Morbus Crohn und Colitis ulcerosa

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M E D I Z I N
ZUR FORTBILDUNG
Stefan Schreiber1
Eduard F. Stange2
Morbus Crohn und
Colitis ulcerosa
Neue Erkenntnisse zur Immunpathogenese
Als chronisch entzündliche Darmerkrankungen werden
zwei schubweise verlaufende Erkrankungen zusammengefaßt, die das größte immunologische Kompartiment des
Körpers, das intestinale, mukosaassoziierte Immunsystem
betreffen. Unbestritten scheint, daß eine hochgradige
Aktivierung von darmassoziierten Immunzellen einen
wesentlichen Aspekt der Pathophysiologie von M. Crohn
M
orbus Crohn und Colitis ulcerosa sind chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) unklarer Ätiologie, für die in vielen Fällen keine dauerhaft befriedigende Therapie zur
Verfügung steht. In den letzten Jahren
konnten wesentliche Mechanismen
der Pathogenese der intestinalen Entzündungsreaktion aufgeklärt werden.
Entzündungsmediatoren, die miteinander in einem engen Wechselspiel
der gegenseitigen Beeinflussung stehen, scheint eine zentrale Rolle sowohl in der Auslösung des akuten
Schubes als auch im Unterhalt der
chronischen intestinalen Entzündungsreaktion zuzukommen. Die
durch Monozyten und Makrophagen
produzierten proentzündlichen Zytokine Interleukin 1 (IL-1), Interleukin 6 (IL-6) und TumornekroseFaktor a (TNF-a) sind von großer Bedeutung in der Steuerung des intestinalen Entzündungsgeschehens. Dem
Einfluß der proentzündlichen Zytokine stehen entzündungshemmende
Mediatoren wie Interleukin-1-Rezeptorantagonist (IL-1ra), Interleukin 10
(IL-10) und Interleukin 4 (IL-4) gegenüber. Die Initiation wie auch die
Chronifizierung der intestinalen Entzündung lassen sich weitgehend aus
Ungleichgewichten zwischen pro- und
kontraentzündlichen Mediatoren erklären. Da eine kausale Therapie
nach wie vor nicht möglich ist, zielt ein
Großteil der neueren, in der Immuntherapie eingesetzten Medikamente auf eine Immunmodulation,
und Colitis ulcerosa darstellt. Die regulatorischen Vorgänge, die sowohl die Interaktion zwischen einer Vielzahl von
Mediatoren außerhalb der Zellen als auch von intrazellulären Mechanismen der molekularen Immunregulation
betreffen, sind außerordentlich komplex. Ihre stückweise
Entschlüsselung bietet den Ausblick auf ein Verständnis der wesentlichen Elemente chronischer Entzündungen.
das heißt eine Beeinflussung des
Gleichgewichts zwischen entzündungsfördernden und -hemmenden
Zytokinen. Dies kann entweder erreicht werden, indem die Sekretion
proinflammatorischer Zytokine unterdrückt wird oder indem kontrainflammatorische Zytokine wie Interleukin 10 oder Interleukin 4 in ihrer
Bildung stimuliert oder substituiert
werden. Neuere Erkenntnisse zeigen,
daß pro- und kontraentzündliche Immunregulation weitgehend durch ein
Netzwerk intrazellulärer Signalmechanismen vermittelt wird. Die direkte Beeinflussung von Transkriptionsfaktoren wie dem Nuklear-Faktor
Kappa B (NFkB) oder Molekülen der
JAK-STAT-Familie, die direkt die
Transkription von Entzündungsgenen
steuern, wird neue therapeutische
Optionen in der Zukunft eröffnen.
Immunpathophysiologie
der intestinalen
Entzündung
Die auslösenden ätiologischen
Faktoren für die Entstehung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen sind weitgehend unklar. Die Inzidenz beider Erkrankungen, M. Crohn
1 IV. Medizinische Klinik (Direktor: Prof. Dr.
med. Heribert Lochs), Universitätsklinikum
Charité der Humboldt-Universität zu Berlin
2 Medizinische Klinik I (Direktor: Prof. Dr.
med. Horst Lorenz Fehm), Medizinische
Universität zu Lübeck
A-1268 (44) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 19, 9. Mai 1997
und Colitis ulcerosa, steigt in den letzten Jahrzehnten steil an, wobei sowohl ein epidemiologisches NordSüd- als auch ein West-Ost-Gefälle in
Europa vorliegt. Sicher scheint jedoch, daß ein polygenetischer Hintergrund besteht, der zur familiären
Häufung beider Erkrankungen beiträgt. Die Identifikation von Wahrscheinlichkeits-(„Suszeptibilitäts“-)regionen auf den Chromosomen 3, 7, 12
und 16 (24, 50) hat zwar noch nicht zur
Identifikation definierter Krankheitsgene geführt, zeigt jedoch, daß eine
Vielzahl von genetischen Faktoren
wahrscheinlich in Kombination mit
epigenetischen Komponenten (Umwelt) zusammenkommen muß, um die
Manifestation chronisch entzündlicher Darmerkrankungen auszulösen.
Genauer sind unsere Vorstellungen zu den Mechanismen, die an der
Pathophysiologie der schubweise verlaufenden, chronischen intestinalen
Entzündung beteiligt sind. Obwohl
diese Entzündungsvorgänge möglicherweise viele sekundäre Elemente
enthalten, sind sie der eigentliche Angriffspunkt der gegenwärtigen antientzündlichen
Therapiestrategien.
Denkbar ist jedoch auch, daß eine
antigenunabhängige, sich selbst unterhaltende Entzündung abläuft, die
nach initialer Auslösung vor allem
durch eine genetisch determinierte
Störung der Toleranz gegen die eigene Darmflora gekennzeichnet ist.
Viele der grundlegenden immunologischen Mechanismen sind wichtige
Elemente der Pathophysiologie sowohl
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des M. Crohn als auch der Colitis ulcerosa. Unterschiede in der Immunpathophysiologie sind möglicherweise
zur Entstehung der klinisch verschiedenartigen Manifestation und des Verlaufs der Erkrankungen wichtig. Eine
Übersicht über diese Vorgänge und die
beteiligten Zelltypen findet sich in den
Grafiken 1 und 2.
Granulozyten, Makrophagen,
T- und B-Lymphozyten
Die frühesten morphologisch
faßbaren Veränderungen der akuten
Entzündung intestinaler Schleimhäute bei Morbus Crohn (MC) und Colitis ulcerosa (CU) bestehen in einer In-
gestört ist und daher eine überschießende immunologische Reaktion gegen normale Bestandteile des
Darminhaltes zur Amplifikation der
Entzündung beiträgt (13, 75). Ein
kürzlich bei M. Crohn-Patienten identifizierter Genlocus auf Chromosom
16 steht in enger Beziehung zu Zytokinrezeptoren und anderen immunrelevanten Strukturen der Zelloberfläche (24), so daß eine Störung
der Immuntoleranz auf genetischer
Basis derzeit die attraktivste Hypothese zur Ätiopathogenese der CED
darstellt.
In der Lamina propria finden sich
im akuten Schub zahlreiche Granulozyten, die durch die Freisetzung von
Grafik 1
Entzündung
LPS
Mo
IL-12?
IL-6
IL-1b
IL-8
TNF-a
IL-1ra
Die immunologische Aktivierung von Lymphozyten durch Monozyten und Makrophagen bedarf sowohl der Quervernetzung des T-Zell-Antigenrezeptors durch Zell-Zell-Kontakt als auch akzessorischer, proentzündlicher Zytokine wie IL-1b und TNF-a. Makrophagen und Granulozyten sezernieren jedoch nicht nur IL-1b und TNF-a, sondern auch IL-8 und IL-6 als weitere proentzündliche Zytokine. Obwohl im Humansystem noch nicht ausreichend
belegt, kommt wahrscheinlich dem IL-12 eine besondere Rolle in der Initiierung des Entzündungsgeschehens zu.
Interleukin-1-Rezeptorantagonist (IL-1ra) ist ein endogener Gegenspieler des IL-1b, der es durch kompetitive
Bindung vom Rezeptor verdrängen kann, ohne diesen jedoch zu stimulieren. Bakteriellen Produkten wie Lipopolysaccharid (LPS) oder Peptidoglykanen kommt im Darm eine zumindest unspezifisch stimulierende Rolle zu.
filtration der Mukosa mit Granulozyten und mononukleären Phagozyten, später auch mit Lymphozyten,
als Reaktion des intestinalen Immunsystems auf eine noch unklare Noxe.
Diese könnte in einer bislang nicht bewiesenen Infektion durch spezifische
Erreger bestehen, wobei derzeit insbesondere beim M. Crohn Mycobacterium paratuberculosis (67)
oder auch eine persistierende Masernvirusinfektion des Gefäßendothels (31, 68, 72) diskutiert werden.
Gute Hinweise gibt es jedoch, daß die
orale Toleranz gegen die eigene Flora
Sauerstoffradikalen und Proteasen
sowie anderen Mediatoren offenbar
direkt eine Gewebsschädigung hervorrufen können (2, 3, 17). Intestinale
T-Lymphozyten weisen ein begrenztes Repertoire ihres Antigenrezeptors
auf, das heißt, die Zahl der Antigene,
die als immunologische Stimulantien
in Frage kommen, ist deutlich eingeschränkt (6, 44, 48).
Sämtliche Immunzellpopulationen der intestinalen Lamina propria
weisen bei CED-Patienten eine vermehrte immunologische Aktivierung
auf. In der Induktion von Lympho-
A-1270 (46) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 19, 9. Mai 1997
zytenaktivierung nehmen die CD4positiven T-Zellen möglicherweise eine besondere Rolle ein: Während
Epithelzellen in vitro normalerweise
hauptsächlich CD8+T-Zellen aktivieren, findet bei CED eine erhebliche
Aktivierung von CD4+T-Zellen (insbesondere CD4+Leu8–-Zellen) statt,
die die Immunaktivierung von B-Zellen und T-Zellen der Lamina propria
erheblich fördern können. Als Teil der
gesteigerten immunologischen Aktivierung ist die spontane Antikörperproduktion von intestinalen B-Zellen
bei CED deutlich vermehrt. Anstelle
von mukosaprotektivem IgA wird
der Isotyp der gebildeten Antikörper
auf potentiell Komplement aktivierendes IgG umgestellt (58, 59, 60). Eine Bindung des bei CED in der Mukosa „fälschlich“ gebildeten IgG an Kolonepithelzellen sowie eine lokale
Komplementaktivierung konnte bei
Colitis-ulcerosa-Patienten
kürzlich
nachgewiesen werden (19–22). Dabei
wird ein 40 kDa großes Autoantigen
an der epithelialen Basallamina, das
möglicherweise mit Tropomyosin
identisch ist, als Zielantigen diskutiert
(10, 22). Ebenso kam es bei Patienten
mit M. Crohn zur Ablagerung von IgG
und lokaler Komplementaktivierung
an Endothelzellen der kleinen Gefäße
in der Muscularis mucosae und Submucosa (19).
Die vermehrte Aktivierung der
T- und B-Lymphozyten der intestinalen Lamina propria von CED-Patienten spiegelt sich auch im peripheren
Blut wider (25, 32, 33, 34, 47, 58, 65).
Die immunologische Aktivierung von
T-Zellen resultiert in einer ausgeprägten Proliferation und einer vermehrten Oberflächenexpression von Aktivierungsantigenen, die letztendlich
auch zu einer Freisetzung von Aktivierungsmarkern durch enzymatische
Abspaltung führt (löslicher Interleukin-2-Rezeptor, sIL-2R) (40, 46,
56, 57). Im Serum von CED-Patienten
finden sich daher – abhängig von der
Schwere der akuten Entzündung –
deutlich erhöhte Spiegel an zirkulierendem sIL-2R (8, 35, 38, 57). Ein
Großteil des in der Zirkulation befindlichen sIL-2R wird durch die mononukleären Zellen der intestinalen
Lamina propria (LpMNC) in der entzündeten Schleimhaut von CED-Patienten mit hoher Krankheitsaktivität
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gebildet (57). Eine erhöhte In-vitroSekretion von sIL-2R durch LpMNC
konnte aber auch bei Patienten mit
akuter Divertikulitis nachgewiesen
werden (57). Die Aktivierung von TZellen dürfte daher nur die gemeinsame Endstrecke intestinaler Entzündungsreaktionen
unterschiedlicher
Ätiologie darstellen.
Es scheint daher wichtig, die Kaskade immunologischer Aktivierung
an einem früheren Zeitpunkt zu untersuchen. Mononukleäre Phagozyten (Makrophagen/Monozyten) der
intestinalen Lamina propria wurden
auf Grund ihrer Oberflächenmarker
in der Lamina propria identifiziert
und dürften eine wesentliche Rolle
bei der Antigenpräsentation, der Phagozytose sowie der lokalen Synthese
von Proteasen, Sauerstoffradikalen,
Stickoxiden (NOx), Leukotrienen und
Zytokinen spielen. Bei CED sind alle
genannten Funktionen der Monozyten/Makrophagen gesteigert (58).
Makrophagen/Monozyten (25, 34, 47,
65), aber auch neutrophile Granulozyten (39) sind die wesentlichen Produzenten entzündungsfördernder Zytokine in der entzündeten Lamina
propria des Darmes.
Die Rolle des Mukosaepithels
und des Gefäßendothels
Entscheidend für die mechanische Integrität der Mukosa ist eine
kontinuierliche, intakte Epithelzellschicht. Diese verhindert die ungeregelte Invasion einer Vielzahl von bakteriellen, diätetischen oder anderen
luminalen Antigenen, die normalerweise in kontrollierter Form von im
Epithel eingebetteten M-Zellen gezielt an darunterliegende Lymphfollikel weitergereicht werden (43, 69).
Unmittelbar vor und während eines
aktiven Entzündungsschubes ist bei
M. Crohn und Colitis ulcerosa die mechanische Epithelbarriere defekt, so
daß die intestinale Permeabilität für
Makromoleküle gesteigert ist (4, 5, 49,
74). Vermutlich ist dieses Phänomen
Folge einer Epithelzellschädigung
durch Entzündungsmediatoren (TNF,
Sauerstoffradikale und andere). Obwohl unwahrscheinlich, ist eine
primäre Permeabilitätssteigerung als
ätiologischer Faktor aber nicht völlig
ausgeschlossen.
Grafik 2
Entzündung
Mo
TNF-a
IL-1b
Th 1
T
IL-2R
IL-4
IL-10
Th 2
IL-2
gIFN
IL-4
IL-10
IL-10
Proentzündliche Zytokine (IL-1b, TNF-a) und entzündungsfördernde T-Zell-Zytokine (Interleukin 2 – IL-2,
Interferon-gamma – gIFN) stehen in einem Gleichgewicht zu kontraentzündlichen Zytokinen (zum Beispiel
Interleukine 4, 10 und 13), die als ihre Gegenspieler die immunologische Aktivierung herabregulieren.
Diese Gleichgewichte, die auf der Ebene der Monozyten/Makrophagen wie auch auf der Ebene der T-Zellen
(THelfer-1 [Th1] versus THelfer-2 [Th2])-Zellen zu finden sind, sind für den Erhalt eines normalen, nicht entzündeten Funktionszustandes der Schleimhäute von entscheidender Wichtigkeit.
Die Rolle des Epithels ist jedoch
nicht nur in der einer mechanischen
Barrierefunktion zu sehen. Das intestinale Epithel ist wahrscheinlich in
der Lage, durch Präsentation von
Antigenen in den Ablauf des intestinalen Entzündungsgeschehens entscheidend einzugreifen. Normale
Epithelzellen exprimieren vor allem
MHC-Klasse-I-Moleküle und induzieren suppressiv wirkende zytotoxische T-Zellen, während bei CED auch
MHC-Klasse-II-Moleküle am Epithel
nachweisbar sind. Die Verwendung
von MHC-(HLA-)Klasse-II-Molekülen zur Antigenpräsentation trägt zur
Induktion von CD4-T-Helferzellen
bei. Zusätzlich zu HLA-Molekülen
können Epithelzellen auf ihrer Oberfläche HLA-ähnliche Moleküle exprimieren, die ebenfalls eine Rolle in der
Antigenpräsentation zu spielen scheinen (41, 42). Obwohl Epithelzellen in
vitro aktiv bestimmte Zytokine (IL-6,
IL-8, TGF-b und andere) synthetisieren, ist, nicht zuletzt aufgrund der widersprüchlichen In-vivo-Befunde, ihre genaue Rolle in der intestinalen
Immunregulation bei CED noch unklar.
Nach einer neueren Hypothese
ist das Endothel, nicht das Epithel,
der primäre Angriffspunkt der Entzündungskaskade. Diese Hypothese
stützt sich, insbesondere bei M.
Crohn, auf Beobachtungen einer Vas-
kulitis mit nachfolgender ischämischer Nekrose des Epithels. Es fanden
sich tatsächlich viele Granulome innerhalb degenerierter Gefäßlumina.
Als ursächlich wurde eine persistierende Masernvirusinfektion des Gefäßendothels verantwortlich gemacht.
Diese Hypothese einer primären Vaskulitis muß allerdings noch weiter abgesichert werden (31, 68, 72). Gesichert ist allerdings, daß das Endothel
eine wesentliche Rolle beim Einstrom
von Leukozyten aus dem Blut ins Gewebe spielt (51–53). Dieses Phänomen („homing“) wird durch Adhäsionsmoleküle sowohl auf Leukozyten
als auch auf Endothelzellen vermittelt
(1, 26, 27, 36). Diese Adhäsionsmoleküle werden in drei Gruppen unterteilt: die Immunglobulin-Superfamilie
(zum Beispiel ICAM-1 auf Monozyten und Endothelzellen, VCAM auf
Endothelzellen kleiner Gefäße), die
Integrine (zum Beispiel VLA-1 auf
Lymphozyten, LFA-1 auf Leukozyten) und die Selektine (zum Beispiel ELAM-1 auf Endothelzellen).
Letztere bestimmen den primären
Kontakt zwischen Leukozyten und
Endothelzelloberfläche. E- und P-Selektin werden auf zytokinaktivierten
Endothelzellen exprimiert. L-Selektin hingegen wird dauerhaft auf Leukozyten in der Zirkulation ausgebildet. Die Adhäsionskräfte durch die
nicht kovalente Bindung zwischen Se-
Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 19, 9. Mai 1997 (47) A-1271
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lektinen und ihren Liganden einerseits und Scherkräften durch den
Blutstrom andererseits stehen in einem Gleichgewicht, das in Rollbewegungen der Leukozyten entlang der
Gefäßwand resultiert. Die selektinvermittelte Bindung führt zu einer
Steigerung der Expression von Integrinen auf Leukozyten und in der
Folge zu ihrer Interaktion mit Molekülen der Immunglobulin-Superfamilie. Beispielsweise bindet ICAM-1
das Integrin LFA-1 beziehungsweise
VCAM-1 das Integrin VLA-4, das
sich insbesondere auf intraepithelialen Lymphozyten der Mukosa findet.
Diese Bindung, die auch als sekundäre Adhäsion bezeichnet wird, ist wesentlich stärker als die Bindung von
Selektinen und leitet die Transmigration des adhärierenden Leukozyten
durch die endotheliale Zellschicht in
die darunterliegende extrazelluläre
Matrix ein. Außerdem sind Integrine
von entscheidender Bedeutung beim
sogenannten „homing“, das heißt
dem Wiedereinwandern von gereiften
Lymphozyten in die Darmwand. Insgesamt fand sich bei CED eine deutlich vermehrte Expression fast aller
bisher untersuchter Adhäsionsmoleküle, wie zum Beispiel ICAM-1
(Abbildung 1), ELAM-1, verschiedener Integrine sowie der E-, P- und LSelektine. Vermutlich ist dies eher als
Folge der lokalen und systemischen
Freisetzung von Zytokinen und nicht
als primäres Geschehen aufzufassen.
Da Kortikosteroide die Expression
von Selektinen auf zirkulierenden
Leukozyten bei Patienten mit CED
unterdrücken, stellen diese Moleküle
einen möglichen zukünftigen Angriffspunkt für die gezielte therapeutische Intervention dar (64).
Proinflammatorische Zytokine
Die wichtigsten proinflammatorischen Zytokine sind TNF-a, IL-1b,
IL-8 sowie in Teilaspekten IL-6. Eine
vereinfachte Übersicht über die Interaktion der wichtigsten Zytokine
mit ihren Gegenspielern findet sich in
Grafik 2. Zusätzlich entzündungsfördernd können das Lymphokin Interferon g sowie auch die primär immunmodulierenden Interferone a
und b wirken. TNF-a stammt überwiegend aus Monozyten/Makropha-
gen und aktivierten T-Zellen, induziert Fieber und kann über IL-6 als
sekundärem Mediator die Synthese
von Akutphase-Proteinen (zum Beispiel C-reaktives Protein) induzieren.
TNF aktiviert Endothelzellen sowie
T- und B-Zellen. Mittels In-situ-Hybridisierung fanden wir bei gesunden
Freiwilligen nur vereinzelt IL-1bund TNF-a-mRNA-positive Zellen,
während bei M. Crohn und Colitis ulcerosa zahlreiche Entzündungszellen, insbesondere Makrophagen, in
der Lamina propria mRNA für beide
Zytokine enthielten (Abbildung 2
und 3) (73). Dies galt interessanterweise auch für makroskopisch nicht
leukin 1b (IL-1b), das in vielen Systemen zum TNF-a synergistische oder
identische Wirkungen hat. Die Expression und Sekretion von IL-1b war
in entzündeter Schleimhaut gegenüber nicht befallener Schleimhaut
von CED-Patienten wie auch gegenüber Normalkontrollen deutlich erhöht (47). Als Produzenten konnten
ebenfalls intestinale Makrophagen in
den LpMNC-Präparationen identifiziert werden; bei der In-situHybridisierung waren vereinzelt auch
Epithelzellen positiv (Abbildung 3).
IL-2 wird ausschließlich von T-Zellen gebildet und ist ein potenter Wachstumsfaktor für T- und B-Zellen sowie
natürliche Killerzellen.
Im Gegensatz zu
früheren Befunden einer gestörten In-vitroFreisetzung von IL-2
spricht ein gesteigerter
mukosaler Gehalt dieses Zytokins und der
entsprechenden mRNA eher für eine gesteigerte Synthese. Erhöhte Spiegel von IL-2
und seinem löslichen
Rezeptor (sIL-2R) finAbbildung 1: Immunhistochemischer Nachweis des interzellulären Adhäsi- den sich in Abhängigonsmoleküls 1 (ICAM-1) im Endothel (Pfeile) in derselben Biopsie wie (2) keit von der Aktivität
(Colon ascendens, Patient mit Colitis ulcerosa). APAAP-Färbung, H. E.-Gegen- der Erkrankung auch
in der Zirkulation (8,
färbung, Vergrößerung x 400
35, 38, 57, 58).
entzündete Areale. Demgegenüber
Interleukin 6 wird ebenso zur
war das Epithel für diese Zytokine Gruppe der proinflammatorischen
immer negativ. Eine spontane TNF- Zytokine gerechnet, obwohl seine
a-Sekretion durch isolierte mononu- biologischen Wirkungen sich in einikleäre Phagozyten der intestinalen gen Punkten von denen des TNF-a
Lamina propria oder durch LpMNC und IL-1b unterscheiden und in Teilwar in vitro meist nicht zu beobach- aspekten eher kontraentzündlich
ten. Nach Mitogenstimulation fand sind. Auch hier zeigt die In-situ-Hysich jedoch eine gegenüber gesunden bridisierung bei CED eine aktive
Freiwilligen erhöhte Sekretion von Synthese (mRNA) in zahlreichen LaTNF-a durch LpMNC aus befallener mina-propria-Zellen und nur vereinSchleimhaut bei M. Crohn und Coli- zelt positive Epithelzellen an. LpMtis ulcerosa (47, 60). Entsprechend NC aus entzündeter Schleimhaut von
den Befunden der In-situ-Hybridisie- CED-Patienten folgen in ihrem Serung war eine erhöhte Sekretion auch kretionsverhalten für IL-6 dem ILbei LpMNC aus makroskopisch nicht 1b: Sowohl bei Colitis-ulcerosa- als
befallenen Schleimhautabschnitten auch Morbus-Crohn-Patienten war
von CED-Patienten zu beobachten. eine gegenüber gesunden FreiwilliKomplementlyseexperimente
be- gen deutlich erhöhte spontan- und
stätigten, daß TNF-a vorwiegend mitogeninduzierte Sekretion von ILdurch intestinale Makrophagen se- 6 zu verzeichnen. Ebenso fand sich eizerniert wird.
ne gegenüber gesunden Freiwilligen
Ähnliche Resultate fanden sich erhöhte Sekretion durch LpMNC aus
auch bei Untersuchung von Inter- nicht befallener Schleimhaut von
A-1272 (48) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 19, 9. Mai 1997
M E D I Z I N
ZUR FORTBILDUNG
CED-Patienten (47, 60). Während
Die immunregulatorischen Inter- 23, 37, 61, 70). Wir fanden bei perider klinischen und endoskopischen leukine 4 und 10 (71, 14, 23, 37, 70) pheren Monozyten und LpMNC von
Remission fanden wir in einer Sub- werden bei der Maus insbesondere CED-Patienten eine in bezug auf imgruppe von Morbus-Crohn-Patienten durch eine auf B-Zell-Regulation und munregulatorische Effekte deutlich
eine erhöhte Freisetzung von TNF-a entzündungshemmende Immunregu- verminderte Wirkung von IL-4 (61).
und IL-1b durch
Kucharzik und Mitarbeiter fanden,
LpMNC. Somit
daß diese „Resistenz“ mit der Krankläßt sich eine geheitsaktivität zu korrelieren scheint
steigerte Zytokinund gemeinsames Kennzeichen aktisynthese nicht nur
ver chronisch entzündlicher Reaktioin makroskopisch
nen ist (29). Eine Resistenz gegen
noch
normaler
Herabregulation von Entzündung
Schleimhaut bedurch Interleukin 4 (und möglicherobachten,
sonweise auch Interleukin 13, das ebendern diese früfalls an den IL-4-Rezeptor bindet)
he Entzündungs(29) könnte zur Chronifizierung der
reaktion
hängt
Entzündung beitragen. Der Mechaauch direkt mit
nismus einer solchen, wahrscheinlich
dem Risiko eines
funktionellen, Resistenz involviert
baldigen Rezidivs
Elemente in der Signaltransduktionszusammen
(62, Abbildung 2: Expression von Tumornekrose-Faktor-a in zahlreichen Zellen kette des IL-4-Rezeptors: Eine Alte63).
der Lamina propria im Colon ascendens eines Patienten mit aktiver Colitis ulce- ration der durch den Insulinrezeptor
Die Rolle von rosa (In-situ-Hybridisierung, Pappenheim-Gegenfärbung, Vergrößerung x 400) und den IL-4-Rezeptor gemeinsam
IL-8, einem wichgenutzten Moleküle insulin receptor
tigen Faktor bei der Chemotaxis von lation spezialisierte Subpopulation substrate(IRS)-1 und -2 könnte die
Neutrophilen, Lympho- und Mono- von T-Helferzellen, die TH2-Zellen, molekulare Brücke zwischen IL-4zyten, ist im Rahmen der CED noch gebildet. TH2-Zellen stehen damit Resistenz und Insulin-Resistenz bei
ungeklärt. Seine Konzentration ist den TH1-Zellen gegenüber, die die chronischer Entzündung darstellen.
vor allem bei Colitis ulcerosa in der entzündungsfördernMukosa erhöht, die Funktion des den Zytokine IL-2
Epithels bei der IL-8 Synthese ist der- und IFN-g bilden.
zeit umstritten (9, 16, 18, 66). Ähnli- Beim Menschen ist
ches gilt auch für die noch ungeklärte die Unterscheidung
Rolle von Interferon g als bekannt der T-Helferzellen in
potentem Makrophagen-Aktivator TH1- und TH2-Zellen auch aufgrund
(7, 15, 32).
fehlender immunoloKontraentzündliche Zytokine
gischer Marker nicht
und Rezeptor-Antagonisten
so klar wie bei der
Maus: Hier läßt sich
In akuten entzündlichen Reaktio- zwar auch eine Bilnen vermögen mononukleäre Phago- dung von Interleuzyten, Epithelzellen, Endothelzellen kin 4 auf bestimmte
und Fibroblasten nicht nur die obenge- T-Zell-Subpopulationannten proentzündlichen Mediatoren nen zurückverfolgen, Abbildung 3: Interleukin-1b-Expression in einem Zell-Cluster (Pfeile) in der Lazu produzieren, sondern auch poten- Interleukin 10 wird mina propria des Colon transversum eines Patienten mit aktivem Morbus Crohn
tiell antientzündliche Faktoren wie jedoch hauptsächlich (In-situ-Hybridisierung, Pappenheim-Gegenfärbung, Vergrößerung x 1000)
Interleukin-1-Rezeptorantagonist (IL- durch aktivierte Mo1ra) und lösliche Interleukin-Rezepto- nozyten und Makrophagen gebildet.
Mäuse, in denen das Interleukinren (11, 12). Diese sind in der Lage, mit Beide Zytokine, Interleukin 4 und In- 10-Gen funktionell durch Mutation
proentzündlichen Entzündungsmedia- terleukin 10, sind neben spezifischen ausgeschaltet wurde („IL-10-knocktoren zu interagieren und diese ent- Einflüssen auf B-Zell-Differenzie- out“-Mäuse), entwickeln eine Colitis,
weder in Lösung oder während der rung und -Maturation deutlich kon- die in verschiedenen morphologischen
Bindung an den zugehörigen Rezeptor traentzündlich. Sie haben ein großes Aspekten eine Ähnlichkeit mit chrozu inhibieren. Bei verschiedenen tier- entzündungshemmendes Potential, nisch entzündlichen Darmerkrankunexperimentellen Colitis-Modellen und das sich in der Fähigkeit, die Sekreti- gen des Menschen hat (30). In diesem
bei CED wurde ein verringertes mo- on proentzündlicher Moleküle durch Modell und auch in anderen tierexpelares Verhältnis von IL-1ra/IL-1 als T-Zellen, Monozyten, Makrophagen, rimentellen Systemen, wie zum Beientzündungsförderndes Phänomen be- neutrophile Granulozyten und ande- spiel Mäusen mit schwerer kombinierschrieben.
re Zellen zu inhibieren, äußert (71, 14, ter Immundefizienz („SCID-Mäuse“),
Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 19, 9. Mai 1997 (49) A-1273
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Grafik 3
Steroide, IL-10
NFkB
Dimer
NFkB
Dimer
NFkB
p65
NFkB
p65
IkBa
IKkBa
NFkB
Dimer
Transkription von
Entzündungsgenen
beteiligt. Die Kenntnis und die klinische Charakterisierung dieser Regulationsmechanismen eröffnen einen
Ausblick auf eine Vielzahl zukünftiger molekularer Zielstrukturen einer immunologischen Therapie der
chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Die rapide fortschreitende Aufklärung des genetischen Hintergrundes läßt eine Zusammenführung von funktionellen Alterationen in der molekularen Immunregulation mit fixierten genetischen Defekten in korrespondierenden, immunrelevanten Strukturen erwarten.
Die In-situ-Hybridisierungen wurden im Institut
für Immunologie und Transfusionsmedizin
(Direktor: Prof. Dr. Holger Kirchner) der Medizinischen Universität Lübeck durchgeführt.
Stabilisierung/
Induktion von
IkBa
Spezifische
Phosphorylierung
und Abbau
Grafik 3: Transkriptionsfaktoren sind die entscheidenden regulatorischen Moleküle in der An- und Abschaltung
von Entzündungsgenen. Von zentraler Bedeutung ist nukleärer Faktor Kappa B (NFkB), der im Ruhezustand
gebunden an einen Inhibitor im Zytosol (Inhibitor Kappa B, IkBa) vorliegt. Nach Aktivierung durch TNF-a
oder LPS wird der Inhibitor in wenigen Minuten durch spezifische Phosphorylierung abgebaut und das gebundene NFkB freigesetzt. Dieses bildet Dimere, transloziert in den Kern und reguliert komplexe Transkriptionsvorgänge durch direkte Bindung an spezifische DNA-Sequenzen. Interleukin 10 als kontraentzündliches Zytokin oder Therapeutika wie Glukokortikoide (64), aber auch 5-Aminosalizylate (28) reduzieren funktionell aktives NFkB, zum Beispiel durch Induktion von IkB.
in denen durch einen Transfer syngener
T-Helferzellsubpopulationen
(CD4+CD45RBhigh+) eine Colitis erzeugt
wurde, hat Interleukin 10, nicht jedoch
IL-4, eine profunde antientzündliche
Wirkung (45). Durch IL-10 konnte bei
CED sowohl die In-vitro- als auch die
In-vivo-Freisetzung von IL-1b und TNFa dosisabhängig reduziert werden. Diese Befunde weisen darauf hin, daß fragilen Gleichgewichten zwischen pro- und
kontraentzündlichen Faktoren und ihrer
wechselseitigen Beeinflussung eine entscheidende Rolle in der Pathogenese der
chronischen intestinalen Entzündung
zukommt.
Diese Gleichgewichte laufen in
den Immunzellen in der Regulation
der Transkription von Immun- und
Entzündungsgenen zusammen: Nukleäre Faktoren, die Transkriptionsvorgänge durch Bindung an DNAElemente an- und abschalten, sind
kürzlich identifiziert worden. Wir fanden, daß insbesondere der nukleäre
Faktor Kappa B, der Entzündungsgene gezielt anschaltet, in der Regulati-
on des immunologischen Aktivierungszustands der Granulozyten, aber
auch Monozyten/Makrophagen bei
CED eine wesentliche Rolle spielt
(39). Die Aktivierung von nukleärem
Faktor Kappa B durch verstärkende
Faktoren wie Lipopolysaccharid oder
TNF-a könnte einige der Immunphänomene bei CED erklären. Gleichzeitig zeigt sich, daß viele der empirisch
bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen als antientzündlich charakterisierten Therapeutika über eine
Reduktion der Aktivierung von nukleärem Faktor Kappa B (NFkB) zu
wirken scheinen. Antientzündliche
Faktoren wie Interleukin 10 oder
Steroide (54), aber in schwächerem
Ausmaß auch 5-Aminosalizylate (28),
stabilisieren oder induzieren konstitutiv vorliegende Inhibitoren der Aktivierung von NFkB als wesentlichen
Teil ihres Wirkmechanismus (Grafik 3). Neben NFkB sind eine Vielzahl
anderer Transkriptionsfaktoren an
der intrazellulären Regulation der
Transkription von Entzündungsgenen
A-1274 (50) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 19, 9. Mai 1997
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-1268–1274
[Heft 19]
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DÄ/MWR
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