Analyse des bestehenden Steuersystems Kapitel 1: Ziele und Mittel

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Analyse des bestehenden Steuersystems
Gliederung:
1. Ziele und Mittel
2. Verbrauchs- und Umsatzsteuern
3. Einkommenssteuer
4. Vermögens- und Erbschaftssteuer
5. Kraftfahrzeug- und Mineralsteuer
6. Sozialabgaben
7. Kopfsteuern
8. Gewinnsteuern
9. Zölle, Subventionen und andere außenwirtschaftlich relevante Steuern
10. sonstige Steuern (Grundsteuern, Gewerbesteuern, Energiesteuern)
Kapitel 1: Ziele und Mittel
Gliederung:
1. Einführung
2. Beurteilungskriterien
a. Das Kriterium der Ergiebigkeit
b. Steuergerechtigkeit
c. Das Kriterium der Allokationsneutralität
d. Der meritorische Ansatz
e. Das Kriterium eines optimalen Kollektivgüteranteils
f. Neutralität im Hinblick auf die gesamtwirtschaftlichen Ziele
g. Fiskalpolitik
3. Das Instrumentarium der Besteuerung
1. Einführung
Ich möchte mit diesem Artikel eine Serie von mehreren Artikeln starten, in denen das bestehende
Steuersystem der Bundesrepublik kritisch analysiert werden soll. Hierbei geht es mir weniger darum, konkrete Vorhaben der einzelnen Parteien zu
einer Reform einzelner Steuern zu untersuchen und
hierbei die Ausgestaltung einzelner beabsichtigter
Steuergesetze zu besprechen. An dieser Stelle soll
vielmehr eine systematische und kritische Analyse
des bestehenden Steuersystems vorgestellt werden.
Wir wollen uns mit der Frage befassen, inwieweit
denn die einzelnen konkreten Steuern überhaupt in
der Lage sind, die Ziele zu realisieren, um derentwillen sie in der Vergangenheit eingeführt wurden.
Hierbei gilt es zweierlei zu berücksichtigen. Wir
müssen stets mit der Möglichkeit rechnen, dass einzelne Steuern zumeist zur Lösung konkreter Probleme eingeführt wurden und dass hierbei nur die
Frage diskutiert wurde, inwieweit diese Steuer in
der Lage ist, das vorliegende Problem zu lösen, ohne dass ausreichend berücksichtigt wurde, dass sich
nahezu jede politische Maßnahme nicht nur auf das
Ziel auswirkt, um derentwillen sie eingeführt wurde, sondern gleichzeitig andere Ziele der Gesellschaftspolitik gefährden kann.
Wir haben also immer bei der Einführung politischer Maßnahmen sowohl eine Effizienzanalyse als
auch eine Analyse der unerwünschten Sekundärwirkungen durchzuführen, wobei die Effizienzanalyse dazu dient, zu überprüfen, ob das angestrebte
Ziel auf diese Weise überhaupt erreicht wird bzw.
ob gerade die gewählte Maßnahme unter einer
Vielzahl möglicher Alternativen die höchstmögliche
Effizienz aufweist. Die Analyse der möglichen Sekundärwirkungen hingegen hat die Aufgabe, festzustellen, inwieweit denn über diese Maßnahme andere Ziele der Wirtschafts- und Sozialpolitik gefährdet werden.
Die bloße Feststellung, dass unerwünschte Sekundärwirkungen zu befürchten sind, ist hierbei nicht
das Wichtigste. Wie bereits erwähnt, gibt es wohl
kaum politische Maßnahmen, von denen keine unerwünschten Sekundärwirkungen ausgehen. Der
Hinweis auf unerwünschte Sekundärwirkungen
dient vielmehr allein dazu, die politische Frage vorzubereiten, ob der durch eine Maßnahme angestrebte gesamtwirtschaftliche Nutzen im Hinblick
auf die Zielgröße als größer angesehen wird als der
durch eben diese Maßnahme auch zu befürchtende
Schaden. Während die Frage nach der Effizienz
und nach den einzelnen Sekundärwirkungen eindeutig im Rahmen einer empirischen Wissenschaft,
zu der auch die Wirtschaftstheorie zählt, im
Grundsatz geklärt werden kann, ist die Frage nach
der Bewertung dieser Wirkungen stets eine politische Frage, die im Rahmen einer empirischen Wissenschaft nicht entschieden werden kann, sondern
stets aufgrund einer politischen Willensäußerung
gefällt werden muss.
Wenn wir hierbei von Schaden und Nutzen sprechen, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass
sich ein- und dieselbe Maßnahme auf unterschiedliche Personen oder Personengruppen auch unterschiedlich auswirken kann. Wir haben davon auszugehen, dass handelnde Personen in allererster Linie Maßnahmen ergreifen, um ihr Eigenwohl zu
mehren. Hier in diesem Artikel geht es hingegen allein um die Frage, wie sich eine konkrete Maßnahme auf das Gemeinwohl auswirkt. Wir wollen also
mit anderen Worten überprüfen, welche positiven
und negativen Wirkungen von konkreten Steuern
auf das Wohl der gesamten Volksgemeinschaft ausgehen.
Das Wort „Steuer“ hat in der deutschen Sprache
einen doppelten Sinn: Auf der einen Seite bezieht
sich dieser Begriff auf eine von der öffentlichen
Hand erhobene Zwangsabgabe, auf der anderen
Seite wird jedoch das gleiche Wort auch für ein
Lenkungsinstrument gebraucht, so z. B. für das
Steuerruder eines Schiffes, aber auch ausgedehnt
auf den Versuch der Politiker, mit Hilfe dieses Lenkungsinstrumentes die Ergebnisse des wirtschaftlichen und politischen Systems nachhaltig zu beeinflussen.
Obwohl es sich also bei beiden Begriffen (Steuer im
Sinne von Abgaben an den Staat und im Sinne eines
Lenkungsinstrumentes) zunächst um zwei grundverschiedene Begriffsinhalte ein und desselben
Wortes handelt, die auf ihre Bedeutung bezogen
zunächst nichts miteinander zu tun haben, lässt sich
trotzdem feststellen, dass der Staat mit ein- und
demselben Mittel: der Steuer oftmals zwei Aufgaben zu lösen versucht, die mit diesen beiden Begriffen zum Ausdruck gebracht werden. Der Staat erhebt in erster Linie Steuern um auf diese Weise die
Finanzierungsmittel zu erhalten, welche er zur Realisierung seiner Ausgabe4n benötigt. Gleichzeitig
wird jedoch vor allem seit Anbruch der Neuzeit mit
dem gleichen Instrument das Ziel verfolgt, auf diese
Weise Einfluss auf das wirtschaftliche Ergebnis des
Wirtschaftssystems zu nehmen.
So hat z. B. der Merkantilismus, die Wirtschaftsdoktrin der absolutistischen Herrscher im ausgehenden 18. Jahrhundert, den Versuch unternommen, über die Einführung von Zöllen, welche eine
spezielle Abgabenart darstellen, eine aktive Handelsbilanz (also einen Überschuss der Exporteinnahmen über die Importeinnahmen) zu erzielen,
um auf diese Weise die einheimische Industrie vor
ausländischer Konkurrenz zu schützen, gleichzeitig
um die umlaufende Geldmenge zu vergrößern und
damit das wirtschaftliche Wachstum zu stimulieren.
Aber natürlich strebte der absolutistische Staat mit
der Einführung von Zöllen gleichzeitig an, Finanzierungsmittel für seine vielfältigen Ausgaben zu
erhalten. Da die direkten Steuern jedoch vom Ständeparlament genehmigt werden mussten und da der
absolutistische Herrscher das Ziel verfolgte, den
Einfluss der Stände zu reduzieren, führte er mit den
Zöllen eine Steuerart ein, die er ohne Zustimmung
des Ständeparlamentes erheben konnte.
Oder um ein zweites Beispiel zu bringen: Die Einführung der Mineralölsteuer in jüngster Zeit sollte
auf der einen Seite dem Staat Finanzierungsmittel
bringen, auf der anderen Seite jedoch auch die
Autofahrer dazu zu bewegen, weniger zu fahren
und damit die Umweltbelastung zu reduzieren.
Hierbei gilt es sich darüber klar zu werden, dass
beide Ziele einer Steuer (Erlangung von Finanzierungsmitteln und Steuerung der Volkswirtschaft) in
ihrem Ansatz in einem Konfliktverhältnis zueinander stehen und zwar in dem Sinne, dass das eine
Ziel (Erlangung von Finanzierungsmittel) um so
weniger erreicht wird, je mehr das andere Ziel
(Steuerung der Volkswirtschaft) realisiert wird. Je
stärker die einheimische Wirtschaft im Rahmen
einer Schutzzollpolitik des Merkantilismus vor der
ausländischen Konkurrenz geschützt wird, um so
geringer ist das Importvolumen und dementsprechend das Aufkommen der Importsteuer. Weiterhin gilt: In dem Maße, indem die Verbraucher dem
beabsichtigten Anreiz der Mineralölsteuer folgen
und damit das Ziel der Verringerung in der Umweltbelastung erreicht wird, gehen die Einnahmen
aus der Mineralölsteuer automatisch zurück.
Betrachten wir die Funktion einer Besteuerung als
Finanzierungsmittel etwas genauer. Knut Wicksell
hat die Steuer als Preis für die Kollektivgüter bezeichnet. Genauso wie der Preis eines Individualgutes vom jeweiligen Käufer an den Verkäufer gezahlt
werden muss, genauso muss der Bürger für die Inanspruchnahme der Kollektivgüter in Form von
Steuern ein Entgelt: die Steuern zahlen. Genauso
wie der Preis eines Individualgutes letzten Endes
darüber entscheiden soll, wie viel der knappen materiellen Ressourcen für ein bestimmtes Individualgut verwendet werden soll, genauso entscheidet
unter normalen Bedingungen die Steuerhöhe ebenfalls über den Umfang der nachgefragten Kollektivgüter.
Je höher nämlich die Steuereinnahmen sind, um so
mehr kann der Staat Kollektivgüter anbieten, sofern wir einmal davon ausgehen, dass der Staat
Kollektivgüter in normalen Zeiten nicht mit Krediten finanzieren darf. Wenn die Wähler eine Partei
wählen, welche einen höheren Steuersatz einführen
wollen als die konkurrierenden Parteien, so geben
sie damit gleichzeitig kund, dass sie wünschen, dass
der Anteil der Kollektivgüter am Inlandsprodukt
vergrößert wird. Nur dadurch, dass die Kollektivgüter mit Steuern finanziert werden, wird den
Wählern vor Augen geführt, auf wie viel Individualgüter sie verzichten müssen, wenn sie für eine
Zunahme des Kollektivgüterangebotes stimmen.
Dies bedeutet jedoch, dass die Wähler nur dann
ihre Präferenzen für die Kollektivgüter verwirklichen können, wenn Kollektivgüter grundsätzlich
mit regulären Steuereinnahmen finanziert werden.
Allerdings bestehen auch wesentliche Unterschiede
zwischen den Preisen der Individualgüter und der
Steuer als Preis für die Kollektivgüter. Während
die privaten Unternehmer mit der Produktion das
Ziel verfolgen, mit den Erlösen aus dem Verkaufspreis nicht nur die Kosten zu decken, sondern darüber hinaus einen Gewinn, also einen Überschuss
der Erlöse über die Kosten zu erzielen, fließen etwaige Überschüsse bei der Finanzierung der Kollektivgüter über Steuern nicht den Politikern zu.
Auch wird die Höhe des Steuersatzes autonom und
einseitig vom Staat festgesetzt, es gibt keinen
Marktwert der Kollektivgüter, in der amtlichen
Statistik wird der Wert der Kollektivgüter mangels
eines Marktwertes nach den Kosten berechnet, welche der Staat für die Erzeugung der Kollektivgüter
aufwendet.
Ein weiterer Unterschied zwischen den Preisen für
Individual- und Kollektivgütern besteht darin, dass
jeder einzelne Konsument darüber entscheidet, wie
viel er von den einzelnen Gütern kaufen möchte,
unabhängig davon, welche Güter ein Nachbar konsumieren möchte, während bei den Kollektivgütern
der Staat entsprechend dem Mehrheitswillen entscheidet, wie die Steuererträge auf die einzelnen
Kollektivgüter aufgeteilt werden können, jeder
Bürger steht demselben Kollektivgut gegenüber,
unabhängig davon, wie stark die einzelnen Präferenzen der Bürger differieren.
2. Beurteilungskriterien
Ich habe dieses erste Kapitel der Vorlesung über
das bestehende Steuersystem ‚Ziele und Mittel‘
überschrieben. Wir wollen uns in diesem Kapitel
auf der einen Seite einen Überblick darüber verschaffen, welche Ziele denn mit Hilfe der Steuern
verwirklicht werden sollen und auf der anderen Seite aufzeigen, auf welchem Wege diese Ziele realisiert werden können und welche Arten der Besteuerung zur Verfügung stehen.
Im Hinblick auf die Zielsetzungen haben wir allerdings – wie bereits erwähnt – zu berücksichtigen,
dass von nahezu allen politischen Maßnahmen, so
auch vom jeweiligen Steuersystem nicht nur die
Zielvariablen beeinflusst werden, sondern gleichzeitig auch andere Ziele berührt werden. Es muss stets
damit gerechnet werden, dass von Steuern gleichzeitig eine unerwünschte Wirkung auf andere Ziele
der Politik ausgehen.
Dies bedeutet, dass zur Beurteilung eines Steuersystems nicht nur die Effizienz einer Steuer im Hinblick auf das angestrebte Ziel untersucht werden
muss, sondern dass gleichzeitig auch nach möglichen, negativen Sekundärwirkungen gefragt werden muss. Mit anderen Worten: Die Kriterien zur
Beurteilung einer speziellen Steuer haben stets die
Wirkungen einer Besteuerung auf alle Ziele der
Politik zu überprüfen und dürfen sich nicht nur auf
die Ziele beschränken, welche mit Hilfe eben dieser
Steuer angestrebt werden.
Die einzelnen Steuern werden in dieser Analyse
stets als Mittel und nicht als Selbstzweck angesehen.
Und genauso, wie für jedes politische Ziel in aller
Regel mehrere Mittel zur Verfügung stehen, gilt
auch für das Besteuerungssystem, dass der Staat
seine politischen Vorhaben mit recht unterschiedlichen Steuerarten realisieren kann. Wir wollen uns
deshalb in diesem Kapitel auch zweitens einen
Überblick über die wichtigsten Steuerarten verschaffen, bevor wir in den weiteren Kapiteln dazu
übergehen, die einzelnen Steuerarten kritisch zu
analysieren.
Beginnen wir unsere Analyse damit, dass wir uns
einen Überblick über die wichtigsten Beurteilungskriterien eines Steuersystems verschaffen. Hierbei
können wir diese Beurteilungskriterien danach
unterscheiden, ob sie die Beschaffung oder die
Verwendung der Steuern zu überprüfen haben.
Hier sollen in erster Linie die Kriterien untersucht
werden, welche die Beschaffung von Steuereinnahmen zum Ziel haben.
a. Das Kriterium der Ergiebigkeit
Steuern werden erstens vor allem von den Politikern, allen voran den Finanzministern, danach beurteilt, wie ergiebig sie sind, ob also damit gerechnet werden kann, dass die Einführung einer Steuer
auch tatsächlich dem Staat beachtliche Mehreinnahmen verschafft. Wir haben davon auszugehen,
dass der Staat zur Erhebung von Steuern selbst
Kosten aufwenden muss, sodass die Einführung
einer Steuer dem Staat nur dann Mehreinnahmen
verschafft, wenn die zusätzlichen Steuereinnahmen
die hierdurch notwendig gewordenen Kosten übersteigen. Zu diesen Kosten zählen die Einrichtung
einer Steuerbehörde und damit Beschäftigung von
Beamten, weiterhin die Erhebung von Statistiken,
welche den Politikern Kenntnis darüber geben, inwieweit die einzelnen Bürger die Kriterien erfüllen,
welche der Besteuerung zu Grunde liegen. Bei einer
Einkommenssteuer, welche den geschuldeten
Steuerbetrag von der Höhe des individuellen Einkommens abhängig sein lässt, müsste z. B. zunächst
die Einkommenshöhe jedes Bürgers ermittelt werden. Selbstverständlich müssen auch Kosten aufgebracht werden, um eine mögliche Steuerhinterziehung zu erkennen und wirksam verfolgen zu können.
Bisweilen sind die Erhebungskosten bei Einführung
einer neuen Steuer so hoch, dass sie die zu erwartenden Steuererträge übersteigen. So ist z. B. der
Erhebungsaufwand bei Einführung einer Vermögenssteuer so hoch, da die traditionellen Einkommensstatistiken nicht über die Verteilung der Vermögen aussagen, dass die Erträge aus einer solchen
Steuer die Kosten nur dann übersteigen, wenn auch
die Empfänger mittlerer Vermögen und nicht nur
die Millionäre besteuert werden.
Aus der Sicht des Finanzministers mag dieses Kriterium der Ergiebigkeit verständlich erscheinen.
Der Finanzminister ist dafür verantwortlich, dem
Staat die Finanzmittel zu beschaffen, welche zur
Realisierung der politischen Vorhaben benötigt
werden. Es ist nur natürlich, dass der Finanzminister in Realisierung dieser Aufgabe nach solchen
Steuern Ausschau hält, die besonders ergiebig erscheinen.
Hier in diesem Artikel geht es jedoch um die Frage,
ob eine Steuer aus gesamtwirtschaftlicher Sicht als
erwünscht angesehen werden kann. Es interessiert
weniger die Frage, wie ergiebig eine Steuer ist, sondern die ganz andere Frage, ob die angestrebten
Ziele auf diesem Wege (mit dieser Steuer) erreicht
werden können, ohne dass andere Ziele so stark
verletzt werden, dass der gesamtwirtschaftliche
Schaden größer ausfällt als der gesamtwirtschaftliche Nutzen.
Ergiebigkeit und Gesamtwohl fallen jedoch nicht
zusammen. Es ist denkbar, dass eine bestimmte
Steuer als besonders ergiebig angesehen werden
kann, dass sie aber im Hinblick auf das Gemeinwohl unerwünscht ist, da ihr volkswirtschaftlicher
Schaden den möglichen Nutzen übersteigt. Andererseits muss auch mit der Möglichkeit gerechnet
werden, dass ein bestimmtes politisches Ziel auch
dann erreicht wird, wenn eine spezielle Steuer dem
Staat keine oder nur wenige Steuereinnahmen verschafft. Wir brachten oben das Beispiel eines Prohibitivzolls, bei der ein Importzoll so hoch angesetzt
wird, dass jeder Import verhindert wird. Hier erzielt der Staat aus dieser speziellen Steuer (auch ein
Zoll stellt eines spezifische Steuer dar) überhaupt
keine zusätzlichen Einnahmen. Trotzdem konnte
das Ziel einer Schutzzollpolitik voll erfüllt werden.
Das Ziel einer solchen Politik besteht in dem Schutz
der einheimischen Industrie vor ausländischen
Konkurrenten. Bei einem Prohibitivzoll wird dieser
Schutz hundertprozentig erreicht.
Halten wir also fest: Die Ergiebigkeit einer Steuer
ist weder eine notwendige noch eine ausreichende
Voraussetzung dafür, dass aus dem Gesichtspunkt
des Gemeinwohls diese Steuer als erwünscht angesehen werden kann. Sie ist nicht notwendig, weil bei
bestimmten Steuerarten der Erfolg der Besteuerung
um so größer ist, je weniger die Steuereinnahmen
betragen. Sie ist nicht ausreichend, weil trotz oder
vielleicht sogar gerade wegen der hohen Ergiebigkeit der Erfolg ausbleibt.
Dass dieses Kriterium auch in finanzwissenschaftlichen Lehrbüchern Eingang gefunden hat, obwohl es
also über die gesamtwirtschaftliche Erwünschtheit
einer Steuer nicht viel aussagt, dürfte damit zusammenhängen, dass dieses Kriterium von der Kameralistik in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt wurde, die Kameralistik war eine Abart der
Wirtschaftslehre des Absolutismus in Deutschland,
während sich die Wirtschaftslehre des Absolutis-
mus in Frankreich als Merkantilismus ( also als
eine Art Handelslehre) niedergeschlagen hat.
Der Ausspruch: ‚L'État, c'est moi‘, der Staat, das
bin ich, wird zwar vermutlich fälschlicher Weise
Ludwig XIV. in den Mund gelegt, bringt jedoch das
Staatsverständnis des absolutistischen Herrschers
deutlich zum Ausdruck. Es wird noch nicht – wie
dann später beim Liberalismus – zwischen den Interessen des Königs und den Interessen seiner Bevölkerung unterschieden. So ist es auch zu verstehen, dass die Kameralistik als Wirtschaftslehre des
Absolutismus in der Ergiebigkeit einer Steuer das
wichtigste Kriterium zur Beurteilung der Erwünschtheit einer Steuerart gesehen hatte.
b. Steuergerechtigkeit
Eines der wichtigsten Ziele jeder Besteuerung
überhaupt liegt darin, die Steuerlasten gerecht auf
die einzelnen Bürger aufzuteilen. Zunächst könnte
man vermuten, dass eine Steuerart gerade dann als
gerecht eingestuft werden könnte, wenn alle Bürger
unabhängig davon, wie reich oder wie arm sie sind,
einen gleichen Steuerbetrag zu entrichten haben. In
der Tat verbietet das Prinzip der Steuergerechtigkeit, einzelnen Bevölkerungsgruppen oder auch
einzelnen Personen ohne ausreichenden Grund
Steuerprivilegien einzuräumen, sie also von der allgemeinen Verpflichtung, Steuern zu zahlen, teilweise oder ganz zu entbinden. Steuerbefreiungen dürfen nie nur in der Person des betroffenen Bürgers
begründet sein, sie sind nur soweit berechtigt, als
Kriterien benannt werden, welche eine Reduzierung der geforderten Steuersumme zur Folge haben, Kriterien, die dann für alle Bürger angewandt
werden müssen, sofern diese Kriterien zutreffen.
Trotzdem würde eine Steuer, welche die gleiche
Steuersumme von allen Bürgern verlangen würde
und welche üblicher Weise als Kopfsteuer bezeichnet wird, als ausgesprochen ungerecht angesehen
werden. Der Grund hierfür liegt darin, dass der
Nutzen, den einem Bürger dadurch entgeht, dass er
Einkommensteile als Steuer an den Staat abführen
muss, bei gleicher Steuersumme um so größer ist, je
geringer das individuelle Einkommen ausfällt. Entsprechend dem Gesetz vom abnehmenden Nutzenzuwachs (Grenznutzen) steigt bei jeder Einkommenseinheit, den ein Bürger zusätzlich erhält, zwar
der Gesamtnutzen, aber der Nutzenzuwachs verringert sich mit wachsendem Einkommen.
Geht man also davon aus, dass wir nur dann von
einer gerechten Steuer sprechen können, wenn jedem Bürger ein gleiches Opfer (ein gleicher Nutzenentgang) abverlangt wird, muss die abzuführende Steuersumme und darüber hinaus auch der
Steuersatz mit wachsendem Einkommen überproportional ansteigen.
Nun ist allerdings die These, dass der Nutzenentgang einer bestimmten Steuersumme bei unterschiedlichen Einkommen unterschiedlich groß ist,
wissenschaftlich umstritten. Nach Vilfredo Pareto
lässt sich nämlich der Grenznutzen verschiedener
Personen gar nicht mit einander vergleichen, da es
sich beim Grenznutzen um eine subjektive Größe
handelt. Eine einzelne Person kann zwar feststellen,
dass der ihm selbst zugewachsene Nutzengewinn bei
jeder Erhöhung des Einkommens um eine Geldeinheit zurückgeht. Aus dieser Feststellung könne jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass deshalb der Grenznutzen eines Reicheren kleiner sei
als der Grenznutzen eines Ärmeren. Als subjektive
Größe sei der Grenznutzen nicht interpersonell
vergleichbar. Also könne man auch nicht mit wissenschaftlicher Eindeutigkeit feststellen, dass das
Opfer einer Geldeinheit als Steuer an den Staat abgeführt, um so geringer ausfällt, je höher das individuelle Einkommen ist.
Obwohl die überwiegende Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler, welche sich mit diesen wohlfahrtstheoretischen Fragen befasst hat, der These
Paretos gefolgt ist, entspricht dieser Opfergedanke
sehr wohl einem sehr großen Teil der Bevölkerung.
Die These, dass einem Millionär ein Geldverlust von
100 € sehr viel weniger Kummer bereitet als einem
Bürger, dessen Einkommen nur knapp über dem
Existenzminimum liegt, wird in der Öffentlichkeit
kaum bestritten. Wir wollen also dieser OpferThese trotz des Votums von Pareto folgen, zumal ja
die von Pareto entwickelte Wohlfahrtstheorie lediglich feststellt, dass es sich mit wissenschaftlichen
Methoden nicht einwandfrei belegen lässt, dass ein
Reicher von einer Geldeinheit einen geringeren
Nutzenzuwachs erfährt als ein Armer, die ganz andere Frage, ob von der Bevölkerung dieser Nutzenzuwachs des Reicheren tatsächlich geringer eingeschätzt wird als der Nutzenzuwachs eines Ärmeren,
wird durch diese Aussage überhaupt nicht berührt.
Es ist etwas anderes, festzustellen, dass wir eine bestimmte Aussage nicht beweisen können als zu behaupten, diese Aussage entspreche der Wahrheit.
Die Steuergerechtigkeit ist auch angesprochen,
wenn man die Forderung erhebt, dass der mit der
Steuer verbundene Nutzenentgang dem Nutzen entsprechen muss, den die einzelnen Bürger durch das
Kollektivgüterangebot des Staates erfahren. So hatte sich z. B. Friedrich Engels zugunsten einer Progression in der Einkommensbesteuerung ausgesprochen, nicht etwa um ein gleiches Steueropfer sicher zu stellen – diese Forderung wurde erst im
Rahmen der neoklassischen Steuerlehre erhoben –
sondern einfach deshalb, weil das Kollektivgüterangebot des Staates in viel stärkerem Maße den
Reichen als den Ärmeren zugute komme, sodass es
nur gerechtfertigt sei, dass die Reicheren für das
größere Kollektivgüterangebot auch dementsprechend mehr an Steuern zu zahlen hätten.
In der Tat muss man davon ausgehen, dass zu Beginn der Industrialisierung der größte Teil der Kollektivgüter vorwiegend nur den Reichen zugute
kam, der Staat schützte durch eine starke Polizei
vorwiegend das Vermögen der Reichen, die Armen
hatten kein Vermögen und bedurften deshalb auch
in dieser Hinsicht keines Schutzes, auch die Infrainvestitionen des Verkehrswesens und des Bil-
dungswesens kamen fast ausschließlich den Reicheren zugute.
In dieser Frage hat sich die Ausgangslage entscheidend gewandelt. Der größte Posten im Haushalt der
öffentlichen Hand stellt das Sozialbudget dar, deren
Ausgaben gerade den Ärmeren dieser Gesellschaft
zugute kommen. Auch erfahren in der Zwischenzeit
auch die Klasse der Empfänger mittleren Einkommen vermehrt Nutzen aus den Infrastrukturinvestitionen im Verkehrs- und Bildungswesen.
Unsere bisherigen Überlegungen zur Steuergerechtigkeit bezogen sich allein auf die Forderung, die
Steuerlast gerecht auf die einzelnen Bevölkerungsgruppen zu verteilen. Bisweilen wird jedoch von
den Politikern auch das Ziel verfolgt, auf dem Wege
der Besteuerung die Einkommensverteilung im
nachhinein umzuverteilen und zwar in dem Sinne,
dass den Reicheren höhere Steuern abverlangt
werden und diese Steuergelder dann als Transfereinkommen den Ärmeren gewährt werden. Man
versucht deshalb auf diese Weise den Differenzierungsgrad der Einkommen ex post zu reduzieren.
Man spricht hierbei auch von sekundärer Umverteilung. Im Gegensatz zur primären Verteilung,
welche auf den Märkten festgelegt wird, geht es im
Rahmen der sekundären Einkommensverteilung
darum, auf dem Wege der Besteuerung das privat
verfügbare Einkommen der Reicheren zu reduzieren.
Als Gegenstück zur Forderung, über differenzierte
Steuersätze den Differenzierungsgrad der Einkommen zu verringern, geht es im Rahmen der negativen Einkommenssteuer ganz im Gegenteil darum, nicht das Einkommen der Reichen zu schmälern, sondern das privat verfügbare Einkommen
derjenigen anzuheben, welche ein Erwerbseinkommen beziehen, das unter dem Existenzminimum
liegt. Natürlich handelt es sich hierbei in Wirklichkeit gar nicht um eine Besteuerung, es wird ja auf
diesem Wege den Begünstigten ein Transfereinkommen ausgezahlt. Trotzdem ist es zweckmäßig,
diese Einflussnahme des Staates auf die Einkommensverteilung im Zusammenhang mit dem Steuersystem zu behandeln, es sind – wie bereits der Name
ausdrückt – negative Steuern. Trotz dieses Unterschiedes gehen zwar von Transfereinkommen entgegengesetzt gerichtete Einflüsse als von den Steuern aus, aber ansonsten gleicht dieses Instrument
einer Besteuerung: In beiden Fällen geht es darum,
die Einkommensverteilung gerechter zu gestalten.
c. Das Kriterium der Allokationsneutralität
Von Steuern können im Rahmen marktwirtschaftlicher Systeme nicht nur Einflüsse auf die Verteilung
der Einkommen, sondern auch auf die Ausrichtung
der Produktion auf den Bedarf der Konsumenten
(im Weiteren kurz als Allokation bezeichnet) ausgehen. Während es bei der Einkommensverteilung
um die Frage geht, wie das gesamte Volkseinkommen auf die einzelnen Bevölkerungsgruppen aufgeteilt wir, geht es im Rahmen der Allokation der
Produktionsfaktoren um die Frage, wie die knappen materiellen Ressourcen einer Volkswirtschaft
auf die einzelnen zu produzierenden Güter aufgeteilt werden. Es steht also bei der Allokationsfrage
die Lenkung der Produktionsfaktoren zur Diskussion.
Ausgangspunkt ist die Knappheit der materiellen
Ressourcen. Dies bedeutet, dass der Vorrat an Ressourcen nicht ausreicht, alle erwünschten und benötigten Güter zu produzieren. Vorrangiges Ziel jedes
Wirtschaftssystems besteht darin, die Knappheit zu
bewältigen und zwar in dem Sinne, dass mit dem
gegebenen Vorrat an materiellen Ressourcen ein
Maximum an Nutzen erzielt wird. Man spricht
hierbei auch vom wirtschaftlichen Prinzip, wonach
mit dem gegebenen Bestand an Produktionsfaktoren ein Maximum an Ertrag erzielt wird oder – was
das gleiche bedeutet, nur von einer anderen Seite
aus gesehen – wonach eine bestehende Nachfrage
nach einem Gut mit einem Minimum an Produktionsfaktoren befriedigt werden kann.
Damit überhaupt diese Forderung nach Realisierung des wirtschaftlichen Prinzips Bedeutung erlangen kann, bedarf es zweierlei Voraussetzungen.
Auf der einen Seite muss es möglich sein, dass ein
und dasselbe Gut mit unterschiedlichen Techniken,
also z. B. arbeits- oder kapitalintensiv produziert
werden kann. Nur in diesem Falle ist es notwendig,
sich die Frage zu stellen, auf welche Weise ein bestimmtes Gut produziert werden soll, bzw. welches
Verfahren die geringsten Kosten erfordert. Gäbe es
nur eine Technik, mit Hilfe derer ein bestimmtes
Gut hergestellt werden könnte, würde sich auch die
Frage nach dem kostengünstigsten Verfahren erübrigen. Wir sprechen hierbei von der Forderung
nach Kosteneffizienz.
Auf der anderen Seite kann im Allgemeinen davon
ausgegangen werden, dass mit dem bestehenden Bestand an materiellen Ressourcen recht unterschiedliche Güterarten produziert werden können. Hier
geht es dann um die Frage, welche Güter denn produziert werden sollen, wobei es niemals darum geht,
den Bestand an Produktionsfaktoren nur für das
eine Gut einzusetzen, es geht vielmehr stets darum,
einen bestimmten Mix an Gütern zu produzieren
und die Frage lautet dann, bei welchem Mix ein
Maximum an Wohlfahrt erzielt werden kann. Hier
spricht man von der Allokationseffizienz im engeren Sinne. Auch hier ist es klar, dass sich diese Frage nicht stellen würde, wenn mit den einzelnen Produktionsfaktoren immer nur ein ganz bestimmtes
Gut und kein anderes erstellt werden könnte.
Das marktwirtschaftliche System zeichnet sich nun
dadurch aus, dass dieses wirtschaftliche Grundproblem im Sinne der Konsumentensouveränität zu lösen ist. Der Konsument ist in diesem System der
Souverain, der zu bestimmen hat, wie diese beiden
wirtschaftlichen Forderungen zu lösen sind. Jeder
private Haushalt verfügt in diesem System über ein
Einkommen, das er grundsätzlich nach freiem Ermessen (natürlich im Rahmen der Gesetze) auf die
einzelnen Konsumgüter aufteilen kann. Dadurch,
dass der private Haushalt mit seinem Einkommen
nicht nur Konsumgüter nachfragt, sondern gleichzeitig die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital
anbietet, entscheidet er zusätzlich darüber, wie viel
von den einzelnen Ressourcen zur Verfügung gestellt wird und damit letzten Endes auch darüber,
welche technischen Verfahren überhaupt möglich
werden.
Deshalb ist auch der Begriff der Konsumentensouveränität nicht präzise. Es geht in einer Marktwirtschaft nicht darum, dass sich der Anbieter von Produktionsfaktoren (also z. B. von Arbeit) dem Diktat
des Konsumenten beugen solle. Vielmehr zeichnet
sich eine Marktwirtschaft dadurch aus, dass die
privaten Haushalte darüber zu befinden haben, was
und wie produziert wird. Die privaten Haushalte
fragen jedoch nicht nur Konsumgüter nach, sondern bieten gleichzeitig Produktionsfaktoren
(Arbeit und Kapital) an.
Es ist somit in einer reinen Marktwirtschaft grundsätzlich der Haushalt, der darüber entscheidet, wie
die einzelnen Haushaltsmitglieder ihre Zeit auf erwerbswirtschaftliche Zeit und auf Freizeit aufteilen
und wie viel Arbeit sie deshalb anbieten. Weiterhin
entscheidet der private Haushalt darüber, wie viel
Einkommen für den Ankauf von Konsumgütern
verwendet werden soll und welcher restliche Teil
dann gespart wird und als Kapital Banken oder
Unternehmungen angeboten wird.
Kommen wir nun zu der Frage, inwiefern denn diese Allokationsfunktion des Marktes überhaupt
durch die Art der Besteuerung beeinflusst wird und
inwiefern über das Besteuerungssystem letztlich die
Erfüllung dieser Funktion behindert werden kann.
Steuern werden zum größten Teil von den Unternehmungen an den Staat abgeführt. Dies gilt für alle Verbrauchssteuern einschließlich der Mehrwertsteuer, aber auch für die Einkommenssteuern.
Selbst die Lohneinkommenssteuer wird zwar vom
Bruttolohneinkommen abgezogen, aber vom Unternehmer unmittelbar an das Finanzamt abgeführt.
Für Unternehmungen bedeuten jedoch Steuern
immer Kosten und sie sind stets bemüht, Kosten auf
den Preis abzuwälzen. Dieser Versuch gelingt immer dann, wenn auch die Konkurrenten ebenfalls
diese Steuer zahlen müssen und deshalb ebenfalls
diese Steuern nach Möglichkeit an den Kunden weiterwälzen werden. In diesem Falle aber entstehen
den Unternehmern durch diese Weiterwälzung der
Steuerlast auf ihre Kunden keine Wettbewerbsnachteile. Sie haben nicht zu befürchten, dass wegen dieser Preiserhöhung Kunden zur Konkurrenz
abwandern, da ja auch diese ihre Preise erhöhen. In
diesem Falle gelingt also die Preisüberwälzung und
die Unternehmer sind dann nicht mehr die eigentlichen Steuerträger, sondern nur noch Steuerzahler,
mit anderen Worten: Die Besteuerung belastet
dann nicht mehr die Unternehmer.
Werden nun nur auf einzelne Güter Verbrauchsteuern erhoben oder ist der Steuersatz für die einzelnen Güter unterschiedlich hoch, so werden auch
als Ergebnis dieser Überwälzung die Preisrelationen verändert. Diese Veränderungen in den Preisrelationen sind nun die Ursache dafür, dass die
Ausrichtung der Produktion am Bedarf der Konsumenten behindert wird. Dass nämlich in einer
funktionierenden Marktwirtschaft die Produktion
an den Bedürfnissen der Konsumenten ausgerichtet
wird, hängt damit zusammen, dass der Markt – allerdings nur unter gewissen Bedingungen (vor allem eines vollständigen Wettbewerbs) – die Preisrelationen an der relativen Knappheit der einzelnen
Güter ausrichtet.
Wird z. B. ein bestimmtes Gut knapper als bisher,
führt dies in einer freien Marktwirtschaft zu einer
Preissteigerung, der gestiegenen Knappheit entspricht deshalb auch ein gestiegener Preis. Diese
Preissteigerung bewirkt nun auf funktionierenden
Wettbewerbsmärkten zweierlei: Auf der einen Seite
wirkt die Preissteigerung für die Anbieter dieses
Gutes als Anreiz, die Produktion auszuweiten. Die
Preissteigerung ist für die Anbieter ein Indiz dafür,
dass durch Ausweitung der Produktion ein Gewinn
erzielt werden kann.
Auf der anderen Seite sehen sich die Nachfrager
aufgrund der Preissteigerung veranlasst, zu überprüfen, ob sie ihren Nutzen nicht dadurch vermehren können, wenn sie ihre Nachfrage weniger auf
die Güter richten, die im Preis gestiegen sind und
für den hierdurch eingesparten Betrag andere Güter nachfragen, welche zu den bisher nachgefragten
Güter in einem Substitutionsverhältnis stehen. Im
Allgemeinen können wir davon ausgehen, dass ein
und dasselbe Bedürfnis von verschiedenen Produkten befriedigt werden kann. Ich kann z. B. das Bedürfnis nach Kohlehydraten durch Kartoffel, Teigwaren oder Reis befriedigen.
Dadurch, dass nun Verbrauchsteuern auf einzelne
Güterpreise überwälzt werden, weichen die Preisrelationen von den Knappheitsrelationen ab und verhindern deshalb eine optimale Ausrichtung der
Produktion am Konsumentenbedarf, da Preissteigerungen auch dann stattfinden, wenn die Knappheit dieses Gutes gar nicht angestiegen ist.
d. Der meritorische Ansatz
Wir gingen bisher von der Forderung aus, dass der
marktwirtschaftliche Prozess durch die Art der Besteuerung möglichst wenig beeinflusst und damit
gestört werden sollte. Zumindest entspricht dies
dem marktwirtschaftlichen Credo. Es gibt jedoch in
Literatur und Politik auch Vorstellungen, in denen
umgekehrt mit der Besteuerung die Hoffnung verbunden wird, dass der Staat unter anderem auch
durch die Art der Besteuerung massiv in das Geschehen des Marktes eingreifen und damit die Ergebnisse des Marktes korrigieren sollte.
Zwei unterschiedliche Leitideen stehen hinter solchen Forderungen. Auf der einen Seite wird die
Auffassung vertreten, dass die Konsumenten zumindest zu einem großen Teil bei weitem überfor-
dert seien, ihre wahren Interessen zu vertreten, hier
sei es Aufgabe des Staates, an die Stelle der Konsumenten zu treten und in meritorischer Absicht,
Entscheidungen den Bürgern abzunehmen und zugunsten der Bürger in den Marktprozess einzugreifen. Dahinter steht weiterhin die Vorstellung, dass
der Staat – vertreten durch seine Beamten – es besser als die Betroffenen wissen, was für letztere gut
sei. Diese Idee wird dann dadurch gerechtfertigt,
dass der Staat ja über das gesamte kollektive Wissen verfüge und deshalb bei seinen Entscheidungen
dem größten Teil der Bürger überlegen sei.
Es ist klar: Diese Idee steht in krassem Widerspruch zu dem Leitbild des Liberalismus. Adam
Smith, der Begründer der modernen Wirtschaftswissenschaft und einer der maßgebendsten Vertreter des Frühliberalismus im ausgehenden 18. Jahrhundert, hat dafür plädiert, dass jeder Einzelne die
Verantwortung für sein eigenes Leben selbst übernehmen sollte, dass es sogar immer noch besser sei,
wenn ein Einzelner bisweilen im Hinblick auf sein
eigenes Interesse fehlerhaft handle. Die Übernahme
der Eigenverantwortlichkeit sei ein Wert für sich
und aus Fehlern könne man langfristig lernen.
Adam Smith war auch der Überzeugung, dass die
marktwirtschaftliche Ordnung, welche dem Einzeln
die Verantwortung für sich selbst überlässt, gerade
auch aus der Sicht des Wohls der Allgemeinheit auf
lange Sicht die besseren Ergebnisse herbeiführe als
eine vom Staat gelenkte Planwirtschaft. Er sprach
in diesem Zusammenhang von der unsichtbaren
Hand, die ohne Zutun der Einzelnen das Gesamtergebnis so steuere, das es zu einer optimalen Lösung führe.
Friedrich von Hayek hat diesen meritorischen Ansatz als Anmaßung von Wissen seitens der staatlichen Behörden gegeißelt. Der Wirkungsmechanismus einer modernen, global miteinander vernetzten
Volkswirtschaft sei so komplex, dass niemand, auch
nicht die Beamten des Staatsapparats, in der Lage
sei, all das Wissen bei ihren Entscheidungen zu be-
rücksichtigen und zu verarbeiten, das eigentlich
notwendig sei, um einigermaßen befriedigende Ergebnisse herbeizuführen. Es sei gerade der anonyme Marktprozess, in dem dieses notwendige Wissen
– aufgeteilt auf eine Vielzahl einzelner Teilnehmer –
in Wirklichkeit zum Zuge komme. Nur der Markt
ermögliche es, dass uno actu auf der einen Seite die
Nachfrage an den Preisen ausgerichtet werden
könne, dass aber auf der anderen Seite gerade diese
Preise selbst wiederum davon abhängen, welche
Nachfrage die einzelnen Haushalte ausüben. Nur
der Markt sei in der Lage, Preise und erforderliche
Mengen simultan festzulegen.
Diese Leitvorstellung von Adam Smith korrespondiert übrigens mit dem von der christlichen Soziallehre propagierten Subsidiaritätsprinzip. Dieses
Prinzip verlangt, dass jeweils die untersten Entscheidungsträger (also die Familien vor der Gemeinde, die Gemeinde vor den Ländern, die Länder
vor dem Bundesstaat) solange die Entscheidungsbefugnis behalten sollten, solange diese nicht überfordert seien. Erst dann, wenn klar sei, dass die jeweils
untere Instanz überfordert wäre, diese Entscheidungen sachgerecht zu fällen, sollte die jeweils
übergeordnete Instanz eingreifen und die Entscheidungen an sich ziehen. Aber selbst hier wird davon
ausgegangen, dass in aller Regel die übergeordnete
Instanz sich darauf beschränken könne und auch
solle, den untergeordneten Entscheidungsträgern
lediglich eine Hilfe zur Selbsthilfe zu gewähren.
In dieselbe Richtung weist eine weitere, zweite Leitidee: Dass nämlich der Marktprozess eine Vielzahl
von Mängeln, ja sogar Versagen aufweise und dass
eben diese in der Realität auftretenden Unvollkommenheiten den Staat verpflichte, korrigierend
(z. B. über das System der Besteuerung) in den
Markt einzugreifen und somit überhaupt erst die
optimalen Ergebnisse ermögliche, welche zwar dem
Markt als Aufgabe übertragen wurden, welche jedoch in der Realität stets mehr oder weniger verfehlt werden.
Dass kein reales Marktsystem jemals in der Lage
ist, jeweils optimale Ergebnisse zu liefern, ist sicherlich unbestritten. Es kann nicht bezweifelt werden,
dass die konkreten Märkte immer wieder von den
optimalen Ergebnisse abweichen, ja sogar ihr Ziel
oftmals in starkem Maße verfehlen. Die entscheidende Frage besteht nun aber darin, welche
Schlussfolgerungen aus diesen Erkenntnissen zu
ziehen sind.
Es ist ein grundlegender Irrtum zu meinen, dass bei
einem Fehlverhalten des Marktes jeder staatliche
Eingriff zu einer Verbesserung der Situation führt.
Nicht nur der Markt, sondern in gleicher Weise
auch die staatliche Planungswirtschaft weist Mängel und größtes Versagen auf, sodass sogar damit
gerechnet werden muss, dass durch Übertragung
bestimmter wirtschaftlicher Aufgaben an die staatlichen Behörden die Ergebnisse des Wirtschaftssystems um ein weiteres verschlechtert werden. Es
lässt sich zeigen, dass in zahlreichen Fällen der
Staat die Ziele verfehlt, die er sich mit seinem Eingreifen in den Wirtschaftsprozess vorgenommen
hatte, dass aber andere Ziele der Gesellschaftspolitik auf diese Weise zusätzlich beeinträchtigt werden.
Der Neoliberalismus hat aus diesen Marktunvollkommenheiten einen ganz andern Schluss gezogen,
dass nämlich die Marktergebnisse auch dadurch
von Seiten des Staates korrigiert werden können,
dass der Staat die wirtschaftlichen Daten, welche
das Handlen der privaten Wirtschaftssubjekte bestimmt, beeinflusst, dass aber die eigentlichen wirtschaftlichen Entscheidungen über die anzubietenden und nachzufragenden Gütermengen nach wie
vor die privaten Wirtschaftssubjekte selbst bestimmen sollten. Walter Eucken führte in diesem Zusammenhang den Begriff der Marktkonformität
ein. Marktkonform sind Maßnahmen des Staates
immer dann, wenn sie sich darauf beschränken, die
wirtschaftlichen Daten zu beeinflussen, wenn jedoch die eigentlichen wirtschaftlichen Entscheidungen nach wie vor den privaten Haushalten und
Unternehmungen verbleiben und somit die Freiheit
der privaten Entscheidungen gewahrt bleibt.
Rein formal gesehen stellt zwar jede Besteuerung
zunächst nur eine Änderung der wirtschaftlichen
Daten dar. Wenn aufgrund einer Verbrauchssteuer
z. B. der Preis dieses Gutes so stark ansteigt, dass
für die meisten Verbraucher die Nachfrage nach
diesem Gut drastisch verringert wird, erfolgt diese
Verringerung der Nachfrage formal gesehen aus
freien Stücken der betroffenen Konsumenten. Es ist
ihre freie Entscheidung, von diesem Gut weniger
nachzufragen, sie hätten rein rechtlich gesehen
durchaus die Möglichkeit gehabt, ihre Nachfrage
trotz drastischer Erhöhung des Preises im bisherigen Umfang beizubehalten.
Eine tiefer gehende Analyse zeigt jedoch, dass in
diesem Falle trotzdem der Marktprozess entscheidend gestört wird und dass deshalb auch in diesem
Falle von marktinkonformen Maßnahmen gesprochen werden sollte. Walter Eucken hatte in seinen
Grundzügen der Wirtschaftspolitik mehrere Prinzipien formuliert, welche konstitutiv, also unerlässlich sind. Ohne deren Einhaltung würde das
marktwirtschaftliche System entscheidend gestört
oder vielleicht sogar zerstört werden. Zu diesen
Prinzipien zählt auch, dass die marktwirtschaftlichen Preisrelationen die Knappheitsrelationen der
einzelnen Güter zu widerspiegeln haben. Wir haben
gesehen, dass aber gerade über bestimmte Steuerarten dieser Allokationsmechanismus außer Kraft gesetzt wird.
Fortsetzung folgt!
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