434 Originalarbeit Verbesserte Diagnostik von Traumafolgestörungen durch den Einsatz der Life-Stressor Checklist Improved Diagnostics of Trauma-Related Disease through the Application of the Life-Stressor Checklist Autoren Oliver Ungerer1, Hans-Christian Deter2, Erdmuthe Fikentscher3, Tom Alexander Konzag1 Institute 1 Key words ▶ trauma related psychological ● disease ▶ trauma checklist ● ▶ posttraumatic stress ● disorder Zusammenfassung ▼ Abstract ▼ Die Studie überprüft die Effektivität des Einsatzes der Life-Stressor Checklist (LSC-R) zur Diagnostik von Traumafolgestörungen. Vor dem Hintergrund des Dose-Response Effektes zwischen der Anzahl unterschiedlicher traumatischer Stressorexpositionen und dem Ausmaß der Traumasymptomatik wird die Validität einer quantitativen Auswertung der Checkliste analysiert. 130 Patienten wurden mit der LSC-R, der IES-R (PTBS Symptome) und der SCL-90-R befragt. Eine Expertenbeurteilung schätzte die Relevanz traumatischer Erfahrungen für die Störungsgenese ein. Der Dose-Effekt replizierte sich deutlich mit r = 0,71. Ein Cut-off von ≥ 6 ergab eine 75 %tige Übereinstimmung mit dem Expertenurteil. Außerdem differenzierte der Summenwert der Traumacheckliste innerhalb von Hochrisikogruppen und zeigte eine Übereinstimmung mit der Schwere der Traumatiserungsform. Im Ergebnis stellt die quantitative Auswertung der Traumacheckliste ein effektives Screening für Patientinnen und Patienten mit Traumafolgestörungen dar. The study examines the effectiveness of applying the Life-Stressor Checklist (LSC-R) in diagnosing trauma-related disease. The validity of a quantitative analysis of the checklist is evaluated in consideration of the dose-response effect between the number of different traumatic stressor expositions and the degree of trauma-related symptoms. The trauma checklist LSC-R was applied to 130 patients. Data on psychological symptoms was collected with the help of IES-R (PTSD symptoms) and SCL–90-R, the relevance of traumatic experiences for the genesis of disorders was assessed by expert evaluation. The dose effect replicated clearly with r = 0.714 and a cut-off of ≥ 6 yielded a 75 % agreement with the expert evaluation. The total value of the trauma checklist showed a differentiation within high-risk groups and also agreement with the severity of the traumatization. The quantitative analysis of the trauma checklist permits an effective screening for identifying trauma-related disease. Einleitung ▼ trächtigungen sind Gedächtnisstörungen, eine chronische Veränderung der Stressregulation sowie eine erschwerte Habituation und Löschung der Angstkonditionierung. In Folge der Traumatisierung entsteht ein vom biografischen Gedächtnis abgespaltenes Erinnerungssystem, welches als Traumagedächtnis bezeichnet wird. Neurobiologische Befunde unterstützen die These einer traumaspezifischen Pathologie: Bei Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung wurde eine gesteigerte Aktivität des noradrenergen Stresssystems mit verminderter Cortisolausschüttung und erhöhter Sensitivität der Glucocorticoidrezeptoren sowie eine Hyperreagibilität der Amygdala bei gleichzeitiger Inhibition orbi- eingereicht 14. April 2009 akzeptiert 06. November 2009 Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0030-1247497 Online-Publikation: 3.3.2010 Psychother Psych Med 2010; 60: 434–441 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0937-2032 Korrespondenzadresse Oliver Ungerer Brandenburg Klinik Psychosomatik Brandenburgallee 1 16321 Bernau [email protected] Brandenburg Klinik, Psychosomatik, Bernau Charité CBF – Universitätsmedizin, Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Berlin 3 Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Halle Psychotraumatische Erlebnisse steigern das Erkrankungsrisiko für die meisten psychischen und viele somatische Erkrankungen erheblich [1, 2]. Es wird ein Kausalzusammenhang zwischen traumatischen Erlebnissen und späteren Erkrankungen postuliert, den sowohl prospektive Untersuchungen [3, 4] als auch Zwillingsstudien [5] bestätigen. Symptomatisch können sich die Folgen von Traumatisierungen in sehr unterschiedlichen Krankheitsbildern darstellen. Dennoch wird inzwischen von einer relativ einheitlichen Pathogenese dieser Traumafolgestörungen ausgegangen [6]. Wesentliche pathologische Beein- Ungerer O et al. Verbesserte Diagnostik von Traumafolgestörungen durch … Psychother Psych Med 2010; 60: 434–441 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 2 to-präfrontaler Strukturen festgestellt. Außerdem werden Veränderungen der Hippocampusvolumina diskutiert [7]. Obwohl die moderne Bildgebung weitere stabile Effekte der traumabedingten Neuropathologie findet, ist eine Differenzialdiagnostik der Traumafolgestörungen durch ein neurophysiologisches Profil in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Traumafolgestörungen sind häufig polysymptomatische Störungsbilder [1, 8] und können auch ohne die Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung auftreten [9]. In vielen Fällen sind die anderen psychischen Beschwerden und nicht die Posttraumatische Belastungsstörung der Anlass, dass die Betroffenen medizinische Hilfe aufsuchen. Der Bezug der präsentierten Symptomatik zum Trauma bleibt oft verborgen, da traumaspezifische Symptome zunächst nicht geschildert und traumatische Erlebnisse nicht berichtet werden [10]. Dadurch wird die Diagnostik der Traumafolgestörungen erschwert und die Prävalenz dieser Erkrankungen unterschätzt. Trotz sehr hilfreicher Konzepte, die psychopathologische Merkmale einer Traumafolgestörung spezifizieren, z. B. DESNOS [11], subsyndromale PTBS [12], strukturelle Dissoziation [13], konnte außer der Posttraumatischen Belastungsstörung bislang noch kein psychopathologisches Muster evaluiert werden, welches allgemein anerkannt wird und mit ausreichender Sensitivität und Spezifität eine chronische Traumapathologie bestimmen lässt ([14] S. 109). Da diese differenzialdiagnostischen Kriterien fehlen, wird in Praxis und Forschung auf retrospektive Berichte zur Traumageschichte zurückgegriffen, um das Ausmaß der Traumatisierung und ihre Relevanz für aktuelle Beschwerden abzuschätzen. Dabei wird eine Erhebung und Bewertung der Traumatisierung über das gesamte Leben empfohlen, um den Status der Belastung durch traumatische Erlebnisse abzubilden [15]. Ein interindividueller Vergleich bzw. eine psychometrische Beurteilung der Traumanamnesen ist äußerst schwierig, da multiple Faktoren das Risiko einer psychopathologischen Schädigung nach Exposition mit traumatischen Stressoren determinieren. Allerdings konnten Untersuchungen an großen Stichproben auch eine einfache quantitative Korrelation von Traumaexposition und psychischen [8] bzw. somatischen [2] Erkrankungen belegen. Wiederholt wurde eine relevante Korrelation zwischen der Anzahl unterschiedlicher traumatischer Stressoren, welchen ein Individuum im Laufe seines Lebens ausgesetzt war, und dem aktuellen Gesundheitsstatus nachgewiesen [16]. Dieser Dose-Response Effekt stellt sich besonders deutlich hinsichtlich der Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung und weniger ausgeprägt für andere psychische Beschwerden dar [17–23]. Die entsprechenden Studien verwenden Traumachecklisten, bei welchen die Probanden für ausgewählte potenziell traumatische Stressoren angeben sollen, ob sie mindestens ein Erlebnis hatten, das sie dieser Ereigniskategorie zuordnen können. Eine Differenzierung der multiplen Faktoren, welche die Intensität der erlebten traumatischen Gewalt bzw. Bedrohung bestimmen, kann durch die Fragen nicht erfasst werden. Zudem wird die Validität der Angaben in den Traumachecklisten kontrovers diskutiert. Neben generellen Zweifeln an der Erlebnisfundiertheit retrospektiver Aussagen betonen Kritiker die begrenzte zeitliche Konsistenz der Angaben, insbesondere wenn Messintervalle von mehr als 6 Monaten und Stichproben der Normalbevölkerung untersucht werden [24]. Mit Verweis auf die geringe Vergleichbarkeit der individuellen traumatischen Erfahrungen sowie aufgrund möglicher Verfälschungen beim Gedächtnisabruf traumatischer Erinnerungen werden die Angaben der Traumacheck- listen in der Regel rein qualitativ interpretiert und auf eine systematische quantitative Auswertung der Listen verzichtet. Die ausgeprägte Korrelation zwischen dem jeweiligen Summenscore der Traumachecklisten und dem Ausmaß der traumaspezifischen Psychopathologie, also der Dose-Response Effekt, lässt jedoch ein psychologisches Merkmal vermuten, das sich im Summenscore der Traumachecklisten abbildet und gleichzeitig eine Differenzierung der traumabedingten psychopathologischen Belastung ermöglicht. Die Auswertungen gerichtlich dokumentierter Fälle [25] auf der Basis von Ereignislisten zeigen eine gut nachvollziehbare Erlebnisfundiertheit. Offensichtlich wird das Antwortverhalten jedoch auch durch andere Faktoren, z. B. durch die Stärke der posttraumatischen Symptomatik, beeinflusst [26]. Dies ist darauf zurückzuführen, dass durch das intrusive Wiedererleben im Rahmen von Elaborations- bzw. Generalisierungseffekten mehr Situationsmerkmale mit den Erinnerungen an das traumatische Ereignis assoziiert werden. Ein hoher Summenscore in einer Traumacheckliste kann somit als Ausdruck eines psychopathologisch aktiven Traumagedächtnisses, also eines sowohl großen als auch unzureichend integrierten Netzwerks traumatischer Erinnerungen, verstanden werden. Damit könnte, wie Flatten ([27], S. 49) fordert, „die Stärke der neuronalen Repräsentanz als zentrales Merkmal der Diagnostik der individuellen Störung des posttraumatischen Verarbeitungsprozesses“ psychometrisch erfasst werden. Im Weiteren soll dieses durch die Addition der Antworten einer Traumacheckliste erhobene Merkmal als Traumabelastung (TB) bezeichnet werden. Die vorliegende Untersuchung überprüft in einem klinisch-psychotherapeutischen Kontext, ob die quantitative Auswertung einer Traumacheckliste zur Verbesserung der Diagnostik von Traumafolgestörungen beiträgt. Da der Dose-Response Effekt bislang nur an Stichproben differenziert analysiert wurde, die in Kriegs- bzw. Krisengebieten erhoben wurden, musste zunächst überprüft werden, ob sich der Zusammenhang auch bei einer klinischen Stichprobe mitteleuropäischer Patientinnen und Patienten repliziert. Des Weiteren ist zu diskutieren, ob sich vor dem Hintergrund der Befunde zum traumatischen Gedächtnis die Interpretation der Anzahl der unterschiedlichen Traumatypen als Maß der aktuellen Traumabelastung inhaltlich rechtfertigen lässt und dieses Vorgehens auch durch psychometrische Kennwerte gestützt wird. Entsprechende Kriterien hierfür sind: ▶ eine ausreichende interne Konsistenz der Skala als Ausdruck eines uni-dimensionalen Konstrukts ▶ eine spezifische Voraussage der Stärke der posttraumatischen Symptome durch den Summenscore Traumabelastung ▶ eine verbesserte Differenzierung der posttraumatischen Schädigung innerhalb von Hochrisikogruppen – wie z. B. Opfern sexueller Gewalt bzw. Personen mit frühen Traumatisierungen ▶ Antwortmuster, die eine Übereinstimmung von Quantität, also dem jeweiligen Skalenscore, und Qualität, also dem psychopathologischen Risiko der im Item beschriebenen traumatischen Erfahrung belegen. Die Erhebung der Traumabelastung kann in der klinischen Praxis wesentlich dazu beitragen, die Behandlung komplex traumatisierter Patienten frühzeitig differenziert zu gestalten. Darüber hinaus kann die Traumabelastung im Sinne einer unabhängigen Variablen auch die Evaluierung von traumaspezifischen Behandlungsmethoden verbessern. Ungerer O et al. Verbesserte Diagnostik von Traumafolgestörungen durch … Psychother Psych Med 2010; 60: 434–441 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Originalarbeit 435 436 Originalarbeit Merkmal Geschlecht Männlich Weiblich Familienstand Ledig Verheiratet Geschieden Höchster Schulabschluss ohne Abschluss Hauptschule Realschule/POS Abitur keine verwertbaren Angaben Sozioökonomischer Status Auszubildende/Studenten ungelernte Arbeiter Facharbeiter Angestellte, Beamte Selbstständige ohne Beruf Rentner keine verwertbaren Angaben n % 36 94 27,7 72,3 79 38 13 60,8 29,2 10,0 6 18 58 45 3 4,6 13,8 44,6 34,6 2,3 27 10 10 34 4 37 7 1 20,8 7,7 7,7 26,2 3,1 28,5 5,4 0,8 Methode ▼ Stichprobe Die Stichprobe besteht aus 130 Patientinnen und Patienten der Universitätsklinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die von Januar 2006 bis März 2007 stationäre Behandlung aufsuchten. Sie waren im Mittel 32,7 Jahre alt, weitere soziodemografische Charak▶ Tab. 1 aufgeführt. Die Vergabe der Diagnosen teristika sind in ● erfolgte im Rahmen eines semistrukturierten Interviews auf der Basis der im DIA-X [28] dargestellten Kriterien sowie der Zweitsicht durch den zuständigen Oberarzt. Mit 57,7 % wurde am häufigsten eine affektive Störung festgestellt, die Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung fand sich bei nur 10 % der untersuchten Patientinnen und Patienten. Durchschnittlich wiesen die Patientinnen und Patienten 2,26 komorbide psychische Erkrankungen auf. Die Häufigkeitsverteilung der Diagnosen findet ▶ Abb. 1. sich in ● Messinstrumente Als Traumacheckliste wurde die Life Stressor Checklist revised (LSC-R [29]) in einer von den Autoren erstellten deutschen Übersetzung eingesetzt. Um Qualität und Intension der Originalformulierungen beizubehalten, wurde eine Rückübersetzungskorrektur durchgeführt. Die LSC-R enthält 30 Fragen. 19 Items beschreiben Situationen, welche der wissenschaftlichen Definition psychischer Traumata genügen [30], 9 weitere Fragen behandeln weitere belastende Lebensereignisse. Zusätzlich werden in offenen Fragen weitere traumatische Stressoren bzw. das Erleben traumatischer Ereignisse als Zeuge erfasst. Für die amerikanische Originalform werden eine gute Akzeptanz, eine geringe Belastung der Probanden durch die Messung und Retestreliabilitäten von 0,86 im 7 Tagesintervall [31] bzw. ein mittleres Kappa von 0,46 im 6 Monatsintervall [32] beschrieben. Eine empirische Itemselektion liegt, wie in allen entsprechenden Verfahren, nicht vor. Die Variable Traumabelastung (TB) wird durch die Summe der 21 Items, welche dem Traumakriterium entspre- posttraumatische Belastungsstörung 13 Sucht 18 75 affektive Störung 39 Angststörung 8 dissoziative Störung somatoforme Störung 28 Essstörung 37 Persönlichkeitsstörung 68 sonstige psychische Störungen 14 0 Abb. 1 65 Anzahl der Patienten 130 Verteilung der Behandlungsdiagnosen (absolute Häufigkeiten). chen, gebildet. Zur Steigerung der inhaltlichen Validität werden nur positive Nennungen berücksichtigt, bei welchen während der Exposition auch extreme Hilflosigkeit, Schrecken oder Todesangst auftraten. Die restlichen 9 Items der LSC-R wurden zur Skala „Ereignisse“ addiert. Zwecks Bewertung der verschiedenen Traumatisierungsformen wurden die Trauma-Items sechs Gruppen zugeordnet: Unglücksfälle und Unfälle (3 Items), schwere Krankheit (1 Item), Vernachlässigung (2 Items), Trauer und Verlust (3 Items), interpersonelle Gewalt (5 Items) sowie sexuelle Gewalt (5 Items). Die Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung wurden mittels des IES-R [33] erhoben. Der IES-Beantwortung wurde das belastendste Ereignis des LSC-R zugrunde gelegt. Weitere psychische Beschwerden wurden durch die Symptom-Checklist90 revised (SCL-90 R [34]) gemessen. Die Relevanz anamnestischer traumatischer Ereignisse für die aktuelle Psychopathologie wurde außerdem am Ende der stationären Behandlung von den behandelnden Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten auf einer fünfstufigen Likert Skala eingeschätzt. Durch das Expertenurteil ging ein externes Validitätskriterium in die Untersuchung ein. Datenanalyse Für die statistische Berechnung kam das Programm SPSS 10.0 zum Einsatz. Zur Analyse der psychometrischen Merkmale der LSC-R und der Antwortmuster wurden Mittelwertsvergleiche (TTest bzw. ANOVA), multiple Regressionsanalysen zur Berechnung der Voraussagequalität einzelner Itemgruppen und Clusteranalysen (Quick Cluster) zur Darstellung von Gruppen mit ähnlichem Antwortverhalten eingesetzt. Ergebnisse ▼ Durchschnittlich berichten die Patientinnen und Patienten von 5,4 verschiedenen traumatischen Stressortypen (SD = 3,5). Soziodemografische Variablen wie Geschlecht, Alter, Schulbildung oder sozioökonomischer Status zeigen in der Stichprobe keinen Ungerer O et al. Verbesserte Diagnostik von Traumafolgestörungen durch … Psychother Psych Med 2010; 60: 434–441 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Tab. 1 Soziodemografische Charakteristika der Stichprobe. 110 Cut-Off Traumabelastung 4/5 IES Gesamtwert 90 70 50 IES = 33 30 10 10 0 9 Traumabelastung Abb. 2 Bivariate Verteilung von Traumabelastung und IES-R mit Cut-off Werten für TB (4/5) und IES-R (33/34). signifikanten Zusammenhang mit der TB. Für die 21 Items der Skala Traumabelastung ergibt sich ein Cronbachs α = 0,74. Es stellt sich ein enger Zusammenhang zwischen dem Summenwert der Traumacheckliste und dem Gesamtwert des IES-R (r = 0,71, p < 0,001) dar. 50 % der Varianz des IES-R, als Maß der traumaspezifischen Symptome, können durch die TB erklärt werden. Der Dose-Effekt bestätigt sich damit in dieser Stichpro▶ Abb. 2 veranschaube psychosomatischer Patienten deutlich. ● licht die bivariate Verteilung TB und IES-R. Orientierend wurde der Wert 4/5 auf der Achse TB eingetragen, der nach Green et al. [16] und anderen Autoren als Cut-off für die Entwicklung einer Traumafolgesymptomatik angesehen wird. Ein IES-R von größer 33 Punkten gilt nach Creamer et al. [35] als Hinweis auf eine posttraumatische Belastungsstörung. Personen, die fünf oder mehr verschiedene traumatische Stressorexpositionen berichten, zeigen mehrheitlich eine in diesem Sinn klinisch relevante Ausprägung der posttraumatischen Symptome (88 %). Signifikant erhöhte mittlere Traumabelastungen finden sich erwartungsgemäß bei PTBS Patienten und Persönlichkeitsstörungen im Vergleich zum Stichprobenmittelwert von 5,3 (PTBS: TB = 9,7, t = 5,1, p < 0,001; PKS: TB = 6,0, t = 2,4, p = 0,035), tendenzielle Mittelwertabweichungen zeigen sich außerdem bei den Diagnosen dissoziative Störungen (TB = 6,4) und somatoforme Störungen (TB = 5,8). Die behandelnden Therapeuten sahen bei 31,5 % der Patienten eine Traumatisierung als Ursache der aktuellen psychischen Störung an. Dies traf neben allen PTBS-Patienten z. B. bei 12 % der affektiven Störungen, bei 26 % der Angststörungen und bei 19 % der Persönlichkeitsstörungen zu. Wird ein Cut-off der TB ≥ 5 gewählt, stimmt die Einschätzung anhand des LSC-R in 69 % der Fälle mit dem Therapeutenurteil überein, wobei die falsch positiven Zuweisungen überwiegen. Wird der Cut-off auf ≥ 6 erhöht, verbessert sich die Trefferquote auf 75 %. Die Korrelation der TB mit dem GSI des SCL-90 (r = 0,30, p < 0,001) ist signifikant geringer als der Zusammenhang zwischen TB und den Symptomen der PTBS (z = 11,63, p < 0,001). Die einzelnen Subskalen des SCL-90 R korrelieren gering mit der TB zwischen r = 0,08 (phobische Angst) und r = 0,28 (Somatisierung). Die anderen Lebensereignisse bieten keinen weiteren Beitrag zur Varianzaufklärung. Der Zusammenhang zwischen der Summe dieser Ereignisse und der PTBS-Symptomatik tendiert, wenn er durch die TB kontrolliert wird, gegen null (rIES-R, Summe Ereignisse/ TB = 0,0007, p = 0,995). In der Regressionsanalyse wird bei schrittweiser Variablenzuführung die Bedeutung sexueller Gewalterlebnisse für die PTBSSymptomatik deutlich. Die entsprechenden Items können 25 % der IES-Varianz erklären. Jedoch ist die Vorhersagequalität der s.g. low-magnitude Stressoren (Unglücksfälle und Unfälle, schwere Krankheit sowie Trauer und Verlust) mit gut 23 % ähn▶ Tab. 2). lich ausgeprägt (● Neben sexuellen Gewalterfahrungen gelten frühe Traumatisierungen als Risikofaktor, eine traumabedingte Psychopathologie zu entwickeln. Es wurde geprüft, ob die TB auch innerhalb der Hochrisikogruppen Opfer sexueller Gewalt bzw. frühe Traumatisierung bzgl. der Symptomatik differenziert. Beide Hochrisikogruppen weisen eine deutlich erhöhte mittlere TB auf (TB sex. Gew. = 9,0; TB frühe Traumat. = 6,9), gleichzeitig bleibt die Vorhersagequalität der Symptome durch die TB auch innerhalb der Gruppen bestehen (Sexuelle Gewaltopfer: rIES-R – TB = 0,66, frühe Traumatisierung: rIES-R – TB = 0,73), selbst wenn die spezifischen Items aus der Skala entfernt werden (sex. Gewalt ohne spez. Items: rIES-R – TB ohne = 0,63). Dass heißt die Symptombelastung von Personen mit sexueller Gewalterfahrung kann durch die Berücksichtigung anderer – nicht sexueller – traumatischer Erfahrungen wesentlich differenzierter bestimmt werden. Zur Beurteilung der Relevanz der Traumatisierung für den aktuellen Gesundheitsstatus ist somit die Summe der lebenslangen Stressorexpositionen einer Vorhersage überlegen, welche lediglich auf dichotomen Faktoren wie sexuelle Gewalt oder frühe Traumatisierung basiert. Die Clusteranalyse der Items der LSC-R ermöglicht es, Gruppen darzustellen, welche ein ähnliches Antwortverhalten zeigen. Durch die Inhalte der die Gruppen differenzierenden Items lassen sich Faktoren benennen, welche die Cluster unterscheiden und damit auch Rückschlüsse auf die Struktur der Skala ermöglichen. Bei der clusteranalytischen Einteilung der untersuchten Stichproben ergibt eine 4er Lösung sowohl hinsichtlich der Gruppengrößen als auch bzgl. der inhaltlichen Interpretation das beste Modell. Die nach dem Kriterium des minimalen Abstands berechneten Cluster unterscheiden sich quantitativ und auch qualitativ hinsichtlich ihrer Expositionsangaben ▶ Abb. 3). Personen des Cluster 1 berichten insgesamt über we(● nig traumatische Stressoren. Die zweite Gruppe mit etwas erhöhter Gesamtbelastung berichtet primär von emotionaler Traumatisierung, die Personen der dritten Gruppe machen zusätzlich Angaben über Gewalterlebnisse und bei der vierten Gruppe finden sich generell die höchsten Gesamtskalenwerte und außerdem Angaben zu sexuellen Gewalterlebnissen ▶ Tab. 3). Als Faktoren, welche die Cluster ordnen, stellen sich (● die Quantität – also die Anzahl der erlebten Stressortypen – und die qualitative Schwere der traumatischen Erfahrungen i. S. des Erkrankungsrisikos der das Cluster kennzeichnenden Stressoren dar. Diese Konkordanz zwischen Schwere der traumatischen Gewalt und Schwere bzw. Komplexität der traumatischen Erfahrungen entspricht den Konzepten zum traumatischen Gedächtnis [11] und unterstreicht die inhaltliche Validität der Skala „Traumabelastung“. Ungerer O et al. Verbesserte Diagnostik von Traumafolgestörungen durch … Psychother Psych Med 2010; 60: 434–441 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Originalarbeit 437 438 Originalarbeit Tab. 2 Schrittweise Regressionsanalyse: Vorhersage des IES-Scores durch die verschiedenen Stressorkategorien und Zugewinn der erklärten Varianz durch die jeweiligen Variablen. Variable Korrigiertes R2 R Zugewinn der Beta erklärten Varianz Schritt 1 Schritt 2 Schritt 3 Schritt 4 Schritt 5 Schritt 6 Unglücksfälle und Unfälle schwere Krankheit Trauer u. Verlust Vernachlässigung interpersonelle Gewalt sexuelle Gewalt 120 0,325 0,444 0,500 0,668 0,679 0,724 Cluster 1 0,097 0,197 0,228 0,425 0,460 0,496 Cluster 2 Cluster 3 9,7 % 10,0 % 3,1 % 13,7 % 3,5 % 3,6 % Cluster 4 100 0,175 0,182 0,117 0,329 0,161 0,227 Abb. 3 Clusteranalyse der Items der LSC-R: mittlere relative Häufigkeit der Items in den vier Clustern. 60 40 20 Ite m 1 Ite m Ite 2 m Ite 3 m 1 Ite 0 m Ite 11 m Ite 12 m Ite 13 m Ite 17 m Ite 18 m Ite 19 m Ite 20 m Ite 21 m 2 Ite 2 m Ite 23 m Ite 24 m Ite 25 m Ite 26 m Ite 27 m Ite 28 m Ite 29 m 30 0 Mittelwerte der Traumabelastung, IES-R und des GSI (SCL 90-R) der vier Cluster Cluster 1 Cluster 2 Cluster 3 Cluster 4 N Traumabelastung IES SCL 90 16 33 37 44 11,4 7,3 4,7 2,3 78,6 54,7 42,5 24,8 1,32 1,40 1,09 0,85 Clustername sexuelle Traumatisierung andere Gewalterlebnisse emotionale Traumatisierung geringe Traumatisierung Tab. 3 Mittlere Anzahl der Nennungen pro Trauma-Bereiche im Vergleich der Cluster. Cluster 1: Sexuelle Traumatisierung Cluster 2: Andere Gewalterlebnisse Cluster 3: Emotionale Traumatisierung Cluster 4: Geringe Traumatisierung Gesamtstichprobe Sex. Gew. Interp. Gewalt Vernachlässigung Trauer/Verlust Krankheit Unglück/Unfälle 3,18 0,36 0,24 0,14 0,58 2,94 2,06 1,43 0,39 1,42 1,31 0,91 0,97 0,14 0,72 1,19 1,33 0,81 0,42 0,86 0,81 0,97 0,24 0,41 0,55 1,25 1,30 0,51 0,61 0,84 Diskussion ▼ Über 90 % psychiatrischer bzw. psychotherapeutischer Patienten berichten bei standardisierten Befragungen mit einer Traumacheckliste von mindestens einem Erlebnis, das die wissenschaftlichen Kriterien traumatischer Stressoren erfüllt [36], entsprechend hoch ist die Prävalenz in der untersuchten Stichprobe mit 96,5 %. Dabei stimmen die Häufigkeiten einzelner Expositionstypen in dieser Stichprobe mit den Erhebungen durch Traumachecklisten in anderen klinischen Stichproben überein [25, 31], was als Hinweis auf die Repräsentativität der Traumabelastung der ausgewählten Stichprobe gedeutet werden kann. Der Dose-Response Effekt zwischen der Anzahl der berichteten Expositionsarten und der Ausprägung der Symptome der PTBS ist in der vorliegenden Studie mit r = 0,71 sehr deutlich. Dies zeigt ein Vergleich mit anderen Untersuchungen. Neuner et al. [17] errechnen bei 3 331 Flüchtlingen der Unter-Nil Region eine Korrelation von r = 0,49. In anderen Studien wird anhand der PTBS-Skalen eine Diagnosegruppe PTBS gebildet und das Erkrankungsrisiko der PTBS bezogen auf die Anzahl der Stressortypen berechnet. Bei Kriegs- bzw. Katastrophenopfern ergibt sich für mehr als 4 Angaben eine Odd Ratio zwischen 1,29 [21] und 16,2 [18]. Keine oder gering ausgeprägte Dose-Effekte werden in Stichproben festgestellt, bei welchen der mittlere Summenscore unter 4 Angaben lag [21, 22]. In klinischen Erhebungen wurde ebenfalls ein ausgeprägter Zusammenhang zwischen Anzahl der Stressorexpositionstypen und der PTBS-Symptomatik beschrieben [16], jedoch ohne dass vergleichbare Kennwerte angegeben wurden. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass der Dose-Effekt eine hohe Traumaspezifität besitzt. Wie bei Marshall et al. [19] und Klaric et al. [22] ist der Zusammenhang zwischen TB und PTBS-Symptomen deutlicher ausgeprägter als mit anderen psychopathologischen Merkmalen. Gleichzeitig bieten Angaben zu nicht–traumatischen Ereignissen keine zusätzliche Erklärung der Traumapathologie. Es ist somit von einer Korrelation zwischen dem Summenwert der Traumacheckliste und der Ungerer O et al. Verbesserte Diagnostik von Traumafolgestörungen durch … Psychother Psych Med 2010; 60: 434–441 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 80 aktuellen traumaspezifischen Psychopathologie auszugehen, die sich unabhängig von der untersuchten Population und der konkreten Itemauswahl darstellt. Außerdem werden für diesen Skalenscore, welcher die Anzahl der Typen traumatischer Stressoren addiert, befriedigende Retestreliabilitäten – zwischen 0,7–0,9 – angegeben [37, 38]. Der Summenwert der Traumacheckliste scheint eine quantitative, stabile und interindividuell differenzierende Voraussage der Traumasymptomatik zu ermöglichen. Die inhaltliche Validität des Messwertes ist jedoch nicht augenscheinlich. Der Dose-Response Effekt repliziert sich unabhängig von den in der Liste dargestellten Stressoren, solange die Ereignisse eine relevante Prävalenz in der Population besitzen. Auch erheben die Items der Traumachecklisten lediglich die Anzahl der unterschiedlichen Stressortypen, aber nicht andere für die psychopathologischen Folgen entscheidende Merkmale der Situationen. Es stellt sich also die Frage, welches psychologische Merkmal diesem Dose-Response Effekt zugrunde liegt und durch den Summenscore in der Traumacheckliste gemessen wird. Ein hoher Score kann auf einer großen Anzahl verschiedener traumatischer Ereignisse basieren, die dann kumulativ zur Exazerbation der Traumapathologie führen. Er kann aber auch Ausdruck eines generalisierten Opfererlebens sein oder die Komplexität der traumatischen Erfahrungen wiedergeben bzw. Ergebnis des Zusammenspiels all dieser Faktoren sein. So wird das Ausmaß der psychopathologischen Folgen komplexer Traumata durch Merkmale der Stressorexposition, durch das subjektive Schädigungserleben, das Viktimisierungs- bzw. Retraumatisierungsrisiko und spezifische Gedächtniseffekte beeinflusst. In der Summe ergeben diese Faktoren den Dose-Response Effekt, sodass sich folgende theoretische Grundlagen für das Konstrukt Traumabelastung darstellen lassen: ▶ Eine bestehende Traumapathologie erhöht die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Exposition mit traumatischen Stressoren. Betroffene mit einer Traumfolgestörung berichten nicht nur häufiger über erneute Traumatisierungen als Personen, die ein traumatisches Erlebnis salutogen verarbeiten konnten, sondern prospektive Untersuchungen zeigen auch, dass die Opfer traumatischer Gewalt häufiger neuen traumatischen Situationen ausgesetzt sind, wenn sie an einer PTBS leiden [39]. Gleichzeitig ist eine wiederholte Traumaexposition ein bedeutsamer Faktor für die Chronifizierung der posttraumatischen Erkrankungen [40]. Aufgrund der posttraumatisch verminderten Stresstoleranz sowie ungünstiger Copingstrategien wird außerdem eine größere Anzahl von Reizen als Traumatisierung erlebt [20]. Daher werden gerade Personen, welche durch Traumatisierung eine pathologische Schädigung erfuhren, mehr Stressortypen einer Traumacheckliste benennen. ▶ Bei schweren Traumatisierungen, deren psychopathologische Folgen besonders ausgeprägt sind, wirken häufig mehrere Arten von Gewalt gleichzeitig auf das Opfer ein. Prolongierte sexuelle Gewalt zum Beispiel impliziert häufig auch andere physische und seelische Misshandlungen, weshalb bei den Betroffenen gleich mehrere Situationskategorien bzw. Items der Traumacheckliste zutreffen. ▶ Bei der Gedächtnisrepräsentanz mehrerer Traumatisierungen können durch Verflechtung einzelner Aspekte verschiedener Erlebnisse entstehen [41]. Die Items der Traumacheckliste stellen diskriminative Hinweisreize dar, welche in der Testsituation assoziativ mit den Erinnerungen abgeglichen werden. Dabei treten bei Patientinnen und Patienten mit PTBS ver- stärkt Generalisierungen der Auslösereize auf [42]. Zusätzlich erhöht ihre allgemeine Tendenz zu generalisierenden autobiografischen Erinnerungen [43] die Wahrscheinlichkeit, dass die im Item beschriebene Situation das Traumagedächtnis aktiviert. Somit assoziieren Betroffene mit ausgeprägter Traumapathologie eine größere Anzahl der Items mit den traumatischen Erfahrungen, was ebenfalls den Zusammenhang zwischen Summenscore der Traumacheckliste und psychopathologischer Belastung durch Traumatisierung erklären kann. In der differenzierten Analyse der Antwortmuster in der vorliegenden Studie finden sich weitere Anhaltspunkte, welche die Validität der quantitativen Auswertung der Traumacheckliste stützen. Personen, die nach Exposition mit hochschädigenden Stressoren unter einer ausgeprägten Traumapathologie leiden, berichten von einer größeren Anzahl weiterer traumatischer Erlebnisse. Dies zeigt der regressionsanalytische Zuwachs der durch milde Stressoren erklärten IES-Varianz innerhalb dieser Hochrisikogruppen. Eine hohe Traumabelastung identifiziert Personen mit ausgeprägten psychopathologischen Traumafolgen. Diese Differenzierungsfähigkeit kann z. B. bei der Behandlungsindikation nach sexueller Gewalt relevant werden, da auch in dieser Population ca. 40 % der Betroffenen im weiteren Leben psychopathologisch nicht auffällig werden [11]. Der Zusammenhang zwischen der Schwere der traumatischen Erlebnisse und der Anzahl der Stressortypen, also der Traumabelastung, stellt sich auch in der Clusteranalyse dar. Wie bei Vinck et al. [23], die Expositionsangaben bei 2 389 Flüchtlingen in Norduganda auswerteten, ergeben sich auch in der vorliegenden Untersuchung 4 Cluster. Die so erzeugten Gruppen lassen sich in beiden Untersuchungen durch die Schwere des kategorisierenden Stressors und parallel durch die Anzahl der Expositionstypen differenzieren. Ein hoher Wert der Traumabelastung zeigt sich bei Expositionserfahrungen mit Stressoren, welche ein besonders hohes Erkrankungsrisiko bergen, und weist gleichzeitig auf häufige traumatische Erlebnisse hin. Der Messwert scheint graduell die Komplexität der Traumatisierung sowohl hinsichtlich ihrer Quantität als auch hinsichtlich ihrer Qualität abzubilden. In der vorliegenden Studie wurde die Skala der Traumabelastung aus einer Traumacheckliste gebildet, welche die gesamte Lebensgeschichte und eine Vielfalt von Expositionsarten erfasst. Der Childhood Trauma Questionaire (CTQ [44]) wird bereits als quantitatives Maß für Traumatisierung in Untersuchungen eingesetzt [45]. Dieses Verfahren fokussiert aber ausschließlich Kindheitserlebnisse. Die Befunde der Studie empfehlen jedoch ein Inventar, welches die gesamte Lebensspanne berücksichtigt. Auch differieren die hier dargestellten theoretischen Annahmen zur Messung der Traumabelastung mit der Konstruktion des CTQ. Dessen Skalen erheben die Schwere der traumatischen Erfahrungen durch unterschiedliche qualitative Merkmale der jeweiligen Traumakategorien. Das hier vorgestellte Vorgehen basiert hingegen auf einer für die Untersuchungspopulation möglichst umfassenden Liste verschiedener Stressortypen. Ein vergleichender Einsatz beider Verfahren könnte eine weiterführende Diskussion anregen. Die Interpretation der Ergebnisse der vorliegenden Studie wird dadurch relativiert, dass die die Stichprobe für die Gesamtpopulation psychosomatischer Patienten nicht als repräsentatives Klientel anzusehen ist. Außerdem kann nicht ausgeschlossen werden, dass die unterschiedliche Anzahl von Items, welche in einer Stressorkategorie zusammengefasst wurden, die Ergeb- Ungerer O et al. Verbesserte Diagnostik von Traumafolgestörungen durch … Psychother Psych Med 2010; 60: 434–441 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Originalarbeit 439 nisse beeinflusst. Hier wäre der parallele Einsatz mehrere Traumachecklisten mit unterschiedlich gewichteten Stressorkategorien aufschlussreich. Mit einem vergrößerten Itempool wäre auch eine empirisch fundierte Itemselektion durchführbar, womit die Kritik von Norris und Hamblen [30] aufgegriffen werden könnte. Auch bzgl. der Erfassung der posttraumatischen Symptomatik begrenzt der Einsatz lediglich eines Inventars, dem IESR, die Generalisierbarkeit der Untersuchungsergebnisse. Vor diesem Hintergrund wäre die Messung anderer traumaassoziierter Syndrome, wie z. B. der Dissoziativität, zu erwägen. Insgesamt finden sich jedoch in den Ergebnissen der vorliegenden Studie vielfältige Hinweise auf eine gute Sensitivität und Spezifität des Traumachecklistenscores für eine traumaspezifische Psychopathologie. Das auf der Basis des Dose-Response Effektes generierte psychometrische Vorgehen zeigt gute psychometrische Qualitäten. Die Homogenität der Skala (Cronbachs α = 0,74), der bedeutsame und spezifische Zusammenhang zwischen Traumabelastung und IES sowie die Übereinstimmung mit dem Expertenurteil liefern ebenso wie die Analyse der Antwortmuster hierfür relevante Anhaltspunkte. Fazit für die Praxis Zur Diagnostik von Traumafolgestörungen scheint eine systematische Erfassung der Traumabiografie anhand einer Traumacheckliste sowohl quantitativ als auch qualitativ sinnvoll. Diese Inventare werden im deutschen Sprachraum jedoch bislang nur selten eingesetzt. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass eine quantitative Auswertung dieser Listen zu empfehlen ist. Diese kann mit einem geringen zeitökonomischen Aufwand die Identifikation von Patientinnen und Patienten mit Traumafolgestörungen erheblich verbessern und somit dazu beitragen, dass die Betroffenen frühzeitig einer differenzierten Behandlung zugeführt werden. Literatur 1 Kilpatrick DG, Ruggiero KJ, Acierno RE et al. 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