Kapitel 3: Spektroskopie 2.Teil

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3.2 Mikroskopische Betrachtungsweise
Für Gase ist n2 ≈ 1, damit erhält man
! N fi (q 2 /mε0 )
n =1+
,
2
ω0i
− ω 2 + iβi ω
i
2
(3.103)
was aber dem Brechungsindex eines dünnen Mediums entspricht (vgl. (3.72)).
3.2.5 Relaxations-Modell von Debye
Bisher betrachteten wir Medien ohne permanente Dipolmomente. Liegen permanente
$
Dipole vor, wie z.B. in Wasser, so versuchen sich diese bei einem angelegten E-Feld
auszurichten. Dabei werden sie durch thermische Bewegung gestört, d.h. die rücktreibende
“Kraft” ist die statistische Tendenz nach beliebiger Ausrichtung. Dies ist ein völlig anderer Ansatz als im Lorentz-Modell vorher. Diese rücktreibende Kraft führt nicht zu einer
Oszillation. Es ist eher so als wären permanente Dipole übergedämpft, im Gegensatz
zum Lorentz-Modell, wo wir untergedämpfte Oszillatoren haben. Weil polare Moleküle
zum Gleichgewicht relaxieren, nennt man diese Polarisation auch Relaxation. Die erste
Arbeit zu diesem Thema stammt von Debye und entsprechend spricht man von Debye
Relaxation. Da viele Flüssigkeiten aus polaren Molekülen bestehen, spielt die Relaxation durch molekulare Rotation eine wichtige Rolle für die Beschreibung des optischen
Verhaltens dieser Flüssigkeiten, speziell im Mikrowellenbereich. Aber auch Festkörper
zeigen ein ähnliches Verhalten.
Die Rückkehr ins Gleichgewicht ist im Lorentz-Modell und im Debye-Modell sehr
unterschiedlich. Wir betrachten ein polarisiertes Medium, bei dem das polarisierende
$
elektrische Feld plötzlich abgeschaltet wird. Beim “Abschalten” des E-Feldes
erfolgt im
Lorentz-Modell eine gedämpfte Schwingung, so dass für die Polarisation PL (t) zur Zeit
t gilt
PL (t) = PL (0)e−βt cos(ω0 t).
(3.104)
Beim Debye-Modell wird die Polarisation PD (t) zur Zeit t
PD (t) = PD (0)e−t/τ .
(3.105)
Es erfolgt eine Relaxation zu Null mit der Zeitkonstante τ . τ heisst Relaxationszeit. Die
Relaxationszeit von polaren Molekülen ist stark temperaturabhängig. Debye zeigte, dass
für eine Kugel mit Radius a in einer Flüssigkeit der Viskosität η gilt:
τ=
4πηa3
kT
(3.106)
Der Zähler in (3.106) stammt von der Viskosität, der Nenner von den thermischen
Stössen. Eine höhere Temperatur T verkleinert die Viskosität in einer Flüssigkeit und
verstärkt die thermischen Bewegungen, so dass sich die Relaxationszeit verkürzt. Für
Wasser ist η = 0.01 Poise und a = 10−10 m und somit wird τH2 O ≈ 0.3 ∗ 10−10 s was einer
Frequenz im Mikrowellenbereich entspricht.
77
3 Wechselwirkung mit Materie
Wir wollen nun einen Zusammenhang zwischen der Polarisation und dem elektrischen
Feld für ein Medium aus polaren Molekülen untersuchen. Dies wird uns schliesslich
aufzeigen, wie die Dielektrizitätskonstante von der Frequenz abhängt.
Wir betrachten ein elektrisches Feld E0 , das zur Zeit t0 eingeschaltet wird. Dies ist
schematisch in Figur (3.9) dargestellt. Es wird Beiträge zur Polarisation geben, die
E
P
P(00)
E0
P(t0 )
t0
t
t
t0
Abbildung 3.9: Schematische Darstellung der Polarisation, die als Folge eines elektrischen Feldes entsteht, welches zur Zeit t0 eingeschaltet wird.
von den Elektronen stammen, von den Gitterionen und von den permanenten Dipolen.
Wir nehmen an, dass die Antwort der Dipole auf das schlagartig eingeschaltete Feld
langsamer sein wird, als etwa für die Elektronen, für welche die Antwort als instantan
betrachtet werden kann. Für die Polarisierbarkeit gilt also
α = αe + αa + αd .
" #$ % "#$%
(3.107)
P (t0 ) = ε0 χ0v E0
(3.108)
sofort
langsam
Wenn das Feld zur Zeit t0 eingeschaltet wird, so entsteht unmittelbar eine Polarisation
und mit zunehmender Zeit wird schliesslich der Wert
P (t → ∞) = ε0 χ0d E0
(3.109)
erreicht. Dabei ist χ0v die Suszeptibilität für Frequenzen, die klein gegenüber den Gitterschwingungen sind, und welche klein gegenüber den elektronischen Frequenzen sind.
χ0d ist die Suszeptibilität für Frequenzen, die tiefer liegen als die Dipolfrequenzen, also
eigentlich die statische Suszeptibilität. Nehmen wir nun einen exponentiellen Ansatz von
Debye mit e−t/τ , so können wir für die zeitabhängige Polarisation schreiben
P (t) = P (∞) − Ce−(t−t0 )/τ
(t > t0 ).
(3.110)
Die Konstante C kann man aus der Bedingung
lim P (t) = P (t0 )
(3.111)
C = P (∞) − P (t0 ) = P (t0 ) (χ0d − χ0v ) /χ0v .
(3.112)
t→t0
bestimmen, so dass
78
3.2 Mikroskopische Betrachtungsweise
Setzen wir nun dieses C in (3.110) ein und stellen noch etwas um, so erhalten wir
P (t) = P (∞) − [P (∞) − P (t0 )] e−(t−t0 )/τ = .... =
&
'
=
ε0 χ0v E0
+ ε0 (χ0d − χ0v ) 1 − e−(t−t0 )/τ .
" #$ %
"
#$
%
Beitrag durch Ionen
(3.113)
Beitrag durch permanente Dipole, Pd (t)
E1
t
t0
t1
t
E1
t0
t1
t
t0
t1
t
Polarisation
t1
Polarisation
t0
E-Feld
E-Feld
Man kann ein beliebiges E-Feld auch durch Stufen darstellen. Wir betrachten ein
Beispiel mit zwei Stufen. Im ersten Fall wird das Feld der Stärke 2E1 zur Zeit t0 eingeschaltet, und zur Zeit t1 wird es schlagartig auf den Wert E1 gebracht. Im zweiten Fall
wird das Feld zur Zeit t0 auf den Wert E1 /2 gebracht und dann zur Zeit t1 ebenfalls auf
den Wert E1 . Das Vorgehen ist in Figur (3.10) dargestellt. Es ist klar, dass in den bei-
Abbildung 3.10: Beispiel mit zwei Stufen
den Fällen die Polarisation unterschiedlich sein wird. Die Polarisation zur Zeit t hängt
von der Geschichte ab. Wir nehmen an, dass die Polarisation zu irgend einer Zeit sich
schreiben lässt
lim P (t) = Pd (t1 ) + ε0 χ0v E1 .
(3.114)
t→t1
Es ist somit
&
'
P (t) = ε0 χ0v E1 + ε0 (χ0d − χ0v ) E1 1 − e−(t−t1 )/τ
&
'
+ε0 (χ0d − χ0v ) E0 e−(t−t1 )/τ − e−(t−t0 )/τ
t > t1 .
(3.115)
Dieser Ausdruck kann noch etwas umgeschrieben werden, so dass
P (t) = ε0 χ0v E1 + ε0 (χ0d − χ0v )
(t
t0
d ) −(t−t! )/τ * #
E(t ) # e
dt .
"dt
#$
%
#
(3.116)
Green-Funktion
79
3 Wechselwirkung mit Materie
Dieser Zusammenhang gilt für eine beliebige Anzahl Stufen, nicht bloss zwei. Es gilt sogar für irgend einen Feldverlauf, da dieser durch beliebig viele Stufen angenähert werden
kann. Eine Beschreibung mittels Stufen, resp. Impulsen, erfolgte zuerst durch Green und
man nennt deshalb den Exponentialfaktor unter dem Integral mit dem E(t# ) multipliziert
wird auch Green-Funktion. Der erste Term in (3.116) entspricht den Gitterschwingungen und folgt dem Feld unmittelbar. Der zweite Teil ist die Antwort der Summe aller
langsamen Dipole. Um nun die Frequenzabhängigkeit der Suszeptibilität χ(ω) zu erhalten, müssen wir untersuchen, wie ein Feld E = E0 eiωt sich auswirkt. Wir setzen ein und
erhalten
P (t) = ε0 χ(ω)E0 eiωt
iωt
= ε0 χ0v E0 e
+ ε0 (χ0d − χ0v )
(t
iωt!
E0 e
−∞
d ) −(t−t! )/τ * #
e
dt
dt#
(3.117)
Als Lösung erhält man
χ = χ0v +
∆
1 + iωτ
mit ∆ = χ0d − χ0v
(3.118)
Wir schreiben an Stelle von χ0d neu χs was gilt, wenn ω → 0 d.h. statisch, und für χ0v
neu χ∞ was andeutet ω → ∞. Damit folgt nun für εr resp. ε = ε0 εr :
ε = ε∞ +
εs − ε∞
1 + iωτ
(3.119)
εs − ε∞
(3.120)
1 + ω2τ 2
ωτ (εs − ε∞ )
ε## =
(3.121)
1 + ω2τ 2
Diese Gleichungen werden als Debye-Relationen bezeichnet.
Man kann zeigen, dass auch ε# und ε## die Kramers-Kronig-Relationen erfüllen. Ferner
ist ersichtlich, dass ε## maximal wird für ω = 1/τ und sich ähnlich verhält wie beim
Lorentz-Oszillator. Der Realteil verhält sich aber ganz anders. Er hat kein Maximum
und kein Minimum, sondern ε# fällt monoton von εs zu ε∞ ab. Der starke Abfall findet
für ω = 1/τ statt. Bei tiefen Frequenzen folgen die Dipole problemlos dem elektrischen
Feld, und die dc-Dielektrizitätskonstante kann recht gross sein. Für hohe Frequenzen
können die Dipole dem Feld nicht mehr folgen. Damit geht ε# auf einen Wert, der die
Dipole nicht berücksichtigt.
Die Debye-Relationen (3.119), (3.120) und (3.121) sind besonders wichtig, um die grossen Dielektrizitätswerte von polaren Flüssigkeiten zu beschreiben, wie z.B. von Wasser.
Figur (3.11) zeigt die Frequenzabhängigkeit von ε# und ε## für Wasser. Man sieht, dass
das Maximum für ε## bei einer Wellenzahl von ca. 0.75cm−1 liegt, was einer Frequenz von
rund 22GHz entspricht. Diese Frequenz ist uns bereits im Kapitel über Spektroskopie begegnet. Brechungsindex und die Dielektrizitätskonstante sind gemäss (3.54) miteinander
ε# = ε∞ +
80
3.2 Mikroskopische Betrachtungsweise
Abbildung 3.11:
Abbildung 3.12: Brechungsindex und Eindringtiefe von Wasser
81
3 Wechselwirkung mit Materie
verknüpft. Figur (3.12) zeigt das Verhalten vom Real- und Imaginärteil des Brechungsindex für Wasser, zusammen mit der Eindringtiefe, als Funktion der Frequenz. Wir wollen
nun noch betrachten, wie sich Wasser in der festen Form, d.h. als Eis verhält. Man
würde annehmen, dass beim Phasenübergang von Wasser zu Eis die Viskosität sprunghaft zunimmt, da die Moleküle auf einmal kaum mehr beweglich sind. Damit erwartet
man eine wesentlich längere Relaxationszeit. Damit sinkt auch die Frequenz, bei der ε##
maximal wird. Das ist auch tatsächlich der Fall. Das dielektrische Verhalten von Eis im
Mikrowellenbereich ist völlig anders als das von Wasser! Figur (3.13) zeigt wie sich die
Relaxationszeit als Funktion der Temperatur von Wasser und Eis verhält. Die riesige
Diskontinuität beim Phasenübergang ist evident. Schliesslich zeigt Figur (3.14) deutlich
Abbildung 3.13: Relaxationszeit und Debye-Parameter von Wasser
das unterschiedliche Verhalten von ε# und ε## von Wasser und Eis. Die Absorption von
82
3.2 Mikroskopische Betrachtungsweise
Abbildung 3.14: Dielektrizitätskonstante von Wasser und Eis.
Strahlung wird, wie wir wissen, durch ε## beschrieben. Es ist also klar, dass Eis vorallem
bei einer Frequenz von einigen kHz absorbiert.
Da Mikrowellenöfen bei einer Frequenz von rund 2.4GHz arbeiten, ist diese Frequenz
denkbar schlecht geeignet, um Eis durch die Absorption von Mikrowellen zu schmelzen.
Das Auftauen von Gefrorenem beruht auf der Tatsache, dass sich auf dem gefroreren Objekt, beispielsweise durch das Berühren mit der warmen Hand, Zonen von Flüssigwasser
bilden, welches natürlich Mikrowellen stark absorbiert und sich dabei erhitzt. Durch
Wärmeleitung wird dann immer mehr des gefrorenen Gutes angetaut und kann weiter
Mikrowellen absorbieren. Damit sich aber nicht etwa sog. hot spots“ bilden, darf die
”
Mikrowellenstrahlung nicht zu stark sein. Das wird so erreicht, dass bei der Auftaustufe des Ofens eine viel geringere Leistung abgegeben wird, oder dass die Leistung sogar
mehrheitlich auf Null fällt. Absorption wäre maximal bei rund 22GHz. Dort ist aber die
Eindringtiefe sehr gering. Dies ist aber bei einem Mikrowellenofen nicht gewünscht. Die
Frequenz muss also tiefer liegen. Die gewählte Frequenz ist eine für industrielle Zwecke
freigegeben Frequenz, bei rund 2.4GHz.
Der Cole-Cole Plot
Die Dipol-Relaxation wird oft mit einer Superposition von exponentiell abfallenden
Funktionen mit unterschiedlichen τ beschrieben. Dies ist analog zum Lorentz-Modell,
wo unterschiedliche ω0i berücksichtigt wurden. ε# und ε## sind beide von ω abhängig.
Elimination von ω ergibt einen funktionalen Zusammenhang zwischen ε# und ε# . Die
Darstellung von ε## als Funktion von ε# nennt man Cole-Cole-Plot.
Dabei liegen die Punkte (ε# , ε## ) auf einem Halbkreis mit Zentrum auf der ε# -Achse bei
1
(ε + ε∞ ) und mit Radius 12 (εs − ε∞ ).
2 s
Begründung: Die Debye-Relaxationsformeln lassen sich schreiben als
2
ε## = (εs − ε# )(ε# − ε∞ )
(3.122)
83
3 Wechselwirkung mit Materie
oder
+
,2
+
,2
1
1
## 2
ε − (εs + ε∞ ) + ε =
(εs − ε∞ )
2
2
#
(3.123)
was aber eine Kreisgleichung darstellt. Es ist dann auf einen Blick möglich zu sagen, ob
eine oder mehrere Relaxationszeiten vorkommen. Figur (3.15) zeigt den Cole-Cole Plot
für Wasser
Abbildung 3.15: Cole-Cole Plot für Wasser
3.2.6 Allgemeiner Zusammenhang zwischen ε& und ε&&
Zum Schluss wollen wir noch einmal festhalten, dass der Realteil und der Imaginärteil
der Dielektrizitätskonstanten ε nicht voneinander unabhängig sind. Wir haben dies für
das Lorentz- und das Debye-Modell gezeigt. Der Zusammenhang der beiden Grössen
84
3.2 Mikroskopische Betrachtungsweise
wird durch die Kramers-Kronig Relationen (3.89) und (3.90) gegeben. Eine graphische
schematische Darstellung zeigt Figur (3.16).
Abbildung 3.16: Dielektrisches Verhalten eines idealen Nichtleiters
ε# (ω) wird bestimmt durch das Verhalten von ε## bei allen Frequenzen. Angenommen
ε## = 0 für alle ω (ideale Tarnkappe), dann ist aber ε# = 1, d.h. Vakuum. Es ist nicht
möglich, dass entweder ε# oder ε## unabhängig von ω ist. Für grosse Frequenzen geht ε#
gegen eins, d.h. limω→∞ ε# (ω) = 1. Für tiefe ω tragen alle Mechanismen bei, d.h. elektrische, vibratorische und Dipol-Effekte, und zwar mit dem tiefstfrequenten am stärksten.
85
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