Kapitel 2 Mathematik in der Musik Oh, jetzt kommen aber zwei Themen, die völlig unvereinbar sind. Was soll denn bloß diese trockene Mathematik mit der wunderbaren Musik am Hut haben? Neben dieser etwas abwertend klingenden Meinung höre ich aber auch manchmal das ganze Gegenteil. Manche erinnern sich an ein Ärzte-Orchester und erklären dann, dass Mediziner häufig musikalisch sind. Und genau das wird dann auch manchmal Mathematikern nachgesagt. Nun, ich kann das nicht so ganz ablehnen. So haben wir seinerzeit in unserem Institut für Angewandte Mathematik und dem Institut für Mathematik zweimal eine volle Oper aufgeführt mit vier Solisten, die zum Teil unsere Ehepartner waren, einem Chor und einem 10-köpfigen Orchester. Bis auf zwei Ehepartner also eine rein mathematische Besetzung. Hier in diesem Kapitel wollen wir wie schon bei der Kunst der anderen Frage nachgehen, wo denn in der Musik die Mathematik eine Rolle spielt. 2.1 Wohltemperierte Klaviere Wer kennt nicht die berühmte Sammlung von 24 Präludien und Fugen in allen zwölf Dur- und Moll-Tonarten von Johann Sebastian Bach. Warum nur hat Bach diese Sammlung wohltemperiert genannt? Das kann doch mit Temperatur im herkömmlichen Sinn nichts zu tun haben. Zunächst also ein Wort zu Erklärung des Begriffes „wohltemperiert“. Hier steckt das lateinische Verb temperare dahinter. Das bedeutet, wenn ich meinen alten Stowasser aus der Schulzeit zu Rate ziehe: warm machen, lau machen. Im metaphorischen Sinn bedeutet es dann aber auch: etwas in das gehörige Maß bringen, etwas richtig mischen. Und das ist hier die richtige Bedeutung für die Temperatur eines Tasteninstrumentes. Warum das richtig ist, wollen wir jetzt erklären. N. Herrmann, Mathematik und Gott und die Welt, DOI 10.1007/978-3-642-37855-3_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 25 26 2 Mathematik in der Musik Die reine oder pythagoräische Stimmung Vielleicht haben Sie mal Gitarre gespielt oder Geige oder ein anderes Saiteninstrument. Dann wissen Sie, wenn Sie eine Saite genau in der Mitte herunterdrücken, erklingt die Oktave des ursprünglichen Tons. Wenn Sie dann weiter mit der Saite spielen und an weiteren Stellen herunterdrücken, was bei der Gitarre durch die Bünde erleichtert wird, so finden Sie vielleicht durch Probieren, dass wieder ein zum Grundton passender Ton erklingt, wenn Sie bei einem Drittel herunterdrücken, also zwei Drittel der Saite klingen lassen. Das ist genau die Quinte. So geht das weiter. Für die Quarte haben wir das Verhältnis der Saite als drei Viertel, die große Terz erklingt bei vier Fünftel, die kleine Terz bei fünf Sechstel der Saite. Jetzt kommt ein Sprung. Das nächst kleinere Intervall, die Sekunde hört man, wenn man ein Neuntel der Saite herunterdrückt, also wenn acht Neuntel klingen. Das ist doch irgendwie verblüffend, dass angenehme Töne erklingen, wenn wir die Saite in solchen einfachen Verhältnissen teilen. Wir stellen das als Ergebnis zusammen: Intervall Seitenverhältnis Oktav Quinte Quarte Große Terz Kleine Terz Sekunde 1W2 2W3 3W4 4W5 5W6 8W9 Es scheint, als ob die Sekunde aus der Reihe herausfällt, aber wir können uns ihr Verhältnis leicht zusammenrechnen. Die Sekunde ist der Unterschied von der Quarte zur Quinte. Um sie zu erreichen, müssen wir also von der Quarte ausgehen und ein weiteres noch unbekanntes Verhältnis, nennen wir es x, abgreifen. Wir rechnen also 3 4 x D 2 3 H) xD 4 3 2 3 D 89 ; und schon steht das Verhältnis der Sekunde da, wenn wir die einfache Bruchrechnung beachten. Erstaunlich ist dabei, dass bereits Pythagoras vor ca. 2500 Jahren feststellte, dass die Intervalle schön klingen, wenn die Längen der Saite in solch einfachen Verhältnissen kleiner natürlicher Zahlen stehen. Das ist ein Naturphänomen. Eine reine Quinte ergibt sich nicht bei einer Teilung von 3.107534 : 3.981307, nein, die Saite muss genau im Verhältnis 3 : 4 geteilt werden. Das ist doch reichlich erstaunlich. 2.1 Wohltemperierte Klaviere 27 Das Pythagoräische Komma Es war der Pythagoräer Philolaos, der sich genauer mit den Intervallen befasste und eine erstaunliche Entdeckung machte. Er berechnete zuerst das Verhältnis für eine kleine Sekunde, also einen Halbton, als Unterschied h zwischen zwei aufeinanderfolgenden großen Sekunden und der Quart: 8 9 8 9 hD 3 4 H) hD 9 8 9 8 3 4 D 243 : 256 Auf dem Klavier sind nun zwei kleine Sekunden stets eine große Sekunde, wir sagen auch, zwei Halbtöne ergeben einen Ganzton. Aber was sagt die Mathematik dazu? Wir rechnen mal: Zwei Halbtöne h nacheinander ergeben das Verhältnis 243 256 243 256 D 0;901016235: Ein Ganzton aber war 8 9 D 0;88888888: Beide Zahlen stimmen nicht überein, zwei Halbtöne sind also etwas höher als ein Ganzton. Den genauen Unterschied findet man zuerst bei Euklid. Zu Ehren von Philolaos aber heißt dieser Unterschied Pythagoräisches Komma. Es ist das kleine Intervall, nennen wir es x, zwischen zwei Halbtönen und dem Ganzton: 243 256 243 256 x D 8 9 H) xD 524:288 531:441 Euklid hat diese letzte Formel noch etwas umgestellt: xD 524:288 531:441 D 219 312 H) 1 7 2 x D 2 12 3 Diese Gleichung kann man jetzt so interpretieren: Links mit dem Verhältnis 1 W 2 stehen Oktaven. Die Hochzahl sagt uns, dass wir sieben Oktaven durchschritten haben. Rechts steht das Verhältnis 2 W 3, also Quinten. Davon haben wir zwölf durchschritten. Und wieder kommen wir nicht genau dorthin, sondern auch hier steht das pythagoräische Komma im Weg. Wir versuchen noch einen dritten Weg. Das haben wir in unserer Jugend gespielt. Wer kann mit sechs Ganztönen zur sauberen Oktave gelangen? Auf dem Klavier sieht man, dass das geht. Wir hatten beim Singen Schwierigkeiten. Vielleicht lagen die ja in der Mathematik. Wir führen bei der folgenden Rechnung, gewarnt durch den oben aufgetretenen Unterschied, wieder ein unbekanntes Intervall, das wir auch hier x nennen wollen, ein und erhalten: 8 6 6 12 12 x D 12 H) x D 986 12 D 3218 12 D 3219 D 524:288 9 531:441 x ist also wieder unser pythagoräisches Komma von oben. 28 2 Mathematik in der Musik Pythagoräische Stimmung Das hat nun erhebliche Auswirkungen, wenn man ein Klavier stimmen will. Dabei nutzt man aus, dass sich bei etwas verstimmten Quinten und Quarten ein Schwirren oder Schweben bemerkbar macht. Menschen mit gutem Gehör können Quinten und Quarten rein stimmen. Wenn wir also ein Klavier oder eine Orgel rein stimmen wollen, so beginnen wir mit einer Stimmgabel beim Kammerton a, stimmen dann alle a der ganzen Klaviatur und arbeiten schließlich immer schön in Quinten aufwärts. Wenn wir zwölfmal nacheinander eine Quinte höher gehen, kommen wir wieder zum a, dieses liegt aber sieben Oktaven höher und stimmt nicht mit der sauber gestimmten siebten Oktave überein. Pythagoras zu Ehren nennt man eine solche reine Stimmung pythagoräische Stimmung. Zwölf saubere Quinten sind leider nicht sieben saubere Oktaven. Man stimmt und stimmt so rein wie möglich, und dann kommt die Mathematik und sagt „Ätsch, so geht das nicht!“. Hässlicherweise hat man die letzte der zwölf Quinten, die wieder zum Ausgangston zurückführt, Wolfsquinte genannt, weil die so schrecklich heult. Man konnte mit dieser Stimmung zwar einige Tonarten gut spielen, wenn man die schwarzen Tasten möglichst vermieden hat. Das war bei der einfachen Melodik des Mittelalters kein so richtiges Problem. Wenn man aber in andere Tonarten übergehen wollte, gab es Misstöne. Das ist wohl auch der Grund, warum die meisten Geigenkonzerte in A-Dur, GDur oder D-Dur stehen. Die Geige mit den Saiten G, D, A und E wird ja rein gestimmt, vom Kammerton A ausgehend, den die Oboe vorgibt. Dann sind diese Tonarten gut anzuhören. Mitteltönige Stimmung Zur Lösung dieses Problems bei der reinen Stimmung gab es verschiedene Vorschläge. In der Renaissance wurden in der Musik Terzen sehr wichtig. Also stimmte man seine Gambe so, dass die Terzen zumindest in zwei oder drei der hauptsächlich verwendeten Tonarten gut klangen. Diese Stimmung ist dann schon in unserem oben erklärten Wortsinn temperiert, also angepasst. Sie heißt mitteltönige Stimmung. Da konnte man dann in C-Dur, G-Dur oder F-Dur schwelgen, aber wehe, wenn einem Sänger einfiel, mal ein Lied in As-Dur mit den vier [ vorzutragen, so klang das sehr schlimm und unsauber. Diese mitteltönige Stimmung war damals sehr verbreitet. Eine Abhilfe versuchte man dadurch, dass man die schwarzen Tasten auf dem Klavier teilte, also zweifach belegte.Viele schwarze Tasten bestanden also aus zwei dünneren nebeneinander liegenden Tasten. Dann musste der Spieler also, wenn er in A-Dur spielte, als Terz das Cis greifen, spielte er aber in As-Dur, so musste er als Quart das etwas links liegende Des spielen. Das war natürlich mühsam und regte nicht dazu an, in verschiedenen Tonarten zu spielen. 2.1 Wohltemperierte Klaviere 29 Werckmeister III, die wohltemperierte Stimmung Der Musikjournalist Klemens Hippe schreibt in seinem Internetbeitrag: Dumm gefragt: Was heißt eigentlich wohltemperiert? Die wohltemperierte Stimmung ist die Kunst, ein Klavier so falsch zu stimmen, dass man auf ihm alle Tonarten spielen kann. Genau das überlegte sich schon zu Bachs Zeiten Andreas Werckmeister. Er experimentierte und rechnete, um dieses verflixte Komma zumindest unhörbar zu machen. Zwischen 1681 und 1691 veröffentlichte er verschiedene Stimmungen, die er dann wohltemperiert, also gut angepasst nannte. Durchgesetzt hat sich seine berühmte wohltemperierte Stimmung III. Darin bestimmte er, dass dieses Pythagoräische Komma in vier gleiche Teile zerlegt wird. Dann werden jeweils die Quinten C-G, G-D, D-A und H-Fis um dieses Viertel kleiner gemacht. Die anderen Quinten werden rein gestimmt. Das hört sich reichlich zufällig an, aber diese kleinen Unterschiede in den vier Quinten sind kaum wahrnehmbar. So wurde die ganze Tonskala in das richtige Maß gebracht, halt wohltemperiert. Dabei hatte Werckmeister eine andere wichtige Eigenschaft behalten, dass nämlich die Tonarten ihre eigene Charakteristik haben. Sie klingen wegen der unterschiedlich rein gestimmten Intervalle jede ganz eigen. Die Möglichkeit, mit dieser Stimmung alle Tonarten auf dem Klavier oder dem Cembalo spielen und ihre charakteristischen Eigenheiten hervorheben zu können, faszinierte daraufhin Johann Sebastian Bach, und er komponierte seine Sammlung von 24 Preludien und Fugen in allen 12 Dur- und Molltonarten. Er wollte damit also die Unterschiede in den Tonarten hervorheben und sie hörbar machen. Was manchmal den Hauch von Esoterik hervorruft, wenn z. B. Richard Wagner seinen Lohengrin nur in A-Dur singen lässt, weil diese Tonart für ihn strahlend und heldenhaft klang, hat also seinen Hintergrund in der wohltemperierten Stimmung III von Andreas Werckmeister. Die gleichtemperierte Stimmung In der Folgezeit wurde noch an weiteren Stimmungen herumexperimentiert, wir wollen nur die Namen Johann Georg Neidhardt und Georg Andreas Sorge erwähnen. Heute im Zeitalter der Elektronik gibt es aber Geräte, die uns beim Stimmen das Leben leicht machen. Sie zeigen durch einen Zeigerausschlag genau an, wann der Ton richtig gestimmt ist. Das hat aber einen Nachteil. Diese Elektronik nimmt keine Rücksicht auf wohltemperierte Stimmungen, sondern teilt die Oktave einfach in gleichgroße Tonintervalle. Dies ergibt dann die gleichtemperierte Stimmung. Jetzt kommt wieder die Mathematik ins Spiel. Damit wir uns ganz eng beim Stimmvorgang aufhalten, rechnen wir jetzt in Frequenzen. Wir beginnen ja mit der Stimmgabel beim Kammerton a, der heutzutage 30 2 Mathematik in der Musik mit 440 Hz festgelegt ist. Die Oktave a1 hat dann 880 Hz. Die ganze Oktave wollen wir jetzt in zwölf gleichgroße Tonintervalle einteilen. Dazu müssen wir also zwölf gleiche Schritte mit der Frequenz k machen. Das heißt also k … k D k 12 D 2: „k ƒ‚ zwölfmal Daraus ergibt sich sofort kD p 12 2 D 1;05946: Mit diesem Faktor können wir jetzt die Frequenzen ausrechnen. Wir geben sie hier für die erste Oktave von a bis a1 an: Ton Frequenz a ais h c1 cis1 d1 dis1 e1 f1 fis1 g1 gis1 a1 440 466,164 493,883 523,251 554,365 587,330 622,254 659,255 698,456 739,989 783,990 830,609 880 Und wie macht man das in der Praxis? Nun, vor etlichen Jahren, als die Elektronik noch im Kinderbett lag, habe ich mal einen Klavierstimmer gefragt, wie er diese Differenz denn stimmt. Zu meiner Verblüffung antwortete er: Ich stimme den Ton nach Gehör so, dass keine Schwebung auftritt. Dann lasse ich einen kleinen Tick nach. Wie groß dieser Tick sein musste, hat er nicht verraten. Ich vermute, das war dann mehr so ein gefühlter Tick. Heute also hat man die Stimmgeräte, die genau diese gleichtemperierte Stimmung programmiert haben. Da muss man nur Saite für Saite stimmen und keine Quinten und Quarten suchen. Wie wir es beschrieben haben, werden so alle Töne einen Tick falsch gestimmt, aber alle gleichmäßig. Das hört sich sehr demokratisch an, hat aber jetzt den Nachteil, dass kein Intervall mehr vor einem anderen herausragt. Daraufhin kann man auch keine Unterschiede mehr in den Tonarten hören. Die Charakteristik der Tonarten ist verschwunden. Daher ist es auch nicht gerade spannend, was das Hörerlebnis 2.2 Mozarts Würfelmusik 31 angeht, auf einem elektronischen Klavier mit der gleichtemperierten Stimmung das wohltemperierte Klavier von Bach zu spielen. Bach, der uns mit diesen Kompositionen die Charaktere der Tonarten vorführen wollte, wird gleichgemacht. Eigentlich schade, oder? 2.2 Mozarts Würfelmusik Es hat etliche Versuche gegeben, Musik mit Hilfe der Mathematik zu erzeugen. Man kann z. B. mit zwei Würfeln zufällig Zahlen würfeln, deren Summe dann unmittelbar in Töne umgesetzt werden, also die 2 ist das Cis, 3 ist das D, 4 ist Dis usw. Sie merken schon das erste Problem. Da wir mit zwei Würfeln keine 1 werfen können, kommt der Grundton C nicht vor, oder wir fangen bei 2 mit dem C an, dann aber fehlt die Oktave C. Außerdem würde auf diese Weise wohl keine sehr schön klingende Melodie erzeugt. Es wäre so etwas wie die Zwölftonmusik von Arnold Schönberg. Dort sind aber in der Reihe keine Wiederholungen erlaubt. Nun, diese Idee scheint uns nicht sehr trächtig. Wir wollen eine andere recht niedliche Idee vorstellen, die Wolfgang Amadeus Mozart mit viel Erfolg damals in den Salons vorgetragen hat. Mozarts Vornamen Nebenbei bemerkt: Wissen Sie, wie Mozart laut Taufregister mit Vornamen heißt? Man kann die Frage nach heutiger Quiz-Manier auch folgendermaßen stellen: Welcher der folgenden Vornamen steht nicht im Taufregister von Mozart, dem berühmten Komponisten, geboren 1756 in Salzburg? Diese Bemerkung muss hinzugefügt werden, um die Person eindeutig zu beschreiben. Sonst meint vielleicht jemand, wir sprächen vom Vater Leopold Mozart: A) Chrysostomus B) Wolfgangus C) Amadeus D) Theophilus So ähnlich lautete tatsächlich mal eine Frage in einer großen Quiz-Sendung. Die richtige Antwort ist C). Dabei sollte man hinzufügen, dass Amadeus die latinisierte Form des Names Theophilus ist, beides bedeutet Gottes Liebling. Jedenfalls getauft worden ist dieser große Musiker als Joannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus Mozart. Amadeus hat er wohl selbst daraus gemacht. Wir fügen zu Ihrer Erbauung noch eine weitere Frage an: Welcher der folgenden Vornamen steht wirklich in der Heiratsurkunde von Mozart: A) Chrysostomus B) Amadeus C) Adam D) Theophilus 32 2 Mathematik in der Musik Weil diese Fragen stets so aufgebaut sind, dass genau eine von vier Antwortmöglichkeiten richtig ist, stehen also drei der obigen Vornamen nicht in der Heiratsurkunde. Das sieht verwirrend aus. Tatsächlich ist in solchen Fällen meist die unwahrscheinlichste Antwort richtig. Man will ja seine Leserschaft überraschen. Mozart hatte wohl stets so einen kleinen Schalk im Nacken. Jedenfalls hat er eine Dispens erwirkt und musste zu seiner Hochzeit keine Geburtsurkunde vorlegen. Die lag nämlich in Salzburg bei seinem Vater mit den auf S. 31 genannten Vornamen, während er ja in Wien geheiratet hat. Und dann hat er dem Pastor flugs erklärt, er hieße Wolfgang Adam Mozart, und so steht es tatsächlich in der Heiratsurkunde. Also auch hier ist Antwort C) richtig. Sein Vater übrigens hat ihn häufig mit seinem Firmnamen Sigismund gerufen. Beispiel einer Würfelmusik Ein zur Zeit beliebtes Spiel zur Unterhaltung in Gaststätten heißt Karaoke. Wer auch immer sich zutraut, den Mund aufzumachen, kann sich dort ans Mikrofon stellen und zu Playback-Musik den Text eines bekannten Musikstücks, Schlager, Rap o.ä. vom Teleprompter dem häufig hämisch grinsenden Publikum „vorsingen“. Zu Mozarts Zeiten gab es eine andere Methode, die Gäste an der allgemeinen Unterhaltung zu beteiligen. Wir zeigen das Prinzip an folgenden sehr einfachen Melodien. Wir beginnen mit zwei jeweils zwei Takte umfassende kleinen Stücken, die wir als Anfang verwenden können. Hier der erste Anfang: Der zweite Anfang laute: Vielleicht können Sie beide „Intros“ auf einem Keybord oder Klavier kurz anspielen, dann hören Sie, dass ich in beiden Teilen die gleiche Grundharmonik verwende. 2.2 Mozarts Würfelmusik 33 Das bedeutet aber, dass ich beide Stücke miteinander austauschen kann, ohne bei der Fortsetzung Schwierigkeiten zu bekommen. Das Gleiche machen wir jetzt mit der Fortsetzung, die dann in unserem einfachen Beispiel auch schon das Ende markiert. Wir bieten zwei verschiedene Beendigungen an, die wieder aus jeweils zwei Takten bestehen. Dies sei das erste Ende: Dies sei das zweite Ende: Ich gebe es zu, ich bin kein Mozart. Verzeihen Sie mir also diese simplen Kompositionen. Es geht um das Prinzip. Jetzt kommt das Karaoke-Spiel von Mozart. Nehmen Sie eine Münze in die Hand. Diese hat zwei Seiten. Durch den Wurf dieser Münze und Beobachten der oben liegenden Seite kommt die Wahrscheinlichkeit ins Spiel. Einer meiner akademischen Lehrer versuchte uns damals in der Vorlesung den Zugang zur Wahrscheinlichkeitslehre dadurch zu veranschaulichen, dass er uns erklärte, er habe in seiner Studienzeit mit seinem Freund häufig die Münze geworfen. Zeigte sie Zahl, so seien sie ins Kino gegangen. Lag das Bild oben, so haben sie sich ins Bad begeben. Nur wenn die Münze auf der Kante stehen geblieben sei, haben sie für das Studium gelernt. Nehmen wir an, die Münze habe auf der einen Seite die Zahl des Wertes und auf der anderen Seite das Brandenburger Tor. Dann werfen Sie jetzt die Münze. Liegt die Zahl oben, wählen Sie die Anfangsmusik 1, liegt das Tor oben, so kommt Anfang 2 dran. Dann werfen Sie erneut die Münze. Bei Zahl wählen Sie Ende 1, bei Tor Ende 2. Das ist sehr einfach zu durchschauen. Auf diese einfache Weise gelingt es uns, vier verschiedene Melodien mit jeweils vier Takten zu kombinieren, Mozart nannte das dann komponieren. Wir sollten diese Musik Münzenmusik nennen, denn wir erhalten die vier mittels einer Münze (Zahl (Z) oder Tor (T)) geworfenen Melodien: ZZ ZT TZ TT 34 2 Mathematik in der Musik Mozarts Würfelwalzer Natürlich kann Mozart das viel besser. Er hat insgesamt zweimal 88 Takte aufgeschrieben, also zusammen 176 Takte. Er tat es im Dreivierteltakt, so dass Walzer entstanden. Diese Takte kann man nicht ganz beliebig kombinieren, sondern dazu hat er zwei Tafeln aufgestellt, in denen alle Taktnummern verzeichnet sind. Jede Tafel enthält elf Zeilen und acht Spalten. Jede Spalte steht für einen zu wählenden Takt, so dass ein Musikstück von acht Takten entsteht. Die erste Tafel benutzt man für die acht Anfangstakte, die zweite Tafel für die acht Endtakte. Betrachten wir zuerst die Tafel für die acht Anfangstakte. Jetzt kommt die Wahrscheinlichkeit ins Spiel. Mozart lässt seine Zuhörerinnen und Zuhörer mit zwei Würfeln werfen. Betrachtet wird die Augensumme, bei zwei Würfeln also die Zahlen von 2 bis 12. Das sind elf verschiedene Zahlen, sie stehen für die elf Zeilen der beiden Tafeln. Für den ersten Takt schaut man dann in der ersten Spalte in die Zeile, die gewürfelt worden ist. Für den zweiten Takt betrachtet man die zweite Spalte und nimmt dort die gewürfelte Augensumme als Zeile usw. Hat man so die acht Takte gewürfelt und damit die Anfangsmelodie zusammengesetzt, so geschieht das Gleiche für die acht Endtakte mit Hilfe der zweiten Tafel. Das muss damals sehr lustig gewesen sein. Mathematisch interessant ist die Frage, wie viel verschiedene Walzer man auf diese Weise erzeugen konnte. Das ist ziemlich einfach überlegt. In der ersten Spalte habe ich elf verschiedene Takte, die als erster Takt verwendet werden können. Beim zweiten Würfeln wird wieder einer von elf verschiedenen Takten aus der zweiten Spalte hinzugefügt. Zu jedem ersten Takt also elf mögliche zweite Takte. Das sind dann zusammen 11 11 D 121 verschiedene Möglichkeiten. So geht das weiter. Bis zur achten Spalte hat man also 11 11 11 11 11 11 11 11 D 118 D 214:358:881; also mehr als zweihundert Millionen verschiedene acht-taktige Anfänge. Genau so viele Enden haben wir. Zu jedem Anfang können wir wieder ein Ende kombinieren. Also erhalten wir auf diese Weise .118 / .118 / D 45:949:729:863:572:161 verschiedene Würfelwalzer. Das sind mehr als 45 Billarden. Diese Zahl ist wirklich sehr groß. Mozart schreibt in seiner Anleitung zu diesem Walzer . . . und so gehts ins Unendliche fort. Nun, wir verweisen auf unser Kap. 4, S. 53, in dem wir uns intensiv mit „unendlich“ auseinandersetzen. Dort werden wir sehen, dass unendlich noch viel, viel größer ist. 2.3 Klassen in der Mathematik 2.3 35 Klassen in der Mathematik Die Mathematiker haben sich ein System ausgedacht, wie man die neuesten Veröffentlichungen in Fachzeitschriften zu einem bestimmten Thema finden kann, ohne die gesamte Literatur durchzublättern. Dabei sollten wir bedenken, dass es ca. 400 mathematische Fachzeitschriften weltweit gibt, die monatlich oder zweimonatlich erscheinen. In jeder Zeitschrift sind grob über den Daumen gepeilt fünf Fachartikel mit neuesten Erkenntnissen. Das sind also zusammen 2000 neue Artikel alle zwei Monate. Dann sind das zusammen, wobei wir alle Zeitschriften als zweimonatlich betrachten, 12.000 neue Artikel pro Jahr. Solch ein Artikel gipfelt immer in einer neuen Erkenntnis, die mathematisch in einem neuen Satz zusammengefasst wird. Das sind also 12:000 neue mathematische Sätze pro Jahr! Dabei haben wir nicht einbezogen, dass die Autoren für die Beweise Hilfssätze heranziehen, die ebenfalls neu, aber nicht so tragend sind. Wer kann da die Übersicht behalten? Nun, Mathematiker sind ja nicht dumm. Sie haben tatsächlich ihre gesamte Wissenschaft in kleine Klassen eingeteilt in der sog. „Mathematics Subject Classification“. In Abb. 2.1 sehen Sie die erste grobe Übersicht mit ungefähr 60 Klassen. Das geht ja noch. Aber Abb. 2.2 sollte Sie stutzig machen. Hier sehen Sie die Klasse 65 „Numerical Analysis“. In dieser sind insgesamt 20 Unterklassen, nach Buchstaben geordnet, aufgeführt. Mit dem Buchstaben N finden wir die Unterklasse „Partial differential equations, boundary value problems“. Das sind also die partiellen Differentialgleichungen und ihre Randwertprobleme. Einige Buchstaben sind freigelassen, um Platz für zukünftige Entwicklungen zu haben. Jede dieser Unterklassen ist dann noch einmal in bis zu 10 Unterunterklassen aufgeteilt. Ich habe diese Unterklasse 65 ausgewählt, weil ich selbst in meiner aktiven Zeit unter anderem in der Unterunterklasse 65 N 30 veröffentlicht habe. Was nützt diese Einteilung? Jetzt kommt der entscheidende nächste Schritt. Es gibt sogenannte mathematische Referatezeitschriften. Zwei haben sich durchgesetzt: Zentralblatt der Mathematik Mathematical Reviews Jeder Autor muss seine neue Veröffentlichung in obige Klassifizierung einordnen. Dann werden in diesen Referateblättern alle diese neuen Artikel in einer kurzen Zusammenfassung vorgestellt, und zwar geordnet nach der Klassifizierung. Wenn man jetzt zu einem bestimmten Gebiet einen Fachartikel sucht, schaut man nur in diese Referatezeitschriften und sucht dort unter der passenden Rubrik, welche neuen Artikel denn erschienen sind und was dort inhaltlich zu erwarten ist. Das ist ziemlich einfach gemacht. Und so habe ich auch jederzeit die Übersicht über neue Erkenntnisse anderer Autoren in meinem speziellen Fachgebiet behalten. 36 2 Mathematik in der Musik Abb. 2.1 Einteilung der Mathematik in 60 Klassen Ein kleiner Wermutstropfen ist natürlich dabei. Diese kurzen Zusammenfassungen werden von Fachleuten erstellt, und die brauchen natürlich ihre Zeit, um den Artikel zu lesen und eine Zusammenfassung zu schreiben. Das führt dazu, dass 2.3 Klassen in der Mathematik 37 Abb. 2.2 Ein Blick in die Unterklasse 65 N 30 diese Referateblätter nicht ganz aktuell sein können, sondern immer etwas hinterherhinken. Trotzdem ist das eine riesengroße Hilfe zur Orientierung in den 12.000 neuen Sätzen pro Jahr. 38 2.4 2 Mathematik in der Musik Melodien finden leicht gemacht Warum haben wir uns diese verrückte Klassifizierung der Mathematiker angeschaut? Weil es tatsächlich in der Musik ein zumindest analoges Verfahren gibt, um eine Melodie zu finden. Eine Melodie finden? Ja, wie soll das denn gehen? Ist es Ihnen nicht auch schon passiert, dass Sie frühmorgens oder auch am hellen Nachmittag plötzlich eine Melodie im Ohr haben, die sich dann zum richtigen Ohrwurm entwickelt? Ständig müssen Sie diese Melodie vor sich hin summen, aber es will und will Ihnen nicht einfallen, was das für eine Melodie ist. Aus welchem Stück stammt die bloß? Und hier sollte es ein System geben, diese Melodie zu finden? Tatsächlich haben sich bereits 1948 zwei Amerikaner Harold Barlow und Sam Morgenstern daran gemacht, eine möglichst vollständige Liste aller musikalischen Themen der sog. E-Musik, also der klassischen Musik zusammenzustellen. Von Vivaldi über Bach, Händel, Beethoven, Mozart bis hin zu Stravinski und anderen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Dazu eine Vielzahl nicht so bekannter Komponisten. 10.000 musikalische Themen haben sie in einem Buch zusammengetragen, so wie die Mathematiker ihre 12.000 neuen Sätze jedes Jahr in Referateblättern zusammmenstellen. Von großem Vorteil war natürlich, dass diese Liste abgeschlossen war und keine neuen Themen mehr hinzukamen. Geordnet wird diese Liste nach den Namen der Komponisten, nach ihrem Geburtsdatum aufsteigend sortiert, gewählt. Als Unterkategorie wird wieder das Alphabet genommen, also z. B. Quintett, Rondo, Serenade, Valse etc. Diese Unterteilung ist nicht so wichtig, denn am Rand sind alle Melodien fortlaufend für jeden Buchstaben nummeriert. Von B 521 bis B 1058 sind Beethoven-Melodien gesammelt, von B 1059 bis B 1061 Melodien von Vincenco Bellini usw. Aber diese Ordnung hilft nicht beim Suchen. Da muss eine neue Ordnung erfunden werden. Aber wie ordnet man nun musikalische Themen, auf dass man sie finden kann? Musikalische Themen sind ja etwas Abstraktes. Bis auf einige Ausnahmen wie z. B. Beethovens 6. Sinfonie, die Pastorale, werden Melodien nicht mit irgendeinem Inhalt zusammengebracht. Auch beim Anhören der „Frühlingssinfonie“ von Robert Schumann werden Sie schwerlich selbst auf die Zuordnung zu einer Jahreszeit kommen, wenn man es Ihnen nicht sagt. Oder denken Sie an Beethovens „Wut über den verlorenen Groschen“. Kaum ein Pianist, der sich an diesem fantastischen Werk die Finger wund übt, wird dabei den verlorenen Groschen im Sinn haben. Welche Assoziation wollen Sie mit dem Italienischen Konzert von Johann Sebastian Bach verbinden? Nein, eine Zuordnung musikalischer Themen zu irgend welchen Inhalten führt nicht wirklich zu einer Einteilung aller Themen. Eine Einteilung der Melodien in Dur und Moll ist viel zu grob, um eine Suchoption zu bilden, abgesehen davon, dass bei Komponisten des 20. Jahrhunderts manchmal gar keine Zuordnung in Dur oder Moll besteht. Die Zwölftonmusik von Arnold Schöenberg sei als Beispiel genannt. Außerdem denke ich an meinen Freund aus der Schulzeit, der später als Ingenieur promoviert hat, dem ich aber stets bei mündlichen Prüfungen im Klassenverband mit kleinen Fingerzeigen Hinweise auf 2.4 Melodien finden leicht gemacht 39 Dur oder Moll geben musste, damit er in Musik nicht durchfiel. Auch die „Eselsbrücke“ Dur D fröhlich, lustig, schnell Moll D traurig, langsam hilft nicht weiter. Denken Sie nur an den lustigen „Türkischen Marsch“ von Mozart, der in a-moll steht, und die so zu Herzen gehende, ja klagende Melodie der Klarinette im zweiten Satz von Mozarts Klarinettenkonzert, in D-Dur notiert. Wer hier nicht den Unterschied zwischen kleiner und großer Terz kennt, hat verloren. Jetzt kommt der geniale Trick. Alle diese Melodien haben Barlow und Morgenstern nach C-Dur bzw., wenn es ein Moll-Stück ist, nach c-moll transponiert und dann die zugehörigen Notenbezeichnungen aufgeschrieben. „Alle meine Entchen“ wäre dann z. B. CDEFGG usw. Sie verstehen das sicherlich. Jetzt wählen sie, so wie die Mathematiker eine Klassifizierung der mathematischen Artikel nach Themenbereichen eingeführt haben, eine Klassifizierung an Hand des bestehenden Alphabetes. Die von ihnen gesammelten 10 000 transponierten musikalischen Themen haben sie alphabetisch sortiert. Das ganze haben sie dann auf den letzten einhundert Seiten ihres Buches zusammengefasst. Das hört sich verrückt an, musikalische Themen alphabertisch zu sortieren. Diese Liste beginnt mit A A A A A A A A, eine Melodie von Igor Stravinsky aus dem Ballett Petrouchka. Es ist das zweite Thema aus dem russischen Tanz. Sie beginnt sogar mit elf mal nacheinander A, allerdings nicht in derselben Tonhöhe, sondern die ersten beiden A liegen eine Oktave höher. Da es keine andere Melodie mit mehr als sieben A nacheinander gibt, reicht es zum Finden, wenn acht A aufgeführt sind. Beachten muss man noch, dass in Amerika unser H als B bezeichnet wird. Stellen Sie sich jetzt vor, Sie haben einen solchen Ohrwurm im Kopf. Ich habe mir mal solch eine Melodie ausgedacht. Bei einem Vortrag würde ich Ihnen jetzt diese Melodie vorsingen in der Hoffnung, dass Sie sie vielleicht schon einmal gehört haben, dass Sie also glauben, sie zu erkennen, können sie aber nicht direkt einem Musikstück zuordnen. Nun, ich habe eine sehr einfache Melodie ausgewählt. Vielleicht sind Sie ja in der Lage, sich selbst folgende Melodie vorzusummen, muss ja keiner hören: Falls Sie Noten lesen können, haben Sie es jetzt leicht. Sonst ist es etwas schwieriger. Denn wir müssen dieses Musikstück wirklich mit Noten kennen, also mit den Notennamen, in C-Dur (oder bei einem Moll-Stück in C-Moll). Ich schreibe Ihnen diese Notenfolge jetzt hier auf: C E Können Sie das nachvollziehen? C G C E G C 40 2 Mathematik in der Musik Diese Notenfolge suchen wir in dem Buch hinten auf den hundert Seiten. Fündig werden wir hier: Abb. 2.3 Auszug aus dem alphabetisch sortierten hinteren Teil des Buches, wo wir unsere Melodie unten rechts in der dritten Zeile von unten finden 2.4 Melodien finden leicht gemacht 41 Rechts neben dieser Notenfolge steht B 918. Wir sehen also, dass unter B 918 unsere gesuchte Melodie zu finden ist. Wenn wir jetzt vorne im Buch unter dieser Nummer nachschlagen, finden wir Abb. 2.4 Die gesuchte Melodie finden wir in der Mitte mit der Nummer B 918 am Rand. Es ist der erste Satz aus Beethovens Eroica. Das ist also das erste Thema aus der Symphony No. 3, E Flat, also E-Dur, Op. 55, die sogenante Eroica von Ludwig van Beethoven. http://www.springer.com/978-3-642-37854-6