Vorlesung 8: Die Wahlen 2015 im Kanton Zürich

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Universität Zürich, FS15
Vorlesung: Wahlforschung in der Theorie und Praxis
Vorlesung 8: Die Wahlen 2015 im
Kanton Zürich
Institut für Politikwissenschaft
Claude Longchamp
© gfs.bern, 24. April 2015
Inhaltsverzeichnis
2
Kapitel 1:
Themenstellung: Wahlanalyse in
Praxis und Theorie
Kapitel 2:
Beobachtungen: Ergebnisse und
Wahlkämpfe
Kapitel 3:
Analysen und Interpretationen
Kapitel 4:
Einordnungen und Prognosen
Kapitel 5:
Thesen
Einige Eigenheiten des Wahlkampfes
Konkrete Wahl als Anlass
•
•
•
3
Beobachtungen
(Was ist?)
Verallgemeinerungen
(Kommt das immer wieder vor?)
Ableitungen
(Warum ist es so?)
Inhaltsverzeichnis
4
Kapitel 1:
Themenstellung: Wahlanalyse in
Praxis und Theorie
Kapitel 2:
Beobachtungen: Ergebnisse und
Wahlkämpfe
Kapitel 3:
Analysen und Interpretationen
Kapitel 4:
Einordnungen und Prognosen
Kapitel 5:
Thesen
Ergebnis der Regierungsratswahlen 2015
Amtliches Ergebnis
5
Mediale Umsetzung
Ergebnis der Kantonsratswahlen 2015
Parteistärken
Sitzstärken
Parteistärken Kanton Zürich im Trend 1991 – 2011
in % Wählende des Kanton Zürich
GPS
35
SP
30
FDP.Die
Liberalen
CVP
25
SVP
GLP
20
BDP
15
EVP
AL
10
EDU
5
SD
LdU
6
2015
2011
2007
2003
1999
1995
1991
0
übrige
Ergebnis Wahlbeteiligung
Beteiligung 2015
Regionale Streuung
in % Wahlberechtigter
teilgenommen
32.7
nicht
teilgenommen
67.3
7
Zwischenbilanz:
Auffälligkeit der Wahlergebnisse
8
•
Top5 setzt sich durch; Korrektur der parteipolitischen
Zusammensetzung, die sich 2011 ergeben hatte. Frauenanteil
wieder steigend.
•
Unbekannt deutlicher Sieg der FDP bei den Kantonsratswahlen,
mit Verlusten vor allem für die Grünen, neu auch für die
Grünliberalen
•
Wahlbeteiligung ist auf tiefem Niveau gesunken.
•
Rechtsentwicklung als zentrale Interpretationslinie,
Bedeutungsverlust der kantonalen Politik kaum thematisiert.
Neuerung 1: Allianzbildung von rechts
Top5
9
Rotgrün
10
Negativkampagnen: Graf oder Steiner
Martin Graf
11
Silvia Steiner
Neuerung 2: Online-Umfrage
12
Schlussmobilisierung zugunsten von Graf
13
Neuerungen 3: Sozial-Irrsinn und TelefonKampagnen
SVP: Sozial-Irrsinn
14
SP: Telefon-Kampagne
Zwischenbilanz:
Einige Eigenheiten des Wahlkampfes
•
Hochgradige Konzentration des medialen und werberischen
Wahlkampfes auf Regierungsratswahlen, Kantonsratswahlen
kantonal eher unwichtig
•
Skandalisierungen denkbarer Wackel-Kandidaturen durch
instrumentelle Aktualisierung, namentlich bei Graf und Steiner
•
Mediale Mobilisierung als Folge von Online-Umfrage in der
Schlussphase
•
Nur SVP- und SP-Kampagnen schaffen es mit einer
(übergeordneten) Botschaft in die überkantonalen
Massenmedien
15
Inhaltsverzeichnis
16
Kapitel 1:
Themenstellung: Wahlanalyse in
Praxis und Theorie
Kapitel 2:
Beobachtungen: Ergebnisse und
Wahlkämpfe
Kapitel 3:
Analysen und Interpretationen
Kapitel 4:
Einordnungen und Prognosen
Kapitel 5:
Thesen
Rückläufige Beteiligung über die Zeit hinweg
• Rückgang der Wahlbeteiligung seit
den 70er Jahren, und zwar auf tiefem
Niveau
• Repolitisierungen vor allem 1987
(Postmaterialismus-Debatte) resp.
2007 (Fragmentierungen) und 2011
(Rezentrierung)
• 2015: keine Fortsetzung der
Repolitisierungen der Bürgerschaft
2011
• Rückgang und punktuelle
Repolitisierungen entsprechen den
hauptsächlichen Trends bei
kantonalen Wahlen
17
Entwicklung der Stimmbeteiligung in der Stadt
Zürich
18
Interpretation: eine übergeordnete Deutung
"Die Kantone haben in den letzten Jahrzehnten viel von ihrer Bedeutung verloren.
Das Schulwesen? Interkantonal koordiniert auf Druck der Eidgenossenschaft. Die
erste Fremdsprache in der Primarschule? Bundesrat Alain Berset droht
einzugreifen, falls sich die Kantone nicht einigen. Die gesamte Umweltpolitik, von
der Abschaffung der Deponien über den Aufbau der Abwasserreinigung bis hin zu
den verursachergerechten Gebühren auf Abfallsäcke. Alles wurde aufgrund von
Bundesgesetzen in den Kantonen eingeführt.
Überspitzt gesagt: Die Kantone wurden in vielen Fragen zu Vollzugsbehörden des
Bundes degradiert. Der emeritierte Staatsrechtler René Rhinow warnte bereits vor
einem Jahr in der ZEIT: "Die Kantone verschwinden in wichtigen Zukunftsfragen
aus dem politischen Scheinwerferlicht."
Geht es um Migranten, Europa oder viele von Volksinitiativen aufgebrachte
Themen, können die 26 Stände zwar ihre Meinung äußern – aber entschieden
wird schließlich auf der nationalen Ebene.
So verschiebt sich die Macht, Stück für Stück, weg von den Kantonen ins Zentrum
nach Bundesbern. Und die Bürgerinnen und Bürger, so scheint es, haben das nun
gemerkt – sie verweigern ihre Stimme."
Matthias Daum, in die Die Zeit, 16.4.2015
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Abduktion (Theorie-Entwicklung)
Wählerwanderungsbilanzen
Voraussetzung sind
absolute Wählerzahlen
20
Berechnung aufgrund der
Wahltagsbefragung
Wählerwanderungen (Kantonsratswahlen)
Demobilisierung/Stabilität zu
2011
Demobilisierung
Polparteien
SVP
GP
SP
EDU
Zentrumsparteien
GLP
FDP
CVP
Stabilität
Kleinparteien
EVP
BDP
AL
21
Verallgemeinerungsfähige
Beobachtung
Die Mobilisierung entscheidet vor
allem über die Stärke der grossen
Parteien an den Polen. Sie
verlieren (gewinnen) aufgrund
rückläufiger (steigender)
Beteiligung mehr als
Zentrumsparteien.
RegierungsratskandidatInnen
beeinflussen vor allem die
Chancen von Kleinparteien. Sie
halten sich mit entsprechenden
Bewerbungen selbst bei
rückläufiger Beteiligung.
Wählerwanderungen (Kantonsratswahlen)
Attraktive Parteien auf
Wählermärkten
FDP
+ GLP, BDP, SVP, (GPS)
- Beteiligung
AL
+ GPS, SP
EVP
+ SP, GPS
- CVP
22
Kaum oder nicht attraktive
Parteien auf Wählermarkten
CVP
+ EVP
- SVP
SP
+ GPS, BDP
- AL, EVP, SVP
BDP
+ GLP
- FDP, SP, SVP
SVP
+ BDP, CVP, SP, GLP
FDP, EDU
GLP
+ GPS
GPS
+ keine
- SP, AL, FDP, GLP, EVP
Zwischenbilanz
Die Wählerwanderungen entsprechen keine dem bekannten Muster
(Polarisierung, neue Mitte) mehr. Eine einfache Typisierung der Wahl
aufgrund der Wählerwanderungen ist nicht angezeigt. Am ehesten
noch kann man von einer Renaissance der FDP/des Liberalismus
ausgeben.
Verallgemeinerungsfähige Beobachtungen
•
Angesichts der Blockbildung kommen lagerübergreifende
Wählerwanderungen kaum vor.
•
Im bürgerlichen Lager gewinnt die FDP Wählende bei Parteien, die
in jüngerer Zeit stark gewachsen sind.
•
Im rotgrünen Lager erwächst der SP und der GPS Konkurrenz
durch die AL.
23
Verortung von Parteiensystemen
24
Deduktion: Kriterien der Personenwahl
Zwei zentrale Kriterien zur Bestimmung von Wahlchancen
1. Amtsinhaber-Bonus ("93% der wieder kandidierenden
Regierungsräte werden wieder gewählt.")
2. Bonus für Kandidatur der Amtsinhaber-Partei.
3. Dauer des Amtes (bei 12 Jahren ist fertig)
Quelle: Milic 2014, Vatter/Milic 2014
25
Partei- und Personenentscheidung
Partei
Bischoff
Fehr, J.
Graf
Fehr, M.
Steiner
Heiniger
Walker
Späh
Stocker
Kägi
SVP
-
-
-
-
x
x
x
x
x
FDP
-
-
-
x
x
x
x
x
x
CVP
-
x
-
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
-
-
GLP
26
GPS
x
x
x
x
-
-
-
-
SP
x
x
x
x
-
-
-
-
-
Analyse von Regierungsratswahlen
Drei zentrale Kriterien zur Bestimmung von Wahlchancen
 1. Amtsinhaber-Bonus ("93% der wieder kandidierenden
Regierungsräte werden wieder gewählt.") –> Fehlleistungen
während Legislatur müssen miteinbezogen werden
 2. Negativ-Kampagnen während Legislatur resp. im Wahlkampf
haben parteispezifische Auswirkungen, vor allem bei
Parteiwählenden, die einem nahestehen können. Bonus für
Kandidatur der Amtsinhaber-Partei  Effekte von Allianzen
müssen miteinbezogen werden
 3. Noch wenig gesichert: Medienpräsenz muss mituntersucht
werden.
27
Inhaltsverzeichnis
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Kapitel 1:
Themenstellung: Wahlanalyse in
Praxis und Theorie
Kapitel 2:
Beobachtungen: Ergebnisse und
Wahlkämpfe
Kapitel 3:
Analysen und Interpretationen
Kapitel 4:
Einordnungen und Prognosen
Kapitel 5:
Thesen
Statistisches Amt/Politan: Prognose für die
Schweiz
Peter Moser (Blog)
29
Politan (Blog)
Eine dynamische Betrachtung
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Inhaltsverzeichnis
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Kapitel 1:
Themenstellung: Wahlanalyse in
Praxis und Theorie
Kapitel 2:
Beobachtungen: Ergebnisse und
Wahlkämpfe
Kapitel 3:
Analysen und Interpretationen
Kapitel 4:
Einordnungen und Prognosen
Kapitel 5:
Thesen
Thesen
1.
Die klassische, politikwissenschaftliche Analyse vernachlässigt die Effekte der
Mobilisierung auf die Parteistärken. Die Beteiligungshöhe beeinflusst vor allem die
Chancen der Polparteien.
2.
Vor allem Kleinparteien können ihre Wahlchancen in den Parlamentswahlen mit
ausgewiesenen Regierungsratskandidaturen beeinflussen.
3.
Lagerübergreifendes Wählen bei Parlamentswahlen bleibt selten. Im bürgerlichen
Lager profitiert die FDP von WählerInnen rasch gewachsener Parteien, im linke
Lager findet eher eine Polarisierung nach links statt.
4.
Die Polarisierungen der 80er und 90er Jahre sind ausgelaufen, eher noch kann
man heute eine Renaissance der FDP/des Liberalismus vermuten.
5.
Allianzen bei Regierungsratswahlen sind nur in der Mitte unwichtig, sonst
entscheidender als der Bisherigen-Status. Negativ-Kampagnen haben selektive
Wirkung, vor allem auf WählerInnen anderer Parteien, die einen wählen könnten.
6.
Aus Zürich einen quantitative einheitlichen Trend für nationalen Wahlen
abzuleiten, ist riskant, denn die Legislatur entwickelte sich schubweise und nicht
einfach in eine Richtung.
32
Repetitionsfragen
2 Fragen
1 Thema
•
Bei welchen Parteien kann im
Rahmen der Wahlen 2015 eher
von Neueinbindungen der
Wählerschaft gesprochen werden,
bei welchen von einer Erosion?
•
•
Inwiefern bestehen Unterschiede
in der nationalen Wahrnehmung
und Wichtigkeit der Wahlkämpfe
unterschiedlicher Parteien und
Lager auf kantonaler Ebene?
33
Erläutern Sie, inwiefern die
Wahlen im Kanton Zürich als
Gradmesser für die nationalen
Wahlen im Herbst dienen können
– und inwiefern diesbezüglich
Schwierigkeiten bestehen
Auf Wiedersehen und danke für Ihre Aufmerksamkeit
www.gfsbern.ch
Claude Longchamp
gfs.bern
Verwaltungsratspräsident und
Institutsleiter gfs.bern
Lehrbeauftragter der Universitäten SG, ZH
und BE
[email protected]
34
Regionale Verteilung
Th. Heiniger (Bestgewählter)
35
J. Fehr (Letztgewählte)
Konfliktlinien nach Lipset/Rokkan (1967) und
Caramani (2008)
Kritische
Schwelle
Industrielle
Revolution
Zeitpunkt
umstrittene Themen und Parteifamilien
Ereignisse
Kapital vs. Arbeit
Staatlich regulierte vs.
freie, durch Märkte
koordinierte industrielle
Produktion, Entstehung
Zauberformel,
Generalstreik 1918
19.
Jahrhundert
Postindustrielle spätes 20.
Revolution
Jahrhundert
36
Konfliktlinie
SPS, FDP, DP, KP,
LP, EVP, Nationale
Front, BGB, LdU,
PdA, Nationale
Aktion
Materialismus
Generationen über
politische Prioritäten:
vs.
Bürgerrechte, Pazifismus,
Postmaterialismus
Feminismus, Umwelt
Grüne Partei;
ökologische Parteien
offene
vs.
geschlossene
Gesellschaft
Protestparteien;
nationalistische
Parteien; extreme
Rechte, neopopulistische Parteien
Globalisierung der
Wirtschaft; Öffnung der
Arbeitsmärkte; Druck
durch Billiglohnländer in
Asien; wirtschaftliche
Integration in Europa; AntiAmerikanismus
Entwicklung längerfristiger Parteibindungen im
Kanton Zürich
Neueinbindungen:
Erosion
Polarisierungen rechts:
SVP: seit den 90er Jahren: Neonationalismus,
mit Höhepunkt 2003, seither stagnierend
EDU: seit 2007; leicht ansteigend
•
•
Polarisierungen links:
GPS: seit den 80er Jahren; Postmaterialismus,
mit Schwankungen
AL: seit 2007; leicht ansteigend
Neuzentrierungen:
GLP: seit 2007; schwankend, vorläufiger
Höhepunkt 2011
BDP: seit 2011, schwankend, vorläufiger
Höhepunkt 2011
37
•
SP: Rückgang seit 2003, vor
allem 2007 stark, seither
stagnierend
FDP: Rückgang seit den 80er
Jahren; 1999 und 2011 starke
Verluste, Trendwende 2015 (?)
CVP: Rückgang vor allem
2011, 2015 stagnierend
Voraussetzung: effektive Amtsdauer in der
Nachkriegszeit gesunken
38
Gibt Zürich den Takt vor?
39
Die rudimentäre politikwissenschaftliche
Analyse
Drei Grundhypothesen:
•
Die Wahl wird durch längerfristige
Parteibindungen entschieden
•
Die Parteienwahl wird durch
SpitzenkandidatInnen
(RegierungsratskandidatInnen)
mit entschieden resp. die Wahl
von SpitzenkandidatInnen
(RegierungsratskandidatInnen) ist
eine Folge von längerfristigen
Parteibindungen
•
Die Parteienwahl wird durch
vorrangige Themen entschieden
resp. die Bewertung von Themen
ist eine Folge längerfristiger
Parteibindung.
40
Zusammensetzung der Zürcher Regierung
nach Partei und Geschlecht
Parteipolitische
Zusammensetzung
Geschlechterzusammensetzung
Daten: Bundesamt für Statistik, Darstellung: Sandro Lüscher (2015)
41
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