Alles Nervensache?

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Roland Depner
Alles
Nervensache?
Wie unser Nervensystem funktioniert – oder auch nicht
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Oliver Schöffski
1 Aufbau und Funktionsweise des Nervensystems
Bildung der Markscheiden dienen. Zwischen dem Blutkreislauf und dem zentralen Nervensystem existiert eine Barriere, die Blut-Hirn-Schranke, welche das
Gehirn gegen zirkulierende Krankheitserreger, Gifte und Botenstoffe abschottet.
Anteile des zentralen Nervensystems, die vorwiegend aus den Zellkörpern
der Nervenzellen bestehen, werden (entsprechend ihrem Färbeverhalten im Formalin-fixierten Präparat) als graue Substanz bezeichnet. Hiervon leitet sich
auch der umgangssprachliche Begriff „graue Zellen“ für Nervenzellen des Gehirns ab. Die Gesamtheit der Nervenzellfortsätze (insbesondere Axone) ergibt
die weiße Substanz, wobei das Weiß durch die fetthaltigen Markscheiden der
Axone entsteht. Beim Gehirn liegt die graue Substanz überwiegend außen und
umhüllt als Rinde die innen befindliche weiße Substanz (Abb. 1-3). Darüber hinaus befinden sich auch in der Tiefe der weißen Substanz Ansammlungen von
Stirnlappen des
Großhirns
Seitenventrikel
Adergeflecht
(Plexus choroideus)
weiße Substanz
(Marklager)
graue Substanz
(Hirnrinde)
Hinterhauptslappen
des Großhirns
Abb. 1-3: Seitenventrikel des Gehirns (anatomisches Präparat, Einblick von oben) (aus: Rohen
JW, Yokochi C, Lütjen-Drecoll E. Anatomie des Menschen. Fotografischer Atlas der systematischen und topografischen Anatomie. 7. Aufl. Stuttgart: Schattauer 2011)
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A Grundlagen
Nervenzellkörpern in Form von Kerngebieten und Ganglien (grch. gagglion = Schwellung, Knoten). Im Rückenmark hingegen ist die graue Substanz zentral angeordnet und wird von den Leitungsbahnen der weißen Substanz umgeben. Die Nervenzellkörper bilden hier beidseits ein Vorder- und Hinterhorn, so
dass sich im Querschnitt eine schmetterlingsähnliche Gestalt der grauen Substanz ergibt.
Das menschliche Gehirn besteht aus verschiedenen Anteilen, denen unterschiedliche Funktionen zugeordnet werden können. Dabei lassen sich die vier
Hauptbereiche Großhirn, Kleinhirn, Zwischenhirn und Hirnstamm voneinander abgrenzen (Abb. 1-4):
Großhirn ist der größte und entwicklungsgeschichtlich jüngste Teil des
Gehirns. Das aus zwei miteinander verbundenen Hälften (Hemisphären, grch.
hemi = halb + sfaira = Kugel) bestehende Großhirn erhält durch zahlreiche
Hirnwindungen mit dazwischen liegenden Furchen eine walnussartig geformte
Oberfläche. Das Großhirn wird in verschiedene Lappen untergliedert, und zwar
in Stirn-, Scheitel-, Schläfen- und Hinterhauptslappen. In ihnen sind höhere
Funktionen repräsentiert, wie z. B. Bewusstsein, Denken, Gedächtnis, Emotionen, Antrieb, Verarbeitung von Sinneseindrücken und Initiierung von Willkürbewegungen. In der Tiefe der Großhirnhemisphären liegen die Stammganglien,
die in verschiedene neuronale Regelkreise eingebunden und insbesondere an der
Steuerung von Bewegungen beteiligt sind. Diese symmetrisch gruppierten An-
uuDas
Stammganglien*
Scheitellappen*
Stirnlappen*
Hinterhauptslappen*
Schläfenlappen*
*des Großhirns
Zwischenhirn
Nervenwasser
Kleinhirn
harte
Hirnhaut
Substantia nigra
Abb. 1-4: Längsschnitt durch das Gehirn
Schädelknochen
Hirnstamm
1 Aufbau und Funktionsweise des Nervensystems
sammlungen von Nervenzellkörpern unterstützen u. a. wie ein Servomechanismus (lat. servus = Diener) selbständig und unbewusst alle willkürlichen motorischen Aktionen. Dies geschieht beispielsweise, indem bei beabsichtigten
Bewegungen gleichzeitig unterbewusst andere Muskeln aktiviert werden, um
das Körpergleichgewicht zu halten und die Bewegung glatt ablaufen zu lassen.
Verschiedene Fehlfunktionen der Stammganglien führen zu Bewegungsstörungen, wobei die Motorik gehemmt, enthemmt oder falsch aufeinander abgestimmt sein kann.
Kleinhirn hat nur etwa ein Achtel der Größe des Großhirns und liegt
unter dessen Hinterhauptslappen. Wesentliche Aufgabe des Kleinhirns ist die
Koordination und Feinabstimmung von Bewegungen. Bei einer Funktionsstörung dieses Hirnteils können Bewegungen über das Ziel hinausgehen oder zu
kurz geraten.
uuDas
Zwischenhirn handelt es sich um einen entwicklungsgeschichtlich älteren Hirnteil, über den alle sensiblen und motorischen Signale zum bzw. vom
Großhirn laufen („Tor zum Bewusstsein“). Ferner findet sich in diesem Teil das
übergeordnete Zentrum des vegetativen Nervensystems.
uuBeim
Hirnstamm, der stammesgeschichtlich älteste Teil des Gehirns, bildet
den Übergang vom Rückenmark zum Zwischenhirn, so dass er von vielen wichtigen Nervenbahnen auf engem Raum durchzogen wird. Im Hirnstamm befinden sich wichtige Steuerungs- bzw. Reflexzentren (z. B. für Wachheit, Atmung,
Erbrechen) sowie die Zellkörper von Hirnnerven. Ebenfalls im Hirnstamm liegt
die Substantia nigra (lat. niger = schwarz), eine Ansammlung aus speziellen,
durch ihren hohen Gehalt an à Melanin dunkel gefärbten Nervenzellen, die Dopamin als Überträgerstoff produzieren. Diese Zellen sind in verschiedene Schaltkreise des selbständig und unterbewusst arbeitenden motorischen Systems eingebunden und stehen dabei insbesondere mit Nervenzellen in den Stammganglien
in Verbindung. Die Degeneration der Substantia nigra spielt bei der Parkinsonkrankheit (vgl. Kap. 13.1) eine zentrale Rolle.
uuDer
uuDas Rückenmark ist der Teil des zentralen Nervensystems, der innerhalb des
von der Wirbelsäule gebildeten Kanals (Spinalkanal, lat. spina = Rückgrat, Dorn)
verläuft. Es beinhaltet neben Nervenzellkörpern zahlreiche auf- und absteigende
Nervenbahnen. Die Wirbelsäule besteht aus sieben Hals-, zwölf Brust- und
fünf Lendenwirbelkörpern sowie dem Kreuz- und Steißbein. Weil die Wirbelsäule ein stärkeres Längenwachstum als das Rückenmark aufweist, endet das Rückenmark bei erwachsenen Menschen bereits auf Höhe des ersten bis zweiten
Lendenwirbelkörpers.
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A Grundlagen
Peripheres Nervensystem
Der als peripheres Nervensystem von Gehirn und Rückenmark abgegrenzte Bestandteil des Nervensystems stellt die Verbindung zu Sinnesorganen, inneren
Organen, Muskeln und Hautbezirken her. Aus dem Gehirn entspringen zwölf,
entsprechend ihrer Lage durchnummerierte Hirnnervenpaare, die durch diverse
Löcher in der Schädelbasis nach außen ziehen:
den ersten beiden Hirnnervenpaaren, den Riech- und Sehnerven, handelt es sich eigentlich nicht um periphere Nerven, sondern um Leitungsbahnen
des Gehirns.
uuBei
uuDie Hirnnerven mit den Nummern drei, vier und sechs dienen der Steuerung von Augenmuskeln.
fünfte Hirnnerv, der Trigeminus-Nerv („Drillingsnerv“), übermittelt
mit seinen drei Ästen die Sensibilität von Haut und Schleimhäuten des Gesichts
und innerviert die Kaumuskulatur.
uuDer
uuNach seinem Verlauf durch einen engen knöchernen Kanal in der Schädelba-
sis versorgt der siebente Hirnnerv, der Fazialis- bzw. Gesichtsnerv, die gesamte
Gesichtsmuskulatur und den überwiegenden Teil der Geschmackswahrnehmung.
uuDer achte Hirnnerv, der Gleichgewichts- und Hörnerv, besteht aus zwei An-
teilen, welche dem Gehirn Informationen aus dem Gleichgewichts- bzw. Hörorgan des Innenohrs zukommen lassen.
uuDie Hirnnerven neun, elf und zwölf versorgen u. a. die Zungen- und Schlundmuskulatur sowie große Nacken- und Kopfdrehermuskeln.
zehnte Hirnnerv, der Vagus-Nerv, ist ein wesentlicher Bestandteil des
vegetativen Nervensystems. Im Unterschied zu den anderen Hirnnerven steigt
der „vagabundierende“ Nerv mit seinen Ästen weit in den Brust- und Bauchraum hinab, um die dort gelegenen Organe zu steuern.
uuDer
Das Rückenmark gibt 31 Spinalnervenpaare ab, die den Wirbelsäulenkanal seitlich durch entsprechende Zwischenwirbellöcher verlassen. Im Anschluss an das
Rückenmark, das beim Erwachsenen bereits im oberen Lendenwirbelsäulenbereich endet, liegen im Spinalkanal dicht beieinander zahlreiche Nervenwurzeln,
die abwärts ziehen zu den entsprechenden, tiefer liegenden Zwischenwirbel­
1 Aufbau und Funktionsweise des Nervensystems
löchern. Diese dichte Ansammlung von Nervenwurzeln wird als Cauda equina
(Pferdeschweif) bezeichnet. Im Bereich der Gliedmaßen bilden die austretenden
Nervenwurzeln zunächst noch Arm- und Beinnervengeflechte (Plexus), in denen Nervenfasern ausgetauscht und durchmischt werden, bevor sich schließlich
die einzelnen Arm- bzw. Beinnerven herausbilden.
Wichtige Armnerven sind der im Bereich der Elle verlaufende Ulnaris-Nerv,
der speichenseitig liegende Radialis-Nerv und der zwischen diesen beiden Nerven gelegene Medianus-Nerv. Der größte Beinnerv, der Ischiasnerv, verläuft
rückseitig am Oberschenkel und teilt sich im Bereich der Kniekehle in den Peroneus- und den Tibialis-Nerv auf, die beide weiter bis zum Fuß hinabziehen.
Stärkster Nerv auf der Oberschenkelvorderseite ist der Femoralis-Nerv.
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