SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 AULA – Manuskriptdienst (Abschrift

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SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 AULA – Manuskriptdienst
(Abschrift eines frei gehaltenen Vortrags)
Quo vadis, Klima?
Die Sache mit der Erderwärmung
Autor und Sprecher: Professor Mojib Latif *
Redaktion: Ralf Caspary
Sendung: Sonntag, 25. Juli 2010, 8.30 Uhr, SWR 2
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Ansage:
Mit dem Thema: „Heißer, stürmischer, regnerischer – Steht der Klimawandel vor der
Tür?“.
Dieser Sommer, dieser Juli bescherte uns mediterrane Verhältnisse. Und schon
sagen viele, das sind die ersten Vorboten des Klimawandels, bald können wir in
Bochum oder Dortmund Zitronenbäumchen pflanzen. Doch wie ist das genau mit
dem Klimawandel? Was sagen die Forscher dazu, vor allem, wie kann man ihn
messen, in die Zukunft projizieren, um dann Ziele politischen Handelns festzulegen?
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Mojib Latif ist Deutschlands wohl bekanntester Klimaforscher. Er leitet den Bereich
Klimadynamik am Leibnitz-Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel.
Er beantwortet in der SWR2 Aula die eben gestellten Fragen und zeigt, warum es in
Sachen Klimawandel fünf vor zwölf ist.
Mojib Latif:
Der Klimawandel ist ins Gerede gekommen. Die aktuelle Diskussion reflektiert nicht
nur die Tatsache, dass es ein Klimaproblem gibt; immer mehr Menschen zweifeln
und fragen sich, ob der Klimawandel wirklich so schlimm ist, wie er noch vor einem
Jahr beschrieben worden ist.
Gründe dafür gibt es mehrere: Vor einigen Monaten wurde der Rechner der
Universität von East Anglia (Großbritannien) gehackt und der gesamte Email-Verkehr
gestohlen. Die University of East Anglia ist das Institut, das die globalen TemperaturAnalysen aufbereitet und die Ergebnisse monatlich veröffentlicht. Auf einmal war von
Tricks die Rede, von Betrug – zumindest in den Medien, und das hat die
Öffentlichkeit verunsichert, obwohl sich später herausgestellt hat, dass an den
Vorwürfen nichts dran gewesen ist.
Hinzu kam ein Fehler des Intergovernmental Panel of Climate Chance (IPCC), dem
sogenannten Weltklimarat der UNO. In seinem letzten Bericht hieß es, dass die
Himalaya-Gletscher möglicherweise schon 2035 komplett geschmolzen sein
könnten. Das war wirklich ein gravierender Fehler. Kein seriöser Wissenschaftler
hätte jemals eine solche Aussage getroffen. Dieser peinliche Irrtum hat gezeigt, dass
es Verbesserungsbedarf im Weltklimarat gibt und besser studiert werden muss,
welche Informationen in den Bericht kommen und welche nicht. Für den nächsten
Bericht 2014 müssen daraus Lehren gezogen werden.
Es folgte der Klimagipfel in Kopenhagen im Dezember 2009, der grandios gescheitert
ist. Eigentlich hat niemand der Teilnehmer mehr von einem Gelingen gesprochen,
obwohl Politik natürlich immer gerne Erfolge verkündet. Auch das hat eine gewisse
Klimamüdigkeit in der Öffentlichkeit hervorgerufen. Zu guter Letzt spielte auch der
kalte Winter bei uns in Deutschland eine Rolle, so dass sich viele Menschen gefragt
haben, ob denn wirklich die globale Erwärmung noch existiert oder nicht. Auch in den
Medien wurden hin und wieder Zweifel geäußert, sowohl an der Klimaerwärmung als
auch an der Klimawissenschaft an sich.
Was ist nun der Kenntnisstand? Der Kenntnisstand hat sich in der Wissenschaft seit
vergangenem Jahr nicht geändert. Wir entlassen immer mehr Kohlendioxid in die
Atmosphäre, indem wir Energie erzeugen durch Verbrennung der fossilen
Brennstoffe Kohle, Erdöl und Erdgas, indem wir auch Wälder, insbesondere die
tropischen Regenwälder, verbrennen. Inzwischen hat der Kohlendioxidgehalt der
Atmosphäre neue Rekordhöhen erreicht, in der Tat steigt er Jahr für Jahr an. Der
vorindustrielle Wert lag bei 280 Einheiten, heute sind wir schon bei 390 und wir
nähern uns mit großen Schritten der Verdoppelung der vorindustriellen KohlendioxidKonzentration.
SWR2 Aula vom 18.07.2010
Quo vadis, Klima? Die Sache mit der Erderwärmung
Von Professor Mojib Latif
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Dies hat Konsequenzen, zum Beispiel die Verstärkung des sogenannten
Treibhauseffektes. Inzwischen wissen die meisten Menschen, was unter dem
Treibhauseffekt zu verstehen ist: Gase wie Kohlendioxid, die nur in winziger
Konzentration in der Atmosphäre vorkommen und deswegen Spurengase genannt
werden, lassen ähnlich wie Glas in einem Treibhaus die Sonnenstrahlung durch,
aber sind nicht transparent für die Wärmestrahlung (Infrarotstrahlung), die von der
Erdoberfläche in Richtung Weltraum gesendet wird. Dadurch ist die Wärme in der
unteren Atmosphäre gefangen. Dieser natürliche Treibhauseffekt hat eine
Größenordnung von über 30 Grad und garantiert die für uns so lebensfreundlichen
Bedingungen. Ohne hin würde auf der Erde eine Eiswüste herrschen. Wenn wir nun
immer mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre blasen, verstärken wir den
Treibhauseffekt und es muss zu einer globalen Erwärmung kommen, die wir auch
messen können. Global gesehen ist die Temperatur seit Beginn der Aufzeichnungen
vor etwa 150 Jahren um 0,7 bis 0,8 Grad im Mittel angestiegen.
Obwohl diese Daten hin und wieder bezweifelt werden, kann man mit Hilfe anderer
Parameter zeigen, dass es auf der Erde wärmer geworden sein muss: beispielsweise
das Eis der Erde, das in einem wirklich atemberaubenden Tempo schmilzt;
Gebirgsgletscher, insbesondere auch in den Alpen, ziehen sich zurück. Wenn man
Fotografien von heute mit denen von vor 100 Jahren vergleicht, erkennt man, wie
stark der Rückgang ist. Mittlerweise geschieht das weltweit.
Das gleiche gilt für das Packeis in der Arktis – in der Wissenschaft sprechen wir vom
Meereis: auch das zieht sich in rasanter Geschwindigkeit zurück. Allein in den letzten
30 Jahren, in denen wir verlässliche Satellitenmessungen besitzen, hat sich die
arktische Eisbedeckung um etwa 30 Prozent verringert. Tatsächlich passiert die
Eisschmelze sogar deutlich schneller, als wir es bisher in unseren Klimamodellen
simuliert haben. Wir müssen uns also fragen, ob nicht irgendwelche Prozesse in den
Modellen ausgeklammert wurden oder ob es sich vielleicht doch um eine natürliche
Schwankung handelt. Auf jeden Fall ist die Arktis so etwas wie ein Frühwarnsystem
für den Klimawandel. Die Modelle haben immer gesagt, wenn es eine Region auf der
Erde gibt, die besonders stark reagiert, dann würde es die Arktis sein. Und das ist in
der Tat so. Auch 2010 haben wir wieder extreme Verluste, im Moment ist die
Verlustrate sogar rekordverdächtig und schneller als im letzten extremen Jahr 2007.
Wenn das arktische Eis schmilzt, geht ein ganzes Ökosystem verloren. Daran sollten
wir auch denken. Viele Tiere sind abhängig vom Meereis. Es geht nicht nur um
Klimawandel, es geht um viel mehr, es geht außerdem um Biodiversität.
Auch Grönlands Eis schmilzt in einem im Moment atemberaubenden Tempo.
Satellitenmessungen, die seit 10 Jahren gemacht werden, zeigen einen
offensichtlichen Trend hin zu einem sehr starken Verlust. Das hat ja u. a. die
Bundeskanzlerin vor ein paar Jahren veranlasst, nach Grönland zu reisen, um auf
diese Eisschmelze aufmerksam zu machen.
In der Konsequenz steigt der Meeresspiegel inzwischen um etwa 3 mm pro Jahr. Bis
2100 erwarten wir einen Anstieg um etwa 30 cm, aber es kann deutlich mehr sein,
dieser Prozess kann sich beschleunigen, wenn die Eisschmelze in Grönland und in
der Antarktis zunimmt.
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Ein weiteres Phänomen ist zwar in der Öffentlichkeit nur wenig bekannt, zeigt aber
auch ganz deutlich die Klimaerwärmung: die Rede ist von der Meeres- oder
Ozeanversauerung. Das CO2, das wir in die Atmosphäre entlassen, wird zu einem
beträchtlichen Teil von den Weltmeeren aufgenommen, seit der Industrialisierung
sind das fast 50 Prozent. Die meisten von uns haben in der Schule gelernt, dass
Wasser (H20) und Kohlendioxid (CO2) chemisch Kohlensäure (H2CO3) ergeben. Das
ist die Versauerung der Weltmeere. Die messen wir weltweit in allen Weltmeeren,
besonders stark in den Gebieten, in denen das Wasser relativ kalt ist. Das ist in
polaren Gewässern der Fall, insbesondere in der Arktis. Deswegen sind wir
Klimaforscher gerade in der Arktis sehr aktiv, um die Auswirkungen der
Meeresversauerung zu messen und zu studieren. Versauerung des Wassers
bedeutet u. a., dass viele Tiere, besonders solche, die Kalkschalen oder Kalkskelette
bilden müssen, leiden könnten. Jeder kann das mal selbst versuchen: Wenn man ein
Stück Kreide, das ja im wesentlichen aus Kalk besteht, in ein Glas Mineralwasser
wirft, sieht man, dass sich die Kreise allmählich auflöst. Das gleiche passiert auch in
den Weltmeeren, wenn die Versauerung zu stark wird.
Ein Beispiel: In der Arktis leben Kaltwasserkorallen. Ähnlich spektakulär wie ihre
tropischen Geschwister bieten sie als Ort großer Biodiverstität vielen Tieren einen
Lebensraum. Korallen müssen Kalkskelette bilden, entsprechend anfällig sind sie
gegenüber einer Versauerung. Das gleiche gilt für viele andere Tiere und
Kleinstlebewesen wie Flügelschnecken, Kalkalgen usw. Bis jetzt wissen wir nicht
genau, wie genau die Auswirkungen sind. Wir versuchen, das herauszufinden und
haben zu diesem Zweck riesige Schläuche tief ins Meer eingebracht – im Moment in
16 m Tiefe -, und haben dort Ökosysteme gewissermaßen eingefangen. Diese
Mesokosmen, wie wir sie nennen, haben wir in überdimensional große
Reagenzgläser gefüllt und können nun Versuche zu den Auswirkungen von
Versauerung starten, indem wir zum Beispiel C02 hinzugeben.
Der Klimawandelt findet statt, die Anzeichen sind unübersehbar. Wie wird es
weitergehen? Sicher kann man nur sagen, dass es eine weitere Erwärmung geben
wird. Wie hoch sie sein wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es gibt
Unsicherheiten, wenn wir einen kürzeren Zeitraum, vielleicht sogar einige wenige
Jahrzehnte betrachten, denn die natürlichen Klimaschwankungen führen uns an der
Nase herum. Natürliche Klimaschwankungen sind meistens zyklisch, sie können
entweder die globale Erwärmung maskieren oder sie können sie auch
beschleunigen. Deswegen sollte man mindestens 50 Jahre in Augenschein nehmen,
um Trends wirklich sicher abschätzen zu können.
Diese kurzfristigen natürlichen Schwankungen sind also dem langfristigen
Erwärmungstrend überlagert, langfristig setzt sich immer der Erwärmungstrend fort –
wenn wir so weitermachen wie bisher. Und das hängt ganz entscheidend davon ab,
wie wir uns in den nächsten 50 oder 100 Jahren verhalten werden. Aber niemand
weiß, wie sich das Wirtschaftswachstum entwickeln wird, wie viel Kohle, wie viel Öl
wir verbrennen oder wie stark wir in regenerative Energien (Sonne, Wind usw.)
einsteigen werden. Unser zukünftiger CO2-Ausstoß bestimmt darüber, ob wir bis zum
Ende des Jahrhunderts eine sehr starke Erwärmung von nochmal 4 Grad (gegenüber
0,7 bisher) bekommen oder ob es nur 2 Grad sind. Die Weltpolitik hat sich darauf
verständigt, den Temperaturanstieg sich nicht deutlich oberhalb von 2 Grad
SWR2 Aula vom 18.07.2010
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entwickeln zu lassen. Dazu würde aber bedeuten, dass wir möglichst schnell und
ziemlich radikal den Ausstoß von Treibhausgasen weltweit reduzieren.
Ein Unsicherheitsfaktor sind auch unsere Klimamodelle. Kein Modell ist perfekt, und
wir müssen mit Fehlern leben. Selbst mit den besten verfügbaren Computern – und
es handelt sich ja um Computermodelle – können wir die Modelle nicht so
konstruieren, dass sie fehlerfrei sind. Ansprechen möchte ich auch die Kippelemente,
also Dinge, die nicht repariert werden können. Systeme können kippen,
beispielsweise das grönländische Eisschild, das bei zu starker Erwärmung
unwiderruflich verloren gehen würde, selbst wenn wir den CO2-Ausstoß deutlich
reduzieren würden. Das kann auch gelten für das Meereis der Arktis gelten, das
unter bestimmten Bedingungen für immer verschwinden würde, selbst wenn wir noch
dagegen steuern. Im Moment ist die Entwicklung in der Arktis sehr sehr schnell, und
wir wissen nicht genau, ob nicht bereits ein Grenzwert überschritten worden ist.
Vergessen dürfen wir außerdem nicht, dass es gerade für die Ökosysteme multiple
Stressfaktoren gibt. Die Erwärmung ist ein Faktor, die Meeresversauerung ein
weiterer, ein dritter Faktor ist die Meeresverschmutzung – gerade vor dem
Hintergrund der Ölpest im Golf von Mexiko. Kippelemente, Grenzwerte können schon
sehr viel früher erreicht werden, wenn man mehrere Einzelfaktoren gleichzeitig
berücksichtigt. Gleichwohl kann man die exakte Entwicklung nicht vorhersagen. Das
ist aber auch nicht notwendig. Wichtig ist, dass wir sehen, dass es eine begründete
Annahme gibt, dass wir das Klima nachhaltig verändern. Und wenn es diese
begründete Annahme gibt, dann sollten wir etwas tun, damit die Erwärmung nicht zu
stark wird.
Das Problem bleibt: Es wird langfristig wärmer werden. Eine konservative
Möglichkeit, diese Effekte abzuschätzen, wäre einfach, die Trends der letzten 50
Jahre für die nächsten 50 Jahre fortzuschreiben. Das wäre eine lineare Sicht der
Dinge, die vermutlich gar nicht so schlecht ist. Aber da sich in den letzten
Jahrzehnten der Ausstoß von CO2 und anderen Gasen massiv erhöht hat, kann es
sein, dass die Erwärmung stärker werden würde, als eine konservative Schätzung
vermuten lässt.
Wo stehen wir heute in Sachen Klimaschutz? Der Gipfel von Kopenhagen im
Dezember 2009 hat ein enormes Medieninteresse generiert. Es war fast nur noch
über das Thema Klima zu lesen, zu hören, zu sehen. Trotzdem ist er gescheitert,
obwohl die Messlatte von den Politikern selbst sehr hoch gelegt wurde. Alle haben
betont, dass dieser Gipfel ein neues Klimaprotokoll liefern müsse, das das KyotoProtokoll, das 2012 ausläuft, ersetzen solle. Dazu ist es leider nicht im Entferntesten
gekommen. Grund dafür war eine Art Blockade: Alle Länder haben sich gegenseitig
blockiert. Amerikaner haben auf Chinesen hingewiesen, die Chinesen wiederum auf
die Amerikaner. Beide haben mit dem Finger auf die Europäer gezeigt, und die
haben den Finger wieder zurück gezeigt. Man könnte das ein „Klima-Mikado“
nennen: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Warum war das so? Der Schlüssel
liegt vor allem in drei Problemkomplexen, die wir in den Industrienationen nicht so
wahrnehmen wie die Entwicklungs- und Schwellenländer.
Da ist zunächst einmal das Problem der grauen Emissionen. Wenn wir vergleichen,
welche Länder am meisten CO2 in die Atmosphäre entlassen, ist China inzwischen
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auf Platz 1, dicht gefolgt von den USA. Beide zusammen verursachen gut 40 Prozent
des weltweiten energiebedingten CO2-Ausstoßes, wovon 80 Prozent durch die
Verbrennung fossiler Brennstoffe und 20 Prozent durch die Waldzerstörung bedingt
sind. China befindet sich also auf Platz 1, aber wir dürfen nicht vergessen, dass die
Industrienationen, darunter auch Deutschland, sehr viel Produktionsbetriebe
ausgelagert haben in Entwicklungs-, aber vor allen Dingen in die Schwellenländer.
Dort finden also die Emissionen statt, diesen Ländern werden sie angerechnet –
gleichwohl fragen wir die Produkte nach. Auf diese ungerechte Betrachtung der CO2Emission machen Schwellenländer wie Indien und China immer wieder aufmerksam,
dass wir unsere CO2-Emission einfach nur exportiert haben.
Der zweite Punkt, der die Verhandlungen so schwierig macht, ist die historische
Verantwortung. Das CO2, das wir Menschen in die Atmosphäre entlassen, ist sehr
langlebig, seine Lebensdauer beträgt etwa 100 Jahre. Das was wir vor 50 Jahren in
die Luft geblasen haben, ist immer noch in der Atmosphäre. Daher ist von dem CO2,
das inzwischen in der Atmosphäre ist, nur ein kleiner Teil durch die Schwellen- und
Entwicklungsländer verursacht worden, der überwiegende Anteil stammt aus den
Industrieländern, 30 Prozent allein aus den USA. China knapp 10 Prozent. Vor
diesem Hintergrund kann man von den Schwellenländern keine Anstrengungen in
der Größenordnung erwarten, wie sie etwa die USA bereit sind zu unternehmen. Das
ist ein großes Problem, und ich denke, wir Industrieländer müssen uns unserer
historischen Verantwortung stellen, denn wir haben das Problem in erster Linie
generiert und wir müssen vorangehen, es zu lösen.
Der dritte Punkt bezieht sich auf unseren Lebensstil. Der Pro-Kopf-Ausstoß von CO2
ist in den Industrienationen viel höher als in den Schwellen- oder
Entwicklungsländern. Ein Amerikaner entlässt im Schnitt 20 Tonnen pro Jahr, wir
Deutschen liegen bei knapp 10 Tonnen, ein Chinese bei etwa 4 Tonnen und ein
Inder bei ungefähr 1 Tonne. Unser Lebensstil ist nicht nachhaltig, und wenn wir das
nicht ändern, sind wir auf der internationalen Bühne einfach nicht glaubwürdig. Dabei
ist Glaubwürdigkeit in diesem Zusammenhang wichtig. Gerade China und Indien
werden sehr stark betroffen sein von der globalen Erwärmung. Bei einem
Meeresspiegelanstieg von 1 Meter wären beträchtliche Anteile Bangladeshs
beispielsweise überflutet, und dort gibt es nicht die Möglichkeit der Eindeichung, weil
einerseits die Böden sich nicht dafür eignen andererseits technische und finanzielle
Mittel fehlen.
Wenn wir also in Sachen internationaler Klimaschutz erreichen wollen, müssen wir
zweierlei leisten: Erstens müssen wir glaubwürdig sein und selbst alle möglichen
Anstrengungen unternehmen, um unseren eigenen CO2-Ausstoß zu senken;
zweitens müssen wir den sich jetzt entwickelnden Ländern helfen bei ihrer CO 2Emission. Das ist auch in der Weltpolitik erkannt worden. Man hat in Bali einen
Fonds eingerichtet, der im wesentlichen von den Industrienationen bestritten wird
und für die Schwellen- und Entwicklungsländern zur Verfügung stünde. Das Problem
ist nur, dass in diesen Fonds so gut wie kein Geld einbezahlt worden ist. Unsere
Bundeskanzlerin hat immer wieder darauf hingewiesen, dass es so etwas wie eine
Kohlenstoffgerechtigkeit auf der Welt geben sollte, dass also jeder Mensch auf der
Welt das gleiche Recht haben sollte, CO2 auszustoßen. Das heißt eben, dass etwa
wir in Deutschland unseren persönlichen Ausstoß um einen Faktor 5 reduzieren
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müssten von etwa 10 Tonnen auf etwa 2, besser noch auf knapp unter 2 Tonnen pro
Kopf und Jahr.
Was muss jetzt geschehen? Wenn man die Frage stellt, ob es internationalen
Klimaschutz gibt oder nicht, muss man sie leider nicht nein beantworten. Warum?
Weil die weltweiten Emissionen seit 1990 um etwa 30 Prozent gestiegen sind – trotz
Abkommen von Rio 1992, trotz Kyoto-Protokoll – und es ist nicht abzusehen, dass er
sinkt. Und wegen der Langlebigkeit von CO2 in der Atmosphäre müssen wir auch in
den nächsten Jahrzehnten mit einer weiteren Erwärmung rechnen.
Sollten wir versuchen, alle unter einen Hut zu bekommen? Ich glaube nicht.
Deutschland ist auf einem guten Weg und hat inzwischen 30 Prozent seit 1990
reduziert, im Koalitionsvertrag werden 40 Prozent angepeilt bis 2010. Wir hatten
natürlich auch Glück durch die Wiedervereinigung. Aber trotzdem hat Deutschland
als einziges Land auf der Welt immerhin schon sein Kyoto-Ziel von 21 Prozent erfüllt,
das erst im Jahr 2012 fällig gewesen wäre. Wir sollten nicht nachlassen, sondern
weitergehen auf diesem Weg und zeigen, dass die Lichter nicht ausgehen, wenn
man den Ausstoß von Kohlendioxid reduziert. Gleichwohl kann man noch mehr tun.
Langfristig müssen wir uns darauf verständigen, bis 2050 die weltweiten Emissionen
um 50 Prozent reduzieren, um 80 Prozent bis 2100. Das ist eine gewaltige
Herausforderung, die nicht zu schultern ist, wenn man an alter Technologie festhält.
Wir können nicht Probleme von morgen mit der Technologie von heute lösen,
sondern wir müssen auf erneuerbare Energien setzen. 2009 gab es erste positive
Ansätze, beispielsweise das Projekt Desertec, das deutsche Firmen und Konzerne
zumindest als Pilotprojekt umsetzen möchte. Das Investitionsvolumen beträgt etwa
400 Milliarden Euro innerhalb der nächsten 10 Jahre. Es geht bei Desertec darum,
Sahara-Strom zu erzeugen und nach Europa zu leiten. Die Technik existiert bereits,
man kann Sahara-Strom nach Deutschland leiten mit einem Verlust von etwa 10
Prozent. Natürlich kostet das viel Geld, aber die Finanzierung sollte uns möglich sein,
insbesondere wenn man sieht, was man etwa für die Bankenrettung oder im Zuge
der Finanzkrise an Aufwändungen.
Schließen möchte ich mit Albert Einstein, der einmal sinngemäß gesagt hat, dass
man die Probleme der heutigen Zeit nicht mit denselben Methoden lösen kann,
welche jene Probleme hervorgebracht hat. Wir brauchen neues Denken. Die Technik
ist da, wir müssen es nur wollen. Ich hoffe, dass wir in den nächsten Jahrzehnten
wirklich auf den Weg kommen, der eine deutliche Reduzierung der Treibhausgase
ermöglicht.
*****
* Zum Autor:
Prof. Mojib Latif, geb. 1954, studierte Meteorologie und Betriebswissenschaft in
Hamburg; 1987 Promotion im Fach Ozeanografie, 1989 Habilitation; Latif war zuerst
wissenschaftlicher Mitarbeiter und Privatdozent am Max-Planck-Institut in Hamburg,
seit 2003 ist er Professor am Leibniz-Institut für Meereskunde in Kiel, dem heutigen
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IFM-GEOMAR. Arbeitsschwerpunkte: Entwicklung des Klimas, Entwicklung von
Klimamodellen.
Bücher (Auswahl):
- Warum der Eisbär einen Kühlschrank hat … und andere Geheimnisse aus der
Klima- und Wetterforschung. Herder-Verlag. 2010.
- Klimawandel und Klimadynamik. UTB Ulmer Verlag. 2009.
- Herausforderungen Klimawandel. 2. Aufl. von „Hitzerekorde und Jahrhundertflut“.
Heyne Verlag. 2007.
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