Vl Wirtschaftsethik Zusammenfassung 1 - Katholisch

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Wirtschaftsethik SS 2007 (Zusammenfassung Teil 1), Vogt 1
1. Methodische Grundlagen: Ökonomie und Ethik
1.1 Was ist eine christliche Wirtschaftsethik? (theologischer Zugang)
Einführung: Gott und Geld – ist Wirtschaftsethik ein hölzernes Eisen?
Die Frage, ob Gott und Geld, Glauben und Wirtschaft miteinander vereinbar sind, lässt sich
nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Für beide Thesen gibt es in der christlichen
Tradition Beispiele. So findet sich in vielen Schriften der Bibel eine radikale Wirtschaftskritik
(vgl. Ex 31,18-32,29; Mt 6,24). Die Armutstheologie mit ihrer „Option für die Armen“ ist
eine zentrale biblische Tradition, an die auch der Messianismus und das Selbstverständnis
Jesu anknüpfen. Spirituelle Erneuerungsbewegungen wie die Bettelorden sind eng mit einer
Kritik an der Fixierung auf Reichtumsstreben verbunden.
Auf der anderen Seite liefert das mittelalterliche Mönchtum mit der wirtschaftlich
produktiven Einführung der Zeiteinteilung, der wirtschaftlich höchst produktiven
„innerweltlichen Askese“ und teilweise sehr großen und wirtschaftlich mächtigen Klöstern
Beispiele für eine Vereinbarkeit des Strebens nach Gott und Geld. Auch der Calvinismus,
geprägt durch eine Leistungsmoral und die Vorstellung, dass Erfolg ein Zeichen der
Gotterwähltheit sei, ist hierfür ein Beispiel.
Entscheidend für die Rechtfertigung einer Vereinbarkeit von Gott und Geld ist, dass die
Wirtschaft dem Menschen dient, nicht der Mensch der Wirtschaft. Hierbei muss die Frage,
wer wem dient, in einem immer neuen ökonomischen, sozialen, ökologischen und politischen
Abwägungsprozess beantwortet werden.
Zum Verhältnis zwischen kirchlicher Sendung und Fragen der Wirtschaftsordnung
Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden wirtschaftsethische Fragen als ein Bestandteil
des kirchlichen Sendungsauftrags erkannt. Bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts sind,
insbesondere in Deutschland, katholische Sozialverbände (etwa das heutige Kolpingwerk)
entstanden, die sich für die Interessen der Arbeiter und ihrer Familien einsetzten. Trotz dieser
Bemühungen kam es durch das Verbot kirchlicher Gewerkschaften bzw. der Mitgliedschaft
von Katholiken in Gewerkschaften und dem Aufkommen von sozialistischen Modellen zu
einer Entfremdung von Kirche und Arbeiterschaft. Um dieser Entfremdung entgegenzutreten
wurde 1891 die Enzyklika „Rerum novarum“, die erste päpstliche Sozialenzyklika verfasst.
Enzykliken mit wirtschaftsethischen Themen:
• Rerum novarum (1891, Leo XIII)
• Quadragesimo anno (1931, Pius XI)
• Mater et Magistra (1961, Johannes XXIII)
• Populorum progression (1967, Paul VI)
• Laborem exercens (1981, Johannes Paul II)
• Sollicitudo rei socialis (1987, Johannes Paul II)
• Centesimus annus (1991, Johannes Paul II)
Der „Ökonomismus“ als ethische und spirituelle Herausforderung
Carl Amery löste mit seinem 2002 erschienen Buch „Global Exit. Die Kirche und der totale
Markt“ eine Diskussion über das Verhältnis von Wirtschaft und Theologie aus. Amery stellt
einen Prozess der Ökonomisierung aller Lebensbereiche fest, durch den der Kapitalismus zur
Ersatzreligion geworden sei. Dieser Prozess führe zur Vernichtung der humanen Gesellschaft
und des natürlicher Lebensraums. Diese Entwicklung eines „alles durchdringenden
Ökonomismus, der nur noch gelten lässt und nur noch hervorbringt, was sich rechnet, und
alles verhindert und zerstört, was sich nicht rechnet“ (S. 15), fordere den christlichen Glauben
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sozial und theologisch heraus. Die Kirche müsse, wenn sie nicht in die völlige
Bedeutungslosigkeit abrutschen wolle, sich diesem ökonomischen Götzenkult verweigern und
ihn kritisieren.
Die Analyse und Kritik Amerys ist durchaus ernst zu nehmen. Jedoch darf hierbei nicht
ihrerseits die Kritik der Ökonomie zur Ersatzreligion werden. Eine effektive Ökonomie mit
der dezentralen Organisationsform des Marktes, steht in einem engen Zusammenhang zu
Freiheit und Demokratie und ist Voraussetzung für Armutsüberwindung. Wer die Not der
Armen ernstnimmt, nimmt auch die Bedingungen wirtschaftlicher Existenzsicherung ernst.
Eine Kritik der Ökonomie muss als komplexe und differenzierte Herausforderung betrachtet
werden, mit dem Ziel, Gerechtigkeit, Solidarität und humane Werte durch die Gestaltung der
Voraussetzungen und Grenzen wirtschaftlicher Interaktionen und nicht gegen sie
durchzusetzen.
Die gegenwärtige Ambivalenz von Überfluss und Verschwendung
Das Wirtschaftssystem der Industriegesellschaften breitet sich über den gesamten Globus aus
und führt bei seinen Akteuren zu hohem Wohlstand und einer Steigerung der
Handlungsmöglichkeiten in fast allen Lebensbereichen (Nahrungsmittel- und
Güterproduktion, Verkehrswesen, Kommunikation, Gesundheitswesen etc.).
Vieles davon dient der menschlichen Existenzsicherung und der Freiheitsentfaltung. Dies ist
auch im Maßstab christlicher Ethik als positiv zu bewerten und lässt sich mit den Worten des
Nobelpreisträgers Amartya Sen als „Ökonomie für den Menschen“ bezeichnen.
Nicht verkannt werden darf aber, dass mit dem wirtschaftlichen Modernisierungsprozess auch
negative Entwicklungen verbunden sind. Die Welt ist zugleich von einem hohen Maß an
Überfluss und an Armut geprägt. Neben der Ambivalenz von Arm und Reich herrscht in den
reichen Industrieländern häufig eine innere Spaltung. Dort ist der Überfluss häufig mit einer
inneren Leere und der Erfahrung von Sinnverlust verbunden.
Wirtschaftsethische Fragen müssen somit drei Aspekte betrachten: 1. Die Frage der
Gerechtigkeit. 2. Die Frage der ökologischen Verantwortung. 3. Die Frage der Zuordnung
wirtschaftlicher Güter zu kulturellen und humanen Werten.
Die Ausgrenzung von 1,3 Mrd. absolut Armen (<1 Dollar pro Tag) ist aus der Perspektive
christlicher Ethik nicht hinzunehmen.
Aktuelle Modelle für die Zuordnung von Ethik und Wirtschaft
Es gibt zwei grundlegende Zugänge zur Wirtschaftsethik: (a)Einen gesellschaftstheoretischen,
der davon ausgeht, dass die Wirtschaft ein Teilsystem moderner, ausdifferenzierten und nicht
normintegrierten Gesellschaft ist, und (b) einen entscheidungstheoretischen, der davon
ausgeht, dass Wirtschaft als Handlungsfeld ökonomischer Vernunft ein bestimmter
Rationalitätstyp (Nutzenoptimierung) ist. Aus diesen beiden Zugängen ergeben sich in der
Wirtschaftsethik unterschiedliche Modelle, die im Folgenden kurz skizziert werden sollen:
1.
Tugendethische Integration (klassisch-traditioneller Ansatz, Horst Steinmann):
Moralische Ziele können in der Wirtschaft wesentlich dadurch erreicht werden, dass
Unternehmer und Konsumenten ihre Handlungsspielräume für das Erreichen moralisch
guter Zwecke nutzen. Wirtschaftsethik zielt demnach auf die Stärkung von Tugenden.
2.
Ökonomik als Ethik mit anderen Mitteln (Karl Homann): Da moralische
Verzichtleistungen unter Wettbewerbsbedingungen dazu führen, dass der Gutwillige an
den Rand gedrängt wird, gelte es, die moralischen Intentionen in einen verbindliche
Rahmenordnung zu implementieren, die das Vorteilsstreben der Individuen im Anspruch
globaler Solidarität integriert. Wirtschaftsethik zeigt Wege zur Implementation
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moralischer Ziele in gesellschaftliches Handeln durch das Setzen von Anreizen. Ethik
und Ökonomik werden als Paralleldiskurs verstanden
3.
Wechselseitige Durchdringung (Peter Koslowski): Wirtschaft und Ethik werden als zwei
sich wechselseitig durchdringende, korrigierende und konkretisierende Theorieansätze
verstanden. Ethik reflektiert die moralischen und institutionellen Voraussetzungen des
Wirtschaftens und tritt bei Ökonomieversagen als Korrektiv in Erscheinung. Ökonomie
bietet eine materielle Güterlehre, die zur inhaltlichen Bestimmung des Guten beiträgt.
4.
Diskursethische Grundlagenkritik der Ökonomik (Peter Ulrich): Nach diesem Modell
besteht die Aufgabe der Wirtschaftsethik darin, in einem das wirtschaftliche Handeln
begleitenden Diskurs auf die Grenzen des ökonomischen Rationalitätstyps hinsichtlich
des umfassenden Wohls von Mensch und Natur hinzuweisen und Korrekturen
einzufordern. Wirtschaftsethik habe sich der Selbstgefährdung der Moderne durch die
blinden Flecken der ökonomischen Logik entgegenzustellen.
5.
Unauflösbare Spannung (Josef Wieland): Dieser Ansatz geht davon aus, dass es einen
unauflösbaren Widerspruch zwischen der auf systemische Optimierung ausgerichteten
Logik der Ökonomie und der zweckfrei auf die unbedingte Würde des Menschen
ausgerichteten Denken der Ethik gebe. Wirtschaftsethik besteht demnach in dem steten
Ausbalancieren der beiden konträren Rationalitätstypen von Ethik und Ökonomik.
6.
Funktionsoptimierung (Bruno Molitor): Ökonomik wird als eine allgemeine
Handlungstheorie verstanden, der die Ethik lediglich als eine Horizonterweiterung für
eine umfassendere Funktionserfüllung zugeordnet wird. Der ethische Anspruch sei
sowohl auf der Ebene der Rahmenordnung wie auf der Ebene der individuellen
Regeltreue einzulösen. Leitfrage ist: Welche Zwecke lassen sich mit einer
Marktwirtschaftsordnung erreichen?
7.
Ökonomik als Teildisziplin der Ethik (Eilert Herms): Wirtschaftsethik solle nicht
Normen von außen an die Wirtschaft herantragen, sondern aus deren inhärenter Logik der
Nutzenmaximierung bzw. der Sicherstellung und Verteilung von (Lebens-)Mitteln heraus
darüber nachdenken, wie dieser möglicht effizient für alle erreicht werden kann.
Ökonomik müsse sich als eine Teildisziplin in die umfassendere Handlungs- und
Gütertheorie der Ethik einordnen, die Herms wesentlich vom christlichen Menschen- und
Weltbild her entwirft.
8.
Entwicklungs- und Befähigungsansatz (Amartya Sen): Sen geht davon aus, dass
Güterknappheit nicht primär durch Versorgung, sondern vor allem durch „Befähigung“
(capacity) und Zugang zu Märkten, gesellschaftlicher Interaktion wie Arbeit, Bildung und
Kultur sowie Grundgütern wie Wasser oder Boden gemildert werden könne. Maß und
Ziel der wirtschaftlichen Entwicklung ist „Entwicklung als Freiheit“ im Sinne der
Stärkung ökonomischer und politischer Freiheiten.
Literatur zur Einführung:.
Amery, Carl: Global Exit : Die Kirchen und der totale Markt. München, 2002.
Heimbach-Steins, Marianne: Kirchliche Sozialverkündigung – Orientierungshilfe zu den Dokumenten. In: Dies.
(Hrsg.): Christliche Sozialethik – Ein Lehrbuch. Bd.1. Regensburg: Friedrich Pustet, 2004.
Korff, Wilhelm. Einleitung, in: HB der Wirtschaftsethik, Gütersloh 1999:Zu den Modellen: HB der
Wirtschaftsethik, Bd. I, S. 855-883.
Sen, Amartya: Ökonomie für den Menschen : Wege zur Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft.
München: dtv, 2002
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