zeitschrift für philosophie - KRITERION | Journal of Philosophy

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ZEITSCHRIFT FÜR PHILOSOPHIE
1994
4. Jahrgang, Nr. 8
INHALT:
OTTO NEUMAIER: Arbeitsteilung in der Philosophie
F
STEPHAN LANDOLT: Nietzsches Metaphysik-Skizze: "Der Wille zur Macht"
KRITERION
INHALT
Vorwort
OTTO NEUMAIER
Arbeitsteilung in der Philosophie
STEPHAN LANDOLT
Nietzsches Metaphysik-Skizze: "Der Wille zur Macht"
und die Beziehungen dieser Skizze zu den zeitgenössischen Naturwissenschaften
HANSPETER FETZ
Rezension Frank G. Forresr: Valuemetrics", The Sr:if}u:e ofProfessional tnu] Personal Etltics
Hin:elheft:
ÖS 35.-: DM 5,50: SFr 5.Für Studierende: ÖS 20,-: DM 3,-: SFr 2,80
Für Bibliotheken: ÖS 50,-: DM 7,50: SFr 7.--
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Abonnement (2 Hefte pro Jahrgang):
ÖS 60,-: DM 9,-: SFr 8,50,Für Studierende: ÖS 35,--: DM 5.50; SFr 5,Für Bibliotheken: ÖS 100,-: DM 15,-: SFr 14.-
. (Alle Preise zuzüglich Porto)
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IMPRESSUM
VERLEGER & HERAUSGEBER: Österreichische Hochschülerschaft an
Kaigasse 28, 5020 Salzburg
REDAKTION: Hansperer Fetz, Dorothea Jahn, Ronald Ortner, Alexaneler Stein
ADRESSE: Franziskanergasse I, A-5020 Salzburg, Österreich (Austria)
VERVIELFÄLTIGUNG: Universität Salzburg
ISSN 1019-8288
der
Universität
Salzburg.
KRITERION ist ein Forum für Beiträge aus dem Gebiet der Philosophie. Akzeptiert werden bisher noch
unveröffentlichte Artikel, welche in deutscher oeler englischer Sprache abgefaßt sind, die Redaktion befindet
über elie Aufnahme.
Die in namentlich gekennzeichneten Beiträgen ausgedrückten Auffassungen müssen nicht notwendigerweise
mit denen der Redaktion übereinstimmen. Das Copyright bleibt bei den Autorinnen bzw. Autoren,
KRITERION
VORWORT
Wer also immer schon genauer wissen wollte, was es
mit dem "Willen zur Macht" auf sich hat, dem seien
die Seiten 21-39 ans Herz gelegt.
Außerdem hat Hanspeter Fetz erneut zugeschlagen
und rezensiert ein weiteres Buch aus den "Value
Inquiry Book Series". Ob Valuemetrics", The Seience
oI Professional and Personal Ethics von Frank G.
Forrest besser abgeschnitten hat als Ethics: The
Science of Oughtness von Archie 1. Bahm? Lesen Sie
selbst.
Wie Sie schon dem Titelblatt entnehmen können,
beschränken wir uns in dieser Ausgabe unserer Zeitschrift auf den Abdruck zweier Artikel, welche allerdings auch entsprechend umfangreich sind.
Otto Neumaier ist treuen KRITERION-Lesern bereits durch seinen Beitrag in unserer Ethik-Nummer
(i.e. Nr. 2/1991 - Restexemplare sind noch zu haben)
bekannt. Diesmal ist er mit "Arbeitsteilung in der
Philosophie" vertreten.
Erstmals widmet sich einer der in KRITERION
veröffentlichten Artikel der Philosophie Friedrich
Nietzsches.
Ihre KRITERIOI\l-Redaktion
2
KRITERION, Nr.8 (1994), pp.3-19
Otto Neumaier
ARBEITSTEILUNG IN DER PHILOSOPHIE
Im folgenden versuche ich zu klären, ob in der Philosophie so etwas wie Arbeitsteilung besteht bzw.
was sich daraus ergibt, wenn sie durchgeführt wird.
Um dies zu klären, müssen wir aber zunächst zwei
andere Fragen beantworten, nämlich einerseits, was
überhaupt unter sozialer Arbeitsteilung zu verstehen
Ist, und andererseits, was mit "Philosophie" gemeint
ist. Die erste Frage' ist dabei wesentlich ausführlicher
zu behandeln als die zweite, und zwar aus mindestens
zwei Gründen:
(i) Ziel der folgenden Überlegungen ist nicht eine
Bestimmung von Philosophie im allgemeinen, sondern eine Klärung der Frage nach der Rolle der Arbeitsteilung in diesem Bereich. Dieses Ziel würden
wir aus den Augen verlieren, wenn wir zu bestimmen
versuchten, was Philosophie "ist" (was auf so engem
Rawn ohnehin nicht geleistet werden kann).
(ii) Seit Menschen philosophieren, versuchen sie
auch zu bestimmen, was unter Philosophie zu verstehen ist. Diese Versuche haben allerdings bislang
nicht zu einem einheitlichen Ergebnis geführt, das für
unsere Diskussion vorauszusetzen wäre. Darum können und müssen wir den Begriff der Philosophie nur
so weit bestimmen, wie dies für das Folgende nötig
und nützlich ist.
1. Was heißt Philosophie'!
Der Ausdruck 'Philosophie' bezeichnet nicht unbedingt nur das, was von Vertretern des so genannten
Faches an Universitäten gelehrt und erforscht wird,
und erst recht nicht nur das Denken von "Großen"
Philosophen; mit Schlick (1930) können wir darunter
vielmehr bestimmte Tdtigkeiten und deren Ergelmisse verstehen; diese sind durch gewisse Merkmale zu bestimmen, unabhängig davon, von wem sie
ausgeübt werden. In diesem Sinne ist die Philosophie
also nicht ein geschlossener Raum, den zu betreten
und zu pflegen nur bestimmten Menschen vorbehalten bleibt (d. h. solchen, die als Philosophen legitimiert sind), sondern ein etwas weiteres Feld, das
prinzipiell jedem Menschen offensteht. Dennoch hat
auch dieses Feld seine Grenzen, und die Frage ist,
wie diese zu ziehen sind bzw. was als philosophische
Tätigkeit anzusehen ist.
Für Schlick besteht das philosophische Tun vor
allem im Klären von Begriffen und Sdtzen. Das Auf-
o
stellen von Sätzen, über deren Wahrheit oder Falschheit konkret entschieden werden kann, ist in seinen
Augen keine philosophische Angelegenheit, sondern
eine wissenschaftliche (im weiten Sinne). Eine Wissenschaft ist für Schlick "ein System von Erkenntnissen, d.h. von wahren Erfahrungssätzen; und die
Gesamtheit der Wissenschaften, mit Einschluß der
Aussagen des täglichen Lebens, ist das System der
Erkenntnisse; es gibt nicht außerhalb seiner noch ein
Gebiet 'philosophischer' Wahrheiten, die Philosophie
ist nicht ein System von Sätzen, sie ist keine Wissenschaft." Trotzdem betrachtet Schlick die Philosophie'
weiterhin als Königin der Wissenschaften, da sie die
Bedeutung der in den Wissenschaften verwendeten
Wörter und Sätze klärt. Geht es in den Wissenschaften um die Wahrheit von Aussagen, so ist die Untersuchung dessen, "was die Aussagen eigentlich
meinen", eine philosophische Tätigkeit: "Inhalt,
Seele und Geist der Wissenschaft stecken natürlich in
dem, was mit ihren Sätzen letzten Endes gemeint ist;
. die philosophische Tätigkeit der Sinngebung ist daher
das Alpha und Omega aller wissenschaftlichen Erkenntnis.'" Damit ist natürlich nicht gemeint, daß die
wissenschaftliche Tätigkeit sinnlos ist, wenn nicht
zuvor die Philosophen den Sinn der dabei verwendeten Wörter und Sätze verbürgt haben; damit ist
auch nicht gemeint, daß Physiker, Biologen usw. den
Sinn ihrer Ausdrücke nicht selbst klären können;
vielmehr meint Schlick: Wer sich darum bemüht, die
Bedeutung von Ausdrücken zu klären, übt eine philosophische Tätigkeit aus, die das Fundament der Wissenschaften sichert,
Andererseits erschöpft sich die philosophische
Tätigkeit nicht im Klären von Begriffen, sondern sie
trägt auch auf andere Weise dazu bei, das Fundament
der Wissenschaften zu sichern. Eine Möglichkeit ist
etwa die Integration von Ergebnissen der in der Spezialisierung auseinanderstrebenden empirischen W issenschaften, um so einen Gegenstandsbereich als
1. Schlick (1930: 35/). Im folgenden untersuche ich übrigcns die philosophische Tätigkeit nur insofern, als sie im
Zusammenhang der modernen Wissenschaften steht. Dies
läßt die Möglichkeit von philosophischen Tätigkeiten
offen, die außerhalb davon stehen, Deren I3erücksichtigung
würde unsere Diskussion jedoch nicht wesentlich ändern,
sondern allenfalls verschärfen,
3
KRITERION
philosophische Tätigkeit gelten, d.h. die Untersuchung von Problemen bezüglich der Gültigkeit und
(insbesondere) der Grenzen von Theorien. Typische
Fragen, denen sich in diesem Sinne jemand stellen
muß, der oder die eine empirische Behauptung aufstellt, sind etwa die folgenden: Woher weißt du das?
Kannst du die Gültigkeit dieser Behauptung beweisen? Angenommen, deine Behauptung ist wahr; was
zeigt sich dadurch bzw. was wissen wir dann? Die
Erfüllung dieser (nur scheinbar negativen) Aufgabe
schafft zwar nicht immer Freunde, auf jeden Fall aber
mehr Klarheit.
Zu diesen philosophischen Tätigkeiten gesellt sich
u.a. aber auch die "Erziehung" von Problemen, d.h.
die Behandlung von Problemen, die noch unreif für
die Behandlung mit bestimmten Methoden sind, z.B.
mit denen der empirischen Wissenschaften." In diesem Sinne gilt die Behandlung eines Problems so
lange als philosophisch, bis das Problem reif für die
Behandlung durch eine empirische Theorie ist; viele
Theorien früherer Philosophen waren in diesem Sinne
philosophisch, d.h.,sie stellten sich zu einem späteren Zeitpunkt, wenn das betreffende Problem reif zu
wissenschaftlicher Bearbeitung wurde, als verkappte
empirische Theorien heraus. Hier zeigt sich, daß
durch die philosophische Tätigkeit praktisch nicht
Probleme gelöst werden, sondern daß dadurch u.a.
die Grundlagen dafür geschaffen werden, daß Probleme schließlich gelöst werden können. Sobald ein
Problem lösbar, d.h. wissenschaftlich lösbar ist, ist es
kein philosophisches mehr, bzw. es zeigt sich, daß es
überhaupt kein philosophisches war. Das Problem ist
dann "erwachsen" bzw, "reif' für die Behandlung
durch eine andere Methode.'
Wie erwähnt, können diese philosophischen Tätigkeiten (ebenso wie andere) prinzipiell von allen
Menschen ausgeübt werden. Im folgenden geht es
ganzen zu erfassen bzw. zu überblicken.' Indem ein
Gegenstandsbereich aus mehreren (spezialisierten)
Perspektiven betrachtet wird, kann er in vielen Details genauer erfaßt werden als bei einer undifferenzierten, "ganzheitlichen" Sicht; andererseits entsteht
jedoch das Problem, daß die Einzelbilder den Zusammenhang nicht erkennen lassen bzw. daß der
Überblick über den Gegenstandsbereich als ganzen
verlorengeht. Darum ist Vermittlung bzw. Integration
notwendig, und wer sich darum bemüht, übt (ebenso
wie durch das Klären von Begriffen und Gedanken)
eine philosophische Tätigkeit aus, die den Bereich
einzelner Disziplinen übersteigt bzw. Dinge betrifft,
die mehreren oder gar allen davon gemeinsam sind.
Die philosophische Tätigkeit der Integration ist vor
dem Hintergrund des philosophischen Strebens nach
allgemeinen Systemen zu sehen. Neben der Allgemeinheit durch Integration von Ergebnissen verschiedener empirischer Wissenschaften spielt für die
Philosophie dabei auch eine Form von Allgemeinheit
eine Rolle, die sich clurch die svstenuuische Behandlung von Problemen ergibt, d.h. durch den Versuch,
mit möglichst wenigen Grundbegriffen und systematischen Unterscheidungen, mit Definitionen, Axiomen, Theoremen usw. möglichst viel zu erklären. Die
philosophische Tätigkeit vollzieht sich also in einer
"keimfreien Schreibrischatmosphäre", während die
empirische Forschung zufälligen "Virusinfektionen"
und anderen Eint1üssen ausgesetzt ist: Eine Gruppe
von Forschern mag etwa versuchen, ein bestimmtes
Problem zu lösen, ohne daß sie dabei wesentliche
Fortschritte macht, untersucht dann einen scheinbar
unbedeutenden Nebeneffekt, löst dabei ein ganz
anderes Problem und glaubt schließlich, daß das
gesamte Projekt von vornherein auf das letztendlich
gelöste Problem ausgerichtet gewesen sei.' Philosophisches Denken bleibt von solchen Gegebenheiten
relativ unberührt, setzt sich dadurch aber der Gefahr
aus, daß es zu sehr idealisiert wird; in einer Zeit
verstärkter interdisziplinärer Tätigkeit ist diese Gefahr allerdings geringer als früher.
Darüber hinaus kann im Konzert der Disziplinen
auch die Grundsatzkritik an empirischen Theorien als
4. Wir brauchen etwa nur an die verkappten naturwissenschaftlichen Überlegungen zu denken, die Aristotclcs z. 13. in den Parva Nat uralia und den Probiemata
Physic« anstellt.
5. In diesem Sinne stellte schon Russcll (1912: 136) fest,
"daß man einen Gegenstand nicht mehr zur Philosophie
zählt, sobald definitive Erkenntnisse über ihn möglich
werden; es bildet sich dann in der Regel eine neue und
selbständige wissenschaftliche Disziplin." Gcnaucr wäre
vielleicht von Aspekten ganzer Problemkomplexe zu
sprechen, die sich als empirische Fragen in "unreifem"
Zustand entpuppen, denn auch in bezug auf Probleme, die
ab einem bestimmten Zeitpunkt von einzelnen Wissenschaften behandelt werden (können), bleiben doch
weiterhin philosophische Fragen übrig (z.I3. solche bcgrifflichcr oder systematischer Natur).
2. Wer dies tut, muß in mehreren Disziplinen zu Hause
sein, deren Probleme Cl' oder sie zwar nicht so detailliert
behandeln kann wie die betreffenden Einzelwissenschaftler, bei denen Cl' bzw. sie jedoch Zusammenhänge sehen
kann, die jenen oft mangels Übersicht verborgen bleiben.
3. Daß dies nicht nur möglich, sondern in der Praxis sogar
die Regel ist, zeigt etwa Fleck (1935), und zwar anhand
der Entdeckung der Wassermann-Reaktion zur SyphilisDiagnose. Fleck weist u.a. auch darauf hin, daß auf diese
Weise ganze Disziplinen neu entstehen können.
4
ARBEITSTEILUNG IN DER PHILOSOPHIE
zeichnen. Zwar war er nicht der erste, der dies bemerkte, noch versuchte er als erster, dieses Phänomen theoretisch zu erklären." Allerdings hat er es
nicht nur umfassender und systematischer untersucht
als andere Autoren, sondern seine Ausführungen,
eignen sich insbesondere auch hervorragend als Ausgangspunkt für unsere Diskussion der Arbeitsteilung
in der Philosophie. Dabei ist freilich dreierlei zu
beachten:
(i) Naheliegenderweise können wir nicht alle
Aspekte von Durkheims soziologischer Theorie berücksichtigen. sondern nur jene, die für unser Problem unmittelbar relevant sind.
(ii) Ich behaupte nicht, daß Durkheims Vorstellungen über soziale Arbeitsteilung überhaupt in jeder
Hinsicht auf die Philosophie umgemünzt werden
könnten. Vielmehr übertrage ich sie darauf im Sinne
einer Analogie, die uns hilft, bestimmte Zusammenhänge klarer zu sehen, die aber wie jede
Analogie nur begrenzt anwendbar ist.
(iii) Zwar geht Durkheim davon aus, daß er im
wesentlichen soziale Tatsachen beschreibt und erklärt, doch sind manche seiner Überlegungen anscheinend nicht deskriptiv, sondern normativ, d.h.,
sie geben vor, wie eine Gesellschaft funktionieren
soll, bzw. sie führen uns das Ideal einer Gesellschaft
vor Augen. Dagegen verfolge ich hier einen hypothetischen Ansatz, d.h., die folgenden Überlegungen
beziehen sich primär darauf, was wäre, wenn allgemein in der Gesellschaft und speziell in der Philosophie die soziale Arbeitsteilung nach Durkheims
Vorstellungen durchgefühlt wird.
Durkheims Ausgangspunkt ist die' Frage' nach dem
inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft. Wie
Durkheim zu zeigen versucht, kann dieser Zusammenhalt weder durch die Annahme eines Gesellschaftsvertrages. noch durch den Hinweis auf den
Austausch von Gütern hinreichend erklärt werden .
. Abgesehen davon, daß sich Menschen gewöhnlich
nicht durch einen Vertrag zu einer Gesellschaft verbinden, hätten Verträge keine verpflichtende Kraft,
wenn nicht "hinter den vertragsschließenden Parteien
die Gesellschaft steht, die einzugreifen bereit ist, um
den von diesen Parteien eingegangenen Verpflich-
freilich pnmar um Leute, die solche Tätigkeiten
beruflich ausüben, d.h. auf eine bestimmte systematische und methodische Weise.' Diese Beschränkung liegt aus mindestens zwei Gründen nahe:
(i) Auch wenn in einem weiten Sinne potentiell
alle Menschen philosophieren, gilt im engeren Sinne
doch das als Philosophie, was gewissen theoretischen
Ansprüchen genügt und ein Problem tiefer durchdringt, als dies im alltäglichen Denken üblich ist.?
Damit ist nicht gesagt, daß in diesem Sinne alles und
(vor allem) nur das als Philosophie anzusehen ist,
was von Menschen an universitären PhilosophieInstituten produziert wird. Entscheidend ist vielmehr,
ob gewisse Kriterien für die philosophische Tätigkeit
im engeren Sinne erfüllt sind. Durch diese Kriterien
wird der Kreis der philosophisch Tätigen jedoch
einigermaßen verkleinert.
(ii) Die Entwicklung des philosophischen Denkens
wird weitgehend (wenn auch nicht ausschließlich)
durch Menschen geprägt, die sich im erwähnten Sinne beruflich damit beschäftigen. Diese Entwicklung
gleicht jedoch in vielerlei Hinsicht jener der Wissenschaften; vor allem spielt hier wie dort die Speziallsierung auf einzelne Bereiche des Ganzen eine
immer größere Rolle. Demnach bedarf die Philosophie selbst (ebenso wie die Wissenschaft insgesamt)
der Integration ihrer Elemente, damit wir unseren
Gegenstand und einander sowie nicht zuletzt auch
uns selbst (besser) verstehen. Und damit stellt sich
auch die Frage nach der Arbeitsteilung in. der Philosophie.
2. Was heißt Arbeitsteilung'!
Viele dürften den Ausdruck 'Arbeitsteilung' primär
mit der Organisationsform der Industriewelt sowie
mit den dadurch verursachtenProblemen wie Mechanisierung und Entfremdung verbinden. Diese
Probleme lassen sich nicht wegerklären, doch stellt
sich die Frage, ob das, was wir auf diese oder ähnliche Weise gemeinhin als Arbeitsteilung bezeichnen,
das ist, was in der Theorie als solche gilt. Daß dem
nicht so ist, zeigt sich etwa durch einen Blick auf
Emile Durkheims Buch Über soziale Arbeitsteilung,
das 1893 zum ersten Mal erschienen ist. Durkheim
hält darin als Tatsache fest, daß die modemen Gesellschaften sich durch zunehmende Arbeitsteilung aus-
7. Vielmehr verweist Durkhcim (1893) selbst nicht nur auf
Rousscau (1755) und Smith (1759, 1776), sondern er
6. Ähnlich bcschältigcu sich etwa viele Menschen mit
bemerkt ähnliche Vorstellungen bereits in der Politik und
Fragen, die im weiten Sinne als physikalische anzusehen - der Nikomachischen Ethik des Aristotclcs. Andererseits
sind; aber nur eine theoretisch anspruchsvolle Bcschälli- . werden die Vorzüge und Probleme der Arbeitsteilung bis
gung damit gilt im engeren Sinne als Physik.
heule wcitcrdiskuticrt; vgl. dazu z. B. Sachssc (1978) .
.5
KRITERION
sentlich mit der sozialen Lebensweise der Menschen
zusammenhängt. Eine natürliche Folge davon ist für
ihn aber auch die Entstehung von Moral. Durkheim
(1893: 56) hält es für unmöglich, "daß Menschen
zusammenleben und regelmäßig miteinander verkehren, ohne schließlich ein Gefühl für das Ganze zu
entwickeln, das sie mit ihrer Vereinigung bilden,
ohne sich an dieses Ganze zu binden, sich W11 dessen
Interessen zu sorgen und es in ihr Verhalten einzubeziehen. Nun ist aber diese Bindung an etwas, was
das Individuum überschreitet, diese Unterordnung der
Einzelinteressen unter ein Gesamtinteresse. die eigentliche Quelle jeder moralischen Tätigkeit. Damit
sich nun dieses Gefühl präzisieren und bestimmen
und auf die gewöhnlichsten oder bedeutsamsten Umstände auswirken kann, überträgt es sich in bestimmte Fonnein; und infolgedessen entsteht ein Korpus·
moralischer Regeln." In Durkheims Augen besteht
eine Gemeinschaft oder Gesellschaft in nichts anderem als in der Solidarität, welche die Personen miteinander verbindet, und diese Solidarität wird als
Moral erlebt.
Für Durkheim hängen Gemeinschaftsleben, Solidarität und Moral notwendig zusammen, Wenn eine
Gruppe von Menschen nicht durch Solidarität und
gegenseitigen Respekt zusammengehalten wird, dann
beruht ihr Handeln auch nicht auf Moral bzw. dann
sind die Regeln, die diesem zugrunde liegen, keine
moralischen Regeln. Vielmehr noch: In einem solchen Fall handelt es sich gar nicht um eine Gemeinschaftbzw. Gesellschaft, sondern bloß um eine mehr
oder weniger zufällige Ansammlung von Menschen.
Selbst eine Familie gilt in diesem Sinne nur dann als
Gemeinschaft, wenn sie durch gewisse Bindungen
zusammengehalten wird. Durkheim setzt also implizit einen nonnativen Begriff von "Gesellschaft"
voraus, auch wenn er explizit behauptet, es sei unmöglich, daß Menschen zusammenleben, ohne ein
Gefühl für das Ganze und mithin Moral zu entwikkeIn. Wenn wir dies deskriptiv verstehen, erweist
sich Durkheims Behauptung als falsch, denn de facto
bilden Menschen nicht nur Gruppen, obwohl zwischen ihnen keine Solidarität besteht, sondern diese
werden auch als Gemeinschaften bezeichnet. Wenn
wir dagegen annehmen, daß Durkheims Begriff der
"Gesellschaft" nonnativ zu verstehen ist; dann handelt es sich bei solchen Kontakten eben gar nicht um
ein Zusammen-Leben, sondern bestenfalls um ein
Nebeneinander- Leben.
Dieser Begriff der Gesellschaft wirft eine Reihe
von Problemen auf. So entsprechen ihm z.B. auch
Gangsterbanden, deren Mitglieder zusammenwirken,
tungen Respekt zu verschaffen.i" Verträge können
also die Gesellschaft nicht ursprünglich begründen,
sondern setzen bereits einen gewissen Zusammenhalt
von Menschen voraus, durch den 'eine Gemeinschaft
bzw. Gesellschaft entsteht. Ähnlich setzt auch der
Tausch laut Durkheim (1893: 108) voraus, "daß zwei
Wesen wechselseitig voneinander abhängen, weil sie
beide unvollständig sind; er macht diese wechselseitige Abhängigkeit nur äußerlich sichtbar. Er ist also
nur der oberflächliche Ausdruck eines inneren und
profunderen Zustandes. Weil dieser Zustand aber
konstant ist, ruft er einen ganzen Mechanismus von
Bildern hervor, der mit einer Beständigkeit funktioniert, die der Austausch gar nicht hat." Auch der
Tausch setzt also bereits einen sozialen Zusammenhalt voraus, statt diesen zu begründen, geschweige
denn, daß er jene Beständigkeit und Festigkeit aufwiese, die für den sozialen Zusammenhalt notwendig
ist.
Durkheiins eigene Erklärung für den Zusammenhalt einer Gesellschaft hängt mit den Aristotelischen
Voraussetzungen seines Ansatzes zusammen. Aristoteles stellt ja in der Politik (1253a2f) fest, "daß der
Staat zu den naturgemäßen Gebilden gehölt und daß
der Mensch von Natur ein staatenbildendes Lebewesen ist." Menschsein schließt demnach von Na/ur aus
das Leben in Gemeinschaften ein. Zwar wäre vielleicht theoretisch möglich, daß Menschen im biologischen Sinne als Einzelwesen leben könnten (obwohl
auch in dieser Hinsicht naheliegt, daß Menschen
zumindest zeitweise Partnerschaften eingehen, da
sonst die Möglichkeiten zum Schaffen von Nachkommen ziemlich eingeschränkt wären). Menschsein
heißt indes nicht bloß Spezies Homo Sapiens, im
biologischen Sinne als Mitglied der da zu sein, sondern insbesondere auch, ein Leben als menschliche
Person zu führen. Dafür ist jedoch unbedingt notwendig, daß wir über längere Zeit mit anderen Menschen zusammenleben und intensive Kontakte mit
ihnen pflegen. Einen Beleg dafür bieten etwa die
"Wolfskinder", denen autgrund ihres Aufwachsens
abseits menschlicher Gemeinschaft wesentliche
Merkmale einer menschlichen Person abgehen."
Auch Durkheim (1893: 412f) bemerkt zu Recht,
daß "das psychische Leben" im allgemeinen und die
Entwicklung des Bewußtseins im besonderen we8. Durkheim (1893: 165). Die Kritik an der Fiktion des
gesellschaftsbegriindenden Vertrages, die Durkheim
(1893: 267ff.) in der Folge weiter ausführt, findet sich in
ähnlicher Form bereits bei Hume (1748).
9. Ein Beispiel eines Wolfskindes aus neuerer Zeit wird
etwa von Curtiss (1977) beschrieben.
6
ARBEITSTEILUNG IN DER PHILOSOPHIE
Zweifellos fühlen sich die Angehörigen einer
Gruppe aufgrund von Gemeinsamkeiten miteinander
solidarisch. Um dies einzusehen, brauchen wir laut
Durkheim (1893: 149) etwa nur zu bedenken,
"welchen Grad an Energie eine Überzeugung oder
ein Gefühl alleine dadurch annehmen kann, daß sie
von einer Gemeinschaft von Menschen geteilt wird.
[...] Wenn jemand in unserer Gegenwart eine Idee
äußert, die auch wir haben, kommt die Vorstellung,
die wir uns davon machen, zu unserer Idee hinzu,
überlagert sie und vermischt sich mit ihr und vermittelt ihr ihre eigene Vitalität. Aus dieser Verschmelzung entsteht eine neue Idee, die die vorhergehenden aufsaugt und die folglich lebendiger ist, als
jede einzelne getrennt genommen. Das ist der Grund,
warwn in Massenversammlungen eine Emotion eine
derartige Gewalt erreichen kann; die Lebhaftigkeit,
die sie in jedem Bewußtsein hervorruft, tönt im Bewußtsein aller wider." Nicht nur solche Massenphänomene ·lassen sich durch Gemeinsamkeiten des
Denkens erklären, sondern auch das Verhalten einer
Gemeinschaft gegenüber Menschen, die gegen die
sozial akzeptierten Regeln verstoßen, insbesondere
gegenüber Verbrechern. Diese verletzen "die weitaus
allgemeinsten kollektiven Gefühle", weshalb der
darin zum Ausdruck kommende Widerspruch zur
sozialen Ordnung von der Gesellschaft unmöglich
geduldet werden kann, insbesondere wenn sich dieser
Widerspruch "nicht nur in Worten äußert, sondern in
Handlungen." In diesem Fall genügt nicht "eine einfache Rückkehr zur gestörten Ordnung", sondern
"wir brauchen eine gewalttätige Genugtuung.i'U
Die auf Gemeinsamkeit beruhende Solidarität
bindet die Menschen nicht nur aneinander, sondern
auch an die Gesellschaft, die sie bilden; diese wird
dadurch definiert, d.h. gegenüber anderen Individuen
und Gesellschaften abgegrenzt. Indem wir uns an die
Gemeinschaft binden, wird unser individuelles Bewußrsein durch das Kollekti vbewußtsein geprägt.
Laut Durkheim haben wir "zwei Bewußtseinsebenen
10. Solche Prinzipien, die letztlich auf die schon aus dem
in uns: die eine enthält Zustände, die nur jedem von
Buch Tobit (4,15) des AT bekannte Goldene Regcl zurückuns eigen' sind und die uns charakterisieren, während
gehen, wurden etwa von Kaut (1785), Hare (1955) lind
die anderen jedem Mitglied der Gesellschaft gemeinSinger (1979) vorgeschlagen.
11. Dies wurde von der Kritik auch dementsprechend
sam sind. Die erste stellt nur unsere individuelle
vermerkt. So bezeichnet etwa Luhmann (1977: 26) DurkPersönlichkeit dar und konstituiert diese; die zweite
heims Behandlung von Egoismus und Altruismus "schlicht.
stellt den Kollektivtyp dar und folglich die Gesellals einen Theorie-Defekt."
schaft, ohne die er nicht existieren würde. Wenn ein
12. Politik (1261a23f); dieses Zitat fungiert als Motto des
Element der letzteren unser Verhalten bestimmt,
Buches von Durkheim (1893: 41). Zudem verweist
um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, und einander
in vielen Fällen respektieren bzw. miteinander solidarisch sind. Wenn die Moral ein wesentlicher Faktor
einer Gemeinschaft sein soll, dann liegt nahe, die von
Durkheim angesprochene Solidarität nicht auf die
Mitglieder einer Gemeinschaft von Handelnden zu
beschränken, sondern diejeweils von einer Handlung
Betroffenen einzuschließen. Von Moral ist demnach
nur dann zu sprechen, wenn durch die Prinzipien
einer Handlung die Interessen aller Wesen, die von
einer Handlung auf gleiche Weise betroffen sind, in
gleicher Weise berücksichtigt werden.'? Da diesem
Anspruch vermutlich kaum eine Gesellschaft gerecht
wird, erscheint Durkheims Gleichsetzung von Solidarität und Moral etwas problematisch. I I Dies ändert
jedoch nichts daran, daß sein Ansatz eine Möglichkeit bietet, den Zusammenhalt von Gemeinschaften
bzw. Gesellschaften zu erklären. Und Zwar beruht der
Zusammenhalt einer Gesellschaft einerseits auf der
Ahnlichkeit ihrer Mitglieder, andererseits jedoch auf
ihrer Unähniichkeit.
Während die erste Annahme kaum ,ein Achselzucken hervorrufen dürfte, erscheint die zweite vielleicht überraschend, obwohl bereits Aristoteles bemerkte, ein Staat bestehe "nicht nur aus vielen
Menschen, sondern auch aus solchen, die der Art
nach verschieden sind. Aus ganz Gleichen entsteht
kein Staat"? Wie Durkheim zu zeigen versucht,
werden Menschen durch ihre Unähnlichkeit nicht nur
stärker zusammengehalten als durch ihre Ähnlichkeiten, sondern diese Art des Zusammenhalts
erlaubt ihnen auch im Unterschied zu der auf Ähnlichkeit beruhenden Solidarität, daß sie sich an die
Gemeinschaft binden und zugleich ihre individuelle
Persönlichkeit entwickeln. Um diesen Unterschied zu
erhellen, müssen wir die beiden von Durkheim unterschiedenen Arten der Solidarität etwas genauer unter
die Lupe nehmen.
Durkhcim (1893: 83, Fn. I) auch auf eine Stelle in der Nikomachiselten Ethik (1133aI6), an der Aristoteles ganz im
gleichen Sinne feststellt, eine Gesellschaft bestehe "nicht
aus zwei Ärzten, sondem aus Arzt und Bauern und
überhaupt aus verschiedenen und ungleichen:"
13. Durkheim (1893: 150). Das Strafrecht dient demnach
primär weder zur Vergeltung noch zur Abschreckung,
sondern zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts, wie
Durkheim (1893: 1521) noch genauer ausführt,
7
"KRITERION
d.h., es liegt uns nicht daran, "bei anderen eine von
uns schlechtweg verschiedene Natur zu finden. Die
Verschwender suchen nicht die Gesellschaft der
Geizhälse, genausowenig wie aufrechte Charaktere
die Gesellschaft von Heuchlern und Duckmäusern
suchen. [...] Nur Unterschiede einer bestimmten Art
fühlen sich demnach zueinander hingezogen, nämlich
diejenigen, die sich gegenseitig ergänzen, statt sich
einander zu widersetzen und auszuschließen. [...]
Wie reich wir auch begabt seien, es fehlt uns immer
etwas, und die Besten unter uns fühlen ihre Unzulänglichkeit. So suchen wir bei unseren Freunden die
Fähigkeiten, die uns fehlen, weil wir, wenn wir uns
mit ihnen vereinigen, in bestimmter Weise an ihrer
Natur teilhaben und uns dann weniger unvollständig
fühlen. So bilden sich kleine Freundeskreise, in denen jeder seine Rolle gemäß seinem Charakter einnimmt und ein unverfälschter Austausch an Diensten
stattfindet. Einer schützt, der andere tröstet; dieser .
berät, der andere führt aus. Diese [...] Arbeitsteilung
bestimmt die Freundschaftsbeziehungen."
Während die auf Ähnlichkeit beruhende Solidarität
"nur in dem Maße möglich [ist], in dem die individuelle Persönlichkeit in der kollektiven Persönlichkeit aufgeht", setzt diese Art von Solidarität voraus, daß "jeder ein ganz eigenständiges Betätigungsfeld hat" und mithin seine individuelle Persönlichkeit bewahrt; das Kollektivbewußtsein läßt
dem Individualbewußtsein einen Freiraum, "damit
dort spezielle Funktionen entstehen, die es nicht
regeln kann. Je größer diese Region ist, um so stärker
ist die Kohäsion, die aus dieser Solidarität entspringt.
Tatsächlich hängt einerseits jeder um. so enger von
der Gesellschaft ab, je geteilter die Arbeit ist, und
andrerseits ist "die Tätigkeit eines jeden um so persönlicher, je spezieller sie ist. Natürlich ist sie, wie
eng wnschrieben sie auch sei, niemals ganz eigenständig. Selbst in der Ausübung unseres Berufes
passen wir uns den Gewohnheiten und Praktiken an,
die wir mit unserer Berufsgruppe gemeinsam haben.
Aber selbst in dem Fall ist das Joch, das wir tragen,
14. Durkheim (1893: 1561). Diese Art von Solidarität
viel weniger schwer, als wenn die ganze Gesellschaft
bezeichnet Durkheim (1893: 182) als mechanisch, einerauf uns lastet, und es beläßt dem freien Spiel unserer
. seits deshalb, weil sich "die sozialen Moleküle, die nur auf
diese einzige Art zusammenhalten können, [...] nur in dem
Initiative viel mehr Platz. Also wächst hier die IndiMaße bewegen, in dem sie keine Eigenbewegung haben, so
vidualität des Ganzen zur gleichen Zeit wie die Indiwie es bei den Molekülen der anorganischen Körper der
vidualität der Teile. Die Gesellschaft wird fähiger,
Fall ist.", andererseits aber deshalb, weil "das Band, das
sich als Ganzes zu bewegen, während zugleich jedes
auf diese Art das Individuum mit der Gesellschaft
verbindet, gänzlich dem gleicht, das die Sache an die. ihrer Elemente mehr Einzelbewegungen.hat,"!'
Person bindet. In dieser Hinsicht betrachtet, ist das
individuelle Bewußtsein einfach abhängig vom Kollek15. Durkheim (1893: 182) bezeichnet "die Solidarität, die
tivtypus und folgt allen dessen Regungen, wie der besessich der Arbeitsteilung verdankt", als organische Sosene Gegenstand den Bewegungen folgt, die ihm sein Belidarität, da sie in Analogie zum Zusammenwirken von
sitzer aufzwingt."
Organen zu sehen sei, das "man bei den höheren Tieren
dann geschieht das nicht im Hinblick auf unser persönliches Interesse, sondern wir verfolgen kollektive
Ziele. Obwohl sich die beiden Bewußtseinsformen
unterscheiden, sind sie dennoch aneinander gebunden, denn sie bilden zusammen nur ein Bewußtsein.
[...] Daraus folgt eine Solidarität sui generis, die, aus
Ähnlichkeiten erwachsend, das Individuum direkt an
die Gesellschaft bindet. [...]Diese Solidarität besteht
nicht nur aus einer allgemeinen und unbestimmten
Anbindung des Individuwns an die Gruppe, sondern
sie harmonisiert auch die Einzelheiten der Bewegungen. Da diese kollektiven Bewegungen tatsächlich überall die gleichen sind, erzeugen sie überall
die gleichen Wirkungen. Jedesmal, wenn diese auftreten, bewegen sich die Willensakte folglich spontan
und gemeinsam in die gleiche Richtung." 14
Da diese Alt von Solidarität darauf beruht, was
allen Mitgliedern einer Gemeinschaft gemeinsam ist,
geht ihre Entwicklung auf Kosten dessen, was jedem
Individuum eigen ist. Diese Solidarität erreicht laut
Durkheim (1893: 181f) "ihr Maximum, wenn das
Kollektivbewußtsein unser ganzes Bewußtsein genau
deckt und in allen Punkten mit ihm übereinstimmt:
aber in diesem Augenblick ist unsere Individualität
gleich Null. Sie kann nur entstehen, wenn die Gemeinschaft weniger Platz in uns einnimmt." Wenn
uns daran liegt, "eigenständig zu denken und zu handeln, dann können wir [also] nicht sehr darauf aus
sein, wie die anderen zu denken und zu handeln",
dann sind wir vielmehr daran interessiert, den Einfluß
des Kollektivs und der von ihm verlangten Solidarität
möglichst zu begrenzen.
Ganz anders verhält es sich mit der Solidarität, die
auf der Ungleichheit von Menschen in einer Gesellschaft beruh!. Wie Durkheim (1893: 10 If) bemerkt,
fühlen wir uns nicht nur zu Menschen hingezogen,
die so denken und fühlen wie wir, sondern auch zu
solchen, die uns nicht ähnlich sind: Indes kommt
dafür nicht jede beliebige Unähnlichkeit in Frage,
8
ARBEITSTEILUNG IN DER PHILOSOPHIE
Städte voraus, und die Städte entstehen immer haupt-.
Wie ein Vergleich der beiden Arten von Solidarität
sächlich mit Hilfe von Einwanderern, d.h. von Indizeigt, sind wir durch Ähnlichkeiten vor allem nach
viduen, die ihre Geburtsstätten verlassen haben. [...]
außen miteinander verbunden; eine bestehende GeDamit war eine neue Form der Tätigkeit entstanden,
meinschaft verstärkt ihren inneren Zusammenhalt,
die über den überkommenen Rahmen. der Familie
indem sie sich abgrenzt. Die Bildung von Gemeinhinausging."
schaften und das Zusammenleben darin ist jedoch
Wie Durkheim betont, gewann die Arbeitsteilung
eher dadurch bestimmt, daß sich die Menschen in
im Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung an
ihren begrenzten Fähigkeiten voneinander unterBedeutung, sind die Menschen also in immer höhescheiden: Wie u.a. schon Hume (1751) und Herder
rem Maße aufeinander angewiesen. Dadurch erhöhte
(1772) gesehen haben, sind wir biologische Mängelsich einerseits die Konzentration' bzw. der Zuwesen und als solche' auf andere Menschen angewiesammenhalt der Gesellschaft, andererseits aber drang
sen; indem wir Gemeinschaften eingehen, können wir
die Arbeitsteilung allmählich in praktisch alle geselluns individuell besser entfalten, da wir unsere Grenschaftlichen Bereiche ein. Laut Durkheim (1893: 84) .
zen im Allstausch mit anderen überschreiten bzw.
wir "ihren wachsenden Einfluß in den ver-·
können
ausweiten können. Laut Durkheim (1893: 103) zeigt
sich die "Arbeitsteilung" darum bereits in der Seschiedensten Gebieten der Gesellschaft beobachten.
Die politischen, administrativen und juristischen
xualität, die zwar "nur zwischen Individuen derselben Gattung" besteht, aber "ihren spezifischen
Funktionen spezialisieren sich immer mehr. Das
gleiche gilt für die künstlerischen und wissenschaftliCharakter und ihre besondere Energie" der
"Unähnlichkeit der Naturen" verdankt: "Gerade weil
chen Funktionen. Wir sind weit von der Zeit entfernt,
Mann und Frau sich voneinander unterscheiden,
als die Philosophie die einzige Wissenschaft war; sie
hat sich in eine Vielzahl von Spezialdisziplinen aufsuchen sie sich mit Leidenschaft." Die "gegengeteilt, jede mit eigenem Ziel, eigener Methode und
seitigen Gefühle" beruhen dabei nicht auf einem
Gegensatz, sondern auf Unterschieden, "die sich
eigenem Geist. [...] Nicht nur, daß der Gelehrte nicht
voraussetzen und ergänzen." Mannund Frau sind für
mehr gleichzeitig mehrere Wissenschaften pflegt, er
Durkheim "nur die verschiedenen' Teile eines und
überschaut nicht einmal mehr die Gesamtheit einer
desselben konkreten Ganzen, das sie, indem sie sich
einzigen Wissenschaft. Der Kreis seiner Untersuchungen verengt sich auf eine bestimmte Teilzahl
vereinen, wiederherstellen."
von Problemen oder gar auf ein einziges Problem."
Die Sexualität ist zwar eine Quelle der Arbeitsteilung, doch kann deren Entstehung im ökonomischen Sinne damit nicht hinreichend erklärt. werden,
denn menschliche Gesellschaften waren nicht von
3. Probleine mit dem Begriffder Arbeitsteilung
Anfang anarbeitsteilig organisiert, sondern erst ab .
einer gewissen Komplexität. Und zwar beginnt für
Wie die zuletzt angestellte Überlegung zeigt, darf
Durkheim (1893: 59) die Arbeitsteilung mit der EntArbeitsteilung nicht mit bloßer Spezialisierung verstehung des Handwerks, die u.a. auch die Gründung
wechselt werden; sie beginnt zwar damit, beschränkt
von Städten zur Folge hatte: "Solange das Gewerbe
sich aber nicht darauf, sondern vereint die spezialirein landwirtschaftlich ist, hat es in der Familie und
sierten Individuen zu Elementen eines größeren Ganim Dorf, das selbst nur eine Ni großer Familie war,
zen, die aufeinander angewiesen sind bzw. einander
sein unmittelbares Organ. [...] Da die ökonomische
in Hinblick auf dieses Ganze ergänzen. Dies wird u.a.
Tätigkeit sich nicht außerhalb des Hauses auswirkt,
durch die biologische' Analogie nahegelegt, von der
genügt die Familie, um sie zu regeln. [...] Aber das
Durkheim ausgeht: Die Organe, aus denen ein komendet, sobald es Handwerker gibt. Um von einem
plexer Organismus besteht, sind in bezug auf ihre
Handwerk zu leben, braucht" man Kunden, und man
Funktionen spezialisiert. Diese Spezialisierung ermuß das Haus auch verlassen, um mit den Konkurmöglicht. dem Organismus das Leben in einer komrenten in Verbindung zu treten, um gegen sie zu
plexen Umwelt; kein Organ könnte dies jedoch für
kämpfen oder sich mit ihnen zu verständigen. Übersich allein gewährleisten, sondern dafür ist erforderdies setzt das Handwerk mehr oder weniger direkt
lich, daß sie zusammen den Organismus als ganzen
bilden.l'': Angesichts dieser Auffassung ist es kein
beobachten kann. Jedes Organ hat dort seine eigene Physiognomic und seine Autonomie, und trotzdem ist die
Einheit des Organismus um so größer, je stärker die Individualisicrung der Teile ausgeprägtist,"
16. Aufgrund ähnlicher Übcrlcgungcn nahm Aristotclcs an,
daß unsere Sinnesorgane nur insofern wahrnehmen, als sie
Elemente eines lebendigen Organismus sind; nicht das
9
KRITERION
Wie Durkheim (1893: 434) betont, schließt ArWunder, daß Probleme wie Mechanisierung und
beitsteilung jedoch Konkurrenz nicht aus, und zwar
Entfremdung, die üblicherweise als Folge der soziadeshalb, weil die Mitglieder einer Gesellschaft nicht
len Arbeitsteilung angesehen werden, in Durkheims
in vieler Hinsicht einander ergänzen und voneinAugen eher dadurch verursacht sind, daß die Arbeitsander abhängen, sondern weil sie einander in ebenso
teilung einseitig bzw. inkonsequent betrieben wurde
vieler Hinsicht ähnlich sind und insofern miteinander
und wird .' Arbeitsteilung setzt laut Durkheim (1893:
konkurrieren: "Die Rolle der Solidarität besteht [also]
442) voraus, "daß der Arbeiter, statt sich ausschließnicht darin, die Konkurrenz zu unterdrücken, sondern
lich mit seiner Aufgabe zu beschäftigen, seine Mitar[darin.] diese zu mäßigen." Auch wenn die Menschen
beiter nicht aus den Augen verliert, auf sie einwirkt
einander
benötigen und mit verteilten Rollen zusamund von ihnen beeinflußt wird. Er ist also keine Mamenarbeiten, sind ihre Interessen doch nicht ausschine, die Bewegungen ausführt. deren Richtung sie
tauschbar, sondern die Arbeitsteilung "beläßt sie
nicht kennt, sondern er weiß, daß sie irgendwohin
tendieren, auf ein Ziel hin, das er mehr oder weniger unterscheidbar und gegensätzlich. So wie innerhalb
des individuellen Organismus jedes Organ zu jedem
deutlich begreift. Er fühlt, daß er zu etwas dient.
Dazu ist es nicht nötig, daß er weite Teile des sozia- . anderen in einem Gegensatz steht, auch wenn es
gleichzeitig mit ihnen zusammenarbeitet, so versucht
len Horizonts übersieht, sondern es genügt, daß er ihn
hinreichend weit überblickt, um zu begreifen, daß
jeder Kontrahent; obgleich er den anderen braucht,
seine Handlungen ein Ziel haben, das nicht in ihnen
das, was er benötigt, zu den geringsten Kosten zu
selbst liegt."
erhalten, d.h. möglichst viele Rechte gegen so weniDies ist indes nicht daseinzige Mißverständnis, das
ge Verpflichtungen wie möglich einzutauschen. Es
ist also nötig, daß der jeweilige Kostenanteil [...].
es in bezug auf die Arbeitsteilung zu bereinigen gilt.
Ein anderes hat etwa mit ihrem Verhältnis zur Konfestgelegt wird, obgleich dies nicht nach einem vorkurren: zu tun. Laut Durkheim verringert die Arbeits- gefaßten Plan vorgenommen werden kann." Damit
teilung ja den Konkurrenzkampf zwischen den
die Menschen in einer arbeitsteiligen Gesellschaft
Mitgliedern einer Gesellschaft, denn sie ergibt sich
hannonisch zusammenleben, müssen laut Durkheim
aus der Unähnlichkeit von Individuen, während "die
(1893: 269f) also "die Bedingungen dieser ZusamKonkurrenz zwischen zwei Organismen wn so heftimenarbeit [...] für die Dauer ihrer Beziehungen festger ist, je ähnlicher sie einander smd. Da sie die gleigelegt sein. Die Pflichten und Rechte eines jeden
chen Bedürfnisse haben und die gleichen Ziele
einzelnen müssen definiert sein. [...] Andernfalls
verfolgen, rivalisieren sie überall. Solange sie über
gäbe es jeden Augenblick Konflikte und neuerliche
mehr Ressourcen verfügen als sie brauchen, können
Schwierigkeiten."
sie noch Seite an Seite leben. Erhöht sich aber ihre
Dieser Hinweis auf die Notwendigkeit moralischer
Zahl derart, daß ihr Hunger nicht mehr genügend
Regeln für das Zusammenleben kann nicht darüber
gestillt werden kann, so bricht der Krieg aus, und
hinwegtäuschen, daß das Verhältnis zwischen den
verläuft um so heftiger, [...] je größer die Zahl der bei den
Kräften, die
eine Gesellschaft· zuKonkurrenten geworden ist. Ganz anders verhält es
sammenhalten, von Durkheim nicht völlig klar be. sich dagegen, wenn die zusammenlebenden Individustimmt wird .. Anscheinend sind sie in seinen. Augen
en verschiedenen Gattungen oder Arten angehören.
gegeneinander gerichtet und nur mit einem gewissen
Da sie sich nicht auf dieselbe Weise ernähren und
Energieaufwand im Gleichgewicht zu halten. Indes
nicht dasselbe Leben führen, belästigen sie sich geist eher anzunehmen, daß die beiden Arten von Soligenseitig nicht; was dem einen zugute kommt, ist für
darität in einem komplexeren Wechselspiel miteinandie anderen wertlos. Die Anlässe zu Konflikten ver-: der stehen, durch das sie gleicherweise für den
mindern sich also im selben Maße wie die GelegenBestand und das Gedeihen einer Gesellschaft notheiten, sich zu begegnen, und das urn so mehr, je
entfernter die Gattungen oder Varietäten zueinander
Nachbarschaft miteinander leben. Die einen leben von den
stehen." 17
Früchten des Baumes, die anderen von den Blättern,
andere wieder von der Rinde und von der Wurzel. 1... 1 Die
Auge sieht also, sondern wir sehen mit den Augen; vgl.
Menschen unterliegen dem gleichen Gesetz. In einer lind
dazu z.B. Von der Seele 412b19ff.
derselben Stadt können die verschiedensten Berufe
17. Laut Durkheim (1893: 325ft) können sich Tiere und nebeneinander leben, ohne sich gegenseitig schädigen zu
Pflanzen zudem "dem Lebenskampf um so leichter müssen, denn sie verfolgen verschiedene Ziele." Erst wenn
[entziehen], je verschiedener sie sind. Auf einer Eiche sie ähnliche Ziele verfolgen, entsteht "die Gefahr, daß sie
kann man bis zu 200 Insektenarten finden, die in guter sich gegenseitig bekämpfen."
nur
10
ARBEITSTEILUNG IN DER PHILOSOPHIE
und den Sprechern aus den jeweiligen Teilmengen"
beruht:
Um einen Ausdruck wie 'Gold' völlig korrekt zu
verwenden, müßten wir z.B. die Menge der Gegenstände, auf die er zu Recht angewendet wird.. eindeutig identifizieren und von allen anderen Gegenständen unterscheiden können. Nur wenige Menschen
sind jedoch dazu fähig; den anderen bleibt nichts
anderes übrig, als diesen im Rahmen der linguistischen Arbeitsteilung zu vertrauen bzw. sich auf sie zu
verlassen. Ähnliches gilt für viele andere Ausdrücke
einer Sprache. Solange die Kooperation zwischen den
Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft funktioniert,
ist nicht nur ihre Kommunikation gewährleistet,
sondern auch ihr gegenseitiges Vertrauen gerechtfertigt. Die "Rollen" sind dabei nicht einseitig bzw. ein
für allemal verteilt (so daß manche "sprachkompetent" und alle anderen darauf angewiesen
sind), sondern der Sprachgebrauch in einer Gerneinschaft beruht auf einem komplexen Wechselspiel
"linguistischer Arbeitsteilung."
Dies verweist uns darauf, daß die Funktionen innerhalb einer arbeitsteiligen Gesellschaft (wie bereits
Durkheim bemerkte) nicht ein für allemal festgelegt,
sondern bis zu einem gewissen Grad frei verfügbar
sind. Die Mitglieder einer Gemeinschaft haben also
die Wahl, welchen Beitrag zum gesellschaftlichen
Organismus sie (gemäß ihren Fähigkeiten) leisten
wollen bzw. können.'? Infolgedessen ist die Arbeitsteilung ein Faktor, durch den sich die Freiheit der
Menschen in einer Gesellschaft erhöht, da sie nicht
gezwungen sind, eine ganz bestimmte Tätigkeit auszuüben bzw. sich an das anzupassen, was "man"
entsprechend dem Willen anderer zu tun hat. Vielmehr stehen jedem Menschen grundsätzlich mehrere
Optionen offen. Da die Menschen auch diesbezüglich
einander ergänzen und aufeinander angewiesen sind,
verstärkt die Freiheit jedoch die Bindung der Individuen an die Gemeinschaft bzw. deren Zusammenhalt.
wendig sind. So beruht Z.B. die Identität einer Gruppe, durch die sie nach außen (gegenüber anderen
Gruppen) definiert ist, nicht nur auf der Ähnlichkeit
ihrer Mitglieder, sondern auch auf ihrer organischen
Solidarität, d.h. darauf, wie sie zusammenarbeiten; in
diesem Sinne umfaßt etwa auch die Philosophie insgesamt eine Vielfalt theoretischer und methodologischer Prinzipien, durch die sie sich z.B. von Religion,
Kunst oder Physik unterscheidet. Andererseits wird
eine Gemeinschaft im Inneren nicht nur durch organische Solidarität bzw, durch Arbeitsteilung differenziert und in ein Zusammenspiel verschiedener
Funktionen gegliedert, sondern auch dadurch, wie
ihre Mitglieder mit den Gegebenheiten umgehen, in
denen sie einander gleichen; in diesem Sinne bestimmt z.B. auch die Art, wie philosophisch Tätige
miteinander konkurrieren, das Leben in dieser Gemeinschaft.
Ähnliches gilt für das Verhältnis von Kollektivbewußtsein und Individualbewußtsein. Dieses wird
laut Durkheim ja von jenem eingeschränkt, während
umgekehrt durch Arbeitsteilung die Rolle des Kollektivbewußtseins vermindert wird. Die Rollen sind
nicht so einfach verteilt, wie ein Blick auf die Sprache zeigt; diese gilt ja als exemplarischer Fall dessen,
was laut Durkheim zum Kollektivbewußtsein gehört,
d.h. zu dem, was allen Mitgliedern einer Gemeinschaft gemeinsam ist, bzw. die als Ganzes nur im
Kollektivbewußtsein existiert, da Jedes Individuum
nur einen Teil des Sprachsysteins seiner Gemeinschaft. beherrscht. 18 In der Tat ist die Sprache ein
Faktor, der uns aneinander angleicht, denn sofern uns
daran liegt, uns mit anderen zu verständigen, ist nicht
so wichtig, daß wir unsere individuelle Kreativität
zur Geltung bringen, sondern es kommt auf Gemeinsamkeiten an, die uns die Kommunikation mit anderen ermöglichen. Die Kollektivität der Sprache
schließt i~des Arbeitsteilung keineswegs aus: Wie
. insbesondere Putnam (1975: 37ft) zu zeigen versucht
hat, teilen sich vielmehr die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft die "Arbeit" der Beherrschung von
Ausdrücken auf. Jede Sprache enthält Ausdrücke,
deren Gebrauch genaugenommen nur inanehe Mitglieder der Sprachgemeinschaft beherrschen, während "ihre Verwendung durch andere Sprecher [...]
auf einer spezifischen Kooperation zwischen diesen
19. Laut Durkhcirn (I R93: 394) unterscheidet sich die
soziale "VOIl der physiologischen Arbeitsteilung durch ein
wesentliches Merkmal. Im Organismus hat jede Zelle illre
bestimmte Rolle und kann sie nicht wechseln. In der
Gesellschall werden die Aufgabcn niemals in einer. derart
unbeweglichen Weise verteilt. Selbst dort, wo die Organisationsstrukturcn am rigidesten sind, kann sich das Individuum innerhalb des Rahmens, in den es das Schicksal
gestellt hat, noch mit einer gewissen Freiheit bewegen. Im
frühen Rom konnte der Plebejer l z. 13. J noch alle
Funktionen Irci übernehmen, die nicht ausschließlich den
Patriziern vorbehalten waren."
I s. In diesem Sinne stellte etwa Saussure (191G: I G) in
Anschluß an Durkhcim fest, daß das System einer Sprache
(langue) "virtuell in jedem Gehirn existiert, oder vielmehr
in den Gehirnen einer Gesamtheit von Individuen; denn die
Sprache ist in keinem derselben vollständig, vollkommen
existiert sie nur in der Masse."
II
•
KRITERION
4. Gibt es Arbeitsteilung in der Philosophie?
Der Aspekt der Freiheit bringt uns zur Frage, wie es
. denn mit der Arbeitsteilung in der Philosophie stehe.
Diese Frage ist für die Philosophie allein schon deshalb relevant, weil diese Disziplin nach Ansicht von
Durkheim (1893: 346) selbst das Ergebnis einer Arbeitsteilung im theoretischen Bereich ist, indem sie
sich aus der Religion herausdifferenziert hat und mit
dieser weiter kommunizieI1,. und weil sie ihrerseits
mit den Wissenschaften jüngere Abkömmlinge bzw.
Partner in der Arbeitsteilung hat. Allerdings war sich
Durkheim (1893: 425) anscheinend sehr wohl bewußt, daß die Differenzierung wissenschaftlicher
Disziplinen nicht oder noch nicht unbedingt zu einer
auf Arbeitsteilung basierenden Gemeinschaft der
Wissenschaften geführt hat, da er eine "in eine Vielheit von Einzelstudien zersplitterte Wissenschaft"
beklagt, die "kein solidarisches Ganzes" mehr bildet.
Zwar hat sich die Philosophie aus allgemeineren
theoretischen Bemühungen entwickelt, zwar hat sie
sich selbst weiter differenziert und manche ihrer
Probleme. an empirische Wissenschaften weitergegeben, die aus ihr entsprungen sind, aber all diese Disziplinen und ihre Vertreter zeigen nicht jenen
Austausch und Zusammenhalt, der sie zu einem größeren Ganzen vereinigte und rechtfertigte, im Durkheimscheu Sinne von Arbeitsteilung zu sprechen.
Was wir in der Philosophie wie allgeinein in den
Wissenschaften haben, ist Spezialisierung, d.h., das
Ganze des Bemühens um Wissen bzw. Weisheit hat
sich, wie Durkheim zu Recht bemerkt, "in eine Vielzahl von Spezialdisziplinen aufgeteilt, jede mit eigenem Ziel, eigener Methode und eigenem Geist", so
daß heute niemand mehr "die Gesamtheit einer einzigen Wissenschaft" überblickt, geschweige denn,
daß er oder sie "gleichzeitig mehrere Wissenschaften" pflegte; vielmehr verengte sich der
Kreis ihrer Untersuchungen. "auf eine bestimmte
Teilzahl von Problemen oder gar auf ein einziges
Problem.'?" Diese Erkenntnis ist natürlich weder neu
noch besonders aufregend; die darin angesprochene
Spezialisierung erscheint nämlich in mindestens
zweierlei Hinsicht unproblematisch:
(i) Die Spezialisierung der Wissenschaften im
allgemeinen und der Philosophie im besonderen ist
nicht das Ergebnis :einer bewußten Entscheidung,
20. Was Durkheim (1893: 84) hier über die Differenzierung der Wissenschaften im allgemeinen sagt, läßt sich
auch bei der Entwicklung feststellen, welche die Philosophie seitdem durchlaufen hat und die Gegenstandunserer
Überlegungen ist.
sondern vielmehr von Versuchen, die Welt, in der wir
leben, zu erkennen und damit umzugehen.
(ii) Die Spezialisierung bietet eine Möglichkeit, bei
diesen Versuchen Fortschritte zu machen, d.h. die
Welt qualitativ und quantitativ besser zu verstehen
und mithin differenzierter an die Probleme heranzugehen, mit denen wir konfrontiert sind.
Wenn Durkheim recht hat, dann ist die Spezialisierung indes nur ein erster, notwendiger Schritt zu
einem angemessenen Umgang mit einer komplexer
werdenden Welt. Spezialisierung allein ist jedoch zu
wenig. Vielmehr ist diese (zwnindest in Durkheims
Augen) nur unter der Voraussetzung sinnvoll, daß
sich die Indi~iduen wie Organe zu einem größeren
Organismus verbinden. Ein Ergebnis der Evolution
ist die zunehmende Spezialisierung von Zellen und
Organen; diese geht jedoch einher mit einer ebenso
zunehmenden Vernetzung dieser Zellen und Organe
zu immer komplexeren Organismen, die Entsprechendes leisten. Im Unterschied dazu versuchen in
Philosophie und Wissenschaft die einzelnen "Zellen"
. und "Organe" oft genug, die Rolle eines ganzen Organismus zu spielen. Möglicherweise beruht dieses
Problem auf der Kombination der Vorstellung von
geistigem Eigentwn und Originalität mit Geltungsbewußtsein und anderen psychischen Gegebenheiten
von Individuen. Das heißt, als philosophisch Tätige
versuchen wir mit einem gewissen Recht,
"eigenständig zu denken und zu handeln." Dementsprechend vernachlässigen wir nicht nur unsere individuellen Grenzen, sondern wir spielen auch die
Rolle. der Gemeinschaft herunter. Wenn Durkheim
(1893: 182) recht hat, dann bauen wir damit aber
falsche Alternativen auf, denn wir haben ja die Möglichkeit der Arbeitsteilung, bei der "die Individualität
des Ganzen zur gleichen Zeit [wächst] wie die Individualität der Teile. Die Gesellschaft wird fähiger,
sich als Ganzes zu bewegen, während zugleich jedes
ihrer Elemente mehr Einzelbewegungen hat."
Sicher wäre es falsch zu behaupten, daß sich philosophisch tätige Menschen völlig "einsam" um Erkenntnis bemühen; dagegen spricht allein schon die
Bedeutung, die das Argumentieren und mithin das
Gespräch für das philosophische Denken hat. Indes
spielt dabei auch eine Rolle, mit wem wir sprechen:
mit uns selbst, mit gleichen oder mit ungleichen
Menschen. Sicher führen philosophisch Tätige nicht
nur Selbstgespräche, sondern sie gewinnen ihre Einsichten wesentlich auch durch das Gespräch mit anderen. Diese sind allerdings oft genug Menschen, die
uns in relevanter Hinsicht ähnlich sind. Das heißt
nicht, daß sie derselben Meinung sind wie wir; ganz
12
ARBEITSTEILUNG IN DER PHILOSOPHIE
diese Gleichheit besteht: Für Freundschaften, die auf
Nutzen oder Lust beruhen, ist wesentlich, daß den
miteinander befreundeten Menschen gleicherweise an
einem Nutzen bzw.: an einer Lust liegt, den bzw. die
sie durch die Freundschaft erfahren; das bedeutet
aber nicht, daß die Freunde allgemein Gleichheit
suchen. Erst recht gilt dies für Freundschaften, die
auf Tugend beruhen; in diesem Fall bilden bestimmte
moralische Voraussetzungen die gemeinsame Basis
der Freundschaft, doch bleibt gerade dann die Möglichkeit offen, daß die daran beteiligten Menschen
sich in ihren wesentlichen Fähigkeiten und Neigungen voneinander unterscheiden. Vielmehr kommt es
"bloß" darauf an, daß sie sich (in ihrer Gleichheit und
Verschiedenheit) füreinander interessieren, einander
achten, vertrauen usw.
Wie erwähnt, sind solche Einstellungen normativ
gesehen für Gemeinschaften aller Arten notwendig.
In diesem Rahmen sind jedoch Gemeinschaften, die
primär aus gleichen Mitgliedern bestehen, von anderen zu unterscheiden, die sich durch Unähnlichkeit,
gegenseitige Ergänzung und Arbeitsteilung ihrer
Mitglieder auszeichnen. Die vorhin erwähnte Annahme lautet, daß sich für philosophisch tätige Menschen anbietet, Gemeinschaften der ersten Art zu
bilden. Indes stellt sich die Frage, inwiefern dies
durch die philosophische Tätigkeit überhaupt nahegelegt werden könnte bzw. sollte. Ganz im Gegenteil
ist zu vermuten, daß dies nicht der Fall ist, und zwar
u.a. aus folgenden Gründen:
(i) Laut Durkheim dominiert in einer Gemeinschaft
von Gleichen das Kollektivbewußtsein, d.h. das, was
allen Mitgliedern gemeinsam ist; deren individuelle
Vorstellungen spielen dagegen höchstens eine untergeordnete Rolle. Da die Kritikfähigkeit als ein
Merkmal des philosophischen Denkens gilt, ist dafür
jedoch ein gut entwi ckeltes Individualbewußtsein
bzw. eine gewisse Eigenständigkeit notwendig. Diese
läßt sich zwar in einer arbeitsteiligen Gemeinschaft
bewahren bzw. verwirklichen, jedoch nicht in einer
Gemeinschaft, die im wesentlichen auf die Gleichheit
ihrer Mitglieder gebaut ist.
(ii) Wie bereits erwähnt, wird die philosophische
Tätigkeit gerade aufgrund des Bernühens um Erkenntnis immer weiter spezialisiert. Dadurch wird die
Unähnlichkeit zwischen den philosophisch Tätigen
verstärkt, und diese sind in steigendem Maße aufeinander angewiesen. Selbst wenn sie versuchen, mehr
oder weniger große Gruppen von theoretisch oder
methodisch "Gleichgesinnten" zu bilden, enthalten
diese in ihren Grundlagen also bereits einen
im Gegenteil baut die Philosophie wesentlich auf
dem Widerspruch auf. Aber nicht alle philosophisch
Tätigen werden in gleicher Weise als Kritiker oder
Kritisierte für würdig befunden, sondern in erster
Linie solche, die auf demselben Gebiet mit gleichen
Methoden arbeiten, mit denen wir also aufgrund der
Ähnlichkeit solidarisch sind. Dies ist nicht unbedingt
als Vorwurf zu verstehen; vielmehr setzen Kommunikationund Verstehen ja Gemeinsamkeiten voraus
(z.B. auch eine gewisse gemeinsame Kompetenz).
Andererseits wird Arbeitsteilung dadurch aber nicht
ausgeschlossen, und die Frage, was als Gegenstand
philosophischer Gespräche in Frage kommt und von
wem erwartet wird, daß er oder sie kompetent ist,
darüber zu sprechen, könnte sehr wohl auch anders
beantwortet werden, als dies der Fall ist. Wie die
philosophisch Tätigen de facto damit umgehen, zeigt
letztlich nur, "worauf es ihnen ankommt und worauf
nicht" - um mit Wittgenstein (1977: *293) zu sprechen.
Freilich wäre denkbar, daß die philosophische
Tätigkeit gar nicht eine auf Unterschieden beruhende
Gemeinschaft fordert bzw. fördert, deren Mitglieder
einander ergänzen, sondern daß dafür eher eine Gemernschaft von Gleichen in Frage kommt. Durkheims
Vorstellung von sozialer Arbeitsteilung beruht ja
darauf, was Aristoteles über den Staat schreibt. In der
Politik (126Ia23ff) unterscheidet dieser den Staat
jedoch von anderen Gemeinschaften, z.8. von der
Bundesgenossenschaft, die "ihrem Wesen nach um
der gegenseitigen Hilfe da" ist; darum gründe sie "in
der Quantität, auch wenn keine Unterschiede in der
Art vorhanden sind." Indes beruht in gewissem Sinne
selbst der Staat auf der Gleichheit der Menschen, die
ihm angehören, und zwar insofern, als ein Staat laut
Aristoteles iNikomach. Ethik 1155a22) durch
Freundschaft zusammengehalten wird; die verschiedenen Arten von Freundschaft beruhen aber auf
Gleichheit." Allerdings erhebt sich die Frage, worin
21. Lallt Aristotclcs (Nikomach. Ethik. 1I'\XbIIT) ist
Gleichheit z. B. für Freundschalten wesentlich, die auf
Lust oder Nutzen beruhen, "denn bcidc Teile tun und
wünschen einander dasselbe oder tauschen eines gegen das
andere, WIe etwa Lust und Nutzen." Zwar sind dies
"Freundschaflcn geringeren Grades und weniger dauerhaft", doch beruht auch die freundschalt zwischen 7/1gendhajien - die Aristotcles (Politik 11'\6b6-29) als eigentliche Form der Freundschall ansieht - insofern auf
Gleichheit, als solche Freunde "einander gleichmäßig das
Gute" wünschen, wobei "jeder VOll beiden an sich gut und
gut für den Freund" ist und "sich zuverlässig als liebenswert" erweist. Durkhcims früher erwähnte Vorstellung
von Freundschalt widerspricht dem nur scheinbar.
13
KRITERION
"Spaltpilz" bzw. die Anlage zur Spezialisierung und zur Arbeitsteilung.
(iii) Sofern wir es für wertvoll erachten, den Bereich der Philosophie weiterhin in seiner Gesamtheit
zu betrachten bzw. zu berücksichtigen, erscheint es
besonders unplausibel anzunehmen, daß die philosophische Tätigkeit die Bildung von Gemeinschaften
fördere, die auf Gleichheit beruhen, Da sich die Philosophie defacto in viele Teildisziplinen differenziert
hat, bedarf es nämlich der Arbeitsteilung zwischen
diesen, um ihre Ganzheit zu bewahren. Zwar wäre
denkbar, daß dies gar kein erstrebenswertes Ziel ist,
doch liegt die Annahme näher, daß ein solcher Blick
auf das Ganze wegen der umfassenden und allgemeinen Natur philosophischer Erkenntnisse sehr wohl
notwendig ist. ~~
(iv) In vielen Fällen besteht das Neue an einer Erkenntnis darin, daß ein Gedanke, eine Fragestellung,
eine Lösungsstrategie. eine Methode usw. von einem
Gebiet auf ein anderes übeltragen wird. Dies gilt
auch für die Philosophie.P Demnach setzt philosophische Einsicht aber oft genug die Kenntnis
verschiedener Problembereiche und mithin die Ablehnung der Gleichheit als einer Basis philosophischer Gemeinschaften voraus.
(v) Wenn wir die klassische philosophische Forderung des "Erkenne dich selbst!" ernst nehmen,
dann müssen wir uns auch der Begrenztheit unserer
Existenz stellen. Diese zeigt sich nicht nur in biologischer Hinsicht (wozu neben der erwähnten Sexualitdt xi.«. auch die Zeitlichkeit des Lebens gehört),
sondern z.B. auch beim Erkenntnisvenuogen. Wie
sehr sich auch alle Menschen bemühen, so werden
wir doch nie "die" Erkenntnis der Wirklichkeit erlangen; wer sich darum bemüht, erkennt vielmehr, wie
wenig er oder sie letztlich von sich und der Welt
weiß .:..- und wie sehr er bzw. sie auch auf die Einsichten anderer angewiesen ist, um zumindest ein !Jißdien mehr zu erfassen.
22. So gesehen erscheint nicht nur die Integration verschiedener philosophischer Tätigkeiten wünschenswert,
sondern aucü eine von Philosophie- und Wissenschaft, von
Erkenntnisstreben und anderen kognitiven Bereichen, von
all diesen und anderen psychischen Vermögen, von Psyche
und Physis usw. Wer auf einer dieser Ebenen sowie
zwischen ihnen zu integrieren versucht, übt demnach eine
philosophische Tätigkeit aus;
dicsc ist insgesamt
wesentlich komplexer, als früher angedeutet wurde.
23. So wirkte z. B. nicht nur die Anwendung logischer
Methoden auf klassische philosophische Probleme befruchtend, sondern auch die Betrachtung des Erkenntnisfortschritts in Analogie zur Evolutionstheorie; vgl. dazu z.
B. Popper (1972; 1975).
Vor allem das philosophische Ziel der Erkenntnis
und Selbsterkenntnis (sowie die Einsicht in die dafür
notwendigen Voraussetzungen) legt die Bildung von
Gemeinschaften nahe, die auf Zusammenarbeit und
Arbeitsteilung beruhen. Deshalb ist erstaunlich,
welch große Rolle de facto die auf Ähnlichkeit beruhende Solidarität in den "philosophischen Zellen"
und in Zusammenhang damit die Konkurrenz und
Rivalität zwischen diesen "Zellen" spielt; diese verwechseln sich oft genug mit dem ganzen Organismus
und weigern sich dementsprechend, philosophisch
Tätige, die anders sind, als gleichwertig zu akzeptieren, und zwar primär deshalb, weil sie anders sind."
Dies ist insofern verständlich, als verschiedenen
philosophisch Tätigen unter den gegebenen Verhältnissen oft die Voraussetzungen für ein gegenseitiges
Verständnis fehlen; wie erwähnt, ist dies jedoch nicht
notwendig. Wenn wir vom Bild der arbeitsteiligen
Gemeinschaft ausgehen, so gehört dazu jedenfalls
auch die Annahme, daß nicht alle Mitglieder einer
solchen Gemeinschaft genau eine Menge von bestimmten Merkmalen gemeinsam haben müssen, tun
als solche gelten zu können, sondern es ist auch
möglich, daß zwischen ihnen nur Familienähnlichkeiten im Sinne von Wirtgenstein (1953: ~~66t) bestehen,
daß
also den
Aktivitäten, Methoden,
Sprachverwendungsweisen. InterJssengebieten usw.,
die insgesamt als Philosophie bezeichnet werden,
nicht eine ganz bestimmte Menge von Merkmalen
gemeinsam ist. Wenn wir an die Unterschiede zwischen Östlicher und Westlicher Philosophie oder
zwischen verschiedenen Schulen des Denkens denken, dann erscheint dieser Gedanke nicht völlig unplausibel."
Wenn in den "philosophischen Zellen" so großer
Wert auf Einheit und Ähnlichkeit gelegt wird, so
folgen daraus zwar "saubere Verhältnisse" in theo-24. Wir brauchen etwa nur an den Umgang zu denken, den
Vertreter verschiedener philosophischer Schulen ort genug
miteinander pflegen, bzw. an die lIaltung, die sie gegen
die jeweils "anderen" einnehmen.
25. Dennoch benötigen wir Kriterien, um philosophische
von anderen theoretischen Tätigkeiten zu unterscheiden,
Mit Walsmann (1956) können wir etwa sagen, daß
jeglicher philosophischen Tätigkeit das Bemühen um
"tiefere Einsichten" gemeinsam ist (was auch immer jemand konkret darunter verstehen mag, daß in der Philosophie (anders als in den Künsten oder in der Politik) die
Argumentation wesentlich ist; andererseits unterscheidet
sich die Philosophie etwa von der Wissenschaft dadurch,
daß ihre Methoden, Theorien, Ergebnisse usw. nicht im
selbcn Maße sicher bzw. überprüfbar sind und daß das
freie Spiel der geistigen Kräfte, das nicht auf ganz bestimmte lrgcbnissc zielt, eine wesentliche Rolle spielt.
14
ARBEITSTEILUNG lN DER PHILOSOPHIE
retischer und methodischer Hinsicht. doch wird dadurch nicht nur die Arbeitsteilung zwischen den ZeIlen behindert oder gar verhindert, sondern auch das
philosophische Streben der betreffenden Menschen,
da sie Informationen außer acht lassen, die ihre Sicht
eines Problems ergänzen und zu neuen Fragestellun- .
gen führen. Hier ist nochmals I zu betonen, daß ehe
Spezialisierung allein im theoretischen Bereich wie
auch sonst zunächst noch keine Probleme mit sich
bringt: diese treten jedoch dann auf. wenn ehe damit
verbundene' Beschränkung nicht durch Arbeitsteilung
aufgefangen wird. In diesem Sinne bemerkte z.B.
Wittgenstein mit Bezug auf die Verbreitung der wissenschaftliehen Methode, diese bedeute einerseits
eine Bereicherung, durch ihre Vorherrschaft jedoch
auch eine Verarmung: "Die eine Methode drängt alle
anclern beiseite. Mit dieser verglichen scheinen sie
alle ärmlich. Du mußt zu den Quellen niedersteigen,
um sie' alle nebeneinander zu sehen, die vernachlässigten und die bevorzugten.t'-" Dies ist natürlich kein
Argument gegen das Anwenden wissenschaftlicher
Methoden, denn es wäre ebenso eine Verarmung, auf
diese einfach zu verzichten: vielmehr müssen wir
"aus allen Quellen trinken" bzw. diese so mixen, daß
ein schmackhaftes bzw. nahrhaftes Getränk entsteht.
Damit ist nicht gemeint, daß jeder philosophisch
Tätige aus "allen Quellen" trinkt bzw, sich einem
"reinen" Eklektizismus hingibt, sondern (weniger
bildlich gesprochen) geht es darum, daß die philosophisch Tätigen ihre individuellen Grenzen einsehen
und einander so ergiiuzeu, daß sie gemeinsam mehr
sehen als alle für sich allein.
Ich plädiere also nicht für ein Wechselspiel hcliciJiger Unähnlichkeiten: ein fruchtbares Zusammenwirken ist im Sinne von Durkheim (1893: 102) vielmehr vor allem von' Unterschieden zu erwarten, ehe
einander ergänzen.:? Ebensowenig meine ich, daß
jeder tun und lassen kann oder soll, was er will. Um
mit Wirtgensrein (1953: §133) zu sprechen, gibt es
zwar "nicht eine Methode der Philosophie, wohl aber
gibt es Methoden, gleichsam verschiedene Therapien." Auch wenn es so gesehen nicht die Methode der
Philosophie gibt, sondern eine Vielfalt davon, ist die
Philosophie nicht "gebührenfrei": philosophisch tätig
zu sein, heißt vielmehr,sich an gewiss« Normen zu
binden. insbesondere an die N0rl11 der WahrhattigjUlif, Wie Nietzsehe (1882: 576) betont, bedeutet
dieser "unbedingte Wille zur Wahrheit [...] nicht 'ich
will mich nicht täuschen lassen', sondern - es bleibt
keine Wahl - 'ich will nicht täuschen, auch mich
selbst nicht' - iuul hiennit sind wir auf dem Boden
der Moral" Dieser Anspruch ist nicht nur für die
Identität der philosophischen Tätigkeit wesentlich
(und mithin für ihre Abgrenzung gegenüber anderen
Arten des Denkens), sondern er schließt andererseits
auch die Verpflichtung ein, sich über die eigenen
. Grenzen nicht zu täuschen, und somit die Aufforderung zur Arbeitsteilung mit Menschen, die uns ergänzen."
26, Wiugcnsicin (I 1J7~: 11 ~), Ähnlich kritisierte schon
Niet/sehe (IX72:,II(») d~IS Vorurteil, es gehe nur cincn
angemessenen l Jmgang mit der Wirklichkeit. nämlich
Wissenschalt lind Technik. Dieses Vorurteil werde durch
das dami t zus.unmcnhäugcndc /heorctischc Weil hiId genährt. das seit Sokr.ucs die Weil erobert lind andere
Ircnkwciscu vcrdr.ingt habe: IJnscrc gesamte I:.rI,iellllng
h;it laut Nictzschc "dieses Ide;1I im Auge: jede andere
l.xistcn> h~11 sich mühsam nebenbei emporzurlugen. als
erlaubte. nicht als beabsichtigte l.xistcnz."
27. Auch wenn Iür Zusammelwrbeit notwendig ist. daß
Menschen einander in ihrer l Jn.ihnlichkcil ergänzen. SI)
EiL\[ dies doch die Möglichkeit offen, daß die philosophisch
liiligcn zum Teil in. einem solchen (iegt.:ns;ltz zueinander
stehen, dal.\ sie nicht zusanuucnarbcircn können. Auch in
einem solchen ]-';111 besteht zumindest prinzipicl] die
Möglichkeit, d~Iß sie voneinander lernen. Zwar sind die
5. Gntndefur Ar!ieifsfei!1/ng in der Philosophie
Die Möglichkeit und der Bedarf einer Arbeitsteilung
im erwähnten Sinne ist in der Philosophie in mehrerlei Hinsicht festzustellen. Drei Beispiele mögen zur
Illustration genügen:
(i) Wie früher erwähnt, gehört zu den philosophischen Tätigkeiten u.a, die "Erziehung" von Problemen, dh. die Behandlung von Problemen. die
noch lInreijfür die Bearbeitung mit bestimmten Me- .
tueden sind. z.B. mit denen der empirischen Wissenschaften. Dazu zählen auch Fragen, die aufgrund
ihres allgemeinen oder grundlegenden Charakters
wohl auf absehbare Zeit Gegenstand philosophischer
Überlegungen bleiben werden, wie etwa die Fragen
der nonnativen Ethik, So ist etwa eine Antwort auf
die Frage nach dem richtigen, gerechtfertigten HanMöglichkeiten des gegenseitigen Versieheus letztlich doch
durch iiulividucllc Gegebenheiten begrenzt. doch kann dies
kein l.limlcrnis d~i1'iir sein. daß wir die vorhandenen
Möglichkeiten ausloten, soweit wir nur können.
2X. In diesein Sinne glaubt etwa auch Popper (llJX4: 22~).
zur wissenschau Iichcn Ikrulsclhik gehöre die I.insicht.
"d~11.\ wir. um Zll lernen. Fehler niöglichsr Zll vermeiden,
gcl'!/(/c ,'011 IIIIS('/"CII Fehlern ICI"IICII müssen" und daß wir
mithin "nndcrc Menschen ::'II/" 1~'lIfdccklillg IIlId KUI"/'ck/II"
"011 Fehlern luauchcn (1I1id sie III1Sj: insbesondere auch
Menschen, die mit anderen Ideen in einer anderen
Atmosphäre au Igcwnchscu sind."
15
KRITERION
zwei Fragen dringend einer Antwort, nämlich einerseits, wie es bei der vorausgesetzten fundamentalen
Rolle der Goldenen Regel kommt, daß sich so gut
wie kein Mensch auch nur einigermaßen konsequent
daran hält, und andererseits, ob uns diese Regel allein die Lösung auch nur eines moralischen Problems
erlaubt. Anscheinend ist dies nicht' der Fall, denn
sonst müßten wir mit brennenden Problemen unserer
Lebensform ganz anders wngehen. Der Umstand, daß
sich die Probleme schneller entwickeln als die Methoden zu ihrer Lösung, läßt also vermuten, .daß die
Fragestellungen
der
Ethik
durchaus
noch
"entwicklungsfähig" sind.
Beide Symptome deuten darauf hin, daß wir an
viele (wenn auch wohl nicht an alle) Fragen der Ethik
zwn gegebenen Zeitpunkt nicht (nur) mit der Methode der logischen Sprachanalyse herangehen können,
sondern daß wir sie allenfalls dafür vorbereiten können und daß wir dafür auch andere Methoden benötigen. Dies ist jedoch. ein Grund, in diesem Bereich
(wie allgemein in der Philosophie, den Wissenschaften 11l1d der Gesellschaft) Gemeinschaften zu bilden,
deren Mitglieder einander in ihren verschiedenen
Fähigkeiten ergänzen und beim Versuch, Probleme
zu lösen und Erkenntnisse zu gewinnen, die Arbeit
untereinander aufteilen.
(ii) Philosophische Diskussionen dienen primär der
Kommunikation zwischen den Angehörigen des
"inneren Kreises" (analog zum Informationsaustausch zwischen den Zellen im Zentralnervensystem
eines Organismus), aber nicht so sehr den Menschen,
die als "Kunden" der beruflich Philosophierenden
anzusehen sind (bzw. dem Zusammenwirken mit
29. Popper (1963: 42). Bereits Anstoteies bemerkte jeanderen Organen). Eine Ausnahme sind vielleicht die
doch, daß wir "nicht bei allen Fragen die gleiche Präzision
philosophischen Praktiker, doch verfügen diese oft
verlangen" können; für ihn ist es sogar ein Zeichen des
nur über wenig Kontakte zwn "Zentrum"; vielmehr
Gebildeten, "in jedem einzelnen Gebiet nur so viel
Präzision zu verlangen, als es die Natur des Gegenstandes haben sie sich in eine philosophische "Öko-Nische"
zuläßt"; vgl. Nikomach. Ethik 1094bI3-25. Laut
zurückgezogen. Ich muß wohl nicht eigens betonen,
Waismann (1956: 138) droht das strikte Streben nach Ge- daß innerphilosophische Diskussionen unbedingt
nauigkeit sogar, "den lebendigen Gedanken im Keime zu notwendig sind; sie sind sozusagen die Spitze des
ersticken. Dies ist leider eines der bedauerlichen Ergebphilosophischen Denkberges. Sie ergeben sich
nisse des Logischen Positivismus, nicht vorhergesehen von
seinen Begründern, jedoch nur zu augenfällig bei einigen zwangsläufig aus dem philosophischen Fragen und
seiner Nachfolger." Damm ist die Philosophie für haben viele Unklarheiten beseitigt; vor allem aber
Waismann (1956: 143) "nicht nur Sprachkritik: so auszeigen sie uns immer wieder, wie wenig wir letztlich
gelegt, ist ihr Ziel zu eng gefaßt. Sie kritisiert, löst und wissen, und sind insofern sehr wohl auch ein Dienst
übelwindet alle Vorurteile, sie lockert alle starren und
am Kunden. In diesem Sinne betonte schon RusseU
einengenden Gedankenfonnen, gleichgültig ob sie ihren
(1912: 138), die Philosophie könne uns "zwar nicht
Ursprung in der Sprache oder anderswo haben."
30. Frey (1970: 121) teilt diese Annahme u.a. mit . mit Sicherheit sagen, wie die richtigen Antworten auf
die gestellten Fragen heißen, aber sie kann uns viele
Walsmann (1956: 138), für den sich "der Genius des Philosophen. [...] uirgendwoaugenfälliger [zeigt] als an der Möglichkeiten zu bedenken geben, die unser Blickneuen Art von Frage, die von ihm in die Welt gebracht. feld erweitern und uns von der Tyrannei.des Gewohnwird. Was ihn auszeichnet und was ihm seinen Platz zuten befreien. Sie vermindert unsere Gewißheiten
weist, ist die Leidenschaft des Fragens."
dein von wesentlicher Bedeutung für das Leben und
Zusammenleben der Menschen, doch läßt sich diese
Frage bis jetzt anscheinend nicht so behandeln wie
manche Fragen der Logik. Diese "Unreife" ethischer
Probleme zeigt sich in mehreren Symptomen, z.B.
den folgenden:
(a) Zentrale ethische Begriffe (wie "Handlung",
"Moral", "Verantwortung", "Willensfreiheit" usw.)
sind bis heute überaus unklar geblieben. Nun ist
Klarheit, wie u.a. schon Popper bemerkt hat, durchaus "ein Welt an sich; Genauigkeit und Präzision
aber sind es nicht. ·Es hat keinen Sinn, genauer sein
zu wollen, als es unsere Problemsituation verlangt.l"?
So wertvoll es auch in der Ethik ist, Klarheit anzustreben, so ist in der derzeitigen Problemsituation
doch (noch) nicht an eine "logische Klarheit" bzw.
Genauigkeit zu denken.
(b) Wenn es zutrifft, daß Fortschritte im Denken
"nicht sosehr durch neue Lösungen als vielmehr
durch neue Fragestellungen bestimmt" sind" dann
sind wir in der Ethik noch nicht sehr weit, da die
heute diskutierten moralischen Prinzipien im wesentlichen auf die schon erwähnte Goldene Regel
zurückgehen; Kants (1785) kategorischer Imperativ
ist ebenso eine Weiterentwicklung davon wie Hares
(1955) Prinzip der Universalisierbarkeit moralischer
Normen oder Singers (1979) Prinzip der gleichen
Erwägung aller von einer Handlung Betroffenen.
Zwar ist denkbar, daß die Goldene Regel ein besonders fundamentales Prinzip ist, das bis heute immer
wieder bestätigt wurde, doch harren in diesem Fall
16
ARBEITSTEILUNG IN DER PHILOSOPHIE
darüber, was die Dinge sind, aber sie vermehrt unser
Wissen darüber, was die Dinge sein könnten."
Um zu diesen Möglichkeiten zu gelangen, müssen
wir immer wieder von den Gewohnheiten ausgehen.
Darum kann das, was gewöhnlich als Kern der Philosophie angesehen wird, nicht alles sein; sonst würde
die philosophische Diskussion nämlich auf bestimmte
Fragestellungen und Arten des Fragens reduziert,
d.h., der "Genpool" philosophischer Fragen würde
mangels Zugang an frischen Genen verarmen - ein
Phänomen, -das im biologischen Bereich als Problem
derInzucht bekannt ist.'! Ähnliches gilt auch für die
vorhin angesprochene philosophische Praxis, die als
zuständig für den Kontakt nach außen angesehen
wird (nicht zuletzt auch von ihren Vertretern). Wenn
wir die Durkheimsche Analogie ernst nehmen, dann
gehört zur philosophischen Tätigkeit ebenso wie zum
Handwerk auch der Kontakt mit den Kunden und die
Verantwortung diesen gegenüber. Eben danun darf
jedoch der Kontakt zum Kern der Philosophie nicht
abreißen; gerade die philosophische Praxis benötigt
die Vertiefung in der philosophischen Theorie, da sie
sonst. verflacht.. Etwas überspitzt können wir in Anlehnung an Kant also sagen: Philosophische Praxis
ohne philosophische Theorie ist blind, philosophische
Theorie ohne philosophische Praxis ist leer.
. (iii) Die Notwendigkeit einer Arbeitsteilung in der
Philosophie läßt sich weiter etwa auch am Problem
der Vermittlung von Begriffen und Ideen aufzeigen:
lnfolge der Differenzierung und Spezialisierung der.
Wissenschaften haben die einzelnen Disziplinen, ihre
Teildisziplinen, deren Subteildisziplinen usw. ihre
Terminologien entwickelt, die ihren jeweiligen Vertretern zur Kommunikation dienen, den Außenstehenden aber Probleme bereiten, und zwar nicht nur
dadurch, daß sie wesentliche Ausdrücke nicht verstehen. sondern auch und gerade dadurch, daß Ausdrükke, mit denen sie aus anderen Kontexten vertraut
sind, in einer Disziplin jeweils eine technische Bedeutung erhalten. Eine Fülle von Mißverständnissen
ist die Folge, vor allem dann, wenn ein Ausdruck, der
in einem bestimmten Kontext wohldefiniert ist, unmittelbar bzw. "naiv" in einen anderen Bereich übertragen wird.t? Nicht nur die Philosophie steht vor
. diesem Problem, sondern alle Teilbereiche der Gesellschaft. Besonders anschaulich zeigt etwa Ludwik
Fleck am Beispiel eines immunologischen Befundes,
wie sich ein und dieselbe Tatsache ändert, wenn
Immunologen miteinander sprechen, wenn sie den
Befund einem praktischen Arzt mitteilen und wenn
dieser wiedenunden Patienten davon informiert.P
Wie wir früher gesehen haben, stellt der Sprachgebrauch von Experten für sich ebensowenig ein
Problem dar wie der Umstand, daß sich die anderen
auf deren Kompetenz verlassen müssen. Und zwar ist
dies so lange kein Problem, wie eine "linguistische
Arbeitsteilung" im Sinne vonPutnani (1975:39)
besteht, d.h. "eine spezifische Kooperation" zwischen
den Angehörigen der "jeweiligen Teilmengen" einer
Sprachgemeinschaft. Ebendas ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht oder zumindest kaum der Fall.
Die Frage, ob eine Kooperation besteht, ist dabei
jedoch noch nicht das einzige Problem: Wie die Erfahrung zeigt, sind vielmehr Kooperation und Vertrauen
zwischen
den
Mitgliedern
der
Sprachgemeinschaft nicht in jedem Fall hinreichend
für eine erfolgreiche Kommunikation. In unserem
Fall gehört zur Arbeitsteilung auch ein "Katalysator",
d.h. jemand, der sich darum bemüht, von einer Sprachebene in die andere zu übersetzen bzw. dazwischen
zu vermitteln. Auch dafür haben wir eine Analogie in
der Biologie: Die Information der DNS wird bei der
31: In diesem Zusammenhang ist auch daran zu denken,
daß Wiltgenstein (1953: §593) "eine l Iauptursachc philosophischer Krankheiten" in "einseitiger Diät" sieht, d.h.
darin, daß wir unser "Denken mit nur einer Art von Beispielen" nähren. Auch dies ist ein Plädoyer lür Arbeitsteilung.
32. Wir brauchen etwa nur daran zu denken,auf welche
Weise physikalische Begriffe wie "Masse", "Iiucrgic",
17
"Kausalität" oder "Relativität" im Alltag verwendet
werden. Umgekehrt entstehen freilich auch Probleme,
wenn Ausdrücke aus dem alltäglichen Sprachgebrauch in
den wissenschaltliehen übernommen werden und dort
einen ganz anderen Sinn erhalten, Wie schon Willgenstein
(1967: §438) bemerkt hat, ist es z.B. in den Wissensehaften üblich, "Phänomene, die gcnauc Messungen
zulassen, zu definierenden Kriterien eines Ausdrucks zu
machen; und man ist dann geneigt zu meinen, nun sei die
eigentliche. Bedeutung ge(i/llden worden. l.inc Unmenge
von Verwirrungen ist aufdiese Weise entstanden." Dieses
Problem zcigt sich z. H. in der Art, wie 'Denken'. 'Intelligenz' und andere Ausdrücke der "Alltagspsychologic''
in
der modernen
wissenschaftlichen
Psychologie
verwendet (bzw, auf das alltägliche Verhalten der Mensehen rückprojizicrt) werden. Ich gehe darauf in Neumaler
(1987) etwas ausführlicher ein.
33. Vgl. Fleck (1935:150rJ). Ein zusätzliches Problem
besteht laut Fleck (1935) darin, daß wir mit der Vertiefung
in ein Problem zunehmend von einem Denkstil abhängig
werden, Dies hat u. a. zur Folge, daß Menschen, die ein
Problem aus verschiedenen Perspektiven betrachten, dabei
unterschiedliche "Tatsachen" sehen. hn Grund für die
Notwendigkeit der Vermittlung theoretischer Inhalte ist
mi t anderen Worten in der Thcoricabhiingigkeit von
Begriffen bzw. in den unterschiedlichen Graden dieser
Abhängigkeit zu sehen.
KRITERION
Reduplikation nicht direkt auf eine andere DNS .die aber nur gemeinsam erreicht werden können. In
diesem Sinne sind wir alle aufeinander angewiesen.
übertragen, sondern zunächst durch einen .RNSWie schon Durkheim (1893: 394f) erkannte, könStrang abgelesen und von diesem weitergegeben, und
nen wir uns als Mitglieder einer solchen Gezwar anscheinend deshalb, weil dies zuverlässiger
und weniger aufwendig ist als eine direkte Infonnati-. meinschaft von Verschiedenen sogar individuell mehr
entfalten, als wenn wir einen philosophischen Binonsübertragung.
Demnach ist bei philosophischen (bzw. wissen- .'zelkampf führen. Dies hängt u.a. damit zusammen,
daß uns die Spezialisierung im Rahmen eines größeschaftlichen) Theorien nicht nur der Zusammenhang
ren
Organismus mehr Flexibilität erlaubt: "Solange
ihrer Entstehung zu berücksichtigen, und auch nicht
die wissenschaftliche Tätigkeit noch nicht spezialinur der Kontext ihrer Rechtfertigung, sondern auch
siert war, konnte der Gelehrte, da er ja fast die geder Kontext der Vermittlung, und zwar nicht nur der
samte Wissenschaft umfaßte, seine Tätigkeit kaum
internen Vermittlung zwischen den Angehörigen
ändern, denn damit hätte er auf sie selber verzichten
verschiedener "Zweige" des theoretischen Untermüssen. Heute kommt es oft vor, daß er sich hinternehmens, sondern auch der externen Vermittlung von
einander verschiedenen Wissenschaften widmet, daß
Einsichten nach "außen", also an Menschen, die
er von der Chemie zur Biologie überwechselt, von
diesen Bemühungen nicht notwendigerweise naheder Physiologie zur Psychologie, von der Psychologie
stehen. Esistm.a.W. notwendig, die Annahmen und
zur Soziologie." Diese Möglichkeit beruht auf der
Ergebnisse auf einer Ebene in eine Sprache zu übersetzen, die andere Menschen (mit anderen' HinterVoraussetzung, daß sich auch andere Menschen um
Aufgaben innerhalb einer solchen arbeitsteiligen
grundannahmen) verstehen und auf eine Weise
Gesellschaft kümmern" Allerdings ist mir natürlich
interpretieren können, die den Intentionen jener, die
sie äußern, grundsätzlich entsprechen. Wer sich wn
bewußt, daß die philosophisch Tätigen insgesamt de
diese Vermittlung bemüht, übt im Rahmen der wisfacto nicht unbedingt eine Gemeinschaft im Sinne
senschaftlichen Arbeitsteilung eine philosophische
von Durkheim bilden. Und wo sich "philosophische
Tätigkeit aus.
Zellen" bilden, spielt den früher angestellten Überlegungen zufolge die Ähnlichkeit ihrer Elemente oft
eine größere Rolle als der Gedanke, daß sie einander
6. Ziele der philosophischen Tätigkeit
in ihrer Unähnlichkeit ergänzen können. Indes liegt
der Gemeinschaftsgedanke aus mehreren Gründen
All diesen Überlegungen liegt die Frage zugrunde,
nahe:
wozu die philosophische Tätigkeit überhaupt dient.
(i) Retrospektiv betrachtet ist das, was wir als PhiAuf diese Frage sind zahlreiche Antworten möglich,
losophie bezeichnen, gewöhnlich nicht das Ergebnis
von denen vermutlich mehrere legitim sind. Ebenso
der Tätigkeit einzelner Individuen, sondern des
wie Künstler ihre Werke oft für sich selbst schaffen,
(beabsichtigten oder unbeabsichtigten) Zusamsteht es etwa Menschen zu, um ihrer selbst willen
menwirkens von Generationen philosophisch tätiger
philosophisch tätig zu sein. In diesem Sinne können
Menschen, von Philosophen, welche die Arbeiten
wir die Philosophie als Summe rein individueller
voneinander lesen, ihre jeweiligen Ansichten miteine
Bemühungen danun ansehen, woran jedem' einzelnen
ander diskutieren usw. 35 Das heißt: Philosophen wa-.
jeweils liegt. Aber: So persönlich das Schaffen von
ren nie die einzigartigen Geisteshelden, als die sich
Künstlern oder Handwerkern motiviert sein mag, so
zwnindest manche von ihnen sehen.
kann es doch auch zugleich im größeren Rahmen der
künstlerischen oder wirtschaftlichen, der gesell34, Auch Wittgeristein hat in diesem Rahmen seine Interschaftlichen oder politischen Entwickltmg gesehen
essen sukzessive von der Technik auf Mathematik, Logik
und Philosophie verlagert. In diesem Sinne widerlegt er
werden. Ähnliches gilt für die Philosophie: Wenn wir
zunächst von dieser ausgehen und sie als Ganzheit praktisch seine theoretische Annahme, der Philosoph sei
"nicht Bürger einer Denkgemeinde. Das ist, was ihn zum
sehen, dann ergibt sich die Notwendigkeit der ArPhilosophen macht" (vgl. Wittgenstein 1995: 173).
beitsteilung, dann ergibt sich, daß wir uns als Ange35. In diesem Zusammenhang ist etwa an Poppers (1963)
hörige einer größeren Gemeinschaft sehen, die im
Bild der kritischen Tradition jeglicher W isscnschaft
Dienste der Philosophie zusammenwirken. Die philoebenso zu denken wie an Flecks (1935) Vorstellung vom
Denkkollektiv oder Kulms (1962) These, daß wissenschallsophisch Tätigen teilen sich so gesehen die Aufgabe,
liehe Erkenntnis jeweils an ein Paradigma gebunden ist,
das Ganze der Philosophie zu fördernbzw. Ziele zu
wobei die verschiedenen Paradigmata miteinander kaum
erreichen, die für jeden und jede davon wertvoll sind,
vergleichbar sind.
18
ARBEITSTEILUNG IN DER PHILOSOPHIE
(ii) Prospektiv gesehen liegt die Bildung philosophischer Gemeinschaften, deren Mitglieder einander ergänzen, aus der Einsicht in die Möglichkeiten nahe, die sich aus der Arbeitsteilung ergeben.
Der intensive Austausch einer Vielfalt von Infonnationen hat wohl nicht nur einen Erkenntnisschub zur Folge, sondern die Mitglieder einer solchen
Gemeinschaft dürften durch die Einsicht, daß sie in
ihren Grenzen und Unterschieden aufeinander angewiesen sind, auch anders miteinander umgehen, als
dies hin und wieder zu beobachten ist.
Aus der Untersuchung, was sich ergibt, wenn die
philosophisch Tätigen in einer Gemeinschaft arbeitsteilig zusammenwirken, folgt demnach, daß
Arbeitsteilung in der Philosophie erstrebenswert ist.
Wenn die Philosophie auf Arbeitsteilung beruht, dann
erweist sich u.a. auch Durkheims Annahme als unplausibel, daß die Integration als philosophische
Tätigkeit nicht länger möglich sei. Laut Durkheim
(1893: 430) wird die Philosophie durch zunehmende
Arbeitsteilung immer weniger fähig, "die Einheit der
Wissenschaft zu sichern. Solange ein und derselbe
Geist die verschiedenen Wissenschaften meistern
konnte, solange war es möglich, die nötige Kompetenz zu erwerben, um deren Einheit. wiederherzustellen. In dem Maß aber, in dem sie sich spezialisieren,
können diese großen Synthesen kaum mehr sein als
verfrühte Verallgemeinerungen", da es den Menschen immer weniger möglich ist, "eine genügend
genaue Kenntnis jener unendlichen Vielfalt der Phänomene, Gesetze und Hypothesen zu haben, die sie
zusammenfassen müssen." Im Rahmen der Arbeitsteilung ist dies indes auch gar nicht nötig: Wer sich
als Mitglied einer arbeitsteiligen Gesellschaft von
philosophisch Tätigen um die Integration von Forschungsergebnissen bemüht, muß ja im Sinne von
Durkheim (1893: 442) nicht alles wissen, sondern es
genügt, daß er oder sie den Problemhorizont
"hinreichend weit überblickt." Die Integration der
Ergebnisse empirischer Wissenschaften zu einem
Gesamtbild der Welt ist also weiterhin eine philosophische Tätigkeit; sie bedarf jedoch ihrerseits einer
vielfältigen Arbeitsteilung der damit Beschäftigten,
damit sie erfolgreich sein kann.l''
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36. Dieser Text ist eine überarbeitete, teils gekürzte und
teils ergänzte Fassung eines Vortrages, den ich am Institut
für Christliche Philosophie der Universität Innsbruck
gehalten habe. Für Kritik und andere .wcrtvollc Anregungen danke ich den Teilnehmern an der Diskussion zu
jenem Vortrag, insbesondere Winfricd Löffler; Dank
schulde ich weiter auch Rupprecht und Sicgrid DUII sowie
Ingo W. Rath.
19
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20
KRITERION, Nr.8 (1994), pp.21-39
Stephan Landolt
NIETZSCHES METAPHYSIK-SKIZZE: "DER WILLE ZUR MACHT"
UND DIE BEZIEHUNGEN DIESER SKIZZE ZU DEN
ZEITGENÖSSISCHEN NATURWISSENSCHAFTEN
ehen; sie konstruieren eine Kraftpunkte-Welt (U2
(347; 368».
1.2 Die Kraftzentren sind keine ruhenden Punkte
"in gleichen Ruhe-Strecken" (U2 (350», Nur das
(Gesamt-) Maß der Kraft ist fest - siehe bestimmte
Zahl von Kraft-Zentren! - das "Wesen der Kraft aber
ist flüssig" (U2 -(305». "Die Kraft karm nie ruhen"
(U2 (350».
1.3 Es gibt nur eine einzige Kraft-Art: Nietzsche
spricht von "WzM" meistens im' Singular; er meint
damit aber die Art der Kraft; seine Rede ist intensional. "Alle treibende Kraft ist WzM; es gibt keine
Kraft außer dieser" (III: 473; 750). "Die Welt ist
WzM und nichts außerdem" (Il: 601; 1II: 917). "Es
gibt keine physische, dynamische oder psychische
Kraft außerdem" (1II: 750; vgl. auch: an P. Gast,
20.3.1882 (lIl: 1178». Es gibt also nur eine KraftArt, und damit nur eine Art des WzM, aber Pluralität
von Kraft-Zentren oder Kraft-Quanta.
104 Die Energie der Kraft-Zentren scheint aber
nicht bei allen gleich zu sein. Nietzsehe: Gesetzt, es
gäbe eine völlig gleichmäßige Kontraktions-Eriergie
in allen Kraft-Zentren des Universums: Woher käme
die Verschiedenheit? - Das All wäre in völlig gleiche
Daseins-Kugeln, gleiche Welten nebeneinander aufgelöst. Die tatsächliche Unordnung widerspricht dem
(vgl. U2 (328». Nietzsehe diskutiert die Inhomogenität der Verteilung und damit die ungleiche Gravitationsleistung aber nicht.
1.5 Die Kraft/Willens-Quanta "sind die elementarsten Tatsachen ", aus denen "sich erst Werden und
Wirken ergibt [...)" (1II: 778). Der WzM ist "das
letzte Faktum, zu dem wir hinunter können";
"Urfaktum aller Geschichte" (Il: 729 (259».
1.6 Die Kraft-Quanta/Willens-Quanta sind ungeworden. Der WzM kann nicht geworden sein (vgl.
III: 690). Gott ist nicht der Schöpfer des WzM, nicht
die treibende Kraft, sondern "Maximalzustand einer
Epoche; ein Punkt in der Entwicklung der (WzM-)
Organisation" (1II: 585). An Stelle Gottes sind also
alle Kraft-Quanta die "ersten Beweger". Oder: "Gott
die höchste Macht - das genügt! Aus ihr folgt alles,
aus ihr folgt - 'die Welt'! " (III: 602). Nietzsches
mythische Metapher dafür: Dionysos (1II: 916f).
1.7 Die Kraft/Willens-Quanta sind "erste Bewegd'; Gründe aller Veränderung: Es ist keine Verän-
Einleitung
Nietzsches Programm einer Metaphysik des Willens
zur Macht - in der Folge abgekürzt: WzM - ist
Skizze geblieben und in einer Unzahl von Aphorismen- und Essay- Torsi, größtenteils in den nachgelassenen Texten der 80-er Jahre, verstreut. Es ist
schwierig, diese Skizze systematisch zu rekonstruieren. Meine Arbeit hat drei Teile: Im ersten Teil versuche ich eine systematisierende Rekonstruktion vom
WzM. Ich versuche zwei verschiedene Sprachverwendungen zu unterscheiden: eine psychoide und
. eine quasi-physikalistische. In zwei Exkursen nehme
ich Bezug auf RJ. Boscovich und auf Leibniz und
Schopenhauer. Im zweiten Teil versuche ich den
Anspruchs-Status der WzM-Spekulation herauszuarbeiten: Hypothese oder dogmatische Metaphysik. Im dritten Teil will ich zeigen, daß Nietzsehe seine
metaphysische WzM-Hypothese ständig mit den
zeitgenössischen Naturwissenschaften, vor allem mit
der Physik und Biologie konfrontiert. - Am Ende der
Arbeit gehe ich auf WzM-Spurensuche in die 70-er
Jahre.
1. Was versteht Nietische unter "Wille zur Macht"?
Nietzsche gibt weder in den von ihm selbst publizierten noch in den nachgelassenen Texten eine explizte
Definition von "WzM". Ich versuche eine systematisierende Darstellung, die sich eng an die Texte hält:
1.1 W:::M ist Kraft, kein - (materielles, konstantes)
Ding. Das, was wir naiv realistisch "materielle
Dinge" nennen, Lebewesen und deren soziale Organisationen eingeschlossen, sind Kräfte-Organisationen, (instabile) Kräfte-Systeme mit organisierenden
Zentren. Die "Elemente" dieser Organisationen (der
"Dinge")
sind
selber keine
Dinge,
keine
"Klümpchenatome" (Demokrit, "physische" Atomisten), sondern "dynamische Quanta" (vgl. U2 (366);
III: 778». Die Kraftquanta sind also keine
"physikalischen" Atome. Die Atome sind erdichtet.
Fiktionen (vgl. U2 (338». Die Annahme von Atomen
ist nur eine Konsequenz des Substanzbegriffs: ein
Ding-Konstrukt, dem wir die Tätigkeit zuordnen (vgl.
U2 (358». Die mathematischen Physiker können die
"Klümpchenatome" für ihre Wissenschaft nicht brau-
21
KRITERION
derung denkbar, bei der es nicht WzM gibt (1II: 775).
Kraft-Quanta/WzM sind die elementarsten Tatsachen. aus denen sich erst Werden und Wirken ergibt
(1II: 778). Alles Werden, alles Wirken impliziert
WzM; es gibt keine "erste Ursache" außer diesen
Kraft-Quanta. - WzM ist die bewegende Ursache in
allen Bereichen des Kosmos (Physik, Chemie, Biologie, Psychologie, soziale Systeme, Kultur) - vgl. III:
775f; 11: 60 I (36).
Seitenblick zu Aristoteles: Nietzsehe erwähnt zwar
Aristoteles nie im Zusammenhang mit seiner WzMSpekulation. einen Hinweis halte ich aber dennoch
für angebracht. Nach Aristoteles kann das' Seiende
u.a. auch als Dynamis (Kraft. Vermögen, Macht,
Fähigkeit) aufgefaßt werden (vgl. .Metaphysik V:
1017b). Dynamis ist "Prinzip der Bewegung und
Veranderung'{arche metaboles). Im einen, hauptsächlichen Sinn: das Tätige: x verändert y; im anderen Sinn: die Affektions- oder Leidensfähigkeit. y
wird (von x) verändert. Tun (poiein) und Leiden
(pas'chein) somit eine Verhältniseinheit. Beispiel:
Die Hitze entzündet - das Öl ist brennbar. - Die
Krattverhältnisse reichen - zumindest theoretisch vom höchsten Kraftmaß bis zur Kraftlosigkeit
(adynamia, irnporentia, steresis (=Privation)). Die
Dynamis- Verhältnisse sind Prinzip des Entstehens
(genesis) unel des Vergehens (phthora), eies Werdens.
Veränderung ist der Übergang vom Vermögen in die
Wirklichkeit (energeia). (vgl. Metaphysik: 1019b1021a; 1042b; 10Mb; 1045b-I046a; 1065b-1066a;
I069b). Auch Aristoteles deutet somit die Beziehungen der seienden Dinge in einer Hinsicht als Kräfteoder Machtverhältnisse. Und wie bei Nietzsche ist
Dynamis der Grund (arche) aller Veränderung. des
Werdens und der Wirklichkeit.
1.8 IJie Anzahl-der Kraft-Zentren istfinit: Die Welt
besteht aus einer bestimmten Zahl von Kraft-Zentren.
Sie erzeugen eine bestimmte Zahl von Kombinationen (vgl. U2 (323)). Die Welt als Kratt könne nicht
unbegrenzt sein; eine unendliche Kraft ist mit dem
Begriff "Kraft" unverträglich (vgl. U2 (303); III:
916).
1.9 Kraft/Wztd besteht in Relationen: "Es wirken
Kraft-Quanta, deren Wesen darin besteht, auf andere
Kraft-Quanta Macht (Kraft) auszuüben" (III: 776).
"Die dynamischen Quanta stehen in Spannung zu den
anderen Quanta." (U2 (367)) "[...] jedes Atom (d.h.
hier: jedes Kraft-Atom, jedes Kraftzentrum) wirkt in
das ganze Sein hinaus - es ist weggedacht, wenn man
diese Strahlung von Machtwillen wegdenkt. Deshalb
nenne ich es ein Quantum Wille zur Mac ht." (III:
776f). Angenommen, das Universum bestünde aus 3
Kraft-Quanta, dann hat jedes dieser 3 zwei von ihm
aus wirkende Kraft-Beziehungen; bei 4 wären es drei
Macht-"Strahlen"; bei 5 vier, die jedes zu den. übrigen hat, usw.; Elemente (Kraftzentren): n; Beziehungen von jedem zu den andern: n-1. Man kann das
"Macht-Extension" nennen.
1.10 Die Beziehungen bestehen in Stärke-Graden:
Ein Machtquantum ist bezeichnet durch die Wirkung,
die es ausübt und durch die, der es widersteht. Es gibt
keine "Adiaphorie", d.h. keine Neutralität (U2 (368);
vgl. auch: III: 457; 490; 522fT; 705 f; 775-77). Jedes
Kraftzentrum "mißt, betastet und gestaltet die übrige
Welt an seiner Kraft" (U2 (369)): Kraft- oder MachtIntensität.
1.11 Die Veränderung im Universum impliziert die
Existenz von mehr als einem Kraft-Qutuu:
"Veränderung geschieht im Übergreifen von einer
Macht auf die andere Macht" (U2 (38)). Dabei wird
jedes Macht-Quant selbst in seiner Kraft verändert.
"Gesetzt, die Welt verfügt über ein Quantum von
Kraft, d.h. 1.8: eine feste Anzahl von Kraftzentren
und Energiekonstanz (U2 (3 10); Energieerhaltungssatz: U2. (325)), so liegt auf der Hand, daß jed~
Machtverschiebung an irgend einer Stelle das ganze
System bedingt" (U2 (304)).
Nietzsehe erklärt die Veränderung ähnlich wie
Leukipp. Demokrit und Anaxagoras: durch die Vielheit der Atome, deren Bewegung und deren Kombination bzw. Mischung. Nietzsehe nimmt auf das
Veränderungs-Problem schon 1873, in seinem EssayTorso Die Philosophie im tragischen Zeitalter der
Griechen. Abschnitt 14. zu Anaxagoras, Bezug. Der
heraklitische "Kampf' der Gegensätze" wird ersetzt
durch die Kraft-Beziehungen der Kraftzentren. deren
Stärkegrade nicht alle gleich groß sind - siehe 1.4.
Dadurch ist vermieden, daß es nur symmetrische Beziehungsintensitäten gibt.
1.12 Veränderung impliziert: Es gib! niclu-gleicli
große Kraft-Beziehungen. Wenn es immer nichtgleich große Kraft-Beziehungen gibt, dann gibt es
kein absolutes Gleichgewicht. Das aber setzt weiter
voraus:
1.13, daß die Kraft eines Kraftzentrums VOll jedem
kleinsten Moment zu jedem kleinsten unterschiedlich
ist. Nietzsehe spricht diese Voraussetzung im Nachlaß der 80-er Jahre nicht explizit aus; er scheint sie
aber implizit zu machen. Sie kommt im "Streben
nach Machtmehrung" und in der "Macht- Venninderung" zum Ausdruck (vgl. z.B. U2 (337)). Es gibt
"vielleicht eine Zeiteinheit, welche fest ist. Die
Kräfte brauchen bestimmte Zeiten, um bestimmte
Qualitäten zu werden" (U2 (355)). In der sog.
22
NIETZSCHES METAPHYSIK-SKlZZE: "DER WILLE ZUR MACHT"
(semantisch) i. Stufe für uns. Die Übersetzung in intersubjektive Sprachen sind Metaphorisierungen
(semantisch) 2. Stufe, vgl. WL (1873). Aus solchen
Metaphern plus mathematischen Überlegungen (von
Boscovich u.a.) wird heuristisch das theoretische
Konstrukt "Kraft-Zentrum" errichtet - als Alternative
zu
Fiktionen wie "Ding", "Substanz" und
"Klümpchenatom" .
"Zeitatomenlehre" vom März!April 1873 spricht er
die Voraussetzung der Kraftänderung viel deutlicher
aus:
(I) "Nehmen wir das Wirkende in der Zeit, so ist das in
jedem kleinsten Zeitmoment ein Verschiedenes. Das
heißt: Die Zeit beweist das absolute Nichtbeharren einer
Kraft. Alle Raumgesetze [... ] zeitlos gedacht, das heißt
[... ] gleichzeitig und sofort [... ] die ganze Macht in einem Schlage. Dann abergibt es keine Bewegung".
(2) "In jedem kleinsten Moment müßte die Kraft verschieden sein: aber die Aufeinanderfolge wäre in irgendwelchen Proportionen und die vorhandene WeIL
bestünde in der Sichtbarwerdung dieser Krall-Proportionen, d.h. Übersetzung.ins Räumliche."
(3) "Gewöhnlich nimml man in der alomist(ischen)
Physik in der Zeit unveränderliche Atom-Kräfte an, also
onta im pannenid(eischen) Sinne. Diese können aber
nicht wirken. Sondern nur absolut veränderliche Kräfte
können wirken, solche, die keinen Augenblick dieselben
sind. Alle Kräfte sind nur Funktionen der Zeit." I
Exkurs: zu Roger Joseph Boscovich (1711-1787).
Der Kroate Boscovich versuchte ein naturphilosophisches System zu entwickeln, das die Grundgedanken
von Leibniz und Newton vereinigen sollte.' Nietzsehe hat Boscovichs Philosophia naturalis Theoria
1873 und 74 gelesen. In den 80-er Jahren betont
Nietzsche mehrfach, daß er Boscovich für einen der
großen Wendepunkte hält. Boscovichs Lehre ist ihm
die Alternative zur mechanistisch-materialistischen
Weltanschauung (vgl. U2 (5; 347; 357);, II: .576f;
581): Seit Boscovich gibt es keinen Stoff mehr, -außer
als populäre Spracherleichterung: llI: 1178. Die Annahme erfüllter Atompunkte ist für die strengste Wissenschaft der Mechanik unbrauchbar: III: 1211f.
Schwere und vis inertia sind keine Eigenschaften der
Materie, sondern eine Erscheinungsform der Kraft.
Das Vorurteil von "Stoffen" ist widerlegt - und zwar
nicht durch einen Idealisten, sondern durch einen
Daraus ergibt sich: Nietzsehe faßt die Kraft-Zentren
dynamisch: Ihre Kraftgrade ändern sich von Zeitpunkt zu Zeitpunkt. D.h. die Veränderung findet bei
jedem einzelnen Kraftzentrum statt. Die Veränderung
der Kraftgrade wird auf dieser Ebene nicht mehr
"erklärt" , .sie wird postuliert. Die Kraftzentren sind
"von selbst" aktiv. So sind sie die Gründe aller Veränderung in den Kraft-Beziehungen und damit in den
. Organisationen der Kraftzentren.
1.14 Das Geschehen ist nicht -deterministisch:
"sondern bloß der Ausclmck dessen, daß das Unmögliche nicht möglich ist; daß eine bestimmte Kraft [...]
sich an einem Quantum Kraftwiderstand (sich) nicht
anders ausläßt, als ihrer Stärke gemäß ist." (U2
(310)). - Das Entstehen der mechanischen Welt
könnte ein gesetzloses Spiel sein, "welches endlich
ebensolche Konsistenz gewänne wie jetzt die organischen Gesetze für unsere Betrachtung. So daß alle
unsere mechanischen Gesetze nicht ewig wären,
sondern geworden _unter zahllosen andersartigen
mechanischen Gesetzen, [...] Es scheint, wir brauchen ein Belieben, eine wirkliche Ungesetzlichkeit,
nur eine Fähigkeit, gesetzlich zu werden, [...]" (vgl.
U2 (328 und 319: "Chaos"; llI: 540).
1.15 Sind Kräfte (empirisch) konstatiert? - "Nein,
sondern nur Wirkungen, übersetzt in eine völlig
fremde Sprache. Das Regelmäßige im Hintereinander
hat uns .. verwöhnt" (U2 (307). " 'Veränderungen'
sind nur Erscheinungen (oder Sinnesvorgänge für
uns)" (U2 (308))2 Sinnesvorgänge sind Metaphern
ansieh" und "Erscheinung" ist unhaltbar; er impliziert die
Konzeption eines "Subjekts an sich", aber das Subjekt ist
fingiert (vgI.IlI: 540). "Das 'Ding an sich' ist widersinnig.
Wennich alle Relationen, alle 'Eigenschaften', alle 'Tätigkeiten' eines Dinges wcgdcnkc, so bleibt nicht das Ding
übrig" (II1: 563). "Die Eigenschaften eines Dinges sind
Wirkungen auf andere 'Dinge', denkt man andere Dinge
weg, so hat das Ding keine Eigenschaften; d.h, es gibt
keine Dinge ohne andre Dinge, d.h. es gibt kein 'Ding an
sich' " (II1: 503; vgl. auch: 863; 970). Subjekt - Objekt
sind "Schlingen der Grammatik (der Volks-Metaphysik)"
[... J wir "erkennen" bei weitem nicht genug, um zwischen
"Ding an sich" und "Erscheinung" scheiden zu dürfen (vgl.
11: 222 FW (354)). Nictzschc vertritt einen Phänomenalismus und Perspektivismus; d.h. "die Welt, derer wir bewußt
werden können, ist nur eine Oberflächen- und Zeichenwelt.
eine verallgemeinerte, eine vergemeinorte Wclt[ ... ] Zeichen, Herden-Merkzeichcn 1... [" (vgl. 11: 2211) In der
These von der Wahrnehmung als Zeichen - nicht als Abbildung - trifft sich Nictzschc mit Hermann v. I-Ielmholtz
(1879:181). Um aber behaupten zu können, daß die Wahrnehmung Zeichencharakter hat, muß man auch ein bewußt
kognitiv konstruierendes Tier sein. Phänomenalismus ist
m.E. naiv, von andere I} Schwierigkeiten einmal abgesehen,
nicht möglich.
3. De viribus vivis, 1745 und Philosophiae naturalis
Theoria -redacta ad unicam legem virium in natura
existentium, Vicnnae 1759.
1. zit. aus Schlechta/Anders (1962): 141-144.
2. Nietzsche verwirft aber den Kant'schcn Dualismus von
"Ding an sich" und "Erscheinung". Der Gegensatz "Ding
23
KRITERION
Boscovichs Theorie ist offensichtlich. Indem Nietzsehe den Kraftzentren auch noch psychoide Qualitäten zuschreibt, erhalten sie eine gewisse Ähnlichkeit
zu den Leibniz-Monaden. - siehe unten: Exkurs!
Mathematiker, durch Boscovich: III: l178f, an P.Gast
20.3.82. Nietzsche spricht an allen Stellen mit größter Hochachtung von Boscovich. Nietzsche ist u.a.
offensichtlich von Boscovichs Elementa-Theorie fasziniert. Der Zusammenhang zwischen der ElementaTheorie und Nietzsches Kraft/Machtzentren-Spekulation ist noch nicht herausgearbeitet worden." - Ich
versuche kurz· Boscovichs Elementa-Theorie (nach
der Darstellung von Anni Anders, Mathematikerin/Physikerin - in: SchlechtaiAnders (1962» zu
skizzieren:
Boscovich nimmt erste (nicht-materielle) Elemente
eier Materie - "prima elementa materiae" - an. Diese
. Elementa sinel einfache.tunausgedehnte Masse-Punkte. Sie unterscheiden sich von bloß mathematischen
Punkten durch reale Eigenschaften der Trägheit - vis
inertia - und durch wechselseitig aktive Kräfte, mit
deren sie aufeinander wirken. Die Kraft/Masse-Punkte bewegen sich nach den Newtou'schen Gesetzen.
Die Entfernungen zwischen den Masse-Punkten sind
reale; d.h. bestimmte, endliche Distanzen, denn alle
unendlich großen oder unendlich kleinen Quantitäten
sind unbestimmt; sie haben keine feste Zahl. - Das ist
ein Argument, das auch Nietzsche mehrfach anführt:
III: 459: WM 1064. - Haben aber alle Kraft/MassePunkte nur endliche Entfernungen von einander, dann
muß auch ihre Anzahl endlich sein. Die reale Welt ist
daher endlich - eine These, die auch Nietzsche wiederholt vertritt, siehe oben: 1.8; sie ist auch eine
wesentliche Prämisse auch seiner Ewigen-Wiederkehr-Spekulation. - Die Masse-Punkte konstituieren
die Materie des ganzen Universums durch ihre Repulsivkraft bei sehr kleinen und durch die Attraktionskraft bei großen Entfernungen. Mit Hilfe dieser
Eigenschaften der Masse-Punkte versucht Boscovich
die physikalischen und chemischen Phänomene, die
Kohäsion, die Elastizität und die chemische Affinität
zu erklären. Die Boscovich-Masse-Punkte sind in
ständiger Bewegung. Sie oszillieren ständig um einen
"limes cohaesionis", zwischen Abstoßung und Anziehung. Auch Nietzsches Kraft-Zentren sind keine
ruhenden Punkte - siehe 1.2. - Die Analogie zwischen . Nietzsches Kraftzentren-Spekulation und
1.16 Warum nennt Nietssehe die Kraft ."Wille zur
Macht"? - "Die einzige (Art) von Kraft, die es gibt,
ist gleicher Art wie die des Willens." (III: 473). "Der
siegreiche Begriff 'Kraft', [...], bedarf noch einer Ergänzung: es muß ihm ein innerer Wille zugesprochen
werden, welchen ich bezeichne als 'Willen zur
Macht', d.h. als unersättliches Verlangen nach Bezeigung der Macht" (III: 455). "Die Essenz der Welt
ist Wille zur Macht" (III: 494). "Der intelligible Charakter der Welt; die Welt von innen: Wille zur
Macht" (II: 601 JGB (36».
1.16.1 Nietische verwendet zwei Sprachen.; eine
physikalistische und eine psychoide; JGB(36) zeigt
das sehr deutlich. Für die "äußere Seite" die physikalisch-mathematische: "Kraft", "Gesetz", "KraftQuanta", "Mechanismus" u.a .. Die physikalistische
Sprache hat, so scheint es, zwei "Schichten": die
erste, elementare Schicht enthält Vokabeln wie
"Kraftzentrum",
"Kraft",
"Kraft-Quantum",
"Kraftatom" (III: 458); "Quantum Kraftwiderstand'';
"Zahl an Kraftzentren" "Quantitäten", "dynamisch"
etc. Die zweite enthält Ausdrücke wie "Gesetz",
"Mechanismus", "Kausalität", (physikalisches, materielles) "Atom", "Klümpchenatom" etc. Von diesem
Vokabular der zweiten "Schicht" betont Nietzsche
sehr häufig die fiktionale Funktion,
Für die "innere Seite" benutzt Nietzsche ein Vokabular, das aus den psychosozialen Bereichen stammt.
Der meßbaren Repulsion, der Abstoßungskraft,
spricht er z.B. einen Willen zu, "sich gegen die
Macht zu wehren" (vgl. U2 (364». Für die
"Innenseite" finden wir z.B, folgende Ausdrücke:
"Wille", "Wille zur Mache, "Macht", "MachtwilIen": U2 (368), "Kampf', "primitiver Affekt": 11:
600f; III: 750; "Pathos" (ebd.), "Verlangen": IlI: 455,
"Begehren": U2 (337), "Streben nach Macht": U2
(38), "der Wille allein ist unsterblich": U2 (10);
"konspirieren": U2 (369); "Qualität", "Vergewaltigung": U2 (368), "Wahrnehmung": U2 (80f), etc.
Die physikalistische Sprache der ersten "Schicht" und
die psychoiden Ausdrücke sind Vokabular für die
Basisebene, für die unterste ontologische Schichte.
Davon ist das Vokabular für die höheren Schichten
zu unterscheiden, wie z.B. "Wille" in unserem normalen
psychologischen
Sinne;
"Trieb",
"Selbsterhaltungstrieb" u.a. Solche Ausdrücke bedeu-
4. V. Gerhardt (1992: 184) streift diesen Kontext nur. Zu
korrigieren ist: Boscovichs Theorie ist keine "ZeitatomenLehre", sondern Nietzsche hat die Boscovich-Lektüre ftir
seine Skizze einer "Zeitatomenlehre" benutzt und zwar für
erkenntnistheoretische Zwecke! - SieheSchlechta/Anders
1962: 127-153. Nietzsche spricht in den 80-er Jahren,
wenn er Boscovich erwähnt, nie von seiner "Zeitatomen"Skizze von 1873, sondern immer vom Kraft- bzw. Materieund Mechanik-Problem.
24
NIETZSCHES METAPHYSIK-SKIZZE:. "DER WILLE ZUR MACHT"
ten Fiktionen: "Es gibt keinen Willen, es gibt nur
Willenspunktationen" (III: 685).
Es gibt auch gemischte Ausdrücke aus beiden
Sprachen, z.B.: "Macht-Quant": U2 (362), "Grad von
Übermacht": U2 (368); "Kraftquanta, die Macht
ausüben"; "Willens-Quanta": III: 776.
1.16.2 Das Verhältnis der beiden Seiten und der
beiden Sprachen zueinander: Das Zwei-SeitenlZweiSprachen-Konzept erinnert, ohne die Analogie zu
weit treiben zu wollen, an Spinoza, an die beiden,
uns zugänglichen ewigen Attribute der einen Substanz - Gott - nämlich an die Attribute "Denken (+
Affekte)" und "Extensio", - Die Kraft-Zentren wären
"ständig oszillierende Götter" - Nietzsehe ordnet
ihnen ebenfalls (ewige) Attribute als wesentliche,.
d.h. konstitutive zu: Qualität (innen) und Quantität
(außen). Die Kraftzentren als Macht-Quantitäten
stehen in intensitätsvariablen Relationen zueinander,
sie affizieren (und modifizieren) sich und erzeugen
Raum und Zeit, die Extensio. Würden alle Kraftbzw. "Willenspunktationen" in einen Punkt - eine
. "Singularität" - zusammenstürzen, verschwände die
Welt und damit Raum und Zeit. 1873, in der "Zeitatomenehre" , hat Nietzsehe nebenbei solche Gedanken entwickelt (!) (vgl. Schlechta/Anders (1962):
141f).
(A) Dem "inneren" Attribut ordnet Nietzsche, wie
gezeigt, eine "psychoide Sprache", psychoide Aussagen zu:
(I) WzM als Qualität: Die Reduktion aller Qualitäten auf Quantitäten ist Unsinn. Eine rein quantitati ve
Welt wäre unbewegt (II1: 485). "Die Qualität bei jedem chemischen Werden erscheint nach wie vor als
ein 'Wunder', ebenso jede Fortbewegung; niemand
hat den Stoß erklärt" eIl: 120 FW (112».5 Nietzsehe
meint, man müsse die Kräfte als "quale" auffassen:
"Aus einem quale heraus erwächst das Verlangen
nach einem Mehr von quantum [...]" (II1: 485). Andererseits, auf der zweiten, der phänomenalen Sprachebene, meldet Nietzsehe Skepsis gegen die Qualitäts5. Der Stoß war (u.a.) auch 13oscovichs (1711-1787) Problem. Um die Allgemeingültigkeit des Gesetzes von der
kontinuierlichen Geschwindigkeitsänderung aufrecht erhalten zu können,. führte.er hypothetisch dieI Repulsivkrall zur
Lösung dieses Problems ein. Die wechselseitig und gegensinnig wirkenden Repulsivkräfte zweier Körper verhindern eine unmittelbare Berührung. Die Geschwindigkeitsänderung ist über eine kurze Zeitspanne vor der Berührung
stetig und nicht sprunghaft ... Nictzschc hat das Problem
wahrscheinlich aus der Boscovich-Lcktürc und anderen
Lektüren übernommen (siehe Schlcchla/Andcrs (1962):
131).
25
Sprache an: Qualitäten sind perspektivische "Wahrheiten", alle unsere Empfindungen haften an Qualitäten. Qualität ist eine unübersteigliche Idiosynkrasie
(III: 914). Quantitätsdifferenzen empfinden wir perspektivisch für uns - als Qualitäten. Sie sind kein
Ansieh (II1: 861). Wenn ich Nietzsehe recht verstehe,
dann sind Empfindungs-Qualitäten ein Produkt von
Kräften. "Kräfte brauchen bestimmte Zeiten, um
bestimmte Qualitäten werden zu können" (U2 (355».
Den elementaren Kräften eignet aber das quale WzM
(vgl. II1: 504).
(2) Der (elementare)WzM besteht als "Willens-.
Punktation" - wahrscheinlich in Analogie zu "KraftPunkt", zum nicht-materiellen "Kraftzentrurn". - Die
W illens-Punktationen als elementare Qualitäten mehren oder vermindern ständig ihre Macht (vgl. II1:
685). ~Ganz verlieren können Sie diese nicht, sonst
würden sie inexistent.
(3) W=:M ist Absicht: "Anziehen" und "Abstoßen"
im mechanistischen Sinn ist für Nietzsche eine Fiktion. Wir können uns ohne Absicht ein Anziehen
nicht denken. Die Absicht ist Mehrung von Macht:
I1I: 500. "Absicht", "das wäre eine Interpretation, die
wir brauchen könnten, das 'verstehen' wir" (U2
(364»). - An dieser Stelle wird deutlich, daß die Absichts-Zuschreibung eine psychologische Ausdeutung
ist: Nietzsehe spricht von "psychologischer Nötigung" dazu (ebd.). Ich nehme an, daß diese psychologische Interpretation auch für alle andern Punkte
(I) - (6) gilt.
(4) Der W=:M ist "primitiver" Affekt, Pathos, Begehren, .Verlangen, Streben: "Meine Theorie - der
Wille zur Macht ist die primitive Affektform. alle
andern Affekte sind nur seine Ausgestaltungen" (111:
750). Wahrscheinlich meint er damit Organisationen
solch primitiver Affekte, ähnlich wie er den menschlichen Willen als Organisation von "Willenspunktationen" auffaßt. Pathos.. Der WzM ist nicht ein
("starres") Sein, nicht ein Werden, sondern ein
Pathos (U2 (367» - eine' Art Leidenschaft "elementarste Tatsache, aus der sich erst Werden' und
Wirken ergibt" (1lI: 778). - Streben: Jedes Kraftzentnun will stärker wer.den (U2 (38) ) . Nietzsehe
"erklärt" damit z.B.die Gravitation der Körper und
die biologischen Organisationen. Die Gravitation
nimmt
mit
zunehmender
Aggregation
zu:
"Akkumulation von Kraft" (ebd.). WzM ist "unersättliches Verlangen nach Bezeugung, Verwendung
oder Ausübung von Macht als schöpferischer Trieb"
(1lI: 455) und "Wille zur Vergewaltigung" (1lI: 777).
Begierde: WzM ist die Grundbegierde; Bewegungen
KRITERION
und Gedanken sind Symptome; "Geist an sich" und haben Perspektiven: Es gibt so viele Weltspiegelungen wie Monaden. (57) - Auch Nietzsehe betont
"Bewegung an sich" sind nichts (vgl. U2 (9)).
notorisch
die Perspektivität der WzM-Zentren und
(5) WzM hat "Wahrnehmung": Dem anorganischen
Organisationen: Die WzM-Organisationen erdichten
Bereich schreibt Nietzsehe "absolut genaue Wahrnehmung" zu: "In der chemischen Welt herrscht die Welten um sich, indem sie Gewohnheiten und Erfahrungen als ihre Außenwelt setzen. (vgl. U2 (83;
schärfste Wahrnehmung der Kraftverschiedenheit.
Mit der organischen Welt beginnt die Unbestimmt- 369); III: 441; 560; 705; 903). - Die Monaden wirken
auf jede beliebige Entfernung. Jeder Körper spürt
heit, die Fiktion und der Schein" (U2 (80-82)).
(6) Wille wirkt nur auf Wille: Wenn Glaube an
alles, was in der Welt geschieht. Jede geschaffene
Kausalität, dann "müssen wir hypothetisch den Ver- Monade stellt unbewußt, was in der Welt geschieht,
such machen, die Willens-Kausalität als die einzige
vor (61;62). Nietzsehe: Jedes Macht-Quant strahlt ins
zu setzen. 'Wille' kann [...] nur auf 'Wille' wirken - . ganze Sein aus. Als Unterschiede fallen u.a. auf:
und nicht auf 'Stoffe' (nicht auf Nerven zum Bei- Zunächst, Nietzsehe scheint die Annahme von Mospiel -) [...] ob nicht alles mechanische Geschehen
naden zu verwerfen: "Es gibt keine dauerhaften letz[...] eben Willenskraft, Willens-Wirkung ist [...]".
ten Einheiten, keine Atome, keine Monaden, [...] "
"Selbstregulation, Assimilation, Stoffwechsel, Zeu(III: 685). Doch das trifft m.E. eher bestimmte
gung, [...] alle wirkende Kraft zu bestimmen als Monas-Begriffe im antiken Sinn, dann die Monaden
'Wille zur Macht' und nichts außerdem" (JGB(36))
Giordano Brunos und Franz Mercur van Helmonts die "Fiktion des Klümpchen-Atoms" (III: 777). LeibHxkurs: Die Punkte (I) - (6) motivieren zu zwei Seinizens 'Monadologie' diskutiert Nietzsehe zwar nie,
tenblicken, auf Leibniz und Schopenhauer:
aber Nietzsches Kraft-Quant- oder Willens-Punkt-.
Leibniz: - Die Leibniz-Monaden sind ebenfalls ein- Spekulation kommt der Leibniz-Monade am nächfache, nichtmaterielle Substanzen und Zentren. Sie sten: "Seit Boscovich gibt es keinen Stoff mehr" (HI:
1178). - Die Leibniz-Monaden sind geschaffen; es
sind die "wahren Atome der Natur", die Elemente der
Dinge (vg!. Monadologie: (1) - (3); (30)). - Die herrscht Harmonie und nicht Chaos (69). Die faktiLeibniz-Monaden haben ebenfalls Qualitäten, "hätten sche Welt ist die beste aller möglichen (90) - für
sie keine, wären sie keine Wesen" (Monad. (8)). Nietzsche ist sie Jenseits von Gut.und Böse, wertneutral. Bei Leibniz gibt es Monaden-Stufen: Seelen z.B
Die Monaden sind in stetiger Veränderung (l0). Durch die Qualitäten sind sie voneinander unter- sind herrschende Entelechien; Gott ist die höchste
schieden; es gibt keine zwei gleichen Monaden. und einzige ungeschaffene Monade, bei Nietzsehe
Dieser Punkt ist bei Nietzsehe offen. WL (III: 313 gibt es nur WzM-Organisationen oder -Systeme.
und III: 896) sprächen dafür, ebenso FW, 3.Buch Beide aber, Leibniz und Nietzsche, sind metaphysi(111) und MA I (18). - Die Veränderung geschieht sche Pluralisten und Voluntaristen - appetitions!; für
gradweise - so auch bei Nietzsehe. Die Monaden
beide sind die Monaden bzw. die Kraft-WzM-Zenhaben - ähnlich wie bei Nietzsche - von Natur aus tren die Gründe der Veränderung. Nach Leibniz haPerception (Vorstellung) und Begehren (appetitions) ben aber die einfachen Substanzen (Monaden) keinen
und Streburigen (tendances). Das Begehren bewirkt
(physischen) Einfluß auf das Innere der anderen, nur
. den Übergang von einer Perception zur andern (14)- über die Ideen Gottes findet indirekt ein solcher statt.
(17); (48); (60). Die Strebungen sind die Prinzipien
Nach Nietzsehe führen die Kraft-WzM-Zentren diihrer Veränderung (Leibniz: Hauptschriften Ir: 423f). rekt einen "Macht- und Begierdenkampf'. Nietzsches
Bei Nietzsehe: Streben, Absicht zu mehr Macht;
WzM-Zentren und Organisationen sind unersättlich:
Erkenntnis, Perception, Apperception ist MachtsteiPrinzip "Maximalökonomie". Die Leibniz-Monaden
gerung, bzw. "Kräfte-Feststellung", Die Perception sind "spirituell", die WzM- Punktationen bloß nichtist auf mechanistischem Weg .nicht erklärbar (17). materiell; Tätigkeit aber ist "inneres Prinzip" sowohl
Auch für Nietzsehe ist die Veränderung ohne die der Leibniz-Monaden als auch der WzM-PunktatioAnnahme von Qualitäten nicht erklärbar: "Wille" nen. Die "psychoide" Sprache überwiegt bei Leibniz.
wirkt auf "Wille". - Die einfachen Monaden sind Die Qualität macht die Unterschiede und die VerSeelen, Entelechien (18); (19). - Auch Nietzsche
änderung; quantitative Unterschiede gibt es bei den
spricht manchmal von den "vielen Seelen" des LeiMonaden nicht (8). Bei Nietzsche dagegen ist die Dybes; Entelechien sind seine unersättlichen Machtnamis, die Macht, auch quantitativausdrückbar.
Quanta aber keine. Den Terminus "Entelechie" Auch für Leibniz sind die Monaden "forces primitischeint Nietzsche nicht zu führen. - Die Monaden
ves", spontan aus sich selbst, "[ ...] leur nature con-
26
NIETZSCHES METAPHYSIK-SKIZZE: "DER WILLE ZUR MACHT"
ein Wille ist? - Für Nietzsehe ist der WzM kein Ding
an sich, viel eher noch ein theoretisches Konstrukt.
Kausal-Sprache im Mikrobereich der Kraftzentren
und quantifizierende Redeweise läßt er zu: "Wille
wirkt auf Wille". Nach Schopenhauer "manifestiert"
sich der eine Wille in den Erscheinungen der ganzen
Natur, in den Individuationen (für uns). Diese Individuationen kämpfen miteinander und fressen einander.
Bei Nietzsehe kämpfen die Willenspunktationen
miteinander. Für Schopenhauer ist der Wille eine
blinde, finstere, erkenntnislose, treibende Kraft.
Nietzsehe behauptet gerade im anorganischen Bereich die schärfste Perzeption: "Da herrscht Wahrheit". Nach Schopenhauer gibt es Werden und Sukzession nur phänomenal, als Vorstellungen. Nach
Schopenhauer strebt der Wille nach Manifestation,
zum Dasein, zur Befriedigung, zur Lust, nach Nietzsehe zur Macht, Lust ist Prämie nebenbei. - Die beiden provisorischen Vergleiche zeigen, daß Nietzsehe
näher bei Leibniz als bei Schopenhauer zu stehen
scheint. Ich vermute, die größere Nähe ist durch
Nietzsches mehrfache Boscovich-Lektüre bedingt.
Zunick zum Verhältnis der beiden Seiten und Sprachen:
siste dans la force, et que de cela s'ensuite quelque
chose d'analogique au sentiment et l'appetit." Sie
sind "metaphysische Punkte" und Quellen der Aktionen (vgl. FünfSchriften zur Logik und Metaphysik S
23-33), aktive Kräfte; sie enthalten einen Drang zur
Wirksamkeit, sie werden "durch sich selbst zur Wirksamkeit geführt" (Fünf Schriften S 20t) Bei den
Tieren äußern sich diese Kräfte als Trieb, beim Menschen als Wille (vgl. Hauptschriften: 467). Wie bei
Nietzsehe ist die Anzahl dieser (Kraft-)Substanzen
endlich und konstant (vgl. Metaphysische Abhandlung(9), (17», keine dieser Substanzen vergeht, auch
wenn sie sich ändert (ebd. 34), sie sind unzerstörbar,
für immer bestehend (Fünf Schriften S 26; Hauptschriften 11: 144f, 423f), ihre "Macht erstreckt sich
auf alle. anderen Substanzen (gemeint sind: Monaden). Sie stehen in gegenseitiger Abhängigkeit in
Wirken und Leiden (vgl. Aristoteles), insofern sie
einander im Ausdrucksgehalt steigern oder verringern (vgl. Metaphysische Abhandlungen (14), (15».
Ebenso in Nietzsches WzM-Konzeption! Die Materie, ihre Gestalten sind die Resultanten dieser Kräfte
. (vgl. Hauptschriften Il: 260, 265, 290f, 434; Fünf
Schriften S 37). Die Körper sind Phänomene dieser
Kräfte. Der Raum ist eine Ordnung der Kräfte
(Hauptschriften 11: 467f). Nietzsehe: Der leere Raum
ist eine-irrtümliche Konzeption; Raum und Zeit an
sich gibt es nicht (1Il: 456), aber Nietzsehe glaubt an
einen "absoluten Raum als Substrat der' Kraft" (1Il:
457). Die Materie allein gibt keine Rechenschaft über
die Bewegung (ebd. 430); im Körper ist ein dynamikon, "kraft dessen die Gesetze der Kraft beobachtet
werden können" (ebd. 298). Dem entspricht Nietzsches Auffassung, daß die "materialistische Mechanik" die Tatsache der Bewegung und Veränderung
nicht erklären kann. Auch was die Erkenntnis betrifft,
gibt es eine Analogie bei Leibniz zu Nietzsehe: Unsere Erkenntnisse sind nur "verworrene" Perceptionen aus der großen Mannigfaltigkeit der Perceptionen.Wie das Rauschen des Meeres - so das Rauschen des Universums, als Ergebnis der Gesamteindrücke auf uns (ebd. 431; Metaphysische Abhandlung
(33». Bei Nietzsehe: präzise Wahrnehmung gibt es
nur auf der Stufe der Kräfte, der Chemie; alles andere
ist Vergrößerung, Simplifikation.
Schopenhauer: Zunächst fällt auf: Schopenhauer ist
Willens-Monist,Nietzsche Pluralist. Für Schopenhauer gibt es nur einen Willen. Dieser eine Wille ist
Ding an sich, jenseits der Erscheinung (d.h. des Vorstellens). Von diesem Ding an sich darf man in quantitativer und Kausal-Sprache nicht reden. - Ein Wunder, daß Schopenhauer überhaupt weiß, daß es genau
a
(B) Die Prädikate für das "äußere" Attribut habe ich
oben schon angeführt: das quasi-quantitativ-physikalistische Vokabular. Die Thesen mit physikalistischen
Aussagen finden wir in 1.1 bis 1.14.
(C) Das Verhältnis der beiden Seiten und Sprachen:Vielleicht sollte man zunächst ein Drei-Schichten-Modell vorschlagen, um Nietzsches Modell zu
erfassen:
(I) Die "innere Sphäre": Die Qualität, die "sich
ausdrückt" und "Symptome" bildet: Jede Macht zieht
in jedem Augenblick ihre letzte Konsequenz." Gerade, daß es kein Anderskönnen (der Mächte) gibt,
darauf beruht ihre Berechenbarkeit" (U2 (368». "Der
WzM drückt sich aus in der Art des Kraftverbrauchs,
in der Verwandlung der Energie in immer sparsamerer Ökonomie mit immer weniger Kraftaufwand" (U2
(310».
(2) Die mittlere, die' "Symptom "<Schicht: "Quantitäten sind Anzeichen" - Symptome - "von Qualitäten" (III: 485) . "Alle Gesetze sind Symptome eines
inneren Geschehens" (III: 455). "Der Mechanismus
ist Zeichensprache für die interne Tatsachenwelt
kämpfender und überwindender Willens-Quanta"
(III: 776) .
(3) Die physikalistische Modellbildung. "Die Mechanik ist bloße Semiotik der Folgen" (III: 776) - of-
27
KRITERION
fenbar Zeichensysteme für die Symptome (zweite
Schicht) - für die Anzeichen, die als "Mechanismus"
imponieren. Aber es scheint, daß die physikalische
Modellbildung auch semantischen Bezug auf die
"innere" Sphäre haben soll: "Die Naturgesetze sind
Formeln für Machtverhältnisse" (U2 (83». Die quantitativ-physikalistische Sprache ist die Modell-Bildung in der Mechanik, d.h. physikalische/chemische/
biologische Theoriebildung. Die erste Schicht wäre.
als die qualitative "Innenseite", die zweite 'als die
"Erscheinungsseite", Mikro- und Makrobereich des
WzM zu betrachten. Für beide Schichten bzw.
"Seiten" verwendet Nietzscheeinerseits eine psychoide Qualitäten-Sprache - andererseits aber auch
theoretische Konstrukte wie "Kraftquanta", "KraftZentren" erc, Die dritte Schicht wäre die Ebene der
Theoriebildung.
1.16.3 An/wort auf die Frage: "Warum nenn:
Nietische die Kraji 'Wille zur Macht'? " (1.16) - Es
sind folgende Gründe:
(I) Eine rein quantitative, qualitätslose Welt wäre
unbewegt, die Kraft ist Qualität.
(2) Ohne "Absicht" sind Anziehung und Abstoßung
nicht denkbar.
(3) Wären die elementaren Zentren nicht "Pathos",
"primitive Affekte", gäbe es kein Wirken und
Werden. Die einzige Kausalität: Wille wirkt auf
. Wille: JGB(36)!
(4) Das Pathos ist Verlangen nach mehr Kraft "pleonhexia" könnte man das nennen. Sie ist niemals nur Selbsterhaltung, sondern Streben nach
Kraftakkwnulation. - Dieser Punkt ist wichtig für
Nietzsches Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Biologie.
(5) Jedes Kraft-Atom strahlt ins ganze Kraft-ZentrenUniversum aus (siehe 1.9); Nietzsehe sagt:
"Deshalb nenne ich es ein Quantum 'Wille zur
Macht': damit ist der Charakter ausgedrückt, der
aus der mechanischen Ordnung nicht weggedacht
werden kann, ohne sie (die mechan. Ordnung)
wegzudenken." (III: 777)
Von diesen Perspektiven her glaubt Nietzsehe die
zeitgenössischen Naturwissenschaften kritisieren
und ihnen Alternativ-Vorschläge machen zu müssen.
1.17 WzM und Kausalität: Genügsam bekannt ist
Nietzsches Kritik an den traditionellen Kategorien:
Ding, Substanz.".'. Kausalität. Die mesokosmische
, Kausalität hält er für Fiktion: "eliminieren wir diese
Zutaten (Ding, Ursache-Wirkung) dann bleiben nur
dynamische Quanta in Spannung zueinander" (U2
(367)). Nicht Ursache-Wirkung, sondern Kampf
zweier an Macht ungleicher Elemente. Aus diesem
Kampf geht ein Neuarrangement der Kräfte hervor.
Der zweite, der neue Zustand, ist "etwas Grundverschiedenes" (U2 (369». Nietzsche verweist dabei
öfter auf die Chemie. - Vielleicht vertritt er eine Art
Emergentismus (?). "Ursache-Wirkung" müsse man
zurück übersetzen: Es gibt keine Veränderung, wenn
nicht eine Macht auf eine andere übergreift (U2
(38». Bei allem Geschehen handelt es sich um Grade
von Widerstand und Obermacht. Jede Machtverschiebung an einer Stelle bedingt Kraftverschiebung
im ganzen System (vgl. U2 (304». Menschliche Willensakte als Ursachen zu nehmen ist eine Illusion; die
Willensakte sind Komplexe von Willens-Punktationen (vgl. III: 877). Nietzsehe versucht einerseits
die Kausal-Sprache zu vermeiden, andererseits aber
scheint er gerade und nur im mikrokosmischen Bereich der Macht-Quanten die Rede von Ursache-Wirkung für zulässig zu halten: "Es gibt keine andere
Kausalität als die von Wille auf Wille" (III: 449).
"Überall wo Wirkung, da ist Wille auf Wille wirkend" (Ir: 60 I). "Ein Macht-Quantum ist durch die
Wirkung bestimmt, die es ausübt und dem es widersteht" (U2 (368».
Fazit: Nietzsches WzM ist ein qualitativ bestimmtes, nicht-materielles, Kraft-Zentrum. Es gibt viele,
aber endlich viele solcher Willenszentren. Sie konstituieren das Universum. Sie sind in steter Veränderung und die Gründe aller Veränderungen. Sie sind
ungeworden und ewig. Sie stehen wesentlich in
Kraft/Macht-Beziehung zueinander. Sie sind die
"elementarsten" Tatsachen; jedes dieser Willens-Zentren strahlt seine Macht auf alle anderen aus. "Wille
zur Macht" nennt Nietzsehe diese Zentren deshalb,
weil er .ihnen ein Streben nach jeweils größtmöglicher Kraftakkumulation zuschreibt. - Auf die höheren Organisationsformen des WzM in den chemischen, biologischen, psychologischen und soziokulturellen Stufen einschließlich Erkenntnis gehe ich
hier nicht ein; ich verweise auf Landolt/Simons
(1991).
2. Der Status der Lehre vom" Willen zur Macht":
Ambivalenz. zwischen Hypothese und Dogma.
Nietzsehe äußert sich über den Erkenntnis-Anspruch
seiner Lehre vom Willen zur Macht (WzM) nicht
eindeutig. Er gebraucht verschiedene Ausdrücke, die
den Erkenntnisanspruch verschieden einstufen:
"Hypothese", "Interpretation", "meine Theorie" (vgl.
U2 (39». "Interpretation" und "Theorie" können
28
NIETZSCHES METAPHYSIK-SKIZZE: "DER WILLE ZUR MACHT"
Im Zitat :(I) beruft sich die allegorische Figur
"Leben" auf die "Erfahrung": Wo' ich Lebendiges
fand, da fand ich (bisher) Willen zur Macht ... Diese
Erfahrungen bereiten - induktiv - eine hypothetische
Generalisierung vor. Im Zitat (2) werden dannimplizit Generalisierungen vorgenommen: Wo Leben oder
Lebendiges ist, da ist auch Wille zur Macht: (x) CLr
~ WMx). - Wo Schätzen (S) ist, da ist Wille zur
Macht (WM): (x) (Sr ~ WMx). Diese Generalisierungen werden gelehrt; sie beanspruchen also bestimmte
Wissensgrade. hier, im Zarathustra, hätten sie freilich
nur einenjiktiven Rang von Gesetzeshypothesen.
In den nachgelassenen Texten der 80-er Jahre sind
die Aussagen mit Lehrsatz-Charakter zahlreich. Man
kann zwar auch hier Vorbehalt anmelden: Nietzsche
hat diese Texte nicht selber publiziert, und wir wissen nicht, ob er sie so, in der uns heute vorliegenden
dogmatischen Form, veröffentlicht. hatte", Andererseits können wir, gegen diese Vorsicht, eine ganze
Reihe dogmatischer WzM-Thesen in den nach-zarathustrischen Schriften, die Nietzsche noch selber
publiziert hat, finden: Il: 578 JGB (13): "Leben selbst
ist Wille zur Macht"; 11: 644 JGB (186): "I...] eine
Welt, deren Essenz der Wille zur Macht ist"; 11: 676f
JGB (211): "[ ...] Erkennen ist Schaffen, ihr Schaffen
ist eine Gesetzgebung, ihr Wille zur Wahrheit ist Wille zur Macht. -"; 1I: 818fGM (12): "alle. Zwecke,
alle Nützlichkeiten sind Anzeichen davon, daß ein
Wille zur Macht über etwas weniger Mächtiges Herr
geworden ist." "l-..] das Wesen des Lebens [...] Wille
zur Macht".
Fazi]: Die Zahl der "dogmatischen" Stellen überwiegt die Zahl der hypothetischen bei weitem. Dennoch kommt m.E. elen zwei angeführten Belegen aus
JGB (22) und (36) mit mehrfachen expliziten Hypothese-Signalen ein starkes Gewicht zu. Zum einen:
weil sie in dem selben Werk zwischen den dogmatischen Aussagen in (13) und (186) stehen; zum andem, weil ichelas Prinzip "des schwächsten Gliedes"
wiederum rein hypothetischen Status, aber auch Er-'
kenntnis-Anspruch über 50% haben. Der Modus von
Nietzsches WzM-Aussagen ist aber meistens der der
Behauptung.
2.1 W:::M als Hypothese: 11: 60 I JGB (36): Hier signalisiert Nietzsche seine Spekulation explizit als
Hypothese und Setzung: "Man muß die Hypothese
wagen [...], ob nicht alles mechanische Geschehen
C..] Willens-Wirkung ist. Gesetzt endlich, daß es
gelänge [...] aus einer Grundform des Willens zu
erklären - nämlich des Willens zur Macht, wie es
mein Satz ist - ; gesetzt, [...] so hätte man sich damit
das Recht verschafft, alle wirkende Kraft eindeutig
zu bestimmen als Wille zur Macht". W.Müller-Lauter (1974: 241) schränkt den Hypothesen-Charakter
dieser Stelle allerdings ein. Sein Argument: die Parenthese "[ ...] wie es mein Satz ist-" ist ein DogmaSignal. Ich glaube, man kann die Parenthese zweideutig lesen, einerseits als : "wie es meine Hypothese", "mein Vorschlag ist."; andererseits bedeutet
"Satz" allerdings auch "Lehrsatz", also Information
mit einem bestimmten Wissensgrad-Anspruch.
2.2 W:::M als "Interpretation ": 11: 586 JGB (22):
Hier
überträgt
Nietzsche
den
Ausdruck
"Interpretation" von. der Philologie in die Naturwissenschaften:
"und dartun 'hoch das Naturgesetz " .: [... ] Aber, wie ge.sagt, das ist Interpretation, nicht Text; und es könnte
jemand kommen, der, mit der entgegengesetzten Absicht
lind Intcrprctationskunst, aus idcr gleichen Natur im
Hinblick auf die gleichen Erscheinungen, gerade die [...]
Durchsctzung von Machtansprüchen herauszulesen verstünde -I ... J Gesetzt, daß auch dies nur Interpretation ist
_.. [... ] nun umso besser.- "
"Gesetzt, daß [...] nur Interpretation" signalisiert den
hypothetischen Charakter von Nietzsches eigener
Natur-Interpretation. Es wird aber auch deutlich, daß
Nietzsche die Naturgesetze als Gesetzes-Hypothesen
auffaßt.
2.3 W:::M als (Lehrlsatz: 11: 371 f, Zarathustra: Die
allegorische Figur "Leben" lehrte Zarathustra das
Geheimnis "Wille zur Macht":
6. GiorgioColli (1980) warnt, besonders mit Hinsicht auf
den-Nachlaß, vor dem Zitieren von Nictzschc-Tcxtcn. Colli
geht sogar so weil: Nictzschc zu zitieren ist fälschen, weil
man ihn alles und jedes sagen lassen kann, worauf man
selber aus.ist (vgl. p.2(9). Ich setze dagegen: dann dürfte
man auch aus dem Nachlaß anderer Philosophen nicht
zitieren; vor allem müßte man auch das Bibel-Zitieren
verbieten. - Gegen die Gefahr der (psychologisch) in duktivcn Bestätigungstendenz hil fl erstens der "empirische
Gehalt' (oder, wie ich es hier nennen möchte: der
"philologische Gehalt") einer lntcrprctatious-Ilypothcsc.
Die Interpretation muß lalsifizicrbar sein. Und zweitens:
Zur Überprüfung SI/ehe man Tcxtslcllcn, die der Intcrprctations-I lypothcsc widersprechen können.
(I) "Wo ich Lebendiges fand, da fand ich Willen zur
Macht; und noch im Willen des Dienenden fand ich den
Willen, Herr zu sein. Daß dem Stärkeren diene das
Schwächere, dazu überredet es sein Wille, der über noch
Schwächeres Herr sein will: dieser Lust allein mag es
nicht entraten."
(2) "Nur, wo Leben ist, da ist auch Wille: Aber nicht
Willen zum Leben, sondern - so lehre icli's dich - Wille
zur Macht! Vieles ist dem Lebenden höher geschätzt, als
Leben selber; doch aus dem Schiitzen selber redet -- der
Wille zur Macht!"
29
KRITERION
unterstelle. Ich bin also geneigt, den hypothetischen
Charakter von Nietzsches WzM-These herauszustreichen.
.204 Zur Unterstützung dieser Einstufung mache ich
einen kleinen Exkurs über Nietzsches Bewertung der
Wissenschaft: empirische Wissenschaften sind für ihn
hypothesenerzeugende Unternehmen. Durch Hypothesen, welche alles "erklären", wollen wir die Verworrenheit der Dinge beseitigen:Der Widerwille des
Intellekts gegen das Chaos führt zu diesem Unternehmen (vgl. WM, pAlI). Die Bewertung und Selektion der Hypothesen ist methodisch geregelt. Die
Philosophie, speziell. die Metaphysik, bringt keine
stärkere Erkenntnissicherheit als die Wissenschaft. Nietzsche stuft sie geringer ein. - Seine Kritik an der
Metaphysik fällt härter aus als die an der Wissenschaft. Daraus entnehme ich, daß Nietzsche auch
seine metaphysische WzM-Kohstruktion als Hypothese einstufen muß.
Fiktiv und hypothetisch sind ihm vor allem die Kategorien der Philosophie und der Wissenschaften:
"Ding", "Eigenschaft", "Substanz", "Ursache-Wirkung"; "Ich"; "Subjekt", "Atom", "Kraft" etc. Die
Wissenschaften und die Philosophie stehen noch
unter der Verführung durch die Sprache (11: 790 GM
I (13». - "Verhexung unseres Verstandes durch die
Mittel unserer Sprache" wird Wittgenstein (PU 109.)
schreiben. - Die "Sprachmetaphysik, auf deutsch 'die
Vermmft' " (11: 959), "ist auf die allernaivsten Vorurteile gebaut. [...] Wir lesen Probleme in die Dinge,
weil wir nur in der sprachlichen Form denken [...]
(z.B. Subjekt, Prädikatusw.)" (III: 862; vgl. auch III:
456;489;501; 914).
Hypothesen sind vorläufige Versuche, regulative
Fiktionen. Erst als Hypothesen dürfen Überzeugungen, unter der Polizei des Mißtrauens, Zutritt ins
Reich der Erkenntnis haben, d.h. wenn die Überzeugung aufhört, Überzeugung zu sein (11: 206ff FW
(344)).7
Aber trotz der grundsätzlichen Kritik an der Erkennbarkeit der Welt und der Betonung des hypothesenfingierenden Verfahrens bewertet Nietzsche die
Wissenschaften, speziell die Naturwissenschaften,
hoch.!
7, Die Bescheidenheit des hypothetischen Vorgehens ist
nicht voraussetzungslos. Sie fußt auf dem Glauben, daß
man mit methodischer Vorsicht und Mißtrauen der Täu-.
schuug entgehen könne und auf dem Glauben, daß die
Welt erkennbar und die Wahrheit ein Wert ist (vgl. Ir FW,
ebd.).
8. vgl. I: 1142 MR (195); Ir: 171 f FW (293); I: 815 MA 1
(205): "Das Beste und Gesündeste in der Wissenschaft [...]
Er schätzt nicht so sehr deren Ergebnisse - diese
sind im Meer des Wissenswerten ein verschwindend
kleiner Tropfen (1: 603 MA 1(256)) - viel mehr die
Methoden: Wenn die Methoden verloren gehen, dann
kann der Aberglaube und Unsinn erneut überhand
nehmen. Jeder, Mann und Frau, sollte mindestens
eine Wissenschaft von Grimd aus kennen gelernt
haben, dann wüßte er/sie, was Methode undBesonnenheit ist (vgl. I: 728 MA I (635)). "Der TatsachenSinn [...] ist der wertvollste aller Sinne [.,.] Die Methoden sind das Wesentlichste, auch das Schwierigste,das, was am längsten die Gewohnheiten und
Faulheiten gegen sich hat" (11: 1231, A(59)). Die
wertvollsten Einsichten sind die Methoden: 11: 1173,
A(13); par. III: 808. Aber auch die Ergebnisse, "die
standhalten" und insofern sie Grund zu neuen Ermittlungen geben, schätzt Nietzsche (11: 68, FW
1(46».
Wissenschaft, so sagt Nietzsche in der GötzenDämmerung (11: 958), besitzen wir so weit, als wir
uns entschlossen haben, das Zeugnis der Sinne anzunehmen, .als wir sie noch schärfen, bewaffnen, zu
Ende denken lernen. "Der Rest ist Mißgeburt, Nochnicht-Wissenschaft: will sagen Metaphysik, Theologie, Psychologie, Erkenntnistheorie. Oder FormalWissenschaft, [...] : wie die Logik und jene angewandte Logik, die Mathematik. In ihnen kommt die
Wirklichkeit gar nicht vor, nicht einmal als Problem
[...]" Diese Dreiteilung zeigt, welchen Rang Nietzsehe der bisherigen Metaphysik zuweist. Noch deut.licher: Die Metaphysik (die Nietzsche kannte) erklärt
die Schrift der Natur gleichsam pnewnatisch: I: 451,
MA I (8). Also eher gnostisch-geistlich-mystisch.
"Die Dogmen der Metaphysik sind nicht zu glauben,·
wenn man die strenge Methode der Wahrheit im
Herzen und im Kopfe hat" (I: 518, MA I (109)). Die
metaphysischen Annahmen sind erzeugt durch Leidenschaft, Irrtwn und Selbstbetrug. Die allerschlech~
testen Methoden der. Erkenntnis, nicht die besten,
haben daran glauben gelehrt: I: 452, MA I (9). Der
tiefe Gedanke kann der Wahrheit sehr ferne sein.
Starke, tiefe Gefühle verbürgen nichts für die Erkenntnis: I: 457, MA I (15).
Es gibt für Nietzsche nur zwei Arten von Wissenschaft: die empirische und die Formalwissenschaft :"die echte Wissenschaft, (ist) die Nachalunung der
Natur in Begriffen" (1: 478fMAI (38)), dabei ist zu
30
ist die scharfe Luft - Die Geistig-Weichlichen (die Künstler) verlästern diese scharfe Luft." Und ebd. (20G): "Die
Wissenschaft bedarf edlerer Naturen als die Dichtkunst,
einfachere, stillere, die weniger auf Nachruhm bedacht
.
sind" - vgl.auch: I: G14 MA I (272)!
NIETZSCHES METAPHYSIK-SKIZZE: "DER WILLE ZUR MACHT"
beachten, daß Nietzsches Mimesis-Begriff die Poiesis
nicht ausschließt!
Von der Philosophie sagt er: "Nicht eine Philosophie als Dogma, sondern als vorläufige Regulative
der Forschung"(U2 (5)). Nirgends sagt Nietzsche,
daß seine WzM-Hypothese eine Bewohnerin der
"echten" Wissenschaft ist. Da sie kein Satz der Formalwissenschaften ist, so ist sie eine metaphysische
These; aber keine souveräne, unter Mißachtung der
Wissenschaften, wie ich im Folgenden zeigen
möchte.
ten tatsächlich eine fruchtbare heuristische Idee ist,
das ist eine andere Frage.
Darüber hinaus beansprucht die (Hypojthese WzM
auch noch praktische Relevanz zu haben, nämlich
"stärker zu machen", d.h. die "Schaffenskraft" des
Menschen - unverschämt! - zu steigern. Natur und
Kultur als "Polarität und Steigerung", das ist nicht
nur Goethes Thema, sondern auch das Nietzsches,
nur weniger "klassisch". - Das ist der ideologische
Aspekt des WzM, der bisher am häufigsten in der
Sekundärliteratur behandelt worden ist. Dafür wurden
elie kognitiv/ kritischen Absichten gegen die zeitgenössischen Naturwissenschaften, soweit ich das bisher beurteilen kann, fast ganz übersehen 12. Meines
Wissens
stößt. nur
Wolfgang
Müller-Lauter
(1974:266f) auf die kritische Alternative im Aphorismus 22 in JGB, wo Nietzsche seine WzM-Hypothese als Alternativ-Interpretation gegen den weltinterpretierenden Gesetzes-Glauben der Physiker
vorschlägt: eine Alternativ-Interpretation, die damit
endet, elas Gleiche von dieser Welt zu behaupten, was
die Physiker behaupten:
"An einer Theorie ist es wahrhaftig nicht ihr geringster
ReIZ. daß sie widerlegbar ist: gerade damit zieht sie reinere Köpfe an."?
.
"Eine Annahme, die unwiderlegbar ist.
sie deshalb schon wahr seinT'lo
warum sollte
3. Der "Wille zur Mach!" als Antwort aufNietzsches
Probleme mit den zeitgenossischen
Naturwissenschaften.
Das metaphysische Konstrukt "Wille zur Macht" ist
für Nietzsche nicht bloß irrationale, emotionale, voluntaristische Revolte gegen die bisherige Metaphysik. Revolte gegen diese ist sie zwar auch. Der "Wille
zur Macht", wie besonders aus dem Nachlaß der 80er Jahre hervorgeht. hat einen starken Bezug zu den
Naturwissenschaften. der m.E. bisher kaum beachtet
worden ist. Nietzsche versteht seine WzM-These als
Kritik und Gegenentwurf zu den damaligen Naturwissenschaften, zur (mechanistischen) Physik und zur
(darwinistischen) Biologie. Nun sollten, nach Karl
Popper. metaphysische Programme oder Entwürfe
kognitive Probleme lösen helfen. Sie sollten u.a. als
"regulative" Ieleen die Suchrichtung für empirische
Forschungsprogramme skizzieren, oder sie sollten
kritisch fI Alternativen zu gerade herrschenden moriotheoretischen Forschungsprogrammen entwerfen.
Metaphysische. Spekulationen mit "Blick" auf die
Wissenschaften können aber auch Mängel an der
Erkldrungstiefe diagnostizieren und die empirischen
Wissenschaften elarauf hinweisen.
Ich glaube, Nietzsches universalistische Spekulation WzM hat eine solche kritische und diagnostische
Absicht, speziell gegen die mechanistische Physik.
Ob Nietzsches Spekulation für die Naturwissenschaf-
(!;tß
sie
einen
'notwendigen'
und
'berechenbaren' Verlauf habe. aber nicht, weil Gesetze
in ihr herrschen. sondern weil absolut die Gesetze fehlen. und jede Macht in jedem Augenblick ihre letzte
Konsequenz zieht. .. I,
"nämlich.
Müller-Lauter betont richtig, daß für Nietzsche die
mechanische Denkweise (der Physik des 19.Jhs.) nur
"Vordergrunds philosophie" ist, und elaß sie - für
Nietzsche - faLsch ist, weil sie schematisiert, abkürzt
... konstante Einheiten, konstante Wirkungen und Gesetze fingiert und die Welt auf Berechenbarkeit mit
12. Weder M.I Icidegger (I % I) noch W Kaufmann (1974)
noch die ncucrcn und ncucstcn Publikationen von Theo
Meyer (199 I und 1993) bemerken den wissensehn t"tsgeschichtliehen Problemkontext von Nictzschcs WzM-llypothcsc. Volkcr (ierllanH (1992) streift ihn zwar. Er weist,
ganz richtig, auf den Zusammenhang zwischen WzM und
Roger Boscovichs dynamistisch-pluralistischcr (Wclt-)
Konzeption hin, aber er führt diesen Kontext nicht näher
aus. Gcrhardt: Nictzschc hat ausgedehnte naturwissenschaftliche Lektüre betrieben. Nictzschc will an den Ursprung aller Bewegung zurück. Die Physik, die bloß
"äußere Kausalursachcn" beschreibt, genügt ihm nicht; er
will den inneren Beweggrund aller Kräfte aufdecken (vgl.
p.l SI). Das trifft zu, aber (3erhardt deckt nicht auf, warum
Nictzschc die zeitgenössische Physik nicht genügt. Gerharu Vollmer (!9RS) diskutiert Nictzschcs antidarwinistischc Einstellung, aber nicht im Zusammenhang mit dem
WzM!
n. 1GB (22)
9.11: 5S1 1GB (IS).
10. IIl: 915.
J I. "kritisch" ist hier nicht im Sinne VOll "falsifizierend".
von "Widerlegung" gemeint, sondern als "rivalisierende
Möglichkeit" zu derzeit unbefriedigenden Theorien.
31
KRITERION
sein. Ich brauche Bewegungsansätze und -zentren,
von wo aus der Wille um sich greift. Das Unterste
und Innerste bleibt dieser Wille. Alle treibende Kraft
ist WzM, es gibt keine physische/dynamische oder
psychische Kraft außerdem. Es gibt keine Veränderung ohneWzM (vgl. U2 (38;39;55».
Nietzsches Problem mit der mechanistischen Physik des 19. Jhs. hat aber noch andere Voraussetzungen: Schöpfung oder Ewigkeit (als Nicht-Anfang und
Nicht-Vernichtung der Kraft), Schöpfung durch einen
Gott schließt er als "braver" dogmatischer Atheist
aus. Einen Beginn der Kraft, der Energie, ex nihilo
ebenfalls; so bleibt für Nietzsehe nur die Annahme
der Ewigkeit der Energie (vgl. U2 (323;319». Wenn
aber die Kraft, bzw. Energie ewig und ungeworden
ist, dann müßte die Kraft (im Zeitintervall von -00 bis
+(0) einen stabilen Zustand, ein Gleichgewicht, eine
maximale Entropie erreicht haben (vgl. U2(305; 316;
318». Es dürfte (jetzt) keine Bewegung und Veränderung mehr geben, es wäre ein "Sein" im strengen
Sinne (U2 (316». - Es gibt aber (immer noch) Bewegung und Veränderung, also ist ein solcher
(universaler) Entropie-Zustand nicht erreicht. - Diese
Sätze sind u.a. auch Prämissen für Nietzsches Versuch eines indirekten Beweises seines Theorems von
der ewigen Wiederkunft des Gleichen." Die Kraft ist
etwas ewig Aktives. Das sagt Nietzsehe auch: Schaffen ist selbst eine (innere) Eigenschaft der Welt,
unveräußerlich und beständig (U2 (32». Im absoluten
(ewigen, von außen nicht verursachten) Werden
"kann die Kraft nie ruhen, nie Unkraft sein" (U2
(350». Diese Probleme und Voraussetzungen, die
Nietzsche hier einbringt, sind für die mechanistische
Physik des 19. Jhs., so scheint es, kein Thema; und
deswegen hat diese Physik nicht Nietzsches Probleme. Nietzsches Voraussetzungen (keine Schöpfung, kein Entstehen ex nihilo, Ewigkeit der Kraft),
konfrontiert mit der mechanistischen Physik, führen
zu diesen Problemen, zu seiner Kritik am Mechanismus und zu seinem metaphysischen Lösungsversuch WzM. - Sein zweites Problem ist:
3.2 Die Selbsterhaltung: Nietzsche glaubt in der
Biologie, in der Physiologie und im menschlichen
Verhaltens bereich Beispiele zu finden, die mit der
These vom Selbsterhaltungstrieb als erstem und kardinalem Trieb nicht erklärt werden können: Die Veränderung ist eine Erfahnmgstatsache. Aber es gibt
Hilfe einer gemeinsamen (intersubjektiven., S.L.)
Zeichensprache imaginiert (vgl. S 269).
Diese Kritik der Wissenschaften, der- Erkenntnis
überhaupt, ist bei Nietzsehe seit seinem Essay (1873)
"'Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen
Sinn"14 notorisch, und im Nachlaß der 80-er Jahre
findet man sie am zahlreichsten. Aber das Erkenntnis-und das Ontologie-Problem sind nicht die alleinigen, die Nietzsche mit den zeitgenössischen Naturwissenschaften hat!
Es sind m.E, vor allem folgende Probleme: Bewegung und Veränderung, ein Thema seit seiner Beschäftigung mit Heraklit, Parmenides und Anaxagoras 1872/73, Selbsterhaltung und Anpassung (der
Organismen).
3.1 Bewegung und Veränderung: Die mechanistische Physik, so Nietzsche, kann Bewegung und Veränderung nicht erklären: In unseren Wissenschaften,
wo die Begriffe Ursache und Wirkung reduziert sind
auf Gleichungsverhältnisse. wo auf beiden Seiten das
gleiche Quantwn von Kraft sein soll, fehlt die treibende Kraft (vgl. U2 (39». Die mechanistische Auffassung wolle nichts als Quantitäten (vgl. U2 (42»,
aber in einer rein quantitativen Welt wäre alles tot,
starr und unbewegt (U2 (337». Diese Art von Weltbetrachtung wolle Zahlen, damit sei aber Bewegung
unmöglich (U2 (357) und (366».15 Die Mechanik
formuliert Folgeerscheinungen bloß semiotisch, sie
berührt die ursächliche Krafi und die Prozesse nicht
(U2 (367); (38».
Gott als treibende Kraft, als "prirnus motor" oder
"natura naturans": kommt für Nietzsehe nicht in Frage
(vgl. U2 (310». Ich brauche den Ausgangspunkt
"Wille zur Macht", schreibt Nietzsche, als Ursprung
der Bewegung. Folglich darf die Bewegung nicht von
außen her bedingt - nicht (von außen) verursacht
14. Fragment; von Nictzschc selber nicht publiziert.
j 5. Das bedeutet keineswegs, daß Nictzschc grundsätzlich
gegen Formalisierung, Quantifizicrung und Messung eingestellt wäre. Er meint nur, daß metrische Modelle zwar
(simplifizierende) Messungen von Prozessen erlauben,
aber noch nicht erklären. Jede kategoriale Sprache (Ding,
Eigenschaft, Relation, System), jedes formale und auch
jedes metrische Modell ist Iür Nietzsche gleichmachende
Simplifikation (vgl. U2 (343; 336; 331; 297; 288; 286;
282; 2:79), aber "es geht nicht besser und wir haben nichts
Besseres". Das weiß Nietzsche sehr klar. Es ist das Exakteste, was wir haben, aber für die Erkenntnis der Welt
beiweitem nicht exakt genug. Nur in der anorganischen
Welt, auf der physikalisch-chemischen Stufe herrsche die
schärfste "Wahmclun ung", die schärfste Messung der
Kraftverschiedenheiten. Hier sei sie "absolut genau", Mit
der organischen Welt beginne die Unbestimmtheit, der
Schein (vgl. U2 (80; 82; 83».
/-
16. Zu Nietzschcs Beweis-Versuch: siehe die sehr klare
Rekonstruktion von Oskar Bcckcr (1936). Zur Diskussion
der Ewigen Wiederkehr vor dem Hintergrund der heutigen
physikalischen Kosmologie lese man die sehr interessante
Abhandlung von Bernulf Kanitscheidcr (1988)!
32
NIETZSCHES MET APHYSIK-SKlZZE: "DER WILLE ZUR MACHT"
keinen Grund, warum auf eine Veränderung eine·
andere folgen sollte. Im Gegenteil: ein erreichter
Zustand schiene sich selbst erhalten zu müssen, wenn
es nicht ein Vermögen in ihm gäbe, eben nicht sich
erhalten zu wollen ... Der Satz des Spinoza von der
"Selbsterhaltung" müßte eigentlich der Veränderung
einen Halt setzen (vgl. U2 (39». Ein weiteres Argument bringt Nietzsehe aus der Biologie: Die unterste
und ursprüngliche Tätigkeit im Protoplasma. Es frißt
auf eine unsinnige Art mehr in sich hinein als zu
seiner Erhaltung nötig ist, vor allem, es "erhält sich"
damit nicht, sondern zerfallt ... " Der Trieb, der hier
waltet, hat gerade dieses Sich-nicht-erhalten-wollen
zu erklären: "Hunger" ist schon eine Ausdeutung [...]
Hunger ist eine spezialisierte Form des Triebes, Arbeitsteilung im Dienst eines darüber waltenden höheren Triebes" (vgl. IIl: 672f). Die Selbsterhaltung ist
nichrvdas primum mobile", sowenig wie der Hunger.
Hunger ist eine Folge der Unterernährung. Unterernährung heißt Wille zur Macht, der nicht mehr Herr
über etwas werden kann. Erst spät, nachdem der
WzM andere Wege zu seiner Befriedigung lernte,
wird das Aneignungsbedürfnis des Organismus auf
den Hunger reduziert, d.h. eingeschränkt auf ein
Wiederersatzbedürfnis (vgl. III: 713). M.a.W.: Die
Stillung des Hungers ist nicht Endzweck; Selbsterhaltung ist kein Endzweck; sie ist nur die Bedingung für
das weitere Schaffen und Wirken von organisierten
WzM-Quanta (Organismen, dynamische Systeme
etc.) auf andere WzM-Quanta und deren Organisationen. Das Lebendige will seine Kraft auslassen. "Die
Selbsterhaltung ist nur eine der indirekten und häufigsten Folgen davon". Den Selbsterhaltungstrieb hält
Nietzsehe für keinen kardinalen Trieb; ein überflüssiges teleologisches Prinzip, dessen Annahme gegen
die Methode, gegen die Prinzipien-Sparsamkeit verstößt (vgl. Il JGB, Aph 13; vgl. auch U2 (34».
Schließlich weist Nietzsehe noch, auf der humanen
Stufe, auf bestimmte Formen der Wertschdtzungen,
die über das Leben, über einen bloßen Willen zum
Dasein hinauszielen, hin: Die allegorische Figur, das
blonde Zottelweib "Leben" lehrt Zarathustra folgendes Geheimnis: "ich bin das, was sich immer selber
überwinden muß [...] Vieles ist dem Lebenden höher
geschätzt, als Leben selber; doch aus dem Schätzen
selber redet - der Wille zur Macht!" (Il: 371f). Nietzsehe meint, daß es Fälle von Selbstopferungen oder
Leistungen unter Lebensgefahr oder Einsatz des Lebens gibt, die nicht mit Willen zur Lebenserhaltung,
sondern mit dem Willen zur Macht zu erklären sind
(vgl. III: 802f). Die Liebe würde er als Einwand nicht
gelten lassen; gerade die Liebe ist ihm eine der For-
33
men des gesteigerten WzM.17 Der/die Liebende ist
stärker (als die Nicht-Liebenden). Der Gesamthaushalt der Liebenden ist reicher als je, mächtiger, ganzer. Die Liebenden wagen, sie sind reich genug dazu.
Sie werden Esel an Großmut und Unschuld. Sie glauben wieder an Gott und an die Tugend, weil sie wieder an die Liebe glauben. Diesen Idioten des Glücks
wachsen Flügel: neue Fähigkeiten (vgl. I1I: 752ft).
Alle große Liebe will nicht Liebe - die will mehr (Il
Z, 5>29). "Die Psychologie hat die Liebe gefälscht, als
Hingebung und Altruismus, während sie ein Hinzunehmen ist oder ein Abgeben, infolge eines Überreichtums von Persönlichkeit. Nur die ganzesten
Personen können lieben" (III: 520; vgl. auch Il: 1105,
Ecce homo (5». "Der, dessen ego schwach und dünn
wird, wird auch in der Kraft der großen Liebe
schwach" (III: 461). "Das höchste Gefühl der Macht
gibt die Liebe [...], aus Liebe tut man viel mehr als
aus Gehorsam" (III: 742) "Die Muskelkraft eines
Mädchens wächst, sobald nur ein Mann in seine Nähe
kommt, [...] beim Tanz nimmt diese Kraft zu [...]"
(III: 841;vgl. auch I1: 47, FW (14); II: 780; II: 888; I:
1223, MR (429); Il: 907, Der Fall Wagner). Widersprechende Stellen fand ich keine. - Wie weit diese
Beispiele wirkliche Einwände gegen die Erklärungskraft der damaligen Physiologie und Psychologie
sind, kann ich im Rahmen dieser Arbeit nicht prüfen;
darum geht es hier auch gar nicht; wichtig ist, daß
Nietzsehe nicht müde wird, Beispiele aufzutischen,
die die Mängel .der Erklärungskraft und Erklärungstiefe der zeitgenössischen Naturwissenschaften,
einschließlich der Psychologie, demonstrieren sollen.
Mißverständnisse einerseits Nietzsches und Unklarheiten und Probleme auf Seiten der Naturwissenschaften mögen dabei eine Rolle gespielt haben.
Auch offensichtliche Mißverständnisse haben, wie
mir scheint, eine Rolle gespielt. Das zeigen die Einwände gegen die Darwinisten.
3.3 WzM vs. Anpassung und Kampf ums Dasein:
Nietzsche neigt "zum Vorurteil, daß sich die Schule
Darwins überall getäuscht hat" (III: 748). Er glaubt,
daß die Darwinisten Leben als immer zweckmäßigere
17. Physiologisch betrachtet ist (für Nietzschc) die Liebe
eine Form des Rausches;' ein Rausch, "der gut daran tut,
über sich zu lügen" (1Il: 752). Nietzsche unterscheidet
zwei Ätiologien des Rausches: der RatlSch "aus übergroßer
Fülle", aus "erhöhter Kraft"; zu dieser Ätiologie rechnet er
u.a.die Liebe und die (klassische) Kunst. Die andere Art
von Rausch führt er auf eine krankhafte Ernährung des
Gehirns zurück (vgl. III: 780f; 754-56). Alkoholika, Drogen, Stoffwechsel-Störungen [...] romantische Kunst,
Selbsthypnose, z.B .. mit Hilfe bestimmter Formen von
Christentum und/oder Wagnerei.
KRITERION
Stärkeren, "die reichsten und komplexesten Formen"
(III: 741f; 748), sind schwach, wenn sie die organisierten Herdeninstinkte '" die Überzahl gegen sich
haben (vgl. III: 748f). "Die Mittel der Schwachen,
um sich oben zu halten, sind Instinkte, sind
'Menschlichkeit' geworden, sind 'Institutionen' [...]"
Den Nachweis dafür sieht Nietzsche in unseren herrschenden sozialen Werturteilen etc, (vgl. III: 738).
Mit diesen Wertsetzungen werden die unteren/mittleren Typen Herr (III: 748),19 wenn sie sich
gegen die "Wohlgeratenen" zusammenschließen.
Darin sieht Nietzsche den WzM der organisierten
Massen, 2.B. der Christen, der Sozialisten und der
Demokraten:
Sie machen sich
die
starken
"Ausnahme" - Typen gefügig, sie assimilieren diese,
so gut sie können, für ihre Ziele, oder sie stoßen diese
ab, isolieren oder merzen sie aus.
An dieser Stelle muß ich ergänzen, daß Nietzsche
auch die darwinistische Evolutionstheorie ablehnt: Er
glaubt nicht an die jahrmillionenlangen Metamorphosen (III: 740). Wie die Kreationisten insistiert er: Es
gibt keine Übergangsformen. Gattungen sind keine
Fortschritte im Vergleich zu anderen Gattungen; auch
die Gattung Homo nicht. Die gesamte Tier- und
Pflanzenwelt entwickelt sich nicht vom "Niederen
zum, Höheren". Nietzsche glaubt an die Konstanz der
Gattungen, des Typs (vgl. III: 740f; vgl. dazu auch:
Gerhard Vollmer: 1988). "Daß sich höhere Organismen aus niederen entwickelt hätten, ist durch keinen
Fall belegt" (III: 748f). Anpassung (positive Selektion) und Kampf ums Dasein sind keine gattungserzeugenden Mechansismen. Es fällt auf, daß Nietzsehe, soweit ich sehe, nirgends den entscheidenden
Faktor der erblichen Variation erwähnt - ein Punkt,
auf den G. Vollmer (1988) nicht hinweist. Die Domestikation (mit ihrem Varianten-Reichtwn durch
künstliche Zuchtwahl) läßt Nietzsche als Argument
nicht gelten: Sie geht ihm nicht "tief' genug, sie
bedeutet keine "Typus" - Änderung. "Was der züch-
innere Anpassung an äußere Umstände definieren, er
meint, daß damit die "spontanen, angreifenden, übergreifenden [...] und gestaltenden Kräfte", die primäre
Aktivität. übersehen werden (vgl. II, GM, S ,819f).
Die Anpassung sei von den Darwinisten unsinnig
überschätzt worden. Der Kampf ums Dasein sei "eine
unbegreiflich einseitige Lehre" (Il, FW, 215), "mehr
behauptet als bewiesen, er kommt vor, aber als Ausnahme [ ] Wo gekämpft wird, da kämpft man wn
Macht[ ]" (lI: 998f, GD (14); III: 894; vgl. auch I:
584, MA I (224». "Wille zur Macht ist der Grund
aller Veränderung" (III: 748f). Das Wesentliche 30m
Lebensprozeß sei "die gestaltende, formschaffende
Kraft, welche die äußeren Umstände nützt" (vgl. III:
889). Diese übergreifenden, gestaltformenden Kräfte,
welche die äußeren Umstände nützen, sind für Nietz'sehe WzM-Kräfte. Leben sei nicht "Anpassung innerer Bedingungen an äußere, sondern Wille zur Macht,
der immer mehr 'Äußeres' sich unterwirft und
einverleibt" (IIl: 898). Nietzsche betont somit die
Assimilation gegen die Akkommodation.
In der Natur herrsche nicht die Notlage vor, sondern der Überfluß und die Verschwendung bis ins
Unsinnige. Der Grundtrieb sei Machterweiterung.
darin werde Oft genug auch die Selbsterhaltung in
Frage gestellt und geopfert (Il: 215, FW (349». Die
Notlage und der Kampf ums Dasein, um die Selbsterhaltung, seien die Ausnahme. Sie bedeuten nur eine
zeitweilige Einschränkung des Lebenswillens. Die
Zurückschaltung auf Selbsterhaltung ist ein Symptom
für Notlagen.'! "Der Drang des Schwächeren zwn
Stärkeren, zum Unterschlüpfen aus Nahrungsnot, der
Drang zur Einheit läßt auf Schwäche schließen" (III:
457). Der große und der kleine Kampf aber dreht sich
nach Nietzsche um Wachstum und Ausbreitung, um
WzM, der eben der Wille (auch) des Lebens ist (vgl.
Il FW, S 215; Il GD (14), S 998f). Die Notlage kann
freilich auch Existenzbedingung sein: "damit ein
Individuum sich zusammenhält, sich nicht vergeudet"
(III: 889).
Der Kampf ums Überleben laufe gerade wngekehrt: zu Ungunsten der Starken. Die Schwachen
werden immer wieder über die Starken Herr. Sie haben die große Zahl für sich und sie sind auch klüger
(vgUI GD (14), p. 999). Die Selektion zugunsten der
Ausnahmen und Glücksfalle findet nicht statt. Die
19. Damit wiederholt Nietzsche eine der Thesen des Sophisten Kallikles in Plattins Gorgias 38, 483c-484a, wonach die Besten und Kräftigsten-unter uns von Jugend an,
wie Löwen, mit unseren willkürlichen Gesetzen suggestiv
gebändigt werden. Aber Nietzsche erwägt auch - Kalliklcs
relativierend - Folgendes in einer Reihe von Fragen: Vielleicht ist der Sieg der Schwachen und Mittleren ein Mittel
in der Ökonomie des Lebens, "eine Tempo-Verzögerung,
eine Notwehr gegen noch Schlimmeres? [...] Gesetzt, die
Starken wären Herr, in allem und auch in den Wertschälzungen geworden:[ ...] möchten wir eigentlich eine Welt, in
der die Nachwirkungen der Schwachen, ihre Feinheit,
Rücksicht, Geistigkeit, Biegsamkeit fehlte? [... ]" (vgl. III:
18. Spinozas Lehre von der Selbsterhaltung und die These
der englischen Darwinisten vom Kampf ums Dasein
"erklärt" Nietzsche sozio-ökonomisch: Die Lehre von der
Lebensnot und dem Selbsterhaltungstrieb als kardinalen
Faktoren stammt von Leuten, die aus Not-Verhältnissen
kommen (vgl, II, FW, p.215).
738f).
34
NIETZSCHES METAPHYSIK-SKIZZE: "DER WILLE ZUR MACHT"
Genie, den Cäsar, die sublimste und zerbrechlichste
Maschine (vgl. III: 741 f), die biologisch-unfruchtbare, aber kulturschaffende Blüte," den Verbrecher
(III: 531; 596), den "Banditen und Korsen" (III: 644),
den Ausbund von WzM nach der Idee des Kallikles
in Platons Gorgias. All diese Varianten müssen keineswegs die bestangepaßten, biologisch fruchtbarsten
und erfolgreichsten Charaktere sein. Das wird kein
Darwinist behaupten. M.a.W.: Nietzsches WzMTypen reinsten Wassers ergeben kein Argwnent gegen das (zunächst ebenfalls metaphysische) Programm Darwins. Der Einwand basiert auf einem
Mißverständnis, vielleicht sogar auf mangelnder
Kenntnis. Die WzM-Spekulation istkeine AlternativHypothese; sie scheint mir sogar mit dem Darwinismus logisch verträglichzu sein. Das evolutionistische
Programm kann man als die Idee eines Spiels von
Kräften - auch im Sinne Nietzsches - interpretieren.
Die Mechanismen der Variation und Selektion haben
keine "Absichten" auf Selbsterhaltung bzw. Anpassung(ÜberIeben). Wesen mit Stoffwechsel, Reproduktion und bisherigem Überleben sind .Produkte
dieser Kräfte-Spiele.F Thermodynamisch gesehen
sind solche Kräftespiele unter physikalisch/chemischen Bedingungen, wie sie, in unserer kosmischen
Ecke und in diesem Stadium des Universwns herrschen, mit solchen Organisationseffekten der kürzeste
Weg, hochkomplexe Ordnungen, wie auch ein noch
höheres Maß an Entropie - in der Umwelt! - zu erzeugen. Nietzsches WzM - Quanten richten auch
nichts anderes an: Alles Geschehen ... alles Werden
ist ein Feststellen von Grad- und Kraftverhältnissen;
ein
Kampf und em Spiel. Das
was als
"Zweckmäßigkeit" imponiert, ist der Ausdruck für
eine momentane Ordnung von Machtsphären und'
deren Zusammenspiel (vgl. U2 (75». Das Stärkerwerden bringt Ordnung mit sich, die einem Zwecke
mäßigkeits-Entwurf ähnlich sehen; Ordnungen des
Ranges, der Organisation, die den Anschein einer
Ordnung von Mittel und Zweck erwecken müssen
(vgI. III: 541f; 492; I: 1102 MR (130».
Ein grundsätzliches Mißverständnis besteht auch
darin, daß Nietzsche den Darwinisten unterstellt, sein
(Nietzsches) Typus des "Starken" sei in ihrer Sicht
selektiv begünstigt, der besser Angepaßte (vgl. III:
748t) als der "Schwache". Dem ist nicht so! Gerade
(Nietzsches) "schwache" Individuen sind durch ihre
Fruchtbarkeit, durch ihre "große Zahl" der
(vorläufig) besser angepaßte Typ. Wenn dem so ist,
tenden Hand wieder entschlüpft, kehrt in den Naturzustand zurück" ("Verwildern" ,siehe Haus- und
Stockenten (Anas platyrhynchos), S.L.). "Man kann
nicht denaturer ia nature. Alles konkurriert, seinen
Typus aufrecht zu erhalten." (IlI: 740t). Er unterstellt, daß jeder Typus, offenbar jede Art und jede
Gattung, (feste) Grenzen habe (vgl. III: 740--42).2°
Die Lektüre von Darwins Die Entstehung der Arten
(1859) hätte ihm aber zeigen können, daß die Radiation der' Variationen sich nicht einfach an unsere
zoologischen oder botanischen Taxonomien" die auf
von uns geschaffenen - und sich ändernden - Regeln
der Merkmalsauswahl fußen, hält. (vgl. dazu Darwin
1859, Kap.Z, Kap.9 und 14).2:
Nietzsche ist natürlich als "Anti-Darwinist" (1Il:
740) kein "Kreationist" im religiösen Sinne. Doch in
einem Punkt gibt es eine Ähnlichkeit: Was gewisse
Theologen und Sekten-Brüder (z.B. Zeugen Jehovas)
Gott zuschreiben, das schreibt Nietzsche seiner
WzM-Quanta -Dynamik zu: Die, wie Nietzsche offensichtlich annimmt,' (genetisch) isolierte, also
nicht-deszendente Arten-Entstehung müßte das Pro-·
dukt (zufälliger) Macht-Quanta-Spiele sein. Doch,
falls ich Nietzsches WzM-Spekulation recht verstehe,
müßte sie auch mit der Evolutions-Theorie logisch
vereinbar sein: Das Macht-Quanta-Spiel kann ja auch
die "Bio-Chemie" bis zur (genetischen) Nicht- Kreuzbarkeit treiben, bzw. verändern. M.a.W.: Die Tatsache genetisch isolierter Arten wäre kein Einwand
gegen Nietzsches WzMI
Nietzsehe unterschätzt den Faktor der Variation,
der in Darwins Theorie eine zentrale Rolle' spielt,
völlig. Doch die kleineren und größeren, zufälligen
Variationen - heute "Mutationen" genannt - ermöglichen auch Nietzsches hochgelobten "höheren Typus", d.h. die "reichste und komplexeste Form", das
20. vgl. aber dazu 111: 542: "Gattung ist aus der Ferne
betrachtet etwas ebenso Flüssiges wie Individuum.
'Erhaltung der Gattung' ist nur eine Folge des Wachstums
der Gattung, d.h. der Überwindung der Gattung auf dem
Weg zu einer stärkeren Art."
21. Auch das Merkmal Fruchtbarkeit bzw.Unfruchtbarkcit
gellen für Darwin nicht als sicherer Unterschied zur Artenabgrenzung (vgl. pp.386fl). ~ Jeder Jäger kennt z.B.
Rackclhühner, . Bastarde von Angehörigen des Auerhuhns
(Tctrao urogallus) und des Birkhuhns (Lyrurus tctrix). Die
Ornithologen wissen, daß diese nicht bloß als zwei verschierlene Arten, sondern als verschiedene Gattungen in
der Systematik geführt werden. - Darwin selber führt viele
Beispiele an.' - Doch die Variation bzw. Mutation, macht
schließlich auch nicht vor den Fortpflauzungsmcchanismcn, an der "Keimbahn" und den Verhaltensprogrammen
I-lall. Diese erzeugen schließlich Kreuzungs-Barrieren, was
dann zur "Arten-Segregation" führt.
22. Die Faktoren, die Mutationen erzeugen und Selektionen bewirken, sind Kräne, die Nictzsche vermutlich an
seine Wzlvl-Hypothesc assimilieren würde,
35
KRITERION
duation ist ein' ständiges Zerfallen von eins in zwei
(U2 68; Tl; 74)). "Die Gleichheit der Machtverhältnisse ist der Ursprung der Generation. Vielleicht ist
alle Fortentwicklung an solche entscheidende MachtÄquivalenzen gebunden" (U2 (71)). Zeugung ist die
höchste Machtäußerung des Individuums: "Im Wachsen spaltet sich das Individuum in zwei und mehrere"
(III: 457). "Der geschlechtliche Instinkt ist nicht eine
Folge der Wichtigkeit des Individuwns für die Gattung, sondern Zeugen ist die eigentliche Leistung des
Individuwns [.,.] seine höchste Machtäußerung [...] ein Grundirrtwn der Biologen: es handelt sich nicht
wn die Gattung, sondern wn stärker auszuwirkende
Individuen" (III: 898). Das erinnert uns an die heutige Hypothese vom "Gen-Egoismus".
Nietzsehe markiert Zeugung, Vererbung, Anpassung und Ernährung ausdrücklich als Probleme (vgl.
Il: 601 JGB (36); III: 456t); Probleme, die ihm die
Biologen nicht befriedigend gelöst haben. Die biologischen Beschreibungen der Teilungs-, Zeugungsund Ernährungsvorgänge genügen ihm nicht. Johann
Gregor Mendels Vererbungsgesetze. formuliert 1865,
hätte Nietzsehe sie gekannt-', wären ihm keine ausreichenden Antworten auf seine Probleme gewesen.
Er hätte, so nehme ich an, den gleichen Vorwurf
wiederholt wie gegen die klassische Physik: "bloß
semiotisch-quantitative Formulierung von Folgeerscheinungen". Die Erklärung der Erbvorgänge mit
Hilfe der Mendelschen Gesetze wären Nietzsehe
nicht "tief' genug: Die Erklärung für das Wie der'
Vererbung wäre ihm noch keine Erklärung für das
Daß, die Tatsache der Vererbung und der Generation.
Und die damals gängigen Erklärungen, finale, teleologische - causae finales - wie kausale - causae efficientes - für die Anpassung lehnt er als unzureichend
ab: "Wie ein Organ benützt werden kann [...], das ist
nicht erklärt" (1II: 456). Das Problem der Generation,
der Vererbung, der Anpassung, des Meta- und Katabolismus ist, so scheint es, für Nietzsche analog zu
dem der Bewegung und Veränderung. Sein metaphysischer Lösungs-Vorschlag: Das ständige Wirken
der Kraft-Quanta (und deren Organsisationen), das,
was er "Wille zur Macht" nennt: "Sieht man die
Geschlechts-Vorgeschichte (eines Individuwns) an,
so entdeckt man die Geschichte einer [...] KapitalSammlung von Kraft [...], Arbeiten, Sich-Durchsetzen. [...] - 'Vererbung' ein falscher Begriff. Für das,
was einer ist, haben seine Vorfahren die Kosten bezahlt" (III: 552). - Wie aber wäre eine solche Kapita-
dann ist Nietzsches These von der größeren Macht
der Masse, der Selektion zugunsren der Schwachen
(III: ·748t) kein Einwand gegen den Darwinismus.
"Die Stärksten, die Ausnahmen sind schwach, wenn
. sie die organisierten Herdeninstinkte, die Überzahl
gegen sich haben" (ebd.; III: 738). Das wird kein
Darwinist bestreiten; ebensowenig Nietzsches folgende Behauptung: "Der Zufall dient den Schwachen
und den Starken genauso gut" (III: 740). Die Schwachen haben "mehr Geist" - ein weiterer Einwand.-:Darwin habe den "Geist" vergessen. Mit "Geist"
meint Nietzsche: Biegsamkeit, List, Verstellung,
Vorsicht, Rücksicht, Klugheit, Feinheit, Geduld und
"große Selbstbeherrschung" (vgl. I: 584; 11: 998f; III:
738). Auch das ist kein Einwand gegen Darwin; im
Gegenteil: die größere Intelligenz und Selbstkontrolle
spricht für "bessere" Anpassung, für größere Fitness.
M.a.W.: Nietzsches Spekulation vom WzM wäre,
zumindest in dem Punkt, keine Alternativ-Hypothese
zum Darwinismus, sondern eher ein "metaphysischer
Überbau". - Auch die herrschenden Werte (des Christentums, des Sozialismus, der Demokratieetc.) sind
keine Einwände gegen den Darwinismus. Sie sind
Sozial-Faktoren, die sich die mediokren und
"dekadenten Viel-zu-Vielen", zu ihrem Schutz, geschaffen haben. Diese Werte-Faktoren begünstigen das ist Nietzsches Ansicht (Il: J168, A (7)) - die
weitere positive Selektion dieser "mißratenen" Typen
in größerer Zahl - auch wenn einige an diesen 'Werten zugrunde gehen. - Nebenbei gesagt: Nietzsche ist
aus rein ästhetischen (Wert-) "Gründen" auf seinen
"starken, wohlgeratenen Ausnahme-Typ" CIl: 624),
auf den Un- und Übermenschen (1II: 520; vgl. Goethe: Faust, Verse 490; 3349) als den "Sinn der Erde"
(Il: 279ft) versessen. Aus dieser idee fixe heraus
nimmt er seine "Umwertung" der "Werte" vor. Mit
der Umwertung möchte er in die Selektionsdynamik
eingrei fen.
3.4 Teilung und Zeugung: Ein weiters Argument
für seine WzM-Spekulation glaubt Nietzsehe in der
Fortpflanzung der Organismen zu finden. Ich habe
oben schon auf Nietzsches Protoplasma-Beispiel hingewiesen: Die Teilung des Protoplasmas in zwei
(Macht-) organisationen tritt dann ein, wenn das Plasmodiwn "den angeeigneten Besitz nicht mehrbewältigen kann." Zeugung bzw. Teilung ist, nach Nietzsehe, Folge einer Ohnmacht (U2 (72); vgl. auch III:
897t). Ein (organisierter) Wille reicht nicht mehr aus,
das gesamte Angeeignete zu organisieren. .Ein
"Gegenwille" organisiert sich, schafft ein neues 01'ganisations-Zentrwn und löst sich von der ursprünglichen (Willens-) organisation (III: 850; 859). Indivi-
23. Die Biologen haben Mcndcls Gesetze zunächst 3 Y2
Jahrzehnte nicht beachtet. Um 1900 wurden sie wiederentdcckt.
36
NIETZSCHES METAPHYSIK-SKIZZE: "DER WILLE ZUR MACHT"
präformiert - und zwar im Kontext mit dem Problern
des Werdens und der Bewegung. Ich weise nur auf
einige von vielen Stellen hin: Abschnitt 5, 6 und 7 zu
Heraklit: "Die Gegensätze sind wie zwei Ringende,
von denen bald der eine, bald der andere die Obmacht bekommt". Der Agon im Staat, i~ den Palästren und Gymnasien wird ins Kosmische übertragen.
Die Welt(en) sind ein ewiges Spiel des Feuers mit
sich selbst, ohne moralische Zurechnung - wie ein
Kind, das Welten baut und zerstört, - Es gibt nur
Wirken, keine andere Art von Sein. "Die Welt ist ein
Mischkrug [00']" "Der Streit des Vielen ist die Gerechtigkeit". "Das Ringen dauert in Ewigkeit fort".
"Wie jeder Grieche kämpft, als ob er allein im Recht
sei,und ein unendlich sicheres Maß des richterlichen,
Urteils in jedem Augenblick bestimmt, wohin der
Sieg sich neigt, so ringen die Qualitäten miteinander
lisierung von Kraft (heute) im Genom zu denken?
Kräfte, die Mutationen bewirken "kapitalisiert" in
mutierten Genen? Wie?
3.5 Fazit: Nietzsches Hypothese vom WzM ist
keine nur philosophisch gewonnene Antithese zu
Schopenhauers "Ding an sich", dem sog. Weltwillen;
sie ist auch nicht allein aus der Beschäftigung mit
den Sozial- und Kulturwissenschaften (Philologie,
Geschichte, Psychologie) entstanden, sondern vor
allem aus wiederholten (autodidaktischen) Studien in
den Naturwissenschaften (der Physik, der Thermodynamik (vgl. U2 (35)), der Chemie (U2 (76;78-80;
293», der Physiologie und Biologie)."
Das Problem der Bewegung, der physikalischen,
chemischen und biologischen Prozesse ist der
wesentliche Anlaß zu seiner WzM-Spekulation, welche erst zu Beginn der 80-er Jahre auftaucht. Wesentliche Elemente seines Antwortversuchs auf diese
Probleme hat Nietzsche - das ist bemerkenswert nicht in Schopenhauers monistischer Willens-Metaphysik gefunden, sondern in der Naturphilosophie des
18. Jhs., 111 Boscovichs dynamistischer und pluralistischer Kraftzentren-Theorie. Die Lektüre von Gustav
Theodor Fechners Buch Übel' die physikalische und
philosophische Atomlehre (1864) und seine Beschäftigung mit den Vorsokratikern, mit deren Problemen
von Sein und Werden und den verschiedenen Antwortversuchen. z.B. denen der Atomisten, brachten
ihn 1873 auf Boscovichs Philosophiae naturalis
Theoria von 1759.2 5
[00.]"
4. Ein Blick in die 70-er Jali"e
Mazzino Montinari (1976) setzt die Entwicklung des'
WzM-Konstruktes in die 80-er Jahre, von ca 188288. Die erste, publizierte ausführliche Beschreibung
findet sich im 2. Teil des Zarathustra: Von der
Selbstüberwindung: "Wo ich Lebendiges fand, da
fand ich Willen zur Macht [00.]'" Die Notizen zum
Thema WzM reichen bis in den Herbst 1882 hinab:
"Wille zum Leben? Ich fand an seiner Stelle nur
Wille zur Macht."
Wenn wir aber Nietzsches Essay-Torso: Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen (1873)
durchsehen, dann finden wir das Thema. WzM zwar
nicht namentlich genannt, aber inhaltlich deutlich
24. Kar! Sehlcehta und Anni Anders (1962) haben Nictzsehcs naturwissenschaftliche Lektüren und Bibliothek (seit
Anfang der 70cr Jahre) ausführlich dokumentiert, vgl.
pp 1GI-I GG: Dic von Nietzschc benützte Literatur,
25. vgl. dazu Schlcchta/Anders (1962): pp73-99; pp 127140.
37
Diese Passage entspricht Thesen vom Sommer
1885: "In der chemischen Welt herrscht die scluirfste
Wahrnehmung der Kraftverschiedenheit. " "Wahrnehmung in der anorganischen Welt, absolut genau:
da herrscht 'Wahrheit' " (vgl. U2 (80;81». Und was
die Metaphysik der Dinge betrifft, formuliert Nietzsehe 1873 Folgendens:
"Die Dinge als Feststehen und Standhalten, so wie
das die Menschen- und Tierköpfe glauben, haben gar
keine eigentliche Existenz, sie sind das Erblitzen und
der Funkenschlag gezückter Schwerter, sie sind das
Aufglänzen des Siegs, im Kampfe der entgegengesetzten Qualitäten. [...] die bestimmten als andauernd
uns erscheinenden Qualitäten drücken nur das momentane Obergewicht des einen Kämpfers aus, aber
der Krieg ist damit nicht zu Ende, das Ringen dauert
in Ewigkeit fort. Alles geschieht gemäß diesem
Streite [00'] dieser Streit offenbart die ewige Gerechtigkeit [...] Fundament der Kosmodizee. [00'] die Eris
Hesiods zum Weltprinzip verklärt."
Diese mythischen Metaphern entsprechen gut der
späteren These, welche die Dinge als ständige Prozesse und Effekte von Kraftfeststellungen auffaßt.
Die Eris, der Streit, d.h. die Kraft-Feststellung; die
vorläufigen Gleichgewichtungen und Störungen der
Gleichgewichte ist "Weltprinzip", - Präludium zwn
Satz: "Die Welt ist der Wille zur Macht und nichts
außerdem" (II1: 917). Man kann solche Passagen
nicht mehr im Rahmen Schopenhauers interpretieren
- obwohl viel Schopenhauer zitiert wird -, denn die
Worte, mit denen Nietzsche Heraklit feiert, widerSchopenhauers
Willensverneinung.
sprechen
"Heraklit ist beglückter Zuschauer", kein Pessimist.
Der Text "Die Philosophie im tragischen Zeitalter
KRITERION
[...]" ist eines der frühen Dokumente gegen den weltverneinenden Pessimismus Schopenhauers. Gegen
Parmenides wendet Nietzsehe (mit Anaxagoras) u.a.
ein: Die Erfahrung zeigt, daß das Denken "von Be- .
griff zu Begriff' schreitet, also in Bewegung ist.
Gesetzt, nach Parmenides, Denken und Sein seien
identisch, dann ist das Seiende in Bewegung; mehr
noch: es gibt eine Mehrheit von Seiendem - nicht
bloß eine dichte "Seinskugel", Da nun das Seiende
weder aus dem Nichtsein entstehen noch wirklich ins
Nichtsein vergehen kann, dann gilt, daß auch eine
Vielheit von Seiendem weder aus dem Nichtsein
werden noch ins Nichtsein verderben kann. M.a.W.:
auch eine Vielheit von Seiendem ist ewig, ungeworden und unzerstörbar. Die Vielheit ist ohne Zu- und
ohne Abnahme; in der bewegten Welt bleibt "die
Summe des wahrhaft Seienden" in alle Ewigkeit
gleich. Die Veränderung betrifft nicht dieses Seiende;
sondern ist eine Folge der - ebenso ewigen Bewegung: "Das wahrhaft Seiende ist bald so, bald so
bewegt, aneinander, auseinander [...] ineinander
durcheinander" (PTG (13)). Dem entspricht ein Text
aus den 80-er Jahren (I1I: 916): Die Welt ist "ein
Ungeheuer von Kraft, ohne Anfang ohne Ende, eine
feste, eherne Größe von Kraft, welche nicht größer,
nicht kleiner wird, die sich nicht verbraucht [...] als
Ganzes unveränderlich groß [,..], ein Spiel von Kräften [...] ewig sich wandelnd [...] mit ungeheuren
Jahren der Wiederkehr [...] - Diese Welt ist der Wille
zur Macht - und nichts außerdem!" Auch in PTG ist
"wahrhaft
Seienden"
die
Vielheit
des
("Wesenheiten") eine endlich große Anzahl; eine
vollendete Unendlichkeit.. in der Vielheit wie in der
Teilbarkeit, ist unmöglich (vgl. PTG (10) und (12)).
Die Prämissen von der "finiten und ungewordenen
Anzahl" (siehe oben 1.6 und 1.8!) sind also in PTG
(1872/73) schon gegeben. Und daß sich Nietzsehe
mit Problemen der Mechanik und der Kräfie im Kontext "Vorsokratiker" mit Hilfe der Naturwissenschal
ten des 18. und 19. Jahrhunderts beschäftigt hat,
zeigt sich auch in PTG (14): Schwerkraft, Anziehung,
Abstoßung, Stoß; .und PTG (15): African Spie erkenntnistheoretische Fragen, Kant-Kritik, Zeit-Problem; mechanische Übertragung der Bewegung.
In Abschnitt 14, zu Anaxagoras, schreibt Nietzsehe: "alle Veränderung bezieht sich nur auf die
Form, die Stellung, die Ordnung, die Gruppierung;
auf die Mischung und Entmischung dieser ewigen
zugleich existierenden Wesenheiten [...} wie beim
Würfelspiel, immer sind es dieselben Würfel, aber
bald so bald so fallend" - In den 80-er Jahren sind
diese "Würfel" die Kraftquanta. - In PTG Abschnitt
38
19, ebenfalls zu Anaxagoras:· "Jener absolut freie
Wille (des bewegenden Nous) kann nur zwecklos
gedacht werden, ungefähr nach Art des Kinderspiels". Ist nach Anaxagoras der (willkürliche) Neus
der "erste Beweger", so sind für den späteren Nietzsehe die stets aktiven WzM-Quanta, die Boscovich'schen Kraft-Zentren, die "ersten (freien) Beweger", Der WzM-Prozeß ist ebenfalls zweckfrei und
ein Spiel von Kräften, vgl. III: 492: "pais paizon".
Diese Signal-Metapher aus den 80.:er Jahren zitiert
verkürzt das Heraklit-Fragment: "aion pais esti
paizon" - "Der Aeon (der Weltzeitprozeß) ist ein
spielendes Kind." - (alle Hervorhebungen von S.L.) Heraklits Bewegungs-Triade: Begehren - Sättigung Hybris (Übermut) deutet Nietzsehe so: Die Hybris ist
der "neu erwachende Spieltrieb", die Kraft zwn Zerstören und neuen Schaffen. Die Welt ist ein
"künstlerisches" Phänomen - nicht "die beste aller
Welten"; "Spiel in der Notwendigkeit" (PTG (6), (7)
und (8)). Die Notwendigkeit scheint die ewige Bewegung zu sein; das Spiel die (indetenninistischen)
Kombinationen. - Die Spielmetapher taucht unter
dem Schlagwort "Unschuld des Werdens" häufig auf:
Kräfte-Spiel jenseits von Gut und Böse, jenseits von
Sinn und Zweck (vgl. z.B. Zarathustra 1: Von den
drei Verwandlungen; H: Aufden glückseligen Inseln).
Ergebnis
Zwei Problem-Quellen haben Nietzsehe zu seiner
metaphysischen Wzlvl-Spekulation geführt: Erstens:
die Probleme von Sein und Werden bei den vorplatonischen Physikern und Naturphilosophen haben die
WzM-Idee vorbereitet; zweitens: im Rapport zu den
zeitgenössischen Naturwissenschaften, in zahlreichen
Auseinandersetzungen mit diesen - ich habe nur die
wichtigsten angeführt - entwickelt er seine WzMSpekulation. Wesentliche Voraussetzungen für die
WzM-Hypothese hat Nietzsehe in der KraftzentrenMetaphysik von Boscovich gefunden.
Literatur
Siglen zu den Werktiteln lmd Text-Ausgaben:
Der Antichrist.
A
FW
Die fröhliche Wissenschaft.
GD
Die Götzendämmerung.
GM
Die Genealogie der Moral.
JGB
Jenseits von Gut und Böse.
MA I / MA 2
Menschliches, Allzwnenschliches.
MR
Die Morgenröte.
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U2
Umwertung aller Werte (Nachlaß), 2. Buch;
die Ziffern in Klammern geben die Fragment-Nwnmer an.
WL
Wahrheit und Lüge im außermoralischen
Sinn (Nachlaß).
WM
Der Wille zur Macht (Nachlaß).
PTG
Die Philosophie im tragischen Zeitalter der
Griechen (Nachlaß).
1- III Band I bis III der Schlechta-Ausgabe. Ziffern in Klammern geben die Essay-Nummer an.
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Nietzsche, F.: Werke in drei Bänden. Hg. von Karl
Schlechta. München 1966.
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Umwertung ai/er Werte. Hg. von Alfred Bäumlet.
Stuttgart 1939.
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39
KRITERION, Nr.8 (1994), pp.40-42
REZENSION
Forrest, Frank G.: Valuellletrics~. The Science o( . sets and then maintains falsely that the distinction
into countable and non-countable infinite sets be an
Professional and Personal Ethics (Value Inquiry
infinite analogue to this elassification. What Forrest
Book Series 11). Amsterdam - Atlanta GA (Rodopi)
hasto say about the cardinality of such sets is re1994. XIV+179 pages. Hfl 60.-IUS$ 35.markable: "The number n is the cardinality of any
fixed finite set, and k is the cardinality of any elastic
High are the aspirations of FrankG. Forrest who has
finite set. Quantitatively, k is greater than n (k> n)"
presented with "Valuemetrics'?" a book that pretends
(p.5). Forrest, so it seems, really tries to tell us that
in its subtitle to provide a "science of professional
the cardinality of finite sets (an "ontological measand personal ethics". Forrest's main objective is to
present a method that allows calculation in an objec- ure" so to speak) depends on the knowledge of their
tive way, without taking re course to intuition 01' members and that those sets whose members are
known (to us, to God, 01' to Forrest perhaps?) all have
moral norms, considering solely the semantic properthe same cardinality, the latter being smaller than the
ties of the concepts used in an act's description, the
cardinality cornmon to all sets some of whose mernmoral value of that act. At least three objections can
be mounted against his account. Firstly, his notion of bers are unknown. In section 4, "Concepts", Forrest
lets up on mathematics and begins to attack semanconcept is dubiousas to its correctness. Secondly, his
ties. He introduces three notions: that of a"meaning
assignment of values to concepts seems rather arbiset", that of a referent set and finally a set "of actual
trary, and in important cases it can even be shown to
properties which a particular member of REF [the
rest on outright falsities. And, finally, the mathereferent set, rem.] possesses". None of these notions
matics underlying his calculations are flawed in sevis defined and only that ofa referent set may be fainileral respects. We substantiate our criticisms in due
iar through common phi!osophical usage. The meancourse. Forrest starts with the observation that
ing set of "book" according to Forrest is "M book =
"goodness" is the basic phenomenon of ethics and
{document, pages, written 01' printed material, bindpresents a sketch of adefinition: "Goodness is clegree
of concept meaning fulfillment." He tries to elarify
ing, 00" covers}". What is this supposed to mean?
One interpretation would be that this set contains all,
this sketch by pointing out that "goodness is the degree that the set of actual properties of something
another that it contains some of the possible defining
properties of "book". A further interpretation, sugcorresponcls with the set of names of properties gi ven
gested by some of Forrest's remarks, is that it conin the thing's concept" (p.2). Hedoes not, however,
provide any formally correct definition and, as will
tains all possible properties of books whatsoever.
be shown, his account of "concept meaning fulfillHowever, as his further remarks reveal, noneof these
ment" is, in all of its likely interpretations,entirely
interpretations will do. Forrest distinguishes three
untenable. Forrest concedes that "[tjhis conception of types of concepts. "Type 1" concepts have "a fixed
goodness is different from people's generalunderfinite meaning set. All members are known. The
standing of the word" (p.2). That it is indeed. Therecardinality of this set is n. A square, for instance, has
fore, even if tlie definition were formally correct and
four properties: (I) geometrie figure, (2) four sides
the meaning of the definiens were sufficiently elear,
[00'] A square cannot exist unless all these and only
it would still fai! to be materially adequate. As comthese properties are present" (p.7). Does Forrest try to
monly acknowledged, to render a pre-scientific contell us here that a square has exactly four properties?
cept scientific, it is not sufficient to replace it by
A square has certainly more than four properties. One
some arbitrarily chosen scientific concept. In addican argue that it has indeed infinitely many propertion, the terms' meanings should coincide in relevant
ties. A square has in addition to those mentioned for
use as much as possible. It cannot be doubted, not
instance the properties of being abstract, of not being
even by Forrest himself, that this is not true for his
identical with the number one, not being iclentical
notion. Why call it "goodness" then? Forrest conwith the number two., and so forth. Finally, it is not
fronts us then with what he thinks to be "elements of unreasonable to believe that a square has properties
set theory": The things he tells us here sound rather
unknown to anyone of us, be it only for the simple
strange. First, he introduces an epistemic classificareason that some mathematical theory that exhibits
tion unknown to standard mathematics of finite sets
these properties has not been invented yet (does,
into fixed finite sets and elastic finite sets: "Fixed
therefore, a square have "cardinality k"?). This sugfinite sets have members all ofwhich are known. [00']
gests that whai Forrest has in mind when speaking
Elastic finite sets have members some of which are
about properties are not properties simpliciter but
unknown" (pA). Here Forrest confounds, for no apdefining properties. However, even this won't work.
parent reason, ontological and epistemic properties of A square may be defined in several different ways
40
REZENSION FRANK G: FORREST: VALUEMETRICS~
using other properties than those mentioned above.
Moreover, this interpretation of Forrestian "properties" would not square with his view of "Type 11" and
"Type 1II" concepts: "A referent of a Type II concept
must possess a certain number of properties contained in the meaning set to be a member of the class
of things named by the concept. However it need not
possess aIJ the possible properties named in Mc [the
meaning set, rem.]" (p.9). The referent of a term
must certainly exhibit all the properties used in the
term's definition. As an example of a "Type Il" concept Forrest cites the word house and as a mernber of
its meaning set he presents porch: A house need not
possess a porch, but one that does is according to
Forrest "bettet" than one that does not. Type IIT concepts, finally, "refer to people". Examples, accoreling
to Forrest, are human being, person and girl. He takes
these concepts to have infinite meaning sets. His
argument for this falls far Sh0l1 of being conclusive.
Ir runs as folIows: "The set of properties of a person
is a set of sets. [...] The infinite set of thoughts people
possess is among the mernbers of the set of sets that
cornprise their complete set of properties" (p.II).
Further. "[a] set of sets having one or more infinite
members is infinite" (p.II). Therefore the meaning
set of person is infinite. That all this is utterly false
reveals a simple example. Let No and Ne be the sets of
all oeld and all even natural numbers respectively,
both of which are clearly infinite. The set S =i N,,,
NJ, however, is finite only, containing exactly two
members. Note that 2 E Ne andN, E S but 2 g S, i.e.
the elementhood-relation is, contrary to Forrest's
tacit assumption, not transitive. A further. rninor
objection can be mounted against the first assumption. The actual explicit thoughts of a person at a
given time as well as during his entire life span are
certainly only finite in number. What are we supposed then to understand by the "infinite set of
thoughts of a person"?
. FOJTest, as already noted, is aware of the fact that
his use of the terrn "goodness" "is at variance with its
ordinary usage. So there arises the neeel to relate his
tenn to the familiar one. To this enel, he is coining
two novel terms: "concept composition" and
"concept transposition". He introduces them in chapter two as folIows: "When meanings interact positively, the concept combination is compositional. [...]
Negative interaction is transpositiona]" (p.28). No
definitions are given, again we have to make do with
examples. According to FOlTest the terms brand new
and (:ar, tür instance, interact positively, in contrast
to the tenns dalllage anel car, which are saiel to interact negatively. This, he argues, is due to the fact that
the term brand new "deepens" the meaning of (:ar,
whereas "merging the meanings" öf dwnage and car
"produces patiial depletion of the meaning of the
concept car'' (p.29). Forrest unsuccessfully tries to
clarify his views by way of two "analogous" illustrations from chemistry anel geometry, He gives illustrations where elefinitions are baelly needeel. Interesting
results which reflect Forrest's mastery of modem
mathematics are presented in chapter 3under the title
of "Hartmanean Algebra". Forrest begins to redefine
set theoretical notions, - "(A v B) is the set whose
elernents are the.elements of both set A anel set B"
(this is in fact the elefinition of intersection) - to turn
then to an original presentation of cardinal number
arithmetic: "Let A anel B be any two fixeel finite sets.
Then card A = n anel card B = n. Therefore, card
(A v B) = n + n (elefinition of union). But, (A vB)
also is a fixed finite set. Thus card (A vB) = n.
Therefore, n + n = n which means that the sum of any
two finite numbers is a finite number" (p.42). Forrest
succeec\s in packing four basic errors into this sm all
passage. We will discuss them in some detail since
they repeateclly peep out of several subsequent pages.
First, from A and B being two finite sets ("fixeel" or
not) it eloes not follow that they have the same cardinality. The seconel mistake consists in believing that
for any finite sets A anel B and any cardinalities n, m
if card /}- = n and card B = m then carel (A vB) =
n + m. This is true only if A anel Bare elisjoint, as is
easily shown by way ofan example: Let A= {I, 2, 3}
and B = {2, 3, 4}, thus (AvB) = {I, 2, 3, 4}.
Obviousl y, carel A = 3, carel B = 3, anel, contrary to
Forrest's erroneous assumption, card (A v B) :cf- 6.
Thirdly, that a set is finite, eloes not entail that its
cardinalityis n. Finally, the fact that the sum of any
two numbers is a finite number is not expressed by
"n n = n". This equation teils us, in fact, that a
number n that is addeel to itself is the number itself,
whichis truefor n = 0 but false for all other finite
+
cardinal numbers.
In our criticism of the above passage we have tacitly assumecl that the "n" is usecl as a constant. The
only other possibility would be to assume its use as a
variable. In that case the quote would either not contain any single sratement expressing a fact, but
merely open statell1entfimctions, that do not express
anything at all, or, alternatively, one woulel be forced
to asslllne all variables to be in the scope of an
implicitly assumed quantifier, The question then is
what kinel of quantifier? The equation n» = n on p.44,
for example, is true for n = J but false for all other
carclin'.ll numbers of a finite set, so it cannot be a
universal quantifier timt is intended here. An existential quantifier, on the other hand, would be mllch too
weak for Forrest's purposes. Forrest never cIarifies
his use of his n's and k's but informs us on pp. 5 and
33 that n and k are supposed to be "general finite
nUll1bers". Not only for the reason that such nUll1hers,
exhibiting the properties attributeel to them by For-
./
41
KRITERION
under the label of "Hartmanean Algebra" imply this
principle. What else then is the justification for this
nonnative statement?
Itis not worthwhile to waste any more ink by discussing in any detail the rest of the book. On the
subsequent pages, Forrest tries to apply the tools
discussed and seeks to establish by scienitific means
alone that, for instance, "capital punishmentis justified for murder" (p.99) and that "rape or incest justify
abortion prior to 24 to 26 weeks after conception, but
not beyond" (p.ISl). Any such procedure purporting
to establish the validity ofnonnative statements
without recourse to other nonnative statements has
been, since David Hume, subject tö profound objections. There fore, some remarks of Forrest's addressing this problem were to be expected here. He seems,
however, to befully unaware of the philosophicaJ
problems his enterprise raises.
The last chapter "Afterword and Outlook" terminates in an announcement that might sound like a
threat to some ears: "[ cardinal number arithmetic] is
a blunt tool and has limitations. These difficulties
possibly can be overcome using quantum wave theory in lieu of set theory [...]. Quantum ethics is plausible. It may evolve in the near future" (p.170).
The book combines lack of basic mathematical
expertise with an untutored view of semanties and
careless philosophical thought. Buying this book is a
waste of money, reading it a waste of time. In
Austria, Rodopi is known as the publisher of the
Grazer Philosophische Studien and other high-quality
publications. With books like this, however, Rodopi
is very likely to lose the reputation it has acquired.
rest. are foreign to contemporary mathematics and,
thus, might possibly constitute a major innovation,
but also for the sake of clarity, it would be very nice
indeed to dispose of a definition of such nwnbers.
The following pages are vitiated by errors some of
which have already been discussed. All this makes a
detailed review virtually impossible. Suffice it to
address two selected points. As may be well known,
one and the same fact or situation may be correctly
described in more than one way, using different
words. A case of murder, for example, is amenable to
various differing but true descriptions, some of which
are prima facie neutral as to the moral status of the
murder. some of which are implicitly approving or
disapproving. Since Forrest's calculations - that cannot be presented here for the aforementioned reasons
- are so tightly fixed on the words that occur in the
descriptions of a particular case, it is very likely that
even if the devastating tlaws mentioned above did
not exist, they would still fail to be correct on
account of their linguistic relativity, ar least I cannot
see anything in Forrest's account that would rule this
out. On p.S9 Forrestmakes use of a principle of
"Value Creation" the status of which is dubious. The
principle tells us to "[slelect courses of action[...] that
result in value creation or that, secondarily, arevalue
neutral" and to "avoid those that depreciate it". Forrest contends that parts of Hartmanean Algebra be
"the basis" for this principle, but it is not clear in what
sense "basis" is to be taken here. As far as I can make
out, there is nothing (except perhapsfor the principle
ex contradictione quodlibeti that would justify the
claim that the mathematics presented in this .book
Hanspeter Fet:
42
KRITERION
43
KRITERION
DIE AUTOREN
STEPHAN LANDOLT, geboren 1945 in NiederumenJSchweiz, studierte in Salzburg Philosophie, Psychologie, Zoologie und Germanistik. Er promovierte in Philosophie und unterrichtet seit 1972 an der Universität
Salzburg. Zu seinen Veröffentlichungen zählen unter anderen Artikel zu wissenschaftstheoretischen Fragen der
Psychoanalyse sowie Aufsätze zu Nietzscheund Goethe.
Adresse: Universität Salzburg, Institut für Philosophie, Franziskanergasse 1, A-5020 Salzburg, Österreich
(Austria)
OTTONEUMAIER, 1951 in Dornbirn geboren, studierte von 1970 bis 1979 Philosophie und Deutsche Philologie in Innsbruck, Seit 1980 ist er Assistent am Institut für Philosophie der Universität Salzburg.
Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen zählen: Biologische und soziale Voraussetzungen der Sprachkampeten: (1979). Wissen und Gewissen (Hrsg., 1986), Vom Ende der Kunst (1989), Mentalismus in der Cognitive
Science (1989), Individuelle und kollektive Verantwortung (1990), Die Bedeutung von menschlichen und
nichtmenschlichen Wesen in der Ethik (1991).
Adresse: Universität Salzburg, Institut für Philosophie, Franziskanergasse I, A-5020 Salzburg. Österreich
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