ADHS – Betrachtungen aus einer integrativen Perspektive

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ADHS personzentriert
verstehen und begegnen
Ulrike Hollick
Stephan Jürgens-Jahnert
Schwäbisch Gmünd 2016
Teil 1: Störungsverständnis und Behandlungskonzept
Vortrag, Therapievideo, Diskussion
(Stephan Jürgens-Jahnert)
Teil 2: Elternarbeit
Vortrag, Rollenspiel, Diskussion
(Ulrike Hollick)
Grundsätzliche Sichtweise von ADHS
Kein homogenes Krankheitsbild, sondern Kombination
von Symptomen, Spektrumsdiagnose
„Kind mit ADHS-Symptomen“
Nicht von vorneherein krankheitswertig, aber es kann
krank machen
Komplexe, nicht-lineare Entwicklungsverläufe
Grundlagen unseres Konzeptes
 Personzentrierter Ansatz: ganzheitlich, prozess- und




beziehungsorientiert
Klinische Erfahrung und ADHS-Forschung
Säuglings- und Bindungsforschung
Konzepte zur Entwicklung der Selbststruktur
Neurobiologische Forschung
Diagnose
Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom
Nach den klassischen Kategoriensystemen ICD und DSM sind
die Leitsymptome:
 Unaufmerksamkeit (Aufmerksamkeitsstörungen,
Ablenkbarkeit),
 Überaktivität (Hyperaktivität, motorische Unruhe) und
 Impulsivität.
Störungsentstehung auf dem Hintergrund
des bio-psycho-sozialen Modells
 biologische Ausgangsbedingungen (anlagebedingt und/oder
erworben)
 soziale Situation – Erfahrungen
 intrapsychische Entwicklung
o Entwicklungsdefizite der Selbststruktur
o Inkongruenzen / psychische Konflikte
o Sekundäre Folgen / Komorbiditäten
1) Biologisch
 Genetische Faktoren, u.a. Dopamin
– zu viel oder zu wenig
 „schwieriges Temperament“ ( Kennzeichen: leichte Erregbarkeit;
niedrige Reizschwelle; schlechte Beruhigbarkeit….)
 Störungen in der Sinneswahrnehmung/sensor. Integration
 Neurobiologische Folgen früher Stress-Erfahrungen in
Schwangerschaft und Säuglingszeit  hirnphysiolog. und –strukturelle
Veränderungen wie Ansprechbarkeit auf Reize
 biologisch bedingte Vulnerabilität
2) Sozial  Frühe Interaktionserfahrungen
Regulation





Keine ausreichende Regulation auf körperlicher Ebene
Kein ausreichendes Mitschwingen (körperlich und emotional)
Nicht adäquates Spiegeln der inneren Zustände des Kindes
Keine ausreichende Affektregulation
Übermäßige Unter- oder Überstimulation
Bindung





Nicht ausreichende Feinfühlichkeit
Fehlende Sicherheit
Verlässlichkeit
Regelmäßigkeit
fehlender Halt (auch körperlich)
3) Innerpsychische Prozesse
1. Entwicklungsdefizite der Selbststruktur
 Wahrnehmung
 Selbstregulation und Impulskontrolle
 Aufmerksamkeitslenkung
2. Inkongruenzen / psychische Konflikte
 Bedürfnis nach Anerkennung vs. Bedürfnis nach Selbstentfaltung
 Negative Selbstbewertung eigener Stärken und Fähigkeiten
 Selbstbehauptung statt Selbstentfaltung
 Stagnation, keine Weiterentwicklung durch Lernprozesse mehr
3. Komorbiditäten
 Angst (wegen brüchiger Bindungen)
 Depression (schwere Belastungen, Verlusterfahrungen)
 Störung des Sozialverhaltens (Dominieren, um Scheitern abzuwenden)
1. Entwicklungsdefizite der Selbststruktur
1.1 Wahrnehmung:
Von Körper, Affekte, Verhalten, soziale Situationen;
wird intuitiv „gelehrt“ von Bezugspersonen
Sie entwickelt sich in den ersten Lebensjahren durch die enge Bezogenheit zwischen
Kleinkind und Bezugsperson, insbesondere über das affektive Mitschwingen.
Dabei lernt das Kind,
 seine unspezifischen, affektbedingten Erregungszustände einzelnen Gefühlsqualitäten
zuzuordnen,
 die hinter dem Verhalten stehenden mentalen Zustände bei anderen und bei sich
wahrzunehmen und in Verbindung zu setzen.
1.2 Impulskontrolle
Genaue Wahrnehmungsfähigkeit ist eine wesentliche Voraussetzung
Fähigkeit, den ersten, spontanen Impuls zu kontrollieren
1.3 Aufmerksamkeitslenkung:
Am Beginn steht die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Reiz
zu richten.
Anscheinend genetisch angelegt (Neugeborene drehen ihren Kopf gezielt zu der Seite, wo die
Stilleinlage der Mutter liegt.); wahrscheinlich Teil des Behaviour Activating System BAS;
daraus entwickelt sich bald die Fähigkeit zur Orientierung, zur kontrollierten Selektion von
Informationen
Der zweite Entwicklungsschritt ist die Erlangung der (bewussten)
Aufmerksamkeitskontrolle:
 Aufmerksamkeitsregulation (A. konzentrieren und aufrecht erhalten)
 Verhaltenssteuerung (Unterdrückung inadäquater Reaktionen)
Hohe Bedeutung der => „joined attention“, der gemeinsam gerichteten, mit
Konzentration verbundenen Aufmerksamkeit <= Bindungs/Beziehungsprozess!!
In der natürlichen Entwicklung passiert vieles davon im Spiel.
3) Innerpsychische Prozesse
1. Entwicklungsdefizite der Selbststruktur
 Wahrnehmung
 Selbstregulation und Impulskontrolle
 Aufmerksamkeitslenkung
2. Inkongruenzen / psychische Konflikte
 Bedürfnis nach Anerkennung vs. Bedürfnis nach Selbstentfaltung
 Negative Selbstbewertung eigener Stärken und Fähigkeiten
 Selbstbehauptung statt Selbstentfaltung
 Stagnation, keine Weiterentwicklung durch Lernprozesse mehr
3. Komorbiditäten
 Angst (wegen brüchiger Bindungen)
 Depression (schwere Belastungen, Verlusterfahrungen)
 Störung des Sozialverhaltens (Dominieren, um Scheitern abzuwenden)
Biopsychosoziales Erklärungsmodell
Biologische Bedingungen
 verringerte Reizschwelle
 Wahrnehmungsstörung
 prä- und perinatale Erfahrungen
 Unverträglichkeiten, Allergien …
Entwicklungsaufgaben
und
Aktuelle
Anforderungen
(Kita, Schule, …)
Internaliserender
Modus
Soziale Situation  Erfahrungen
• Regelmässigkeit, Verlässlichkeit
• Regulation
• Bindungssicherheit
• Klarheit (Grenzen, Orientierung)
Bewältigung
Externalisiernder
Modus
Psychische Entwicklung
• „Ansprechbarkeit“ auf Reize
• Selbst-Steuerung
• soziale Kompetenz
• Selbstwert
• psychische Konflikte
Entwicklungsförderlich
Beziehungsorientiertes
Behandlungskonzept
 Ganzheitliches, prozess- und beziehungsorientiertes
Konzept
 Entfaltung seiner inneren Welt
 Herstellen eines inneren Bezuges
 Entwicklung einer Struktur von innen heraus
 Anregung zum physischen und sozialen Spielen
 Berücksichtigung einer begleitenden Medikation
 Zusammenarbeit mit BP und Umfeld
Personzentrierte Leitideen zur Psychotherapie von
Kindern mit ADHS-Symptomen
In unserem therapeutischen Ansatz bieten wir den Kindern eine
Atmosphäre, in der sie fehlenden Erfahrungen nachholen und
Fehlentwicklungen korrigieren können:
 Der Therapeut ist derjenige, der sich in die Welt des Kindes




hineinbegibt und es dort abholt.
In seinen affektiven und verbalen Rückmeldungen muss er in enger
Bezogenheit zum Kind stehen.
Passgenaue Unterstützung bei der Selbstregulation
genaue Affektspiegelung, Selbst-Verstehen; Mentalisierung
Durch fein dosierte Abweichungen kann er die Fähigkeit zur
Selbstregulation anstoßen.
 Das Stressniveau in der Therapie muss niedrig und vom Kind mit





regulierbar sein, um förderliche Bedingungen für die mentalen und
hirnphysiologischen Prozesse sicherzustellen.
Beachtung aller drei Ebenen psychischer Beeinträchtigungen
Anbieten korrigierender Beziehungserfahrungen (Authentizität,
Klarheit und Wertschätzung)
Ressourcenorientierung und -aktivierung
Strukturierung zum Erhalt der therapeutischen Beziehung
Auch der Therapeut muss für sich auf sein Stresserleben achten, um
nicht zu sehr von den realen Vorgängen absorbiert zu sein, da er sich
dann nicht auf die mentale Ebene einlassen kann.
 Multimodales Vorgehen: Arbeiten mit dem Umfeld
Fallvorstellung
Karina, sechs Jahre alt
Vorstellungsanlass: sekundäre Enuresis
Impulsiv, unruhig, laut, unkonzentriert, schwer lenkbar
Zusammenschnitt der 25. Therapiestunde
Regenbogen
Regenbogen 2 Jahre später
Grundsätzliche Erkenntnisse
 Die Konstante ist die Therapeutenperson
 Aufbau der Struktur von innen heraus
 Orientierung an Selbstentwicklungstendenz des Kindes
 Ausreichend lange Therapiedauer
 Gültigkeit des Konzeptes auch für beraterische und
pädagogische Arbeit
Danke für Ihr Interesse an Störungsverständnis und
Behandlungskonzept.
Nach der Pause geht es weiter mit Elternarbeit.
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