend als unangenehmer bewertet. Henning Holle 39 5,8 4,4 5,6 4,2 Mittelwert Valenz-Ratings +- 2 SE Mittelwert Arousal-Rating +- 2 SE 5,4 5,2 5,0 4,8 4,6 4,4 1 2 3 4 Messgelegenheit Anmerkung: Mittelwerte +- 2 Standardfehler der Arousal-Ratings für die vier Messgelegenheiten, jeweils aggregiert über alle neun Filme. N = 61 4,0 3,8 3,6 3,4 1 2 3 4 Messgelegenheit Anmerkung: Mittelwerte +- 2 Standardfehler der Valenz-Ratings für die vier Messgelegenheiten, jeweils aggregiert über alle neun Filme. N = 61 Abbildung 4: Messgelegenheitsspezifische Mittelwerte der Arousal- und Valenz-Ratings Die Wechselwirkung Messgelegenheit X Filmart wurde für die Variable Arousal nicht signifikant (F(6,360) = 0.36, p = .902, ω2= .00). Im Falle der Valenz gab es eine signifikante Wechselwirkung (F(6,360) = 3.03, p = 0.007, ω2 = .02). Es handelte sich jedoch um einen kleinen Effekt, der im wesentlichen auf den konstanten Verlauf der Mittelwerte der negativen Filme zurückzuführen war, während der erwähnte Haupteffekt Messgelegenheit in erster Linie durch die nachlassende Valenz der neutralen und positiven Filme verursacht wurde (siehe Abbildung 5). 40 Stabilität der Herzperiodenvariabilität WW Filmart X MZP WW Filmart X MZP 6,0 7 5,5 6 5,0 Filmart 4,0 Neutral 3,5 Positiv Negativ 3,0 1 2 3 4 Messgelegenheit Anmerkung: Mittelwerte der Arousal-Ratings für die vier Messgelegenheiten jeweils für den neutralen Film, für das Aggregat der 2 positiven und das Aggregat der 6 negativen Filme. Mittelwert Valenz-Rating Mittelwert Arousal-Rating 5 4,5 4 Filmart Neutral 3 Positiv 2 Negativ 1 2 3 4 Messgelegenheit Anmerkung: Mittelwerte der ValenzRatings für die vier Messgelegenheiten, jeweils für den neutralen Film für das Aggregat der 2 positiven und das Aggregat der 6 negativen Filme. Abbildung 5: WW Filmart X MZP für Valenz- und Arousal-Ratings Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die subjektiven Auswirkungen der Filme den Erwartungen entsprochen haben. Es zeigten sich große und über die Messgelegenheiten replizierbare Effekte der emotionalen Induktion. Die Habituation (Arousal) bzw. Sensitivierung (Valenz) beeinträchtigten kaum die Effektgröße im zeitlichen Verlauf. 3.2 Veränderungen der Herzperiode Die Auswirkungen der Filme auf die durchschnittliche Herzperiode zeigten sich nicht in der erwarteten Weise (siehe Abbildung 6). Der signifikante Haupteffekt Film (F(8,424) = 6.33, p = .000, ω2 = .08) scheint ausschließlich auf den Film „The Killing Fields“ zu beruhen (Filmbeschreibung im Anhang). Wenn die Varianzanalyse ohne diesen Film gerechnet wurde, gab es auch keinen signifikanten Haupteffekt Film mehr (F(7,371) = 1.162, p = .324, ω2= .00). Im Vergleich zum neutralen Film zeigten die anderen emotionalen Filme jedoch keine signifikante Abnahme der Henning Holle 41 Herzperiode, was den Hypothesen widerspricht. Als ein spezifischerer Test wurde ein Helmert-Kontrast (neutraler Film vs. 8 emotionale Filme) für MIBI gerechnet. Auch dieser Kontrast verfehlte jedoch das Signifikanzniveau (F(1,53) = 0.886, p = .351, ω2= .00). 870 860 850 Mittelwert MIBI +- 2 SE 840 830 820 810 800 A1 A2 D1 D2 H1 H2 S1 S2 N Filme Anmerkung: Mittelwerte +2 Standardfehler MIBI für die Filme zur Induktion von Ärger (A1=Witness, A2=Gandhi), Ekel (D1=Godfather, D2=Maria), Freude (H1=Officer, H2=Pond) und Trauer (S1=Officer, S2=Field) und den neutralen Film (Train), jeweils aggregiert über vier Messgelegenheiten. Filmbeschreibungen im Anhang. Abbildung 6: Filmspezifische Mittelwerte MIBI Im zeitlichen Verlauf zeigte MIBI eine abnehmende Tendenz, was einem Anstieg der Herzrate bei wiederholter Präsentation der Filme entspricht. Der Haupteffekt Messgelegenheit war jedoch nicht signifikant (F(3,159) = 1.625, p = .186, ω2= .01). Ebenso zeigte sich keine signifikante Wechselwirkung Messgelegenheit X Film (F(24,1272) = 1.237, p = .198, ω2= .00). Die Hypothese, dass Emotionen mit einem Anstieg der Herzrate einhergehen, muss somit verworfen werden (Hypothese Ia). 42 Stabilität der Herzperiodenvariabilität 3.3 Veränderungen der vagalen Aktivität Um zu klären, ob die Filme unterschiedliche Effekte auf die vagale Aktivität ausüben, wurde eine 9 (Film) X 4 (Messgelegenheit) Varianzanalyse mit Messwiederholung auf beiden Faktoren gerechnet. Der Haupteffekt Film wurde jedoch unerwarteterweise nicht signifikant (F(8,424) = 0.972; p = .458; ω2= .00). Für einen angenommenen mittleren Populationseffekt (Φ2 = .15) und einem α–FehlerNiveau von .05 hat dieser Test eine Teststärke von .99 (berechnet mit Hilfe von GPOWER, Erdfelder, Faul, & Buchner, 1996), d. h. man kann davon ausgehen, dass es mit 99%iger Wahrscheinlichkeit in der Population keinen Effekt größer als Φ2 = .15 gibt. Der geringere Standardfehlern (siehe Unterschied Abbildung der 7) Mittelwerte bei legt dass nahe, gleichzeitig hier auch großen keine valenzspezifischen Effekte zu erwarten sind. So zeigte sich in einer 3 (Valenz) X 4 (Messgelegenheit) Varianzanalyse mit Messwiederholung auf beiden Faktoren kein signifikanter Haupteffekt Valenz (F(2,114) = 1.685, p = .19, ω2= .01). Neben diesen Omnibus-Tests wurde zusätzlich noch ein Helmert-Kontrast des neutralen Films gegen alle emotionalen Filme gerechnet, um zu klären, ob sich in diesem spezifischen Vergleich ein Einfluss der emotionalen Induktion auf die vagale Aktivität zeigt. Auch dieser Kontrast verfehlte das Signifikanzniveau (F(1,53) = 2.287, p = .136). Die emotionale Induktion führte also nicht zu einer Veränderung der vagalen Aktivität. Henning Holle 43 7,8 7,6 Mittelwert l-MSSD +- 2 SE 7,4 7,2 7,0 6,8 A1 A2 D1 D2 H1 H2 S1 S2 N Film Anmerkung: Mittelwerte +2 Standardfehler l-MSSD für die Filme zur Induktion von Ärger (A1=Witness, A2=Gandhi), Ekel (D1=Godfather, D2=Maria), Freude (H1=Officer, H2=Pond) und Trauer (S1=Officer, S2=Field) und den neutralen Film (Train), jeweils aggregiert über 4 Messgelegenheiten. Filmbeschreibungen im Anhang. Abbildung 7: Filmspezifische Mittelwerte l-MSSD In der Tendenz ließ sich eine Abnahme der vagalen Aktivität über die Messgelegenheiten beobachten, der entsprechende Haupteffekt wurde jedoch nicht signifikant (F(3,159) = .713, p = .546, ω2= .00). Auch hier kann man aufgrund der hohen Teststärke (1.00) davon ausgehen, dass es mit fast 100%iger Wahrscheinlichkeit keinen Effekt größer als Φ2 = .15 in der Population gibt. Die Wechselwirkung Messgelegenheit X Film hingegen wurde signifikant (F(24,1272) = 1.721, p = .017, ω2= 0,01), es handelte sich jedoch um einen recht kleinen Effekt, der inhaltlich schwer zu fassen ist (siehe Abbildung 8). Auffallend ist, dass die Tendenz zur Abnahme für den neutralen Film am ausgeprägtesten ist. Dies wird auch deutlich, wenn man die einfachen Haupteffekte Messgelegenheit für jeden Film betrachtet. Die Abnahme der vagalen Aktivität über die Messgelegenheiten ist noch am ausgeprägtesten für den neutralen Film, ohne dass man jedoch von bedeutsamen 44 Stabilität der Herzperiodenvariabilität Effekten sprechen könnte. Die Gleichheit der Mittelwerte der vagalen Aktivität wurde über die Messgelegenheiten repliziert. WW Film x MZP FILM 7,5 a1 a2 7,4 d1 7,3 d2 Mittelwert l-MSSD 7,2 h1 h2 7,1 s1 7,0 s2 6,9 n 1 2 3 4 Messgelegenheit Anmerkung: Mittelwerte l-MSSD für die Filme zur Induktion von Ärger (A1=Witness, A2=Gandhi), Ekel (D1=Godfather, D2=Maria), Freude (H1=Officer, H2=Pond) und Trauer (S1=Officer, S2=Field) und den neutralen Film (Train) pro Messgelegenheit. Filmbeschreibungen im Anhang. Abbildung 8: WW Film X Messgelegenheit für l-MSSD Die Hypothese, dass emotionale Filme zu einem Abnahme der Herzperiodenvariabilität führen, muss somit verworfen werden (Hypothese Ib). Wenn die emotionalen Filme sich also hinsichtlich der vagalen Aktivität nicht von den neutralen Filmen unterscheiden, ist die Frage nach der Höhe des Zusammenhangs interessant. Eine Antwort kann hier eine Faktorenanalyse der Daten liefern. Zunächst wurde je eine Hauptkomponentenanalyse für jede Messgelegenheit durchgeführt, wobei jeweils die neun filmspezifischen l-MSSD-Maße als Variablen dienten. Die extrahierten Faktoren wurden einer VariMax-Rotation unterzogen, um Henning Holle 45 die Interpretation der gefundenen Lösungen zu erleichtern. Berücksichtigt wurden Faktoren mit einem Eigenwert > 1. Für jede Messgelegenheit fand sich so eine 1-Faktor-Lösung. Der Scree-Plot zeigte in allen Fällen einen varianzstarken ersten Faktor an, für alle weiteren Faktoren fiel der Eigenwert auf unter 1 (siehe Tabelle 11 im Anhang B: Faktorenanalyse l-MSSD). Cronbachs α als Indikator der Reliabilität lag dabei für jede Messgelegenheit > .97. Innerhalb einer Messgelegenheit war die Interkorrelation also derart hoch, das eine Aggregation über alle Filme – z. B. zur Berechnung von Retest-Korrelationen – gerechtfertigt schien. Anschließend wurde über alle Filme einer Messgelegenheit aggregiert. Diese Aggregate wiesen Retest-Korrelationen von r = .63 bis r = .73 auf (vgl. Tabelle 2). Tabelle 2: Retest-Korrelationen der l-MSSD-Aggregate MZP1 MZP2 MZP3 MZP1 MZP2 .643** MZP#3 .728** MZP#4 .712** .655** .646** .721** Anmerkung: Innerhalb jeder *=p<.05,**=p<.01. N = 61 / 62 Messgelegenheit MZP4 wurde über 9 Filme aggregiert: Das Maß für vagale Aktivität differenziert also nicht zwischen den emotionalen Filmen und dem neutralen Film und alle neun Filme sind für jede Messgelegenheit sehr hoch miteinander korreliert. Angesichts dieser Datenlage scheint es daher fraglich, ob es noch sinnvoll ist, in diesem Falle ein Differenzmaß zur Abbildung der vagalen Komponente der emotionalen Reaktion zu bilden. Wenn zwei Maße in Höhe ihrer Reliabilität miteinander korrelieren, ist es nach der klassischen Testtheorie wahrscheinlich, dass sie den gleichen wahren Wert (englisch: True-Score) abbilden. Nach der Subtraktion des neutralen Films von einem emotionalen Film besteht somit die Möglichkeit, dass das so gebildete Reaktionsmaß 46 Stabilität der Herzperiodenvariabilität in erster Linie Fehlervarianz bindet. Es lassen sich jedoch auch hypothetische Szenarien konstruieren (z. B. unterschiedliche Skalierung von Minuend und Subtrahend), die trotz hoher Interkorrelation ein sinnvolles Differenzmaß ermöglichen. Aus diesem Grund wurde wie beabsichtigt ein vagales Reaktionsmaß errechnet und seine zeitliche Stabilität analysiert. 3.4 Die vagale Komponente der emotionalen Reaktion Für die Differenzmaße zeigte sich in einer 4 (Messgelegenheit) X 8 (filmspezifische Reaktion) Varianzanalyse mit Messwiederholung auf beiden Faktoren kein signifikanter Haupteffekt Film (F(7,371) = 0.637, p = .458, ω2= .00). Auch für diesen Test war die Teststärke so hoch (.99), dass ein Effekt mittlerer Größe (Φ2 ≥ .15) mit 99%iger Wahrscheinlichkeit für die Population ausgeschlossen werden kann. Es zeigte sich jedoch ein signifikanter Haupteffekt der Messgelegenheit (F(3,159) = 3.302, p = .022, ω2= .03), wobei die Mittelwerte einem umgekehrten UVerlauf folgten, dessen Maximum bei Messgelegenheit drei lag (siehe Abbildung 9). Die emotionale Reaktion bestand also zunächst in einer Abnahme der vagalen Aktivität. Diese Abnahme reduzierte sich über die Messgelegenheiten1. 1 Der Nullpunkt ist in diesem Fall nicht als Scheidepunkt von „Abnahme vs. Zunahme der vagalen Aktivität“ zu sehen, da die Variablen vor der Subtraktion logarithmiert wurden. Henning Holle 47 ,5 Mittelwert Reaktionsmaß l-MSSD +- 2 SE ,4 ,3 ,2 ,1 -,0 -,1 -,2 -,3 1 2 3 4 Messgelegenheit Anmerkung: Mittelwerte +2 Standardfehler der l-MSSD Reaktionsmaße für jede Messgelegenheit, jeweils aggregiert über 8 filmspezifische Reaktionen. N = 58 Abbildung 9: Messgelegenheitsspezifische Mittelwerte der l-MSSD Reaktionsmaße Es findet sich keine signifikante Wechselwirkung Film X Messgelegenheit (F(21,1113) = 1.472, p = .078, ω2= .01). Die 8 filmspezifischen Reaktionsmaße wurden für jede Messgelegenheit einer Hauptkomponentenanalyse unterzogen. Für die ersten beiden Messgelegenheiten ergaben sich dabei 2-Faktorenlösungen, die 73% bzw. 67% der Varianz aufklärten (vgl. Tabelle 12 im Anhang C: Faktorenanalyse der Reaktionsmaße l-MSSD). Auch nach einer VariMax-Rotation ließen sich diese Faktoren jedoch nicht inhaltlich interpretieren. Für die letzten beiden Messgelegenheiten hingegen resultierten 1Faktorlösungen, was für eine hohe Interkorrelation der Reaktionsmaße spricht. Nach der klassischen Testtheorie sind die Fehler zweier Tests unkorreliert, womit die oben formulierte Hypothese, die Reaktionsmaße würden in erste Linie Fehlervarianz abbilden, widerlegt ist. 48 Stabilität der Herzperiodenvariabilität Für die vier Messgelegenheiten lag Cronbachs α zwischen .87 und .94. In Verbindung mit den faktorenanalytischen Befunden legt dies nahe, dass die filmspezifischen Reaktionsmaße innerhalb einer Messgelegenheit recht hoch interkorreliert sind, am ausgeprägtesten für Messgelegenheit drei und vier. Für eine erste Abschätzung der zeitlichen Stabilität der vagalen Reaktion schien eine Korrelationsanalyse der über die Filme aggregierten Reaktionsmaße gerechtfertigt zu sein. Für diese Aggregate ergaben sich Retest-Korrelationen im Bereich von r = - .1 bis r = .31 (vgl. Tabelle 3). Tabelle 3: Retest-Korrelationen der vagalen Reaktion MZP1 MZP2 MZP3 MZP4 MZP1 MZP2 MZP3 -.107 .161 .156 .303* .014 .167 MZP4 Anmerkung: Pro Messgelegenheit wurde über 8 filmspezifische Reaktionen aggregiert. *=p < .05 Diese niedrigen Retest-Korrelationen könnten in Bezug auf den interessierenden Trait Vagale Reaktivität folgendes bedeuten: 1. Es gibt keinen bedeutsamen Trait-Anteil in der Varianz der Reaktionsmaße, sondern größtenteils Fehlervarianz. 2. Es gibt keinen bedeutsamen Trait-Anteil, sondern größtenteils messgelegenheitsspezifische Varianz. Ad) 1: Für dieses Szenario sprechen die nicht signifikanten Unterschiede zwischen den emotionalen Filmen und dem neutralen Film (vgl. Abbildung 7), also den Minuenden und dem Subtrahend. Gleichzeitig sind die Minuenden und der Subtrahend innerhalb jeder Messgelegenheit hoch interkorreliert (Anhang B: Faktorenanalyse l-MSSD). Nach der bereits beschriebenen Logik könnte es sein, dass den emotionalen Filmen und dem neutralen Film derselbe True-Score zugrunde Henning Holle 49 liegt, so dass ein Differenzmaß zwischen beiden hauptsächlich Fehlervarianz abbildet. Cohen & Cohen (1983) haben diese Reliabilitätsproblematik von Differenzmaßen in folgender Formel ausgedrückt: Gleichung 1: Reliabilität von Differenzmaßen nach Cohen (1983) r( A− B )( A− B ) = [(rAA + rBB ) / 2] − rAB rAA rBB rAB 1 − rAB Reliabilität Maß A Reliabilität Maß B Korrelation AB Je mehr sich die Korrelation (zwischen emotionalem Film und neutralem Film) der Reliabilität der Einzelmaße annähert, desto stärker nähert sich die Reliabilität der Differenzvariable 0 an. Wie in der Faktorenanalyse der Ausgangsmaße deutlich wurde, sind l-MSSD der emotionalen Filme und des neutralen Filmes hoch interkorreliert, so dass diese Konstellation eine mögliche Erklärung für die niedrigen Retest-Korrelationen sein könnte. Ad) 2: Die Lösungen der Faktorenanalyse der Reaktionsmaße lieferten zwei (Messgelegenheit 1 + 2) bzw. einen Faktor (Messgelegenheit 3 + 4) als Lösung (vgl. Anhang C: Faktorenanalyse der Reaktionsmaße l-MSSD), was auf einen beträchtlichen Anteil systematischer Varianz hindeutet. Bei einem hauptsächlich aus Messfehler bestehendem Maß wären Lösungen mit vielen Faktoren zu erwarten, die jeweils recht wenig Varianz aufklären. In Verbindung mit den niedrigen RetestKorrelationen (vgl. Tabelle 3) liegt der Schluss nahe, dass die Reaktionsmaße hauptsächlich messgelegenheitsspezifische Varianz abbilden. Mit den bisher verwendeten Methoden kann nicht entschieden werden, welches dieser beiden Szenarien auf die Daten zutrifft. Erst die Latent-State-Trait 50 Stabilität der Herzperiodenvariabilität Theorie (Steyer et al., 1999) ermöglicht es, Fehler - , messgelegenheitsspezifische und Trait-Varianz zu quantifizieren. 3.5 Latent-State-Trait-Analyse der Reaktionsmaße. Die Latent-State-Trait Theorie stellt eine Weiterentwicklung der klassischen Testtheorie dar (Steyer et al., 1999). Wenn eine Variable an mindestens zwei Messgelegenheiten mit mindestens zwei Indikatoren erfasst wurde, kann die Varianz dieser manifesten (beobachteten) Variable zunächst in einen Messfehler und eine latente Variable zerlegt werden, die man gemäß der klassischen Testtheorie als wahren Wert der Person bezeichnet. Dieser wahre Wert kann weiter zerlegt werden in eine über alle Messgelegenheiten stabile latente Einflussvariable (den Trait) und messgelegenheitsspezifische latente Einflussvariablen (die State-Residuen), welche situative Einflüsse und Wechselwirkungen zwischen Person und Situation beinhalten. Darüber hinaus kann eine latente Variable errechnet werden, welche auf der Verschiedenheit der zwei oder mehr Indikatoren für die zu messende Variable beruht. Diese Variable wird als Methodenfaktor bezeichnet. Jedem der genannten Einflüsse wird zusätzlich noch ein Pfadkoeffizient zugewiesen, welcher die Stärke des Einflusses beschreibt. Für die Anwendung muss zunächst eine Kovarianzmatrix der als Indikatoren verwendeten manifesten Variablen erstellt werden. Nun wird aus theoretischen Überlegungen ein möglichst sparsames Modell spezifiziert, dass die Varianz der manifesten Variablen in ihre latenten Einflussvariablen zerlegt. Die latenten Variablen werden dabei mit iterativen Schätzalgorithmen bestimmt, z. B. mit der Methode der generalisierten kleinsten Quadrate (englisch: Generalized Least Squares GLS). Aus den geschätzten Parametern wird eine Kovarianzmatrix reproduziert, die der Ausgangsmatrix mehr oder weniger ähnelt. Der Algorithmus verändert die Parameter dabei solange, bis eine minimale Diskrepanz zwischen empirischer und geschätzter Kovarianzmatrix erreicht ist. Der GLS-Algorithmus macht dabei zwar Henning Holle 51 eine Reihe von Annahmen (multivariate Normalverteiltheit der manifesten Variablen, keine fehlenden Werte), hat aber den Vorteil, geringere Anforderungen an die Stichprobengröße zu stellen. 3.5.1 Beschreibung der Modelle Als Indikatoren wurden in allen gerechneten Modellen die beiden filmspezifischen Reaktionsmaße (r-MSSDEmotionaler Film – rMSSDNeutraler ) jeder Film Zielemotion verwendet, die zu jeder Messgelegenheit erhoben wurden. So ergaben sich für jede Emotion lineare Strukturgleichungsmodelle mit 8 manifesten Variablen. Es wurden insgesamt drei Klassen von Modellen auf die Daten angewandt: LatentState-Trait Modelle mit Methodenfaktor, Modelle mit unkorrelierten States mit Methodenfaktor und Modelle mit unkorrelierten States ohne Methodenfaktor. Alle Modelle gehen im Sinne der klassischen Testtheorie davon aus, dass sich eine manifeste Variable additiv aus einem wahren Wert (latente Variable) und einem Messfehler zusammensetzt. Sie unterscheiden sich darin, wie dieser wahre Wert weiter zerlegt wird. Nachdem der Schätzalgorithmus eine Lösung produziert hat, muss die Güte des Modells beurteilt werden. Ein verbreitetes Verfahren hierfür ist ein χ2-Test der Diskrepanz zwischen empirischer und geschätzter Kovarianzmatrix. Eine signifikante Diskrepanz führt zu einer Ablehnung des Modells. Problematisch ist jedoch die Stichprobenabhängigkeit und die Bevorzugung komplexer Modelle, weshalb zusätzlich Indikatoren zur Beurteilung der Passungsgüte (englisch: Goodness-of-Fit-Indices) herangezogen wurden. Aus dem Nonzentralitätsparameter der χ2-Verteilung kann der ComparativeFit-Index (CFI) abgeleitet werden. Er kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen und hat den Vorteil einer geringen Stichprobenabhängigkeit, eines relativ kleinen Standardfehlers und einer präzisen Abbildung von Modellfehlspezifikationen. Eine CFI > .90 gilt dabei als gute Modellpassung, bei einem Wert > .80 spricht man von 52 Stabilität der Herzperiodenvariabilität akzeptabler Modellpassung. Ein Nachteil des CFI ist die Bevorzugung von komplexen Modellen, weshalb zusätzlich der Root-Mean-Square-Error-Of- Approximation (RMSEA) zur Beurteilung herangezogen wurde. Durch eine Relativierung an den Freiheitsgraden berücksichtigt dieses Maß die Komplexität des Modells (RMSEA < .05: gute Modellpassung; RMSEA < .08: akzeptable Modellpassung, RMSEA > .10: keine Modellpassung ). Für die geschätzten Varianzen wird deren Critical Ratio betrachtet. Werte größer 1.96 indizieren hierbei, dass die geschätzte Varianz signifikant von 0 abweicht. Modelle, bei denen eine oder mehrere Varianzen C.R. < 1.96 aufweisen, sind überfaktorisiert und sollten durch sparsamere Modelle ersetzt werden. Bei der Überprüfung wurde jeweils mit einem maximal restriktiven Modell angefangen. Konnte das Modell in seiner restriktiven Form angenommen werden, war die Überprüfung abgeschlossen. Konnte hingegen keine Passung erzielt werden, wurden die Restriktionen systematisch aufgegeben. Für die Analysen wurde dabei das Programm AMOS 4.01 der Firma SmallWater Corp. verwendet. Im folgenden werden die drei gerechneten Modellklassen kurz beschrieben. 3.5.2 Latent-State-Trait Modell mit Methodenfaktor. In einem Latent-State-Trait Modell wird davon ausgegangen, dass sich die manifeste Variable additiv aus einem wahren Wert und einem Messfehler zusammensetzt. Dabei wird die Varianz des wahren Wertes zerlegt in einen messgelegenheitsspezifischen Anteil (State-Residuum), einen Trait-Anteil und einen methodenspezifischen Anteil (siehe Abbildung 10). Dabei genügt es, wenn die Anzahl der Methodenfaktoren der Anzahl der Indikatoren – 1 entspricht (Eid, 2000). Da in diesem Fall die jeweilige Zielemotion durch zwei filmspezifische Reaktionsmaße indiziert wurde, genügte also ein Methodenfaktor. Die jeweilige Stärke des Einflusses eines Konstrukts auf seine Indikatorvariablen wird dabei über Pfadkoeffizienten spezifiziert, die in liberalen Modellen auch errechnet werden Henning Holle 53 können. Man spricht in dem Fall von einem Modell τ-kongenerischer Variablen (Jöreskog & Soerbom, 1979), die aber inhaltlich schwer zu interpretieren sind. Deshalb wurden im Rahmen dieser Auswertung nur Modelle essentiell τäquivalenter Variablen berücksichtigt und alle Pfadkoeffizienten auf 1 fixiert. Die Varianzerlegung erlaubt die Berechnung verschiedener Parameter. Die Reliabilität gibt hierbei den Anteil an der Varianz der manifesten Variable an, der auf die Varianz des wahren Wertes zurückzuführen ist. Die State-Spezifität spiegelt den Anteil an der Varianz der manifesten Variable wider, der auf die Varianz des jeweiligen State-Residuums zurückgeht. Die Methodenspezifität gibt den Anteil an der Varianz des wahren Wertes an, der auf die Varianz des Methodenfaktors zurückgeht und die Traitspezifität spiegelt den Anteil an der Varianz des wahren Wertes wider, der durch den Methodenfaktor aufgeklärt wird. Zu Beginn der Überprüfung werden folgende Restriktionen gesetzt: 1. Gleiche Fehlervarianzen über die Messgelegenheiten hinweg 2. Gleiche Fehlervarianzen innerhalb jeder Messgelegenheit 3. Gleiche Varianzen der State-Residuen 4. Alle Pfadkoeffizienten fixiert auf 1 Wenn eine Passung in der restriktiven Form nicht gelingt, werden sukzessive die Restriktionen gelöst, beginnend bei Punkt 1. Wenn auch nach Freigabe der Varianzen der State-Residuen (Punkt 3) keine Passung erreicht werden kann, ist die Überprüfung beendet. 54 Stabilität der Herzperiodenvariabilität Residuum 1 e11 Y11 State 1 e12 Y12 e21 Y21 State 2 e22 Residuum 2 Y22 Trait Methode e31 Y31 State 3 e32 Y32 e41 Y41 Residuum 3 State 4 e42 Y42 Residuum 4 Anmerkung: Die manifesten Variablen sind mit Y bezeichnet, wobei die erste Zahl für die Messgelegenheit und die zweite Zahl für den Indikator steht. Die manifesten Variablen können zerlegt werden in einen Messfehler e und einen wahren Wert (State), der wiederum weiter zerlegt werden kann in einen messgelegenheitsspezifischen Einfluss (Residuum) und einen latenten Trait. Darüber hinaus kann der Methodeneinfluss bestimmt werden. Methoden- und Traitfaktor sind unkorreliert. Abbildung 10: Latent-State-Trait Modell mit Methodenfaktor. 3.5.3 Modell mit unkorrelierten States und Methodenfaktor Auch bei diesem Modell wird die manifeste Variable in einen wahren Wert und einen Messfehler zerlegt. Der wahre Wert wird danach jedoch nicht weiter zerlegt, sondern es wird von unkorrelierten messgelegenheitsspezifischen wahren Werten ausgegangen (unkorrelierte States). Darüber hinaus beeinflusst ein Methodenfaktor den varianzstärkeren Indikator, wobei der Methodenfaktor nicht Henning Holle 55 mit den States korreliert. Nach der Varianzzerlegung lassen sich die Reliabilitäten der manifesten Variablen und die Methodenspezifität errechnen. Zu Beginn der Überprüfung werden folgende Restriktionen gesetzt: 1. Gleiche Fehlervarianzen über die Messgelegenheiten hinweg 2. Gleiche Fehlervarianzen innerhalb jeder Messgelegenheit 3. Alle Pfadkoeffizienten fixiert auf 1 Gelingt mit diesem maximal restriktivem Modell keine Passung, werden sukzessive die Restriktionen gelöst, beginnend bei Punkt 1. Gelingt auch nach der Freigabe der Fehlervarianzen innerhalb jeder Messgelegenheit keine Passung (Punkt 2), ist die Überprüfung beendet. 56 Stabilität der Herzperiodenvariabilität e11 Y11 State 1 e12 Y12 e21 Y21 State 2 e22 Y22 e31 Y31 Methode State 3 e32 Y32 e41 Y41 State 4 e42 Y42 Anmerkung: Die manifesten Variablen sind mit Y bezeichnet, wobei die erste Zahl für die Messgelegenheit und die zweite Zahl für den Indikator steht. Die manifesten Variablen können zerlegt werden in einen Messfehler e und einen wahren Wert (State). Darüber hinaus kann der Methodeneinfluss bestimmt werden. Methodenfaktor und States sind unkorreliert, ebenso die States untereinander. Abbildung 11: Modell mit unkorrelierten States und Methodenfaktor. 2.5.4 Modell mit unkorrelierten States Bei diesem einfachen Modell wird die Varianz der manifesten Variable in einen Messfehler und einen wahren Wert (State) zerlegt. Die States sind dabei untereinander nicht korreliert. Anschließend kann die Reliabilität der manifesten Variablen geschätzt werden. Henning Holle 57 Bei diesem Modell werden zu Beginn der Überprüfung folgende Restriktionen gesetzt: 1. Gleiche Fehlervarianzen über die Messgelegenheiten hinweg 2. Gleiche Fehlervarianzen innerhalb jeder Messgelegenheit 3. Alle Pfadkoeffizienten fixiert auf 1 Kann dieses maximal restriktive Modell nicht angenommen werden, werden sukzessive die Restriktionen gelöst. Kann das Modell nicht angenommen werden, nachdem die Fehlervarianzen innerhalb jeder Messgelegenheit freigegeben sind (Punkt 2), ist die Überprüfung beendet. 58 Stabilität der Herzperiodenvariabilität e11 Y11 State 1 e12 Y12 e21 Y21 State 2 e22 Y22 e31 Y31 State 3 e32 Y32 e41 Y41 State 4 e42 Y42 Anmerkung: Die manifesten Variablen sind mit Y bezeichnet, wobei die erste Zahl für die Messgelegenheit und die zweite Zahl für den Indikator steht. Die manifesten Variablen können zerlegt werden in einen Messfehler e und einen wahren Wert (State). Die States korrelieren nicht untereinander. Abbildung 12: Modell mit unkorrelierten States. 3.5.5 Ergebnisse der LST-Analyse Für jede emotionsspezifische vagale Reaktion wurden die beschriebenen drei Modelle überprüft. Zunächst sollen hier die Ergebnisse der Latent-State-Trait Modelle mit Methodenfaktor berichtet werden. Henning Holle 3.5.5.1 59 Latent-State-Trait Modell mit Methodenfaktor Für alle vier Emotionen konnte das maximal restriktive Latent-State-Trait Modell mit Methodenfaktor nicht akzeptiert werden (Ärger: χ2(df = 32) = 55.55, p = .006; Ekel: χ2(df = 32) = 74.32 p = .000; Freude χ2(df = 32) = 73.04, p = .000; Trauer χ2(df = 32) = 52.69, p = .012). Für Ekel und Freude ergaben sich ungültige Lösungen mit negativen Varianzschätzungen. Für diese beiden Emotionen konnten auch bei maximaler Liberalisierung keine akzeptablen Lösungen gefunden werden. Für Ärger fand sich nach Freigabe der Fehlervarianzen und der Varianzen der State-Residuen eine akzeptable Lösung (χ2(df = 22) = 33.00, p = .063), wobei das Modell allerdings nur eine marginal akzeptable Passung aufwies (CFI = .81, RMSEA = .097). Für die vagale Komponente der Trauerreaktion fand sich nach Freigabe der Messfehler zwischen den Messgelegenheiten eine akzeptable Lösung (χ2(df = 29) = 28.21, p = .51) mit einer guten Passungsgüte (CFI = 1.0, RMSEA = .00). Tabelle 4: Akzeptable liberale Latent-State-Trait Modell mit Methodenfaktor χ2-Statistik goodness-of-fit 2 χ Df P CFI RMSEA Ärger 33.00 22 .063 .81 .097 Trauer 28.21 29 .51 1.0 .000 Anmerkung: Für Ärger wurden folgende Restriktionen aufgehoben: Gleichheit der Fehlervarianzen innerhalb und zwischen den Messgelegenheiten, Gleichheit der Varianzen der State-Residuen. Für Trauer wurde die Gleichheit der Fehlervarianzen zwischen den Messgelegenheiten aufgehoben. Emotion Betrachtete man die kritischen Quotienten (CR, englisch Critical Ratios) der geschätzten Parameter (siehe auch Tabelle 5), so lagen die meisten Critical Ratios des Trauer-Modells > 3.47, im Falle der Methoden- und der Traitvarianz erreichten sie jedoch nicht das Signifikanzniveau. Die geschätzten Varianzen waren so klein, dass sie nicht bedeutsam von 0 abwichen, was einen beträchtlichen Makel des Modells darstellte. Beim akzeptierten Ärger-Modell waren noch mehr Parameter trotz des liberaleren Modells nicht signifikant. Neben der geschätzten Trait- und 60 Stabilität der Herzperiodenvariabilität Methodenvarianz wichen zusätzlich einige Fehler- und State-Residuen-Varianzen nicht bedeutsam von 0 ab. Tabelle 5: Parameterschätzungen der akzeptierten liberalen Latent-State-Trait-Modelle für Ärger und Trauer Parameter Manifeste Varianz State-Residuen-Varianz Methodenvarianz Parameter Var (Y11) Ärger 0.319 Trauer 0.327 Var (Y12) 0.326 0.349 Var (Y21) 0.428 0.644 Var (Y22) 0.309 0.666 Var (Y31) 0.363 0.503 Var (Y32) 0.531 0.525 Var (Y41) 0.577 0.455 Var (Y42) 0.595 0.477 Var (SR1) CR Var (SR2) CR Var (SR3) CR Var (SR4) CR Var (M) CR 0.196 3.18 0.081 1.369 0.26 3.237 0.365 3.67 0.043 1.919 0.182 4.486 0.182 4.486 0.182 4.486 0.182 4.486 0.022 0.852 Fehlervarianz Var (E11) CR Var (E12) CR Var (E21) CR Var (E22) CR Var (E31) CR Var (E32) CR Var (E41) CR Var (E42) CR Ärger 0.064 1.885 0.028 0.883 0.288 3.451 0.126 1.957 0.044 0.87 0.169 2.559 0.154 2.217 0.128 1.821 Traitvarianz Var (T) CR 0.059 1.8 Trauer 0.088 3.47 0.088 3.47 0.405 5.204 0.288 5.204 0.264 4.779 0.264 4.779 0.216 4.309 0.216 4.309 0.057 1.723 Anmerkung: Die hier aufgeführten Parameter beziehen auf die akzeptierten liberalen Modelle für Ärger und Trauer (vgl. Tabelle 5). Aufgeführt sind die aus den latenten Variablen geschätzte manifeste Varianz (Var (Yik)) der i-ten Messgelegenheit und des kten Indikators; Varianz der Messfehler (Var (Eik)) der i-ten Messgelegenheit und k-ten Indikators; Varianz der State-Residuen (Var (SRi)) der i-ten Messgelegenheit; Varianz des Methodenfaktors (Var (M)); Varianz des Traits (Var (T)) und deren Critical Ratio (CR, kritischer Quotient). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Latent-State-Trait-Modell mit Methodenfaktor nur für die vagalen Komponenten von Ärger und Trauer eine Passung erbrachte. Dabei war das Ärger-Modell nur marginal akzeptabel, während man für Trauer von einer guten Passung sprechen konnte. Henning Holle 3.5.5.2 61 Modell mit unkorrelierten States und Methodenfaktor Das Modell mit unkorrelierten States und einem Methodenfaktor konnte in seiner restriktiven Form für keine der vier emotionalen Reaktionen angenommen werden (Ärger: χ2(df = 30) = 54.10, p = .004; Ekel: χ2(df = 30) = 49.85 p = .013; Freude χ2(df = 30) = 59.055, p = .001; Trauer χ2(df = 30) = 50.580, p = .011). Bei der Bestimmung der Modelle für Ekel und Freude wurden für einige latente Variablen negative Varianzen geschätzt, so dass eine Lösung in jedem Fall nicht anwendbar gewesen wäre. Selbst bei maximaler Liberalisierung (d. h. Freigabe der Fehlervarianzen) konnte für Ärger, Ekel und Freude keine Passung erreicht werden. Wurde beim Trauer-Modell die erste Restriktion (Gleichheit der Fehlervarianzen für alle Messgelegenheiten) aufgegeben, konnte das Modell mit einer akzeptablen Güte angenommen werden (χ2(df = 27) = 30.939, p = .274, CFI = .86, RMSEA = .05). Obwohl das Modell liberaler ist als das Latent-State-Modell mit Methodenfaktor (was sich in der geringeren Anzahl Freiheitsgrade ausdrückt), wich die geschätzte Kovarianzmatrix stärker von der empirischen Kovarianzmatrix ab (der χ2-Wert ist größer). Deshalb wurde auf einen inferenzstatistischen Vergleich der beiden Modelle verzichtet und für Trauer das bereits berichtete Latent-State-Trait-Modell mit Methodenfaktor angenommen. Insgesamt konnte mit dem Modell der unkorrelierten States mit Methodenfaktor keine Passung (für Ärger, Ekel und Freude) erreicht werden, bzw. die Passung gelang weniger gut als mit konkurrierenden Modellen (Trauer). 3.5.5.3 In diesem Modell mit unkorrelierten States sparsamen Modell wurden zur Reproduktion der Kovarianzstruktur lediglich vier unkorrelierte States angenommen (vgl. Abbildung 12). In der maximal restriktiven Version konnte es für keine der vier Emotionen 62 Stabilität der Herzperiodenvariabilität angenommen werden (Ärger: χ2(df = 31) = 57.40, p = .003; Ekel: χ2(df = 31) = 54.14 p = .006; Freude χ2(df = 31) = 59.18, p = .002; Trauer χ2(df = 31) = 51.39, p = .012). Im Falle des Ärger-Modells konnte auch nach maximaler Liberalisierung keine Passung erreicht werden. Somit konnte für diese Emotion nur das Latent-State-TraitModell akzeptiert werden. Für Trauer konnte das Modell nach Freigabe der ersten Restriktion (Gleichheit der Fehlervarianzen für jede Messgelegenheit) angenommen werden (χ2(df = 28) = 31.585, p = .292), wobei die Modellgüte befriedigend ist (CFI = .876, RMSEA = .05). Im Vergleich zum bisher besten Modell für diese Emotion – dem Latent-State-TraitModell – zeigte sich eine größere Diskrepanz trotz eines liberaleren Modells. Deshalb konnte auch hier auf einen inferenzstatistischen Vergleich der Modelle verzichtet und das Latent-State-Trait-Modell als bestes Modell für Trauer angenommen werden. Mit dem Modell der unkorrelierten States gelang nach Freigabe der ersten Restriktion zum ersten Mal eine Passung für Ekel (χ2(df = 28) = 30.10, p = .358) und Freude (χ2(df = 28) = 29.25, p = .40) mit einer erfreulichen Modellgüte (Ekel: CFI = .93, RMSEA = .04; Freude: CFI = .97, RMSEA = .03). Tabelle 6: Akzeptable liberale Modelle mit unkorrelierten States χ2-Statistik goodness-of-fit χ2 Df P CFI RMSEA Ekel 30.10 28 .36 .93 .04 Freude 29.25 28 .40 .97 .03 Für beide Modelle wurde nur die Restriktion der Gleichheit der Fehlervarianzen über alle Messgelegenheiten aufgehoben. Das akzeptable Modell für Trauer ist hier nicht aufgeführt, da es im Vergleich zum LST-Modell mit Methodenfaktor weder sparsamer noch von einer besseren Modellgüte war (siehe Text) Emotion Die akzeptierten liberalen Modelle für Ekel und Freude wiesen dabei recht erfreuliche Varianzschätzungen auf. Alle Critical Ratios sind ≥ 2.43, was bedeutet, Henning Holle dass alle 63 Parameter zuverlässig geschätzt werden konnten. Von einer Überfaktorisierung der Daten konnte in diesem Fall nicht gesprochen werden. Tabelle 7: Parameterschätzungen der akzeptierten liberalen Modelle mit unkorrelierten States für Ekel und Freude Parameter Parameter Manifeste Varianz State-Residuen-Varianz Var (Y11) Ekel 0.162 Freude 0.275 Var (Y12) 0.162 0.275 Var (Y21) 0.376 0.498 Var (Y22) 0.376 0.498 Var (Y31) 0.752 0.479 Var (Y32) 0.752 0.479 Var (Y41) 0.615 0.926 Var (Y42) 0.615 0.926 Var (S1) CR Var (S2) CR Var (S3) CR Var (S4) CR 0.084 2.432 0.203 3.151 0.341 2.434 0.317 3.058 0.123 2.616 0.124 1.63 0.419 4.014 0.539 3.302 Fehlervarianz Var (E11) CR Var (E12) CR Var (E21) CR Var (E22) CR Var (E31) CR Var (E32) CR Var (E41) CR Var (E42) CR Ekel 0.078 3.784 0.078 3.784 0.173 4.462 0.173 4.462 0.411 4.714 0.411 4.714 0.298 4.385 0.298 4.385 Freude 0.153 4.058 0.153 4.058 0.374 4.71 0.374 4.71 0.06 3.393 0.06 3.393 0.387 4.601 0.387 4.601 Bemerkung: Die hier aufgeführten Parameter beziehen sich auf die akzeptierten liberalen Modelle für Ekel und Freude (vgl. Tabelle 6). Aufgeführt sind die aus den latenten Variablen geschätzte manifeste Varianz (Var (Yik)) der i-ten Messgelegenheit und des kten Indikators; Varianz der Messfehler (Var (Eik)) der i-ten Messgelegenheit und k-ten Indikators; Varianz der States (Var (Si)) der i-ten Messgelegenheit und deren Critical Ratio (CR, kritischer Quotient). 3.5.5.4 Zusammenfassung der Ergebnisse der linearen Strukturgleichungsmodelle Wenn man die Ergebnisse der gerechneten Modelle im Überblick betrachtet, lässt sich zunächst einmal das Modell der unkorrelierten States mit Methodenfaktor ausschließen. Für keine Emotion konnte hiermit die beste Passung erreicht werden. 64 Stabilität der Herzperiodenvariabilität Nur mit dem Latent-State-Trait-Modell gelang es, für Ärger eine Passung zu erzielen. Ein CFI von .81 und ein RMSEA von .097 sprechen jedoch nur für eine geringe Modellgüte. Gleichzeitig weichen einige der geschätzten Varianzen nicht signifikant von 0 ab (C.R. < 1.96), was für eine Überfaktorisierung der Daten spricht. Für Trauer wurde mit diesem Modell die beste Passung erreicht, wobei allerdings auch hier einige geschätzte Varianzen nicht signifikant von 0 abweichen. Das Modell der unkorrelierten States ist schließlich das Modell der Wahl für Ekel und Freude. In diesen Fällen kann man von akzeptabler bis guter Modellgüte sprechen (vgl. Tabelle 5 und Tabelle 7). Die akzeptierten liberalen Modelle für Ekel und Freude weisen recht erfreuliche Varianzschätzungen auf. Alle Critical Ratios sind > 2.43, was bedeutet, dass alle Parameter zuverlässig geschätzt werden konnten. Von einer Überfaktorisierung der Daten kann in diesem Fall nicht gesprochen werden. In der klassischen Testtheorie ist die Reliabilität als der Anteil der Varianz der wahren Werte an der beobachteten Varianz definiert. Für die besten akzeptierten Modelle wurden aus den geschätzten Werten die Reliabilitäten der Reaktionsmaße errechnet. Die akzeptierten Latent-State-Trait-Modelle für Ärger und Trauer erlauben darüber hinaus noch die Berechnung zusätzlicher Parameter, nämlich der State-Spezifität, der Trait-Spezifität und der Methoden-Spezifität. Hierzu werden die entsprechenden Parameter (Var (M), Var (T) und Var (SRi)) an der entsprechenden geschätzten manifesten Varianz (Var (Yik)) relativiert. Die Reliabilität ergibt sich aus der Differenz der manifesten Varianz und der Fehlervarianz (Var (Eik)) relativiert an der manifesten Varianz. Gemittelt über Messgelegenheiten ergaben sich so Reliabilitäten, die für alle Emotionen über .50 lagen (Rel (Ärger) = .71, Rel (Trauer) = .53, Rel (Ekel) = .51, Rel (Freude) = .54; vgl. Tabelle 8 und Tabelle 9). Damit wird klar, dass die Reaktionsmaße für die vier Emotionen nicht ausschließlich Fehlervarianz, sondern auch mindestens Henning Holle 65 50% True-Score-Varianz binden. Darüber hinaus zeigte sich im Mittel eine hohe State-Spezifität (Ärger: .51; Trauer: .39) und eine niedrige Trait – (Ärger: .15; Trauer: .12) und Methodenspezifität (Ärger: .11; Trauer: .05). Für die anderen beiden Emotionen Ekel und Freude war die Annahme eines latenten Traits sogar nicht mit den Daten vereinbar, sondern es kann von unkorrelierten States ausgegangen werden. Die Varianz der wahren Werte lässt sich in erster Linie auf messgelegenheitsspezifische Einflüsse zurückführen. Tabelle 8: Reliabilität, Situationsspezifität, Traitspezifität und Methodenspezifität der akzeptierten liberalen LST-Modelle für Ärger und Trauer a1#1 a2#1 a1#2 a2#2 a1#3 a2#3 a1#4 a2#4 s1#1 s2#1 s1#2 s2#2 s1#3 s2#3 s1#4 s2#4 Tabelle 9: Reliabilität der akzeptierten liberalen Modelle mit unkorrelierten States für Ekel und Freude SituationsReliabilität Spezifität TraitSpezifiät MethodenSpezifität Reliabilität Var ( Eik ) Var ( SRk ) Var (Yik ) Var (Yik ) Var (T ) Var (Yik ) Var ( M ) Var (Yik ) Var ( Eik ) Var (Yik ) .18 .18 .14 .19 .16 .11 .10 .10 .17 .16 .09 .09 .11 .11 .13 .12 .13 .13 .10 .14 .12 .08 .07 .07 .07 .06 .03 .03 .04 .04 .05 .05 .80 .91 .33 .59 .88 .68 .73 .78 .73 .75 .37 .39 .48 .50 .53 .55 .61 .60 .19 .26 .72 .49 .63 .61 .56 .52 .28 .27 .36 .35 .40 .38 Anmerkung: Verwendet wurden die geschätzten Varianzen der in Tabelle 4 beschriebenen Modelle. Die ersten beiden Ziffern stehen für Zielemotion und Indikator, die letzte Zahl bezeichnet die Messgelegenheit. d1#1 d2#1 d1#2 d2#2 d1#3 d2#3 d1#4 d2#4 h1#1 h2#1 h1#2 h2#2 h1#3 h2#3 h1#4 h2#4 .52 .52 .54 .54 .45 .45 .52 .52 .44 .44 .25 .25 .87 .87 .58 .58 Anmerkung: Verwendet wurden die geschätzten Varianzen der in Tabelle 6 beschriebenen Modelle. Die ersten beiden Ziffern stehen für Zielemotion und Indikator, die letzte Zahl bezeichnet die Messgelegenheit. 66 Stabilität der Herzperiodenvariabilität 4. Diskussion Die vorgelegte Arbeit verfolgte das Ziel, die zeitliche Stabilität der vagalen Reaktivität zu analysieren. 62 Probanden wurden acht emotionale Filme und ein neutraler Film an vier Messgelegenheiten präsentiert. Aus dem während der Präsentation aufgezeichneten EKG wurden Time-Domain-Maße der Herzperiodenvariabilität errechnet, die als recht spezifischer Indikator für die vagale Beeinflussung des Herzens gelten. In der Varianzanalyse zeigte sich kein Haupteffekt der emotionalen Induktion auf die vagale Aktivität. Gleichzeitig wiesen die Differenzmaße sehr niedrige RetestKorrelationen auf. Bei der gleichzeitigen hohen Interkorrelation der Herzperiodenvariabilität der emotionalen Filme und des neutralen Films wurde vermutet, dass ein Differenzmaß zu unreliabel ist, um einen eventuell vorhandenen Trait der vagalen Reaktivität zu erfassen. Entgegen dieser Annahme lieferten Faktorenanalysen der Reaktionsmaße ein erstes Indiz dafür, dass sehr wohl ein beträchtlicher Anteil systematischer Varianz enthalten ist. Die LST-Analysen bestätigten diese Annahme, da die Reliabilität der akzeptierten Modelle durchgängig über .50 lag. Dabei ließen sich Modelle mit unkorrelierten States bzw. einer hohen State-Spezifität mit den Daten vereinbaren. Die vorliegenden Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass die zeitliche Stabilität der Auswirkung emotionaler Filme auf die Herzperiodenvariabilität gering ist. Für zwei der vier Emotionen (Ekel, Freude) lässt sich die Annahme eines Traits der vagalen Reaktivität nicht mit den Daten vereinbaren. Stattdessen gelingt eine gute Reproduktion der Kovarianzstruktur, wenn von unkorrelierten States ausgegangen wird. Henning Holle 67 Für die beiden anderen Emotionen (Ärger, Trauer) ist die Annahme eines Traits notwendig. Aus einer Reihe von Gründen wird dies aber nicht als Indiz für emotionsspezifische Unterschiede der vagalen Reaktion gesehen. Die geschätzten Varianzen für den Trait-Faktor weichen weder für Ärger noch für Trauer signifikant von 0 ab, was für eine Überfaktorisierung spricht. Im Vergleich zur hohen StateSpezifität bindet der Trait nur sehr wenig Varianz. Schließlich ergab eine post-hocAnalyse, dass die Daten zweier Probanden aus der LST-Analyse ausgeschlossen werden müssten, da sie durch extreme Ausreißerwerte die Normalverteilungsannahme der manifesten Variablen verletzen (Exzess > 11). Rechnet man die Modelle ohne diese beiden Probanden, liefern liberale StateModelle die beste Passung für Ärger und Trauer. In erster Linie scheinen also messgelegenheitsspezifische Einflüsse (z. B. Stimmung, vergangene Zeit seit der letzten Mahlzeit, Müdigkeit) die vagale Reaktion zu bestimmen. Der Einfluss zeitlich stabiler und transsituativ konsistenter Dispositionen scheint hingegen gering zu sein. Somit erscheint es fraglich, ob ein Konstrukt wie „vagale Flexibilität“ die zentrale Rolle spielen kann, die ihm z. B. von Thayer (2000) zugeschrieben wird. Davidson hingegen vernachlässigt in seinem theoretischen Ansatz die autonome und speziell die vagale Komponente nach den vorliegenden Daten zurecht (Davidson, 1992, 1993). Interindividuelle Unterschiede der vagalen Flexibilität sind messgelegenheitsspezifisch und spielen im Rahmen einer emotionalen Verhaltensdisposition sensu Affektiver Stil keine Rolle. Die geringen Auswirkungen der emotionalen Induktion auf die vagale Aktivität stellen sicherlich ein Problem dar. Obwohl – wie im Laufe des Ergebnisteils aufgezeigt – die Differenz kein reines Fehlermaß ist, ist die Operationalisierung der Emotionen suboptimal. Eine experimentelle Induktion von Emotionen kann im Labor nicht so intensiv gelingen wie in realen Situationen, da die Versuchspersonen 68 Stabilität der Herzperiodenvariabilität nicht persönlich involviert sind. Mit Ausnahme von Ekel werden alle Emotionen als „Stellvertreter-Emotionen“ realisiert, dass heißt die Emotion wird erlebt, indem der Proband mit dem Protagonisten mitfühlt. Einschränkend muss jedoch gesagt werden, dass die Filme auf subjektiver Ebene sehr wohl zu einem intensiven emotionalen Erleben führen (siehe auch Hagemann, 1999). Warum sind die Auswirkungen der emotionalen Filme gerade auf die autonome Aktivität so gering? Dafür lassen sich zwei mögliche Erklärungen anführen. Zum einen könnte es an der geringen situativen Handlungsanforderung liegen. Die Probanden waren fest verkabelt in einem Stuhl platziert und so in ihrer Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt. Es bestand also für den Organismus kein Anlass, mit einer ausgeprägten autonomen Handlungsbereitschaft auf die Stimulation zu reagieren. Dem widersprechen jedoch die Ergebnisse der Metaanalyse von Swain & Suls (1996). Die Autoren fanden besonders große und zeitlich stabile Effekte auf die Herzrate, wenn sprachfreie und psychologische Stressoren, wie in der vorliegenden Untersuchung, verwendet werden. Eine weitere mögliche Erklärung – gerade in Verbindung mit den subjektiven Daten – ist die oft berichtete geringe Kohärenz der Reaktionssysteme (Lang, 1988). Es ist nicht davon auszugehen, dass das kognitiv-verbale und das körperlich-physiologische System gleichsinnig auf die emotionale Induktion reagieren, sondern ein intensives subjektives Erleben kann mit unveränderter autonomer Aktivität einhergehen. Aufschlüsse können hier nur weitere Untersuchungen geben, in denen es gelingt, Emotionen intensiv und alltagsnah zu induzieren. Eine interessante Auffälligkeit ergab sich bei der Analyse der durchschnittlichen Herzperiode (MIBI). Nur einer der Filme (Killing Fields, Beschreibung im Anhang) führte zu einer Reduzierung der durchschnittlichen Herzperiode, d. h. einem Anstieg der Herzrate. Eine Besonderheit dieses Filmes ist, dass er eine Großaufnahme eines emotionalen Gesichtsausdrucks zeigt und diese Henning Holle 69 Einstellung lange hält. Eventuell gibt es eine besonders enge Verbindung zwischen der Dekodierung emotionaler Mimik und autonomer Aktivierung. Es könnte sein, dass der neutrale Film im Laufe der Messgelegenheiten emotionale Qualitäten bekommen hat. Dieser Film wurde immer zu Beginn gezeigt, während die Reihenfolge der anschließenden Filme eingeschränkt randomisiert wurde. Dies geschah mit der Intention, den Probanden einen neutralen RatingReferenzpunkt für die anschließenden emotionalen Filme zu liefern. Ab der zweiten Messgelegenheit könnte dieser Film jedoch auch als konditionierter Stimulus für die anschließenden und teilweise sehr unangenehmen Filme dienen. In der varianzanalytischen Auswertung fand sich kein Haupteffekt Messgelegenheit (vgl. 3.2) für MIBI, jedoch ein Trend zur Sensitivierung. Betrachtet man die einfachen Haupteffekte Messgelegenheit für MIBI, wird zunächst deutlich, dass sich für alle neun Filme eine Tendenz zur Verkürzung der durchschnittlichen Herzperiode zeigt. Die entsprechenden Effektgrößen sind aber sehr klein (ω2 <.01). Lediglich die beiden Filme zur Induktion von Ekel und der neutrale Film werden von einer stärkeren Sensitivierung begleitet (ω2 = .03). Eine potentielle Fehlerquelle stellt die Verwendung von Time-Domain-Maßen zur Bestimmung der vagalen Aktivität in differentiellen Fragestellungen dar. Der enge korrelative Zusammenhang zwischen r-MSSD und der HF-Power der Herzratenvariabilität wurde bisher nur für identische Messstrecken berichtet (Kleiger et al., 1991). Es könnte sein, dass eine Profilkorrelation über verschiedene Messstrecken (z. B. r-MSSD der ersten Messgelegenheit mit HF-Power der zweiten Messgelegenheit) beträchtlich niedrigere Zusammenhänge ergeben würde, so dass rMSSD kein zulässiges Substitut darstellt. Die Verwendung von Differenzen zur Berechnung von Reaktionsmaßen ist zwar gängiger Standard in der psychophysiologischen Forschung, jedoch nicht unumstritten. Wilders Gesetz des Ausgangswertes (englisch: Law of Initial Value ) 70 Stabilität der Herzperiodenvariabilität besagt: „The higher the initial value, the smaller the response to function raising, the larger the response to function depressing stimuli“ (Wilder, 1967). Es besteht mittlerweile eine recht breite Übereinstimmung, dass eine Ausgangswertabhängigkeit vorliegt, wenn eine signifikante negative Korrelation zwischen dem Differenzwert und dem Baselinewert vorliegt (Jin, 1992). Im vorliegenden Datensatz ist dies der Fall (r = -.40), so dass die Verwendung eines um die Ausgangswertabhängigkeit korrigierten Reaktionsmaßes eventuell geboten scheint. Als einen möglichen Lösungsversuch bieten Cronbach und Furby (1970) an, den Wert der Stimulationsbedingung um den Wert der Baseline-Bedingung zu residualisieren (englisch: residualized change score). Es sei jedoch darauf verwiesen, dass sowohl die beschriebene korrelative Diagnose über das Vorliegen einer Ausgangswertabhängigkeit (Jin, 1992) als auch die Verwendung von base free measures umstritten ist (Myrtek et al., 1977). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die zeitliche Stabilität der vagalen Reaktion auf emotionale Filme gering ist. Messgelegenheitsspezifische Einflüsse stellen hingegen die dominierende Einflussquelle dieser Reaktion dar. Emotionale Filme haben dabei insgesamt eher geringe Auswirkungen auf die autonome und speziell die vagale Aktivität. Zukünftige Forschungsarbeiten sollten diese geringen Effekte berücksichtigen und versuchen, Emotionen noch intensiver und alltagsnäher zu induzieren. Wenn Emotionen nicht als „Stellvertreter-Emotionen“ realisiert werden, sondern in einer glaubwürdigen realen Situation, zeigen sich wahrscheinlich größere Auswirkungen auf die vagale Aktivität. Solange der Zusammenhang zwischen r-MSSD und der HFPower nur für identische Messstrecken bekannt ist (Stein et al., 1994), sollte dabei die HF-Power zur Quantifizierung der RSA verwendet werden. Wenn die Analyse der Stabilität im Zentrum des Interesses steht, sollten Längsschnittuntersuchungen mit mindestens zwei Indikatoren angewendet werden. Nur sie ermöglichen detailliertere Informationen über die Reliabilität, die Methoden- ,die State- und die Traitspezifität. Henning Holle 5. 71 Literaturverzeichnis Akselrod, S., Gordon, D., Ubel, F. A., Shannon, D. C., Berger, A. C., & Cohen, R. J. (1981). Power spectrum analysis of heart rate fluctuation: a quantitative probe of beat-to-beat cardiovascular control. Science, 213(4504), 220-222. Antoni, H. (2000a). Erregungsphysiologie des Herzens. In R. F. Schmidt, G. Thews & F. Lang (Eds.), Physiologie des Menschen (28 ed.). Berlin: Springer. Antoni, H. (2000b). Mechanik der Herzaktion. In R. F. Schmidt, G. Thews & F. 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Der jüngere Mann verlässt die Kutsche und tritt den Teenagern gegenüber, worauf diese anfangen ihn zu drangsalieren (aus Witness, Paramount Pictures, 1985) 129 Ein Mann verbrennt einen Pass vor einer Menschenmenge. Die Polizei verhaftet ihn. Ein anderer Mann nimmt eine Schachtel mit Pässen, geht damit zu einem Feuer und beginnt die Pässe zu verbrennen. Ein Polizist schlägt den Mann mit einem Knüppel, ohne ihn jedoch davon abhalten zu können, weitere Pässe zu verbrennen. Schließlich bricht der Mann im Staub zusammen (aus Gandhi, Columbia Pictures, 1982). 59 Ein Mann schläft in einem Bett, wacht auf und schlägt die Decke zurück. Er entdeckt den blutigen Kopf eines Pferdes und fängt an zu schreien (aus The Godfather, Paramount Pictures, 1972). 58 Ein Mann schläft in einem Bett. Eine Ratte läuft durch den Raum, klettert hoch auf das Bett und läuft die Laken entlang. Dabei hinterlassen ihre Pfoten eine blutige Spur. Die Ratte krabbelt in den Mund des Mannes, der daraufhin den Rand des Bettes umfasst. Er wirft die Ratte auf den Boden und schlägt nach ihr (aus Maria’s Lovers, MGM, 1984). 111 Ein Mann in einer weißen Offiziersuniform spaziert durch eine Fabrik, trifft eine Frau und gibt ihr einen Kuss. Sie umarmen sich, er nimmt sie in seine Arme und trägt sie aus der Fabrik hinaus (aus An (Ziel Emotion) Train (neutral) Witness (anger1) Gandhi (anger2) Godfather (disgust1) Maria (disgust2) Officer Henning Holle 75 (happiness1) Pond Officer and a Gentleman, Paramount Pictures, 1982). 32 Eine ältere Frau läuft singend und tanzend durch den Wald. Eine jüngere Frau schleicht sich heran und beobachtet sie durch das Buschwerk. Schließlich stimmt sie in den Gesang der älteren Frau ein; und beide treffen und umarmen sich (aus On Golden Pond, Universal Pictures, 1981). 102 Ein Mann und eine Frau klopfen an die Tür eines Apartments und treten ein. Sie schauen sich im Zimmer um, dann betritt der Mann das Badezimmer. Dort findet er einen toten Mann, der sich in der Dusche erhängt hat. Er nimmt die Leiche herunter, wiegt ihren Kopf in seinem Schoss und weint (aus An Officer and a Gentleman, Paramount Pictures, 1982). 81 Ein Mann schüttelt die Hände mit anderen Personen in einem Raum, bevor nach draußen geht. Einer der zurückgelassenen Männer fängt an zu weinen, während er ihn im Regen verschwinden sieht (aus The Killing Fields, Goldcrest, 1984). (happiness2) Officer (sadness1) Fields (sadness2) Beschreibung nach (Hagemann et al., 1999) 76 Stabilität der Herzperiodenvariabilität Anhang B: Faktorenanalyse l-MSSD Tabelle 11: Scree-Plots der messgelegenheitsspezifischen Lösungen Scree Plot MZP 1 Scree Plot MZP 2 10 8 8 6 6 4 Eigenvalue Eigenvalue 4 2 0 1 2 3 4 5 6 7 8 2 0 9 1 Component Number 6 6 4 4 2 2 0 3 4 Component Number 4 5 6 7 8 9 6 7 8 9 Scree Plot MZP 4 8 Eigenvalue Eigenvalue Scree Plot MZP 3 2 3 Component Number 8 1 2 5 6 7 8 9 0 1 2 3 4 5 Component Number Anmerkung: Hauptkomponentenanalyse l-MSSD, Abbruchkriterium Eigenwerte < 1, VariMax-rotierte Lösung, listenweiser Ausschluss fehlender Werte. Henning Holle 77 Anhang C: Faktorenanalyse der Reaktionsmaße lMSSD Tabelle 12: Scree-Plots, Ladungsmatrizen, messgelegenheitsspezifischen Lösungen Scree Plot MZP 1 5 4 3 Eigenvalue 2 1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Aufgeklärte Varianz und Plots der Rotierte Ladungsmatrix MZP1 Faktor 1 2 A1 ,887 ,155 A2 ,844 ,234 D1 ,415 ,731 D2 ,116 ,822 H1 ,858 ,234 H2 ,146 ,753 S1 ,778 ,423 S2 ,868 ,129 Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse. Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser Normalisierung. a Rotation konvergiert nach 3 Iterationen. Component Number Aufgeklärte Varianz MZP 1 Summe der quadrierten Ladungen Faktor Summe % VarianzKummulierte % 1 3,799 47,492 47,492 2 2,108 26,351 73,842 Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse. Component Plot in Rotated Space 1,0 d2 h2 d1 s1 ,5 a2 h1 a1 s2 Component 2 0,0 -,5 -1,0 -1,0 -,5 Component 1 0,0 ,5 1,0 78 Stabilität der Herzperiodenvariabilität Scree Plot MZP 2 5 4 3 Eigenvalue 2 1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Rotierte Ladungsmatrix MZP2 Faktor 1 2 A1 ,225 ,786 A2 ,720 ,473 D1 ,572 ,431 D2 ,693 ,437 H1 ,120 ,857 H2 ,830 -3,630E03 S1 ,760 ,262 S2 ,370 ,740 Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse. Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser Normalisierung. a Rotation konvergiert nach 3 Iterationen. Component Number Aufgeklärte Varianz Summe der quadrierten Ladungen Faktor Summe % VarianzKummulierte % 1 2,796 34,945 34,945 2 2,567 32,093 67,038 Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse. Component Plot in Rotated Space 1,0 h1 a1 s2 a2 d1 d2 ,5 s1 h2 Component 2 0,0 -,5 -1,0 -1,0 -,5 0,0 ,5 1,0 Component 1 Scree Plot MZP 3 Scree Plot MZP 4 7 6 6 5 5 4 4 3 3 2 Eigenvalue Eigenvalue 2 1 0 1 2 3 4 Component Number 5 6 7 8 1 0 1 2 3 4 5 6 7 Component Number Anmerkung: Hauptkomponentenanalyse Reaktionsmaße l-MSSD, Abbruchkriterium Eigenwerte < 1, VariMax-rotierte Lösung, listenweiser Ausschluss fehlender Werte. 8 Henning Holle 79 Hiermit versichere ich, dass ich diese Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Trier, im Juli 2003