Autoimmunerkrankungen - Deutsches Ärzteblatt

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KONGRESSBERICHT
Autoimmunerkrankungen –
Neues zu Ätiologie, Diagnostik
und Therapie
23. Interdisziplinäres Forum der Bundesärztekammer
„Fortschritte und Fortbildung in der Medizin“ vom 20. bis 23. Januar 1999
V
om Immunsystem wird die Bewältigung von zwei zentralen
Aufgaben erwartet:
« das, was „fremd“ und gefährlich ist, zu erkennen und zu bekämpfen, und
¬ das, was „selbst“, also nicht gefährlich ist, nicht zu attackieren, sondern zu schützen.
Zelluläre wie humorale Abwehrmechanismen werden durch zwei THelferzellpopulationen, die TH1- und
die TH2-Zellen, reguliert. Diese
Dichotomie ist für das Verständnis
autoimmuner Prozesse von besonderer Wichtigkeit, und zwar insofern,
als man davon ausgehen darf, daß alle
organspezifischen
Autoimmunerkrankungen einer TH1-vermittelten
Immunantwort unterliegen, während
die systematischen Prozesse, insbesondere der Lupus erythematodes
aber auch der Pemphigus vulgaris,
wahrscheinlich vorwiegend TH2-gesteuert sind.
Diese Konzepte eröffnen nicht
nur interessante Einblicke in die Ätiopathogenese und Diagnose autoimmuner Erkrankungen, sondern vermitteln auch Möglichkeiten für die
Entwicklung oder den Einsatz neuer
immunmodulatorischer Substanzen
wie zum Beispiel Zytokine.
Autoimmunität versus
Autoaggressivität
Für das Verständnis der Entstehung autoimmuner Erkrankungen ist
es wichtig zu wissen, daß im Blut jedes Individuums T-Zellen zirkulieren, die Selbstantigene beziehungsweise Selbstepitope zwar erkennen
können, aber keine Autoaggression
auslösen, zumindest solange sie nicht
durch kostimulierende Signale und
Adhäsionsmoleküle zur Proliferation angeregt werden. Dieser Zustand
wird als „periphere Toleranz“ oder
Anergie bezeichnet. Er beinhaltet,
daß immer dann mit der Gefahr der
Entstehung von Autoimmunerkrankungen, das heißt einer Autoaggressivität, zu rechnen ist, wenn autoreaktive T-Zellen oder B-Zellen
ein zusätzliches Gefahrsignal erhalten. Dieses kann zum Beispiel von
aktivierten Makrophagen ausgehen,
die im Rahmen der Prozessierung
von Mikroorganismen Selbst- und
Fremdpeptide zusammen mit MHCMolekülen (MHC = major histocompatibility complex) den autoreaktiven T-Zellen und B-Zellen präsentieren. Zu unterscheiden ist zwischen
der Aktivierung der T-Helferzelle
über den MHC-Klasse-II-Peptidkomplex und der Aktivierung zytotoxischer CD8-T-Zellen via den MHCKlasse-I-Peptidkomplex. Da MHCKlasse-I-Moleküle von nahezu allen
Zellen exprimiert werden können,
kann sich die zytotoxische Immunantwort gegen jede beliebige Körperzelle richten; MHC-Klasse-II-Antigene kommen dagegen unter physiologischen Bedingungen nur auf bestimmten Zellen vor, nämlich den
dendritischen Zellen, den Makrophagen und den B-Zellen, und insofern sind diese für die Induktion der
Immunantwort verantwortlich. Um
zum Beispiel experimentell einen autoimmunen Prozeß zu induzieren,
muß das verwandte Autoantigen zusammen mit einem kompletten
Freundschen Adjuvans (Emulsion
aus Mineralöl und durch Hitze abgetöteten Mycobacteria tuberculosis) entweder subkutan oder intradermal injiziert werden. Mykobakterien wie auch andere pathogene Bakterien können Autoimmunerkran-
kungen somit im Rahmen eines infektiösen Prozesses auslösen. In einem solchen Fall übernimmt das infektiöse Agens die Adjuvansfunktion und stellt damit die für die Umgehung der T-Zelltoleranz notwendigen kostimulierenden Faktoren zur
Verfügung. Eine bestehende T-ZellToleranz kann aber besonders leicht
durchbrochen werden, wenn zusätzlich eine Homologie zwischen einem
Autoantigen und dem Fremdantigen
besteht (molecular mimicry), so daß
sich die Immunreaktionen gleichzeitig sowohl gegen körpereigene wie
auch körperfremde Proteine richten.
Außer durch Infekte lassen sich auch
durch eine Interferon-alpha-(IFNα-)Therapie, deren Ziel es ist, zytotoxische T-Zellen zu aktivieren, autoimmune Prozesse auslösen, wie dies
im Rahmen der IFNα-Therapie bei
Patienten mit Hepatitis C beobachtet
werden konnte.
Auch B-Zellen sind in der Lage,
Antigene, vor allem lösliche Antigene, den T-Helferzellen zu präsentieren. Dieses Phänomen wird als cognate T/B cell interaction bezeichnet.
Dadurch werden die B-Zellen bei entsprechender gleichzeitiger Aktivierung durch kostimulierende und akzessorische Moleküle in die Lage versetzt, verstärkt antigenspezifische Antikörper zu produzieren. Von der Aktivierung des jeweiligen T-Helfer-Subtyps hängt es ab, welche Immunglobulin-Isotypen von den B-Zellen gebildet werden. Interferon-γ führt zum
Besipiel zu einer verstärkten Produktion komplementbindender Antikörper (den IgG1-Isotypen), Interleukin4 und Interleukin-13 dagegen zur Bildung von nicht komplementbindenden Antikörpern (IgG4) sowie zur
Produktion von IgE-Immunglobulinen.
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Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 19, 14. Mai 1999 (55) A-1283
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Klassifikation
autoimmuner Prozesse
Viele Klone von T-Helferzellen
lassen sich in zwei Subtypen unterteilen: einen Subtyp, der präferenziell
proentzündliche Zytokine produziert
wie Interleukin-2, Interferon-γ und
TNF sowie einen zweiten Subtyp, der
präferenziell antientzündliche Zytokine bildet wie Interleukin-4, Interleukin-10 und Interleukin-13. Die entzündliche TH1-vermittelte Immunantwort wird vor allem zur Abwehr intrazellulärer Krankheitserreger benötigt
und fördert die antivirale Zytotoxizität von T-Zellen; die TH2-vermittelte
antientzündliche Immunantwort ist
für die Kontrolle extrazellulärer
Krankheitserreger
verantwortlich.
Die Bedeutung dieser TH1/TH2-Balance stand im Mittelpunkt des Referates
von M. Röcken (München).
Er führte aus, daß über die Interaktion zwischen den TH1- beziehungsweise TH2-Zellen und den antigenpräsentierenden Zellen die Effektorreaktion reguliert wird. Interferon-γ
vermittelt vor allem die Makrophagen-gesteuerte Entzündung durch
Ausschüttung von TNF, Interleukin1, Interleukin-6 und Interleukin-12,
aber auch durch die Produktion reaktiver Sauerstoffradikale und NO,
während Interleukin-4 diese entzündliche Reaktion gegenreguliert.
Für die Pathogenese vor allem
von organspezifischen Autoimmunerkrankungen gilt, daß diese durch proinflammatorische Reaktionen unterhalten werden bei bestehender zu geringer oder fehlender antientzündlicher Gegenregulation.
Dagegen ist man sich über die
Mechanismen, die zu den systemischen Autoimmunerkrankungen führen, noch weitgehend im unklaren,
doch wird davon ausgegangen, daß
zum Beispiel der Lupus erythematodes oder die Sklerodermie als TH2vermittelte Immunerkrankungen aufgefaßt werden können (Grafik). Bei
allergischen Erkrankungen mit Eosinophilie und erhöhten IgE-Globulinen ist dagegen die Rolle der TH2-Immunantwort unbestritten.
Dieses Konzept ist durch tierexperimentelle Untersuchungen und
auch durch Beobachtungen am Menschen gut dokumentiert. Im Tiermo-
dell lassen sich beispielsweise die experimentell induzierte Autoimmunerkrankung wie die allergische Encephalomyelitis durch TH1-Zellen, aber
nicht durch TH2-Zellen, induzieren
oder auch passiv übertragen, und
beim Menschen können in der frühen
Phase, zum Beispiel der Psorias, TH1ähnliche Lymphozyten aus den Hautläsionen isoliert werden.
Für die Pathogenese einer autoimmunen Erkrankung spielt also eine wesentliche Rolle, welche T-ZellSubpopulationen an dem entzündlichen Prozeß beteiligt sind. So darf der
Nachweis eines entzündlichen Infil-
den kann. Dominiert die TH2-Immunität, befindet sich die Erkrankung in
einer latenten Phase; überwiegt die
TH1-Immunität, kommt es zur Progression der Inselzellzerstörung.
Diagnose von
organspezifischen
Autoimmunerkrankungen
S. Martin (Düsseldorf) führte in
seinem Referat über die Diagnose organspezifischer Autoimmunerkrankungen aus, daß durch die Charakterisierung von organspezifischen Ziel-
Grafik
TH1
IL-2/IFN-g-hoch
IL-4-niedrig/negative
TH2
(IFN-g ±)
IL-4-hoch
Zelluläre Immunität
Komplementbindende
Antikörper
Eosinophilen-assoziierte
Zytotoxizität
IgE
Intrazelluläre
Mikroorganismen
Nützlich
Extrazelluläre
Parasiten
Tumoren
Kontaktallergie
Organspezifische
Autoimmunität
Atopische Krankheiten
Schädlich
Psoriasis
Allergische Enzephalitits
Typ I Diabetes
Immunglobulin-mediierte
Autoimmunität
Bullöse
Autoimmunkrankheiten
Sklerodermien
Rheumatoide Arthritis
Thyroiditis
Uveitis
TH1- und TH2-assoziierte Immunität: Rolle von TH1- und TH2-Immunantworten bei Infektions-, Tumor- und Autoimmunkrankheiten (aus Röcken M: Die Rolle unterschiedlicher T-Zell-Populationen bei Autoimmunkrankheiten: die TH1- und
TH2-Balance. In: Fortschritte und Fortbildung in der Medizin, Band 22, Deutscher Ärzte-Verlag 1999)
trats bei organspezifischen Autoimmunerkrankungen keineswegs per se
im Sinne eines zytotoxischen Prozesses interpretiert werden. Im Tiermodell ließ sich zum Beispiel zeigen, daß
bei den an Diabetes mellitus erkrankten Mäusen zwischen einer nicht destruktiven Inselzellentzündung durch
TH2-Lymphozyten und einer destruktiven Inselzellautoimmunität durch
TH1-Lymphozyten unterschieden wer-
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antigenen (Tabelle) bessere Testsysteme zum Nachweis dieser Erkrankungen entwickelt werden konnten. Dies
ließ sich vor allem für die glutensensitive Enteropathie und den Diabetes
mellitus Typ I zeigen. Er sieht in der
Bestimmung der für die Sprue/Zöliakie relevanten Antikörper gegen
Gliadin und Endomysium bei Kindern mit rezidivierenden Bauchschmerzen oder Verdauungsstörun-
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gen einen sinnvollen Einstieg zur weiteren histologischen Abklärung dieser Verdachtsdiagnose. Ähnliches läßt
sich auch für die Diagnose des Diabetes mellitus Typ I aufzeigen. Während
bisher der Nachweis der Inselzellantikörper durch die indirekte Immunfluoreszenz an humanem Pankreassubstrat erfolgte, können heute kommerzielle Testsysteme unter Verwendung
der zwei wichtigsten Autoantigene
eingesetzt werden, nämlich der Glutamatdecarboxylase (GAD) und der
Thyrosinphosphatase IA-2. Hinsichtlich ihrer Sensitivität und Spezifität
sind sie dem immunfluoreszenzserologischen Nachweis von Inselzellantikörpern (ICA) ebenbürtig.
Die Bestimmung von Typ-I-Diabetes-spezifischen Autoantikörpern
hat auch zu einer Verbesserung der
Differentialdiagnose von Typ-I- und
Typ-II-Diabetes-mellitus geführt. So
wurde nicht zuletzt wegen der
hohen Prävalenz dieser Autoantikörper beim Typ-I-Diabetes von der
amerikanischen Diabetesgesellschaft
(ADA) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Klassifikation des
Diabetes mellitus überarbeitet und revidiert. Die Begriffe insulinabhängiger
Diabetes und nicht insulinabhängiger
Diabetes mellitus wurden ersetzt
durch die Begriffe Typ-I- und Typ-IIDiabetes-mellitus. So kann ein Typ-IDiabetes in der Frühphase oder bei
Manifestation im Alter ohne Insulintherapie behandelbar sein, wie auch
ein Typ-II-Diabetes in der Spätphase
zu einem insulinabhängigen Diabetes
wird. Sämtliche Formen des Diabetes
werden also unabhängig von der Insulinbedürftigkeit klassifiziert. Werden
diabetesspezifische Autoantikörper
nachgewiesen, wird der Diabetes unabhängig von der Therapie als Typ-IDiabetes bezeichnet. Der Begriff „latent autoimmune diabetes in adulthood“ (LADA), der bis zur Neuklassifikation für eine Gruppe Erwachsener
mit einem nicht insulinpflichtigen Diabetes und gleichzeitigem Nachweis von
diabetesspezifischen Autoantikörpern
verwendet wurde, ist durch den Begriff
„spätmanifester Typ-I-Diabetes“ ersetzt worden. In einer kürzlich publizierten Studie konnte gezeigt werden,
daß der Nachweis von Autoantikörpern bei älteren seit kurzer Zeit manifesten Diabetikern einen hohen prä-
diktiven Wert für eine frühe Insulinbedürftigkeit signalisiert. So waren in der
Altersgruppe der 55- bis 65jährigen
Diabetes-Patienten noch sieben Prozent GAD-positiv.
Das statistische Risiko für erstgradig Verwandte, an einem Typ-IDiabetes zu erkranken, liegt bei 40
Prozent. In der Normalbevölkerung
kommt der Diabetes mellitus Typ I
nur mit einer Häufigkeit von 0,1 bis
0,3 Prozent vor, das heißt, werden bei
einem Angehörigen eines Kranken
keine Antikörper im Blut nachgewiesen, besteht kein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Dagegen signalisiert der
Nachweis von diabetesspezifischen
Autoantikörpern ein erhöhtes Diabetesrisiko, was allerdings auch eine hohe psychische Belastung der betroffenen Familien bedeutet. Leider gibt es
bisher noch keine gesicherte Therapie, um den Ausbruch des Typ-I-Diabetes zu verhindern oder zu verzögern.
Bei Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ I lassen sich auch andere organspezifische Autoantikörper nachweisen, so zum Beispiel
Schilddrüsenantikörper oder AntiGliadin-Antikörper. Allerdings zeigt
nur ein Teil dieser Patienten relevante klinische Symptome, was wiederum unterstreicht, daß Autoimmunität, das heißt das Vorliegen einer „sterilen“ Autoimmunität gegenüber einem Zielorgan nicht gleichzusetzen ist mit Autoimmunerkrankung. Eine differenzierte Interpretation entsprechender autoimmuner
Phänomene ist also jeweils anzustreben. Ein wichtiges Forschungsziel in
Zukunft wird sicher die bessere Charakterisierung der hierbei beteiligten
TH1- und TH2-relevanten Immunreaktionen sein.
Nachweis diagnostisch
spezifischer und relevanter
Autoantikörper
Eine differenzierte Interpretation der bei organunspezifischen Autoimmunerkrankungen zu beobachtenden Phänomene ist von besonderer
Wichtigkeit, da man zu leicht der Gefahr erliegt, aus dem Nachweis von
Autoantikörpern auf eine Autoimmunerkrankung zu schließen. Dies
führte R. Klein (Tübingen) aus. Bei
der serologischen Diagnostik sollte
deshalb unterschieden werden zwischen solchen Autoantikörpern, die
unabhängig von der klinischen Symptomatik eine hohe diagnostische Relevanz haben und solchen, die zur Bestätigung einer Diagnose bei schon
bestehenden relevanten klinischen
Symptomen herangezogen werden
können. Die Abgrenzung zu den
natürlich vorkommenden Autoantikörpern ist hierbei nicht immer einfach. Diagnostisch spezifische Autoantikörper sind zum Beispiel die antimitochondrialen Antikörper bei der
primär biliären Zirrhose sowie die
Antikörper gegen das lösliche Leberantigen oder das Leber-Pankreas-spezifische Antigen und die Antikörper
gegen Leber-Nierenmikrosomen bei
der autoimmunen Hepatitis. Obwohl
sie keine Organspezifität zeigen, ist
der Nachweis praktisch ein Beweis für
das Vorliegen einer derartigen autoimmunen Lebererkrankung. Ähnliches gilt für die Antikörper gegen
Doppelstrang-DNA oder Antikörper
gegen das Sm-Antigen, die bevorzugt
und fast ausschließlich beim systemischen Lupus erythematodes vorkommen, ferner die Antikörper gegen das
Ro- und La-Antigen beim Morbus
Sjögren oder die Antikörper gegen
Scl-70 sowie gegen Zentromere und
Nucleoli bei Patienten mit Sklerodermie. Auch der Nachweis der Proteinase-3-spezifischen antineutrophilen zytoplasmatischen Antikörper (cANCA)
ist für das Vorliegen eines Morbus
Wegener praktisch beweisend. Bei
der mikroskopischen Polyangiitis
sind pANCA positiv, und diese zeigen
eine Spezifität für die Myeloperoxidase. Antikörper gegen Granulozyten
(pANCA) kommen allerdings auch
bei der primär sklerosierenden Cholangitis, der autoimmunen Hepatitis
und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen vor. Auch der Nachweis von Anti-Phospholipid-Antikörpern erlaubt nicht per se den Rückschluß auf das Vorliegen eines klassischen Anti-Phospholipid-Syndroms,
das durch die Trias rezidivierende
thromboembolische Prozesse, Thrombopenie und habituelle Aborte charakterisiert ist.
Noch wenig erforscht ist die klinische Relevanz der bei verschiedenen
Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 19, 14. Mai 1999 (57) A-1285
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KONGRESSBERICHT
Tumorerkrankungen vorkommenden
Autoantikörper. Sie stellen sicher ein
seltenes Ereignis dar, sind allerdings
ein Hinweis dafür, daß tumorassoziierte Prozesse auch zur Induktion von
autoimmunen Reaktionen führen
können. Beobachtet wurden vor allem bei Patienten mit kleinzelligem
Bronchialkarzinom sowie bei Patienen mit Mammakarzinom und gynäkologischen Tumoren Antikörper gegen neuronale und nukleäre Antigene
sowie Onkogenprodukte und Tumorsuppressorgenprodukte.
Obwohl auch für eine große Anzahl von organunspezifischen Autoantikörpern die Zielantigene charakterisiert werden konnten (Tabelle), ließen
sich damit keine neuen Einblicke in
die Ätiopathogenese und den Mechanismus dieser systemischen Autoimmunerkrankungen gewinnen. Ihre Be-
deutung resultiert nach wie vor aus
der engen Korrelation zwischen dem
Nachweis dieser Antikörper und dem
Vorliegen bestimmter klar definierter
klinischer Krankheitsbilder. Unbestritten bleibt die Tatsache, daß die Bestimmung der Autoantikörper für die Frühdiagnose derartiger Erkrankungen von
entscheidender Bedeutung ist. Empfehlenswert ist es deshalb, den Nachweis dieser Antikörper mit verschiedenen Methoden durchzuführen, zum
Beispiel im Immunfluoreszenztest, der
Komplementbindungsreaktion,
den
ELISA-Methoden unter Verwendung
gereinigter oder rekombinanter Antigene und, wenn notwendig und möglich, unter Einbeziehung der Methode
des Westernblots. Die Absicherung eines Antikörpernachweises durch wenigstens zwei verschiedene Methoden
vermindert die Gefahr, einen Autoanti-
körperbefund im Sinne des Vorliegens
eines autoimmunen Prozesses falsch zu
interpretieren.
Immunsuppressive versus
immunmodulatorische
Therapieformen
Das bessere Verständnis für die
Pathophysiologie autoimmuner Prozesse hat auch zu neuen therapeutischen Konzepten geführt, wie dies beispielsweise schon bei der Beeinflussung der TH1/TH2-Balance angedeutet
wurde. Neben den konventionellen
Therapieformen mit Steroiden, Immunsuppressiva und Zytostatika wie
Azathioprin, Methotrexat, Ciclosporin, Cyclophosphamid werden heute
auch immunmodulatorische Substanzen eingesetzt wie monoklonale Anti-
Tabelle
Diagnose organspezifischer und organunspezifischer Autoimmunerkrankungen*
Erkrankung
Autoantikörper gegen
Zielantigen
a) organspezifisch
Autoimmunthyreoiditis
Mikrosomen
Thyreoperoxidase
perniziöse Anämie
Parietalzellen
H+,-K+-ATPase
Morbus Addison
Nebennierenrinde
21-Hydroxylase
glutensensitive Enteropathie
Endomysium
Transglutaminase C
Typ-1-Diabetes
Inselzellen
Glutamatdecarboxylase
Tyrosinphosphatase IA-2
b) organunspezifisch
Primär biliäre Zirrhose
Mitochondrien
Untereinheiten des
α-Ketosäure-DehydrogenaseKomplexes
Autoimmune Hepatitis
Leber-Nieren-Mikrosomen (LKM)
Zytochrom P450 II D6
Sklerodermie
Scl-70
Nukleoli
Zentromere
Topoisomerase
RNA-Polymerase I
CENP-A-B-C
Polymyositis/Dermatomyositis
Jo 1
Histidyl-t-RNA-Synthetase (50kD)
Lupus erythematodes
Ro/SSA
Ribonukleoprotein
enthaltende uridinreiche
Nukleinsäure
Doppelstrang-DNA
DNA
Morbus Sharp
RNP
* Martin S: Neue Verfahren zur Diagnose und Therapie organspezifischer Autoimmunerkrankungen.
Klein R: Möglichkeiten und Grenzen der Diagnose organunspezifischer Autoimmunkrankheiten.
In: Fortschritte und Fortbildung in der Medizin. Band 22, Deutscher Ärzte-Verlag, 1999
A-1286 (58) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 19, 14. Mai 1999
Ribonukleoprotein-Komplex
und U1-sn-RNA
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KONGRESSBERICHT/FÜR SIE REFERIERT
körper oder Zytokine. Unter der Vorstellung, daß autoimmune Prozesse TZell-vermittelt sind, wurden AntiCD4-Antikörper (das CD4-Antigen
charakterisiert phänotypisch vor allem
die T-Helferzelle) bei der Behandlung
der juvenilen rheumatoiden Arthritis
in Pilotstudien eingeführt. Anhaltende Remissionen wurden in einigen Fällen beobachtet; die Ansprechraten lagen zwischen 50 und 100 Prozent, die
Dauer der Remission war mit Zeiträumen zwischen drei Wochen und ein bis
zwei Jahren sehr unterschiedlich. Auf
einem ähnlichen Prinzip der Unterdrückung der T-Zell-Antwort beruht
auch der Einsatz von Antikörpern gegen Adhäsionsproteine. Ein signifikanter Rückgang von Morgensteifigkeit, Gelenkschwellung und Gelenkschmerzhaftigkeit ließ sich durch diese
Therapie in Phase-1-Studien erreichen. Zytokine spielen bei der Pathogenese, wie oben ausgeführt, eine besondere Rolle, und bei Patienten mit
rheumatoider Arthritis ließ sich zeigen, daß die TNF-α-Produktion von
Makrophagen in den betroffenen Gelenken erheblich gesteigert ist. So lag
es nahe, entweder Antikörper gegen
TNF-α oder Rezeptoren für TNF (zur
Bindung von TNF-α) einzusetzen mit
dem Ziel, die Aktivität dieser proinflammatorischen Zytokine einzudämmen. Auf die Bedeutung dieser Therapieform ging G. R. Burmester (Berlin)
in seinem Referat detailliert ein. In
der Zwischenzeit sind entsprechende
Präparate auf dem Markt (Infliximab,
Etanercept), und zahlreiche kontrollierte Studien belegen die Wirksamkeit
dieses neuen Therapieansatzes.
Aber auch die intravenöse hochdosierte Immunglobulinapplikation
hat sich in bestimmten Situationen autoimmuner Prozesse bewährt, so bei
der therapierefraktären juvenilen
chronischen Arthritis, der Dermatomyositis, der Myasthenia gravis,
dem Guillain-Barré-Syndrom, dem
Coombs-Test-positiven Neugeborenenikterus, der autoimmunen hämolytischen Anämie und der Immunneutropenie. Als gesicherte Indikation im
Kindesalter gelten die immunthrombozytopenische Purpura und der
Morbus Kawasaki. Verschiedene Wirkungsmechanismen werden diskutiert; eine Verminderung der Autoantikörpersynthese über eine antiidioty-
pische Blockade oder Fc-Rezeptorblockade scheint wahrscheinlich.
Während gentherapeutische Strategien, beispielsweise die Beeinflussung der lokalen Expression bestimmter Zytokine oder Zytokinantagonisten, erhebliche technische und konzeptionelle Probleme aufwerfen,
könnte die autologe Stammzelltransplantation vor allem bei Patienten mit
therapierefraktären Autoimmunerkrankungen neue therapeutische Möglichkeiten eröffnen. Dabei werden
zunächst nach Konditionierung mit
Cyclophosphamid und G-CSF autologe Stammzellen aus dem Blut mittels
Leukapherese und selektiver Anreichung von CD34-positiven Zellen gewonnen, anschließend das gesamte Immunsystem des Patienten mit einer
hochdosierten Chemotherapie und
Antilymphozytenglobulinen zerstört
und anschließend wieder durch die
Reinfusion der zuvor gewonnenen
Stammzellen aufgebaut. Bei der erneuten Entwicklung des Immunsystems scheint sich eine Toleranz gegen
zuvor irrtümlich als fremd erkannte
körpereigene Substanzen zu entwickelen, was für eine endgültige Heilung ei-
ner autoimmunen Erkrankung sprechen könnte. Über Langzeiterfolge liegen bisher allerdings keine Daten vor.
Alles spricht dafür – und darauf
wies Burmester besonders hin –, daß
sich in Zukunft die Konzepte der Therapie autoimmuner Erkrankungen
grundlegend ändern werden. Ziel wird
sein, wesentlich spezifischer in die fehlgeleitete Immunabwehr einzugreifen,
sei es durch die Beeinflussung der Erkennungsvorgänge von Autoantigenen
oder die Unterdrückung spezifischer
Effektorreaktionen. Neben der direkten Hemmung von proinflammatorischen Mediatoren stellt zum Beispiel
das Umlenken einer proentzündlichen
in eine „sterile“ oder antientzündliche
Autoimmunität einen interessanten
Therapieansatz dar, wie bereits im Tierexperiment gezeigt, und die in vitro
nachgewiesene
Flexibilität
der
TH1/TH2-Zellen läßt hoffen, daß sich
derartige Strategien einmal auch in der
Humanmedizin verwirklichen lassen.
Prof. Dr. med. Peter A. Berg
Medizinische Klinik, Abteilung II
Otfried-Müller-Straße 10
72076 Tübingen
Protonenpumpenblocker
bei funktioneller Dyspepsie
Etwa 25 Prozent der Bevölkerung
klagen im Laufe eines Jahres über
funktionelle Oberbauchbeschwerden;
auch wenn nur ein kleiner Teil den
Arzt aufsucht, machen Dyspepsiesymptome doch fünf Prozent aller Hausarztkonsultationen aus.
In zwei großen Studien (Bond
und Opera) wurde der Einfluß des
Protonenpumpenblockers Omeprazol
bei 1 262 Patienten mit funktioneller
Dyspepsie evaluiert. Vollständig beschwerdefrei wurden 38 Prozent unter
20 mg Omeprazol, 36 Prozent unter 10
mg Omeprazol und 28 Prozent unter
Plazebo (P = 0,002). Während Patienten mit einer Dyspepsie vom Motilitätsstörungstyp von der Säureblockade nicht profitierten, wurden Patienten mit Dyspepsie vom Ulkustyp in 40
beziehungsweise 35 Prozent und Patienten mit Dyspepsie vom Refluxtyp
in 54 beziehungsweise 45 Prozent un-
ter dem Protonenpumpenblocker von
ihren Beschwerden befreit (P < 0,05).
Ein Unterschied zwischen Helicobacter-pylori-positiven und Helicobacterpylori-negativen Individuen war dabei
nicht festzustellen. Zusammenfassend
kommen die Autoren zu dem Schluß,
daß Patienten mit einer funktionellen
Dyspepsie von Omeprazol in einer
Dosierung von 20 mg und 10 mg profitieren, wenn man den Einsatz auf ulkusähnliche und refluxähnliche Symptome beschränkt.
w
Talley N J, Meineche-Schmidt V, Pare P,
Duckworth M, Räisänen P, Pap A,
Kordecki H, Schmidt V: Efficacy of omeprazole in functional dyspepsia: doubleblind, randomized, placebo-controlled
trials (the Bond and Opera studies).
Aliment Pharmacol Ther 1998; 12:
1055–1065.
Department of Medicine, University of
Sydney, Nepean Hospital, Penrith, NSW
2751, Australien.
Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 19, 14. Mai 1999 (59) A-1287
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