SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 AULA – Manuskriptdienst (Abschrift eines frei gehaltenen Vortrags) Quo vadis, Klima? Die Sache mit der Erderwärmung Autor und Sprecher: Professor Mojib Latif * Redaktion: Ralf Caspary Sendung: Sonntag, 25. Juli 2010, 8.30 Uhr, SWR 2 ___________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-6030 Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. 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Er leitet den Bereich Klimadynamik am Leibnitz-Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel. Er beantwortet in der SWR2 Aula die eben gestellten Fragen und zeigt, warum es in Sachen Klimawandel fünf vor zwölf ist. Mojib Latif: Der Klimawandel ist ins Gerede gekommen. Die aktuelle Diskussion reflektiert nicht nur die Tatsache, dass es ein Klimaproblem gibt; immer mehr Menschen zweifeln und fragen sich, ob der Klimawandel wirklich so schlimm ist, wie er noch vor einem Jahr beschrieben worden ist. Gründe dafür gibt es mehrere: Vor einigen Monaten wurde der Rechner der Universität von East Anglia (Großbritannien) gehackt und der gesamte Email-Verkehr gestohlen. Die University of East Anglia ist das Institut, das die globalen TemperaturAnalysen aufbereitet und die Ergebnisse monatlich veröffentlicht. Auf einmal war von Tricks die Rede, von Betrug – zumindest in den Medien, und das hat die Öffentlichkeit verunsichert, obwohl sich später herausgestellt hat, dass an den Vorwürfen nichts dran gewesen ist. Hinzu kam ein Fehler des Intergovernmental Panel of Climate Chance (IPCC), dem sogenannten Weltklimarat der UNO. In seinem letzten Bericht hieß es, dass die Himalaya-Gletscher möglicherweise schon 2035 komplett geschmolzen sein könnten. Das war wirklich ein gravierender Fehler. Kein seriöser Wissenschaftler hätte jemals eine solche Aussage getroffen. Dieser peinliche Irrtum hat gezeigt, dass es Verbesserungsbedarf im Weltklimarat gibt und besser studiert werden muss, welche Informationen in den Bericht kommen und welche nicht. Für den nächsten Bericht 2014 müssen daraus Lehren gezogen werden. Es folgte der Klimagipfel in Kopenhagen im Dezember 2009, der grandios gescheitert ist. Eigentlich hat niemand der Teilnehmer mehr von einem Gelingen gesprochen, obwohl Politik natürlich immer gerne Erfolge verkündet. Auch das hat eine gewisse Klimamüdigkeit in der Öffentlichkeit hervorgerufen. Zu guter Letzt spielte auch der kalte Winter bei uns in Deutschland eine Rolle, so dass sich viele Menschen gefragt haben, ob denn wirklich die globale Erwärmung noch existiert oder nicht. Auch in den Medien wurden hin und wieder Zweifel geäußert, sowohl an der Klimaerwärmung als auch an der Klimawissenschaft an sich. Was ist nun der Kenntnisstand? Der Kenntnisstand hat sich in der Wissenschaft seit vergangenem Jahr nicht geändert. Wir entlassen immer mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre, indem wir Energie erzeugen durch Verbrennung der fossilen Brennstoffe Kohle, Erdöl und Erdgas, indem wir auch Wälder, insbesondere die tropischen Regenwälder, verbrennen. Inzwischen hat der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre neue Rekordhöhen erreicht, in der Tat steigt er Jahr für Jahr an. Der vorindustrielle Wert lag bei 280 Einheiten, heute sind wir schon bei 390 und wir nähern uns mit großen Schritten der Verdoppelung der vorindustriellen KohlendioxidKonzentration. SWR2 Aula vom 18.07.2010 Quo vadis, Klima? Die Sache mit der Erderwärmung Von Professor Mojib Latif 2 Dies hat Konsequenzen, zum Beispiel die Verstärkung des sogenannten Treibhauseffektes. Inzwischen wissen die meisten Menschen, was unter dem Treibhauseffekt zu verstehen ist: Gase wie Kohlendioxid, die nur in winziger Konzentration in der Atmosphäre vorkommen und deswegen Spurengase genannt werden, lassen ähnlich wie Glas in einem Treibhaus die Sonnenstrahlung durch, aber sind nicht transparent für die Wärmestrahlung (Infrarotstrahlung), die von der Erdoberfläche in Richtung Weltraum gesendet wird. Dadurch ist die Wärme in der unteren Atmosphäre gefangen. Dieser natürliche Treibhauseffekt hat eine Größenordnung von über 30 Grad und garantiert die für uns so lebensfreundlichen Bedingungen. Ohne hin würde auf der Erde eine Eiswüste herrschen. Wenn wir nun immer mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre blasen, verstärken wir den Treibhauseffekt und es muss zu einer globalen Erwärmung kommen, die wir auch messen können. Global gesehen ist die Temperatur seit Beginn der Aufzeichnungen vor etwa 150 Jahren um 0,7 bis 0,8 Grad im Mittel angestiegen. Obwohl diese Daten hin und wieder bezweifelt werden, kann man mit Hilfe anderer Parameter zeigen, dass es auf der Erde wärmer geworden sein muss: beispielsweise das Eis der Erde, das in einem wirklich atemberaubenden Tempo schmilzt; Gebirgsgletscher, insbesondere auch in den Alpen, ziehen sich zurück. Wenn man Fotografien von heute mit denen von vor 100 Jahren vergleicht, erkennt man, wie stark der Rückgang ist. Mittlerweise geschieht das weltweit. Das gleiche gilt für das Packeis in der Arktis – in der Wissenschaft sprechen wir vom Meereis: auch das zieht sich in rasanter Geschwindigkeit zurück. Allein in den letzten 30 Jahren, in denen wir verlässliche Satellitenmessungen besitzen, hat sich die arktische Eisbedeckung um etwa 30 Prozent verringert. Tatsächlich passiert die Eisschmelze sogar deutlich schneller, als wir es bisher in unseren Klimamodellen simuliert haben. Wir müssen uns also fragen, ob nicht irgendwelche Prozesse in den Modellen ausgeklammert wurden oder ob es sich vielleicht doch um eine natürliche Schwankung handelt. Auf jeden Fall ist die Arktis so etwas wie ein Frühwarnsystem für den Klimawandel. Die Modelle haben immer gesagt, wenn es eine Region auf der Erde gibt, die besonders stark reagiert, dann würde es die Arktis sein. Und das ist in der Tat so. Auch 2010 haben wir wieder extreme Verluste, im Moment ist die Verlustrate sogar rekordverdächtig und schneller als im letzten extremen Jahr 2007. Wenn das arktische Eis schmilzt, geht ein ganzes Ökosystem verloren. Daran sollten wir auch denken. Viele Tiere sind abhängig vom Meereis. Es geht nicht nur um Klimawandel, es geht um viel mehr, es geht außerdem um Biodiversität. Auch Grönlands Eis schmilzt in einem im Moment atemberaubenden Tempo. Satellitenmessungen, die seit 10 Jahren gemacht werden, zeigen einen offensichtlichen Trend hin zu einem sehr starken Verlust. Das hat ja u. a. die Bundeskanzlerin vor ein paar Jahren veranlasst, nach Grönland zu reisen, um auf diese Eisschmelze aufmerksam zu machen. In der Konsequenz steigt der Meeresspiegel inzwischen um etwa 3 mm pro Jahr. Bis 2100 erwarten wir einen Anstieg um etwa 30 cm, aber es kann deutlich mehr sein, dieser Prozess kann sich beschleunigen, wenn die Eisschmelze in Grönland und in der Antarktis zunimmt. SWR2 Aula vom 18.07.2010 Quo vadis, Klima? Die Sache mit der Erderwärmung Von Professor Mojib Latif 3 Ein weiteres Phänomen ist zwar in der Öffentlichkeit nur wenig bekannt, zeigt aber auch ganz deutlich die Klimaerwärmung: die Rede ist von der Meeres- oder Ozeanversauerung. Das CO2, das wir in die Atmosphäre entlassen, wird zu einem beträchtlichen Teil von den Weltmeeren aufgenommen, seit der Industrialisierung sind das fast 50 Prozent. Die meisten von uns haben in der Schule gelernt, dass Wasser (H20) und Kohlendioxid (CO2) chemisch Kohlensäure (H2CO3) ergeben. Das ist die Versauerung der Weltmeere. Die messen wir weltweit in allen Weltmeeren, besonders stark in den Gebieten, in denen das Wasser relativ kalt ist. Das ist in polaren Gewässern der Fall, insbesondere in der Arktis. Deswegen sind wir Klimaforscher gerade in der Arktis sehr aktiv, um die Auswirkungen der Meeresversauerung zu messen und zu studieren. Versauerung des Wassers bedeutet u. a., dass viele Tiere, besonders solche, die Kalkschalen oder Kalkskelette bilden müssen, leiden könnten. Jeder kann das mal selbst versuchen: Wenn man ein Stück Kreide, das ja im wesentlichen aus Kalk besteht, in ein Glas Mineralwasser wirft, sieht man, dass sich die Kreise allmählich auflöst. Das gleiche passiert auch in den Weltmeeren, wenn die Versauerung zu stark wird. Ein Beispiel: In der Arktis leben Kaltwasserkorallen. Ähnlich spektakulär wie ihre tropischen Geschwister bieten sie als Ort großer Biodiverstität vielen Tieren einen Lebensraum. Korallen müssen Kalkskelette bilden, entsprechend anfällig sind sie gegenüber einer Versauerung. Das gleiche gilt für viele andere Tiere und Kleinstlebewesen wie Flügelschnecken, Kalkalgen usw. Bis jetzt wissen wir nicht genau, wie genau die Auswirkungen sind. Wir versuchen, das herauszufinden und haben zu diesem Zweck riesige Schläuche tief ins Meer eingebracht – im Moment in 16 m Tiefe -, und haben dort Ökosysteme gewissermaßen eingefangen. Diese Mesokosmen, wie wir sie nennen, haben wir in überdimensional große Reagenzgläser gefüllt und können nun Versuche zu den Auswirkungen von Versauerung starten, indem wir zum Beispiel C02 hinzugeben. Der Klimawandelt findet statt, die Anzeichen sind unübersehbar. Wie wird es weitergehen? Sicher kann man nur sagen, dass es eine weitere Erwärmung geben wird. Wie hoch sie sein wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es gibt Unsicherheiten, wenn wir einen kürzeren Zeitraum, vielleicht sogar einige wenige Jahrzehnte betrachten, denn die natürlichen Klimaschwankungen führen uns an der Nase herum. Natürliche Klimaschwankungen sind meistens zyklisch, sie können entweder die globale Erwärmung maskieren oder sie können sie auch beschleunigen. Deswegen sollte man mindestens 50 Jahre in Augenschein nehmen, um Trends wirklich sicher abschätzen zu können. Diese kurzfristigen natürlichen Schwankungen sind also dem langfristigen Erwärmungstrend überlagert, langfristig setzt sich immer der Erwärmungstrend fort – wenn wir so weitermachen wie bisher. Und das hängt ganz entscheidend davon ab, wie wir uns in den nächsten 50 oder 100 Jahren verhalten werden. Aber niemand weiß, wie sich das Wirtschaftswachstum entwickeln wird, wie viel Kohle, wie viel Öl wir verbrennen oder wie stark wir in regenerative Energien (Sonne, Wind usw.) einsteigen werden. Unser zukünftiger CO2-Ausstoß bestimmt darüber, ob wir bis zum Ende des Jahrhunderts eine sehr starke Erwärmung von nochmal 4 Grad (gegenüber 0,7 bisher) bekommen oder ob es nur 2 Grad sind. Die Weltpolitik hat sich darauf verständigt, den Temperaturanstieg sich nicht deutlich oberhalb von 2 Grad SWR2 Aula vom 18.07.2010 Quo vadis, Klima? Die Sache mit der Erderwärmung Von Professor Mojib Latif 4 entwickeln zu lassen. Dazu würde aber bedeuten, dass wir möglichst schnell und ziemlich radikal den Ausstoß von Treibhausgasen weltweit reduzieren. Ein Unsicherheitsfaktor sind auch unsere Klimamodelle. Kein Modell ist perfekt, und wir müssen mit Fehlern leben. Selbst mit den besten verfügbaren Computern – und es handelt sich ja um Computermodelle – können wir die Modelle nicht so konstruieren, dass sie fehlerfrei sind. Ansprechen möchte ich auch die Kippelemente, also Dinge, die nicht repariert werden können. Systeme können kippen, beispielsweise das grönländische Eisschild, das bei zu starker Erwärmung unwiderruflich verloren gehen würde, selbst wenn wir den CO2-Ausstoß deutlich reduzieren würden. Das kann auch gelten für das Meereis der Arktis gelten, das unter bestimmten Bedingungen für immer verschwinden würde, selbst wenn wir noch dagegen steuern. Im Moment ist die Entwicklung in der Arktis sehr sehr schnell, und wir wissen nicht genau, ob nicht bereits ein Grenzwert überschritten worden ist. Vergessen dürfen wir außerdem nicht, dass es gerade für die Ökosysteme multiple Stressfaktoren gibt. Die Erwärmung ist ein Faktor, die Meeresversauerung ein weiterer, ein dritter Faktor ist die Meeresverschmutzung – gerade vor dem Hintergrund der Ölpest im Golf von Mexiko. Kippelemente, Grenzwerte können schon sehr viel früher erreicht werden, wenn man mehrere Einzelfaktoren gleichzeitig berücksichtigt. Gleichwohl kann man die exakte Entwicklung nicht vorhersagen. Das ist aber auch nicht notwendig. Wichtig ist, dass wir sehen, dass es eine begründete Annahme gibt, dass wir das Klima nachhaltig verändern. Und wenn es diese begründete Annahme gibt, dann sollten wir etwas tun, damit die Erwärmung nicht zu stark wird. Das Problem bleibt: Es wird langfristig wärmer werden. Eine konservative Möglichkeit, diese Effekte abzuschätzen, wäre einfach, die Trends der letzten 50 Jahre für die nächsten 50 Jahre fortzuschreiben. Das wäre eine lineare Sicht der Dinge, die vermutlich gar nicht so schlecht ist. Aber da sich in den letzten Jahrzehnten der Ausstoß von CO2 und anderen Gasen massiv erhöht hat, kann es sein, dass die Erwärmung stärker werden würde, als eine konservative Schätzung vermuten lässt. Wo stehen wir heute in Sachen Klimaschutz? Der Gipfel von Kopenhagen im Dezember 2009 hat ein enormes Medieninteresse generiert. Es war fast nur noch über das Thema Klima zu lesen, zu hören, zu sehen. Trotzdem ist er gescheitert, obwohl die Messlatte von den Politikern selbst sehr hoch gelegt wurde. Alle haben betont, dass dieser Gipfel ein neues Klimaprotokoll liefern müsse, das das KyotoProtokoll, das 2012 ausläuft, ersetzen solle. Dazu ist es leider nicht im Entferntesten gekommen. Grund dafür war eine Art Blockade: Alle Länder haben sich gegenseitig blockiert. Amerikaner haben auf Chinesen hingewiesen, die Chinesen wiederum auf die Amerikaner. Beide haben mit dem Finger auf die Europäer gezeigt, und die haben den Finger wieder zurück gezeigt. Man könnte das ein „Klima-Mikado“ nennen: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Warum war das so? Der Schlüssel liegt vor allem in drei Problemkomplexen, die wir in den Industrienationen nicht so wahrnehmen wie die Entwicklungs- und Schwellenländer. Da ist zunächst einmal das Problem der grauen Emissionen. Wenn wir vergleichen, welche Länder am meisten CO2 in die Atmosphäre entlassen, ist China inzwischen SWR2 Aula vom 18.07.2010 Quo vadis, Klima? Die Sache mit der Erderwärmung Von Professor Mojib Latif 5 auf Platz 1, dicht gefolgt von den USA. Beide zusammen verursachen gut 40 Prozent des weltweiten energiebedingten CO2-Ausstoßes, wovon 80 Prozent durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe und 20 Prozent durch die Waldzerstörung bedingt sind. China befindet sich also auf Platz 1, aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Industrienationen, darunter auch Deutschland, sehr viel Produktionsbetriebe ausgelagert haben in Entwicklungs-, aber vor allen Dingen in die Schwellenländer. Dort finden also die Emissionen statt, diesen Ländern werden sie angerechnet – gleichwohl fragen wir die Produkte nach. Auf diese ungerechte Betrachtung der CO2Emission machen Schwellenländer wie Indien und China immer wieder aufmerksam, dass wir unsere CO2-Emission einfach nur exportiert haben. Der zweite Punkt, der die Verhandlungen so schwierig macht, ist die historische Verantwortung. Das CO2, das wir Menschen in die Atmosphäre entlassen, ist sehr langlebig, seine Lebensdauer beträgt etwa 100 Jahre. Das was wir vor 50 Jahren in die Luft geblasen haben, ist immer noch in der Atmosphäre. Daher ist von dem CO2, das inzwischen in der Atmosphäre ist, nur ein kleiner Teil durch die Schwellen- und Entwicklungsländer verursacht worden, der überwiegende Anteil stammt aus den Industrieländern, 30 Prozent allein aus den USA. China knapp 10 Prozent. Vor diesem Hintergrund kann man von den Schwellenländern keine Anstrengungen in der Größenordnung erwarten, wie sie etwa die USA bereit sind zu unternehmen. Das ist ein großes Problem, und ich denke, wir Industrieländer müssen uns unserer historischen Verantwortung stellen, denn wir haben das Problem in erster Linie generiert und wir müssen vorangehen, es zu lösen. Der dritte Punkt bezieht sich auf unseren Lebensstil. Der Pro-Kopf-Ausstoß von CO2 ist in den Industrienationen viel höher als in den Schwellen- oder Entwicklungsländern. Ein Amerikaner entlässt im Schnitt 20 Tonnen pro Jahr, wir Deutschen liegen bei knapp 10 Tonnen, ein Chinese bei etwa 4 Tonnen und ein Inder bei ungefähr 1 Tonne. Unser Lebensstil ist nicht nachhaltig, und wenn wir das nicht ändern, sind wir auf der internationalen Bühne einfach nicht glaubwürdig. Dabei ist Glaubwürdigkeit in diesem Zusammenhang wichtig. Gerade China und Indien werden sehr stark betroffen sein von der globalen Erwärmung. Bei einem Meeresspiegelanstieg von 1 Meter wären beträchtliche Anteile Bangladeshs beispielsweise überflutet, und dort gibt es nicht die Möglichkeit der Eindeichung, weil einerseits die Böden sich nicht dafür eignen andererseits technische und finanzielle Mittel fehlen. Wenn wir also in Sachen internationaler Klimaschutz erreichen wollen, müssen wir zweierlei leisten: Erstens müssen wir glaubwürdig sein und selbst alle möglichen Anstrengungen unternehmen, um unseren eigenen CO2-Ausstoß zu senken; zweitens müssen wir den sich jetzt entwickelnden Ländern helfen bei ihrer CO 2Emission. Das ist auch in der Weltpolitik erkannt worden. Man hat in Bali einen Fonds eingerichtet, der im wesentlichen von den Industrienationen bestritten wird und für die Schwellen- und Entwicklungsländern zur Verfügung stünde. Das Problem ist nur, dass in diesen Fonds so gut wie kein Geld einbezahlt worden ist. Unsere Bundeskanzlerin hat immer wieder darauf hingewiesen, dass es so etwas wie eine Kohlenstoffgerechtigkeit auf der Welt geben sollte, dass also jeder Mensch auf der Welt das gleiche Recht haben sollte, CO2 auszustoßen. Das heißt eben, dass etwa wir in Deutschland unseren persönlichen Ausstoß um einen Faktor 5 reduzieren SWR2 Aula vom 18.07.2010 Quo vadis, Klima? Die Sache mit der Erderwärmung Von Professor Mojib Latif 6 müssten von etwa 10 Tonnen auf etwa 2, besser noch auf knapp unter 2 Tonnen pro Kopf und Jahr. Was muss jetzt geschehen? Wenn man die Frage stellt, ob es internationalen Klimaschutz gibt oder nicht, muss man sie leider nicht nein beantworten. Warum? Weil die weltweiten Emissionen seit 1990 um etwa 30 Prozent gestiegen sind – trotz Abkommen von Rio 1992, trotz Kyoto-Protokoll – und es ist nicht abzusehen, dass er sinkt. Und wegen der Langlebigkeit von CO2 in der Atmosphäre müssen wir auch in den nächsten Jahrzehnten mit einer weiteren Erwärmung rechnen. Sollten wir versuchen, alle unter einen Hut zu bekommen? Ich glaube nicht. Deutschland ist auf einem guten Weg und hat inzwischen 30 Prozent seit 1990 reduziert, im Koalitionsvertrag werden 40 Prozent angepeilt bis 2010. Wir hatten natürlich auch Glück durch die Wiedervereinigung. Aber trotzdem hat Deutschland als einziges Land auf der Welt immerhin schon sein Kyoto-Ziel von 21 Prozent erfüllt, das erst im Jahr 2012 fällig gewesen wäre. Wir sollten nicht nachlassen, sondern weitergehen auf diesem Weg und zeigen, dass die Lichter nicht ausgehen, wenn man den Ausstoß von Kohlendioxid reduziert. Gleichwohl kann man noch mehr tun. Langfristig müssen wir uns darauf verständigen, bis 2050 die weltweiten Emissionen um 50 Prozent reduzieren, um 80 Prozent bis 2100. Das ist eine gewaltige Herausforderung, die nicht zu schultern ist, wenn man an alter Technologie festhält. Wir können nicht Probleme von morgen mit der Technologie von heute lösen, sondern wir müssen auf erneuerbare Energien setzen. 2009 gab es erste positive Ansätze, beispielsweise das Projekt Desertec, das deutsche Firmen und Konzerne zumindest als Pilotprojekt umsetzen möchte. Das Investitionsvolumen beträgt etwa 400 Milliarden Euro innerhalb der nächsten 10 Jahre. Es geht bei Desertec darum, Sahara-Strom zu erzeugen und nach Europa zu leiten. Die Technik existiert bereits, man kann Sahara-Strom nach Deutschland leiten mit einem Verlust von etwa 10 Prozent. Natürlich kostet das viel Geld, aber die Finanzierung sollte uns möglich sein, insbesondere wenn man sieht, was man etwa für die Bankenrettung oder im Zuge der Finanzkrise an Aufwändungen. Schließen möchte ich mit Albert Einstein, der einmal sinngemäß gesagt hat, dass man die Probleme der heutigen Zeit nicht mit denselben Methoden lösen kann, welche jene Probleme hervorgebracht hat. Wir brauchen neues Denken. Die Technik ist da, wir müssen es nur wollen. Ich hoffe, dass wir in den nächsten Jahrzehnten wirklich auf den Weg kommen, der eine deutliche Reduzierung der Treibhausgase ermöglicht. ***** * Zum Autor: Prof. Mojib Latif, geb. 1954, studierte Meteorologie und Betriebswissenschaft in Hamburg; 1987 Promotion im Fach Ozeanografie, 1989 Habilitation; Latif war zuerst wissenschaftlicher Mitarbeiter und Privatdozent am Max-Planck-Institut in Hamburg, seit 2003 ist er Professor am Leibniz-Institut für Meereskunde in Kiel, dem heutigen SWR2 Aula vom 18.07.2010 Quo vadis, Klima? Die Sache mit der Erderwärmung Von Professor Mojib Latif 7 IFM-GEOMAR. Arbeitsschwerpunkte: Entwicklung des Klimas, Entwicklung von Klimamodellen. Bücher (Auswahl): - Warum der Eisbär einen Kühlschrank hat … und andere Geheimnisse aus der Klima- und Wetterforschung. Herder-Verlag. 2010. - Klimawandel und Klimadynamik. UTB Ulmer Verlag. 2009. - Herausforderungen Klimawandel. 2. Aufl. von „Hitzerekorde und Jahrhundertflut“. Heyne Verlag. 2007. SWR2 Aula vom 18.07.2010 Quo vadis, Klima? Die Sache mit der Erderwärmung Von Professor Mojib Latif