INNSBRUCKER FESTWOCHEN DER ALTEN MUSIK 2015 Pressekonferenz am 22. April 2015 – Interview Alessandro De Marchi Raum für die eigene Phantasie schenken Der Hype um Nicola Porpora ist neu, aber heftig. Für den Alessandro De Marchi Grund genug, sich mit den Opern des italienischen Komponisten auseinanderzusetzen. Als künstlerischer Leiter der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik bringt er mit „Il Germanico“ ein Werk auf die Bühne, das 300 Jahre vergessen war. Das Besondere daran sind die Arien, die in Innsbruck von den Stars der aktuellen Szene gesungen werden. Premiere ist am 12. August. Die Oper „Il Germanico“ war 300 Jahre vergessen, Sie haben sie ausgegraben. Was reizt an dieser Forschungsarbeit besonders? Alessandro De Marchi: Das hat mit dem Thema Entdeckungen zu tun – mit alten Handschriften zu arbeiten, die uns von der Vergangenheit erzählen. Da forschen wir nach den eigenen Wurzeln, woher kommt unsere Kultur, wie waren wir, wie sind wir jetzt? Diese Quellen erzählen uns von uns selbst. Wie lange sind Sie dem italienischen Komponisten Nicola Porpora schon auf der Spur? De Marchi: Ich interessiere mich für ihn schon lange, aber wirklich entdeckt wird er erst seit zwei bis drei Jahren. Einzelne Arien wurden von berühmten Leuten aufgenommen, wie von Cecilia Partoli oder Franco Fagioli – und das mit großem Erfolg. Das hat mich neugierig gemacht. Die Recherche geschah dann zuhause auf dem Laptop und dem Cembalo. Ich habe mir vier bis fünf Opern ausgesucht. Letztlich machte „Il Germanico“ das Rennen, weil die Oper musikalisch äußerst interessant und dramaturgisch hochwertig ist. Die Originalhandschrift liegt in einer Bibliothek in Neapel, durch die Digitalisierung wird das eigene Arbeitszimmer zum Forschungslabor. Welche Qualitätskriterien können neben Musik und Dramaturgie noch zählen? De Marchi: Porpora war eine wichtige Figur als Komponist und Gesangslehrer. Es ist spannend zu sehen, was er für die Sänger seiner Zeit komponierte und für wen? Das Thema der Festwochen heuer ist die Improvisation. Porpora wusste, dass Sänger seiner Zeit viel dazu interpretierten und strukturierte seine Arien dementsprechend. Er schenkte den Sängern Raum für die eigene Phantasie. Sind die Partituren vollständig? Was braucht es noch von Ihnen De Marchi: Partituren von Barockopern sind immer Skizzen, geprägt von einer bestimmten Praxis und den historischen Konventionen. Da ist es Grundvoraussetzung viel vom Heute zu integrieren und die Partitur an die aktuellen Notwendigkeiten anzupassen, wie etwa Stimmlagen. Das nenne ich „experimentelle Archäologie“ – das Forschen ist das eine, aber das Gefundene dann in unsere Zeit zu übersetzen, braucht sehr viel Wissen aus der Zeit und auch den Mut, sich auf diese doch einsame Reise des Freilegens zu begeben. Was zeichnet „Il Germanico“ besonders aus? De Marchi: Das sind eindeutig die Arien. Jeder Komponist verfolgt hier seinen eigenen Stil und jede Arie hat bestimmte Grundaffekte darzustellen – ob in einer Liebesarie, einer Rachearie oder einem anderen Affekt. Porpora hat sich mit der Instrumentierung bei diesen Affekten beholfen: Wird ein Horn eingesetzt oder sind es zwei, kommen die Oboen oder die Streicher … Trotzdem steht immer der Sänger im Mittelpunkt, alles wird um ihn herum komponiert. Gibt es für Sie eine Lieblingsarie? De Marchi: All jene Szenen, wo es um das Ringen und die Auseinandersetzung des Vaters mit seiner Tochter geht, wo verschiedene Ansichten aufeinander prellen und es gilt, Lösungen zu finden – oder eben nicht! Presseinformation der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 1 Die Oper dauert vier Stunden lang, warum sollte das Publikum sich „Il Germanico“ ansehen? De Marchi: Weil die Besucherinnen und Besucher stundenlang auf eine Abenteuerreise gehen werden. Sie können den Geschichten folgen, sich begeistern lassen, mit den Künstlerinnen und Künstlern weinen, lachen, verführt werden. Das Fremde ist ein Thema der Oper „Il Germanico“. Also hochpolitisch? De Marchi: Porporas Rom und Italien um das Jahr 1732 wurde von verschiedenen Kräften besiedelt und besiegt. Was alte Römer in Germanien gemacht hatten, traf damals die Italiener. Die großen Themen sind die von Identität und Einflüssen. Es findet eine Annexion statt, auch eine solche der Kultur. Bei der Arbeit an der Oper spielt die Besetzung sicherlich eine große Rolle. Haben Sie Ihr Wunschteam finden können? De Marchi: Die Besetzung ist immer ein schwieriger Prozess, vor allem, wenn Stücke vorher nie gespielt wurden. Es gibt nur die Noten und die eigene Vorstellungskraft. Mit den Stars, die wir gewinnen konnten, bin ich sehr zufrieden. Sie alle beweisen hohes künstlerisches Niveau. Wie läuft die Arbeit mit den Musikern, den Sängerinnen und Sängern? Wann geschieht das Zusammenführen mit der Regie? De Marchi: Wir absolvierten schon einige Termine mit dem Regieteam und haben uns über viele Themen geeinigt, wie etwa Libretto, Partitur, Ästhetik, Länge, … Derzeit arbeite ich an der Ergänzung der Partitur, sozusagen die Bleistiftarbeit im ganzen Prozess. Ich erarbeite meine Vorschläge für die Stimmen der Sängerinnen und Sänger – eben auf Basis der jeweiligen Stimme. Wenn die Sängerinnen und Sänger dann geprüft haben, ob meine Vorschläge funktionieren, treffen sich alle. Es wird erarbeitet, ob meine Vorstellung sich dann an die Realität anpassen lässt. Die szenische Arbeit beginnt nach einer Woche Vorprobe des Orchesters Mitte Juli auf der Bühne in Innsbruck. Alle Informationen zu Alessandro De Marchi: www.alessandro-de-marchi.com Für Rückfragen: Innsbrucker Festwochen der Alten Musik GmbH, Mag. (FH) Birgitt Drewes, Kommunikation, Tel: +43 664 5404344, [email protected] Presseinformation der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 2