07./08.03.2009 DOHNÁNYI STEFAN WAGNER CHRISTOPH VON DOHNÁNYI DIRIGENT STEFAN WAGNER VIOLINE SAISON 2008/2009 ABONNEMENTKONZERTE HB3 / L6 Samstag, 7. März 2009, 20 Uhr Bremen, Glocke Sonntag, 8. März 2009, 19.30 Uhr Lübeck, Musik- und Kongresshalle Dirigent: Solist: HANS WERNER HENZE (*1926) CHRISTOPH VON DOHNÁNYI STEFAN WAGNER VIOLINE Konzert für Violine und Orchester Nr. 3 (1997) Drei Porträts aus dem Roman „Dr. Faustus“ von Thomas Mann I. Esmeralda. Nicht eilen, tänzerisch gemütvoll II. Das Kind Echo. Adagio. Tempo giusto III. Rudi S. Andante. Un poco pìu mosso Pause ANTON BRUCKNER (1824–1896) Sinfonie Nr. 9 d-moll (1887–1896) (unvollendet, Originalfassung) I. Feierlich, misterioso II. Scherzo. Bewegt, lebhaft – Trio. Schnell III. Adagio. Langsam, feierlich CHRISTOPH VON DOHNÁNYI DIRIGENT Christoph von Dohnányi übernahm mit Beginn der Saison 2004/2005 die Position des Chefdirigenten beim NDR Sinfonieorchester, mit dem er zahlreichen Einladungen in die großen Musikmetropolen der Welt folgte. Er leitet regelmäßig international renommierte Orchester wie das Boston Symphony, Chicago Symphony und Pittsburgh Symphony Orchestra sowie das Israel Philharmonic, Los Angeles Philharmonic und New York Philharmonic Orchestra. Im September 1997 wurde Christoph von Dohnányi Principal Conductor beim Londoner Philharmonia Orchestra, nachdem er schon seit 1994 Principal Guest Conductor dieses Orchesters gewesen war. Zum Abschluss seines Dirigier-, Kompositions- und Klavierstudiums an der Münchner Musikhochschule wurde Christoph von Dohnányi der Richard-StraussPreis der Stadt München verliehen. Anschließend setzte er sein Studium bei seinem Großvater Ernst von Dohnányi an der Florida State University fort. 1953 wurde er von Sir Georg Solti zum Dirigenten und Korrepetitor an die Oper Frankfurt berufen. Im Alter von 27 Jahren wurde er in Lübeck der jüngste Generalmusikdirektor Deutschlands, bevor er die Stelle des Chefdirigenten beim WDR Sinfonieorchester Köln antrat. Seine weitere Karriere führte ihn als Generalmusikdirektor und Operndirektor nach Frankfurt und 1977 nach Hamburg, wo er als Intendant und Chefdirigent die Hamburgische Staatsoper leitete. Zwanzig Jahre stand er – zunächst ab 1982 als Music Director designate und dann von September 1984 bis August 2002 als Music Director – dem Cleveland Orchestra vor, bevor er im September 2002 zum Music Director laureate ernannt wurde. Als Operndirigent gastierte Christoph von Dohnányi an international renommierten Häusern wie Covent Garden in London, der Mailänder Scala, der New Yorker Met, der Opéra Paris, der Oper Zürich und der Wiener Staatsoper. Regelmäßig war er bei den Salzburger Festspielen zu Gast, wo er die Wiener Philharmoniker in zahlreichen Opernproduktionen dirigierte. DIRIGENT 02 03 STEFAN WAGNER IM SPIEGELKABINETT DER GESCHICHTE VIOLINE HANS WERNER HENZES VIOLINKONZERT NR. 3 Stefan Wagner wurde 1962 in Augsburg geboren und erhielt seinen ersten Violinunterricht im Alter von sechs Jahren von seinem Vater. Er studierte bei Karoline Kraus und Kurt Gunter an der Münchner Musikhochschule, wo er sein Studium mit Auszeichnung abschloss. Anschließend wurde er als Stipendiat in die Meisterklasse von Sergiu Luca an der Rice University in Houston aufgenommen, abschließende Studien führten ihn zu Herman Krebbers nach Amsterdam. 1989 wurde der mehrfach bei internationalen Wettbewerben ausgezeichnete Geiger Erster Konzertmeister der Stuttgarter Philharmoniker. Seit 1992 ist Stefan Wagner Erster Konzertmeister des NDR Sinfonieorchesters in Hamburg. Mit seinem Tonsetzer Adrian Leverkühn aus dem Roman „Doktor Faustus“ hat Thomas Mann eine literarische Figur geschaffen, wie sie komplexer und reicher an Bezügen und Deutungsperspektiven kaum sein könnte. Leverkühns fiktive Biografie weist große Ähnlichkeiten mit dem realen Leben des Friedrich Nietzsche auf, und die ihm von Mann angedichtete Kompositionsmethode ist von Arnold Schönberges Zwölftontechnik inspiriert. Vor dem Hintergrund von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg nutzt Mann das wirkungsmächtigste Sujet der deutschen Literatur, um nicht nur das Schicksal des deutschen Geistes, sondern auch die tiefe Krise der Musik als Kunst in den Bildern des alten Faust-Mythos zu beschreiben. Leverkühns Syphilis-Infektion wird so zum Pakt mit dem Teufel überhöht. Der Komponist erfährt seine fatale „Genialisierung durch Krankheit“. Er kann eine Musik von unerhörter Ausdruckskraft schaffen, aber um den Preis der eigenen Herzenskälte. Leverkühn darf nicht lieben. Wer ihm zu nahe kommt, den richtet er zugrunde. Als Solist ist Stefan Wagner u.a. mit dem NDR Sinfonieorchester, dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, den Münchner Symphonikern, den Stuttgarter Philharmonikern, dem Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra und dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn aufgetreten. Wagner hat dabei mit Dirigenten wie Christoph Eschenbach, Raphael Frühbeck de Burgos, Herbert Blomstedt, Sir Roger Norrington, Roberto Abbado, Claus Peter Flor, Carlos Kalmar, Isaac Karabtschewsky oder Jörg Färber zusammengearbeitet. Neben seiner Tätigkeit als Konzertmeister des NDR Sinfonieorchesters widmet Wagner sich auch intensiv der Kammermusik; als Solist und als Kammermusiker konzertiert er regelmäßig bei SOLIST 04 Festivals in den USA (u.a. beim „Context“ Festival in Houston und dem Otis Festival in Oregon), in Europa und in Japan (Affinis Summer Music Festival). Stefan Wagner spielt eine Violine von Giovanni Battista Guadagnini aus dem Jahre 1745. Für den deutschen Komponisten Hans Werner Henze gehört das Fortschreiben von Mythen, das Anknüpfen an hoch bedeutungsvolle Stoffe, Motive und Symbole seit über fünfzig Jahren zu seiner Schaffensstrategie. Mit seinem Violinkonzert nach Thomas Manns „Faustus“ gelingt Henze dabei ein literarisch-musikalisches Vexierbild, dessen Be ziehungsvielfalt der großen Buch-Vorlage in nichts nachsteht. Da wären zum einen die Verweise in die Musikgeschichte: So denkt man als Konzert- gänger bei der Anlage in drei Charakterbildern zunächst an das Vorbild von Franz Liszts „Faust“Sinfonie, wo die drei Hauptpersonen von Goethes „Faust“ jeweils mit einem Satz musikalisch portraitiert werden. Darüber hinaus ruft das Portrait des Kindes Nepomuk bei Henze sofort Assoziationen an Bergs dem Andenken eines engelgleichen Kindes gewidmetes Violinkonzert hervor. Besonders verwickelt ist die Frage, wie sich Henzes Konzert zur literarischen Vorlage verhält. Im Roman komponiert Adrian Leverkühn dem Geiger Rudi Schwerdtfeger ein Violinkonzert, dessen fiktive Musik Thomas Mann detailliert beschreibt. Schreibt Henze nun realiter das Konzert, das Leverkühn nur in der Fiktion komponiert? Henze gleich Leverkühn? Für diese Identifikation mit dem literarischen Vorbild spräche, dass Henze zeitgleich mit dem Konzert noch ein weiteres der Leverkühnschen Projekte realisiert hat: Während der Arbeit an dem Violinkonzert plant Leverkühn die Kantate „Dr. Fausti Weheklage“, die als Zurücknahme von Beethovens Neunter Sinfonie und Ausdruck der tiefsten Hoffnungslosigkeit gedacht ist. Henze arbeitet neben seinem Violinkonzert 1997 auch an seiner Neunten Sinfonie mit Chören. Hier behandelt er das Schicksal der Verfolgten des Nationalsozialismus und spielt dabei ebenso auf das reale Vorbild von Beethovens Neunter wie auf deren fiktive „Zurücknahme“ durch Leverkühns „Weheklag“ an. Gegen diese simple Identifikation von Henze und Leverkühn spricht allerdings, dass Henzes Musik PROGRAMM 05 außer der Dreisätzigkeit mit dem von Mann im Roman entworfenen Konzert nichts gemein hat. „DEM LIEBEN GOTT GEWIDMET“ Was Henze alles in seinem Violinkonzert an musikalischen Vorbildern zitiert, worauf er anspielt und wie genau man sich das Verhältnis zur literarischen Vorlage vorstellen muss, wird also sicher noch Stoff für zahlreiche gelehrte Abhandlungen bieten. Vor allem öffnet der Komponist durch die Beziehung zur Literatur- und Musikgeschichte für seine vielschichtige und dichte Musik ein unabsehbares Feld von Assoziationen und provoziert geradezu ein Vielzahl von Geschichten, die sich im Kopf eines jeden Hörers abspielen mögen – je belesener der ist, umso reicher die Phantasien. Offenkundig ist jedenfalls, dass Henze sich gerade am Thema des Leverkühnschen Liebesverbotes entzündet hat. Die drei Portraits seines Konzertes sind jenen Figuren gewidmet, die durch Liebe den Tod bringen oder durch sie zu Tode kommen. Durch einige musikalische Signale verbindet Henze seine Musik dabei locker mit Manns Geschichte: So ist der erste Satz das Portrait der Prostituierten Esmeralda, bei der Leverkühn sich infiziert. Sie wird bei Henze vor allem durch einen Tango und den Klang klappernder Kastagnetten identifiziert. Der zweite Satz zeichnet das Bild des Kindes Echo, dem ein Kinderlied von Brahmscher Einfachheit und zwei als „Große Klage“ bezeichnete Kadenzen gewidmet sind. Der spielfreudige dritte Satz ist ein Portrait des Geigenvirtuosen Rudi Schwerdtfeger, den eine latente homoerotische Neigung mit Leverkühn verbindet. Wie seine Biographen inzwischen herausgefunden haben portraitiert Mann in der Figur des Schwerdtfeger seine Jugendliebe Paul Ehrenberg. Henze – zu Am 10. August 1887 hatte Anton Bruckner die Arbeit an seiner Achten Sinfonie abgeschlossen. In das monumentale, alle seine bisherigen Sinfonien übertreffende Werk setzte er größte Hoffnungen. Dass ihm gerade mit dieser Sinfonie eine der bittersten Enttäuschungen seines Lebens bevorstand und er bereits sechs Wochen nach ihrer Vollendung mit der zweiten Fassung der Sinfonie beginnen sollte, ahnte er zu diesem Zeitpunkt nicht. So hatte er nur zwei Tage nach dem 10. August die Arbeit an seiner Neunten Sinfonie aufgenommen und daran so konzentriert gearbeitet, dass schon Mitte September fast die gesamte Exposition des Kopfsatzes skizziert war und Bruckner am 21. September sogar mit der Partiturniederschrift beginnen konnte. PROGRAMM 06 ANTON BRUCKNERS NEUNTE SINFONIE Hans Werner Henze dessen Lebensthemen Nazizeit und Zweiter Weltkrieg ebenso zählen wie die Verfolgung oder Ausgrenzung von Homosexuellen – hat das Thema „Liebe“ bewusst zum Zentrum seines Konzerts ge macht. Von Anfang an beherrscht das Intervall der Quinte, das klassische Klangsymbol der (reinen) Liebe, die Musik. Im Roman nennt Schwerdtfeger sein Konzert „das Kind einer platonischen Liebe“ – diese Fiktion erweckt Henze in seinem Dritten Violinkonzert zu realem, klingendem Leben. Ilja Stephan Gleichzeitig plante Bruckner die Uraufführung der Achten, für die er den Dirigenten Hermann Levi vorgesehen hatte, der bereits im März 1885 in München die Siebente Sinfonie dirigiert und damit den von Bruckner lange erwarteten Wendepunkt in seiner Karriere als Sinfoniker ausgelöst hatte. Doch Levi konnte zu dem gewaltigen Werk keinen Zugang finden und empfahl Bruckner eine grundlegende Überarbeitung. Der Eifer, mit dem sich der Komponist an die neue Fassung der Sinfonie machte, führte allerdings dazu, dass die gerade erst begonnene Arbeit an der Neunten zunächst weitgehend zum Stillstand kam. Zudem begann Bruckner in einem regelrechten „Revisionsrausch“ schon Ende 1887 mit den Neufassungen seiner Dritten und Vierten Sinfonie, die ihn bis 1889 be - schäftigten. So waren die ersten drei Sätze der Neunten erst im Dezember 1893 sowie Februar und November 1894 fertig. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastungen zog Bruckner sich jedoch eine schwere Rippenfellentzündung zu, von der er sich erst im kommenden Frühjahr erholte. DAS UNVOLLENDETE FINALE: MYTHOS UND WIRKLICHKEIT Nach dieser Rippenfellentzündung entstanden dann Ende Mai 1895 die ersten Skizzen zum Finale, an dem Bruckner bis zum nächsten Sommer mit Hochdruck arbeitete. Dann erkrankte der inzwischen fast Zweiundsiebzigjährige erneut schwer. Nach der Genesung von einer Lungenentzündung im August 1896 brachte er jedoch nicht mehr die enormen mentalen Kräfte auf, die nötig gewesen wären, das Finale und damit die gesamte Sinfonie zu vollenden. So ließ er mit seinem Tod am 11. Oktober 1896 seine letzte Sinfonie unfertig der Nachwelt zurück. Diese Nachwelt jedoch – in Person von Autographenjägern und selbst ernannten „Brucknerfreunden“ – stürzte sich noch am Nachmittag des Sterbetages „wie die Geier auf seinen Nachlass“ (so Bruckners Arzt Dr. Richard Heller), wobei etliche Manuskripte für lange Zeit oder gar für immer spurlos verschwanden. Nachlässigkeiten des Testamentsvollstreckers und die Schüler Bruckners taten ihr Übriges. Das wiederum führte dazu, dass man bis lange ins 20. Jahrhundert hinein vom „Torso“ des Finales sprach und von nur provisorisch skizzierten, unzusammenhängenden Entwürfen ausging. PROGRAMM 07 ses machen zu können. Bis dahin aber wird eine Aufführung der ersten drei Sätze immer etwas Fragmentarisches in sich tragen, wie umgekehrt eine viersätzige Aufführung mit dem inzwischen in mehreren rekonstruierten Konzertfassungen vorliegenden Finalsatz ihren spekulativen Experimentalcharakter nicht verleugnen kann. DIE NEUNTE ZWISCHEN RÜCKBLICK UND AUSBLICK Anton Bruckner Die im Laufe von Jahrzehnten wieder aufgetauchten Quellen sind heute über den gesamten Erdball in Bibliotheken von Polen bis in die USA verstreut. Aus ihnen geht eindeutig hervor, dass Bruckner den Satz nicht nur vollständig vom ersten bis zum letzten Takt skizziert, sondern auch etwa zu einem Viertel instrumentiert hatte, und dass er offensichtlich schon lange vor seinem Ableben die Konzeption des vermutlich weit über 600 Takte umfassenden Satzes im Vollbesitz seiner Schöpferkraft vorgenommen hatte. Umso schmerzlicher bleibt die Tatsache, dass bis heute nicht genügend Partiturbögen aufgetaucht sind, um sich ein abschließendes Bild des Finales und vor allem des Satzschlus- PROGRAMM 08 Unabhängig von der Frage des Finales gehören die drei vollendeten Sätze der Neunten Sinfonie Anton Bruckners zum Großartigsten, was die Musik der Neuzeit geschaffen hat. Der besonderen Be deutung seiner Neunten war sich ihr Komponist durchaus bewusst. Dies geht schon aus der Widmung des Werkes hervor, die von Bruckners Arzt Dr. Richard Heller überliefert ist: „Sehen Sie, ich habe bereits zwei irdischen Majestäten Symphonien gewidmet […], und nun widme ich der Majestät aller Majestäten, dem lieben Gott, mein letztes Werk.“ Allerdings wurde die Wahl der Tonart d-moll zu Bruckners Zeit nahezu automatisch mit einem der Schlüsselwerke des 19. Jahrhunderts assoziiert: der Neunten Sinfonie Ludwig van Beethovens. Und so erklärte Bruckner seinem Biographen August Göllerich: „Was kann ich dafür, dass mir das Hauptthema in d-Moll eingefallen ist; es ist halt meine Lieblingstonart!“ Auch sah er – darin Gustav Mahler ähnlich – in der Nummer neun ein böses Vorzeichen, denn auch Beethoven habe „mit der Neunten den Abschluss seines Lebens“ gemacht. Wie bei vielen Spätwerken bedeutender Komponisten stehen auch für Bruckners Neunte Sinfonie die beiden Aspekte der Retrospektive und der Innovation im Vordergrund. So bündelt Bruckners Neunte Sinfonie als sein „Opus summum“ zunächst die Errungenschaften der bisherigen Sinfonien. Auch sie ist von einer der Orgel abgehörten Registerinstrumentation geprägt, was die Beibehaltung einer einmal gewählten Klangfarbe für die Dauer eines Abschnitts, schroffe dynamische Kontraste, die Verwendung reiner Klangfarben sowie das Schwelgen in mächtiger Klangpracht des vollen Orchesters zur Folge hat. Zu Recht verglich der Bruckner-Forscher Ernst Kurth die oft aus gewaltigen Klangblöcken zusammengesetzten Sinfoniesätze Bruckners mit der Bauweise gotischer Kathedralen. Diese in ihrer Zeit einzigartige Klangsprache übertrifft die Neunte Sinfonie jedoch nochmals an Monumentalität und weist auch in Fülle des thematischen Materials, zeitlicher Ausdehnung, Formgestaltung sowie kühner Harmonik und Dissonanzbehandlung weit über ihre Vorgängerinnen hinaus; sie beschreitet neue Wege, die bereits wenige Jahre danach beispielsweise von Gustav Mahler weitergegangen wurden. Im ersten Themenkomplex des Kopfsatzes etwa stellt Bruckner nicht nur sieben unterschiedliche Motive vor, bevor nach 96 Takten die zweite Themengruppe einsetzt, sondern breitet diese Bausteine auch mit fast zeitlos anmutender Geste vor dem Hörer aus. Auch Scherzo und Trio der Sinfonie sind ohne direktes Vorbild: Schon zu Beginn des dunkel-martialischen Scherzos bestimmen scharfe, penetrante Dissonanzen das Bild, und auch das Trio ist kein gemütlich-idyllischer Ländler, sondern im Gegenteil eher eine rasend schnell vorbeihuschende, in fahles Licht ge tauchte, schattenhaft-spukartige Nachtszene, in der nur manchmal die Erinnerung an die vergangene Ländler-Seligkeit früherer Sinfonien aufschimmert. Neu an der Neunten Sinfonie ist auch, dass hier Konflikte, im Gegensatz zu allen vorangegangenen Sinfonien, offen und mit allen Konsequenzen in der Sinfonie ausgetragen, mitunter dann aber ergebnislos abgebrochen werden. So kommt es gegen Ende des Adagios zu einem katastrophalen, ja vielleicht zu dem destruktivsten Höhepunkt, den Bruckner je komponierte. Über diese Passage, die in einen Tredezimen-Akkord, eine Zusammenballung von sieben verschiedenen Tönen mündet, und über den Schluss des Satzes schrieb der Bruckner-Dirigent Günter Wand: „Die im Vergleich zu den früheren Sinfonien stärkere Schroffheit des Klangbildes der Neunten, manchmal wie eine bewusste Distanzierung wirkend, ist eine Folge größter Konsequenz in der polyphonen Stimmführung, die manches Ohr bei der ersten Begegnung irritiert. Sie ist Ausdruck einer Weltabgewandtheit und inneren Wahrhaftigkeit, die, nach so vielen Skizzenblatt zum Finale von Bruckners Neunter Sinfonie PROGRAMM 09 ekstatischen Visionen jenseitigen Glanzes, auch die abgründigste Dissonanz zu artikulieren fähig ist. Dieser furchtbare Schrei, in dem die Klage der Menschheit über das verlorene Paradies bis an das Ende der Zeit zu tönen scheint, kann aus sich heraus keine Auflösung, keine Erlösung finden. Ihm folgt Stille, dann die Hinwendung in die Ge borgenheit des Glaubens.“ 2. APRIL 1932: VON DER BEARBEITUNG ZUR ORIGINALFASSUNG Das bei Bruckners übrigen Sinfonien stets präsente Problem der unterschiedlichen Fassungen stellt sich bei der Neunten Sinfonie allenfalls ex negativo; Bruckner war es nicht einmal möglich, we nigstens eine erste Fassung zu vollenden. Gleichwohl ist die Neunte vom Problem der Eingriffe fremder Hand betroffen. Verunsichert durch zahlreiche und zum Teil schwerwiegende Änderungen seiner Schüler an Form, Instrumentation und Klang seiner Sinfonien hatte Bruckner seine Autographe im Testament vom 10. November 1893 der k. u. k. Hofbibliothek in Wien vererbt und verfügt, dass nur sie als Stichvorlagen für die Drucke seiner Werke verwendet werden dürften. Die Autographe der ersten drei Sätze der Neunten Sinfonie jedoch ver traute er noch zu Lebzeiten Anfang 1895 dem Dirigenten Karl Muck an, „damit nichts daran ge schieht.“ Erst am 11. Februar 1903 konnte Bruckners Schüler Ferdinand Löwe die ersten drei Sätze der Sinfonie in Wien zur Uraufführung bringen. Im Verlauf der Probenarbeit hatte allerdings auch er die Partitur durch Eingriffe in die Instrumentation und die Dynamik dem Geschmack seiner Zeitgenossen anzupassen versucht. In dieser Form erschien Bruckners Neunte 1903 auch im Druck. PROGRAMM 10 29 Jahre sollten vergehen, bis im Zuge der ersten wissenschaftlich-kritischen Gesamtausgabe der Werke Anton Bruckners die Neunte Sinfonie in ihrer vom Komponisten verfügten Gestalt gespielt werden konnte. Da aber alle Verantwortlichen einschließlich des Dirigenten Siegmund von Hausegger sich keineswegs sicher waren, dass eine Aufführung Erfolg haben werde, lud man lediglich Bruckner-Experten sowie Vertreter der in- und ausländischen Presse zu einer nichtöffentlichen Aufführung nach München, in der man am 2. April 1932 die allseits anerkannte Version Ferdinand Löwes dem als unspielbar eingestuften Brucknerschen Original gegenüberstellte. Das Ergebnis war überwältigend. Der damalige Präsident der Internationalen Bruckner-Gesellschaft, Max Auer, erinnerte sich später, es habe allen Anwesenden geschienen, „als ob das Riesengemälde des Werkes von einer dicken Schicht von Altersstaub befreit worden sei, so dass die früher verschwommenen Umrisse nun deutlich hervortraten und die Farben leuchtend und einfach, wie bei alten Kirchenfenstern, hervortreten würden. Die Kompliziertheit und Unruhe wich der Einfachheit und Ruhe. Es war von ‚zwei Welten‘ die Rede, die sich in den beiden Fassungen gegenüberständen. Der ‚französische Esprit‘ war weggefegt, und Bruckners ‚Ruhe in Gott‘, die den Geist seiner Musik ausmacht, hatte die ihr entsprechende schlichte und große Einkleidung wieder erhalten.“ Wolfgang Doebel ABONNEMENTKONZERTE D5 Freitag, 27. März 2009, 20 Uhr C4 Sonntag, 29. März 2009, 20 Uhr Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal Dirigent: Alan Gilbert Solistin: Camilla Nylund Sopran Damen des NDR Chores MAURICE RAVEL Daphnis und Chloé Suite Nr. 1 RICHARD STRAUSS Salomes Tanz der sieben Schleier und Schlussgesang aus „Salome“ op. 54 CLAUDE DEBUSSY Trois Nocturnes MAURICE RAVEL Daphnis und Chloé Suite Nr. 2 D6 Freitag, 17. April 2009, 20 Uhr Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal L7 Samstag, 18. April 2009, 19.30 Uhr Lübeck, Musik- und Kongresshalle Dirigent: Thomas Hengelbrock Solistin: Angela Hewitt Klavier WITOLD LUTOSŁAWSKI Novelette für Orchester WOLFGANG AMADEUS MOZART Konzert für Klavier und Orchester B-Dur KV 456 ANTONÍN DVOŘÁK Sinfonie Nr. 9 e-moll op. 95 „Aus der Neuen Welt“ Einführungsveranstaltung am 17.04.2009 um 19 Uhr mit Habakuk Traber im E-Saal der Laeiszhalle. „Konzert“-Anfänger-Einführung zu Dvořáks Neunter Sinfonie am 17.04.2009 um 20 Uhr im E-Saal der Laeiszhalle. KAMMERKONZERTE Einführungsveranstaltungen mit Habakuk Traber am 27.03.2009 (E-Saal, Laeiszhalle) und 29.03.2009 (Kleiner Saal, Laeiszhalle), jeweils um 19 Uhr. Dienstag, 31. März 2009, 20 Uhr Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio HAYDN UND DAS TRIO A8 Sonntag, 5. April 2009, 11 Uhr B8 Montag, 6. April 2009, 20 Uhr Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal Dirigent: Christoph von Dohnányi Solistin: Arabella Steinbacher Violine SOFIA GUBAIDULINA Offertorium. Konzert für Violine und Orchester PETER TSCHAIKOWSKY Sinfonie Nr. 5 e-moll op. 64 05.04.2009, 11 – ca. 13 Uhr: Mit-Mach-Musik am Sonntagmorgen (für Kinder ab 5 Jahre); Karten im NDR Ticketshop; weitere Informationen unter www.ndrsinfonieorchester.de Einführungsveranstaltung am 06.04.2009 um 19 Uhr mit Habakuk Traber im Kleinen Saal der Laeiszhalle. JOSEPH HAYDN Sonate für Violoncello und Klavier Hob. VI: 6 (bearb. von A. Piatti) Klaviertrio e-moll Hob. XV: 12 Klaviertrio G-Dur Hob. XV: 25 WOLFGANG AMADEUS MOZART Drei Sätze für Klaviertrio KV 442 (Fragmente, ergänzt von Abbé Stadler) Stefan Wagner Violine Christopher Franzius Violoncello Jacques Ammon Klavier KONZERTVORSCHAU 11 Dienstag, 28. April 2009, 20 Uhr Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio SÜDAMERIKA IN PARIS HEITOR VILLA-LOBOS Sonate Nr. 2 für Violine und Klavier DARIUS MILHAUD Suite JOAQUIN TURINA Klavierquartett a-moll op. 67 GUILLERMO URIBE HOLGUIN Klavierquintett op. 31 (Europäische Erstaufführung) Alexandra Psareva Violine Motomi Ishikawa Violine Torsten Frank Viola Vytautas Sondeckis Violoncello Walter Hermann Klarinette Viktoria Lakissova Klavier NDR DAS ALTE WERK ABO-KONZERT 5 Mittwoch, 5. April 2009, 20 Uhr Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal Accademia Bizantina TOMASO ALBINONI Sinfonia a quattro F-Dur ANTONIO VIVALDI Violinkonzert a-moll op. 3 Nr. 6 RV 356 Doppelkonzert für 2 Violinen A-Dur op. 3 Nr. 5 RV 519 Violoncellokonzert d-moll RV 405 Konzert für Streicher g-moll RV 156 Violinkonzert B-Dur RV 369 KONZERTVORSCHAU 12 FRANCESCO GEMINIANI Concerto grosso d-moll „La Follia“ (nach Arcangelo Corellis Violinsonate op. 5 Nr. 12) 19 Uhr: Einführungsveranstaltung im Kleinen Saal der Laeiszhalle. BERNHARD GANDER „horribile dictu“ für Stimmen, Streicher und Posaunen (2007) GIROLAMO FRESCOBALDI Doppelchörige Canzone zu 8 Stimmen NDR DAS NEUE WERK In Kooperation mit NDR Das Alte Werk SONDERKONZERT „IM SOG DER KLÄNGE“ KONZERT STATT SCHULE Sonntag, 19. April 2009, 20 Uhr Hamburg, St. Johannis am Turmweg Ensemble Resonanz Neue Vocalsolisten Stuttgart composers slide quartet Ulrich Grafe, Roland Neffe Schlagzeug Titus Engel Leitung Elke Moltrecht Konzept/Idee WOLFGANG RIHM „Skoteinos“ für 3 Posaunen und 2 Männerstimmen (2008) GIOVANNI GABRIELI Sonata XV a 14 „Omnes gentes“ „Lieto godea“ GEORG FRIEDRICH HAAS „Open Spaces II“ für 12 Streicher und 2 Schlagzeuger (2007) CESARIO GUSSAGO Sonata XVII La Terza a 8 CATHERINE MILLIKEN „Cento“ für Countertenor, Lyrischen Sopran und Streicher (2007) CARLO GESUALDO „Moro lasso“ Montag, 20. April 2009, 9.30 Uhr und 11.30 Uhr Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio DAS VERHEXTE KONZERT Theater Kontrapunkt Mitglieder des NDR Sinfonieorchesters SO: AT HOME Freitag, 24. April 2009, 19 Uhr Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio NDR Sinfonieorchester Dirigent: Mihkel Kütson Solisten: Guillaume Couloumy Trompete Stephan Cürlis Pauke OTTO NICOLAI Ouvertüre zu „Die lustigen Weiber von Windsor“ SIEGFRIED MATTHUS Konzert für Trompete, Pauken und Orchester LEPO SUMERA Sinfonie Nr. 2 ALEXANDER BORODIN Polowetzer Tänze aus der Oper „Fürst Igor“ Eintritt frei! Einlasskarten im NDR Ticketshop NDR FAMILIENKONZERT Samstag, 25. April 2009, 14.30 Uhr und 16.30 Uhr Sonntag, 26. April 2009, 14.30 Uhr Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio DAS VERHEXTE KONZERT Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus, Tel. 0180 - 1 78 79 80 (bundesweit zum Ortstarif für Anrufe aus dem deutschen Festnetz, Preise aus dem Mobilfunknetz können abweichen), online unter www.ndrticketshop.de Theater Kontrapunkt Mitglieder des NDR Sinfonieorchesters Was, wenn ein Konzert anberaumt ist, die Putzfrau jedoch so viel zu tun hat, dass sie noch nicht fertig mit ihrer Arbeit und der Konzertraum noch nicht gewischt ist? Und Trude Trumm ist eine gewissenhafte Putzfrau, die sich nicht einfach so unverrichteter Dinge nach Hause schicken lässt. KONZERTVORSCHAU 13 1. VIOLINEN KONTRABASS POSAUNE IMPRESSUM Roland Greutter**, Stefan Wagner**, Florin Paul**, Gabriella Györbiro*, Lawrence Braunstein*, Marietta Kratz-Peschke*, Brigitte Lang*, Dagmar Ferle, Malte Heutling, Sophie ArbenzBraunstein, Radboud Oomens, Katrin Scheitzbach, Ruxandra Klein, Alexandra Psareva, Bettina Lenz, Razvan Aliman, Barbara Gruszczynska, Motomi Ishikawa, Sono Tokuda, N.N., N.N. Ekkehard Beringer**, Michael Rieber**, Katharina C. Bunners*, Jens Bomhardt*, Karl-Helmut von Ahn, Eckardt Hemkemeier, Peter Schmidt, Volker Donandt, Tino Steffen Stefan Geiger**, Simone Candotto**, Joachim Preu, Peter Dreßel, Uwe Leonbacher (Bassposaune) Herausgegeben vom Wolfgang Ritter**, Matthias Perl**, Hans-Udo Heinzmann, N.N., Jürgen Franz (Piccolo) HARFE 2. VIOLINEN OBOE PAUKE Rodrigo Reichel**, Christine-Maria Miesen**, N.N.*, N.N.*, Rainer Christiansen, Horea Crisan, Regine Borchert, Felicitas Mathé-Mix, Hans-Christoph Sauer, Stefan Pintev, Theresa Micke, Boris Bachmann, Juliane Laakmann, Frauke Kuhlmann, Raluca Stancel, N.N. Paulus van der Merwe**, Kalev Kuljus**, Malte Lammers, Beate Aanderud, Björn Vestre (Englisch Horn) Stephan Cürlis**, N.N. VIOLA Marius Nichiteanu**, Jan Larsen**, Jacob Zeijl**, N.N.*, Gerhard Sibbing*, Klaus-Dieter Dassow, Rainer Castillon, Roswitha Lechtenbrink, Rainer Lechtenbrink, Thomas Oepen, Ion-Petre Teodorescu, Aline Saniter, Torsten Frank, N.N. Markus Hötzel** FLÖTE Christopher Franzius**, N.N.**, Yuri-Charlotte Christiansen**, Dieter Göltl*, Vytautas Sondeckis*, Thomas Koch, Michael Katzenmaier, Christof Groth, Sven Forsberg, Bettina Barbara Bertsch, Christoph Rocholl, Fabian Diederichs NDR SINFONIEORCHESTER 14 Ludmila Muster** TASTENINSTRUMENTE Thomas Starke**, N.N.**, Sonja Bieselt, N.N., Björn Groth (Kontrafagott) Wolfgang Preiß (Inspizient), Matthias Pachan, Walter Finke, Stefanie Kammler VORSTAND Claudia Strenkert**, Jens Plücker**, N.N., Volker Schmitz, Dave Claessen*, Marcel Sobol, Jürgen Bertelmann TROMPETE Jeroen Berwaerts**, Guillaume Couloumy**, Bernhard Läubin, Stephan Graf, Constantin Ribbentrop Redaktion des Programmheftes: Dr. Harald Hodeige Die Einführungstexte von Dr. Ilja Stephan und Dr. Wolfgang Doebel sind Originalbeiträge für den NDR. Jürgen Lamke ORCHESTERWARTE FAGOTT Redaktion Sinfonieorchester: Achim Dobschall SCHLAGZEUG Wassilios Papadopoulos**, Thomas Schwarz Nothart Müller**, N.N.**, Bernhard Reyelts, Walter Hermann (Es-Klarinette), Renate Rusche-Staudinger (Bassklarinette) NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK PROGRAMMDIREKTION HÖRFUNK BEREICH ORCHESTER UND CHOR Leitung: Rolf Beck KLARINETTE HORN VIOLONCELLO TUBA Boris Bachmann, Hans-Udo Heinzmann, Thomas Starke **Konzertmeister und Stimmführer *Stellvertreter Fotos: Klaus Westermann | NDR (Titel) Andreas Laible (S. 3) akg-images | Marion Kalter (S. 6) akg-images (S. 8) akg-images (S. 9) NDR | Markendesign Gestaltung: Klasse 3b, Hamburg Litho: Reproform Druck: KMP Print Point Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet. NDR SINFONIEORCHESTER 15 In Hamburg auf 99,2 In Lübeck auf 88,0 Foto {M}: Gray, Wolfe, Wolf | gettyimages Weitere Frequenzen unter ndrkultur.de Die Konzerte des NDR Sinfonieorchesters hören Sie auf NDR Kultur. Hören und genießen