Customer Relationship Management Kundenspezifische Produktion

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CRM-Seminar am Institut für Informatik an der Universität Freiburg (CH)
Unter der Leitung von
Prof. Dr. Andreas Meier
Information Systems Research Group
Customer Relationship Management
Kundenspezifische Produktion als Reaktion
auf die neuen Wettbewerbsbedingungen
von Christoph Jungo
Christoph Jungo
Haslerastrasse 17
3186 Düdingen
079 315 82 21
[email protected]
Düdingen, 17. Mai 2004
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ....................................................................................................... 1
Abbildungsverzeichnis ................................................................................................ 1
1 Einleitung................................................................................................................. 2
2 Grundlangen zur Individualisierung ......................................................................... 3
3 Wettbewerbsvorteile einer individualisierter Leistungserstellung............................. 5
3.1 Präferenzvorteile ............................................................................................... 5
3.2 Reaktion auf steigenden Wettbewerb ............................................................... 6
3.3 Schaffung dauerhafter Kundenbindungen......................................................... 7
3.4 Verringerung der Komplexität der Absatz- und Produktionsplanung................. 8
4 Varianten- und Einzelfertigung ................................................................................ 9
4.1 Grundlagen ....................................................................................................... 9
4.1.1 Grundlagen für die Variantenfertigung........................................................ 9
4.1.2 Grundlagen für die Einzelfertigung ............................................................. 9
4.2 Kosten- und Komplexitätssteigerung............................................................... 10
4.2.1 Variantenfertigung .................................................................................... 10
4.2.2 Einzelfertigung.......................................................................................... 11
4.2.3 Kosten der Integration und Varietät aus Abnehmersicht .......................... 14
5 Schlussbemerkungen ............................................................................................ 16
Literatur .................................................................................................................... 17
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Aufbau einer Learing Relationship ................................................................. 7
Abb. 2: Benachteiligung der Massenprodukte und zunehmende Variantenvielfalt ... 11
Abb. 3: Die Komplexitätsfalle.................................................................................... 11
1
1 Einleitung
Ziel dieses Seminares ist es eine Idee zu bekommen, wieso eine kundenspezifische
Produktion Wettbewerbsvorteile bringen kann.
Im ersten Teil werden die Grundlagen für eine Individualisierung erläutert und das
Idealpunkt-Modell eingeführt.
Der mittlere Teil beschäftigt sich mit den Wettbewerbsvorteilen der individualisierten
Leistungserstellung. Der Begriff Learning Relationship wird erklärt. Anschliessend
wird dann auf die Varianten- und Einzelfertigung eingegangen und aufgezeigt, dass
diese Produktionsmethoden nicht nur Vorteile bringen, sondern auch höhere Kosten
nach sich ziehen.
Zum Schluss wird die kundenspezifische Produktion noch etwas aus Abnehmersicht
betrachtet und man kann feststellen, dass auch beim Kunden Mehraufwand im Gegensatz zu standardisierten Produkten entsteht. Jedoch hat der Kunde ein genau auf
seine Bedürfnisse zugeschnittenes Produkt.
2
2 Grundlangen zur Individualisierung
In der Regel richten sich die Präferenzen eines Nachfragers nicht auf ein Produkt als
solches, sondern auf eine Kombination von Eigenschaften, die in dem nachgefragten
Gut verkörpert sind.
Das Idealpunkt-Modell geht davon aus, dass jeder Käufer eine genaue Vorstellung
der Produkteigenschaften besitzt, die sein optimales Produkt kennzeichnen. Die Distanz zwischen dem Idealpunkt und den tatsächlichen Eigenschaften eines Produkts
bestimmt die Präferenz für dieses Produkt, d.h. die Kaufwahrscheinlichkeit ist umso
höher, je näher ein Produkt am Idealpunkt eines möglichen Abnehmers ist.
Bei der Massenproduktion wird während des Entwicklungsprozesses versucht, die
Idealpunkte der Mitglieder des angestrebten Marktsegmentes zu einem gemeinsamen Mittelwert zu vereinen. Dieser Mittelwert sollte möglichst nahe am Idealpunkt
möglichst vieler Nachfrager zu liegen kommen.
Im Gegensatz dazu steht die Individualisierung eines Produktes, wo die Produkteigenschaften so angepasst werden, dass sie dem Idealpunkt des Abnehmers entsprechen. Der erste Schritt nach der Akquisition des Käufers ist die Erhebung der
konkreten Bedürfnisse und deren Überführung in konkrete Produkteigenschaften.
Anschliessend folgt dann die Produktion.
Im Folgenden wird unter Individualisierung eine strategische Vorgehensweise eines
Anbieters verstanden, die darauf abzielt, Präferenzen und damit Wettbewerbsvorteile
zu schaffen. Für den Konsumgüterfall bedeutet dies, die Eigenschaften der angebotenen Produkte und Leistungen auf die individuellen Bedürfnisse des Käufers auszurichten. Ziel der Individualisierung im Industriegüterbereich ist es, das Angebot den
individuellen Besonderheiten seiner Verwendung in der Wertkette des Käufers anzupassen.
Meistens wird von Individualisierung im Zusammenhang mit Leistungserstellung gesprochen, es kann aber auch eine individuelle Gestaltung der Geschäftsbeziehung
zwischen Hersteller und Abnehmer einschliessen.
Das Ergebnis einer Individualisierung ist eine Produktdifferenzierung, damit mit mehreren Produktvarianten gezielt die Bedürfnisse unterschiedlicher Nachfrager abgedeckt werden können.
3
Das Gegenstück zur Individualisierung ist die Standardisierung. Ihr Nutzen besteht in
erster Linie darin die Kostenführerschaft zu erreichen.
Standardisierung und Individualisierung sind jedoch nicht als Gegensätze zu sehen,
sondern als Eckpunkte eines breiten Spektrums von Handlungsmöglichkeiten. Die
Variantenfertigung kann zum Beispiel als Stufe zwischen Standardisierung und Individualisierung verstanden werden.
4
3 Wettbewerbsvorteile einer individualisierter Leistungserstellung
3.1 Präferenzvorteile
In der Realität ist sich ein Käufer nie sicher, ob das von ihm gekaufte Produkt tatsächlich jenes unter all den Angeboten ist, das seinen persönlichen Präferenzen am
besten entspricht. Im Gegensatz zur Theorie, wo alle Güter identisch und perfekt
substituierbar sind, sind die Güter in der Realität unvollkommene Substitute, dies
wegen der Produktdifferenzierung. Ein Käufer kann also nach getätigtem Kauf auf
eine anderes, näher an seinem Idealpunkt liegendes Produkt stossen und mit seinem
Kauf unzufrieden werden. Dies verringert die Chance auf einen Wiederkauf beim ersten Hersteller.
Ein Hersteller kann diese Unsicherheit nutzen, indem er die Wünsche der Nachfrager
exakt erfüllt. Diese Individualisierung hebt ihn von seinen Konkurrenten ab, weil er für
den Nachfrager die Unsicherheit über die Passgenauigkeit verringert.
Bei einer erfolgreichen Differenzierungsstrategie, darf kein anderer Wettbewerber
eine Produkteigenschaft besser erfüllen als der Anbieter. Dieser erlangt so den Status eines Quasi-Monopolisten und kann so Preise erzielen, die über den Grenzkosten der Herstellung und der Konkurrenz liegen, ohne gerade jegliche Nachfrage zu
verlieren. Abnehmer sind aber nicht bereit jeden Mehrpreis zu bezahlen und können
auf billigere Konkurrenzprodukte ausweichen, auch wenn diese ihren Präferenzen
nicht so genau entsprechen, wie die des Anbieters. Um den ganzen Preisspielraum
ausnutzen zu können, müsste man die Preissensibilität aller Kunden kennen.
In der Praxis gibt es deshalb meistens kein individueller Preis pro Abnehmer, sondern entweder ein einheitlicher Preis, oder der Preis wird anhand eines Preisbaukastens an die Leistung angepasst. Im zweiten Fall ist der Kunde selbst für die Preisbestimmung verantwortlich. Voraussetzung dazu sind jedoch modular aufgebaute Produkte und Leistungen, auch der Verzicht auf Serviceleistungen kann den Preis senken. Als Beispiel für einen solchen modularen Preisbaukasten kann man hier Dell
erwähnen, wo je nach gewünschten Komponenten und Garantieleistung ein Preis
berechnet wird.
5
Der wichtigste Vorteil einer Individualisierung ist aber in vielen Märkten die Vermeidung des Preiswettbewerbs. Die Kaufentscheidung wird durch die Individualisierung
auf die Ebene des Kunden verlagert und der Preis dient mehr als Zusatzinformation,
denn als Kaufkriterium.
3.2 Reaktion auf steigenden Wettbewerb
Die Individualisierung dient auch der Steigerung der Kundenzufriedenheit und Kundenbindung. Heute hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass in gesättigten Märkten
eine hohe Kundentreue eine grössere Bedeutung besitzt als die herkömmliche
Marktanteilstrategie, wo es darum ging möglichst viele Neukunden zu gewinnen.
Eine hohe Kundenzufriedenheit wird durch Erfüllen oder sogar Übertreffen der Erwartungen des Abnehmers erreicht. Es ist klar, dass dies mit einer individualisierten
Leistungserstellung einfacher zu erreichen ist, als mit Massenproduktion.
Ebenfalls zu einer hohen Kundenzufriedenheit beitragen können eine Differenzierung
durch individuelle Zusatzleistungen oder die Vermittlung von Erlebnissen und Begeisterung. Daimler-Chrysler erlaubt es zum Beispiel seinen Kunden ihr persönliches
Fahrzeug an einem Grafikrechner zusammenzustellen und anschliessend in der virtual Reality zu besichtigen.
Mit der persönlichen Interaktion zwischen Hersteller und jedem einzelnen Abnehmer
kann der Grundstein zu einer langfristigen Kundenbeziehung gelegt werden. Es ist
dann die Aufgabe vom Hersteller, die aus der Interaktion gewonnenen Informationen
gewinn- und folgegeschäftsbringend einzusetzen. Die Beziehung zwischen Kunde
und Hersteller bezieht sich also nicht nur auf die reine Transaktion (Kauf/Verkauf),
sondern geht darüber hinaus. Beziehungsmanagement (CRM1) bedeutet in diesem
Zusammenhang, dass man die Käufer in ein für beide Seiten wertbringendes Austauschverhältnis einbindet. CRM ist gleichzeitig kundenseitige Ergänzung und notwendige Grundlage einer individuellen Leistungserstellung. Die Kunden sollen freiwillig, aufgrund eines einmaligen Nutzens einem Anbieter treu bleiben.
Damit dieser Nutzen aufrechterhalten werden kann, ist auch eine Individualisierung
des Marketings notwendig (one-to-one-marketing). Viele Kunden sind aber gar nicht
an einer individuellen oder gar persönlichen Beziehung zum Anbieter interessiert und
1
CRM - Customer Relationship Management
6
widersprechen deswegen der Verwendung ihrer Kundendaten. Für die Kunden ist
eine individuelle Beziehung zu einem Anbieter erst dann interessant, wenn sie genau
ihren Bedürfnissen entsprechende Produkte erhalten oder wenn dadurch die Transaktion wesentlich vereinfacht werden kann.
3.3 Schaffung dauerhafter Kundenbindungen
Der Mechanismus zum Aufbau einer langfristigen Kundenbeziehung kann wie folgt
aussehen: Nach einem anfänglichen Gespräch zur genauen Leistungsdefinition werden die dabei gewonnen Daten gespeichert, um den Erstauftrag auszuführen. Die
Informationen werden nach der Auslieferung mit Informationen aus dem ersten
Gebrauch ergänzt. Bei einem erneuten Auftrag kann auf verbessertes und verfeinertes Wissen über den jeweiligen Kunden zurückgegriffen werden. Dies nützt dem
Kunden insofern, dass die Formulierung der Kundenwünsche und die Überführung in
konkrete Leistungen schneller und einfacher gemacht werden können. Ebenso kann
einem Kunden nach Ablauf der Gebrauchszeit ein Angebot für ein neues Produkt
gemacht werden. Der Vorgang wird bei jedem neuen Kauf weiter optimiert. Man
spricht von einer Learning Relationship2 (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Aufbau einer Learning Relationship
2
siehe Peppers/Rogers (1997), S. 168
7
Durch Learning Relationships kann die Kundenloyalität erhöht werden. Denn wenn
ein Kunde einmal erfolgreich ein individuelles Gut bei einem Anbieter bezogen hat,
wird er es mit grosser Wahrscheinlichkeit wieder bei diesem Anbieter tun. Bei einem
Anbieterwechsel würden nämlich Umstellungskosten auf ihn zu kommen, da bei der
Konfiguration des Produktes wieder von vorne begonnen werden müsste. Zudem hat
der Kunde wieder Unsicherheiten über die Qualität. Die Anbieter wiederum können
durch eine erhöhte Kundenbindung die Preiselastizität der Abnehmer verringern und
sich so vom Preiswettbewerb abkoppeln.
Durch die gewonnen Informationen können auch Neukunden besser und individueller
bedient werden, indem man ihnen Produkte vorschlagen kann, die andere Kunden
mit einem ähnlichen Profil erworben haben (Profiling).
3.4 Verringerung der Komplexität der Absatz- und Produktionsplanung
Im Gegensatz zur Massenfertigung, wo das Konzept „Product-Push“ gilt, verfolgt die
Individualisierung eine „Customer-Pull“-Strategie. Die Güter werden also nicht mehr
auf Vorrat produziert und abgesetzt, sondern es wird auf Bestellung produziert (Production on demand). Die Lagerhaltung lässt sich also auf Rohmaterialien beschränken. Zum Teil können auch diese auftragsbezogen beschafft werden. Gleichzeitig
können damit die Bestandskosten gesenkt und die Planungssicherheit erhöht werden.
Bei einem Modellwechsel fallen zudem keine überschüssigen Produkte an. Das führt
auch dazu, dass neue Komponenten und Materialien schneller eingeführt werden
können, da nicht zuerst noch Restbestände von alten Modellen abgesetzt werden
müssen. Als Beispiel lässt sich hier wieder Dell Computer Corp. nennen, welche
nicht nur die Computer auf Kundenwunsch anfertigen, sondern auch die Komponentenbeschaffung flexibel gestaltet haben.
8
4 Varianten- und Einzelfertigung
4.1 Grundlagen
4.1.1 Grundlagen für die Variantenfertigung
Viele Massenfertiger haben sich in den letzten Jahren durch eine Ausdehnung ihrer
Produktpalette zu Variantenfertiger entwickelt. Sie produzieren immer mehr Produktvarianten für immer kleinere Nischen.
Die Erweiterung des Angebots durch Variationen eines Grundprodukts basiert auf
der Bildung von immer kleineren, aber in sich homogenen Marktsegmenten. Es wird
dann für jede Nische eine eigene Produktvariation mit begleitenden Vermarktungsmassnahmen entworfen. Die Produkte sind dadurch zwar näher an den Idealpunkten
einzelner Kunden, aber die Herstellung richtet sich weiterhin nach den Durchschnittsansprüchen einer bestimmten – aber stärker eingeschränkten – Nachfragergruppe.
Man spricht in diesem Zusammenhang von anonymer Variantenfertigung.
Damit die Umrüstkosten und –zeiten der Maschinen bei einer Variantenfertigung
nicht ins uferlose steigen, braucht es ein flexibles Produktionssystem, welches die
effiziente Fertigung von vielen Varianten in kurzer Zeit ermöglicht.
4.1.2 Grundlagen für die Einzelfertigung
Eine Einzelfertigung hebt die Anonymität des Nachfragers auf. Es findet keine Marktsegmentierung statt, sondern die Leistung oder das Produkt werden den Bedürfnissen des Kunden angepasst. Das heisst, dass bereits vor Fertigungsbeginn eine direkte Interaktion zwischen Hersteller und Abnehmer stattfinden muss, um die gewünschten Produktspezifikationen zu erheben. Daraus folgt eine optimale Zusammenstellung von Produkteigenschaften aus Sicht des Käufers.
Individualisiert werden können sowohl Kernprodukte (klassische Einzelfertigung ieS),
wie auch Dienstleistungen (z.B. Schulungen).
Der Produktionsprozess muss individuell geplant und durchgeführt werden und ist
meist in einer Werkstattfertigung organisiert. Die Kennzeichen der Einzelfertigung
sind auftragsbezogene Kalkulation, geringer Vorfertigungsgrad, hohes Flexibilitäts9
bedürfnis in allen Fertigungsstufen und individuelle Erstellung von Fertigungsunterlagen (Stücklisten, Pläne usw.).
4.2 Kosten- und Komplexitätssteigerung
4.2.1 Variantenfertigung
Die Folge von variantenreicher Produktion ist, dass die Komplexität ansteigt. Ursachen und zugleich auch Kenngrössen für die Komplexität sind die Variantenzahl, die
Teile- und Komponentenzahl der Produkte, die Organisationsform der Produktion, die
Kundenstruktur und –anzahl. Der wichtigste Kostentreiber ist dabei die Varietät des
Produktionsprogramms. Empirische Studien haben ergeben, dass bei einer Verdoppelung der Varianten die Kosten um 20-30% stiegen.3
Der Koordinationsbedarf innerhalb der Unternehmung steigt ebenfalls an, da die
Produktion immer häufiger umgestellt werden muss, da es immer mehr Kunden gibt,
die immer kleinere Mengen nachfragen. Das führt zu instabilen Produktionsprozessen mit mehr Rüstzeiten, Stillstands- und Liegezeiten, grösseren Fehlmengen und
zusätzlichen Kosten für die Qualitätssicherung.
Die Kosten der Komplexität können zu Wettbewerbsnachteilen führen. Oft kennen
die Variantenfertiger die genauen Kosten einer Variante nicht. Sie verkaufen diese
zwar zu einem höheren Preis als die Standardprodukte aber unterhalb der tatsächlichen Kosten. Wegen der Quersubventionierung werden die Standardprodukte benachteiligt, da ihre Preise zu hoch sind (vgl. Abb. 2).
Die mangelnde Transparenz der Ursachen und Wirkungen in Sachen Komplexität
führt dazu, dass oft nur die Symptome, nicht aber die Ursachen bekämpft werden.
Unternehmen können in die Komplexitätsfalle geraten (vgl. Abb. 3). So kann Kundenorientierung zu sinkenden Erträgen führen.
3
vgl. Warnecke (1993), S. 194
10
Abb. 2: Benachteiligung der Massenprodukte und zunehmende Variantenvielfalt
Als eine Ursache für die Komplexitätsfalle kann der indirekte Kontakt zu den Kunden
genannt werden. Viele Variantenfertiger behalten dieses wesentliche Merkmal der
Massenproduktion bei. Die Güter werden dann aufgrund von Marktprognosen und
Schätzungen hergestellt. So können die Potentiale des Beziehungsmanagement
nicht genutzt werden, da dieses direkte Interaktion zwischen Kunde und Hersteller
voraussetzt.
Abb. 3: Die Komplexitätsfalle
4.2.2 Einzelfertigung
Die Einzelfertigung zieht ebenso wie die Variantenfertigung im Vergleich zur Massenfertigung zusätzliche Kosten mit sich. Die steigenden Kosten sind auch bei der Ein11
zelfertigung auf eine hohe Komplexität aller Prozesse im Unternehmen zurückzuführen. Da die Losgrösse 1 ist (eine Variante pro Kunde), steigt die Anzahl der zu koordinierenden Arbeiten im Vergleich zur Variantenfertigung nochmals an. Hinzu kommt
noch eine starke Zunahme der Informations- und Kommunikationsintensität. Im Gegensatz zum Variantenfertiger, welcher für den Absatz seiner Güter den Handel
nutzt, muss der Einzelfertiger seine Güter selber absetzten, was sich wiederum auf
die Komplexität auswirkt.
Im Wesentlichen treten bei der Einzelfertigung in folgenden Bereichen Kostennachteile (gegenüber der standardisierten Massenproduktion) auf:
•
Verlorene Effizienzvorteile: Die klassische Massenfertigung ist die effizienteste
Art zu produzieren. Man kann nicht mehr vom Kostendegressionseffekt profitieren. Käufer von kundenspezifischen Produkten können nicht auf bestehendes Wissen über ähnliche Leistungen zurückgreifen.
•
Forschung, Entwicklung, Produktion: Jedes Produkt wird einzeln konstruiert.
Der Entwicklungsaufwand kann für ein einzelnes Produkt gleich hoch sein, wie
bei der Fertigung eines grossen Loses. Dazu kommt noch der Abstimmungsaufwand vor dem eigentlichen Entwicklungsauftrag. F&E-Aktivitäten können
aber auch ausgelagert werden, was dann aber die Koordination mit dem Entwicklungsbüro erhöht.
•
Interaktion mit dem Kunden: Der Kunde wird in den Prozess der Leistungserstellung integriert. Es entstehen Informations- und Kommunikationskosten, die
durch die Erhebung und Spezifikation der Kundenwünsche entstehen. Es entstehen zudem zusätzlich Kosten für die Ausbildung der Mitarbeiter, da das
Vertriebspersonal in der Lager sein muss, die Kundenwünsche richtig zu erfassen und an die Produktion weiterzugeben und die Kunden zu beraten, welche Spezifikationen die Bedürfnisse am besten erfüllen. Die Interaktion mit
dem Kunden ist die Grundlage für Beziehungsmanagement, verursacht aber
auch Kosten, welche bei der Massenfertigung nicht anfallen.
•
Materialwirtschaft und Beschaffung: Bei der Einzelfertigung fallen praktisch
keine Fertigwarenbestände an, da nur auf Bestellung produziert wird. Jedoch
muss, um schnell auf Kundenwünsche reagieren zu können, das Eingangswarenlager ausgebaut werden. Es muss nicht mehr nur ein Material in einer bestimmten Qualität gelagert werden, sondern verschiedene Materialien in verschiedenen Qualitäten. Wenn man eine auftragsspezifische Materialbeschaf12
fung umsetzen kann, dann sinken zwar die Kosten für die Eingangslagerhaltung, aber es steigen damit auch die Kosten des Bestellwesens. Deshalb
kommt es oft zum Aufbau intensiver Kooperationen mit Lieferanten.
•
Produktionsplanung und Fertigung: Die Komplexität der Produktionsprogrammplanung stellt in der Praxis das grösste Problem dar.4 Sie beruht auf
der Bewältigung der Unsicherheit über den Bestellungseingang, der Bereitstellung einer hohen Lieferbereitschaft und Planungsstabilität zur Vermeidung von
Engpässen. Während der Produktion führen häufige Umstellungen zu einer
Zunahme der Wechselkosten (Rüstvorgang, Stillstandszeit). Lerneffekte fallen
ebenfalls zum grössten Teil weg, da Arbeitsschritte weniger oft wiederholt
werden. Die Kosten für die Qualitätskontrolle steigen auch an, da in der Einzelfertigung alle Produkte kontrolliert werden müssen. Dies weil die Bedingungen für eine Stichprobe (stetige Fertigungsbedingungen, standardisiertes Produkt) fehlen.
•
Distribution und After-Sales-Service: Zum Zeitpunkt der Leistungskonfiguration
mit dem Kunden kann der Hersteller noch nicht mit Sicherheit sagen, ob die
Leistung in der gewünschten Form erbringt werden kann. Ebenso sind Lieferzeitpunkt, erreichte Qualität und die Produktionskosten noch unklar. Der Kunde verlangt aber einen genauen Preis, einen festen Liefertermin und eine bestimmte Qualität. Kommt es zu Unterschieden zwischen zugesagter und tatsächlicher Leistung, kann der Kunde Nachbesserungen verlangen. Dieses
Abnahmerisiko gibt es bei standardisierten Produkten nicht. Die Kosten der
Distribution steigen ebenfalls an, da in der Regel ein individueller Transport
zum Kunden notwendig ist (kein Zwischenhandel, der dies übernehmen würde). Wenn man bei der Massenproduktion Schulungen für mehrere Abnehmer
gleichzeitig durchführen kann, ist dies bei der Einzelfertigung kaum möglich.
Bei komplexen Produkten (z.B. im Industriegüterbereich) können zusätzlich
Kosten für die Produktdokumentation anfallen (Bedienungsanleitungen, Materiallisten, Pläne usw.). Ein Individualfertiger steht zudem vor dem Problem,
dass er für jede Produktvariante Ersatzteile vorrätig haben muss. Auch z.B.
Reparaturen sind schwieriger durchzuführen, da jede Variante unterschiedliche Probleme aufwerfen kann.
4
vgl. empirische Studie Akin/Lingnau (1994) in Köster (1998), S. 41
13
4.2.3 Kosten der Integration und Varietät aus Abnehmersicht
Das Verhältnis zwischen Abnehmer und Produzenten kann man bei der Einzelfertigung als Kooperation bezeichnen, die beiden Seiten Nutzen bringt, aber auch von
beiden Inputs benötigt. Diese Kooperation beinhaltet auch einen nicht-monetären
Transfer von Produktionsfaktoren vom Nachfrager zum Anbieter, welcher im Vergleich zur Massenproduktion mit Mehrkosten verbunden ist. Bei den vom Nachfrager
eingebrachten Faktoren handelt es ich in erster Linie um spezifische Informationen
über sich selber, die der Individualisierung dienen. Darüber hinaus kommt es aber oft
zu einer Mitarbeit bei der Problemlösung (gemeinsame Forschungsteams, Beantwortung von Rückfragen während der Produktion, Überwachung und Koordination der
Herstellung durch Mitarbeiter des Abnehmers usw.). Der Abnehmer wird durch die
Verschmelzung der Wertschöpfungsprozesse mit den des Anbieters zum CoProduzenten oder zum Prosumer.
Der Käufer steht vor einer komplexen Kaufentscheidung, da er aus einer Vielzahl von
Varianten auswählen muss. Nicht immer bringt er das nötige Wissen mit, damit er
das Produkt definieren kann und auch Präferenzen für verschieden Produktvarianten
festlegen kann. Vor allem im Konsumgüterbereich fehlt den Käufern dieses Wissen
oft. Dies führt zu einem hohen Zeitaufwand für die Konfiguration des Produktes und
der Käufer ist einer steigenden Unsicherheit ausgesetzt, da die Leistungserstellung
bei Kaufabschluss noch nicht erfolgt ist.
Eine hohe Variantenvielfalt erhöht die Informationskosten des Abnehmers. Ebenfalls
sind die Aufwendungen des Abnehmers im Rahmen der Kooperation schlecht planbar, da er nicht abschätzen kann, wie lange er z.B. bei der Produktdefinition mitwirken muss. Das Kaufrisiko des Abnehmers steigt, da er mit der Aufgabe der Leistungsspezifikation psychisch und auch zeitlich überfordert sein kann.
Es kann auch Qualitätsunsicherheit entstehen, da er die Leistung nicht im Vornherein
überprüfen kann.
Bei der Einbindung von Konsumenten in den Prozess der Leistungsgestaltung sollte
die Intensität der Integration auf ein für ihn wirtschaftlich wie geistig zu bewältigendes
Höchstmass begrenzt werden.
Unternehmen, die ihren Kunden bei der Auswahl aus vielen Varianten durch geeignete Massnahmen helfen, können einen grossen Wettbewerbsvorteil erlangen. Zur
14
Risikominimierung auf der Abnehmerseite tragen Garantien, Informationen und die
Reputation des Anbieters bei.
15
5 Schlussbemerkungen
Viele Hersteller versuchten immer kleiner Verbrauchergruppen mit immer mehr Varianten zu erreichen. Die Kunden blieben aber für die Produktion anonym, was eine
hohe Komplexität zur Folge hatte, ohne dass die Wettbewerbsvorteile der individualisierten Leistungserbringung genutzt werden konnten.
Die Einzelfertigung hat aber noch höhere Komplexitätskosten, als die Variantenfertigung. Daraus ergeben sich noch höhere Herstellkosten und Preise. Hohe Preise wirken sich aber negativ auf die Nachfrage aus, weil viele Abnehmer nicht bereit sind
einen im Vergleich zu einem Massenprodukt deutlich höheren Preis zu bezahlen. Bei
kleinen Umsatzmengen und hohen Stückkosten können Gewinne aber nur durch hohe Preise generiert werden.
Es müssen also Massnahmen getroffen werden, um trotz individueller Leistungserbringung die Potentiale einer massenhaften, standardisierten Produktion zu nutzten.
Um eine angebrachte Reaktion auf die neuen Wettbewerbsbedingungen zu erreichen, müssen die Vorteile der Massenfertigung mit denen der Einzelfertigung kombiniert werden. Hier setzt das Konzept der kundenindividuellen Massenproduktion bzw.
Mass Customization an.
16
Literatur
[Piller 2003] Mass Customization, F.T. Piller, Gabler 2003. Kapitel 6: Kundenspezifische Produktion als Reaktion auf die neuen Wettbewerbsbedingungen, S. 145 - 182
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