6 Donnerstag, 20. August 2015 - Kultur Der Deutsche Buchpreis FRANKFURT/MAIN. Der Deutsche Buchpreis wird seit 2005 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels vergeben. Er will den besten Roman in deutscher Sprache des Jahres küren. Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz dürfen Titel einreichen. Eine siebenköpfige Jury, deren Besetzung jährlich wech- LITERATUR: 39NULL IM GESPRÄCH Die „andere“ Kultur ben und Personen, die, Südtiroler oder nicht, von außerhalb über BOZEN/BERLIN (mid). Es hat in Südtirol schreiben. Ich glaube, Südtirol Fuß gefasst, das Kultur- ein Kulturmagazin wie unseres magazin 39Null und schlägt da- hat Südtirol gefehlt. Sonst ist der bei in eine andere Kerbe wie die Printmedienmarkt, in Bezug auf die Größe des Landes, gesättigt. meisten Printmedien, was ein Blick in die dritte Edition „Macht und Ohnmacht “ zeigt. 39null ist „D“: Wie wählen Sie Autoren aus? kein Wegwerfprodukt, sondern Santner: Uns – meinen beiden hochwertiger Lesegenuss, zu Redaktionskolleginnen und mir dem man gern zurückkehrt. Teils als Chefredakteur – ist nicht nur durch optische Gestaltung in wichtig, Journalisten schreiben Schriftbild und Bebilderung, zu lassen, uns geht es auch um hauptsächlich aber durch die Geschichten, um Storytelling Texte in ihrer Vielstimmigkeit, die und die amerikanische Shortstonicht Tagesgeschehnissen oder ry als Annäherrung aus der IchModeerscheinungen verpflichtet Perspektive. Gerade bei brisantesind, sondern übers Aktuelle hin- ren und kontroversen Themen ist ausgehen und Themen behandieser Wechsel zwischen Objekdelnd, die übersehen werden. tivität und Subjektivität sehr in39null ist, wie gewohnt, ungeteressant. Ansonsten spielt bei wöhnlich. „Dolomiten“ sprach uns ein Netzwerkgedanke mit, wenn ich auf Reisen bin, anderen Chefredakteur Martin Santner. Menschen begegne. Ab und zu bewerben sich Autoren bei uns. Es ist nicht so, dass wir einen FixPool an Journalisten hätten. „D“: Würde sich für themenbezogenes, subjektives Schreiben ein offener Textaufruf anbieten? Santner: Das haben wir auch schon überlegt, aber nein. Auch weil wir während der Produktion engen Kontakt zu den Geschichten und den Menschen, welche sie erzählen, pflegen wollen. Ich sehe mich in der Hinsicht mehr als Kurator: Ich arbeite das Thema aus und erstelle ein Briefing von ein bis anderthalb Seiten, mit zehn Kernfragen. Alle Autoren, Illustratoren und Fotografen erhalten dieses, woraufhin wir Feedback der potentiellen Mitarbeiter abwarten, teils zu Aspekten, die wir gar nicht mitbedacht haben. Ich finde den Gedanken schön, mit diesen Menschen, die zum Teil normalerweise nicht schreiben, Kontakt zu haben. „Dolomiten“: Anfangs haben Sie sich über Crowdfundings finanziert. Wo sind Vor- und Nachteile? Martin Santner: Dadurch ist es einfacher, etwas selbst auf die Beine zu stellen, und auch ein Magazin mit kleiner Auflage wie „39Null“ braucht Geld zum Starten. Weil wir kein Startkapital hatten, wollten wir erst einen Probeanlauf machen. Wir haben uns für Crowdfunding entschieden, was drei Ausgaben ermöglicht hat. Man muss auch erwähnen, dass wir Einnahmen aus dem Verkauf haben. Zudem haben wir auf einzelne Werbekunden zurückgegriffen. Mit nächster Ausgabe versuchen wir, auf Crowd funding zu verzichten und den Erlös zu reinvestieren. „D“: Um den Blick von der Schreiber- auf die Leserschaft zu rich„D“: Hat die nächste Ausgabe be- ten, an wen richtet sich 39Null? Wie hoch ist die Auflage? reits ein Thema? Santner: Das hat sie, aber es wird Santner: Wir drucken eine Auflanicht verraten. Das haben wir bis ge von 1000 Stück, was wir in Zujetzt immer so gemacht, dass wir kunft steigern wollen, auch da wir erst zwei, drei Wochen vorher be- gemerkt haben, dass wir binnen kannt geben, was es sein wird. zwei, drei Monaten ausverkauft Wir leben alle in Berlin und arbei- waren. Natürlich haben wir nicht ten von hier aus, und es ist toll, in die finanziellen Kapazitäten, um Südtirol vertrieben zu werden, da heraus zu finden, wer unsere Leman nichts mitbekommt und ser sind. Ich denke, dass wir in recht abgenabelt ist und so viel erster Linie an gesellschaftlichen konzentrierter arbeiten kann. Ich und kulturellen Themen intereswill damit sagen, dass wir bereits sierte Menschen ansprechen, die erlebt haben, dass andere Medi- kritisch und aufgeschlossen sind. en nach der Bekanntgabe ähnli- Einige Texte sind anspruchsvolche Themen behandelt haben. ler, aber wir versuchen, verständlich zu bleiben. Es gibt bestimmt „D“: Wenn Sie davon sprechen, 16-Jährige, genauso wie 80-Jährige, die wir interessieren, aber genichts mit zu bekommen, wie nau weiß ich das nicht. Wir wolmeinen Sie das? len es auch nicht wissen, sondern Santner: Damit meine ich, dass legen mehr Wert darauf, gute GeDistanz da ist. Unser Fokus ist schichten zu erzählen. Deshalb von außen auf Südtirol zu blicken, oder von Südtirol, also von ist jeder ein potentieller Autor, da innen, nach außen. Wir suchen jeder Mensch eine Geschichte zu die Abwechslung von Südtiroler erzählen hat. Autoren, welche über nicht Südtirol-spezifische Themen schrei- # Blog&Infos: www.39null.com © 39Null besuchte Luis Durnwalder im Ruhestand. Michael Pezzei, 39NULL selt, wählt zunächst 20 Titel für die Longlist aus. Später wird die Auswahl auf eine Shortlist von sechs Titeln verkürzt. Der Sieger wird am Vorabend der Frankfurter Buchmesse bekanntgegeben. Der Gewinner erhält 25.000 Euro, die anderen fünf Finalisten bekommen jeweils 2500 Euro (siehe Grafik Longlist untern). © Rom und die Barbaren FESTWOCHEN DER ALTEN MUSIK: „Il Germanico“, eine Wiederentdeckung – Verschollenes wiederbelebt ON H ELMUT G ROSCHUP .V................................................. . INNSBRUCK. Die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik eröffneten dieses Jahr mit der vergessenen Barock Oper „Il Germanico“ des Napolitaners Nicola Porpora. Die Oper hatte ihre Uraufführung 1732 in Rom und wurde seither nicht mehr in voller Länge aufgeführt. Porpora gehörte zu den erfolgreichen Komponisten seiner Zeit und war ein Konkurrent von Händel. Außerdem war er ein berühmter Gesangslehrer, der seine Karriere als Lehrer für Kastraten begann. Kastraten haben damals Frauenrollen übernommen, da diese nicht auf die Bühne durften. In der Innsbrucker Aufführung singt die irische Mezzosopranistin Sonia Prina den römischen Feldherrn Germanico. Das Libretto von Niccolò Coluzzi ist einer wahren Geschichte nachempfunden und spielt 15 nach Christi in Cheruscis, als Germanico einen Rachefeldzug für die verlorene Verusschlacht führte. Die Inszenierung von Alexander Schulin ist historisierend und lässt Interpretationen offen. Einerseits hören wir das Staatsspiel mit all seiner Unterdrückung, dem Aufbegehren und der Unfreiheit, und andererseits sind die persönlichen Befindlichkeiten zwischen Tochter und Vater und zwischen den Liebenden Antrieb des Gesangs des sechsköpfigen Ensembels und der Virtuosität des Orchesters In „Il Germanico“ ist ein aktuelles Thema verankert: Wie die fremde Kultur von Eroberern gegenüber der Kultur der Eroberten an Dominanz gewinnt. „Academia Montis Regalis“, geübt in der Bedienung barocker Instrumente und dirigiert vom künstlerischen Leiter der Festwochen Alessandro De Marchi. Die Szenerie ist zur Lebenszeit des Komponisten in Italien angesetzt, sichtbar durch das klassizistische Bühnenbild und die Perücken tragenden Figuren. Allerlei Gefühle, wie Stolz und Liebe der etwas kitschigen Handlung werden freigesetzt und erhalten durch die Arien und Melodien ihre musikalische Tiefe und faszinieren das Publikum im Innsbrucker Landestheater. „E come soffre la tua Germania la vittoria nostra?“ ist der Ausruf des intriganten Germanico, der in seinem germanischen Gegenüber Arminio (David Hanson, Countertenor) einen aufzuklärenden Barbaren sieht. Arminios Schwiegervater hat TEIL III: RUNDGANG DURCH DIE AUSSTELLUNG 50X50X50 (BIS 12. 9.) Gebäude 35/32 im Visier 50x50x50 Art Südtirol 3 3 Gebäude 35/32 – Obere Ebene Markus Gasser (Aussen) Peter & Kyra Chiusole Walter Dalfovo Maria Stockner Josefh Delleg Arthur Kostner Flavio Senoner Hubert Patscheider Harald Kastlunger Rosmarie Burger FESTUNG FRANZENSFESTE -Infografik: M. Lemanski FRANZENSFESTE. Charles de Lint erinnert zu Beginn dieses dritten Streifzuges durch die Franzensfeste, dass jeder (Künstler sowie Betrachter) die Welt mit anderen Augen sieht und dass daher niemand dieselben Geschichten erzählen kann. Ganz in diesem Sinne zeigt Markus Gasser mit seinen beiden Werken im Außenbereich – die aus Bronze gefertigte Freya und den aus Stein geschöpften Janus – dass zwei Gesichter, zwei Welten letztlich doch nur eine sind. Das Gemeinschaftswerk von Peter & Kyra Chiusole: Ich weiß, wünschen hilft oder Liebe verleiht Flügel, besteht aus einer begehbaren Skulptur von Peter, die Kyra Leimegger Flügel verleiht, und gewährt einen Einblick in die Privatsphäre der beiden Künstler. Mischtechniken auf Papier, unter anderen das zweiteilige Werk Eingeschlossen – ausgeschlossen, präsentiert Walter Dalfovo, der in den Sammlungen Collection Nord-Ost Netherlands und Graphic collection College of Arts Arnhem in den Niederlanden vertreten ist. Maria Stockers bevorzugte Technik, das Collage, ermöglicht der Künstlerin den unbefangenen, spielerischen Umgang mit Gegenständen, Materialien und Techniken, wie die Installation „Weites Feld“ zeigt. Mit seiner Installation Home Sweet Home (der Titel spielt auf die Homelands Südafrikas an und ironisiert die Inszenierungen einer heilen Welt) thematisiert Joseph Delleg die Unmöglichkeit des 'Zu-Hause-Seins' in einer Welt von Ausbeutung und Vertreibung. Arthur Kostner gelingt es in Linie Orange, zwischen Natur und Kunst eine Symbiose zu schaffen und die poetische Komplexität und kreative Ausstrahlungskraft der einfachen Dinge sichtbar zu machen. Das aus verkohltem Holz und Gips bestehende Kunstobjekt Flavio Senoners trägt weder einen Titel noch teilt es eine Botschaft mit: Es versteht sich vielmehr als eine spannende Sehübung voller neuer Perspektiven und Entdeckungen. Mit seiner Werkreihe Friedensengel für die Festung Franzensfeste hat sich Hubert Patscheider vorgenommen, der ursprünglichen kriegerischen Zweckbestimmung der Festung etwas Versöhnendes und Friedliches entgegenzusetzen. Harald Kastlunger sucht mit seinen Werken Euphorischen Schubkarren, Laune, Aggression, Sede Jakobensis, Balance, Hoffnung, ohne Titel und Invasion nach der konzentrierten, auf das Wesentliche reduzierten Aussage. Die weiblichen Figuren Rosmaries Burgers stehen im Spannungsfeld von Zusammensein und Alleinsein: nackt und bloß, scheinbar schonungslos ausgeliefert und nichts mehr zu Verbergendes, sind sie über kleine Gesten miteinander verbunden. © hingegen den Verrat vollzogen und sich auf die Seite der Römer geschlagen. Die Widersprüche des Librettos sind nicht ganz aufgehoben in der Innsbrucker Aufführung, aber vielleicht lebt auch davon der musikalische Erfolg dieser einzigartigen Wiederentdeckung, besetzt mit Stars der Barockoper-Szene, die lang Verschollenes wiederbeleben. © # www.altemusik.at (bis 28. August) Deutscher Buchpreis DIE LONGLIST Alina Bronsky: „Baba Dunjas letzte Liebe“ (Kiepenheuer & Witsch) Ralph Dutli: „Die Liebenden von Mantua“ (Wallstein) Jenny Erpenbeck: „Gehen, ging, gegangen“ (Knaus) Valerie Fritsch: „Winters Garten“ (Suhrkamp) Heinz Helle: „Eigentlich müssten wir tanzen“ (Suhrkamp) Gertraud Klemm: „Aberland“ (Droschl) Steffen Kopetzky: „Risiko“ (Klett-Cotta) Rolf Lappert: „Über den Winter“ (Carl Hanser) Inger-Maria Mahlke: „Wie Ihr wollt“ (Berlin Verlag) Ulrich Peltzer: „Das bessere Leben“ (S. Fischer) Peter Richter: „89/90“ (Luchterhand) Monique Schwitter: „Eins im Andern“ (Droschl) Clemens J. Setz: „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ (Suhrkamp) Anke Stelling: „Bodentiefe Fenster“ (Verbrecher Verlag) Ilija Trojanow: „Macht und Widerstand“ (S. Fischer) Vladimir Vertlib: „Lucia Binar und die russische Seele“ (Paul Zsolnay) Kai Weyand: „Applaus für Bronikowski“ (Wallstein) Frank Witzel: „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ (Matthes & Seitz) Christine Wunnicke: „Der Fuchs und Dr. Shimamura“ (Berenberg) Feridun Zaimoglu: „Siebentürmeviertel“ (Kiepenheuer & Witsch) Bestellen: www.athesiabuch.it -Infografik: Ch. Staffler