Wirtschaftliche Bildung – quo vadis?

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Kolumne
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Wirtschaftliche Bildung – quo vadis?
Kolumne. Plädoyer für eine kritisch-konstruktive Wirtschaftsdidaktik unter besonderer Berücksichtigung der Wirtschaftsethik
von o. Univ.-Prof. Dr. Josef Aff
Vorstand des Instituts f. WIPÄD an der
WU Wien
I
m aktuellen bildungspolitischen Diskurs, der unter anderem die Reform
der Lehrpläne beinhaltet, gibt es geradezu einen „Tsunami“ an bildungspolitischen und curricularen Reformprojekten im Spektrum zwischen Modularisierung, Bildungsstandards und neuer Reifeprüfung. Im
Vergleich dazu sind inhaltliche Fragestellungen, wie beispielsweise jene, welches Bild von Wirtschaft wir angesichts der aktuellen tiefgreifenden Umbrüche in der Finanz- und Realwirtschaft vermitteln (wollen), eher von marginaler Bedeutung.
Der große österreichische Schriftsteller und Essayist Karl
Kraus wurde einmal von einem Studenten gefragt, ob er Wirtschaftsethik studieren könne. Darauf gab er die Antwort, dass
man sich entweder für ein Wirtschaftsstudium oder für ein
Ethikstudium an der philosophischen Fakultät entscheiden
müsse. Für Karl Kraus bestand offensichtlich eine Demarka­
tionslinie zwischen Wirtschaft und Ethik, die heute von vielen
Managern/Managerinnen – nicht nur in der Finanzwirtschaft
– nach dem Motto „die Wirtschaft kann sich den Luxus ethischer Reflexionen nicht leisten“ sehr exzessiv praktiziert wird.
Ethische Fragen sind vielfach, wenn überhaupt, Thema im
Rahmen von Charity-Veranstaltungen in der Weihnachtszeit,
vor allem dann, wenn das „Seitenblicke-Team“ im Fernsehen
die entsprechende mediale Unterstützung gewährleistet. Anzumerken ist, dass diese „Apologeten betriebswirtschaftlicher
Vernunft“ häufig wenig Skrupel haben, die „Hacklerregelung“
und andere „Frühpensionsschneisen“ offensiv zu nutzen, um
den persönlichen Nutzen – zu Lasten der Steuerzahler/innen
– zu maximieren.
Im schulischen Kontext könnte ein derartiger „Zwei-WeltenAnsatz“ bedeuten, dass Schüler/innen während des Schuljahres
an einem Wertpapierspiel einer regionalen Bank teilnehmen,
in dem es darum geht, ein Portfolio mit den höchsten Renditen zusammenzustellen, wobei für die Preisverleihung nur
der Aspekt der Ertragsmaximierung zählt. Nach dieser Logik
haben Fragen, wie „Soll ich auf den Kauf einer rendite­trächtigen
Aktie verzichten, weil das zugrundeliegende Unternehmen Menschenrechte verletzt bzw. ökologische und soziale Standards ignoriert?“ keinen Stellenwert, weil man als „Kommerzialist/in“
betriebswirtschaftliches Denken und Handeln zu vermitteln
hat. In dieses Bild passt auch der Unterrichtseinstieg einzelner Wirtschaftspädagoginnen/-pädagogen in das Themenfeld
„Steuerlehre“, wenn sie ihre Ausführungen mit dem Hinweis
beginnen, dass nun die Schüler/innen lernen sollen, wie man
maximal steuerschonend agieren kann, um die viel zu hohe
Abgabenquote an den Staat individuell zu „gestalten“.
20 wissenplus 2–11/12
Sehr wohl ist jedoch bei unseren „Zwei-Welten-Lehrern/Lehrerinnen“ ein Szenarium denkbar, die letzte Stunde vor Weihnachten dem Thema Ethik zu widmen, indem sie beispielsweise mit Schülern/Schülerinnen im verdunkelten Klassenraum
– beim festlichen Kerzenlicht eines Adventkranzes mit Gitarrenbegleitung – Weihnachtslieder singen und Weihnachtsgeschichten vortragen, die auf die Bedeutung der Nächstenliebe
sowie die Relevanz ethischen Handelns in Beruf und Alltag zur
Umsetzung der christlichen Botschaft hinweisen.
Aus meiner Sicht sollte sich eine moderne wirtschaftsberufliche und ökonomische Bildung an der kritisch-konstruktiven
Didaktik, wie sie von Klafki (1980) entwickelt wurde, orientieren. In diesem Didaktik-Modell wurde die Bedeutung einer Erziehung betont, die einerseits Schüler/innen zu einem kritischen
Denken ermutigt und andererseits konstruktive Alternativen
aufzeigt. Angesichts der aktuellen tiefgreifenden gesellschaftlichen und ökonomischen Umbrüche ist eine derartige Haltung,
die stets eine Reflexion über Normen einschließt, zukunftsorientiert.
Beispielsweise gilt es angesichts der aktuellen Eurokrise
»» einerseits die „Geburtsfehler“ bei der Einführung des Euro
aufzuzeigen, also Kritik zu üben und
»» andererseits konstruktive Alternativen vorzustellen, wie der
Euroraum krisenfester gestaltet werden kann.
In diesem Wirtschaftsdidaktik-Verständnis wird der zuerst kritisierte „Zwei-Welten-Ansatz“ in ein integratives Konzept übergeführt, weil eine kritisch-konstruktive Perspektive u. a. immer die Fragestellung einschließt, welche Alternative auf Basis
welcher rationaler Argumente und Normen, also ethischer
Zielvorstellungen, als wünschenswert erachtet wird. Befürwortet man beispielsweise zur Eindämmung der österreichischen
Staatsverschuldung
»» eine Beendigung der zahlreichen Schlupflöcher in die
Frühpension, oder
»» eine Kürzung der KFZ-Pendlerpauschale zur Einsparung
von Steuergeldern sowie zur Förderung des Umstiegs auf
den öffentlichen Verkehr, oder
»» eine Abschaffung der steuerlichen Vorteile des 13. und
14. Monatsgehalts für Besserverdienende,
dann wird deutlich, dass die Bewertung der unterschiedlichen
Alternativen nicht nur einen ökonomischen Sachverstand erfordert, sondern ebenso ein Nachdenken über Normen, also
eine ethische Reflexionskultur.
Wie wäre es, wenn wir in der aktuellen Bildungsreformdiskussion verstärkt (auch) damit beginnen würden, über Inhalte
zu reden, also darüber, wie viel Aufklärung und Mündigkeit,
also kritisch-konstruktive Kompetenz, unsere Schüler/innen
in Zukunft zur Mitgestaltung einer immer komplexeren nationalen, europäischen und globalen Wirtschaft und Gesellschaft
benötigen?
Y
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