Bayern 2 Vorlage - Bayerischer Rundfunk

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MANUSKRIPT
WISSENSCHAFT UND BILDUNG
IQ Wissenschaft und Forschung - Montag bis Freitag um 18:05 Uhr in Bayern 2
AUFNAHME AM: 06.03.2012
STUDIO: 13
SENDEDATUM: 15.03.2012
TITEL: Autoimmunerkrankungen
UNTERTITEL: Wenn sich der Körper selbst zerstört
AUTORIN: Dr. Veronika Bräse
REDAKTION: Wissenschaft
/ B2 Wissenschaft u. Bildung
PRODUKTION:
SPRECHER: Dr. Veronika Bräse
TECHNIKERIN: Bernhardette Rüb
LÄNGE: 23.26
MUSIK: CD51743001, Stardive, 40 Sekunden
C1443990023, Poisoned, 1’10’’
GESPRÄCHSPARTNER:
Gabriele Müller, Patientin, diverse Autoimmunerkrankungen, Gaby Müller
<[email protected]>
Professor Hartmut Wekerle, Direktor der Abteilung Neuroimmunologie am Münchner MaxPlanck-Institut für Neurobiologie, Gabriele Boehlke <[email protected]>
Professor Anette-Gabriele Ziegler, Institut für Diabetesforschung am Helmholtz Zentrum
München, [email protected], [email protected]
Prof. Dr. med. Jochen Seißler, Medizinische Klinik Klinikum Innenstadt
der Ludwig-Maximilians-Universität München, [email protected]
Prof. Gerhild Wildner, Institut für Immunbiologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in
München, Prof. Dr. Gerhild Wildner <[email protected]>
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Seite 1
[Musik bis Ende Intro]
Sprecher
Angriff aufs Gehirn: 150.000 Menschen leiden in Deutschland an Multipler Sklerose,
einer chronischen Entzündung des Nervensystems...
Sprecherin
Angriff auf die Bauchspeicheldrüse: 350.000 Menschen leiden an Typ-1-Diabetes, dem
sogenannten jugendlichen Diabetes...
Sprecher
Angriff auf die Gelenke: 400.000 Menschen leiden an rheumatoider Arthritis, einer
Entzündungskrankheit...
Autorin
Kriegsschauplatz Körper. Der Körper bekämpft sich selbst. Er richtet sich immer öfter
gegen sein eigenes Gewebe, löst Entzündungen aus und hört erst damit auf, wenn
alles zerstört ist. Multiple Sklerose, Typ-1-Diabetes und Rheuma zählen zu diesen
sogenannten Autoimmunerkrankungen. Etwa 60 verschiedene dieser Krankheiten
kennen wir heutzutage. Auch Morbus Bechterew gehört zur langen Liste. Hier
attackieren Abwehrzellen die Wirbelsäule. Bei Gabriele Müller haben sich im Laufe der
Jahre Brust- und Lendenwirbelsäule versteift. Die 58-Jährige kann heute nur noch mit
Mühe aufrecht laufen:
0.08 Gabriele Müller: Zuerst habe ich gemerkt, dass ich ganz massive
Rückenschmerzen hatte. Ich war damals schwanger mit meinem jüngsten Sohn und
habe in der Schwangerschaft ganz massive Probleme im Lendenwirbelbereich gehabt.
Und auch immer wieder gedacht, ich hätte Ischias-Probleme. Aber es waren keine
Ischias-Probleme, wie sich nachher herausgestellt hat, sondern eben der Morbus
Bechterew, der die Kreuzdarmbeingelenke betrifft.
Morbus Bechterew geht oft noch mit anderen Autoimmunkrankheiten einher. So ist es
auch bei Gabriele Müller. Sie hat zusätzlich noch ein Augenleiden, das sich Uveitis
nennt:
1.20 Gabriele Müller: Mit Regenbogenhautentzündung hat das angefangen, die sehr
schmerzhaft ist, die habe ich dann gehabt, immer abwechselnd rechts und links alle
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paar Monate mal; 1994-1997 hatte ich praktisch einen durchgehenden Schub.
Abwechselnd rechts links. Der eine kam, der andere ging.
Gabriele Müller hat sich daran gewöhnt, viel schlechter zu sehen als früher. Die
Konturen verschwimmen, Bordsteinkanten kann sie nur erahnen und so fällt das Laufen
schwer. In doppelter Hinsicht: Die Augen machen ihr wegen der Uveitis Probleme, der
Rücken schmerzt wegen des Morbus Bechterew. Doch es kommt noch schlimmer: Sie
leidet auch noch an Morbus Crohn, einer chronischen Darmentzündung. Ebenfalls eine
Autoimmunerkrankung. Auch da geht ihr Körper gegen sich selbst vor. Gabriele Müller
vermutet, sie habe eben ein aggressives Immunsystem. Was genau läuft bei ihr und bei
so vielen anderen Patienten eigentlich schief?
[Trennermusik]
Sprecher
Was bei Autoimmunkrankheiten im Körper passiert
Autorin
Das Immunsystem hat eine große Aufgabe: Es muss Erreger, die in den Körper
eindringen, bekämpfen. Uns also vor schädlichen Viren, Bakterien oder auch Tumoren
schützen. Der erste Schritt ist, dass das Immunsystem erkennen muss, wogegen es
sich wehren soll. Wer ist Freund, wer ist Feind? Das sei manchmal gar nicht so einfach,
weil sich viele Strukturen sehr ähnlich sehen, erklärt Gerhild Wildner, Professorin für
Immunbiologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München:
14.20 Prof. Gerhild Wildner: Das Immunsystem reagiert auf bestimmte Strukturen
entweder mit einer Abwehrreaktion oder mit einer Toleranz, also nicht Abwehr,
stillhalten oder sogar anderen Zellen beizubringen, still zu halten und es muss eben
aufgrund dieser Signale ständig aussortieren, ist das ein eindringender Erreger oder ist
das irgendwas, was wir sogar brauchen, wogegen wir stillhalten sollen oder eine
Toleranz auslösen.
Das heranreifende Immunsystem des Kleinkinds lernt nach und nach, richtig zu
unterscheiden. Aber manchmal passieren eben auch Fehler. Dann meint das
Immunsystem, zum Beispiel gegen bestimmte Eiweiße vorgehen zu müssen, obwohl es
sich um harmlose körpereigene Zellen handelt. Dann rücken sie an, die weißen
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Seite 3
Blutkörperchen, die als Polizei im Körper gelten. Zu ihrem Trupp gehören die
sogenannten T-Lymphozyten, die auch bei der Augenkrankheit Uveitis einiges
anrichten können:
1.35 Prof. Gerhild Wildner: Die T-Lymphozyten glauben wahrscheinlich, dass das, was
sie im Auge sehen, zu irgend einem Krankheitserreger oder einem fremden Eindringling
gehört und versuchen dann das Gewebe im Auge irrtümlicherweise abzuwehren.
Die T-Lymphotzyten, oder auch kurz T-Zellen genannt, tun sich mit Entzündungszellen
zusammen. Sie meinen, sie würden etwas Gutes tun, wenn sie die vermeintlichen
Erreger im Auge ausmerzen. So entzündet sich auch die Regenbogenhaut. Mit
schlimmen Folgen, sagt Gabriele Müller, die an einem bestimmten Uveitis-Typ leidet,
der „vorderen Uveitis“:
16.38 Gabriele Müller: Bei der vorderen Uveitis verklebt die Linse mit der
Regenbogenhaut. Das ist bei mir passiert bei dem rechten Auge ist das noch ganz
massiv, da öffnet und schließt sich zum Beispiel die Pupille nicht mehr. Sie steht also
immer gleich, egal ob es hell ist oder dunkel ist. Das als Beispiel.
Wenn es draußen hell ist, schließt die Pupille nicht und verursacht Augenschmerzen.
Ohne Sonnenbrille kann Gabriele Müller fast gar nicht mehr vor die Tür treten:
12.52 Gabriele Müller: Dann verschwimmt alles oder je nachdem, wie hell die Sonne ist,
ist nur hell. Dann ist nichts mehr da, dann ist nur noch hell.
Ihr Körper spielt schon seit vielen Jahren verrückt. Je nachdem, welche Moleküle
fälschlicherweise als Erreger erkannt werden, können sich Autoimmunreaktionen im
Prinzip gegen jedes Organ im Körper richten. Experten nennen das Fehlverhalten eine
„überschießende Reaktion des Immunsystems“. Diese Formulierung kennen auch
Allergiker. Auch bei ihnen schießt das Immunsystem über das Ziel hinaus, greift
harmlose Dinge an und reagiert so heftig, dass sie daran leiden:
3.14 Prof. Gerhild Wildner: Wir haben verschiedene T-Helferzelltypen; die Allergien
werden überwiegend ausgelöst von den T-Helfer-2-Zellen, während die meisten
Autoimmunerkrankungen ausgelöst werden von T-Helfer-1 oder T-Helfer-17 Zellen.
Wenn Mediziner gegen diese aggressiven Reaktionen des Immunystems etwas
ausrichten wollen, müssen sie das Problem bei der Wurzel packen. Aber die Suche
nach den Gründen, warum Patienten an Immunkrankheiten leiden, ist schwierig.
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Seite 4
[Trennermusik]
Sprecher
Welche Ursachen Autoimmunerkrankungen haben können
Autorin
Trotz intensiver Forschung: DIE Ursache für Autoimmunerkrankungen hat noch keiner
gefunden. Die meisten Forscher gehen davon aus, dass Patienten von Geburt an eine
gewisse Anfälligkeit dafür mitbringen. Das heißt nicht, dass sie die Krankheit direkt von
ihren Eltern geerbt haben müssen. Oft ist es einfach so, dass Gene sozusagen
„zufällig“ ungünstig zusammengewürfelt wurden:
42.00 Prof. Gerhild Wildner: Genetische Prädispositionen, die gibt es ganz sicher, dass
vielleicht irgendwelche Immundefekte dahinter stecken, dass man eine bestimmte
Immunantwort bevorzugt macht als Patient oder eine Immunantwort, die irgendwas
abbremsen soll, nicht gut macht oder gar nicht macht und dagegen ist natürlich schwer
anzukommen.
Zusätzlich zur genetischen Vorbelastung muss auch noch ein aktueller Auslöser dazu
kommen. Infektionen mit bestimmten Viren könnten das sein. Sie rufen vermutlich die
Abwehrzellen des Immunsystems auf den Plan, die dann irrtümlich gegen körpereigene
Strukturen vorgehen. Aber erwiesen ist das noch nicht:
10.00 Prof. Gerhild Wildner: Eine andere Möglichkeit ist auch, die wir selbst gezeigt
haben, dass vielleicht eine unglückliche Reaktion auf bestimmte Nahrungseiweiße zu
einer Verwechslung führen kann; ein beliebter Verdächtiger ist immer die Kuhmilch; wir
sind ja die einzige Spezies, die auch als Erwachsene Muttermilch von anderen
Tierarten zu sich nimmt und unser Immunsystem ist eigentlich darauf nicht ausgelegt.
So dass es z.B. häufig Allergien gibt gegen Kuhmilcheiweiße, aber man hat auch schon
häufig Kuhmilchbestandteile verdächtigt, Auslöser zu sein für Autoimmunerkrankungen.
Nicht nur die Kuhmilch könnte es sein, vielleicht sind es noch weitere Bestandteile
unserer Nahrung, die Autoimmunerkrankungen auslösen. Das vermutet Hartmut
Wekerle, Direktor der Abteilung Neuroimmunologie am Münchner Max-Planck-Institut
für Neurobiologie. Er beschäftigt sich mit Multiple Sklerose, kurz MS, und stellt fest,
dass diese Krankheit immer häufiger auftritt. Und zwar sogar in einem Land wie Japan,
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Seite 5
wo es vor 20 Jahren noch kaum MS-Fälle gab. Wekerle glaubt, dass der westliche
Lebensstil daran schuld sein könnte:
15.00 Prof. Hartmut Wekerle: Wie wir ja alle wissen, war die japanische Ernährung
klassischer Weise relativ fettarm und recht wenig Fleisch. Das hat sich sehr verändert,
die Mac Donald artige Ernährung hat sich ja auch in Japan besonders bei der jungen
Generation durchgesetzt. Und man spekuliert, dass möglicherweise
Ernährungsveränderungen, eine Veränderung der Darmflora mit sich gebracht hat und
diese Veränderung der Darmflora könnte durchaus etwas mit dem erhöhten
Krankheitsrisiko zu tun haben.
Auch das Rauchen wird immer wieder als ein möglicher Auslöser ins Feld geführt. Eine
norwegische Studie kommt sogar zu dem Ergebnis, rauchen verdopple das Risiko an
Multiple Sklerose zu erkranken.
Andere Wissenschaftler gehen der Frage nach, ob sich ein Vitaminmangel negativ
auswirkt. Sie konzentrieren sich dabei insbesondere auf das Vitamin D, das der Körper
übers Sonnenlicht bildet. Denn es fällt auf, dass Menschen, die nahe am Äquator leben
weniger von Autoimmunkrankheiten betroffen sind als Menschen in unseren Breiten.
Anette Ziegler leitet in München das Institut für Diabetesforschung am Helmholtz
Zentrum. Sie ist noch einem anderen, möglichen Krankmacher auf der Spur: dem
Stress. Bei Jugendlichen, die an Typ-1-Diabetes leiden, fragt sie nach deren genauen
Lebensumständen:
13.50 Prof. Anette Ziegler: Kortison ist ja ein Hormon, das bei Stress ausgeschüttet wird
und was durchaus auch eine Wirkung auf das Immunsystem hat und so ganz abwegig
ist es nicht, dass auch solche Faktoren bei Krankheitsentstehung eine Rolle spielen
können.
Doch noch ist alles Spekulation. Vermutlich spielen mehrere Faktoren zusammen, die
bei jedem Patienten ganz individuell eine Autoimmunerkrankung auslösen.
[Trennermusik]
Sprecher
Wann und bei wem die verschiedenen Krankheiten ausbrechen können
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Seite 6
Autorin
Bei Typ-1-Diabetes, dem sogenannten jugendlichen Diabetes, ist der Zeitpunkt schon
im Namen verankert: Vor allem Kinder und Jugendliche sind davon betroffen. Anette
Ziegler und ihr Team begleiten seit 20 Jahren viele Tausend Neugeborene in ihrer
Entwicklung - und das weltweit. Es hat sich herausgestellt, dass es im Wesentlichen
zwei Zeitpunkte gibt, zu denen die Krankheit ausbricht: Entweder bei etwa zweijährigen
Kleinkindern oder im Teenager-Alter. Nach Gründen für diese zwei „empfänglichen
Phasen“, wie Anette Ziegler sie nennt, fahndet sie noch.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis ihrer Forschungen ist, dass die Krankheit immer
schneller ausbricht:
10.20 Prof. Anette Ziegler: Der Zeitpunkt von Antikörper bis zur Manifestation des
Diabetes wird immer kürzer. Und das lässt natürlich auch vermuten, dass
Umweltfaktoren, die jetzt auf diese Zeit oder auf diese Progression der Erkrankung
einwirken, möglicherweise über die letzten Jahrzehnte zugenommen haben.
„Umweltfaktoren“ sind ein weites und diffuses Feld. Sie reichen von veränderten
Lebensgewohnheiten, über Umweltgifte bis hin zu höheren Strahlenbelastungen. Also
läßt sich auch hier nichts Genaues sagen, warum Typ-1-Diabetes schneller ausbricht
als früher. Bei der Augenkrankheit Uveitis lassen sich solche
Beschleunigungstendenzen nicht beobachten. Auch das Alter ist nicht so klar festgelegt
wie bei Typ-1-Diabetes, sagt Gerhild Wildner:
33.35 Prof. Gerhild Wildner: Es gibt bestimmte Uveitis-Formen, die in bestimmten
Phasen des Lebens auftreten, z.B. bei kleinen Kindern kommt eine bestimmte Form der
Uveitis vor, die häufig mit bestimmten Arthritis-Formen vergesellschaftet ist, aber im
Allgemeinen kann Uveitis in jedem Lebensalter auftreten.
So ist es auch mit der Multiplen Sklerose. Hartmut Wekerle kann auch bei MS keine so
klar definierten „empfänglichen Phasen“ ausloten:
21.30 Prof. Hartmut Wekerle: Die Multiple Sklerose ist nur sehr sehr selten bei Kindern
zu diagnostizieren. Es ist eine typische Erkrankung junger Erwachsener. 20, 30, 40
Jahre sind typische erstdiagnostische Altersgruppen.
Jede Autoimmunerkrankung verläuft also anders und trifft die Menschen
unterschiedlichsten Alters. Was aber bei der Mehrzahl dieser Krankheiten auffällt:
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Frauen sind grundsätzlich öfter betroffen als Männer. Das gilt auch für Multiple
Sklerose:
17.23 Prof. Hartmut Wekerle: Es gibt einen deutlichen Geschlechtsunterschied: Frauen
haben ein größeres Risiko an MS zu erkranken als Männer, vielleicht sogar eins zu
zwei und auch ganz interessant, während einer Schwangerschaft findet man deutliche
Unterschiede. Das Risiko an MS entweder erstmals zu erkranken oder einen
Krankheitsschub zu erleiden, ist während der Schwangerschaft deutlich verringert. Aber
leider leider, das Risiko kommt zurück nach der Geburt.
Auch die rheumatoide Arthritis tritt bei Frauen viel häufiger auf: etwa sechs Mal so oft
wie bei Männern. Von der Schilddrüsenkrankheit Hashimoto sind Frauen sogar 10 Mal
häufiger betroffen. Dagegen ereilt die Darmkrankheit Collitis Ulcerosa vor allem junge
Männer zwischen 25 und 30 Jahren. Auch das Rückenleiden Morbus Bechterew, an
dem Gabriele Müller erkrankt ist, gehört zu den wenigen Autoimmunerkrankungen, an
der eigentlich häufiger Männer leiden als Frauen:
0.08 Gabriele Müller: Weil der Bechterew in meiner Familie auch bekannt ist, habe ich
natürlich da drauf gepocht, dass die Untersuchung gemacht wurde; damals war die
Prognose immer 30 zu 70 Prozent, dass Männer das haben und nicht Frauen und ich
habe dann da drauf gedrängt, dass diese Untersuchung gemacht wurde; da hat man
festgestellt, es ist Bechterew.
Die geschlechterspezifischen Unterschiede bei den einzelnen Krankheiten zeigen, dass
vielleicht auch Hormone eine wichtige Rolle spielen. Handfeste Forschungsergebnisse,
in welcher Weise Hormone ins Krankheitsgeschehen eingreifen, gibt es aber noch nicht.
[Trennermusik]
Sprecher
Therapieansätze bei Typ-1-Diabetes, dem sogenannten jugendlichen Diabetes
Autorin
Viele wissen gar nicht, dass Typ-1-Diabetes auch zu den Autoimmunerkrankungen
zählt. Warum jemand diesen Diabetestyp bekommt, bleibt meist unklar. Anders bei Typ-
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Seite 8
2- Diabetes: Hier ist es oft das Übergewicht, das die Erkrankung auslöst. Mit
gesünderer Ernährung und mehr Bewegung lässt sich gegensteuern.
Beim „jugendlichen Diabetes“ aber ist es schwierig, mit Therapien anzusetzen.
Grundsätzlich besteht bei allen überschießenden Immunreaktionen die Möglichkeit, das
Immunsystem mit Medikamenten zu bremsen. Gabriele Müller kennt diese
sogenannten Immunsuppressiva nur zu gut:
5.00 Gabriele Müller: Ich hatte zwar Angst vor diesen Medikamenten, ich habe immer
noch Angst davor, ich muss mir ein Mal im Monat eine Spritze geben in die
Bauchdecke, ich habe nicht Angst vor der Spritze, ich habe Angst vor den
Nebenwirkungen, was da auf mich zukommt. Ich denke mir aber, wenn die
Nebenwirkungen in 20 Jahren auftreten, dann bin ich 78, dann ist mir das auch egal.
Beim jugendlichen Diabetes scheiden Immunsuppressiva wegen ihrer möglichen
Nebenwirkungen meist aus. Die möchte man bei Kindern und Jugendlichen vermeiden.
Besser wäre es ohnehin, das Immunsystem nicht zu unterdrücken, sondern so zu
verändern, dass es nicht mehr falsch reagiert. Das lässt sich in Zukunft vielleicht durch
eine Impfung gegen Typ-1-Diabetes erreichen. Erste Untersuchungen in den USA
zeigen, dass die Methode wirkt: Geringe Mengen Insulin haben bei kleinen Typ-1Diabetes Patienten dazu geführt, dass das Immunsystem keine zerstörerischen
Antikörper mehr bildet. Anette Ziegler möchte nun auch in Deutschland eine Studie mit
40 Kindern durchführen:
23.00 Prof. Anette Ziegler: Der Vorteil ist natürlich, dass so ein Medikament in der Regel
sehr gut verträglich ist und das Immunsystem nicht allgemein unterdrückt und die
Nebenwirkungsrate sehr viel geringer ist. Aber wir wissen noch nicht, ob wir erfolgreich
sind mit diesem Ansatz.
Einen ganz anderen Ansatz verfolgt Jochen Seißler, der an der Ludwig-MaximiliansUniversität gerade Forschungen an Mäusen macht. Bei den Nagern ist es ihm
gelungen, Typ-1-Diabetes zu heilen. Und zwar, indem er gesunde Schweinezellen in die
Bauspeicheldrüse einpflanzt. Sie können dann wieder Insulin produzieren. Allerdings
hätten Menschen bei der Transplantation von Schweinezellen massive AbstoßungsReaktionen. Also hat sich Seißler etwas einfallen lassen:
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7.15 Prof. Jochen Seißler: Deshalb muss man da einen Trick anwenden und der Trick
ist, dass wir in diese Schweinezellen ein menschliches Molekül eingebaut haben,
welches die Immunabwehr reduziert und dann in der Transplantation dieses Molekül
dazu führt, dass die Immunzellen des Körper das weniger gut erkennen, das weniger
schnell angreifen; und unsere Hoffnung ist, dass es dann in einigen Jahren, wenn man
Versuche beim Menschen machen kann, es eben dazu führt, dass man die Zellen
transplantieren kann ohne dass man die nebenwirkungsstarken Immunsuppressiva
einsetzen muss.
Der Trick mit dem eingebauten Molekül scheint zu klappen. Jedenfalls haben
zuckerkranke Mäuse, die diese Zellen eingesetzt bekommen, auf einmal wieder ganz
normale Blutzuckerwerte, sind also wieder gesund:
11.15 Prof. Jochen Seißler : Wir hoffen, unser Plan wäre, wenn das alles gut geht, dass
man vielleicht in 4-5 Jahren die ersten Versuche zur Transplantation bei Typ 1
Diabetikern durchführen kann.
[Trennermusik]
Sprecher
Therapieansätze bei Multipler Sklerose
Autorin
Multiple Sklerose löst unter den vielen Autoimmunerkrankungen vermutlich den größten
Schrecken aus. Jeder hat schon von den Krankheitsschüben bei MS gehört, die
schlimmstenfalls im Rollstuhl enden. Auch bei dieser Krankheit kommen oft
Medikamente zum Einsatz, die auf das Immunsystem einwirken. Das verschafft den
Patienten oft lange, relativ beschwerdefreie Zeiten. Aber geheilt werden sie dadurch
nicht. Deshalb möchten Hartmut Wekerle und sein Team eingreifen bevor aggressive TZellen ins Gehirn eintreten und dort Schaden anrichten, also Entzündungen schüren:
31.27 Prof. Hartmut Wekerle: Je mehr wir darüber wissen, um so größer wird die
Hoffnung, eine Therapie zu entwerfen, welche wirkt bevor das Hirn überhaupt erst
erreicht wird. Also, eine Abfangtherapie. Früh eingreifen, bevor das Hirn betroffen ist.
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Früh eingreifen, das heißt für Wekerle und andere Autoimmunforscher auch: Die
Vorgänge im Darm verstehen. Denn der Darm ist unser Immunsystem. Dort prüft unser
Körper alles, was wir aufnehmen und reagiert darauf. Nahrung beispielsweise wird als
nützlich erkannt und von den Darmbakterien zerkleinert und unserem Körper als
Energiequelle zugeführt. Schädliche Erreger werden im besten Fall gleich abgewehrt
und ausgeschieden. Ein ausgeklügeltes System, das aber auch anfällig ist für Fehler:
8.28 Prof. Hartmut Wekerle: Nun zeigt es sich in Tierexperimenten, dass unsere
nützlichen Bakterien im Darm, allerdings unter ganz bestimmten Bedingungen auch
eine gewisse Gefahr darstellen können. Dass sie nämlich die vorvorhandenen
autoimmunen T-Lymphozyten, die ja lebenslang normalerweise schlafen in unserem
Immunsystem, dass sie diese aktivieren können. Dass also überraschender Weise der
Darmbereich der Auslöser für eine entfernte Hirnerkrankung sein kann.
Deshalb muss eine „Abfangtherapie“ schon im Darm ansetzen. Bis das beim Menschen
gelingt, werden wohl noch einige Jahre vergehen.
[Trennermusik]
Sprecher
Therapieansätze bei der Augenkrankheit Uveitis
Autorin
Auch bei der Augenkrankheit Uveitis kommt der Darm als Zentrum unseres
Immunsystems ins Spiel. Im Tierversuch bekommen Ratten, die an Uveitis leiden,
genau das Eiweißstückchen immer wieder zu fressen, gegen das sich der Körper wehrt.
Es ist ein Protein, das im Auge vorkommt. Mit der Zeit wird die Immunreaktion bei den
Ratten schwächer. Der Körper fängt an, das vermeintlich gefährliche Eiweiß, das er nun
über die Nahrung bekommt, zu tolerieren. Experten nennen das „orale Toleranz“. Der
Vorgang, das Eiweißstückchen zu essen und das Immunsystem daran zu gewöhnen,
ließe sich natürlich auf Menschen übertragen. Gerhild Wildner hat aber Angst vor den
Risiken:
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Seite 11
20.55 Prof. Gerhild Wildner: Das Gefährliche ist, sollte die Toleranz gegen das
Eiweißstückchen aus dem Auge mal nicht funktionieren, würden wir ja eher dann eine
Uveitis auslösen und die Krankheit verschlechtern.
Also bedient sich Wildner eines Tricks: Sie gibt den Patienten nicht genau das
Eiweißstückchen, das im Auge vorkommt. Sondern sie gibt eines, das sehr ähnlich
aussieht und von dem man weiß, dass es harmlos ist, weil es auf vielen körpereigenen
Strukturen verbreitet ist. Der Körper lässt sich von diesem Manöver täuschen. Es
entsteht wirklich die gewünschte Toleranz, aber keine Augenentzündung:
37.50 Prof. Gerhild Wildner: Wir haben vor über 10 Jahren hier die ersten Patienten
behandelt, es haben sogar zwei Patienten seither keine Uveitis-Schübe mehr entwickelt
und alle Patienten konnten entweder während dieser Therapie oder danach ihr Cortison
reduzieren, das sie brauchen für die Entzündungsreduktion, und es hatte eine kleine
nachhaltige Wirkung, aber irgendwann nach ein paar Jahren kam bei den Meisten die
Uveitis zurück.
Also schafft die „orale Toleranz“ bisher nur Aufschub, aber noch keine Heilung.
Deswegen wird weiter daran geforscht. In den USA läuft gerade eine kontrollierte
Patientenstudie mit genau diesem Eiweißstück, das Wilder gefunden hat. Die BiotechFirma möchte daraus ein wirksames Medikament gegen Uveitis entwickeln:
42.25 Prof. Gerhild Wildner: Der Traum ist natürlich, dass man es schafft, was wir auch
mit unserem Ansatz erhoffen, dass man Oft ist es einfach so, dass Gene sozusagen
„zufällig“ ungünstig zusammengewürfelt wurden:
Gabriele Müller sehnt sich nach dieser Ruhe. Momentan geht es ganz gut mit ihren
Augen. Sie hat keine akuten Schübe. Wenn sie Stress vermeidet, hat sie auch mit ihrer
Darmkrankheit Morbus Crohn wenig Probleme. Außerdem macht sie viel Gymnastik,
um ihrem steifen Rücken entgegenzuarbeiten. Sie weiß, dass es momentan noch keine
Heilung für all ihre Autoimmunerkrankungen gibt, aber sie versucht, das Beste daraus
zu machen:
21.20 Gabriele Müller: Ich bin eigentlich ein positiver Mensch, bin sehr optimistisch und
(...). 18.20 Gabriele Müller: deshalb habe ich eigentlich keine Angst, dass da noch
irgendwas kommt. Es reicht ja auch erst mal.
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