MANUSKRIPT WISSENSCHAFT UND BILDUNG IQ Wissenschaft und Forschung - Montag bis Freitag um 18:05 Uhr in Bayern 2 AUFNAHME AM: 06.03.2012 STUDIO: 13 SENDEDATUM: 15.03.2012 TITEL: Autoimmunerkrankungen UNTERTITEL: Wenn sich der Körper selbst zerstört AUTORIN: Dr. Veronika Bräse REDAKTION: Wissenschaft / B2 Wissenschaft u. Bildung PRODUKTION: SPRECHER: Dr. Veronika Bräse TECHNIKERIN: Bernhardette Rüb LÄNGE: 23.26 MUSIK: CD51743001, Stardive, 40 Sekunden C1443990023, Poisoned, 1’10’’ GESPRÄCHSPARTNER: Gabriele Müller, Patientin, diverse Autoimmunerkrankungen, Gaby Müller <[email protected]> Professor Hartmut Wekerle, Direktor der Abteilung Neuroimmunologie am Münchner MaxPlanck-Institut für Neurobiologie, Gabriele Boehlke <[email protected]> Professor Anette-Gabriele Ziegler, Institut für Diabetesforschung am Helmholtz Zentrum München, [email protected], [email protected] Prof. Dr. med. Jochen Seißler, Medizinische Klinik Klinikum Innenstadt der Ludwig-Maximilians-Universität München, [email protected] Prof. Gerhild Wildner, Institut für Immunbiologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, Prof. Dr. Gerhild Wildner <[email protected]> Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz//Mobilfunk max. 42 Cent/Min) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2011 Seite 1 [Musik bis Ende Intro] Sprecher Angriff aufs Gehirn: 150.000 Menschen leiden in Deutschland an Multipler Sklerose, einer chronischen Entzündung des Nervensystems... Sprecherin Angriff auf die Bauchspeicheldrüse: 350.000 Menschen leiden an Typ-1-Diabetes, dem sogenannten jugendlichen Diabetes... Sprecher Angriff auf die Gelenke: 400.000 Menschen leiden an rheumatoider Arthritis, einer Entzündungskrankheit... Autorin Kriegsschauplatz Körper. Der Körper bekämpft sich selbst. Er richtet sich immer öfter gegen sein eigenes Gewebe, löst Entzündungen aus und hört erst damit auf, wenn alles zerstört ist. Multiple Sklerose, Typ-1-Diabetes und Rheuma zählen zu diesen sogenannten Autoimmunerkrankungen. Etwa 60 verschiedene dieser Krankheiten kennen wir heutzutage. Auch Morbus Bechterew gehört zur langen Liste. Hier attackieren Abwehrzellen die Wirbelsäule. Bei Gabriele Müller haben sich im Laufe der Jahre Brust- und Lendenwirbelsäule versteift. Die 58-Jährige kann heute nur noch mit Mühe aufrecht laufen: 0.08 Gabriele Müller: Zuerst habe ich gemerkt, dass ich ganz massive Rückenschmerzen hatte. Ich war damals schwanger mit meinem jüngsten Sohn und habe in der Schwangerschaft ganz massive Probleme im Lendenwirbelbereich gehabt. Und auch immer wieder gedacht, ich hätte Ischias-Probleme. Aber es waren keine Ischias-Probleme, wie sich nachher herausgestellt hat, sondern eben der Morbus Bechterew, der die Kreuzdarmbeingelenke betrifft. Morbus Bechterew geht oft noch mit anderen Autoimmunkrankheiten einher. So ist es auch bei Gabriele Müller. Sie hat zusätzlich noch ein Augenleiden, das sich Uveitis nennt: 1.20 Gabriele Müller: Mit Regenbogenhautentzündung hat das angefangen, die sehr schmerzhaft ist, die habe ich dann gehabt, immer abwechselnd rechts und links alle Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz//Mobilfunk max. 42 Cent/Min) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2011 Seite 2 paar Monate mal; 1994-1997 hatte ich praktisch einen durchgehenden Schub. Abwechselnd rechts links. Der eine kam, der andere ging. Gabriele Müller hat sich daran gewöhnt, viel schlechter zu sehen als früher. Die Konturen verschwimmen, Bordsteinkanten kann sie nur erahnen und so fällt das Laufen schwer. In doppelter Hinsicht: Die Augen machen ihr wegen der Uveitis Probleme, der Rücken schmerzt wegen des Morbus Bechterew. Doch es kommt noch schlimmer: Sie leidet auch noch an Morbus Crohn, einer chronischen Darmentzündung. Ebenfalls eine Autoimmunerkrankung. Auch da geht ihr Körper gegen sich selbst vor. Gabriele Müller vermutet, sie habe eben ein aggressives Immunsystem. Was genau läuft bei ihr und bei so vielen anderen Patienten eigentlich schief? [Trennermusik] Sprecher Was bei Autoimmunkrankheiten im Körper passiert Autorin Das Immunsystem hat eine große Aufgabe: Es muss Erreger, die in den Körper eindringen, bekämpfen. Uns also vor schädlichen Viren, Bakterien oder auch Tumoren schützen. Der erste Schritt ist, dass das Immunsystem erkennen muss, wogegen es sich wehren soll. Wer ist Freund, wer ist Feind? Das sei manchmal gar nicht so einfach, weil sich viele Strukturen sehr ähnlich sehen, erklärt Gerhild Wildner, Professorin für Immunbiologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München: 14.20 Prof. Gerhild Wildner: Das Immunsystem reagiert auf bestimmte Strukturen entweder mit einer Abwehrreaktion oder mit einer Toleranz, also nicht Abwehr, stillhalten oder sogar anderen Zellen beizubringen, still zu halten und es muss eben aufgrund dieser Signale ständig aussortieren, ist das ein eindringender Erreger oder ist das irgendwas, was wir sogar brauchen, wogegen wir stillhalten sollen oder eine Toleranz auslösen. Das heranreifende Immunsystem des Kleinkinds lernt nach und nach, richtig zu unterscheiden. Aber manchmal passieren eben auch Fehler. Dann meint das Immunsystem, zum Beispiel gegen bestimmte Eiweiße vorgehen zu müssen, obwohl es sich um harmlose körpereigene Zellen handelt. Dann rücken sie an, die weißen Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz//Mobilfunk max. 42 Cent/Min) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2011 Seite 3 Blutkörperchen, die als Polizei im Körper gelten. Zu ihrem Trupp gehören die sogenannten T-Lymphozyten, die auch bei der Augenkrankheit Uveitis einiges anrichten können: 1.35 Prof. Gerhild Wildner: Die T-Lymphozyten glauben wahrscheinlich, dass das, was sie im Auge sehen, zu irgend einem Krankheitserreger oder einem fremden Eindringling gehört und versuchen dann das Gewebe im Auge irrtümlicherweise abzuwehren. Die T-Lymphotzyten, oder auch kurz T-Zellen genannt, tun sich mit Entzündungszellen zusammen. Sie meinen, sie würden etwas Gutes tun, wenn sie die vermeintlichen Erreger im Auge ausmerzen. So entzündet sich auch die Regenbogenhaut. Mit schlimmen Folgen, sagt Gabriele Müller, die an einem bestimmten Uveitis-Typ leidet, der „vorderen Uveitis“: 16.38 Gabriele Müller: Bei der vorderen Uveitis verklebt die Linse mit der Regenbogenhaut. Das ist bei mir passiert bei dem rechten Auge ist das noch ganz massiv, da öffnet und schließt sich zum Beispiel die Pupille nicht mehr. Sie steht also immer gleich, egal ob es hell ist oder dunkel ist. Das als Beispiel. Wenn es draußen hell ist, schließt die Pupille nicht und verursacht Augenschmerzen. Ohne Sonnenbrille kann Gabriele Müller fast gar nicht mehr vor die Tür treten: 12.52 Gabriele Müller: Dann verschwimmt alles oder je nachdem, wie hell die Sonne ist, ist nur hell. Dann ist nichts mehr da, dann ist nur noch hell. Ihr Körper spielt schon seit vielen Jahren verrückt. Je nachdem, welche Moleküle fälschlicherweise als Erreger erkannt werden, können sich Autoimmunreaktionen im Prinzip gegen jedes Organ im Körper richten. Experten nennen das Fehlverhalten eine „überschießende Reaktion des Immunsystems“. Diese Formulierung kennen auch Allergiker. Auch bei ihnen schießt das Immunsystem über das Ziel hinaus, greift harmlose Dinge an und reagiert so heftig, dass sie daran leiden: 3.14 Prof. Gerhild Wildner: Wir haben verschiedene T-Helferzelltypen; die Allergien werden überwiegend ausgelöst von den T-Helfer-2-Zellen, während die meisten Autoimmunerkrankungen ausgelöst werden von T-Helfer-1 oder T-Helfer-17 Zellen. Wenn Mediziner gegen diese aggressiven Reaktionen des Immunystems etwas ausrichten wollen, müssen sie das Problem bei der Wurzel packen. Aber die Suche nach den Gründen, warum Patienten an Immunkrankheiten leiden, ist schwierig. Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz//Mobilfunk max. 42 Cent/Min) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2011 Seite 4 [Trennermusik] Sprecher Welche Ursachen Autoimmunerkrankungen haben können Autorin Trotz intensiver Forschung: DIE Ursache für Autoimmunerkrankungen hat noch keiner gefunden. Die meisten Forscher gehen davon aus, dass Patienten von Geburt an eine gewisse Anfälligkeit dafür mitbringen. Das heißt nicht, dass sie die Krankheit direkt von ihren Eltern geerbt haben müssen. Oft ist es einfach so, dass Gene sozusagen „zufällig“ ungünstig zusammengewürfelt wurden: 42.00 Prof. Gerhild Wildner: Genetische Prädispositionen, die gibt es ganz sicher, dass vielleicht irgendwelche Immundefekte dahinter stecken, dass man eine bestimmte Immunantwort bevorzugt macht als Patient oder eine Immunantwort, die irgendwas abbremsen soll, nicht gut macht oder gar nicht macht und dagegen ist natürlich schwer anzukommen. Zusätzlich zur genetischen Vorbelastung muss auch noch ein aktueller Auslöser dazu kommen. Infektionen mit bestimmten Viren könnten das sein. Sie rufen vermutlich die Abwehrzellen des Immunsystems auf den Plan, die dann irrtümlich gegen körpereigene Strukturen vorgehen. Aber erwiesen ist das noch nicht: 10.00 Prof. Gerhild Wildner: Eine andere Möglichkeit ist auch, die wir selbst gezeigt haben, dass vielleicht eine unglückliche Reaktion auf bestimmte Nahrungseiweiße zu einer Verwechslung führen kann; ein beliebter Verdächtiger ist immer die Kuhmilch; wir sind ja die einzige Spezies, die auch als Erwachsene Muttermilch von anderen Tierarten zu sich nimmt und unser Immunsystem ist eigentlich darauf nicht ausgelegt. So dass es z.B. häufig Allergien gibt gegen Kuhmilcheiweiße, aber man hat auch schon häufig Kuhmilchbestandteile verdächtigt, Auslöser zu sein für Autoimmunerkrankungen. Nicht nur die Kuhmilch könnte es sein, vielleicht sind es noch weitere Bestandteile unserer Nahrung, die Autoimmunerkrankungen auslösen. Das vermutet Hartmut Wekerle, Direktor der Abteilung Neuroimmunologie am Münchner Max-Planck-Institut für Neurobiologie. Er beschäftigt sich mit Multiple Sklerose, kurz MS, und stellt fest, dass diese Krankheit immer häufiger auftritt. Und zwar sogar in einem Land wie Japan, Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz//Mobilfunk max. 42 Cent/Min) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2011 Seite 5 wo es vor 20 Jahren noch kaum MS-Fälle gab. Wekerle glaubt, dass der westliche Lebensstil daran schuld sein könnte: 15.00 Prof. Hartmut Wekerle: Wie wir ja alle wissen, war die japanische Ernährung klassischer Weise relativ fettarm und recht wenig Fleisch. Das hat sich sehr verändert, die Mac Donald artige Ernährung hat sich ja auch in Japan besonders bei der jungen Generation durchgesetzt. Und man spekuliert, dass möglicherweise Ernährungsveränderungen, eine Veränderung der Darmflora mit sich gebracht hat und diese Veränderung der Darmflora könnte durchaus etwas mit dem erhöhten Krankheitsrisiko zu tun haben. Auch das Rauchen wird immer wieder als ein möglicher Auslöser ins Feld geführt. Eine norwegische Studie kommt sogar zu dem Ergebnis, rauchen verdopple das Risiko an Multiple Sklerose zu erkranken. Andere Wissenschaftler gehen der Frage nach, ob sich ein Vitaminmangel negativ auswirkt. Sie konzentrieren sich dabei insbesondere auf das Vitamin D, das der Körper übers Sonnenlicht bildet. Denn es fällt auf, dass Menschen, die nahe am Äquator leben weniger von Autoimmunkrankheiten betroffen sind als Menschen in unseren Breiten. Anette Ziegler leitet in München das Institut für Diabetesforschung am Helmholtz Zentrum. Sie ist noch einem anderen, möglichen Krankmacher auf der Spur: dem Stress. Bei Jugendlichen, die an Typ-1-Diabetes leiden, fragt sie nach deren genauen Lebensumständen: 13.50 Prof. Anette Ziegler: Kortison ist ja ein Hormon, das bei Stress ausgeschüttet wird und was durchaus auch eine Wirkung auf das Immunsystem hat und so ganz abwegig ist es nicht, dass auch solche Faktoren bei Krankheitsentstehung eine Rolle spielen können. Doch noch ist alles Spekulation. Vermutlich spielen mehrere Faktoren zusammen, die bei jedem Patienten ganz individuell eine Autoimmunerkrankung auslösen. [Trennermusik] Sprecher Wann und bei wem die verschiedenen Krankheiten ausbrechen können Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz//Mobilfunk max. 42 Cent/Min) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2011 Seite 6 Autorin Bei Typ-1-Diabetes, dem sogenannten jugendlichen Diabetes, ist der Zeitpunkt schon im Namen verankert: Vor allem Kinder und Jugendliche sind davon betroffen. Anette Ziegler und ihr Team begleiten seit 20 Jahren viele Tausend Neugeborene in ihrer Entwicklung - und das weltweit. Es hat sich herausgestellt, dass es im Wesentlichen zwei Zeitpunkte gibt, zu denen die Krankheit ausbricht: Entweder bei etwa zweijährigen Kleinkindern oder im Teenager-Alter. Nach Gründen für diese zwei „empfänglichen Phasen“, wie Anette Ziegler sie nennt, fahndet sie noch. Ein weiteres wichtiges Ergebnis ihrer Forschungen ist, dass die Krankheit immer schneller ausbricht: 10.20 Prof. Anette Ziegler: Der Zeitpunkt von Antikörper bis zur Manifestation des Diabetes wird immer kürzer. Und das lässt natürlich auch vermuten, dass Umweltfaktoren, die jetzt auf diese Zeit oder auf diese Progression der Erkrankung einwirken, möglicherweise über die letzten Jahrzehnte zugenommen haben. „Umweltfaktoren“ sind ein weites und diffuses Feld. Sie reichen von veränderten Lebensgewohnheiten, über Umweltgifte bis hin zu höheren Strahlenbelastungen. Also läßt sich auch hier nichts Genaues sagen, warum Typ-1-Diabetes schneller ausbricht als früher. Bei der Augenkrankheit Uveitis lassen sich solche Beschleunigungstendenzen nicht beobachten. Auch das Alter ist nicht so klar festgelegt wie bei Typ-1-Diabetes, sagt Gerhild Wildner: 33.35 Prof. Gerhild Wildner: Es gibt bestimmte Uveitis-Formen, die in bestimmten Phasen des Lebens auftreten, z.B. bei kleinen Kindern kommt eine bestimmte Form der Uveitis vor, die häufig mit bestimmten Arthritis-Formen vergesellschaftet ist, aber im Allgemeinen kann Uveitis in jedem Lebensalter auftreten. So ist es auch mit der Multiplen Sklerose. Hartmut Wekerle kann auch bei MS keine so klar definierten „empfänglichen Phasen“ ausloten: 21.30 Prof. Hartmut Wekerle: Die Multiple Sklerose ist nur sehr sehr selten bei Kindern zu diagnostizieren. Es ist eine typische Erkrankung junger Erwachsener. 20, 30, 40 Jahre sind typische erstdiagnostische Altersgruppen. Jede Autoimmunerkrankung verläuft also anders und trifft die Menschen unterschiedlichsten Alters. Was aber bei der Mehrzahl dieser Krankheiten auffällt: Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz//Mobilfunk max. 42 Cent/Min) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2011 Seite 7 Frauen sind grundsätzlich öfter betroffen als Männer. Das gilt auch für Multiple Sklerose: 17.23 Prof. Hartmut Wekerle: Es gibt einen deutlichen Geschlechtsunterschied: Frauen haben ein größeres Risiko an MS zu erkranken als Männer, vielleicht sogar eins zu zwei und auch ganz interessant, während einer Schwangerschaft findet man deutliche Unterschiede. Das Risiko an MS entweder erstmals zu erkranken oder einen Krankheitsschub zu erleiden, ist während der Schwangerschaft deutlich verringert. Aber leider leider, das Risiko kommt zurück nach der Geburt. Auch die rheumatoide Arthritis tritt bei Frauen viel häufiger auf: etwa sechs Mal so oft wie bei Männern. Von der Schilddrüsenkrankheit Hashimoto sind Frauen sogar 10 Mal häufiger betroffen. Dagegen ereilt die Darmkrankheit Collitis Ulcerosa vor allem junge Männer zwischen 25 und 30 Jahren. Auch das Rückenleiden Morbus Bechterew, an dem Gabriele Müller erkrankt ist, gehört zu den wenigen Autoimmunerkrankungen, an der eigentlich häufiger Männer leiden als Frauen: 0.08 Gabriele Müller: Weil der Bechterew in meiner Familie auch bekannt ist, habe ich natürlich da drauf gepocht, dass die Untersuchung gemacht wurde; damals war die Prognose immer 30 zu 70 Prozent, dass Männer das haben und nicht Frauen und ich habe dann da drauf gedrängt, dass diese Untersuchung gemacht wurde; da hat man festgestellt, es ist Bechterew. Die geschlechterspezifischen Unterschiede bei den einzelnen Krankheiten zeigen, dass vielleicht auch Hormone eine wichtige Rolle spielen. Handfeste Forschungsergebnisse, in welcher Weise Hormone ins Krankheitsgeschehen eingreifen, gibt es aber noch nicht. [Trennermusik] Sprecher Therapieansätze bei Typ-1-Diabetes, dem sogenannten jugendlichen Diabetes Autorin Viele wissen gar nicht, dass Typ-1-Diabetes auch zu den Autoimmunerkrankungen zählt. Warum jemand diesen Diabetestyp bekommt, bleibt meist unklar. Anders bei Typ- Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz//Mobilfunk max. 42 Cent/Min) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2011 Seite 8 2- Diabetes: Hier ist es oft das Übergewicht, das die Erkrankung auslöst. Mit gesünderer Ernährung und mehr Bewegung lässt sich gegensteuern. Beim „jugendlichen Diabetes“ aber ist es schwierig, mit Therapien anzusetzen. Grundsätzlich besteht bei allen überschießenden Immunreaktionen die Möglichkeit, das Immunsystem mit Medikamenten zu bremsen. Gabriele Müller kennt diese sogenannten Immunsuppressiva nur zu gut: 5.00 Gabriele Müller: Ich hatte zwar Angst vor diesen Medikamenten, ich habe immer noch Angst davor, ich muss mir ein Mal im Monat eine Spritze geben in die Bauchdecke, ich habe nicht Angst vor der Spritze, ich habe Angst vor den Nebenwirkungen, was da auf mich zukommt. Ich denke mir aber, wenn die Nebenwirkungen in 20 Jahren auftreten, dann bin ich 78, dann ist mir das auch egal. Beim jugendlichen Diabetes scheiden Immunsuppressiva wegen ihrer möglichen Nebenwirkungen meist aus. Die möchte man bei Kindern und Jugendlichen vermeiden. Besser wäre es ohnehin, das Immunsystem nicht zu unterdrücken, sondern so zu verändern, dass es nicht mehr falsch reagiert. Das lässt sich in Zukunft vielleicht durch eine Impfung gegen Typ-1-Diabetes erreichen. Erste Untersuchungen in den USA zeigen, dass die Methode wirkt: Geringe Mengen Insulin haben bei kleinen Typ-1Diabetes Patienten dazu geführt, dass das Immunsystem keine zerstörerischen Antikörper mehr bildet. Anette Ziegler möchte nun auch in Deutschland eine Studie mit 40 Kindern durchführen: 23.00 Prof. Anette Ziegler: Der Vorteil ist natürlich, dass so ein Medikament in der Regel sehr gut verträglich ist und das Immunsystem nicht allgemein unterdrückt und die Nebenwirkungsrate sehr viel geringer ist. Aber wir wissen noch nicht, ob wir erfolgreich sind mit diesem Ansatz. Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Jochen Seißler, der an der Ludwig-MaximiliansUniversität gerade Forschungen an Mäusen macht. Bei den Nagern ist es ihm gelungen, Typ-1-Diabetes zu heilen. Und zwar, indem er gesunde Schweinezellen in die Bauspeicheldrüse einpflanzt. Sie können dann wieder Insulin produzieren. Allerdings hätten Menschen bei der Transplantation von Schweinezellen massive AbstoßungsReaktionen. Also hat sich Seißler etwas einfallen lassen: Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz//Mobilfunk max. 42 Cent/Min) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2011 Seite 9 7.15 Prof. Jochen Seißler: Deshalb muss man da einen Trick anwenden und der Trick ist, dass wir in diese Schweinezellen ein menschliches Molekül eingebaut haben, welches die Immunabwehr reduziert und dann in der Transplantation dieses Molekül dazu führt, dass die Immunzellen des Körper das weniger gut erkennen, das weniger schnell angreifen; und unsere Hoffnung ist, dass es dann in einigen Jahren, wenn man Versuche beim Menschen machen kann, es eben dazu führt, dass man die Zellen transplantieren kann ohne dass man die nebenwirkungsstarken Immunsuppressiva einsetzen muss. Der Trick mit dem eingebauten Molekül scheint zu klappen. Jedenfalls haben zuckerkranke Mäuse, die diese Zellen eingesetzt bekommen, auf einmal wieder ganz normale Blutzuckerwerte, sind also wieder gesund: 11.15 Prof. Jochen Seißler : Wir hoffen, unser Plan wäre, wenn das alles gut geht, dass man vielleicht in 4-5 Jahren die ersten Versuche zur Transplantation bei Typ 1 Diabetikern durchführen kann. [Trennermusik] Sprecher Therapieansätze bei Multipler Sklerose Autorin Multiple Sklerose löst unter den vielen Autoimmunerkrankungen vermutlich den größten Schrecken aus. Jeder hat schon von den Krankheitsschüben bei MS gehört, die schlimmstenfalls im Rollstuhl enden. Auch bei dieser Krankheit kommen oft Medikamente zum Einsatz, die auf das Immunsystem einwirken. Das verschafft den Patienten oft lange, relativ beschwerdefreie Zeiten. Aber geheilt werden sie dadurch nicht. Deshalb möchten Hartmut Wekerle und sein Team eingreifen bevor aggressive TZellen ins Gehirn eintreten und dort Schaden anrichten, also Entzündungen schüren: 31.27 Prof. Hartmut Wekerle: Je mehr wir darüber wissen, um so größer wird die Hoffnung, eine Therapie zu entwerfen, welche wirkt bevor das Hirn überhaupt erst erreicht wird. Also, eine Abfangtherapie. Früh eingreifen, bevor das Hirn betroffen ist. Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz//Mobilfunk max. 42 Cent/Min) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2011 Seite 10 Früh eingreifen, das heißt für Wekerle und andere Autoimmunforscher auch: Die Vorgänge im Darm verstehen. Denn der Darm ist unser Immunsystem. Dort prüft unser Körper alles, was wir aufnehmen und reagiert darauf. Nahrung beispielsweise wird als nützlich erkannt und von den Darmbakterien zerkleinert und unserem Körper als Energiequelle zugeführt. Schädliche Erreger werden im besten Fall gleich abgewehrt und ausgeschieden. Ein ausgeklügeltes System, das aber auch anfällig ist für Fehler: 8.28 Prof. Hartmut Wekerle: Nun zeigt es sich in Tierexperimenten, dass unsere nützlichen Bakterien im Darm, allerdings unter ganz bestimmten Bedingungen auch eine gewisse Gefahr darstellen können. Dass sie nämlich die vorvorhandenen autoimmunen T-Lymphozyten, die ja lebenslang normalerweise schlafen in unserem Immunsystem, dass sie diese aktivieren können. Dass also überraschender Weise der Darmbereich der Auslöser für eine entfernte Hirnerkrankung sein kann. Deshalb muss eine „Abfangtherapie“ schon im Darm ansetzen. Bis das beim Menschen gelingt, werden wohl noch einige Jahre vergehen. [Trennermusik] Sprecher Therapieansätze bei der Augenkrankheit Uveitis Autorin Auch bei der Augenkrankheit Uveitis kommt der Darm als Zentrum unseres Immunsystems ins Spiel. Im Tierversuch bekommen Ratten, die an Uveitis leiden, genau das Eiweißstückchen immer wieder zu fressen, gegen das sich der Körper wehrt. Es ist ein Protein, das im Auge vorkommt. Mit der Zeit wird die Immunreaktion bei den Ratten schwächer. Der Körper fängt an, das vermeintlich gefährliche Eiweiß, das er nun über die Nahrung bekommt, zu tolerieren. Experten nennen das „orale Toleranz“. Der Vorgang, das Eiweißstückchen zu essen und das Immunsystem daran zu gewöhnen, ließe sich natürlich auf Menschen übertragen. Gerhild Wildner hat aber Angst vor den Risiken: Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz//Mobilfunk max. 42 Cent/Min) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2011 Seite 11 20.55 Prof. Gerhild Wildner: Das Gefährliche ist, sollte die Toleranz gegen das Eiweißstückchen aus dem Auge mal nicht funktionieren, würden wir ja eher dann eine Uveitis auslösen und die Krankheit verschlechtern. Also bedient sich Wildner eines Tricks: Sie gibt den Patienten nicht genau das Eiweißstückchen, das im Auge vorkommt. Sondern sie gibt eines, das sehr ähnlich aussieht und von dem man weiß, dass es harmlos ist, weil es auf vielen körpereigenen Strukturen verbreitet ist. Der Körper lässt sich von diesem Manöver täuschen. Es entsteht wirklich die gewünschte Toleranz, aber keine Augenentzündung: 37.50 Prof. Gerhild Wildner: Wir haben vor über 10 Jahren hier die ersten Patienten behandelt, es haben sogar zwei Patienten seither keine Uveitis-Schübe mehr entwickelt und alle Patienten konnten entweder während dieser Therapie oder danach ihr Cortison reduzieren, das sie brauchen für die Entzündungsreduktion, und es hatte eine kleine nachhaltige Wirkung, aber irgendwann nach ein paar Jahren kam bei den Meisten die Uveitis zurück. Also schafft die „orale Toleranz“ bisher nur Aufschub, aber noch keine Heilung. Deswegen wird weiter daran geforscht. In den USA läuft gerade eine kontrollierte Patientenstudie mit genau diesem Eiweißstück, das Wilder gefunden hat. Die BiotechFirma möchte daraus ein wirksames Medikament gegen Uveitis entwickeln: 42.25 Prof. Gerhild Wildner: Der Traum ist natürlich, dass man es schafft, was wir auch mit unserem Ansatz erhoffen, dass man Oft ist es einfach so, dass Gene sozusagen „zufällig“ ungünstig zusammengewürfelt wurden: Gabriele Müller sehnt sich nach dieser Ruhe. Momentan geht es ganz gut mit ihren Augen. Sie hat keine akuten Schübe. Wenn sie Stress vermeidet, hat sie auch mit ihrer Darmkrankheit Morbus Crohn wenig Probleme. Außerdem macht sie viel Gymnastik, um ihrem steifen Rücken entgegenzuarbeiten. Sie weiß, dass es momentan noch keine Heilung für all ihre Autoimmunerkrankungen gibt, aber sie versucht, das Beste daraus zu machen: 21.20 Gabriele Müller: Ich bin eigentlich ein positiver Mensch, bin sehr optimistisch und (...). 18.20 Gabriele Müller: deshalb habe ich eigentlich keine Angst, dass da noch irgendwas kommt. Es reicht ja auch erst mal. Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz//Mobilfunk max. 42 Cent/Min) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de -stopp- Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2011 Seite 12