Wegweiser NET - Netzwerk Neuroendokrine Tumoren (NeT)

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Somativ
Das Magazin für Patienten mit neuroendokrinen Tumoren
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W NET
EDITORIAL
Liebe Leserinnen und Leser,
mit unserem Magazin SOMATIV halten Sie einen Wegweiser für
Patienten und Angehörige rund um das Thema neuroendokrine
Tumoren (NET) in den Händen.
Kaum ein Krankheitsverlauf bei neuroendokrinen Tumoren gleicht
dem anderen. Aus diesem Grund freue ich mich, Ihnen ein abwechslungsreiches und ansprechend gestaltetes Magazin zu präsentieren,
das Ihnen verschiedene Wege und Ansätze aufzeigen soll und dabei
weit über die reine Darstellung wissenschaftlicher Information über
die NET hinausgeht.
Gemäß des Anspruchs von Ipsen „Innovation for patient care“ sind
die Inhalte speziell an den individuellen Bedürfnissen der Patienten
orientiert.
Die Basis für SOMATIV bilden Interviews mit Betroffenen, die wir im
Vorfeld geführt haben. Diese persönlichen Berichte ziehen sich in
Zitaten oder Geschichten wie ein roter Faden durch das gesamte
Magazin. Ergänzt werden sie durch Beiträge unserer Experten, die
uns bei der Entwicklung des Magazins mit ihrem fundierten Wissen
fachlich zur Seite standen.
Diese außergewöhnliche Mischung aus Erfahrungen, Erlebnissen
und Tipps von Betroffenen und der Sachkenntnis unserer Experten
macht aus meiner Sicht SOMATIV zu etwas ganz Besonderem.
Dafür möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich
bei allen beteiligten Personen bedanken.
Nun wünsche ich Ihnen jedoch erst einmal viel Spaß beim Lesen
und Entdecken von SOMATIV – dem Magazin für Patienten mit neuroendokrinen Tumoren!
Herzlichst
Claudia Limberger
Produktmanager
Ipsen Pharma GmbH
P.S. Um auch weiterhin auf Ihre Bedürfnisse
eingehen zu können, möchte ich Sie herzlich
bitten, den beigelegten Fragebogen auszufüllen
und an uns zurückzusenden.
3
INHALT
INHALT
Wissenschaft
Mein Leben mit NET
Was sind NET?
Die Diagnose NET verändert das ganze Leben.
Wie man damit umgehen kann, haben wir
Professor Dr. med. Matthias Volkenandt
gefragt, im Interview auf
Seite 26
6
Die Diagnose neuroendokriner Tumoren
16
Die Behandlung neuroendokriner Tumoren (NET)
54
NET im Alltag
Diagnose neuroendokriner Tumoren
Welche Methoden werden eingesetzt,
um Größe, Lage und biologische
Eigenschaften des Tumors zu bestimmen?
Seite 16
Bewegung und Sport
14
Mein Leben mit NET – Umgang mit der Krankheit
26
Angehörige:
Kein Patient und trotzdem betroffen
32
NET-Selbsthilfegruppen:
Geteiltes Leid ist halbes Leid
50
Kommunikation mit der Familie:
Mama, was heißt das, wenn der Papa NET hat?
62
Freizeit
Bewegung und Sport:
Es gibt viel Gutes – Hauptsache, man tut es
34
Freizeitgestaltung:
Freiheit für mehr Freizeit und Freizeit für mehr Freiheit
46
Entspannungstechniken:
In innerer Harmonie auf sich und seinen Körper hören
64
Reise:
„Statt bunter Urlaubskarten ein Bild von mir“
70
Ernährung
Körperliche Bewegung kann ein
wirksames Heilmittel bei unterschiedlichsten Erkrankungen sein, so auch
in zunehmendem Maße bei Krebspatienten.
Seite 34
Nie wieder Kartoffelsalat und Bier?
Ernährung
Ernährung ist gerade bei NET ein wichtiges
hema. Empfehlungen und Erfahrungen
hierzu inden Sie auf
Seite 40
4
Kommunikation mit dem Arzt:
Richtig kommunizieren will gelernt sein
NET-Patienten und
ihre Hobbys
Viele NET-Betrofene haben ein (neues)
Hobby gefunden. Sei es gestalterisch,
musisch, dichterisch oder auch
erinderisch.
Seite 46
40
Service/Info
Glossar
76
Infoseite
79
Notizen
80
Impressum
82
WISSENSCHAFT
WISSENSCHAFT
(?) Neuroendokrine Tumoren (NET), was versteht
man darunter? Und woher
kommt der Begriff?
(?) Warum entstehen aus
neuroendokrinen Zellen neuroendokrine Tumoren?
[!] Professor Weber:
[!] Professor Weber:
N
ET entstehen aus neuroendokrinen Zellen, die einerseits mit Nervenzellen (Neuronen) verwandt sind, andererseits
eine endokrine Funktion ausüben:
Das heißt, sie produzieren Hormone,
die sie in den Blutkreislauf abgeben.
?
Was sind NET?
Wie entstehen neuroendokrine Tumoren
(NET) und warum unterscheiden sich
die Beschwerden so sehr von Patient
zu Patient? Wie bestimmt der Arzt die
optimale herapie für den einzelnen
Patienten?
Diese und andere Fragen beschäftigen Menschen, die mit der
Diagnose NET leben. Professor Dr. med. Matthias Weber,
Leiter des Schwerpunkts Endokrinologie und Stofwechselerkrankungen am Mainzer Universitätsklinikum, beantwortet
sie in folgendem Interview.
6
Zum Verständnis ist es wichtig, die
Funktion von Hormonen zu kennen:
Es handelt sich um Botenstoffe, die
nach ihrer Freisetzung über den
Blutkreislauf in ihre Zielgewebe gelangen, in denen sie bestimmte Prozesse steuern. Ein lebenswichtiges
Hormon ist beispielsweise Insulin,
das von neuroendokrinen Zellen
der Bauchspeicheldrüse (Pankreas)
produziert wird, um den Blutzuckerspiegel zu regulieren. Ein anderes
ist Gastrin, das die Aufgabe hat, die
Magensäureproduktion anzuregen.
Oder Serotonin, das entscheidend
an der Steuerung der Darmbewegung beteiligt ist.
Grundsätzlich entstehen Tumoren,
wenn bestimmte Kontrollmechanismen der Zelle nicht mehr funktionieren und es zu einem unkontrollierten
Wachstum eines bestimmen Zelltyps
kommt. Bei den meisten NET sind die
Ursachen der Krankheitsentstehung
unbekannt. Eine Minderheit der NET
ist genetisch bedingt und vererbbar.
Diese treten im Rahmen einer Multiplen Endokrinen Neoplasie auf.
Multiple Endokrine Neoplasien
(MEN)
Ungefähr 5-10 % der NET im
Magen-Darm-Trakt und der
Bauchspeicheldrüse haben
einen genetischen Hintergrund.
Dazu gehört z. B. das MEN1-Syndrom, bei dem Tumoren
meist an mehreren Stellen
gleichzeitig, vorwiegend in den
Inselzellen des Pankreas, der
Hypophyse und der Nebenschilddrüsen auftreten. Wird bei
einem Tumor MEN-1 nachgewiesen, muss immer geprüft
werden, ob nicht weitere Tumoren vorliegen.
Bei MEN-2 finden sich als weitere Tumoren z. B. das medulläre
Schilddrüsenkarzinom oder das
Phäochromozytom.
MEN-1 und MEN-2 können
vererbt werden. Der Arzt muss
daher bei der NET-Diagnose die
Familiengeschichte gründlich
überprüfen, damit Patienten mit
genetisch bedingten NET rechtzeitig erkannt und genetisch
beraten und Nachkommen ggf.
frühzeitig überwacht werden
können.
(?) Treten NET in bestimmten Körperregionen gehäuft
auf?
[!] Professor Weber:
Neuroendokrine Zellen kommen im
menschlichen Körper weitverbreitet vor. Ein Großteil der neuroendokrinen Zellen findet sich aber im
Magen-Darm-Trakt und der Bauchspeicheldrüse. Aus diesem Grund
entstehen in diesem Bereich auch
die meisten neuroendokrinen Tumoren. Andere NET-Entstehungsorte
sind z. B. Lunge, Thymus, Nebenniere oder Schilddrüse.
weitere infos
Der Magen-Darm-Trakt:
Hier entstehen die meisten NET
7
wissenschaft
Wissenschaft
(?) Kommen neuroendokrine Tumoren oft oder eher
selten vor?
den infolge des Tumorwachstums,
wie z. B. Bauchschmerzen, Übelkeit,
Erbrechen oder Gelbsucht.
[!] Professor Weber:
(?) Wie verläuft die Krankheit in der Regel?
NET sind mit einem Anteil von
0,5-2 % aller Tumoren eher seltene
Krankheiten. Die Zahl der NET-Diagnosen ist allerdings in den letzten
Jahren unter anderem aufgrund der
Fortschritte bei Untersuchungsund Nachweismethoden gestiegen.
Nach aktuellen Schätzungen beträgt
die Häufigkeit gastrointestinaler/
pankreatischer NET weltweit jährlich
ca. 2,5-5 Neuerkrankungen pro
100.000 Einwohner, wobei Frauen
etwas häufiger betroffen sind als
Männer.
(?) Mit welchen Beschwerden muss ein NET-Patient
rechnen?
[!] Professor Weber:
Die Symptome können sich sehr
unterscheiden, je nachdem ob ein
neuroendokriner Tumor Hormone
produziert und welche Hormone
er produziert. In vielen NET ist die
Fähigkeit der Ursprungszellen, Hormone zu bilden, erhalten oder sogar
verstärkt. Die Freisetzung erfolgt
aber völlig ungeregelt. Bei ca. einem
Drittel der NET, die wir als „funktionell aktiv“ bezeichnen, führt die
[!] Professor Weber:
Hormonausschüttung ins Blut
Hormonfreisetzung zu charakteristischen Krankheitsbildern. Beispielsweise führen insulinproduzierende
NET (Insulinome) zu den typischen
Zeichen einer Unterzuckerung.
Rund zwei Drittel der NET produzieren jedoch keine Hormone oder nur
geringe Mengen. Da diese „funktionell inaktiven“ NET keine hormonellen Beschwerden verursachen, werden sie meistens später entdeckt als
funktionell aktive NET: entweder im
Rahmen von Routineuntersuchungen oder aufgrund von Beschwer-
Aufgrund des meist langsamen
Tumorwachstums leben viele Patienten sehr lange mit ihrer Krankheit, mitunter selbst dann, wenn der
Tumor bereits Tochtergeschwülste
(Metastasen) gebildet hat. Es kommen auch aggressive NET vor, die
rasch wachsen und metastasieren.
(?) Wie beurteilen Ärzte den
wahrscheinlichen
Krankheitsverlauf und welche
Kriterien werden herangezogen, um über die am
besten geeignete Therapie
zu entscheiden?
Patientenzitat:
„23 Jahre ist es nun her, dass ich die Diagnose NET –
Karzinoid der Lunge mit Metastasen – bekam. Damals
hätte ich nicht gedacht, dass ich heute hier noch sitze.
Aber glücklicherweise wächst mein Tumor nur sehr
langsam. Durch die Therapie ist der Verlauf seit 2001
stabil, der Tumor wächst eigentlich gar nicht mehr.
Ich bin sehr zufrieden, dass es mir trotz der Krankheit
schon so lange Zeit gut geht.“
Patient*, 57 Jahre
NET kommen sehr selten vor
0,5 - 2 %
aller Tumoren sind NET
funktionelle Aktivität und der
Ort der Tumorentstehung zu
berücksichtigen. So haben
Patienten mit NET im Blinddarm eine vergleichsweise
günstige Prognose, weil
diese seltener metastasieren als NET in Dünn- oder
Dickdarm. Wichtige Informationen ergeben sich zudem
aus der Untersuchung des
Tumorgewebes.
Zum Vergleich: Prozentualer Anteil der drei häufigsten Tumorlokalisationen an allen Krebsneuerkrankungen (ohne nichtmelanotischen
Hautkrebs) in Deutschland 2006
(Quelle: Robert Koch Institut)
1.Prostatakrebs (26,2 % bei Männern)
Brustkrebs
(29,3 % bei Frauen)
2.Darmkrebs
(15,8 % bei Männern,
16,4 % bei Frauen)
3.Lungenkrebs (14,2 % bei Männern,
7,4 % bei Frauen)
NET wachsen meist langsam –
ein langes Leben ist möglich
[!] Professor Weber:
Die Voraussage des Krankheitsverlaufs (Prognose) hängt ebenso wie
die Therapiewahl von zahlreichen
Faktoren ab. Eine große Bedeutung
hat vor allem die Ausbreitung des
Tumors im Körper. Wenn ein Tumor
die Grenze zu Nachbarorganen oder
Blutgefäßen noch nicht überschritten hat bzw. Krebszellen noch nicht
in benachbarte Lymphknoten gestreut haben oder wenn noch keine
Metastasen vorliegen, ist die Prognose günstiger. Weiterhin sind die
Um diese Informationen
besser bewerten zu können, ordnen wir jeden Tumor
entsprechend international
anerkannten Klassifikationssystemen bestimmten Gruppen zu (siehe S. 10).
Tumoren mit gleicher Klassifikation verhalten sich nicht
identisch, sind aber in bestimmter Hinsicht ähnlich
und somit vergleichbar.
In Studien haben wir nun
z. B. die Möglichkeit, den Einfluss von Therapien auf Tumoren bestimmter Klassifikationen gezielt zu untersuchen.
Aufgrund der Klassifikation
können wir daher mit einiger
Wahrscheinlichkeit
voraussagen,
ob ein NET auf die Therapie A
besser ansprechen wird als auf die
Therapie B.
(?) Wie wird „gutartig“ von
„bösartig“ bei NET abgegrenzt?
[!] Professor Weber:
Gutartige Tumoren wachsen nicht
invasiv, d. h., sie dringen nicht in
Nachbarorgane oder große Blutgefäße ein und sie bilden keine
Tochtergeschwülste (Metastasen),
während bösartige Tumoren eben
invasiv sind und metastasieren. Eine
sichere Unterscheidung zwischen
gutartigen und bösartigen NET kann
jedoch häufig nicht getroffen werden, sodass meist eine lebenslange
Nachsorge notwendig ist.
Metastasierung
(?) Herr Professor Weber, Sie
sagen, Patienten mit funktionell aktiven NET entwickeln
charakteristische Symptome, je nachdem welches
Hormon sie freisetzen. Welche Krankheitsbilder sind
dabei die wichtigsten?
[!] Professor Weber:
Am häufigsten ist das KarzinoidSyndrom, das durch eine vermehrte
Ausschüttung von Serotonin hervorgerufen wird. Karzinoide werden
vor allem bei Patienten mit NET des
Dünndarms und des Wurmfortsatzes beobachtet. Die typischen
Symptome des Karzinoid-Syndroms
bestehen in einer anfallartigen
Hautrötung (Flush), Bauchbeschwerden und Durchfall (Diarrhö). Interessanterweise tritt das KarzinoidSyndrom in der Regel erst dann auf,
wenn sich Lebermetastasen gebildet haben. Karzinoide des Magens
verursachen meist keine Symptome, führen aber in seltenen Fällen
durch Freisetzung von Histamin zum
atypischen Karzinoid-Syndrom mit
dunkelrotem Flush, Tränenbildung,
*Name ist der Redaktion bekannt
8
9
WISSENSCHAFT
WISSENSCHAFT
Verschiedene Klassiikationssysteme bei NET
Traditionell
TNM-Klassifikation
WHO*-Klassifikation
Zuordnung anhand des
Entstehungsortes
Zuordnung anhand der Ausbreitung
Zuordnung anhand der
Histopathologie (Differenzierung)
und Wachstumsaktivität
(Grading: G1-3)
• Vorderdarmtumoren (foregut):
Tumoren in Magen, oberem
Zwölffingerdarm (Duodenum),
Bauchspeicheldrüse (Pankreas)
und Lunge
•฀T฀=฀Tumorgröße฀und฀Ausmaß฀
der Ausbreitung in Nachbarorgane
Ein T1-Pankreastumor z. B. hat
einen Durchmesser von weniger
als zwei Zentimetern und ist auf
die Bauchspeicheldrüse beschränkt. Ein T4-Tumor dagegen
ist bereits in Nachbarorgane oder
große Gefäße eingewachsen.
•฀Neuroendokriner฀Tumor฀
(gut differenziert), G1
(Ki-67-Index <2)
•฀Neuroendokriner฀Tumor฀
(gut differenziert), G2
(Ki-67-Index 3-20)
•฀Neuroendokrines฀Karzinom฀
(schlecht differenziert), G3
(Ki-67-Index >20)
•฀Mitteldarmtumoren฀(midgut):฀
Tumoren im unteren Zwölffingerdarm (Duodenum), Dünndarm
(Jejunum und Ileum), im Blinddarm (Zökum), Wurmfortsatz
(Appendix) und dem ersten
Drittel des Dickdarms (Kolon)
•฀Enddarmtumoren฀(hindgut):฀
Tumoren im restlichen Dickdarm
bzw. Mastdarm
•฀N฀=฀Befall฀von฀Lymphknoten฀
(englisch:฀node฀=฀Knoten)
Die Kennzeichnung N0 besagt,
dass keine Lymphknoten befallen
sind, während N1 die Beteiligung
benachbarter Lymphknoten anzeigt.
(Weitere Erläuterungen zum
Ki-67-Index finden Sie auf S. 25)
PATIENTENZITAT:
„Mein NET wurde als fortgeschrittener, hochdifferenzierter, gastrointestinaler Tumor mit niedriger Wachstumsrate klassifiziert. Etwas beruhigt hat mich die niedrige
Wachstumsrate und dass der Tumor und die Lebermetastasen operiert werden konnten.“
Frau H. B.*, 56 Jahre
Serotonin-produzierende Tumorzelle
niedrigem Blutdruck, asthmaartigen
Anfällen und Juckreiz.
einer Eintrübung des Bewusstseins
oder Heißhunger äußern kann.
Unter den funktionell aktiven NET
der Bauchspeicheldrüse ist das Insulinom der häufigste, gefolgt von
dem Gastrinom. Insulinome sind in
der Regel kleine, gutartige Tumoren. Die Insulinfreisetzung führt im
Nüchternzustand zu einer starken
Absenkung des Blutzuckerspiegels
(Hypoglykämie), die sich in Symptomen wie Doppeltsehen, Verwirrtheit,
Bei Gastrinomen, die auch im
Zwölffingerdarm vorkommen, führt
der chronisch erhöhte Gastrinspiegel im Blut zu einer überaus starken Säuresekretion im Magen. Die
Folgen bestehen im Zollinger-Ellison-Syndrom, das durch oft therapieresistente Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre, Refluxkrankheit
und Diarrhö gekennzeichnet ist.
Gastrinome sind häufig bösartig.
(?) Gibt es weitere, vielleicht
sogar seltenere NET, die charakteristische Krankheitsbilder verursachen können?
[!] Professor Weber:
Vor allem in der Bauchspeicheldrüse können sehr seltene NET auftreten, wie das Glukagonom, das
Somatostatinom und das VIPom.
Glukagon ist der Gegenspieler von
Insulin und bewirkt eine Erhöhung
des Blutzuckerspiegels, z. B. indem es Stärke abbaut. Die hohen
•฀M฀=฀Vorliegen฀von฀Metastasen
M0 steht entsprechend für den
Ausschluss, M1 dagegen für das
Vorliegen von Metastasen.
Beispielsweise beschreibt die
TNM-Klassifikation T2N0M0 ein
frühes Tumorstadium (IIa); die
Kennzeichnung M1 beschreibt
dagegen immer Tumoren im
am weitesten fortgeschrittenen
Stadium IV – unabhängig von der
Tumorgröße oder vom Lymphknotenbefall.
*WHO = World Health Organization / Weltgesundheitsorganisation
10
11
WISSENSCHAFT
PATIENTENZITAT:
„Im Nachhinein betrachtet, waren meine Symptome sehr typisch
für das Karzinoid-Syndrom – trotzdem wurde die Diagnose erst
drei Jahre nach Auftreten der ersten Symptome gestellt. Die
ersten Anzeichen fand nämlich niemand alarmierend – weder ich
noch die Ärzte. Es fing damit an, dass ich bei Vorträgen im Beruf
plötzlich Gesichtsrötungen mit weiß-roten Flecken bekam. Das
verwunderte mich, weil ich bis dahin nie Probleme beim Reden
vor einer Gruppe hatte. Aber der Betriebsarzt meinte, dass ich
wohl einfach zu viel Stress hatte. Zusätzlich hatte ich häufiger mal
Probleme mit Blähungen. Aber auch hier hieß es: ‚Das ist Stress‘
oder: ‚Da haben Sie einen empfindlichen Magen.‘ Die Sache wurde störender, als es zu Durchfällen kam. Erst zweimal pro Monat,
dann zweimal pro Woche und schließlich zweimal pro Tag. Das
beunruhigte mich schon, aber ich dachte, dass das irgendwelche
Lebensmittelallergien sind. Die Ärzte vermuteten schließlich eine
chronisch-entzündliche Darmerkrankung, einen Morbus Crohn.
Zu der Zeit sagten mir auch verschiedene Leute, dass ich so
schmal aussehen würde im Gesicht – ob alles in Ordnung wäre.
Aber ich führte den Gewichtsverlust auf die vielen Durchfälle
zurück und fühlte mich ansonsten auch gut. Ich ging weiterhin
joggen und habe ungefähr acht Wochen vor der Diagnose noch
eine mehrtägige Radtour durch die Alpen gemacht. Einen richtig
massiven Flush mit Atemnot, starkem Halskratzen, Schluckbeschwerden, rotem Kopf und schnellem Puls hatte ich dann das
erste Mal eines Morgens auf dem Weg zur Arbeit. Ich war nur
knapp einem Autounfall entkommen und führte die Symptome
daher auf den Schock zurück. Erst 2008 wurde im Rahmen einer
Darmspiegelung dann das Karzinoid entdeckt.“
Patient*, 52 Jahre
WISSENSCHAFT
Blutzuckerspiegel im Rahmen des
Glukagonoms führen oft zu Diabetes mellitus. Ein weiteres Symptom
beim Glukagonom ist ein charakteristischer Hautausschlag.
Das VIPom beruht auf der verstärkten Freisetzung des Vasoaktiven
Intestinalen Peptids (VIP), eines
Hormons, das die Darmschleimhaut
zur Abgabe von Flüssigkeit anregt.
Symptome dieser auch als VernerMorrison-Syndrom bezeichneten
Krankheit sind u. a. wässrige Stühle
sowie Mineralien- und Wassermangel (Dehydrierung).
Somatostatinome können in der
Bauchspeicheldrüse oder im Zwölffingerdarm entstehen. Somatostatin hemmt die Produktion anderer
Hormone wie z. B. Insulin, Glukagon oder Gastrin. Patienten mit einem Somatostatinom entwickeln
Diabetes mellitus und leiden an
Diarrhö, Fettstuhl oder Gallensteinen
(Cholelithiasis).
Herr Professor Weber, wir
danken Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch.
Beim Karzinoid-Syndrom führt zu viel Serotonin häufig zu Durchfall
PATIENTENZITAT:
„Mein neuroendokriner Tumor ist einer der sehr seltenen: ein Calcitoninom. 2003
wurde er bei mir entdeckt – damals bin ich wegen Knieschmerzen zum Orthopäden
gegangen. Der stellte Veränderungen an den Knochen fest, ähnlich einer Osteoporose,
und überwies mich zum Endokrinologen, da ich mit unter 50 eigentlich noch zu jung
für Osteoporose war. Der Endokrinologe hat dann Calcitonin gemessen und gesehen, dass der Wert viel zu hoch war. So fingen weitere Untersuchungen an, die dann
schließlich zur Diagnose führten.“
Frau K. M.*, 56 Jahre
*Name ist der Redaktion bekannt
12
13
NET IM ALLTAG
NET IM ALLTAG
10 Tipps
K
Richtig
kommunizieren
will gelernt
sein
10 Tipps, wie Sie kleine Hürden beim
Arzt-Patienten-Gespräch überwinden
können
aum aus dem Arztzimmer
heraus, fällt Ihnen wieder
die Frage ein, die Sie in der
Aufregung vergessen haben zu stellen. Zu Hause merken Sie, dass Sie
vor lauter Fachbegriffen den Ablauf der geplanten Therapie nur zur
Hälfte verstanden haben. Sicherlich
kommt Ihnen und anderen NETPatienten solch eine Situation bekannt vor. Damit Ihr Arzt Ihnen
komplexe medizinische Zusammenhänge verständlich darstellen kann,
bedarf es ausführlicher Gespräche,
für die im Klinikalltag oft wenig Zeit
bleibt. Zudem können äußere Umstände, verschiedene Ansprechpartner und fachspezifische Ausdrücke Sie oder andere Patienten
oft so sehr verunsichern, dass Sie
sich nicht trauen, alle Ihre Fragen zu
stellen oder bei Verständnisproblemen einfach nachzufragen – auch
ein zweites Mal.
Kommunikationsprobleme können
jedoch vermieden werden, wie z. B.
Thorsten Hallermeier und seine Ehefrau erfahren haben: „Zu Gesprächen mit dem Arzt gehen wir jetzt
immer zu zweit. Wenn wir irgendeinen Befund bekommen und verstehen etwas nicht, dann fragen wir
nach. Man muss wirklich aktiv sein.
Wir schreiben uns auch zu Hause
Fragen auf. Wir haben die Erfahrung
gemacht, dass sich Ärzte gerne Zeit
nehmen, wenn sie merken, dass es
einem wichtig ist.“
Mit den folgenden zehn Tipps möchten wir Ihnen einfache Ratschläge
für eine effektivere Kommunikation
mit Ihrem Arzt an die Hand geben.
Denn: Ihr behandelnder Arzt sollte
für Sie da sein und Ihnen Informationen über Ihre Krankheit, Behandlungsmethoden etc. so vermitteln,
dass Sie sie verstehen!
14
für ihr
nächstes Arztgespräch
1
2
3
4
Notieren Sie sich vor dem Gespräch in aller Ruhe Ihre Fragen
und nehmen Sie Ihre Notizen mit.
5
7
9
Vereinbaren Sie einen eigenen
Gesprächstermin mit Ihrem Arzt,
wenn Sie sichergehen möchten,
dass er genug Zeit für ein ausführliches Gespräch hat.
Lassen Sie sich medizinische
Fachausdrücke und Fremdwörter
erklären.
Bitten Sie Ihren Arzt, Ihnen die
geplante Therapie – wenn möglich
– bildlich darzustellen. Oftmals lassen sich so viele Zusammenhänge
besser erkennen und verstehen.
Als Patient haben Sie das Recht
auf Einholung einer zweiten
ärztlichen Meinung – besprechen
Sie diesen Wunsch offen mit Ihrem
Arzt.
6
8
10
Denken Sie an Stift und Schreibblock, damit Sie sich während
des Gesprächs Notizen machen
können.
„Vier Ohren hören mehr als zwei.“
Nehmen Sie ruhig einen Freund /
eine Freundin / einen Familienangehörigen zu Gesprächen mit Ihrem
Arzt mit.
Fragen Sie konsequent nach!
Teilen Sie Ihrem Arzt mit, wenn Sie
etwas nicht verstanden haben!
Jeder Patient hat einen unterschiedlichen Bedarf an Informationen – teilen Sie Ihrem Arzt mit, in
welchem Umfang Sie über Details
der Behandlungsmöglichkeiten etc.
von ihm informiert werden möchten.
Bitten Sie um Bedenkzeit, wenn
Sie Schwierigkeiten haben, eine
Entscheidung für eine Untersuchung oder Behandlung zu treffen.
(10 Tipps nach: Teamwork – Die Arzt-Patienten-Beziehung, Die blauen Ratgeber, Deutsche Krebshilfe)
15
WISSENSCHAFT
Die Diagnose
Neuroendokriner
Tumoren
Von Professor Dr. med. Stephan Petersenn, Hamburg
WISSENSCHAFT
Moderne Untersuchungsmethoden liefern Hinweise für
Diagnose und herapie
Der erste Schritt:
das Gespräch mit
dem Arzt
Wenn der Verdacht auf einen neuroendokrinen
Tumor (NET) besteht, werden verschiedene
Untersuchungsmethoden eingesetzt. Dies dient
zum einen dazu, festzustellen, ob tatsächlich
ein NET vorliegt. Zum anderen sind bestimmte
Untersuchungen wichtig, um die beste herapie zu wählen. So muss geklärt werden, ob eine
vollständige Entfernung des Tumors oder von
eventuell vorhandenen Metastasen durch eine
Operation möglich ist. In diesem Fall kann die
Erkrankung vollständig geheilt werden. Dazu
setzt man sogenannte bildgebende Verfahren
ein, die Informationen zu Größe und Lage des
Tumors liefern. Untersucht werden auch die
biologischen Eigenschaften des Tumors, wie die
Wachstumsgeschwindigkeit oder die Aktivität
(Hormonausschüttung), denn auch das ist wichtig für die Behandlung. Außerdem können sich
bei funktionell aktiven NET durch die möglicherweise bereits länger erhöhten Hormonspiegel
Folgekrankheiten entwickelt haben. Beispielsweise kann eine erhöhte Serotoninproduktion zu
einer Herzerkrankung mit Veränderungen der
Herzklappen führen, die die Leistungsfähigkeit
des Herzens vermindern kann. Hat die Erkrankung eine genetische Ursache, können z. B. bei
einer sogenannten Multiplen Endokrinen Neoplasie (MEN-1) mehrere Tumorherde in einem
Organ oder aber Tumoren in mehreren Organen
auftreten.
ET werden aufgrund der vielfältigen Beschwerden meist erst spät im Krankheitsverlauf
diagnostiziert. Zunehmend häufiger ist die
NET-Diagnose ein Zufallsbefund, z. B. im Rahmen einer
Operation.
Die in der NET-Diagnostik eingesetzten Methoden unterteilen sich in klinische, laborchemische,
bildgebende und histopathologische Verfahren,
die im Folgenden erläutert werden.
16
N
Am Anfang der Untersuchung steht die Aufnahme der
Krankheitsgeschichte (Anamnese) durch den Arzt. Daraus ergeben sich wertvolle Hinweise auf die Krankheit.
Das beinhaltet auch die Familienanamnese, d. h., der
Arzt erkundigt sich beim Patienten, ob in der Vergangenheit Verwandte unter vergleichbaren Symptomen
bzw. NET litten. Trifft dies zu, so besteht der Verdacht
auf einen vererbten NET.
Funktionell aktive NET verursachen oft typische Beschwerden. So können z. B. anfallartige Gesichtsrötungen (Flush) und plötzlich einsetzende Durchfälle
auf die Erkrankung hinweisen. Andere typische Beschwerden sind Zeichen einer Unterzuckerung wie
Heißhunger, Schwindel bzw. Zittern oder sehr wässrige
Durchfälle. Gelegentlich werden auch erst die Folgeerkrankungen, wie z. B. die karzinoide Herzkrankheit, bei
Patienten diagnostiziert, die sich wegen der damit verbundenen Beschwerden untersuchen lassen. Aufgrund
der Seltenheit der NET sollte zur Diskussion der weiteren Diagnostik und Therapie im Verlauf auch immer ein
entsprechend spezialisierter Arzt konsultiert werden.
Anamnese
17
WISSENSCHAFT
WISSENSCHAFT
Hormonen auf der Spur – die Ana lyse im Labor
B
ei Verdacht auf einen funktionell aktiven NET
wird getestet, ob die Konzentration bestimmter
Hormone erhöht ist. Bei einigen NET, wie dem
Insulinom oder dem Gastrinom, können die Hormonspiegel im Blut jedoch trotz typischer Symptome normal
sein. Dann werden sogenannte Funktionstests eingesetzt. Bei funktionell nicht aktiven NET kann der Nachweis über die Messung von Tumormarkern anstatt von
Hormonen erfolgen.
Tumormarker
Tumormarker sind Eiweiße oder andere Substanzen,
deren erhöhte Konzentration mit einem Tumor verbunden sein kann und sich daher zur Verlaufskontrolle, gelegentlich auch zur Diagnosestellung, eignet.
Bei NET werden verschiedene Tumormarker genutzt.
Das sogenannte Chromogranin A wird am häufigsten
eingesetzt. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass
neben NET auch andere Ursachen zu einem Anstieg
von Chromogranin A führen können (z. B. verminderte Nierenfunktion oder die Behandlung mit einer bestimmten Medikamentenart, den Protonenpumpenhemmern). Bei anfänglich erhöhtem Chromogranin A
eignet sich dieser Tumormarker auch besonders zur
Verlaufskontrolle unter Therapie.
Labor
18
Die Messung von
5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIES)
Bei Verdacht auf einen NET, der das Hormon Serotonin
produziert (Karzinoid-Syndrom), werden in der Regel nicht
die Serotoninspiegel selbst im Blut bestimmt, da diese sehr
schwanken. Man bestimmt stattdessen die Menge eines
Abbauproduktes von Serotonin, die 5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIES). Gemessen wird die Menge, die während
24 Stunden mit dem Urin ausgeschieden wird. Der 24-Stunden-Urin wird in einem mit Säure versetzten Gefäß gesammelt, gekühlt und möglichst rasch zur Analyse gebracht. Die
Säure ist wichtig, um das instabile Hormon bis zur Messung
zu stabilisieren. Es ist wichtig, die Hinweise des Arztes genau
zu beachten. Bestimmte Nahrungsmittel enthalten erhebliche Mengen an Serotonin und sollten in den letzten drei
Tagen vor bzw. während der Sammlung vermieden werden.
Außerdem dürfen bestimmte Arzneimittel nicht eingenommen werden (siehe Kasten unten).
Messfehler vermeiden
Einige Lebensmittel und Medikamente können das Ergebnis verfälschen. Sie sollten mindestens 48 Stunden
vor dem Test nicht verzehrt werden: Nüsse, besonders
Walnüsse, Tomaten, Ananas, Bananen, Kiwis, Pflaumen, Johannisbeeren, Zwetschgen, Stachelbeeren,
Mirabellen, Melonen, Avocados, Auberginen, Papayas,
Grapefruit, Datteln, Feigen und Oliven. Auch Kaffee, Kakao und Nikotin sind zu meiden, außerdem Paracetamol,
Acetylsalicylsäure und andere Medikamente. Sprechen
Sie daher Ihren Arzt vor der Untersuchung darauf an.
„Vor der ersten Messung von 5-HIES habe ich mich an
keine spezielle Diät gehalten. Deshalb war das Ergebnis
nicht zu bewerten. Beim zweiten Mal wusste ich dann
aber Bescheid und habe auf bestimmte Lebensmittel
verzichtet und den Urin fachgerecht gesammelt. Dann
kam das Ergebnis: Laut Labordiagnose ein NET. Meine
5-HIES-Werte waren gegenüber den Normalwerten fast
um das Dreieinhalbfache erhöht. Da war ich erst einmal
schockiert – bis dahin hatte man ja noch keinen Tumor
finden können.“
Herr M. T.* 55 Jahre
Der 72-Stunden-Fastentest
Der Sekretintest
Die wichtigste Nachweismethode für ein Insulinom,
ein hormonaktiver NET der Bauchspeicheldrüse, ist
der 72-Stunden-Fastentest. Bei gesunden Menschen
führt eine Nulldiät zum Absinken des Zuckerspiegels
(Glukosespiegels) im Blut. Die Bauchspeicheldrüse
stoppt daraufhin die Freisetzung von Insulin. Glukose
wird aus körpereigenen Speichern freigesetzt. Deshalb
haben Gesunde selbst nach 72-stündigem Fasten normale Blutzuckerspiegel. Insulinom-Patienten produzieren dagegen auch während einer Nulldiät Insulin. Fast
alle Insulinom-Patienten entwickeln deshalb im Verlauf
des 72-stündigen Fastens eine Unterzuckerung mit den
typischen Anzeichen wie Übelkeit, Schwitzen, Zittern oder
Nervosität, die sich nach Aufnahme zuckerhaltiger Nahrung bessern. Aufgrund der gefährlichen Folgen einer
Unterzuckerung muss dieser Test unter Aufsicht mit
medizinischem Fachpersonal durchgeführt werden.
Gastrinome sind NET, die Gastrin produzieren, ein Hormon, das die Säureproduktion im Magen steigert. Die
Diagnose des Gastrinoms beruht daher zunächst auf
dem Nachweis einer stark erhöhten Magensäureproduktion und eines erhöhten Gastrinspiegels im Blut.
Liegen die Gastrinspiegel bei stark erhöhter Magensäureproduktion über einer sehr hohen Marke, gilt die
Verdachtsdiagnose eines Gastrinoms als bestätigt. Ist
der Gastrinspiegel jedoch niedriger, muss die Diagnose mit dem Sekretintest überprüft werden. Sekretin ist
ein Hormon, das beim Menschen die Ausschüttung von
Gastrin stimuliert.
Während 72 Stunden darf nichts gegessen und außer
Wasser nichts getrunken werden. Bei eindeutigem Ergebnis kann der Test vorzeitig beendet werden. Während des Tests erhält der Patient eine im Unterarm
verbleibende Kanüle (sogenannter venöser Zugang),
durch die Blut für die Laboruntersuchungen entnommen und Medikamente oder, bei Anzeichen einer Unterzuckerung, eine zuckerhaltige Lösung zugeführt werden
kann. Die Blutentnahme wird anfangs alle sechs Stunden durchgeführt und deutlich häufiger, sobald der Blutzuckerspiegel unter eine bestimmte Marke fällt.
12-14 Stunden vor dem Sekretintest sollten Patienten keine Nahrung mehr zu sich nehmen. Arzneimittel, die die Säureproduktion im Magen beeinflussen,
werden vom Arzt ggf. abgesetzt oder durch
leichtere Medikamente ersetzt. Nach Anlegen
eines venösen Zugangs wird Blut zur Bestimmung des
Nüchtern-Gastrinspiegels abgenommen, anschließend Sekretin injiziert. Nach zwei, fünf, zehn, 15 und
30 Minuten wird der Gastrinspiegel bestimmt. Steigt
Gastrin in diesem Zeitraum stark an, gilt die Gastrinomdiagnose als gesichert.
Falls zufällig schon vor dem Test eine Blutprobe im Rahmen einer Hypoglykämie gewonnen wurde, kann bereits
hier der Insulinspiegel bestimmt und der Test vermieden
werden.
19
WISSENSCHAFT
WISSENSCHAFT
Die bildgebenden Verfahren
M
it bildgebenden Verfahren lassen sich Organe bzw. andere Körpergewebe darstellen,
z. B. auf einem Bildschirm oder Film. Zu den
Standardverfahren gehören Ultraschall (Sonographie),
Szintigraphie, Computertomographie (CT) und Kernspintomographie (MRT).
„Nachdem ich im Urlaub in zwei Wochen drei Kilo
abgenommen hatte – ohne weniger gegessen oder
mehr Sport gemacht zu haben –, war ich bei meinem
Hausarzt. Unter anderem hat der zur Kontrolle per
Ultraschall den Bauchraum untersucht. Und da hat er
auf der Leber riesengroße Metastasen gesehen,
15 cm war eine groß. Da hat er mich gleich in die
Klinik überwiesen, dort gingen noch am gleichen Tag
die Untersuchungen los: CT, MRT, Knochenszintigramm, Leberbiopsie – relativ schnell war dann die
Diagnose neuroendokriner Tumor klar.“
Herr T. H.*, 41 Jahre
Sonographie
Bild
20
Sonographie
Szintigraphie
Bei der normalen Sonographie wird ein Schallkopf auf
die Haut über dem Organ gesetzt, das untersucht werden soll. Die Ultraschallwellen werden je nach Gewebe
unterschiedlich stark reflektiert, also zurückgeworfen.
Diese Signale werden vom Schallkopf registriert, in elektrische Impulse umgewandelt und auf einem Bildschirm
dargestellt. Die Sonographie eignet sich besonders gut
zur Untersuchung der Organe des Bauchraums und
großer Gefäße. So lassen sich Tumoren und Metastasen
z. B. in der Leber gut erkennen. Die Möglichkeiten der
Sonographie, einen sehr kleinen Tumor zu erkennen,
sind jedoch begrenzt. Bessere Ergebnisse bei kleineren Tumoren oder Metastasen bietet die endoskopische
Ultraschalluntersuchung (Endosonographie), bei der
der Schallkopf mit einem Endoskop direkt in die Umgebung des Organs gebracht wird. Die Endosonographie
eignet sich sehr gut zur Diagnose bzw. Überwachung
kleinerer NET der Bauchspeicheldrüse. Durch bessere
Bilder zeichnet sich auch der kontrastmittelverstärkte
Ultraschall aus: Gasgefüllte Mikrobläschen werden in
eine Vene gespritzt, die die Ultraschallreflexion erhöhen.
Bei Patienten, die an einem Karzinoid-Syndrom erkrankt
sind, wird Ultraschall auch eingesetzt, um eine bei diesen Patienten oft verminderte Herzleistung zu bestätigen oder auszuschließen (Echokardiographie).
Bei der Szintigraphie werden radioaktiv markierte Substanzen, sogenannte Radionuklide injiziert, die sich im
Tumor bzw. in Metastasen anreichern. Eine Kamera
registriert die radioaktive Strahlung. Aus den Messungen werden Abbildungen errechnet und auf dem
Bildschirm dargestellt. Da die Radionuklide schwach
strahlen und eine kurze Lebensdauer haben, ist die
Strahlenbelastung für die Patienten sehr gering. Die
Szintigraphie eignet sich auch zum Nachweis von Knochenmetastasen (Knochenszintigraphie). Die größte
Bedeutung unter den szintigraphischen Verfahren bei
NET hat die Somatostatin-Rezeptor-Szintigraphie. Diese
Methode beruht darauf, dass Somatostatin-Rezeptoren
in NET in der Regel sehr viel häufiger vorkommen als
in gesunden Geweben. Bei der Somatostatin-RezeptorSzintigraphie wird dem Patienten ein radioaktiv markiertes Somatostatin-Analogon injiziert. Dieses bindet
aufgrund seiner großen Ähnlichkeit mit Somatostatin
ebenfalls an Somatostatin-Rezeptoren und reichert sich
folglich dort an, wo sich die Somatostatin-Rezeptoren
am stärksten konzentrieren: in NET bzw. ihren Metastasen.
„Typische Beschwerden hatte ich keine. Bei mir wurde
der Tumor durch Zufall bei einer Routineuntersuchung
von meinem Gynäkologen entdeckt. Bei einer Ultraschalluntersuchung im Oktober 2008 meinte der Arzt,
dass da etwas im Bereich des Darms ungewöhnlich sei,
ich solle eine Kernspintomographie durchführen lassen.
Dabei wurden dann Veränderungen im Darm und in der
Leber festgestellt. Es war eine richtige Schocksituation
für mich, als der Radiologe sagte: ‚Gehen Sie zum Onkologen.‘ In der Uniklinik wurden dann ziemlich schnell und
zielstrebig weitere Untersuchungen gemacht. Hormonbestimmung (5-HIES), Szintigraphie (Octreoscan, eine
PET/CT stand damals noch nicht zur Verfügung) und
schließlich eine Leberbiopsie, wodurch der Verdacht auf
NET schließlich durch den Pathologen bestätigt wurde.“
Frau H. B.*, 56 Jahre
Rezeptoren sind Eiweißstoffe auf der Zelloberfläche,
an die Hormone wie Somatostatin bzw. andere
Steuerungsmoleküle binden müssen („SchlüsselSchloss-Prinzip“), um ihre biologischen Wirkungen
im Körper auszulösen. Somatostatin beispielsweise
hemmt die Ausschüttung von Insulin und Glukagon,
sobald es an Somatostatin-Rezeptoren der Bauchspeicheldrüse andockt.
Somatostatin
SomatostatinRezeptor
Zelle
Signal
Somatostatin-Rezeptor-Szintigraphie
21
WISSENSCHAFT
WISSENSCHAFT
Die bildgebenden Verfahren
Tomographie
Computertomographie
(CT)
Kernspintomographie
(MRT)
Positronen-EmissionsTomographie (PET)
Mit tomographischen (tomós, griechisch = der Schnitt)
Methoden können innere Strukturen des Körpers,
z. B. Organe, schichtweise abgebildet werden. Tomographische Methoden erlauben eine dreidimensionale, d. h. räumliche Abbildung. Computertomographie
und Kernspintomographie werden zur NET-Diagnostik
hauptsächlich eingesetzt, um Größe und Lage von Tumoren bzw. Metastasen zu bestimmen. Sie zählen zu
den wichtigsten Diagnoseverfahren. Beide Methoden
eignen sich auch dazu, den Einfluss einer Therapie zu
überprüfen. Dennoch sind Computertomographie und
Kernspintomographie nicht immer austauschbar. Welche Methode besser geeignet ist, hängt von der Fragestellung sowie von der zu untersuchenden Körperregion
ab.
Die Computertomographie beruht auf Röntgenstrahlen, die von den verschiedenen Geweben im Körper
unterschiedlich stark abgeschwächt werden. Detektoren messen die Reststrahlung und wandeln die Signale
letztlich in Bilder um. Im Unterschied zum herkömmlichen Röntgen durchdringen die Strahlen den Körper
in alle Richtungen, weil sich die Strahlenquelle um den
Patienten dreht. Mithilfe von Kontrastmitteln, die als
Spritze oder Getränk verabreicht werden, lässt sich die
Aussagefähigkeit der Computertomographie deutlich
verbessern.
Die Kernspintomographie (Magnetresonanztomographie) läuft ähnlich wie die Computertomographie ab.
Der Patient muss Metallgegenstände und ggf. Oberbekleidung ablegen. Er bekommt einen Kopfhörer zur
Dämmung der Geräusche und zur Kommunikation
mit dem Arzt und eine Klingel, mit der er jederzeit den
Arzt rufen kann. Die Untersuchung – ebenfalls in einer
Röhre – dauert ca. 20 Minuten. Auf Wunsch bekommt
der Patient ein Beruhigungsmittel, da die Untersuchung
sehr laut und die Röhre eng ist. Die Kernspintomographie beruht nicht auf Röntgenstrahlen, sondern auf
Magnetfeldern und Radiowellen – sie ist weitestgehend
unschädlich. Allerdings ist sie aufgrund der starken
Magnetwirkung bei Patienten mit Herzschrittmacher
oder einem Metall-Implantat nicht möglich oder problematisch.
Zusätzliche Informationen zu anderen bildgebenden
Verfahren kann die Positronen-Emissions-Tomographie
liefern, die heute in Kombination mit der Computertomographie (PET/CT) eingesetzt werden kann. Mit PET/
CT lassen sich selbst nur wenige Millimeter große Tumoren oder Metastasen sehr genau lokalisieren. Die
Positronen-Emissions-Tomographie nutzt die biologischen Unterschiede von gesunden und Tumorzellen,
die z. B. mehr Rezeptoren aufweisen oder eine höhere
Stoffwechselaktivität bzw. einen höheren Energiebedarf
haben. Somatostatin-Rezeptor-positive NET lassen sich
hierdurch besonders empfindlich nachweisen, wenn ein
an ein Somatostatin-Analogon gekoppelter PET-Marker
eingesetzt wird, z. B. DOTATOC. Erhalten Tumorpatienten dagegen radioaktiv markierte Glukose, reichert
sich diese in besonders stoffwechselaktiven Tumoren
und Metastasen stärker an als in anderen Geweben.
Dies eignet sich nur zum Nachweis gering differenzierter NET, weil gut differenzierte NET oft keinen erhöhten Glukosestoffwechsel haben. Für die molekulare
Bildgebung von gut differenzierten, langsam wachsenden NET verwendet man andere Substanzen, häufig
z. B. das Radionuklid 68Ga.
Die Computertomographie wird in der Klinik oder in der
Praxis eines Radiologen durchgeführt. Zur Untersuchung wird der Patient in eine Röhre geschoben. Für
den Erfolg der Untersuchung ist es sehr wichtig, dass
der Patient ruhig liegt und den Anweisungen des Arztes
folgt. Die Strahlenmenge ist nicht bedenklich. Dennoch
ist eine Computertomographie nur dann zu empfehlen,
wenn ein eindeutiger Nutzen zu erwarten ist.
„Wenn ich in der engen Röhre im Kernspin liege, hilft
mir Autogenes Training zu entspannen. Ich schließe
immer die Augen und führe Übungen durch: Der rechte
Arm wird schwer usw. Dann geht die Zeit schneller
vorbei.“
Frau H. B.*, 56 Jahre
Das Prinzip der
Kernspintomographie
Röntgenuntersuchung im CT-Gerät
CT-Bild: Querschnitt Bauchraum
(mit freundlicher Genehmigung von Prof. M. Weber)
Bild
22
„Wie sich eine CT-Untersuchung mit Kontrastmittel
anfühlt, erzählt einem ja vorher keiner. Das ist ein ganz
komisches Gefühl – ganz warm wird das im Körper.
Mein Tipp für einen entspannten CT-Termin: Wenn
möglich auf den Nachmittag legen. Da ich vier Stunden
lang vorher nüchtern sein muss, kann ich so noch
gemütlich daheim frühstücken – dann macht mir die
Wartezeit in der Klinik auch nichts mehr aus.“
Herr T. H.*, 41 Jahre
Bei der Kernspintomographie richten sich die Kerne
von Wasserstoffatomen im Körper entlang eines starken Magnetfeldes aus. Radiostrahlen überführen die
Kerne in einen energiereichen Zustand, aus dem sie
nach dem Ausschalten wieder in einen energiearmen
Status zurückkehren. Dabei geben die Kerne Energie
in einer Menge ab, die von der Umgebung der Kerne
abhängig ist. Aus der Messung dieses Unterschiedes
werden die Schnittbilder berechnet.
Bildgebende Verfahren liefern oft wichtige Informationen
23
WISSENSCHAFT
WISSENSCHAFT
Direkte Einblicke ins Innere –
Die Endoskopie
E
ndoskopische Verfahren dienen der Untersuchung im Körperinneren. Die dabei eingesetzten
Instrumente (Endoskope) werden durch kleine
Hautschnitte oder Körperöffnungen in den Körper eingeführt – z. B. durch den Mund bei einer Magenspiegelung. Endoskope bestehen entweder aus einer beweglichen oder einer starren dünnen Röhre, deren Spitze mit
einem Objektiv und einer Lichtquelle versehen ist. Am anderen Ende befindet sich ein Okular, durch das der Arzt
wie durch eine Kamera das jeweilige Organ betrachten
kann. Die Patienten bekommen von der Untersuchung
wenig mit, da sie zuvor ein Beruhigungsmittel erhalten.
Neben einer Magenspiegelung wird zur Lokalisation von
NET häufig eine Darmspiegelung durchgeführt, die zuvor eine Reinigung des Darmes durch Trinken größerer
Flüssigkeitsmengen und von Abführmitteln verlangt. Im
Rahmen der sogenannten Kapselendoskopie, bei der
der Patient eine mit einer Kamera ausgestattete Kapsel schluckt, sind keine Beruhigungsmittel erforderlich.
Die Kamera macht auf ihrem Weg durch Speiseröhre,
Magen und Darm eine Vielzahl von Aufnahmen und
wird letztlich auf natürlichem Weg ausgeschieden. Die
Kapselendoskopie wird vor allem zur Untersuchung der
Dünndarmabschnitte eingesetzt, die mit der herkömmlichen Endoskopie nicht erreichbar sind.
B
Magenspiegelung – ein endoskopisches Verfahren
Endoskope bieten auch andere Möglichkeiten: Über
Kanäle im Endoskop können Instrumente eingeführt
werden, beispielsweise um Gewebe zur Überprüfung auf krankhafte Veränderungen zu entnehmen
(Biopsie). Zunehmend wird mithilfe von Endoskopen
operiert. Diese Art von Operationen wird als minimal
invasiv (d. h. gering in den Körper eindringend) bezeichnet, weil sie kaum Operationsspuren hinterlassen.
„Ich erinnere mich noch genau, wie ich im Winter 1987
gemerkt habe, dass da etwas mit meiner Lunge nicht
stimmt. Wenn ich lange draußen in der Kälte gelaufen
bin, bekam ich Probleme mit Husten/Bluthusten.
Dazu kamen Lungenentzündungen. Daraufhin bin ich
zum Arzt, der die Lunge endoskopisch, also mit einer
Bronchoskopie, untersucht und einen Tumor gefunden
hat. Bei der Bronchoskopie wurde gleich eine Probe
entnommen, anhand der dann festgestellt wurde, dass
es sich um einen NET handelte. Ich wurde dann noch
1987 in einer Lungenfachklinik operiert.“
Patient*, 57 Jahre
Endoskop
24
Die Untersuchung
verdächtigen Gewebes
*Name ist der Redaktion bekannt
estehen Hinweise auf einen Tumor, entnimmt
der Arzt eine Gewebeprobe; meist mit einer
Feinnadelbiopsie, bei der der Arzt eine dünne
Nadel (geleitet durch Ultraschall oder das Endoskop)
in die auffällige Körperregion führt. Die Feinnadelbiopsie bereitet in der Regel nicht mehr Beschwerden als
eine Blutentnahme und ist risikoarm. Die Gewebeprobe
wird von einem spezialisierten Facharzt (einem Pathologen) untersucht. Im Zentrum steht dabei die mikroskopische Beurteilung von dünnen Gewebeschnitten
bzw. einzelnen Zellen. Zudem stehen dem Pathologen
heute zahlreiche Verfahren zur Verfügung, mit denen er
z. B. die Bildung von Eiweißstoffen durch Zellen messen
kann. Ein Beispiel ist die Bestimmung von Rezeptoren
auf Zelloberflächen mithilfe von Antikörpern. Zu den für
die Prognose und die Therapiewahl wichtigen Befunden
des Pathologen gehören vor allem der Differenzierungsgrad als Maß für die Bösartigkeit des Tumorgewebes
sowie die Geschwindigkeit, mit der es sich vermehrt
(Grading). Zur Schätzung der Vermehrungsgeschwindigkeit bestimmt der Pathologe mit einem Färbeverfahren den Anteil der Zellen im Gewebe, die das
Eiweiß Ki67 produzieren. Ki67 ist nur in Zellen nachweisbar, die sich gerade teilen.
(Weitere Informationen zum Grading und der Klassifikation von NET finden Sie auf S. 10.)
Mikroskopische Beurteilung
Proliferationsmarker Ki67
Das Eiweiß Ki67 ist ein sogenannter Proliferationsmarker. Ki67 wird nur in wachsenden Zellen produziert und
zeigt daher die Zellen im Gewebe an, die sich vermehren. Die Färbung für Ki67 gibt also Aufschluss über
die Wachstumsgeschwindigkeit eines Tumors und ist
deshalb in der Diagnostik von besonderem Wert. Der
Name Ki67 weist übrigens mit „Ki“ auf Kiel hin – dort
wurde im Institut für Pathologie der Antikörper gegen
dieses Eiweiß erstmals benannt. Der Antikörper wird
auch als MIB1 bezeichnet.
Marker
25
NET IM ALLTAG
Mein Leben
mit NET –
Umgang mit
der Krankheit
Jede Krebserkrankung bringt Fragen, Ängste und Sorgen mit sich und verändert
oft das Leben der Betrofenen vollständig. Bisherige Lebenspläne werden unter
Umständen infrage gestellt und häuig herrscht ein Gefühl der Unsicherheit und
Angst. In dieser Situation kann eine psychoonkologische Unterstützung sehr hilfreich sein.
Aber was versteht man darunter überhaupt? Wie kann die Psychoonkologie bei
der Bewältigung der Krankheit helfen? Und was kann jeder Einzelne tun?
Um diese und weitere Fragen zu beantworten, stand Herr Professor Dr. med.
Matthias Volkenandt uns in einem Interview zur Verfügung.
NET IM ALLTAG
D
Die Psychoonkologie ist ein
relativ neues Feld – was kann
man sich darunter vorstellen,
worum geht es?
In der Psychoonkologie geht es im
Wesentlichen um die Identifikation
von psychischen Belastungen infolge einer Krebserkrankung. Wir
wollen Menschen helfen, die Belastung durch die Krankheit zu reduzieren und zu bewältigen. Es geht
hier nicht um medizinische Fragen,
wie ich die Lebenszeit verlängere
oder welche Therapie ich auswähle,
sondern wie der Patient mit der Situation umgeht, wie er die Krankheit
bewältigen kann.
Viele Patienten mit neuroendokrinen
Tumoren haben Ängste, Sorgen und
Nöte. Diese Sorgen zur Sprache zu
bringen, ist oft eine sehr komplizierte Sache – und genau da setzt die
Psychoonkologie an. Um Angehörige geht es auch, es ist also ein sehr
breites Feld.
26
Viele NET-Patienten stellen
sich die Frage: Warum hat es
gerade mich erwischt? Was
antworten Sie Patienten, die
Ihnen diese Frage stellen?
Also die Frage „Warum gerade ich?“
ist in der Regel nicht beantwortbar.
Es gibt einige Tumoren, z. B. das
Bronchialkarzinom, das liegt häufig
am Rauchen. Aber bei den meisten
NET haben wir ja keine bekannte
Ursache. Es gibt natürlich Risikofaktoren, aber es gibt keinen bekannten
kausalen Faktor.
Ganz wichtig dabei ist, dass niemand selbst schuld an einer Krebserkrankung ist. Für die Patienten
ist das natürlich erleichternd und
schwierig zugleich. Schwierig insofern, als dass jeder ein gewisses
Kausalitätsbedürfnis hat.
Wir sehen das auch häufig bei Angehörigen, die sagen: „Hättest du
mal nicht so viel gearbeitet und
so viel Stress gehabt, dann hättest du jetzt den Tumor nicht.“
Da kommen dann oft Vorwürfe.
In der Psychoonkologie wird versucht, das dann deutlich zu machen, indem wir den Betroffenen
sagen: Den Tumor sehen wir bei
Alten, bei Jungen, bei Glücklichen,
Unglücklichen, Verheirateten, nicht
Verheirateten, mit oder ohne Kinder,
mit Stress, ohne Stress. Also es gibt
ihn in allen Varianten. Patienten haben in der Regel also nichts falsch
gemacht.
In einem zweiten Schritt kann man
sich ja auch fragen: Selbst wenn ich
die Antwort nach der Ursache hätte, wäre sie wirklich hilfreich? Also
beim Bronchialkarzinom haben wir
ja häufig eine Antwort: Das liegt sehr
wahrscheinlich am Rauchen. Aber
ist das wirklich hilfreich? Ich glaube
eher nicht. Es geht doch in der Phase weniger darum, die Krankheit zu
verstehen, sondern mehr darum, die
Krankheit zu bestehen.
„Ein Professor hat einmal zu mir gesagt: Sie müssen zwar mit der Krankheit leben, aber nicht für die Krankheit. Das war wirklich ein guter Tipp!“
Herr T. H.*, 41 Jahre
27
NET IM ALLTAG
Also: Wie kann ich trotz dieser Erkrankung noch einen Lebensweg
finden, annehmen und eine Lebensqualität realisieren?
Daran schließt sich ja die Frage an: Wie kann die Psychoonkologie helfen, mit der Krankheit leben zu lernen? Was hilft
mit Ängsten umzugehen?
Ein Grundgedanke in der Psychoonkologie ist zu akzeptieren,
dass Menschen, die eine Erkrankung haben, auch Sorgen, Nöte und
Ängste haben. Der Grundfehler, der
nämlich oft geschieht, ist, dass Ärzte, Schwestern und auch Angehörige immer versuchen, diese Ängste
wegzuschieben bzw. -zureden. Im
Sinne von: „Da brauchst du doch
keine Angst zu haben. Da kann man
doch was machen. Aber wir sind
doch da. Die Medizin entwickelt sich
immer weiter. Da kann man doch so
viel tun heutzutage.“ Das ist zwar
gut, dass man medizinisch so viel
tun kann, aber diese Herangehensweise ist meist nicht das, was dem
Patienten zunächst unmittelbar hilft.
Ein Grundprinzip der Psychoonkologie ist also, die Ängste, die da sind,
erst einmal zuzulassen, also sogar
aktiv danach zu fragen, Ängste zur
Sprache kommen zu lassen und herauszufinden: Wovor hast du denn
Angst? Was macht dir am meisten
Angst? Als Angehöriger, aber als
Arzt und Krankenschwester genauso. Mögliche Ängste und Sorgen
sollen also nicht sofort unter den
Teppich gekehrt werden, sondern
ganz im Gegenteil sogar aktiv auf
den Teppich.
Das gleiche Prinzip gilt auch für
alle anderen Gefühle, nicht nur für
28
NET IM ALLTAG
Und dann muss wieder eine Frage
kommen: „Was ist es denn, was
dich da so bedrückt?“ Und dann der
Patient z. B.: „Dann wissen unsere
Kinder, dass ich krank bin.“
die Angst. Nehmen wir z. B. die
Freude. Wenn jemand sagt: „Ich freu
mich so!“, dann kann man natürlich
sagen: „Du, wahrscheinlich hält das
nicht so lang“ – oder eben: „Oh, das
ist aber schön, was freut dich denn
so? Erzähl mir mehr davon.“
Es geht hier also um das Aussprechen und um das Zulassen von
Emotionen. Man nennt das auch
„Hebammen-Technik“, also die Hebamme, die das Kind ja nicht macht,
sondern das, was da ist, herausholt.
Das geht auch in der Psychoonkologie. Da ist ja eine Sorge, die mache ich ja nicht, aber ich bringe sie
sozusagen zur Welt. Ich erlaube,
dass sie herauskommen kann, und
das ist das, was Menschen so guttut, und das ist das, was so wenige
können.
Das hört sich jetzt vielleicht einfach
an, die Umsetzung ist aber oft sehr
schwierig. Wenn z. B. ein Patient
sagt: „Ich bin immer so traurig, weil
ich dies und jenes nicht mehr kann“,
dann kommt in vielen Fällen sofort
der Ratschlag: „Aber dafür kannst
du doch dies und jenes machen
und das wird schon wieder.“ Aber
Ratschläge sind oft nicht mehr als
Schläge. Das tut Menschen sehr
weh.
Also: Wichtig ist, dass Gefühle und
Sorgen, die nun einmal da sind, zugelassen, erfahren, ausgesprochen,
zurückgespiegelt – und nicht sofort
gelöst werden.
aber eine andere Liste. Die Kunst
wäre es nun, diesem Anliegen des
Patienten Raum zu geben – also
Sorgen und Ängste des Patienten
zur Sprache zu bringen.
Das hört sich so an, als ob Angehörige beim Ansprechen
der Ängste eine große Rolle
spielen?
Eigentlich ist der Anfang gar nicht
so schwer, man könnte z. B. sagen:
„Du wirkst so bedrückt. Stimmt
das? Wovor hast du denn Angst?“
Und dann kommt erst das Schwierigste – nämlich nicht nur eine Frage
zu stellen, sondern auch die Antwort
anzuhören.
Ja, das stimmt. Jeder, der mit dem
Patienten zu tun hat, nicht nur der
Arzt oder Psychoonkologe, sondern
gerade auch Angehörige sollten
aktiv nachfragen. Oft liegt die
Schwierigkeit darin, dass jeder von
uns seine eigenen Gedanken, wovor
der andere wahrscheinlich Angst
hat, im Kopf hat. Und dann kommt
man gleich mit Ratschlägen, ohne
wirklich verstehen zu wollen, was
der andere wirklich meint.
Man nennt das auch „die eigene
Agenda im Kopf haben“. Ich habe
also meine Liste und der Patient hat
Dazu auch noch ein Beispiel. Der
Patient sagt: „Ich hab so Angst,
dass mir durch die Chemotherapie
die Haare ausfallen.“ Dann kommt
meist sofort vom Gegenüber: „Ach,
da gibt es doch eine Perücke und
die zahlt die Kasse.“ Also da wird
sofort zurückgeschossen, anstatt
das noch mal zu wiederholen und zu
sagen „Oh je, das Schlimmste, was
dich bedrückt, ist also der Gedanke,
dass dir die Haare ausfallen.“
Was kann man denn selbst
tun, um die Erkrankung zu
verarbeiten und besser damit
umzugehen?
Auch da geht es wieder um die
Frage, was tut individuell gut? Das
ist auch oft ein Problem, dass wir
immer denken, wir wissen, was
den Menschen guttut. Dass wir zu
schnell Ratschläge geben. Da musst
du mal ein bisschen Sport machen
und mehr frische Luft schnappen
und an was anderes denken. Geh
in die Natur, hör gute Musik, komm
doch mal auf gute Gedanken.
„Wir haben die Erkrankung recht
schnell nicht primär als Schicksalsschlag gesehen, sondern als
Aufgabe. Als Aufgabe, die wir gemeinsam angehen. Meine Frau hatte da deutlich die aktivere Rolle: Informationen über die Krankheit und
Therapiemöglichkeiten beschaffen
– und ich hatte das Gefühl, dass ich
mich einfach fallen lassen konnte.“
Patient*, 52 Jahre
Eines der wichtigsten Instrumente der Psychoonkologie sind die
Fragen. Wenn es einem Patienten nicht gut geht, dann fragen wir
erst einmal: Was ist es denn? Und
dann sollte man nicht gleich mit
guten Ratschlägen kommen, sondern z. B. sagen: „Haben Sie mal
intensiv überlegt, was Ihnen guttun
könnte?“
Was auch oft hilft, ist die Aktivierung eigener Ressourcen. Also man
könnte z. B. fragen: „Gab es schon
mal etwas sehr Schlimmes in Ihrem
Leben und was hat Ihnen da am
meisten geholfen?“ Dann fangen
die Patienten an, in Erinnerungen zu
suchen. Und oft erinnern sie sich
dann an eine Situation, z. B.: „Damals vor 20 Jahren, als meine
Schwester starb, das Einzige, was
mir damals geholfen hat, war …“
Das ist dann vielleicht, mit einem
alten Schulfreund zu sprechen oder
irgendetwas anderes. Und dann
fragen wir: „Meinen Sie, dass das
jetzt vielleicht auch eine Möglichkeit
wäre?“ Die Patienten finden selbst
das, was ihnen guttut – und wir versuchen hierbei zu helfen.
„Seit meiner Diagnose versuche ich mehr im Augenblick zu
leben und Stress zu vermeiden, vor
allem zwischenmenschliche Spannungen. Ich bin dankbar für all
die Kleinigkeiten, die mir Tag für Tag
geschenkt werden.“
Frau K. M.*, 56 Jahre
Um es kurz zusammenzufassen –
der Schlüssel liegt im Dreierschritt:
Fragen, Zurückspiegeln, Ratschlag
als Frage.
1. Fragen
„Wie geht es dir mit …?“
2. Zurückspiegeln
Noch nicht einen Ratschlag geben,
sondern erst einmal das Gesagte
wiederholen / zurückspiegeln.
„Oh je, du hast also …“ „Erzähl mir
mehr davon …“
3. Ratschlag als Frage
Erst jetzt langsam mit der Lösung
anfangen. Am besten die Lösung
oder den Ratschlag als Frage verpacken. „Würde es dir denn guttun,
wenn wir mal gemeinsam überlegen, was …?“
Das Anwenden dieser Technik ist
nicht leicht, aber es lohnt sich sie
einmal auszuprobieren.
Vielen Dank Herr Professor
Volkenandt, dass Sie sich die
Zeit฀ für฀ das฀ Interview฀ genommen haben.
29
NET IM ALLTAG
Wie gehen NET-Patienten mit der Diagnose NET
und der Krankheit um? Wie haben sie sich damals
gefühlt? Wer oder was hat ihnen damals und auch
noch heute geholfen? Welche Erfahrungen haben
sie gemacht? Wir haben nachgefragt:
Die฀regelmäßigen฀Gespräche฀mit฀der฀Psychologin฀
waren฀hervorragend
„Was hat mir geholfen, mit der Diagnose umzugehen?
Erstens die Unterstützung meines Mannes, der sich
gleich nach der Diagnose intensiv mit der Krankheit beschäftigte und alle verfügbaren Informationen einsammelte. Dadurch musste ich mich nicht ständig selbst mit
allen Details von Diagnose und Therapiemöglichkeiten
auseinandersetzen. Bei der Krankheitsbewältigung half
mir eine Psychologin. Wir hatten regelmäßig eine Stunde
Gespräch – am Anfang jede Woche –, dann wurden die
Abstände immer größer. Mit ihr konnte ich alles, was mir
durch den Kopf ging, besprechen. Viele große Kliniken
bieten inzwischen eine solche psychoonkologische Betreuung an, oft sogar kostenlos. Ganz wichtig für meine
psychische Stabilität war auch mein Sohn, der damals
12 Jahre alt war.“
Frau H. B.*, 56 Jahre
NET IM ALLTAG
Der Glaube an Gott fängt mich immer wieder auf
„Mir hilft die Überzeugung, dass Gott mich in seiner
Hand hält. Dieser Glaube fängt mich immer wieder auf.
Während meiner Erkrankung habe ich von Anfang an
immer eine sehr gute Seelsorgebegleitung gehabt, von
der ich sehr viel Hilfe bekommen habe.“
Frau K. M.*, 56 Jahre
Buchtipps
Ziele setzen und keine Endzeitstimmung in der
Familie฀verbreiten
„Im Juni bekam ich die Diagnose NET und damals war
nicht klar, ob ich das Jahresende noch erlebe. Also
habe ich mir Ziele gesetzt: Das erste war mein Geburtstag im November, das zweite dann Weihnachten. Und
an Weihnachten wurde mir klar: Du lebst ja noch, ist ja
toll. Und so habe ich dann langsam geschafft, wieder
zu einer Normalität zurückzufinden. Schwierig ist dabei
manchmal, die schönen Dinge des Lebens bewusst
wahrzunehmen und zu genießen, auch vielleicht manches mitzunehmen, was man sonst eher aufgeschoben
hätte – aber andererseits auch nicht auf einem völlig
anderen Niveau zu leben oder in selbst gemachte Endzeitstimmung zu verfallen. Mir ist wichtig, bewusst zu
leben, aber irgendwo auch eine gewisse Normalität im
täglichen Leben zu behalten und mir nicht immer vor
Augen zu führen, dass es ja bald vorbei sein könnte.“
Patient*, 52 Jahre
„Die Bücher von Bernie Siegel und Carl Simonton
haben mir sehr geholfen. Mein absolutes Lieblingsbuch ist Prognose Hoffnung von Bernie
Siegel. Ich habe es mehrfach gelesen, weil es sehr
viel Mut, Hoffnung und Zuversicht macht. Von
Dr. Carl Simonton kann ich Wieder gesund
werden ebenfalls nur wärmstens empfehlen. Ihn
habe ich bei mehreren Vorträgen persönlich kennenlernen dürfen. Er hat mich mit seinen Vorträgen tief
beeindruckt und mir in schweren, angstvollen Zeiten
sehr viel Vertrauen und Gewissheit gegeben.“
Frau K. M.*, 56 Jahre
VAS Verlag
ISBN 978-3-88864-438-2
www.vas-verlag.de
„Guten Tag und … Tschüss“
von Geneviève Jansen
„Nichts prädestiniert mich, einen solchen Text zu
schreiben, wenn nicht das erlebte ...“
(Geneviève Jansen)
Die französische Autorin lebt in Deutschland und ist
Mutter von zwei Kindern. Das Leben ihrer vierköpfigen Familie bricht zusammen, als der 26-jährige Sohn
ins Krankenhaus eingeliefert wird: Eine unheilbare
Krankheit wird diagnostiziert. Nun geht es darum, die
Krankheit zu bekämpfen, um ein lebenswertes Leben
möglichst lange aufrechtzuerhalten.
30
Eine einfühlsame Beschreibung dieses jungen Menschen und auch Auszüge aus seinen Mails erlauben es,
eine Beziehung zu dem Patienten aufzubauen. In einer
beeindruckenden Sprache schildert die Autorin die dramatischen palliativen Anstrengungen und wie es dem
Patienten, der Familie, den Freunden, Psychologen und
Ärzten gelingt, die Zeit bis zum unvermeidlichen Tod
zu nutzen und positiv zu gestalten. Dabei werden auch
die Grenzen der Medizin und Versorgungssysteme
deutlich.
31
NET IM ALLTAG
NET IM ALLTAG
KEIN PATIENT
UND TROTZDEM
BETROFFEN
Partner, Kinder oder Geschwister – auch für Familie und Freunde kann die
NET-Erkrankung eines geliebten Menschen eine besondere psychische Belastung
darstellen. Viele Angehörige treten jedoch oft in den Hintergrund und vernachlässigen ihre eigenen Bedürfnisse zugunsten des Erkrankten. Worauf sollten Sie
achten, um weiterhin stark sein zu können?
H
1. Hören Sie auf sich und Ihre Bedürfnisse
Als Angehöriger leiden Sie möglicherweise noch mehr
als der Patient. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass
Sie auch an sich denken und auf Ihre eigenen Bedürfnisse hören. Jede NET-Erkrankung bedeutet eine unerwartete Situation, die auch Sie als Angehörige stark
belastet. Doch jeder Mensch hat seine Grenzen, egal
wie stark er ist. Ob sich diese Grenzen körperlich oder
psychisch zeigen, ist ganz unterschiedlich. Wichtig ist es
jedoch, sie zu erkennen und sich zwischendurch Pausen zu gönnen, um wieder zu Kräften zu kommen. Denn
nur so können Sie für den Erkrankten weiterhin eine Hilfe
sein.
Haben Sie dabei keine Schuldgefühle. Auf sich selbst
zu hören und zu achten ist oft nicht leicht. Vielleicht ist
es ja hilfreich für Sie, wenn Sie wissen, dass es auch
für den Erkrankten gut und wichtig ist, dass es seinen
Angehörigen gut geht.
2. Nehmen Sie sich kleine Auszeiten
Wichtig ist, dass Sie auch Zeit für sich haben und sich
Ihre persönlichen Freiräume schaffen. Warum sagen Sie
nicht einmal: Jetzt bin ich stundenweise oder tageweise
nicht erreichbar. Ich gehe jetzt mal drei Stunden alleine
32
spazieren, ich gehe zu Freunden und rede, ich gehe in
die Oper oder ich fahre mal ein Wochenende weg und
denke dann gar nicht an die Krankheit.
Dies ist natürlich oft nur möglich, wenn in dieser Zeit
jemand da ist, der anfallende Aufgaben übernimmt.
Gehen Sie hierbei offen auf andere Familienmitglieder
zu und binden Sie sie mit in den Alltag ein. So wird es
jedem Einzelnen ermöglicht, sich seine Freiräume zu
nehmen – und alle wissen, dass der Erkrankte trotzdem
gut versorgt ist. Diese kurzen Auszeiten, bei denen Sie
einfach nur dem nachgehen können, was Ihnen gerade
guttut, können in schwierigen Zeiten eine große Entlastung für Sie sein.
3. Holen Sie sich professionelle Hilfe
Ob Familien-, Paar- oder Einzeltherapie – das Angebot
an psychoonkologischer Beratung ist vielfältig. Vielleicht
kann es auch Ihnen helfen, mit einer außenstehenden
Person über alle Veränderungen, die eine NET-Erkrankung für Sie persönlich und die Familie mit sich bringt,
zu sprechen. Ängste, Sorgen, Freude oder auch widersprüchliche Gefühle – all das kann in einem solchen
Rahmen gesagt werden.
„Ich habe zwischendurch immer
wieder das Gefühl gehabt: Ich falle
hier in ein Loch – wer ist denn für
mich da? Mein Mann hatte ja durch
die Krankheit genug mit sich selbst
zu tun, meine Mutter mit 81 Jahren
und unsere Kinder mit 18, 19 wollte
ich damit auch nicht belasten. Da
wäre es schön gewesen, mal mit
einem Psychologen zu sprechen.“
Angehörige*
Auch Selbsthilfegruppen, in denen
sich Patienten und Angehörige austauschen, können eine große Hilfe
sein. (Siehe S. 50)
Oft hilft es auch schon mit Freunden
oder Bekannten zu sprechen, die
nicht selbst betroffen sind. Sie können mit dem oft hilfreichen Abstand
neue Impulse geben oder mit Ihnen
auch einfach nur über ganz andere
Themen sprechen. Und von ihnen
kommt wohl auch am ehesten die
Frage: Wie geht es dir denn überhaupt damit?
Diese Zuwendung zur eigenen Person kann Balsam für die Seele sein.
„Als Angehörige finde ich es sehr
schön, dass der behandelnde
Arzt in der Klinik mich auch kennt,
mir die Hand gibt und auch mal
fragt, wie es mir geht. Er bezieht
mich mit ins Gespräch ein – weil
er auch weiß, dass ich immer dabei bin und dazugehöre. Als mein
Mann z. B. bei einer Untersuchung
war und ich gewartet habe, da hat
er mir schnell den Zwischenstand
durchgegeben – bei ihm fühle ich
mich ernst genommen, das ist toll.“
Angehörige*
4. Lernen Sie, Veränderungen anzunehmen
Die Krankheit bringt viele Veränderungen mit sich. Was einmal wichtig
war, tritt unter Umständen plötzlich in den Hintergrund und andere
Dinge bekommen nun eine große
Bedeutung. Neue Fragen treten auf,
wie z. B.: Was passiert mit unserer
Familie?
„Was mich am meisten aus der Bahn
geworfen hat, war, dass ich mich
plötzlich und unvorbereitet damit
auseinandersetzen musste, dass
man nicht ewig lebt. Da kommt man
schon ins Grübeln, vor allem wenn
man ein minderjähriges Kind hat.“
Herr M. B.*, 56 Jahre, Angehöriger
Versuchen Sie, die oben erwähnten
Ratschläge einmal auszuprobieren.
Vielleicht fällt es Ihnen damit schon
leichter, die Veränderungen anzunehmen. Lernen Sie, die kleinen Dinge und positiven Veränderungen zu
schätzen und Freiräume für sich zu
nutzen.
„Wir haben unser Leben schon darauf ausgerichtet, dass wir wissen,
wir haben nicht endlos Zeit. Wir versuchen, als Familie möglichst viel Zeit
zusammen zu verbringen. Wir leben
einfach ein bisschen bewusster und
versuchen, die Zeit, die wir haben,
sinnvoll zu nutzen. Dazu gehört auch,
einfach ein bisschen relaxter zu leben,
z. B. weniger zu streiten und sich nicht
so viel über Kleinigkeiten aufzuregen.“
Angehörige*
Durch einen bewussten Umgang mit
Ihren eigenen Bedürfnissen können
Sie auch auf lange Zeit eine große Unterstützung für den Erkrankten sein.
Achten Sie also gut auf sich selbst.
Weitere
Informationen
zu Hilfen für
Angehörige
finden Sie in
der gleichnamigen Broschüre
aus der InfoReihe „Die blauen Ratgeber“,
Band 42, die kostenlos als
PDF unter www.krebshilfe.de/
blaue-ratgeber heruntergeladen
werden kann.
33
BEWEGUNG UND SPORT
BEWEGUNG UND SPORT
Es gibt viel Gutes –
Hauptsache, man
tut es In der Zeit der griechischen Antike sagte
Hippokrates: „Durch Enthaltsamkeit
und Ruhe werden viele Krankheiten
geheilt.“ Heute wissen wir jedoch aus
zahlreichen Studien, dass körperliche
Bewegung ein wirksames Heilmittel bei
unterschiedlichsten Erkrankungen sein
kann. Und das gilt in zunehmendem
Maße auch für Krebspatienten.
Jörg Blech ·
Heilen mit
Bewegung
Fischer Taschenbuch Verlag,
Frankfurt, 3. Auflage: September
2010, ISBN 978-3-596-17761-5,
€ 8,95, www.fischerverlage.de
„Ein฀hervorragendes฀Buch฀–฀
volle฀Zustimmung“
Prof. Dr. med. Herbert Löllgen,
Internist, Kardiologe und Präsident
der Deutschen Sportärzte
34
I
n seinem Buch „Heilen mit Bewegung – Wie Sie
Krankheiten besiegen und Ihr Leben verlängern“
beschreibt der renommierte Wissenschaftsjournalist,
Autor und Molekularbiologe Jörg Blech unmissverständlich, welchen Sinn sportliche Aktivitäten nicht nur
für Gesunde, sondern gerade auch für Menschen, die
unter Krankheiten leiden, machen: „Wer sich systematisch körperlich aktiv betätigt und Belastungsreize setzt, löst positive gesundheitswirksame
Anpassungsprozesse aus.“
Im Kapitel „Krebs – einfach weglaufen?“ geht der
Autor gezielt auf die positiven Auswirkungen der Bewegung speziell für Krebspatienten ein – frei nach der
Devise: „Nicht weglaufen, sondern aktiv angehen.“
Im weiteren Verlauf des Buches wird u. a. eine Onkologin und Leiterin einer Klinik für Onkologie, die sich intensiv mit Sport und Krebs beschäftigt, zitiert: „Krebserkrankung, Operation und Chemotherapie führen
bei den meisten Patienten zu einem gravierenden
Vertrauensverlust in den eigenen Körper – die
Aufforderung zum Sport und die Steigerung der
Kondition kommen daher unerwartet. Umso überzeugender motiviert die spürbare Verbesserung
der Körperkräfte zum Kampf gegen die Krankheit
und bringt Lebensmut und positives Körperempfinden zurück. Krankheitsassoziierte Depression
und Isolation werden durch Sport überzeugend
überwunden, und die Therapiefähigkeit der meisten Patienten wird überdurchschnittlich gesteigert.“
„Wenig hilft viel“ – und das mit
aller Kraft
Diese Erkenntnis bezieht sich nicht nur auf Sportarten, bei denen es auf Höchstleistungen ankommt.
„Vielmehr gilt sie für jede Bewegung, die wir durch
die Arbeit unserer Muskeln hervorbringen. Dazu
zählen schon moderater Sport wie Wandern und
Aktivitäten des Alltags wie Treppen steigen, Gehen, Rad fahren, Unkraut jäten oder der Hausputz.
Gerade diese Art von Gesundheitssport hält jung
und verlängert, im Alter clever dosiert, das Leben.“
In Studien mit Brustkrebspatientinnen beispielsweise konnte nachgewiesen werden, dass bereits
„körperliche Aktivitäten wie Staubsaugen, schnelles Spazierengehen, Treppensteigen und das Einkaufen zu Fuß ... einen segensreichen Effekt auf
die Gesundheit und das körperliche Funktionieren
haben kann.“ Im Vergleich zu inaktiven Patientinnen
verspürten die körperlich Aktiven weniger Schmerzen
und Einschränkungen – sie fühlten sich stärker und gesünder.
„Die Heilkraft der Bewegung“
Weitere Studien zeigen, dass regelmäßige Bewegung
die Überlebenschancen von Tumorpatienten (Brustkrebs/Dickdarmkrebs) verlängern kann. Dies war lange
Zeit umstritten, inzwischen ist in der Forschung jedoch
eine Kehrtwende erkennbar.
„Besonders Krebspatienten werden bis heute vielfach zu körperlicher Untätigkeit angehalten – aus
dem ärztlichen Glauben heraus, sie verkraften dadurch die Strapazen der Behandlung besser. Doch
anscheinend ist eher das Gegenteil wahr. Manche
Ärzte gehen dazu über, selbst schwer kranken
Patienten Fahrrad-Ergometer aufs Krankenzimmer zu stellen. Körperliche Bewegung hellt demnach das Gemüt der Patienten auf und schenkt
ihnen verloren geglaubte Kraft. Sie vermag die
körpereigene Krebsabwehr zu stärken – und kann
sogar das Leben verlängern“, so Jörg Blech.
Sein Schlusswort am Ende seines Buches sollte zum
Lebensmotto eines jeden Menschen, ob krank oder
gesund, werden: „Für den Aufbruch ist es nie zu
spät, und jeder Schritt wird belohnt.“
Die Aussagen betroffener NET-Patienten, die wir zu
ihren sportlich-aktiven Ambitionen befragt haben,
bestätigen dies in eindrücklicher Weise.
Auf den folgenden Seiten kommen NET-Patienten
zu฀ Wort,฀ die฀ dank฀ ihrer฀ sportlichen฀ Aktivitäten฀
wieder zu neuem Mut, neuer Kraft und neuer Lebensenergie gefunden haben.
>>
35
BEWEGUNG UND SPORT
BEWEGUNG UND SPORT
„Das Radfahren bringt mich ans
Ziel – in vielfältigster Form“
„Auf dem Mountainbike zu fahren, das ist mein großes
Hobby. Und mehr noch: Es ist der Sport, der mir und
meinem Körper hilft.
Bereits in der Reha habe ich mir jeden Tag gesagt:
‚Wenn ich wieder Fahrrad fahren kann, geht’s mir gut.‘
Und als es dann langsam wieder aufwärts ging mit
mir, habe ich – obwohl es verrückt war – mir fest vorgenommen, noch im gleichen Jahr auf den höchsten
Berg hier bei uns zu fahren.
O
Ob das Wetter mitspielt oder nicht, spielt für Thorsten
Hallermeier selten eine Rolle. Schon während der bei
ihm durchgeführten Chemozyklen beginnt sein Tag um
etwa sechs Uhr morgens: rein in die Sportklamotten
und dann rauf aufs Fahrrad. Für 30 Minuten, auch mal
40 oder eine Dreiviertelstunde, fährt er durch Wälder,
über Felder und Wiesen, bergauf, bergab, an Bächen
entlang, manchmal auch querfeldein durchs Gelände. Kein Verrückter ist er, ja, er genießt dabei auch die
Landschaft, legt hin und wieder eine kleine Pause ein,
um zu trinken und seine Pulsuhr zu kontrollieren. Die Zeit
des Sonnenaufgangs ist für Thorsten Hallermeier die
schönste, dann versucht er, mit seinem Mountainbike
auch rechtzeitig an einem der zahlreichen Aussichtspunkte weiter oben anzukommen.
Nein, ein Freak, wie sie oft genannt werden, die Mountainbiker, ist er wirklich nicht. „Für mich ist das ganz
ehrlich eine tolle Entspannung, wenn ich für mich alleine
durch unsere schöne Gegend fahre – natürlich schon
unter gewissen, sportlich herausfordernden Bedingungen“, sagt er grinsend, doch immer darauf bedacht,
seine Grenzen nicht zu überschreiten. Mittlerweile hat
er seine Ausfahrten auf ca. zwei Stunden ausgedehnt,
macht jedoch, auf Empfehlung seines Arztes, zwei Tage
die Woche Pause. Auch ganz so ohne das richtige Wet36
Meine Operation war im August, und zwei Tage vor
Silvester war es dann so weit: Bei minus zehn Grad
und Schnee bin ich mit meinem Mountainbike auf diesen Berg gefahren. Ich hab’s geschafft. Und ich werd
mich auch weiterhin so oft wie möglich auf den Sattel
schwingen – es ist das Größte für mich.“
Herr T. H.*, 41 Jahre
ter geht es bei ihm ebenfalls nicht – bei starkem Wind
oder sintflutartigem Regen fällt seine morgendliche Radtour schon mal aus. Und am Wochenende wird es meist
später, weil Freunde und frühere Arbeitskollegen ihn mit
dem Fahrrad begleiten.
Fahrrad fahren war schon immer eine starke Leidenschaft von Thorsten Hallermeier. Und auch die Diagnose NET konnte ihn nach überstandener Operation nicht
davon abhalten, seinem sportlichen Hobby weiter zu
frönen. Bereits in der Bewegungstherapie seiner damaligen Reha nutzte er regelmäßig Laufband, Stepper und
Fahrradergometer, um seine Beweglichkeit, Kraft und
Ausdauer zu trainieren. Auch wenn es dort langweiliger
war und es ihm in der ersten Zeit noch doppelt schwergefallen ist, hat ihn sein „Kämpferherz“ nicht im Stich
gelassen.
Heute fühlt sich Thorsten Hallermeier richtig glücklich,
wenn er seinen täglichen Morgen auf diese Weise beginnen kann. Und wenn er dann von seiner Rundfahrt wieder daheim „einrollt“, beginnt für ihn und seine Frau der
zweite schöne Teil des Tages – gemeinsam am bereits
gedeckten Frühstückstisch mit frischen Brötchen, die
ihm der Bäcker noch während seiner Fahrt in die Hand
gedrückt hat.
„Nordic Walking
gibt mir wieder Mut
und kraft“
„Als ich noch voll gearbeitet habe,
hatte ich kaum Zeit für Sport.
Jetzt habe ich viel Zeit, bin aber
leider nicht mehr so fit, d. h., ich
muss mit meinen Kräften haushalten.
Was ich jetzt mache, ist Nordic
Walking. Am Anfang habe ich das
alleine gemacht, doch seit einiger
Zeit habe ich zwei Bekannte, mit
denen ich regelmäßig jede Woche
laufe. Das motiviert. Ich freue mich,
dass ich laufen kann, draußen in
der Natur, im Schwarzwald. Ich
beobachte die Natur sehr intensiv
dabei, ich sehe eigentlich jetzt erst
richtig die Natur – ich bekomme
bewusst mit, wie die Pflanzen
wachsen und wie sich die Landschaft verändert. Das habe ich früher gar nicht so wahrgenommen.
Ich lebe bewusster. Und ja, ich bin
nicht mehr so gereizt.
Beim Nordic Walking, da kann ich
meinen Kopf frei bekommen und
zur Ruhe kommen. Bewegung ist
immer gut, auch für die Psyche,
man schöpft neue Kraft. Mein
Traum ist, dass ich wieder die Kraft
habe für eine Mehrtageswanderung im Schwarzwald. Einfach loszulaufen, und wenn ich nicht mehr
kann, dann irgendwo übernachten
und am nächsten Tag weiterwandern. Ich weiß, da komme ich
wieder hin.“
Frau H. B.*, 56 Jahre
37
BEWEGUNG UND SPORT
BEWEGUNG UND SPORT
„sehr bewegend:
mein garten!“
„In der ruhe liegt
die kraft – und die finde
ich beim segeln“
Finden Sie die richtige
Sportart
Die tägliche Bewegung in wohldosierter Trainingsform gehört heute zur sinnvollen Ergänzung bewährter Therapien. Inzwischen ist nachgewiesen, dass
regelmäßige Bewegung
•฀ ฀zur฀Verbesserung฀des฀Wohlbeindens,
•฀ ฀zur฀Steigerung฀von฀Kraft,฀Ausdauer฀und฀
Beweglichkeit,
•฀ ฀zum฀Stressabbau,
•฀ ฀zur฀Stärkung฀des฀Immunsystems฀und
•฀ ฀zur฀Stärkung฀von฀Herz฀und฀Kreislauf
führen und das Risiko für verschiedenste Krankheiten
verringern kann.
„Einfach diese täglichen Freiräume, die ich mir seit der Frührente schaffen kann, die tun mir
sehr gut.
Geändert hat sich seit der NET-Diagnose natürlich schon einiges: ‚Jetzt gehst du mal ’ne halbe Stunde joggen‘, das gibt es nicht mehr, weil ich einfach auch von meiner Kalorienaufnahme
im Gleichgewicht bleiben möchte. Das heißt, ich kann nicht zu viel Sport machen und Kalorien
verbrennen, die ich von der Nahrung her gar nicht aufnehmen kann.
Aber ich bin jemand, der schon immer gut im Kontakt mit der Natur entspannen konnte. Und
das kann ich jetzt auch mit leichten sportlichen Aktivitäten in Einklang bringen – auf dem
Segelboot zum Beispiel. Je weniger menschengemachte Geräusche und Bewegungen ich um
mich herum habe, umso besser. Und da ist Segeln – ich hab schon früh meinen Segelschein
gemacht – einfach toll. Genauso faszinierend stelle ich mir Segelfliegen oder Ballonfahren vor –
das möchte ich demnächst mal ausprobieren.“
Patient*, 52 Jahre
38
„Ich bin sehr erdverbunden, sehr verwurzelt, besonders in meinem Garten fühle ich mich wohl. Gartenarbeit hilft mir sehr, zu entspannen und in Bewegung zu
bleiben. Es war früher schon so, dass ich bei einer im
Grunde genommen stupiden Arbeit wie Unkraut zupfen
total abschalten konnte. Das ist jetzt, nach der Operation, wieder so. Der Garten ist für mich richtig schön,
ich lebe und arbeite gerne mit Blumen und Blüten. In
der Natur zu sein und dabei aktiv etwas zu tun – das
hilft meiner Seele. Ich kann da viel Kraft schöpfen und
gleichzeitig Entspannung empfinden. Und inzwischen
kann ich aus meinem Garten, dem Wachsen und
Gedeihen dort, auch viel Inspirierendes für mein neues
Hobby, für meine Seidenmalerei schöpfen.“
Frau K. M.*, 56 Jahre
Aus Erfahrung wissen wir, dass ein Training, welcher
Art auch immer, in Gruppen häufig leichter fällt als im
Alleingang.
Die Arbeitsgemeinschaft für Psychoonkologie PSO
sowie die onkologischen Beratungsstellen helfen
Ihnen bei der Wahl geeigneter sportlicher Aktivitäten
gerne weiter. Auch Sportvereine, Volkshochschulen
und ambulante Reha-Zentren an Ihrem Wohnort
haben gezielte Sport- und Trainingsangebote für
Menschen mit chronischen Erkrankungen. Und
inzwischen sind auch viele Krankenkassen initiativ
geworden und geben ihren Mitgliedern die Möglichkeit zu geeigneten Bewegungs- und Aktivkursen.
*Name ist der Redaktion bekannt
39
ERNÄHRUNG
ERNÄHRUNG
Nie wieder Kartofel salat und Bier?
Empfehlungen und Erfahrungen zur Ernährung bei NET
E
„Ernährung ist ein hema, bei
dem man mehr Hilfe brauchen
könnte. Spezielle Empfehlungen für NET-Patienten gibt es
wenige. Deshalb probiere ich
einfach vieles aus und merke
dann, was ich vertrage und was
nicht.“ Das Zitat stammt von einer Patientin, die seit drei Jahren an einem neuroendokrinen
Tumor leidet. Es trift auf viele
NET-Patienten zu, die Rat und
Unterstützung zur Ernährung
suchen. Zum Teil liegt dies in
der Natur der Sache. Neuroendokrine Tumoren verursachen
sehr individuelle Krankheitsbilder und -verläufe, die zu ebenso
individuellen, von Patient zu
Patient unterschiedlichen Beschwerden führen. Folglich kann
bei einem Patienten wirkungslos oder sogar schädlich sein,
was einem anderen hilft. Es gibt
aber auch NET, die keine Verdauungs-/Ernährungsprobleme
verursachen, z. B. hormoninaktive Tumoren oder bei bestimmter Lokalisation (Lungen-NET).
Angesichts dieser Vielfalt wird
es keinem NET-Patienten erspart bleiben, sich individuell
mit seinem Krankheitsbild und
mit seiner Ernährung auseinanderzusetzen.
40
Vier Tipps für eine
erfolgreiche Suche
Bevor Sie mit der Suche nach der Ernährung, die
Ihren individuellen Bedürfnissen am besten gerecht
wird, beginnen, wollen wir Ihnen vier Empfehlungen
mit auf den Weg geben:
1. Haben Sie Mut zum Ausprobieren! Wandeln Sie
Empfehlungen und Tipps ab, testen Sie selbst, was
Ihnen guttut und was Sie nicht vertragen. Nutzen
Sie die Erfahrungen anderer, aber machen Sie
auch Ihre eigenen.
lecker ist ...
2. Stimmen Sie sich mit Ihrem Arzt ab! Kein Ratgeber
kann seinen fachlichen Rat ersetzen. Zudem kann
Sie Ihr Arzt nur dann optimal behandeln, wenn
er über Ihre Ernährung genau im Bilde ist. Auch
eine professionelle Ernährungsberatung kann bei
speziellen Problemen sehr hilfreich sein.
3. Bewusste Ernährung kann eine Therapie unterstützen – aber niemals ersetzen. Ein NET gehört in
jedem Fall in ärztliche Behandlung.
4. Vergessen Sie nicht, dass Essen weit mehr ist als
die Zufuhr von Energie und Nährstoffen. Es ist
Kultur, sozialer Akt, Sinnesfreude und Genuss.
Sie sollten diesen Aspekt des Essens nicht gering
schätzen; auch er trägt zur Gesundung bei – und
zu einem lebenswerten Leben ohnehin. Deshalb:
Suchen und erleben Sie, so sehr Sie die Krankheit
auch einschränken mag, im Essen immer auch
den Genuss!
41
ERNÄHRUNG
ERNÄHRUNG
Im Folgenden inden Sie eine Auswahl von Fragen, Antworten und alltagstauglichen Tipps zu
unterschiedlichen Ernährungsproblemen bei NET. Diese sind der Broschüre „Ernährung bei
Neuroendokrinen Tumoren (NET) – Ein Patienten-Ratgeber“ (2011) des Netzwerks Neuroendokrine Tumoren (NeT) e. V. in Zusammenarbeit mit Ipsen Pharma entnommen, die wir allen
ernährungsinteressierten Patienten und Angehörigen zum Weiterlesen empfehlen.
„Ich leide unter dem Karzinoid-Syndrom. Als besonders störend empinde ich, wenn ich einen Flush bekomme und plötzlich mein Gesicht rot anläuft. Kann
ich dieses anfallartige Erröten durch meine Ernährung
beeinlussen?“
Einige Lebens- oder Genussmittel können einen Flush
auslösen – aber nicht immer und bei jedem Patienten.
Wie bei vielen NET-Symptomen reagiert jeder Betroffene individuell.
Dennoch gibt es Lebensmittel, nach deren Genuss erfahrungsgemäß häufig ein Flush auftritt. Das gilt ebenso
für andere typische Symptome des Karzinoid-Syndroms,
etwa Durchfälle. Die wichtigsten potenziellen Auslöser
sind Alkohol und Nahrungsmittel, die biogene Amine
enthalten. Sie sollten ggf. gemieden werden. Besonders viel Amine enthalten gealterter Käse, geräucherte, gesalzene oder eingelegte Fisch- oder Fleischspeisen, Hefeextrakte, Bierhefe, dicke Bohnen, Sauerkraut
und Sojaprodukte. Einen mittleren Amingehalt haben
Kaffee und andere koffeinhaltige Getränke, Schokolade,
Wal- und Erdnüsse, Bananen, Himbeeren und Avocado.
Außerdem können auch scharfe und fettige Speisen,
rohe Gemüse und Früchte oder große Mahlzeiten Beschwerden hervorrufen.
42
„Schon von einem Schluck Wein bekomme ich extreme
Flush-Anfälle. Sogar beim Kochen lassen wir deshalb
jede Spur Alkohol weg, z. B. den Wein in der Soße vom
Kalbsgeschnetzelten.“
Patient*, 52 Jahre
„Der Flush hat bei mir nichts mit Wein zu tun, obwohl es
bei anderen Patienten wohl schon reicht, wenn sie nur
am Korken riechen. Ich trinke immer noch gerne Wein
und verzichte auch nicht auf Käse oder Walnüsse.“
Herr M. T.*, 55 Jahre
„Mein neuroendokriner Tumor verursacht starken
Durchfall. Gibt es etwas, womit ich diese Beschwerden
lindern kann?“
Viele Patienten können die Häufigkeit und Stärke der
Diarrhöen durch ihre Ernährung beeinflussen. Manchmal
kann ein bestimmtes Nahrungsmittel oder Getränk den
Durchfall geradezu provozieren – umso leichter ist es
dann, durch Weglassen dieser Lebensmittel Durchfall zu
vermeiden. Ein Verlust an Lebensqualität ist damit nicht
unbedingt verbunden. Manches Leibgericht kann schon
mit einer kleinen Rezeptänderung auf der Speisekarte
bleiben. Finden Sie durch Selbstbeobachtung heraus,
ob bestimmte Lebensmittel Ihr Leiden auslösen, verstärken oder lindern. „Lernen, auf seinen Körper zu hören“,
nennt das einer unserer befragten Patienten treffend.
Einige Erfahrungswerte können dabei als Richtschnur
dienen. Doch vorab der wichtigste Hinweis: Gleichen Sie
unbedingt den großen Flüssigkeitsverlust durch häufiges
Trinken aus! Mindestens zwei bis drei Liter Flüssigkeit
sollten Sie pro Tag zu sich nehmen, am besten in Form
von Wasser mit möglichst wenig Kohlensäure, dünnen
Saftschorlen, schwach gesüßten Tees, entkoffeiniertem
Kaffee oder Bouillon. Flüssigkeiten werden in Raumtemperatur besser vertragen als sehr heiß oder kalt.
Ernährung bei
Neuroendokrinen
Tumoren (NET)
Ein Patienten-Ratgeber
Mehr Informationen und
Wissenswertes zum
Thema Ernährung finden
Sie im Ratgeber des
Netzwerks NeT, erstellt mit freundlicher Unterstützung
von Ipsen. www.netzwerk-net.de
Bestellen Sie gleich kostenlos Ihr eigenes
Exemplar unter [email protected]
Hintergrundwissen:
Ernährungstagebuch
Wenn die generellen Hinweise im Einzelfall nicht
zutreffen, kann ein Ernährungstagebuch Aufschluss
geben. In ihm schreiben Sie exakt auf, zu welchen
Zeiten Sie welche Speisen zu sich nehmen und wann
Beschwerden auftreten. Diese Aufzeichnungen helfen, einem Zusammenhang zwischen Ernährung und
speziellen Symptomen auf die Spur zu kommen.
lust auf
43
ERNÄHRUNG
ERNÄHRUNG
Hilfreiches ausprobieren ...
Erschwerendes฀vermeiden฀...฀
Es ist empfehlenswert, mehrere kleine Mahlzeiten über
den Tag zu verteilen. Probieren Sie leichte Vollkost, außerdem Nahrungsmittel, die stopfen: Kakao, schwarzer
oder grüner Tee, Bitterschokolade oder Blaubeeren
(-saft) gehören z. B. dazu. Muskatnuss verzögert den
Transport der Nahrung in den Darm – reiben Sie das
Gewürz in alle Speisen, zu denen es passt. Essen Sie
pektinreiches Obst und Gemüse: Ein geriebener (!)
Apfel vor der Mahlzeit unterstützt die Wasserbindung
im Darm, Bananen sind besonders bekömmlich und
helfen mit ihrem hohen Kaliumgehalt, den Verlust von
Mineralien auszugleichen. Flohsamen binden ebenfalls
Wasser und dicken so den Stuhl ein. Joghurt mit
lebenden Kulturen kann sich positiv auswirken, das gilt
aber nur für reinen oder probiotischen Joghurt. Vorsicht
ist geboten wegen des enthaltenen Milchzuckers –
probieren Sie, ob Sie ihn vertragen. Ebenfalls hilfreich
kann medizinische Trockenhefe sein – aufgrund ihrer
probiotischen Eigenschaften hilft sie bei verschiedensten Formen von Diarrhöen.
Nun zu den Nahrungsmitteln, die sich in vielen Fällen
als ungünstig erwiesen haben: Dazu zählt Milchzucker,
der in Milch, Molke und Buttermilch enthalten ist, aber
auch in Lebensmitteln, denen Milchprodukte zugesetzt
sind. Meiden Sie blähende, fettige, frittierte, sehr süße
oder sehr scharfe Speisen. Trinken Sie keinen Alkohol,
keine koffeinhaltigen und keine kohlensäurehaltigen
Getränke. Rohes Gemüse und frisches Obst können
Diarrhöen verschlimmern, ebenso säurehaltige Lebensmittel. Der Süßstoff Sorbit(ol) wirkt abführend, er steckt
in zuckerfreien Süßigkeiten und Kaugummis. Auch
Nahrungsergänzungsmittel wie z. B. Magnesiumpräparate können Diarrhöen verursachen.
Ein Hinweis zum Schluss: Bei chronischem Durchfall
werden oft zu wenig fettlösliche Vitamine aufgenommen und es kann zu einem Verlust an Gallensäuren
und Mineralien kommen. Beide müssen unter Umständen ersetzt werden – sprechen Sie Ihren Arzt darauf
an.
„Sehr fette oder saure Lebensmittel und Alkohol führen
bei mir zu Diarrhöen – einen Schweinebraten esse ich
aber durchaus mal und vertrage ihn gut. Essig vertrage
ich allerdings überhaupt nicht. Da ich leidenschaftlich
gerne Salat mit Bratkartoffeln esse, nehme ich einfach
für die Salatsoße Zitrone statt Essig. Der Salat schmeckt
damit genauso lecker. Grundsätzlich esse ich keine
Fertignahrungsmittel, deren Zusatzstoffe bekommen mir
nicht. Da ich aber gerade unterwegs keinen Durchfall
gebrauchen kann, nehme ich statt Fertignahrungsmitteln
oft zwei bis drei hartgekochte Eier als Snack mit. Auch
zu Hause bereite ich mir alles selbst zu, habe mir sogar
eine Eismaschine gekauft und stelle Eis aus Sahne und
Früchten her. Das schmeckt und tut mir gut, im Gegensatz zum Fertigeis aus dem Supermarkt.“
Herr F. G.*, 59 Jahre
„Bestens vertrage ich morgens einen Haferbrei aus
frisch in Milch gekochten feinen Haferflocken, dazu einen geriebenen Apfel und einige Esslöffel Naturjoghurt.
Das Ganze mit etwas Zimt und Zucker überstreut oder
mit Ahornsirup verfeinert – fertig ist ein gut bekömmliches, leckeres und sättigendes Frühstück.“
Frau H. B.*, 56 Jahre
„Ein Bekannter hat mir
von speziellen Krebsdiäten erzählt. Was ist
davon zu halten?“
Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen: nichts. Wir raten generell zur Vorsicht und auf jeden Fall zur Rücksprache mit Ihrem behandelnden Arzt. Man kann es
nicht oft genug wiederholen: Ernährung ist keine Krebstherapie! Von einigen Diäten ist sogar zu befürchten,
dass sie Schaden anrichten. Strenge Fastenkuren oder
strikt einseitige Ernährungsvorschriften beispielsweise
enthalten dem Körper wichtige Nährstoffe vor. Mögliche
Folgen sind Gewichtsverlust und Mangelernährung.
Hintergrundwissen:
Hilfe aus der Natur
leichter
44
Flohsamenschalen werden sowohl von der Naturheilkunde als auch von der wissenschaftlichen Medizin
als wirksames Darmregulans anerkannt und genutzt.
Sie helfen aufgrund ihrer enormen Quellfähigkeit gegen die gegensätzlichen Beschwerden Verstopfung
und Durchfall. Im Gegensatz zu vielen chemischen
Mitteln sind sie ausgezeichnet verträglich und können
auch über lange Zeit eingenommen werden.
Medizinische Trockenhefe (Saccharomyces boulardii)
hilft bei Durchfall durch Regulation der Darmflora
und Stärkung der Infektabwehr im Darm. Sie hat probiotische Eigenschaften, ist gut verträglich und in der
Apotheke erhältlich. Entdeckt wurden die hilfreichen
Eigenschaften dieser Trockenhefe schon 1920 während eines Cholera-Ausbruchs in Südostasien.
„Eine Zeit lang habe ich gedacht, dass ich jetzt Lebensmittel essen muss, die krebshemmende Stoffe haben
oder sogar Krebszellen töten können. Mein Mann hat
sich dann gewundert, dass ich immer Himbeeren im
Haus hatte und oft Brokkoli gegessen habe, obwohl ich
Brokkoli gar nicht mag. Das sind ja so Hoffnungen, an
die man sich klammert. Inzwischen habe ich mich von
solch abstrusen Vorstellungen gelöst. Ich versuche,
mich nach wie vor gesund und abwechslungsreich zu
ernähren und auf meinen Körper zu hören. So esse ich,
was mir schmeckt und mir gut bekommt. Als Verdauungshilfe, zum Wohlgefühl und zur Krankheitsbewältigung hilft mir viel körperliche Bewegung in schöner
Natur.“
Frau H. B.*, 56 Jahre
*Name ist der Redaktion bekannt
45
FREIZEITGESTALTUNG
FREIZEITGESTALTUNG
„Das Vorbild Natur zu meinem eigenen
Bild formen“
„Mein Garten ist mein Ein und Alles geworden ...“ Wenn
Frau K. M. von ihrem selbst gestalteten und dennoch
der Natur überlassenen Stück Leben erzählt, sieht man
das Leuchten in ihren Augen, in denen sich quasi die
Farbenpracht des Gartens widerspiegelt. „Ja“, gibt sie
zu, „aus dieser Idylle schöpfe ich Kraft, auch wenn mir
manchmal die Arbeit schwerfällt. Und wenn es im
Garten mal nicht geht, setze ich mich hin und male,
was ich dort draußen empfinde.“ Gerne gemalt hat
Frau K. M. schon als Kind. Später wurde es ihre
Leidenschaft, Schmuck zu gestalten. Doch wie es so
ist, der Alltag holte sie ein; für die schönen Dinge des
Lebens blieb kaum Zeit.
Nach ihrer Operation, ihren Behandlungen, ihrer Reha
fand sie wieder zurück zu dieser Kreativität. Auch wenn
es Frau K. M. etwas Kraft gekostet hat, ihr Hobby
wiederzubeleben: Sie hat zurückgefunden zu einer
„Arbeit“, die ihr Lebensfreude schenkt.
Sich sein eigenes Bild vom
Leben machen
Freiheit für mehr
Freizeit und Freizeit
für mehr Freiheit
Das Plus an freier Zeit, das eine Erkrankung mit sich bringt, will erst einmal
gefüllt werden. Das ist keine leichte Aufgabe. Viele NET-Betrofene haben sich
ihr gestellt und ein (neues) Hobby gefunden. Sei es gestalterisch, musisch, dichterisch oder auch erinderisch.
46
Ein Blick in das Angebot der Volkshochschulen zeigt,
welche vielfältigen Möglichkeiten es gibt, seinen
Fähigkeiten im Malen oder Zeichnen Ausdruck zu
verleihen. Ob es das Material ist, wie es beispielsweise die Öl-, Aquarell-, Pastell-, Acryl-, Graphitmalerei o. Ä. bietet, oder ob es der Stil ist, der zu
einem passt, wie z. B. die Porträt-, die Akt- oder
Landschaftsmalerei, ob Stillleben oder Objekte, ob
figürliches Zeichnen, Comic- oder Modezeichnen,
ob grafische Illustration: Es gibt unendlich viele
Formen und Möglichkeiten, die wir bei Kursen und
Veranstaltungen der örtlichen VHS erlernen bzw.
vertiefen können.
Persönliches in eine eigene Formen- und Farbensprache umzusetzen, diese Inspiration zieht Frau K. M.
aus ihrem Garten. Sie setzt in Momentaufnahmen um,
was sich über Wochen oder Monate in ihrem Garten
verändert – heute am liebsten in der Seidenmalerei. Ihr
Garten wird auf einem der edelsten und kostbarsten
Stoffe lebendig. Auf Tüchern, Schals oder Krawatten,
auf Wandbildern, Tischdecken und Fenstervorhängen.
Das Malen auf Seide übt auf Frau K. M. eine ungeheure
Faszination aus. Da kann sie sich fast vergessen,
bleibt dennoch konzentriert bei Pinsel und Farben, bei
Bildern und Impressionen aus ihrem Garten. Mit ihren
Kreationen bereitet sie Freunden und Bekannten zum
Geburtstag oder zu Festen eine große Freude. Für
sie selbst ist es dann ein Geschenk, wenn ihr diese
Menschen mit einem ihrer Schals oder Krawatten begegnen. Und wer weiß, vielleicht macht Frau K. M. aus
ihrem wunderschönen Hobby irgendwann einen Beruf.
Schon viele Menschen haben mit einem Anfängerkurs bei der VHS ihre Leidenschaft und Liebe für das
Malen und Zeichnen entdeckt.
47
FREIZEITGESTALTUNG
FREIZEITGESTALTUNG
„Jeder Mensch ist ein Künstler!“
Joseph Beuys war sicher umstritten, in einem hat er
jedoch Recht behalten: In jedem Menschen schlummert ein Künstler. Bestes Beispiel: Herr M. T. und seine gemalten Stillleben. Als gelernter Chemieingenieur
fühlt sich der Autodidakt Herr M. T. bereits in jungen
Jahren zur künstlerischen Darstellung hingezogen. Die
Ruhe, die er ausstrahlt, prägt seinen Stil: die impressionistische Malerei. „Das Schöpfen aus dem Konträren
zwischen dem, was ich beruflich mache, und der Zeit, die
ich daheim verbringe, setzt neue Kräfte frei“, beschreibt
er seinen Ausgleich im Leben. Pinsel, Farben und Leinwand gehören zu seinem „friedlichen“ Handwerkszeug.
Herr M. T. ist zufrieden: Er kann seinen Beruf weiterhin
ausüben, wenn auch mit gewissen Einschränkungen.
Als Selbstständiger ist er häufig gefordert, „da geht’s
„Ich hab schon immer etwas
anders getickt“
Herr Meier* schaut verschmitzt hinter seiner Brille
hervor: „Mein Tick wurde spätestens nach meiner Reha zur Leidenschaft.“ Das Sammeln und
Restaurieren von mechanischen Uhren erfüllt ihn
nun voll und ganz, hilft ihm auch über schwierige
Krankheitsphasen hinweg. Mehr als 20 Schülern
Tag für Tag Physik beibringen, kann Herr Meier*
nicht mehr. Deshalb hat er seine Arbeitszeit reduziert. In seiner neu gewonnenen Freizeit fand
er zu neuen „Experimenten“: „Da tüftele ich
stundenlang konzentriert an einer Uhr und vergesse meine Sorgen.“ Sein Steckenpferd setzt
also – wenngleich in anderem Rahmen – jeden
Tag produktive Kräfte frei.
Der Hobbyraum in seinem kleinen Häuschen ist längst
eine Uhrmacherwerkstatt, fast schon ein Uhrenmuseum
geworden: Einfachste Elementaruhren, Räderuhren oder
Chronographen sind ständig in Bewegung – da tickt und
pendelt und schnarrt und gongt es in einem fort. Herr
Meier* selbst findet beim Reparieren seiner historischen
Uhren Ruhe, auch wenn er bei den weit über tausend
Ersatzteilen wie Zeigern, Zylindern, Zifferblättern,
Federn, Ankern, Pendeln und Unruhen schon mal den
Überblick verliert. Für ihn symbolisiert der Kreislauf des
Uhrzeigers den immerwährenden Fluss der Zeit.
„Für mich ist meine Werkstatt inzwischen der perfekte
Ausgleich zum Schulalltag. Allein, wenn am Ende
etwas funktioniert – anstatt eines physikalischen
Experiments heute eben ein Uhrwerk. In der Schule
schon wollte ich junge Menschen nicht so hinbiegen
wie die Technik. Und bei meinen Uhren jetzt ist’s auch
nicht anders. Ich kann nicht sagen, ich baue jetzt
ein Rädchen ein und dann muss die Uhr gehen. Mal
funktioniert’s, mal nicht – ist wie bei uns Menschen
auch.“
Patient**, 57 Jahre
auch manchmal rund“, gibt er zu. „Doch ich weiß, dass
ich mich auf meine Mitarbeiter verlassen kann, wenn ich
kürzer treten muss.“ Er hat seinen Weg gefunden, sein
Hobby zu einer Art „Lebensart“ gemacht. So steht er
an seiner Staffelei und findet ein Stück weit meditative
Verbundenheit mit sich und seinen Bildern: Mit wenigen Mitteln, mit ruhiger, fast zärtlicher Pinselführung,
entstehen Farbschicht um Farbschicht Abbilder einer
tiefen Verschmelzung von Zeit und Raum. Apropos:
Herr M. T. hat das Glück, seinen Bildern in seiner Firma
Raum geben zu können. Seine Mitarbeiter fühlen sich
fast schon wie in einer Galerie.
Kleine Schätze entdecken
Heutzutage lohnt es sich, so gut wie alles zu sammeln: Briefmarken, altes Spielzeug oder Meteoriten,
Schmetterlinge, antiquarische Bücher und Zeitschriften, Mokkatassen oder Kristallgläser. Beginnt
ein Mensch ganz bestimmte, für ihn wertvolle und
zusammengehörige Dinge zu sammeln, vertieft er
sich gleichzeitig auch in das Wissen über diese Dinge. Dieses Wissen lässt sich sinnvoll an Interessierte
weitergeben. Höhepunkte einer Sammelleidenschaft
sind das Reparieren und Restaurieren von kostbaren
Gegenständen. Da wird an Schmuckstücken, an
Mobiliar, an Puppen und Puppenkleidern, an Dampfmaschinen, an Modelleisenbahnen rekonstruiert,
instand gesetzt, aufpoliert, gebastelt – kurz, liebevoll
mit Dingen umgegangen, die für den Einzelnen von
unschätzbarem Wert geworden sind.
*Name von der Redaktion geändert
**Name ist der Redaktion bekannt
48
49
NET IM ALLTAG
NET IM ALLTAG
Geteiltes Leid ist halbes Leid
NET-Selbsthilfegruppen
ICH BIN NICHT ALLEIN
„Gerade bei so einer seltenen Erkrankung wie NET ist ein Netzwerk von Betroffenen und Angehörigen, das die Erfahrungen der Erkrankten bündelt, ungeheuer wichtig.“ Patient*, 52 Jahre
DIE AUSEINANDERSETZUNG MIT DER
KRANKHEIT IST NICHT IMMER EINFACH
„Selbsthilfegruppe – das ist nichts für mich. So
war meine ursprüngliche Reaktion, als ich das
erste Mal vom Netzwerk NeT gehört habe –
heute bin ich Regionalgruppenleiter. Damals
dachte ich, dass man in der Gruppe nur hört,
wer verstorben ist, und das konnte ich mir
überhaupt nicht vorstellen. Im März 2009 kam
es dann aber doch zum ersten Kontakt. Wir
bekamen eine Einladung des Netzwerks NeT
zur Einweihung des neuen Büros und meine
50
Frau und ich beschlossen, doch einfach mal
vorbeizuschauen. Das war dann ein ganz positives Treffen. Alle waren total nett und dort
haben wir zum ersten Mal Leute kennengelernt,
die alle (mehr oder weniger) die gleiche Krankheit hatten. Da haben wir gemerkt – wir stehen
doch nicht ganz so alleine da.“
Herr T. H.*, 41 Jahre
„Für mich waren die Tumortage mit ihrem ausführlichen Informationsangebot am interessantesten – besonders wenn man mit
der Krankheit neu in Kontakt kommt. Mittlerweile gibt es bei mir
auch Phasen, in denen ich mit der Krankheit nicht konfrontiert
werden oder mich damit nicht so ausführlich auseinandersetzen
möchte. Dann ziehe ich mich zurück und gehe z. B. mal ein Jahr
nicht zum Tumortag. Dennoch kann ich nur jedem Patienten
empfehlen, die Angebote der Selbsthilfegruppe wahrzunehmen.“
Patient*, 57 Jahre
Selbsthilfegruppen
erleichtern den Informations- und Erfahrungsaustausch von
Betrofenen und Angehörigen und bieten
emotionale Unterstützung. Auch für
NET-Patienten und
Angehörige besteht die
Möglichkeit, in einer
Selbsthilfegruppe wie
dem Netzwerk Neuroendokrine Tumoren
(NeT) e. V. Kontakte
zu anderen Betrofenen zu knüpfen, mehr
über die Erkrankung zu
erfahren und sich über
das Leben mit NET
auszutauschen.
51
NET IM ALLTAG
NET IM ALLTAG
„Andere NET-Patienten wissen einfach, worum
es geht – da kann man gleich auf einem ganz
anderen Niveau reden. Bekannte können mit
meiner Erkrankung und den speziellen Problemen oft nichts anfangen. Die Selbsthilfegruppe
ist da für mich eine ganz große Hilfe. Früher
hätte ich mir auch nicht träumen lassen, dass
ich mich mal mit einem fremden Mann über
Verdauungsprobleme unterhalte. Mit einem, der
das gleiche Problem hat, kann man aber mal
ganz offen reden und Tipps oder Ratschläge
austauschen.“
Frau H. B.*, 56 Jahre
AUSTAUSCH AUF EINEM
ANDEREN NIVEAU
„Für mich als Angehörige war das Netzwerk
NeT (Anm. d. R.: das Netzwerk Neuroendokrine Tumoren (NeT) e.V.) unglaublich wichtig. Als
mein Mann die Diagnose NET bekam, habe ich
sofort angefangen im Internet zu recherchieren
und bin so aufs Netzwerk gestoßen. Dort habe
ich auch Telefonnummern von Betroffenen
bekommen. Erst hatte ich Hemmungen, dort
anzurufen. Nachdem uns der Arzt dann aber
sagte: ‚Fahren Sie am besten noch einmal alle
schön zusammen in den Urlaub‘, habe ich allen
Mut zusammengenommen und den Hörer in
die Hand genommen. Und schon nach den
ersten Minuten des Gesprächs ging es für mich
bergauf. Die Dame stellte mir gezielte Fragen
und sagte dann: ‚Mit dieser Diagnose kann
Ihr Mann unter Umständen noch viele Jahre
leben.‘ Da hatte ich wenigstens schon mal eine
Gegenstimme zu diesem ‚Fahren Sie noch mal
in den Urlaub‘.“
Angehörige*
VON DA AN GING ES FÜR MICH
WIEDER BERGAUF
ANGEHÖRIGE SIND
EBENFALLS BETROFFENE
„Für die Selbsthilfegruppe
kann ich nur aus vollster Überzeugung werben. Auch mir hat
anfangs der Mut gefehlt, zu
einem Treffen zu gehen. Man
weiß ja nicht, was einen da
erwartet. Aber schließlich bin
ich doch gegangen – und das
war das Beste, was mir passieren konnte! Mittlerweile
leite ich die Organisation und
kenne sehr viele unserer Mitglieder persönlich. Bei den
Treffen herrscht übrigens eine
ganz angenehme Atmosphäre.
Man braucht keine Angst zu
haben und man muss dort
auch gar nichts sagen, wenn
man nicht möchte. Oft sind
es sogar die Angehörigen,
die den Erstkontakt herstellen
oder die zuerst einmal alleine
zu einer Veranstaltung kommen. Die Angehörigen liegen
mir sowieso sehr am Herzen,
weil auch sie Betroffene sind.
Manchmal ist es für sie sogar
noch schwieriger als für den
Patienten selbst, mit der Diagnose zurechtzukommen, und
sie fühlen sich noch ohnmächtiger.“
Katharina Mellar,
1. Vorsitzende
Netzwerk Neuroendokrine
Tumoren (NeT) e. V.
Die größte NET-Selbsthilfegruppe europaweit:
Das Netzwerk
Neuroendokrine
Tumoren (NeT) e. V.
•฀ Bundesweite฀Selbsthilfegruppe฀
für Patienten und Angehörige
•฀ Gegründet฀im฀Jahr฀2000
•฀ Mehr฀als฀650฀Mitglieder฀
(Stand Juli 2011)
•฀ Regionale฀Ansprechpartner฀
und Regionalgruppen
•฀ Mitgliederzeitschrift:฀
GlandulaNeT (Hier finden Sie
weitere Informationen zu vielen im
Magazin behandelten Themen.)
•฀ Überregionaler฀neuroendokriner Tumortag und viele
weitere Veranstaltungen
•฀ www.netzwerk-net.de
Weitere Selbsthilfegruppen
finden Sie auf unserer Infoseite
auf S. 79.
*Name ist der Redaktion bekannt
52
53
WISSENSCHAFT
WISSENSCHAFT
„Sobald die Diagnose NET klar ist, sollte
man meiner Meinung nach zur Behandlung
unbedingt in ein Tumorzentrum gehen, das
Erfahrung mit NET hat.“
Frau H. B.*, 56 Jahre
Sicher beschäftigen Sie solche oder ähnliche Fragen, die Antworten sind jedoch nicht für jeden gleich.
Denn NET unterscheiden sich sehr in ihren Eigenschaften und Verläufen. Glücklicherweise steht
eine Vielzahl von herapiemöglichkeiten zur Verfügung. Und so wird für jeden Patienten eine eigene
herapiestrategie gefunden – häuig in Zusammenarbeit von Ärzten aus verschiedenen Fachgebieten.
Dafür sind die Krankheitsgeschichte und die bisherigen Untersuchungsergebnisse wichtig, da bei der
herapieauswahl z. B. die Lage und die Größe oder die genaue Art des Tumors eine Rolle spielen. Ob
ein Tumor aktiv ist, also Hormone produziert, und welches Hormon er produziert, spielt ebenfalls
eine wichtige Rolle. Im Folgenden geben wir Ihnen einen kurzen Überblick über verschiedene herapiemöglichkeiten bei NET.
Die Operation
Von Professor Dr. med. Peter E. Goretzki, Städtische Kliniken Neuss
E
ine Operation kann für Sie bei der Behandlung
Ihrer Erkrankung eine wichtige Rolle spielen.
Manchmal ist es möglich, den Tumor ganz zu
entfernen und es sind keine weiteren Behandlungen
notwendig, manchmal ist die Operation ein Baustein
der für Sie vorgesehenen Behandlung. Denn auch wenn
der Tumor bei der Operation nicht ganz entfernt werden
kann, ist die Operation oft sinnvoll. Bei Dünndarmtumoren z. B., um die Darmdurchgängigkeit aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus kann die operative Tumorverkleinerung, das sogenannte Debulking, das Ansprechen
auf eine nachfolgende Behandlung mit Medikamenten
verbessern.
Die Behandlung
Neuroendokriner
Tumoren (NET)
Diagnose NET – und jetzt? Welche Behandlung kann mir helfen?
Muss ich operiert werden? Und welche anderen Möglichkeiten gibt
es? Kann man Medikamente einsetzen? Und was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begrif Biotherapie?
54
Ein verkleinerter Tumor wird außerdem weniger Hormone (Botenstoffe) freisetzen, was die Beschwerden verringert. Das ist für Sie besonders wichtig, wenn der Tumor
funktionell aktiv ist, also Hormone freisetzt und typische
Beschwerden, wie z. B. Durchfall und Flush (anfallartige
Gesichtsrötung) beim Karzinoid-Syndrom, auslöst.
Vor einer Operation kann bei Patienten mit hormonell
aktivem Karzinoid eine Behandlung mit SomatostatinAnaloga eingeleitet werden (siehe Kapitel „Biotherapie
mit Somatostatin-Analoga“, S. 56). Dadurch wird das
Risiko einer starken Hormonausschüttung und damit
von Kreislaufstörungen während der Operation (sog.
Karzinoid-Krise) gesenkt. Vor jeder Operation wird
natürlich Ihre körperliche Gesamtverfassung untersucht.
Bei Patienten mit Karzinoid-Syndrom wird dabei besonderes Augenmerk auf das Herz gelegt, da gerade
bei länger bestehender Erkrankung Veränderungen
des Herzens auftreten können (sog. karzinoide Herzkrankheit).
„Operiert wurde ich im August 2008,
am Tag der Eröffnung der Olympischen
Spiele. Die OP dauerte fast den ganzen
Tag. Trotzdem kam der Professor direkt
aus dem OP zu meiner Frau und gab ihr
noch persönlich über den erfolgreichen
Verlauf Bescheid. Ungefähr die Hälfte des Dick- und
Dünndarms musste entfernt werden. Die ersten zwei
Wochen nach der OP waren schon eine schwierige
Zeit, aber als ich dann in der Reha-Klinik war, habe ich
gespürt, dass meine Kräfte langsam zurückkamen. Die
ersten Tage war ich so schwach, dass ich noch nicht
einmal eine Runde um die Klinik geschafft habe. Aber
nach vier Wochen Reha bin ich locker zwei, drei Kilometer am Strand langgelaufen. Da wusste ich, dass
ich es irgendwann wieder schaffen würde, zu einer Art
Normalität zurückzufinden. Heute bin ich selbst überrascht, wie normal ich mich eigentlich fühle.“
Patient*, 52 Jahre
„An der Charité in Berlin wurde mein Fall
im interdisziplinären Tumorboard beraten
und schließlich eine OP empfohlen. 50 cm
Dünndarm, 16 Lymphknoten, der gesamte
rechte Leberlappen, ein Teil des linken Leberlappens und die Gallenblase wurden in
einer einzigen Operation entfernt. Fast ein Kilogramm
Lebergewebe wurde herausgenommen. Zum Glück ist
die OP gut verlaufen und jetzt, nach zwei Jahren, war
bei der Kontrolle von den Tumoren nichts mehr zu sehen – außer zwei kleinen Befunden an anderen Stellen,
die zu klein sind, um operiert werden zu können, und
die regelmäßig beobachtet werden (‚wait and watch‘).“
Frau H. B.*, 56 Jahre
55
WISSENSCHAFT
WISSENSCHAFT
Weitere Behandlungsmöglichkeiten
Wenn der Tumor bei der Operation nicht vollständig entfernt werden kann, stehen verschiedene weitere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Dabei ist das vorrangige Ziel, Ihre Beschwerden zu verbessern und damit auch
Ihre Lebensqualität. Wie bei den meisten Erkrankungen ist es sinnvoll, früh mit einer gezielten Behandlung zu beginnen.
Biotherapie mit SomatostatinAnaloga
Dr. med. Anja Rinke, Universitätsklinikum Marburg
L
assen Sie uns zuerst den Begriff „Biotherapie“ klären: Die Behandlung mit sogenannten Somatostatin-Analoga und Interferon alfa
wird unter dem Oberbegriff Biotherapie zusammengefasst, weil sich diese Medikamente von den
körpereigenen Stoffen Somatostatin bzw. Interferon
ableiten.
Früher mussten Somatostatin-Analoga aufgrund einer
kürzeren Wirkdauer dreimal täglich verabreicht werden.
Moderne Depotpräparate setzen den Wirkstoff dagegen
langsam und gleichmäßig frei. Es genügt daher, Somatostatin-Analoga im Abstand von ca. einem Monat zu
injizieren.
Interferon alfa
Somatostatin ist ein Hormon, das u. a. im MagenDarm-Trakt gebildet wird. Somatostatin bindet an die
Somatostatin-Rezeptoren auf der Oberfläche hormonproduzierender Zellen. Dadurch wird die Ausschüttung
von Hormonen gehemmt. Da neuroendokrine Tumorzellen besonders viele Somatostatin-Rezeptoren auf ihrer
Oberfläche haben, wird so vor allem die unerwünschte
Hormonausschüttung neuroendokriner Tumoren reduziert. Somatostatin selbst wird im Körper innerhalb
weniger Minuten abgebaut und ist deshalb nicht zur
Dauerbehandlung geeignet. Aus diesem Grund wurden
die Somatostatin-Analoga entwickelt, die ihre Wirkung
im Körper lange entfalten können.
Für Patienten mit funktionell aktiven NET, die nicht vollständig entfernt werden können, sind SomatostatinAnaloga die Arzneimittel der ersten Wahl.
Somatostatin-Analoga führen in der Regel zu einer
ausgeprägten Besserung der Beschwerden. Zudem
wurde in klinischen Studien gezeigt, dass Somatostatin-Analoga das Wachstum von aktiven Tumoren
hemmen können. Zunehmend werden sie auch bei
Patienten mit funktionell nicht aktivem NET eingesetzt,
mit dem Ziel, das Tumorwachstum zu verhindern bzw.
zu bremsen.
56
Interferon alfa kann ebenfalls die Beschwerden bei
funktionell aktiven NET vermindern und das Tumorwachstum hemmen. Aber es verursacht im Vergleich zu
Somatostatin-Analoga mehr Nebenwirkungen. Sprechen Patienten auf Somatostatin-Analoga allein nicht
mehr ausreichend an, stellt die zusätzliche Gabe von
Interferon alfa eine Behandlungsmöglichkeit dar.
SSA-Therapie – auf Sie
Die Behandlung mit Somatostatin-Analoga (SSA)
ist eine Injektionstherapie, d. h. die Medikamente
müssen gespritzt werden. Da eine solche Behandlung
nicht so einfach wie z. B. eine Tabletteneinnahme ist,
sollte man das Gespräch mit dem Arzt suchen, um
die passende Therapie für sich zu finden. Denn die
Präparate, die in Depotform zur Verfügung stehen, unterscheiden sich in Ihren Anwendungseigenschaften.
Dies betrifft zum Beispiel die Injektionstechnik, die Art
der Zubereitung, die Häufigkeit der Injektionen und
auch die Frage, wer das Medikament spritzen darf.
zugeschnitten
Injektionstechnik: Das Medikament kann zum einen
in den Muskel gespritzt werden, zum anderen gibt es
aber auch die Möglichkeit der sogenannten subkutanen Verabreichung. In diesem Fall wird das Medikament nur tief unter die Haut gespritzt. Darüber hinaus
bestehen Unterschiede in Dicke und Länge der Nadeln,
die Verwendung finden.
Art der Zubereitung: Es kann notwendig sein, den
Spritzeninhalt vor der Injektion anzumischen, es gibt
jedoch auch Fertigspritzen. Diese enthalten den
bereits fertig zubereiteten Wirkstoff, der direkt gespritzt
werden kann.
Häufigkeit der Injektionen: Es gibt SSA, bei denen
die Abstände zwischen den Injektionen evtl. verlängert
werden können. Dann muss nicht mehr alle 4 Wochen,
sondern vielleicht nur alle 6 oder 8 Wochen gespritzt
werden.
Anwendung: Es gibt auch die Möglichkeit, die Spritze
selbst zu setzen oder durch z. B. den Ehepartner verabreichen zu lassen. Über die Art der Anwendung, die
für Sie die Richtige ist, muss Ihr Arzt entscheiden.
57
WISSENSCHAFT
WISSENSCHAFT
Weitere Behandlungsmöglichkeiten
Die Chemotherapie
Dr. med. Lothar Müller, Onkologische Schwerpunktpraxis, Leer
Als Chemotherapie werden Substanzen bzw. deren
Kombinationen bezeichnet, die das Tumorwachstum
hemmen oder zumindest verlangsamen, indem sie die
Tumorzellen schädigen. Die Ziele der Chemotherapie
bestehen in der Rückbildung (Remission) des Tumors
(bzw. der Metastasen) und damit der Beschwerden, die
durch das Tumorwachstum verursacht werden. Ob eine
Chemotherapie bei NET wirksam ist, hängt oft auch von
der Lage des Tumors und vom Differenzierungsgrad,
also dem Grad der Bösartigkeit, ab. Zur Chemotherapie bei NET stehen verschiedene Substanzen zur Verfügung, die meist als Kombination eingesetzt werden.
Die Chemotherapie wird meistens intravenös verabreicht, z. B. als Infusion in eine Armvene. Dieser Vorgang
kann je nach Substanz mehrere Stunden dauern. Es gibt
aber auch Chemotherapien, die schnell (als sog. Bolusinjektion) gegeben oder in Form von Tabletten eingenommen werden. Häufig wird die Chemotherapie ambulant
(in einer Klinik-Ambulanz oder in der Praxis eines spezialisierten Arztes) durchgeführt, d. h., der Patient kann
nach der Verabreichung nach Hause gehen. Bei manchen Chemotherapien ist allerdings ein Krankenhausaufenthalt notwendig, beispielsweise weil es sinnvoll
ist, während der Infusion bestimmte Organfunktionen
zu überwachen. Die Behandlung wird in bestimmten
Zeitabständen, oft sind es drei Wochen, mehrfach wiederholt. Ärzte sprechen in diesem Zusammenhang von
Zyklen.
In der Regel wird man eine Chemotherapie aufgrund der
erheblichen Nebenwirkungen bei Ihnen nur dann durchführen, wenn andere Therapiemöglichkeiten nicht zum
Ziel geführt haben oder bei schnell voranschreitendem
Tumorwachstum. Heute gibt es allerdings schon sehr
gute Möglichkeiten, bestimmte Nebenwirkungen wie
Übelkeit und Erbrechen durch begleitende Medikamente zu verhindern.
„Leider sind auch nach OP und Radionuklidtherapie (siehe S. 60) meine Metastasen
an der Leber und den Knochen in letzter
Zeit wieder etwas mehr geworden. Daher
wurde jetzt eine Chemotherapie begonnen.
Der erste Zyklus war gerade vor drei
Wochen. So geht es immer Schritt für Schritt weiter
und wir hoffen, dass es etwas nützt. Ich versuche
immer positiv zu denken und mich nicht aufzugeben.
Ich habe ja auch Familie, die mich braucht. Während
der Chemotherapie habe ich mich nicht richtig wohlgefühlt und hatte kaum Appetit, aber ich habe trotzdem
versucht aktiv zu sein und bin morgens mal eine halbe
Stunde Fahrrad gefahren. Wenn ich aktiv sein kann,
dann mache ich das auch. Bewegung stärkt ja auch
das Immunsystem.“
Herr T. H.*, 41 Jahre
Lokale Verfahren zur Behandlung฀von฀Lebermetastasen
Zielgerichtete Therapien
(englisch: Targeted Therapies)
Sollten sich vorhandene Lebermetastasen nicht oder
nicht vollständig durch eine Operation entfernen lassen,
so hat man auch hier weitere Möglichkeiten der Behandlung. Die lokalen Verfahren haben das Ziel, die Zellen
der Metastase gezielt zu schädigen und die Metastase
dadurch entweder ganz oder teilweise zu beseitigen.
Professor Dr. med. Marianne Pavel, Medizinische Klinik
der Charité, Berlin
Thermische Verfahren, wie die Kryotherapie oder die
Radiofrequenz-Thermoablation (RFTA), zerstören das
Gewebe der Metastase durch Kälte oder Wärme. Bei
chemischen Verfahren hingegen werden z. B. Ethanoloder Essigsäure direkt in die Metastase gespritzt.
Neuere Methoden sind die sogenannten Embolisationsverfahren, wie die Selektive Interne Radiotherapie (SIRT)
oder die Transarterielle Chemoembolisation (TACE). Hier
werden kleinste Kügelchen, gekoppelt mit Radioaktivität (SIRT) oder mit Chemotherapeutika (TACE) gezielt
über die Leberarterie zu den Metastasen geleitet. Durch
anschließende Embolisation (Verstopfung) bestimmter
Blutgefäße der Metastasen oder des Tumors bleiben die
Kügelchen am gewünschten Wirkort. Dadurch wird die
Wirkung zeitlich verstärkt und gesundes Gewebe geschont.
Bei den zielgerichteten Therapien macht man sich
die biologischen Eigenschaften des Tumors selbst zunutze. In den letzten Jahren wurden viele Erkenntnisse
darüber gesammelt, wie sich die Eigenschaften und
die Entwicklung von Tumorzellen von denen normaler
Zellen unterscheiden. Wendet man die Therapie gegen
diese tumortypischen Eigenschaften an, so kann man
die Tumorzellen bekämpfen, ohne die gesunden Zellen
zu schädigen. Dies stellt einen wesentlichen Fortschritt
nicht nur in Bezug auf die Wirksamkeit, sondern vor allem auch in Bezug auf die Verträglichkeit der Behandlung dar.
Ein Beispiel: Tumoren brauchen Blutgefäße, um zu wachsen. Also versuchen sie, mit Botenstoffen das Gewebe,
in dem sie entstanden sind, dazu anzuregen, neue Blutgefäße zu bilden. In diesen Prozess greifen zielgerichtete Therapien ein und verhindern so die Neubildung von
Blutgefäßen. Aber auch andere wichtige Bereiche der
Signalübermittlung von Zellen, z. B. das Tumorwachstum, können zielgerichtet gehemmt werden. Für die Behandlung von neuroendokrinen Tumoren des Pankreas
ist z. B. seit Kurzem die Substanz Sunitinib zugelassen.
Sunitinib hemmt verschiedene Rezeptor-Signalsysteme der Tumorzelle, die mit dem Tumorwachstum, der
pathologischen Neubildung von Gefäßen und der Entwicklung von Metastasen in Verbindung gebracht werden. Mit diesen Ansätzen wird erhofft, das Wachstum
von NET zielgerichtet bekämpfen zu können.
Das Gleiche gilt für Everolimus, eine weitere Substanz,
die eine zentrale Schaltstelle in der Tumorzelle und der
Gefäßzelle blockiert, die für Zellteilung, Zellwachstum
und Produktion von Wachstumsfaktoren bedeutsam
ist.
58
59
WISSENSCHAFT
WISSENSCHAFT
Weitere Behandlungsmöglichkeiten
Teilnahme an Patientenstudien
Professor Dr. med. Marianne Pavel, Medizinische Klinik der Charité, Berlin
Peptid-Radiorezeptortherapie (PRRT)
Professor Dr. med. Dieter Hörsch, Zentralklinik Bad Berka
Die PRRT, auch Radionuklidtherapie genannt, ist ein
nuklearmedizinisches Verfahren, bei dem eine sehr
wirksame interne Bestrahlung der Tumorzelle innerhalb
des Körpers erfolgt. Wie kann das funktionieren? Hier
nutzt man wieder biologische Eigenschaften der Tumorzelle selbst, in diesem Fall Rezeptoren, also Bindungsstellen, auf der Oberfläche der NET-Zelle. Eine dieser
Bindungsstellen ist für Somatostatin vorgesehen, ein
Hormon, das uns schon bei der Beschreibung der Biotherapie von NET begegnet ist (siehe auch „Biotherapie
mit Somatostatin-Analoga“, S. 56). Nun verbindet man
Somatostatin-Analoga, die an diese Bindungsstellen
anhaften können, mit einer radioaktiv markierten Substanz, einem sogenannten Radionuklid. Injiziert man diese Verbindung in den Blutkreislauf, dann heftet sie sich
an die NET-Zelle und so wird diese direkt der Strahlung
ausgesetzt. Die Radionuklide, die man hierfür verwendet, haben eine sehr kurze Strahlungsreichweite; das
umliegende gesunde Gewebe wird möglichst wenig geschädigt.
Grundsätzlich eignet sich die PRRT zur Behandlung
nicht operabler oder metastasierter NET und wurde hier
bereits mit recht gutem Erfolg eingesetzt. Nebenwirkungen sind meist leichter Natur und können in einer Beeinträchtigung der Nierenfunktion, in Blutbildveränderungen und (bei Lebermetastasen) in Veränderungen der
Leberfunktion bestehen.
„Vor der PRRT hatte ich ziemlich Bedenken. Da ich früher im Labor selbst mit
Radioaktivität gearbeitet habe, wusste
ich, wie schädigend Radioaktivität für das
Gewebe ist. Als die Ärzte dann das erste
Mal mit der in Blei verpackten Injektion ins
Zimmer kamen, hatte ich ganz schön Bammel. Das,
wovor alle anderen per Blei geschützt wurden, sollte in
meinen Körper injiziert werden? Am nächsten Tag habe
ich schon gemerkt, dass da etwas in meinem Körper
vorgeht. Zum Glück war es den Tag danach schon
besser.“
Patient*, 52 Jahre
„Nach der Operation im August 2008 wurden bei mir drei Zyklen der PRRT gemacht.
Dafür musste ich vier Tage in ein Einzelzimmer und durfte die Station nicht verlassen.
Da gab es wegen der Radioaktivität richtig
strenge Regeln. Meine Frau durfte mich
zwar besuchen, aber nur hinter einer Mauer sitzend,
die vor meinem Bett war. Auch die Krankenschwestern
kamen nur bis zur Mauer, stellten dann das Essen etc.
ab und gingen wieder. Die Kinder durften überhaupt
nicht auf diese Station – aber diese drei oder vier Tage
kann man das dann schon aushalten.“
Herr T. H.* 41 Jahre
Bei NET handelt es sich um eine seltene Erkrankung,
was es erschwert, klinische Studien durchzuführen.
Diese sind aber für die Weiterentwicklung von wirksamen Behandlungen notwendig. Der medizinische
Fortschritt ist im hohen Maß auf Erkenntnisse aus
klinischen Studien angewiesen. Deshalb ist es überaus wichtig, dass möglichst viele NET-Patienten an
Studien teilnehmen.
Randomisierung: In hochwertigen Studien werden
die Patienten nach dem Zufallsprinzip auf die
verschiedenen Gruppen aufgeteilt (randomisiert).
Vielleicht wird Ihnen im Rahmen Ihrer Behandlung die
Teilnahme an einer solchen Untersuchung angeboten.
Dabei können die folgenden Informationen bei Ihrer
Entscheidung hilfreich sein.
Phase-II- und Phase-III-Studien: Voraussetzung
für die Zulassung von neuen Medikamenten ist die
klinische (d. h. bei Menschen durchgeführte) Prüfung
in verschiedenen Studienphasen, wobei sich die
sogenannten Phase-II- und Phase-III-Studien schwerpunktmäßig mit der Wirksamkeit und Verträglichkeit
von neuen Substanzen bei Patienten mit der entsprechenden Erkrankung beschäftigen.
In Studien behandelte Patienten haben nicht nur die
Gewissheit, dass die gewonnenen Erkenntnisse
zukünftigen NET-Patienten zugutekommen. Vielmehr haben die Patienten auch direkte Vorteile, da
sie sehr intensiv betreut werden und die Chance
auf eine Therapie bekommen, die mindestens dem
aktuellen Standard entspricht, möglicherweise aber
auch besser ist.
Doppelblind: Für eine hohe Studienqualität ist
weiterhin eine doppelblinde Durchführung sehr
wichtig, d. h., weder Arzt noch Patient/-in wissen,
welche Therapie der Patient / die Patientin erhält.
Phase-IV-Studien: werden nach der Zulassung
durchgeführt, um die Erkenntnisse weiter zu vertiefen.
Zu unterscheiden sind verschiedene Arten von
Studien:
Kontrollierte Studien: Eine Gruppe erhält das zu
untersuchende Arzneimittel, von dem eine Verbesserung erwartet wird, die andere Gruppe eine
Standardbehandlung oder manchmal auch ein
Scheinmedikament (Placebo).
Die vorgestellten Therapien bei NET zeigen schon die große Bandbreite an Behandlungsmöglichkeiten auf.
Diese große Auswahl ermöglicht es jedem NET-Patienten, auch bei sehr unterschiedlichen Krankheitsverläufen die
individuell optimale Behandlungsstrategie zu finden. Zögern Sie nicht, sich bei weiteren Fragen zu den einzelnen
Therapiemöglichkeiten an Ihren behandelnden Arzt zu wenden.
*Name ist der Redaktion bekannt
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NET IM ALLTAG
L
Liebe Tante Anni*,
vielen Dank für deinen lieben Brief. Ja, die letzte Untersuchung ist Gott sei Dank gut verlaufen und wir blicken
zuversichtlich nach vorne.
Trotzdem ist es seit der Diagnose „Neuroendokriner Tumor“ eine schwere Zeit, in der wir immer wieder mit
schwierigen Fragen konfrontiert werden. Die schwierigste war für mich fast, wie wir es den Kindern sagen
sollen. Und ob überhaupt. Wir haben dann aber gesagt, dass wir von Anfang an mit beiden offen darüber
sprechen müssen. Sie bekommen ja doch irgendwas mit und wir wollen nicht, dass sie es dann nicht von uns
wissen. Und dann haben wir entschieden, wir erzählen so viel wie nötig und wenn sie weitere Fragen haben,
können sie uns jederzeit fragen, dann beantworten wir die. Und was sie nicht wissen wollen, ist ja auch ok.
Wir haben auch eine schöne Broschüre gefunden „Mir sagt ja keiner was“ (siehe Kasten: Tipps zum Weiterlesen) – die erklärt kindgerecht, wie Krebs entsteht. Darin wird zwar nicht explizit auf NET eingegangen, aber wir
haben sie unserem Großen gegeben, dass er mal reingucken kann.
Aber die beiden sprechen da momentan nicht ständig drüber. Bei ihren Freunden können sie da auch nur
wenig darüber erzählen, weil natürlich andere Kinder, die keine Berührung mit Krebs, und vor allem nicht mit
einem so speziellen wie NET haben, vieles nicht verstehen. Neulich habe ich z. B. den Kleinen, der jetzt erst
10 wird, gefragt: Hast du das deinen Freunden eigentlich erzählt, dass der Papa jetzt diese Woche wieder im
Krankenhaus liegt? Und dann meinte er: Nein, Mama, wenn ich das denen sage, dann fragen die wieder: warum? Und wenn ich es dann erkläre, dann sagen die wieder: Hä? Unsere Kinder wissen also, dass sie erzählen
dürfen, dass der Papa einen neuroendokrinen Tumor hat, wenn sie es möchten – aber ich glaube nicht, dass
sie mit ihren Freunden wirklich viel darüber sprechen.
Aber klar, für die Kinder ist das schon nicht leicht. Ganz schlimm war es z. B., als 2008 die Operation war. Das
war auch für mich eine unglaubliche Anspannung. Ich war den Tag vorher bis abends spät im Krankenhaus
und wir wussten, dass es sehr schwierig wird. Die Operation hat dann 6¼ Stunden gedauert und als der Arzt
mich nachmittags angerufen hat, ist erstmal eine Riesenanspannung von uns abgefallen. An dem Tag habe ich
auch zum ersten Mal was bei den Kindern bemerkt: Unser Großer, der hatte z. B. gar keinen Appetit. Trotzdem
musste der Alltag bewältigt werden – beide Söhne mussten ja in die Schule, ich bin auch arbeiten gegangen,
das war schon echt hart.
Und für mich war es schwer alle zu trösten und dabei immer selbst stark zu sein – manchmal hätte ich mich
auch gerne mal selbst fallen gelassen.
Ob es richtig war, mit den Kindern offen über die NET-Erkrankung ihres Papas zu sprechen? Ich glaube, in
dieser Situation gibt es kein Richtig oder Falsch. Das muss jeder für sich nach Gefühl entscheiden. Aber ich
bin froh, dass wir so offen mit unseren Kindern gesprochen haben und dass es nun wieder so aussieht, als ob
es bergauf geht.
Ich hoffe, du besuchst uns bald mal wieder. Bis dahin viele Grüße, deine Maria*, **
Mama, was heißt das,
wenn der Papa NET hat?
62
NET IM ALLTAG
Herr Professor Volkenandt, was sollte man aus Ihrer
Sicht bei der Kommunikation mit Kindern über die
NET-Erkrankung eines Elternteils beachten?
Nicht selten erleben Kinder ja kranke Eltern oder
Großeltern. Es gibt mittlerweile sehr klare Erkenntnisse darüber, dass es sehr wichtig ist und dass
es Kindern guttut, mit ihnen in einer kindgerechten
Sprache über die Erkrankung der Eltern zu sprechen.
Sobald Kinder Sprache verstehen, spüren und verstehen sie auch, dass es da ein Problem in der Familie gibt. Und wenn Eltern zwar darüber sprechen,
aber nicht direkt mit ihren Kindern, dann ist das für
die Kinder sehr belastend. Die Fantasie ist nämlich
immer noch schlimmer als die Wirklichkeit – gerade
bei Kindern. Und Kinder entwickeln dann ja Fantasien, sie spüren, dass da etwas Schlimmes ist, aber
sie können es nicht richtig greifen. Beim Gespräch
sollte man auf eine kindgerechte Sprache achten,
aber was das konkret bedeutet, muss man natürlich
je nach Altersstufe sehen. Man sollte auch daran
denken, dass sich gerade sehr kleine Kinder auch
oft Selbstvorwürfe machen: Die Mama ist so krank,
weil ich böse war, weil ich nachts immer aufgewacht
bin etc. Es gibt natürlich auch spezielle Kinderpsychoonkologen, die helfen können. Ansonsten gibt es
viele Broschüren, Bücher oder Programme auch im
Internet, z. B. bei speziellen Vereinen oder Selbsthilfegruppen.
Tipps zum Weiterlesen
•฀฀Die฀blauen฀Ratgeber,฀Band฀42:฀Hilfen฀für฀
Angehörige. Deutsche Krebshilfe. Tipps und
Ratschläge, wie mit Kindern über Krebs geredet
werden kann
•฀ Mir฀sagt฀ja฀doch฀(K)einer฀was!฀Für฀Kinder฀ab฀
8 Jahren – zu beziehen über
www.kinder-krebskranker-eltern.de
Broschüre mit Informationen und Erklärungen,
was Krebs ist und wie Ärzte versuchen,
Menschen, die an Krebs erkrankt sind, zu heilen.
•฀ www.kinder-krebskranker-eltern.de
(Website vom Verein Flüsterpost e. V.)
•฀ www.hilfe-fuer-kinder-krebskranker-eltern.de
(Website vom Verein Hilfe für Kinder krebskranker
Eltern e. V.)
*Name von der Redaktion geändert
**Name ist der Redaktion bekannt
63
ENTSPANNUNGSTECHNIKEN
In innerer Harmonie
auf sich und seinen
Körper hören
„Ich wünsche mir die Kraft, die Dinge zu verändern,
die ich ändern kann. Und die Gelassenheit, die
Dinge zu ertragen, die ich nicht ändern kann.
Und die Weisheit, das eine vom anderen zu
unterscheiden.“ Seneca
ENTSPANNUNGSTECHNIKEN
K
Aktives Entspannen – was bewirkt es?
Körper und Geist ihre Ruhe gönnen
heißt auch selbst Ruhe und GelasEntspannungstechniken wirken gezielt auf den Organissenheit inden. Dies ist gerade in den
mus. So lösen sie beispielsweise Muskelverspannungen
und beruhigen Herz und Kreislauf. Sie können helfen, in
schweren Zeiten einer Krankheit wie
besonderen Stresssituationen die psychischen ErregunNET besonders wichtig. Manchem
gen abzubauen – wir werden wieder ruhiger, gelassegelingt es auf sogenannte passive Art ner, ausgeglichener. Täglich angewandt, tragen sie dazu
bei, chronische und akute Beschwerden zu vermindern.
– beim Musikhören, beim Lesen, im
Wir fühlen uns gelöster und dennoch wieder beheater oder Konzert. Andere wieder- Kurz:
lastbarer.
um helfen sich mehr durch systematische Methoden – die aktiven Entspan- Wir erleben in der Phase nach unseren täglichen
im Körper ein beruhigendes
nungstechniken. Gleich vorneweg: Die Entspannungsübungen
Wohlgefühl. Unser Atem wird ruhig, die Muskeln sind
positive Wirkung auf den Menschen
entspannt, der Kopf lebt freier. Der Alltag hat uns
wieder – doch wir bestimmen jetzt den Rhythmus. Wem
im Allgemeinen ist wissenschaftlich
Zeit der eigenen Stille ohne äußere Einflüsse gelingt,
belegt. Auch bei NET-Patienten wurde die
der wird auch sein Bewusstsein für den Alltag anders
sie durch die Aussagen von Betrofenen bestätigt.
Ein ruhiger Ort zur richtigen Zeit
Einfach nichts tun, einfach nur sein
Zur Ruhe kommen! Gar nicht so einfach, werden
manche sagen. Besonders wenn man an NET erkrankt
ist. Doch mit ganz bestimmten Entspannungsübungen
gelingt es uns, dies zu erleben. „Tue nichts, doch das
tue richtig.“ Wer sich dabei auf Beziehungen mit sich
selbst einlässt, wer das In-sich-Hineinhören spürt, wird
neue Kraft schöpfen können. Bei aktiven Entspannungstechniken, bei denen wir uns vergegenwärtigen,
wie sich Konzentration auf das Wahrnehmen, auf das
Beobachten, auf unser Befinden auswirkt.
64
erleben: beim Spazierengehen mit offenen Augen, im
Erleben aller Sinne beim Schmecken und Riechen, beim
Zuhören, beim Fühlen, Spüren, beim achtsamen Empfinden jedes einzelnen Atemzuges. Gelegenheiten dazu
gibt es reichlich – überall und jederzeit im Leben.
Für viele haben Entspannungsübungen gleich nach dem
Wachwerden einen festen Platz in ihren täglichen Bewegungsabläufen eingenommen. Andere wenden ihre
Methode immer dann an, wenn sie spüren, jetzt braucht
mein Körper eine Entspannungsphase. Rund 20 Minuten täglich sind meist ausreichend.
65
ENTSPANNUNGSTECHNIKEN
Wichtig ist, sich einen Raum zu schaffen, in den wir uns
ungestört zurückziehen können – körperlich wie geistig. Ohne Geräuschkulisse, in legerer Kleidung, in einer
„Wohlfühlatmosphäre“. Unabhängig von den individuell
angewandten Entspannungstechniken gilt für alle gleich
zu Beginn ihrer Übung: Die Augen schließen, mehrmals tief und ruhig über die Bauchmuskulatur ein- und
ausatmen und sich dann ganz auf seinen Körper konzentrieren. Obwohl sie „aktive“ Entspannungsübungen
heißen, kommt es auf unsere „passive“ innere Haltung
an. Erst dann kann es zu einem kleinen Schritt in die
richtige Entspannung werden: Lassen Sie alles geschehen, was kommt – in erster Linie die Ruhe.
Die Suche nach dem richtigen Weg
Entspannungstechniken gibt es viele, doch nicht alle
sind immer gleich gut geeignet. Therapeuten helfen
Ihnen gerne bei der Wahl der für Sie geeigneten Entspannungstechnik. Idealerweise sollten Sie durch
ein intensives Üben zu Ihrer ganz persönlichen und
spürbar Erfolg versprechenden Form der Entspannung
kommen.
Aus zahlreichen Gesprächen mit NET-Betroffenen
wissen wir, dass es Techniken gibt, mit denen sie
sehr gute Erfahrungen gemacht haben, die ihnen geholfen haben, wieder aus ihrer Krise herauszukommen, sie teilweise sogar zu bewältigen. Dazu zählen in
erster Linie Yoga, Qi Gong und die Progressive฀
Muskelentspannung nach Jacobson.
ENTSPANNUNGSTECHNIKEN
Yoga – Alte Wurzeln indischer Heilkunde
Es ist ein starkes Gefühl, wenn sich die Grenzen zwischen Körper und Geist auflösen – wie es die Yoga-Lehre fördert. Körperbeherrschung, Geisteskonzentration
und Atemtechnik sind die elementaren Kraft- und Harmoniefelder, die beim Yoga ineinandergreifen.
Mentale und körperliche Entspannungsübungen bringen
die Lebensenergie des Menschen wieder zum Fließen
und fördern damit auch die geistige Konzentration auf
das Wesentliche. So vielfältig auch die Übungen sind,
führen sie alle zu einem Ziel: Körpergefühl und Atemtechniken werden harmonisch miteinander verbunden,
um Verspannungen zu lösen, die inneren Organe zu
kräftigen und den Geist zu wecken.
Wer Yoga zu einer festen Größe in seinem Leben machen möchte, findet inzwischen eine Vielzahl von Kursen und Seminaren so gut wie an jedem Ort. Auch das
Bücherangebot mit praktischen Ratgebern, teilweise mit
CDs, ist fast schon nicht mehr überschaubar.
abholt, wo sie gerade sind: bei Unruhe und Erschöpfung, bei Ängsten und Ungleichgewicht. Die Autorin und
Diplompsychologin Evelyn Horsch-Ihle hat das in ihrem
Buch beschriebene Yoga-Programm in sechsjähriger
Arbeit gemeinsam mit Krebspatienten entwickelt. Sie
zeigt damit auf, dass Betroffene ihrer inneren Heilkraft
vertrauen dürfen und ihre wertvolle Lebensenergie wieder zurückgewinnen können.
Evelyn Horsch-Ihle
Yoga für Krebspatienten
Paperback, 272 Seiten,
180 farbige Fotos,
ISBN: 978-3-86616-174-0
€ 19,95 (D)
Verlag Via Nova
Besonders hervorzuheben ist, dass im April 2011 ein
Übungsbuch erschienen ist, das speziell für Krebspatienten entwickelt wurde. Erstmals gibt es hier ein YogaProgramm, mit dem NET-Betroffene durch Übungen
zu sich selber finden können. Und das sie genau dort
„Ein Professor hat mir mal
gesagt: ‚Sie müssen zwar
mit dieser Krankheit leben,
aber nicht für die Krankheit.‘ Das fand ich gut!“
Herr T. H.*, 41 Jahre
66
67
ENTSPANNUNGSTECHNIKEN
Qi Gong – Das freie Fließen von Energien
Qi Gong, häufig auch Chi Gong, hat seinen Ursprung
in der chinesischen Medizin und Philosophie. „Qi“ steht
dabei für die sich bewegende Kraft des Körpers und
hat die Bedeutung von Atem und Energie. „Gong“ wird
übersetzt einerseits mit Arbeit, bedeutet aber auch
Fähigkeit und Können. Der Ursprung des Qi Gong liegt
Jahrtausende zurück und ist heute noch als Meditations-, Konzentrations- und Bewegungsform für Körper
und Geist eine anerkannte und häufig praktizierte Therapie in China.
Nach Überzeugung seiner Befürworter helfen die Übungen, die Lebensenergie zu stärken und zu einer ausgewogenen und stabilen geistigen Verfassung zu kommen.
Chinesische Ärzte sehen Qi Gong als Gesundheitsübungen zur Förderung und Stabilisierung des Energiehaushalts im Körper.
Seit rund 30 Jahren haben die Übungsformen des Qi
Gong auch erfolgreichen Zugang im europäischen Raum
gefunden. Es würde hier den Rahmen sprengen, ausführlich Übungen vorzustellen. Eine der wohl bewährtesten und am häufigsten praktizierten Techniken, im Qi
Gong Systeme genannt, sind die Acht-Brokat-Übungen.
Aus therapeutischer Sicht wird durch die Kräftigung der
Muskulatur und die Dehnung von Sehnen und Bändern
der Lymphfluss im gesamten Körper angeregt und damit die Blutzirkulation verbessert. Durch langsames und
tiefes Atmen wird der gesamte Organismus optimal mit
Sauerstoff versorgt. Aus philosophischer Sicht verhelfen
die Körperübungssysteme durch ihre energetische und
mentale Wirkung, einen inneren Rhythmus zu finden, der
zu mehr Ausgeglichenheit und Entspannung führt.
Kontaktadresse:
Deutsche Qigong Gesellschaft e. V.,
Geschäftsstelle,
Guttenbrunnweg 9, D-89165 Dietenheim,
Tel.: +49 (0) 7347 / 34 39, Fax: +49 (0) 7347 / 92 18 06
Großmeister Qingshan Liu
ist ein international hochgeschätzter Arzt und Qi GongExperte. Er stammt aus einer
Familie, die seit mehr als zehn
Generationen u. a. die sogenannten AMQ-Geheimtechniken nach der chinesischen
Tradition kultiviert und als
Begründer der Münchner Qi
Gong-Akademie in Deutschland auch publik gemacht
hat. In seinem Buch über Qi Gong gibt er fundiert seine
Erkenntnisse, speziell auch für krebskranke Menschen,
weiter und führt praxisorientiert in die Übungs-Systeme
ein. Begleitend dazu gibt es auch Audio-CDs und
DVDs, die jedem den Einstieg ins Qi Gong erleichtern.
Liu Qingshan
Qi Gong
Der chinesische Weg für ein gesundes,
langes Leben
Gebundenes Buch, Pappband, 160 Seiten,
ca. 300 Abbildungen in s/w
ISBN: 978-3-517-08664-4
€ 18,99 (D)
Südwest Verlag
„Qi Gong habe ich das erste Mal in der Reha-Klinik
kennengelernt. Ich fand das richtig gut. Dann hab ich mir
eine DVD gekauft. Die lege ich in den Fernseher ein und
dann mache ich die Übungen. Es sieht vielleicht etwas
ungewöhnlich aus, aber diese ruhigen Bewegungen, die
ineinanderfließen und auf die man sich konzentriert, das
ist schon toll zum Entspannen.“
Herr T. H.*, 41 Jahre
ENTSPANNUNGSTECHNIKEN
Progressive Muskelentspannung –
Entspannte Reise ins Körperinnere
Der amerikanische Arzt und Physiologe Edmund
Jacobson entwickelte im Jahre 1938 die Progressive฀
Muskelentspannung. In den 60er-Jahren des letzten
Jahrhunderts wurde diese Entspannungstechnik auch
in Deutschland populär und zählt heute zu den bekanntesten und mit am häufigsten angewandten Trainingsverfahren. Ganz allgemein zusammengefasst handelt es
sich um die Verminderung und Prävention von Stress. Da
das Prinzip der Progressiven Muskelentspannung oder
auch Progressiven Muskelrelaxation (PMR) sehr einfach
zu erlernen ist, finden die Menschen auch schnell Zugang zu den Übungen. In vielen Fällen – so berichten
ausgebildete Therapeuten – wirkt die PMR bereits nach
der ersten Anwendung sehr positiv.
Mithilfe einer Audio-CD, die in systematisch geführter
Form die Übungen bei gleichzeitiger Anwendung erklärt,
kann die PMR jederzeit in so gut wie allen Situationen
problemlos angewandt werden: ob zu Hause, auf Reisen zwischen Autofahrten, im Zug oder Flugzeug, während der Arbeit, vor dem Einschlafen oder gleich nach
dem Aufwachen. Das einfache Prinzip ist Erfolg versprechend: Nacheinander werden verschiedene Muskelpartien für einige Sekunden angespannt und danach
deutlich länger wieder losgelassen. Durch diesen permanenten Wechsel wird die eintretende Entspannung
intensiv wahrgenommen. Dabei entsteht durch die Erweiterung der Hautgefäße in der Regel ein Wärmegefühl
sowie eine Verlangsamung und Gleichmäßigkeit von
Atmung und Herzschlag. Dank dieser physischen und
psychischen Gelöstheit und Entspannung – so konnte
nachgewiesen werden – können auch Angstzustände
abgebaut werden.
Ein empfehlenswertes Audio-Buch mit CD, da es die
Übungen der PMR weiterentwickelt hat und somit für
Jung und Alt sehr geeignet ist, haben Werner Unland
und Cornelia Kramer-Unland herausgebracht. Im speziellen Arrangement und mit ansprechender Musikuntermalung werden die Übungsanleitungen mit integrierten Atemübungen einfach und dennoch wirkungsvoll
in insgesamt 72 Minuten erklärt. Ein Beispiel für eine
Vielzahl von Büchern und CDs, die die Tiefenentspannung nach Dr. Edmund Jacobson sehr praxisbezogen
wiedergeben. Im Zweifelsfalle sollte auch hierzu der
Arzt nach einem speziell geeigneten Übungsprogramm
befragt werden.
Werner Unland /
Cornelia Kramer-Unland
Progressive฀Muskelentspannung Edition 2,
Booklet + CD
ISBN: 3940922013
Unland Verlag
„Progressive Muskelentspannung nach Jacobson
kann ich sehr empfehlen. Da gibt es eine CD, die lege
ich ein, höre zu und folge den Anleitungen. Da spannt
man die Muskeln bewusst an, konzentriert sich und
spürt dann wieder die Entspannung der Muskeln.
Hinterher bin ich perfekt entspannt.“
Patient*, 52 Jahre
Einige Krankenkassen bieten inzwischen kostenfreie
Kurse an. Allerdings sollten Interessenten an der PMR
unbedingt vorher ihren Arzt befragen, da nicht in allen
Fällen eines Krankheitsbildes diese Entspannungstechnik geeignet ist.
*Name ist der Redaktion bekannt
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69
REISE
KULTUR
REISE
Quedlinburg
Quedlinburg –
Begegnung mit der ersten Hauptstadt Deutschlands
E
Es sind weniger die Zahlen, die
Zeugnis ablegen. Doch sie zeigen,
warum Quedlinburg zur TausendJahr-Feier von der UNESCO zum
Weltkulturerbe ernannt wurde: Mit
1.200 geschützten Fachwerkhäusern aus 600 Jahren Geschichte
gehört die Stadt zu einem der
größten Flächendenkmale Deutschlands.
Klopstocks Geburtshaus ... man
kann es gar nicht in Worte kleiden,
man muss es mit eigenen Augen
erleben. Jedenfalls sollte man
sich einen Rundgang durch den
schönsten Stadtteil, im Münzenberg, bei spannenden Anekdoten und Geschichten mit dem
Nachtwächter Quedlinburgs nicht
entgehen lassen.
Wer mit dem Zug anreist, wird von
dem ebenfalls unter Denkmalschutz
stehenden Bahnhof bereits gebührend empfangen: Im neugotischen
Empfangsgebäude zeigen Glasmalereien ein schönes Bild von Quedlinburgs Rathaus und Schlossberg.
Doch wo fängt man an, wenn man
angekommen ist? 80 Hektar Stadtkern, und in jede Gasse, zu jedem
Winkel lohnt der Weg. Ob in die
Stiftskirche, in der der erste deutsche König, Heinrich I., begraben
liegt ... ob ins historische Rathaus
oder auf den Schlossberg ... ob
zum Ständerbau, dem ältesten
deutschen Fachwerkhaus, oder zu
Und wem Romantik, Gotik, Renaissance und Barock irgendwann zu
viel werden, der kann vom Ausgangspunkt, dem wunderschönen
Bahnhof, mit der Harzer Schmalspurbahn idyllisch bis auf den
Brocken, den höchsten Berg Norddeutschlands, reisen.
KUNST
Farbenfroher Garten der Friedlichkeit –
das Nolde-Museum in Neukirchen
Nolde-Museum
G
Geboren als Hans Emil Hansen, schrieb er als einer der führenden Maler
des Expressionismus Geschichte. Besser, er aquarellierte sie: Emil Nolde,
der sich mit 35 Jahren nach seinem nordschleswigschen Geburtsort
nannte, der große Magier der Farben. Überall, wo er sich niederließ, legte
der Künstler Blumengärten an, um aus ihnen zu schöpfen. „Die blühenden
Farben der Blumen und die Reinheit dieser Farben, ich liebe sie“, so sagte
er, während er von 1927 bis zu seinem Tode in Seebüll lebte und malte.
Anreise:
Nolde-Shuttle-Bus von Dagebüll,
Niebüll (Bhf.), Husum (Bhf.)
und Tønder (DK)
www.nvb-niebuell.de
Anreise:
Deutsche Bahn / HEX (HarzElbeEx-
Dampflokfahrten mit der
Informationen :
press) von Magdeburg Hbf. (IC/ICE-
Harzer Schmalspurbahn:
Nolde Stiftung Seebüll
Anschluss) – ca. stdl.
von Quedlinburg – umsteigen in
D-25927 Neukirchen
www.bahn.de, www.hex-connex.de
Eisfelder Talmühle und Drei Annen
Tel. +49 (0) 4664 / 98 39 30
Hohne – zum Brocken (Fahrzeit
www.nolde-stiftung.de
einfach: ca. 5 Std.)
[email protected]
Informationen:
Quedlinburg-Tourismus-Marketing,
Markt 2, D-06484 Quedlinburg,
www.hsb-wr.de
Öffnungszeiten:
Tel.: +49 (0) 3946 / 90 56 24,
Ende Februar bis Ende
www.quedlinburg.de,
November
Heute ist das ehemalige Wohnhaus Noldes ein Ausstellungshaus der Nolde
Stiftung. Der Bildersaal, die Kabinette und natürlich der Garten zeugen in
eindrücklicher Weise vom Wirken und Leben, vom Reichtum an Kunst und
Natur, in der Nolde selber aufblühte. Und dennoch findet die Landschaft
oben an der dänischen Grenze mehr am Himmel als auf Erden statt. Selbst
in seinen Gartenbildern, fast versteckt hinter Blüten und Blättern, zeigt
Nolde das unaufhörliche Schauspiel, dessen Kulisse die Wolken bilden.
Der Besuch im historischen Noldehaus aus typisch rotem Ziegel, das Dach
längst patiniertes Kupfer, lohnt zu jeder Jahreszeit. Wer über den sandigen
Weg zur Pforte geht, erblickt das Grab Emil Noldes und seiner Frau Ada.
Ein schmaler Wassergraben verhindert den Zutritt und die kleine Brücke ist
mit einem Gitter versperrt. So schauen die beiden in ihrer wohlverdienten
ewigen Ruhe wohl noch heute in den Garten und erfreuen sich wie die
Besucher an der farbenfrohen Pracht.
[email protected]
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73
REISE
REISE
KONTUREN
KONGRUENZEN
Eintreten ohne anzuklopfen – Konstanz
empfängt seine Gäste mit ofenen Armen
Asolo im Veneto – überraschende
Blickwinkel im Ort der tausend Horizonte
Konstanz
O
Anreise:
Deutsche Bahn
•฀von฀Karlsruhe฀Hbf.฀/฀Offenburg฀Hbf.฀
(jew. IC/ICE-Anschluss) mit IRE/RE – stdl.
•฀von฀Hamburg฀/฀Hannover฀/฀Frankfurt฀mit฀IC฀–฀1x฀tgl.
•฀von฀Dortmund฀/฀Köln฀/฀Mannheim฀mit฀IC฀–฀fr./sa.
•฀von฀Ulm฀(IC/ICE-Anschluss)฀mit฀IRE฀nach฀
Friedrichshafen-Hafen – stdl.
www.bahn.de
Mit dem Schiff:
•฀von฀Meersburg฀mit฀Auto-/Personenfähre฀–฀
alle 15 Min.
•฀von฀Friedrichshafen฀mit฀Katamaran฀–฀stdl.
•฀Bodensee-Schifffahrtsbetriebe฀www.bsb-online.de
Informationen:
Stadt Konstanz / Rathaus, Kanzleistraße 15,
D-78459 Konstanz, Tel. +49 (0) 7531 / 9 00-0,
www.konstanz/tourismus.de mit direktem
E-Mail-Kontakt
Sea Life:
www.sealife.de/konstanz
Öffnungszeiten: tägl.
von 10.00 bis 19.00 Uhr
74
Ob die Kelten, die Römer oder die Alemannen bereits
die Schönheit des Bodensees zu schätzen wussten?
Wir können es nur vermuten. Ihre sichtbaren Spuren
haben sie uns allerdings in Konstanz hinterlassen.
Doch wer heute mit einem Schiff der Bodenseeflotte
anreist oder mit der Fähre von Meersburg übersetzt,
wird zunächst mit der Gegenwart konfrontiert. Hoch
über der Hafeneinfahrt erregt, sich drehend, die Imperia die Aufmerksamkeit. An der 1993 vom Bildhauer
Peter Lenk geschaffenen „üppigen Kurtisane“, die die
Doppelmoral des Konstanzer Konzils bespötteln soll,
scheiden sich bis heute die Geister.
Wer dann allerdings eintaucht in die Stadt, wird sich
an der Harmonie der Konstanzer Vergangenheit und
Gegenwart erfreuen: Das bereits erwähnte Konzil,
auf dem 1417 Papst Martin V. gewählt wurde, das
Renaissance-Rathaus, der mittelalterliche Rheintorturm
und das Münster, seit dem 6. Jahrhundert Zentrum
des Bistums, sie machen die Vergangenheit lebendig.
Die faszinierende Aussicht vom Münsterturm auf die
Dächer der Altstadt, über den See mit seinen Segelbooten, zum Panorama der schneebedeckten Alpen
lohnt allemal den Aufstieg von 193 Stufen.
Wer lieber in die Tiefe gehen möchte: Im Sea Life am
Yachthafen tauchen Besucher in die Wunder der Unterwasserwelt ein. Das Meer- und Süßwasseraquarium
gibt einen anschaulichen Einblick von den Quellen im
Hochgebirge bis zu den Riffs in den Ozeanen. Und all
denjenigen, die lieber auf dem Wasser bleiben möchten, bieten die Überfahrt und die Insel Mainau selbst
unvergessliche Reize.
W
Warum sich nicht für einen Tag
mal der Lieblichkeit des Gardasees entziehen? Warum nicht
den Höhepunkt einer Opernaufführung in der Arena di Verona
durch ein weiteres Schauspiel
bereichern? Warum nicht nach
den romantischen Impressionen
der Serenissima auf der Rückreise
noch eine Zugabe am „schönsten
Flecken, den ich je sehen durfte“?
So der englische Dramatiker Robert
Browning, der Ende des 19. Jahrhunderts seine letzten Lebensjahre
dort verbrachte.
Von der Renaissancestadt Asolo
inmitten der sanftgrünen Hügel
des Veneto in einer Landschaft
voller Obstgärten, Zypressen und
Weinberge ist die Rede. Schon in
römischer Zeit war der Ort, damals
Acelum, wegen seines angenehmen Klimas von Bedeutung. Und
später schätzten betuchte venezianische Patrizierfamilien Asolo als
Asolo
bevorzugten Rückzugsort, um der
stickigen Hitze ihrer Lagunenstadt
zu entfliehen. Im 15. Jahrhundert
war es ein reicher Doge, der der
in Venedig geborenen Königin von
Zypern das Städtchen Asolo vererbte. Sie machte aus dem Ort auf
dem Hügel eine Kulturoase – die
Sammlung von Catarina Cornaro,
mit Gemälden von Canova, Strozzi
und Canaletto im heutigen Museo
Civico, gehört zu den eindrucksvollsten kulturellen Zeugnissen der
Renaissance.
Mit der atemberaubenden Aussicht
auf die abendlich rosa gefärbten,
schneebedeckten Gipfel der Dolomiten wird jedem verständlich,
warum sich viele Künstler und
Intellektuelle bis heute von Asolo
angezogen fühlen. Und Ihnen wird
es auch nicht anders ergehen.
Anreise:
Bahnlinie Verona Porta Nuova – Padova –
Venezia Santa Lucia / Trieste
Bahnhof Castelfranco Veneto – umsteigen nach
Cornuda, Buslinie von Cornuda – ca. 10x tägl.
SP111/SS47/SP57 bis Bassano del Grappa,
dann SS248 – ca. 120 km von Verona
von Venezia A57/A27/SR89/SR53/SR515/SR348/
SR667 bis Via Monte Grappa, dann SS248 –
ca. 85 km
Mit dem Auto:
von Lago di Garda über Trento SS47 bis Bassano del
Grappa, dann SS248 – ca. 100 km von Trento
von Lago di Garda über Verona A4/A31/SP50/SP248/
Informationen:
Comune Asolo, Piazza d’Annunzio 1, I-31011 Asolo
Tel. +39 (0) 423 / 52 45, www.comune.asolo.tv.it,
[email protected]
75
GLOSSAR
5-Hydroxyindolessigsäure (5-HIES) – Abbauprodukt von Serotonin; Messung im Urin bei Verdacht auf
ein Karzinoid-Syndrom
Analogon – synthetisch hergestellte Substanz, die
eine ähnliche Struktur wie der körpereigene Stoff hat
(z. B. Somatostatin-Analogon)
Anamnese – Aufnahme der Krankengeschichte eines
Patienten durch den Arzt
Antikörper – Eiweiße, die vom Immunsystem als
Reaktion auf bestimmte Stoffe gebildet werden und
spezifisch an diese binden; spielen eine wichtige Rolle
bei der Abwehr von Krankheitserregern
Applikation – Verabreichung/Gabe eines
Medikaments
Benignität – Gutartigkeit (z. B. eines Tumors);
Gegensatz: Malignität
Bildgebende Verfahren – Ultraschall, Röntgen,
Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (MRT), Positronen-Emissions-Tomographie (PET),
Somatostatin-Rezeptor-Szintigraphie
Biopsie – Gewebeentnahme; entnommene Probe
wird vom Pathologen mikroskopisch z. B. auf die
Wachstumseigenschaften des Tumors untersucht
Biotherapie – Einsatz körpereigener Stoffe oder
Analoga zur Therapie von neuroendokrinen Tumoren;
eingesetzt werden Somatostatin-Analoga oder
Interferon alfa
Calcitonin – Hormon, das in der Schilddrüse gebildet
wird und eine Calcium-senkende Wirkung hat
Calcitoninom – Calcitonin ausschüttender NET
Chemotherapie – Medikamentöse Krebstherapie,
die die Zellteilung blockiert und Zellen zum Absterben
bringt
Chromogranin A (CgA) – Tumormarker für neuroendokrine Tumoren, Bestandteil von neuroendokrinen
Zellen
Compliance – Therapietreue; Einhaltung der ärztlichen
Ratschläge (z. B. regelmäßige Einnahme von Medikamenten)
Computertomographie (CT) – computergestütztes
bildgebendes Verfahren, bei dem Röntgenstrahlen
eingesetzt werden
76
GLOSSAR
Debulking – operative Tumorverkleinerung
Diabetes mellitus – Zuckerkrankheit
Diarrhö – Durchfall
Embolisation – herbeigeführter Verschluss von Gefäßen, Ziel: Verringerung oder Unterbrechung der Blutversorgung des Tumors und Schädigung von Tumorzellen
Endokrinologie – medizinisches Fachgebiet, das sich
mit der Diagnose und Behandlung von Störungen des
hormonellen Systems befasst
Endoskopie – Spiegelung; Verfahren zur Untersuchung von Körperhöhlen und Hohlorganen,
z. B. Darmspiegelung
Endosonografie – Kombination aus Endoskopie und
Ultraschall; von innen durchgeführte Ultraschalluntersuchung zur Darstellung von inneren Organen
Insulin – Hormon, das in der Bauchspeicheldrüse
gebildet wird und eine wichtige Rolle bei der Regulation
des Blutzuckers spielt; Gegenspieler vom Glukagon
Insulinom – Insulin produzierender NET
Neuroendokrine Zellen – aus dem Nervensystem
stammende Zellen, die Hormone ausschütten
Interferon alfa (INF-g) – körpereigener Stoff, der eine
immunstimulierende und gegen die Tumorzellen gerichtete Wirkung besitzt
Pathologie – medizinische Fachrichtung, die sich
mit abnormen und krankhaften Veränderungen des
menschlichen Organismus befasst
Invasives฀Wachstum – Einwachsen von Tumorzellen
in benachbartes Gewebe oder Organe; typisches
Zeichen für Malignität
Pektine – pflanzliche Mehrfachzucker, die für den Menschen ernährungsphysiologisch Ballaststoffe sind
Karzinoid – bestimmte Gruppe von NET, die ein
Karzinoid-Syndrom auslösen können (produzieren
z. B. Serotonin)
Karzinoid-Syndrom – Symptomkomplex eines
Karzinoids; Hauptsymptome Flush und Diarrhö
Funktionell฀aktive฀NET – Hormon ausschüttende
NET
Kernspintomographie – Magnetresonanztomographie (MRT); bildgebendes Verfahren zur Darstellung
von inneren Organen und Geweben; im Gegensatz zur
CT ohne Strahlenbelastung, da basierend auf Magnetfeldern und Radiowellen
Funktionell฀inaktive฀NET – NET, die keine Hormone
ausschütten
Ki67 – Proliferationsmarker, gibt Aufschluss über die
Wachstumsgeschwindigkeit eines Tumors
Flush – anfallartige Hautrötung, ein Hauptsymptom
des Karzinoid-Syndroms
Gastrin – Hormon, das die Produktion von Magensäure stimuliert
Gastrinom – Gastrin produzierender NET
Glucose – Zucker
Glukagon – Hormon, das den Blutzuckerspiegel
reguliert; Gegenspieler von Insulin
Glukagonom – Glukagon produzierender NET
Histamin – Hormon, das u. a. bei allergischen
Reaktionen ausgeschüttet wird
Histopathologie – Teilgebiet der Pathologie, das sich
mit der mikroskopischen Krankheitsdiagnostik befasst
Hormone – Botenstoffe, die von speziellen Zellen
gebildet und in die Blutbahn abgegeben werden
Hypoglykämie – Unterzuckerung
Hypophyse – Hirnanhangsdrüse; Hormondrüse im
Gehirn; zentrale Rolle bei der Regulation des neuroendokrinen Systems im Körper
Indikation – Grund für den Einsatz einer therapeutischen oder diagnostischen Maßnahme
monproduzierenden) Zellen entstehen; häufigste Lokalisation: Magen-Darm-Trakt, Pankreas und Lunge
Kontrastmittel – verbessert die Darstellung von Strukturen bei bildgebenden Verfahren wie CT oder MRT
Kryotherapie – lokales Verfahren, das Tumorzellen
mit Kälte zerstört
Malignität – Bösartigkeit eines Tumors
Medulläres Schilddrüsenkarzinom – Tumor
der Schilddrüse (ausgehend von C-Zellen); kann im
Rahmen von MEN-2 auftreten
Metastase – Tochtergeschwür des Tumors; räumlich
getrennte Absiedlung des Primärtumors in entferntem
Gewebe, durch Verschleppung von Tumorzellen
(Metastasierung) entstanden
Multiple Endokrine Neoplasien (MEN) – seltene
Erbkrankheit, bei der neben NET weitere Tumoren in
endokrinen Organen auftreten können
Neoplasie – Neubildung von Körpergewebe, z. B. bei
der Wundheilung, aber auch von krankhaftem Gewebe
bei einem Tumor
Neuroendokrine Tumoren – seltene, meist langsam
wachsende Tumoren, die aus neuroendokrinen (hor-
Peptid – kleines Protein (Eiweiß)
Peptid-Radiorezeptortherapie (PRRT) – Therapie,
bei der Radionuklid-gekoppelte Somatostatin-Analoga
an neuroendokrine Tumorzellen binden und diese
bestrahlen
Phäochromozytom – meist gutartiger Tumor der
Nebenniere; kann im Rahmen einer MEN-2 auftreten
Positronen-Emissions-Tomographie (PET) –
bildgebendes Verfahren der Nuklearmedizin, bei dem
Radionuklid-markierte Substanzen eingesetzt werden,
um Tumoren darzustellen
Prognose – Voraussage des Krankheitsverlaufs
Progredient – fortschreitend
Proliferierend – Zellen, bei denen sich Zellwachstum
und Zellteilung fortwährend abwechseln
Protonenpumpenhemmer – Medikamente, die die
Bildung von Magensäure hemmen
Psychoonkologie – interdisziplinäre Form der Psychologie, die sich mit den psychischen und sozialen
Begleiterscheinungen einer Krebserkrankung befasst
Radiofrequenz-Thermoablation (RFTA) – lokales
Verfahren, bei dem der Tumor durch Erhitzung des Gewebes mittels Radiofrequenzströmen geschädigt wird
Radionuklide – instabile Atomsorten, deren Kerne
radioaktiv zerfallen; werden in der Medizin z. B. zur
Lokalisation und Darstellung von Tumoren genutzt
Randomisiert – nach dem Zufallsprinzip auf Gruppen
verteilt
Rehabilitation – Wiederherstellung von körperlichen
Funktionen und gesellschaftlicher Teilhabe mit physiotherapeutischen und ergotherapeutischen Maßnahmen
sowie Verfahren der klinischen Psychologie
77
GLOSSAR
Rezidiv – Wiederauftreten einer Erkrankung nach
einiger Zeit, z. B. durch unvollständige Entfernung
des Tumors
INFOSEITE
Patientenorganisationen:
Neuroendokrine Tumoren:
Resektion – komplette oder teilweise Entfernung
eines Gewebeabschnitts durch eine Operation
Transarterielle Chemoembolisation (TACE) –
lokales Embolisationsverfahren, bei dem mit Chemotherapeutika gekoppelte kleine Kügelchen über die
Leberarterie zu Metastasen geleitet werden, deren
Blutversorgung sie unterbinden
•฀ Netzwerk฀Neuroendokrine฀Tumoren฀(NeT)฀e.฀V.฀
Tel.: +49 (0) 911 / 25 28 999
Mail: [email protected]
Web: www.netzwerk-net.de
•฀ Deutsches฀Register฀Neuroendokrine฀
Gastrointestinale Tumoren (NET-Register)
Tel.: +49 (0) 30 / 45 05 53 042
Web: www.net-register.org
Remission – Rückbildung eines Tumors
Vasoaktiv – die (Blut-)Gefäßweite beeinflussend
Rezeptoren – Eiweiße, die sich an der Oberfläche
oder im Inneren einer Zelle befinden und Bindungsstellen für bestimmte Signalmoleküle darstellen; bei
Aktivierung werden Signalprozesse ausgelöst
Verner-Morrison-Syndrom – Symptomkomplex
des VIPoms; Hauptsymptom: wässrige Diarrhöen
•฀ Bundesorganisation฀Selbsthilfe฀NeuroEndokrine฀
Tumoren e. V.
Tel.: +49 (0) 30 / 41 99 48 04 (Mo. – Fr. 10–15 Uhr)
Mail: [email protected]
Web: www.net-shg.de
•฀ Deutsches฀MEN฀1-Register
Tel.: +49 (0) 89 / 30 62 24 54
Mail: [email protected]
Web: www.men1.de
Selektive฀Interne฀Radiotherapie฀(SIRT)฀– lokales
Verfahren, bei dem kleine radioaktiv markierte Kügelchen über die Leberarterie z. B. zu Metastasen geleitet
werden und diese dort lokal bestrahlen
Serotonin (5-HT) – Neurotransmitter und Gewebshormon, reguliert u. a. die Magen-Darm-Tätigkeit
Somatostatin – Hormon, das ein wichtiger Regulator
anderer gastrointestinaler Hormone ist, hemmt z. B. die
Sekretion von Pankreasenzymen und Gastrin
Somatostatinom – Somatostatin ausschüttender NET
Somatostatin-Analoga – synthetische Varianten des
natürlich vorkommenden Somatostatins; zur Biotherapie
von NET eingesetzt
VIP฀(vasoaktives฀intestinales฀Peptid)฀– Hormon,
das in zu hoher Konzentration zu wässrigen Durchfällen
führt
VIPom – VIP ausschüttender NET
Wachstumsgeschwindigkeit – biologische
Eigenschaft eines Tumors; wichtiger Parameter für
die Prognose
Zollinger-Ellison-Syndrom – Symptomkomplex
des Gastrinoms; Hauptsymptome: Diarrhöen und
Geschwüre im Magen-Darm-Bereich
Zwölffingerdarm – erster kurzer Abschnitt des
Dünndarms
•฀ Selbsthilfegruppe฀MEN฀1
Tel.: +49 (0) 911 / 63 27 400 (ab 18 Uhr)
Mail: [email protected]
Web: www.glandula-online.de/men1_net/index.htm
•฀ Carcinoid฀Call฀Point
Tel.: +49 (0) 30 / 40 21 323
Mail: [email protected]
Web: www.carcinoid-call-point.de
•฀ Informationsdienst฀für฀Krebspatienten฀und฀
Angehörige e. V.
Tel.: +49 (0) 30 / 44 02 40 79
Web: www.inkanet.de
Syndrom – Symptomkomplex, Gruppe von gleichzeitig
auftretenden Krankheitszeichen
Szintigraphie – bildgebendes Verfahren der nuklearmedizinischen Diagnostik, bei dem kurzlebige radioaktiv
markierte Substanzen eingesetzt werden, um Tumoren
zu lokalisieren
•฀ Verein฀Hilfe฀für฀Kinder฀krebskranker฀Eltern฀e.฀V.
Tel.: +49 (0) 69 / 67 72 45 04
Mail: [email protected]
Web: www.hilfe-fuer-kinder-krebskranker.de
Targeted Therapies – zielgerichtete Therapien; greifen
möglichst gezielt in die gestörten Regulationsprozesse
von Krebszellen ein
•฀ Unabhängige฀Patientenberatung฀Deutschland
Tel.: +49 (0) 800 / 0 11 77 22 (Mo. – Fr. 10–18 Uhr,
kostenlos aus dem deutschen Festnetz)
Web: www.unabhaengige–patientenberatung.de
Symptom – Krankheitszeichen
Thymus – Organ des Immunsystems; dient der Ausreifung und Entwicklung von weißen Blutkörperchen
Tumormarker – Proteine, Peptide oder andere biologische Substanzen, deren erhöhte Konzentration auf
einen Tumor hinweist
78
•฀ ENETS฀(European฀Neuroendocrine฀Tumor฀Society)฀
Web: www.enets.org
http://www.enets.org/excellence.html (Englisch)
(ENETS „Centers of Excellence“ (von der ENETS
zertifizierte NET-Zentren))
http://www.enets.org/clinical_trials.
html&OPEN=menu,16 (Englisch) (ENETS Übersicht
von klinischen Studien)
Patienten und Angehörige:
•฀ Psychosoziale฀Beratungsstelle฀für฀Krebskranke฀
und Angehörige Selbsthilfe Krebs e. V.
Tel. Betroffene: +49 (0) 30 / 89 40 90 41
Tel. Angehörige: +49 (0) 30 / 89 40 90 42
Web: www.krebsberatung-berlin.de
Sonographie – Ultraschall
•฀ Worldwide฀NET฀Cancer฀Awareness฀Day฀
www.netcancerday.org (englisch)
•฀ Was฀hab฀ich?฀Medizinstudenten฀übersetzen฀Ihren฀
medizinischen Befund in eine verständliche
Sprache (kostenlos)
Web: www.washabich.de
Allgemeine Informationen:
•฀ Deutsche฀Krebsgesellschaft฀e.฀V.
Tel.: +49 (0) 30 / 32 29 32 90
Mail: [email protected]
Web: www.krebsgesellschaft.de
•฀ Deutsche฀Krebshilfe฀e.฀V.
Tel.: +49 (0) 228 / 72 99 00
Mail: [email protected]
Web: www.krebshilfe.de
•฀ Krebsinformationsdienst฀KID
Tel.: +49 (0) 800 / 4 20 30 40
Mail: [email protected]
Web: www.krebsinformation.de
Ernährung:
•฀ Deutsche฀Gesellschaft฀für฀Ernährung฀e.฀V.
Tel.: +49 (0) 228 / 3 77 66 00
Mail: [email protected]
Web: www.dge.de
•฀ Deutsche฀Gesellschaft฀für฀Ernährungsmedizin฀e.฀V.
Tel.: +49 (0) 30 / 31 98 31 5007
Mail: [email protected]
Web: www.dgem.de
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NOTIZEN
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NOTIZEN
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IMPRESSUM
Herausgeber:
Ipsen Pharma GmbH
Postfach 10 05 13
D-76259 Ettlingen
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Konzept:
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Gönül Pasinli; Monique Antonetti, Thorsten Säbele
Redaktion:
Dr. Christiane Funken, Katrin Holzinger,
Bernd Lange, Claudia Limberger, Katharina Mellar,
Heinz-Peter Mosebach, Leona Probst,
Dr. Günter Springer, Lina Vasen
Wissenschaftliche Experten:
Prof. Dr. med. Peter E. Goretzki, Neuss
Prof. Dr. med. Dieter Hörsch, Bad Berka
Dr. med. Kai Horstschäfer, Freiburg
Dr. med. Lothar Müller, Leer/Emden
Prof. Dr. med. Marianne Pavel, Berlin
Prof. Dr. med. Stephan Petersenn, Hamburg
Dr. med. Anja Rinke, Marburg
Prof. Dr. med. Matthias Volkenandt, München
Prof. Dr. med. Matthias M. Weber, Mainz
Weitere Experten:
Jörg Blech, Berlin (Sachbuch-Autor)
Jochen Hartmann, Freiburg (Rechtsanwalt,
Kanzlei Dr. Flügler & Partner Freiburg)
Christian Sallach, Waldkirch (Versicherungsfachmann,
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Druck:
Kehler Druck GmbH & Co. KG, Kehl
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Das Magazin „SOMAtIv – Das Magazin für Patienten mit
neuroendokrinen Tumoren“ und alle darin enthaltenen
Texte, Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich
geschützt. Eine Verwertung, insbesondere die Vervielfältigung, Verbreitung (auch über virtuelle Medien) oder
Verwendung bedarf der ausdrücklichen schriftlichen
Genehmigung des Herausgebers.
Ein herzlicher Dank gilt allen, die mit ihren Tipps, Erfahrungen und mit ihrem medizinischen Sachverstand einen
wertvollen Beitrag zur Erstellung des Magazins geleistet
haben: den Patienten und Angehörigen, die sich für
Interviews zur Verfügung gestellt haben, einerseits und
andererseits den genannten Experten.
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