Economics Themen international 28. Oktober 2003 Nr. 285 Aktuelle Themen Aufschwung 2004: Unsicherheitsfaktoren • Im 2. Quartal 2003 hat sich die Wirtschaft in den USA und Japan deutlich erholt, während Euroland weiterhin in Stagnation gefangen blieb. Frühindikatoren deuten darauf hin, dass sich dank der Impulse durch die Geld- und Fiskalpolitik die Konjunkturerholung der G3-Länder im 2. Hj. weiter beschleunigt. • Ob dies zu einem nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung führen wird, hängt entscheidend davon ab, ob das Ungleichgewicht zwischen Ersparnisbildung und Investitionen im privaten Sektor, das während des New Economy Hypes und aufgrund der Aktienmarkteuphorie entstand, ausreichend korrigiert wurde. • Die finanzielle Situation der amerikanischen Haushalte hat sich im 1. Hj. dank sinkender Zinsen verbessert. Dies ermöglichte den Haushalten teure Konsumentenkredite durch preiswertere Hypothekendarlehen zu ersetzen. Trotz der höheren Verschuldung hat sich das Nettovermögen der amerikanischen Haushalte aufgrund steigender Immobilienpreise und Aktienkurse erhöht. • Die japanischen Unternehmen haben einige Fortschritte auf dem Weg der Schuldenreduzierung gemacht. Die Kostensenkungsmaßnahmen führten zu einer Stabilisierung der Betriebsergebnisse und steigenden Investitionsausgaben. • Im Unterschied zu den USA konzentrierten sich die Umstrukturierungen der Unternehmen in den EWU-Ländern allein auf die Verringerung der Investitionsausgaben. Während die Zahl der Beschäftigten in den USA um 2% reduziert wurde, hat der Abbau von Arbeitsplätzen in Euroland erst vor kurzer Zeit begonnen. Deshalb sind die Lohnstückkosten relativ hoch geblieben, was einen deutlichen Anstieg der Unternehmensgewinne verhinderte. • Aufgrund der Ausgabenkürzungen hat sich die interne Finanzierungsquote der europäischen Unternehmen jedoch verbessert. Die Cash Flow-Situation dürfte somit kein Hindernis für eine Steigerung der Investitionsausgaben sein. Dies wäre nur der Fall, wenn die Unternehmen in Europa und in den USA interne Mittel zur Korrektur ihrer Schuldenquote in Relation zum BIP verwenden, die weiterhin um über 10 (Euroland) bzw. 14 Prozentpunkte (USA) höher ist als 1997. • Die USA ist die Wachstumslokomotive der Weltwirtschaft; Konsequenz ist ein Anstieg des US-Leistungsbilanzdefizits auf 5 ½% des BIP in 2004. Diese Tendenz verstärkt die Bedenken, dass eine Korrektur dieses Ungleichgewichts bevorstehen könnte. • Eine weitere Abwertung des USD um 25% wäre notwendig, um das Leistungsbilanzdefizit innerhalb von zwei bis drei Jahren zu korrigieren. Dies hätte gravierende Konsequenzen für die Weltwirtschaft. Der Wachstumsvorsprung der USA und die bessere Gewinnentwicklung deuten jedoch darauf hin, dass ein großer Teil der internationalen Ersparnisse weiterhin in den USA angelegt werden. Editor Stefan Schneider +49 69 910-31790 [email protected] Publikationsassistenz Bettina Giesel +49 69 910-31745 [email protected] Deutsche Bank Research Frankfurt am Main Deutschland Internet: www.dbresearch.de E-Mail: [email protected] Fax: +49 69 910-31877 DB Research Management Norbert Walter Stefan Bergheim, +49 69 910-31727 ([email protected]) Bernhard Gräf, +49 69 910-31738 ([email protected]) Stefan Schneider, +49 69 910-31790 ([email protected]) Aktuelle Themen 2 Economics 28. Oktober 2003 28. Oktober 2003 Aktuelle Themen Aufschwung 2004: zahlreiche Unsicherheitsfaktoren Nach der Schwäche zum Jahresbeginn hat sich die Konjunktur in den USA und Japan deutlich belebt, während die Wirtschaft der EU-Länder weiterhin stagniert. Frühindikatoren deuten darauf hin, dass sich die konjunkturelle Erholung im 2. Hj. beschleunigen wird und die EWU-Länder auf den Wachstumspfad zurückkehren. Diese Entwicklung stützt sich auf massive geldpolitische Impulse in allen drei Wirtschaftszonen mit einem Rückgang der realen Kurzfristzinsen auf -1% in den USA und auf ca. 0% in Europa und Japan. Außerdem geht von der Fiskalpolitik in den USA erhebliche Schubkraft aus. Die monetären und fiskalpolitischen Impulse haben den privaten Sektor den notwendigen Spielraum verschafft, die massiven Ungleichgewichte zwischen Investitionen und inländischer Ersparnis aus der Phase der New Economy und des boomenden Aktienmarktes zu korrigieren. Die Frage, ob die Korrektur ausreichend für eine nachhaltige Konjunkturerholung ist, wird von entscheidender Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung im Jahr 2004 sein und ist deshalb einer der Hauptaspekte dieses Berichts. Die finanzielle Situation der amerikanischen Haushalte scheint auf den ersten Blick relativ angespannt, während der Unternehmenssektor die Trendwende geschafft haben dürfte: die Unternehmensgewinne (NichtFinanzbereich) sind in sieben aufeinander folgenden Quartalen gestiegen und haben im 2. Quartal eine Steigerungsrate von 21% gg. Vj. erreicht, während die Investitionen außerhalb des Wohnungsbaus um 5,6% (gg. Vq., ann.) gestiegen sind. Dagegen präsentiert sich der Unternehmenssektor in Europa und Japan in einem weniger günstigen Licht. In Japan werden die Rückführung der Verschuldung, die Kostensenkungsmaßnahmen und die Anpassung der Kapitalinvestitionen darüber entscheiden, ob die Wachstumsbelebung im 1. Hj. mehr ist als ein vorübergehendes Phänomen. In Europa wird ein Anstieg der Investitionen erforderlich sein, um eine ausreichend hohe Inlandsnachfrage zu erzeugen, damit die währungsbedingten Verluste der Nettoexporte ausgeglichen werden können. Durch die unterschiedliche Fiskalpolitik in den G3-Ländern hat sich das Ungleichgewicht in der Binnennachfrage der einzelnen Länder verstärkt, dies kommt insbesondere im immer weiter steigenden Leistungsbilanzdefizit der USA zum Ausdruck. In der volkswirtschaftlichen Literatur wird darauf verwiesen, dass eine Anpassung über eine Abwertung des USD erfolgen muss. Aufgrund relativ hoher Importelastizität des US-Wachstums und der relativ geringen Preiselastizität der US-Importnachfrage würde eine Verringerung des USLeistungsbilanzdefizits auf ein tragbares Niveau (3 bis 3 ½% des BIP) in den nächsten zwei bis drei Jahren eine Abwertung des USD um weitere 25% erfordern, was gravierende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft hätte. Nur wenn sich die Anpassungen über einen deutlich längeren Zeitraum erstrecken, ist unsere Wachstumsprognose von 2 ¾% für die Industrieländer im Jahr 2004 erreichbar. Eine stärkerer Anstieg der USUnternehmensgewinne und ein höherer Wachstumstrend der USA könnten zu ausreichenden privaten und öffentlichen Kapitalzuflüssen führen, um das Leistungsbilanzdefizit in den nächsten 1 ½ Jahren ohne massive Wechselkursanpassungen zu finanzieren. Die folgende Analyse (die durch fehlende vergleichbare Statistiken erschwert wurde) deutet darauf hin, dass das Ungleichgewicht in Bezug auf den privaten Konsum und die Investitionen in der Tat reduziert werden konnte. Unser Artikel konzentriert sich auf drei Themenbereiche: die Finanzsituation der amerikanischen Haushalte, die Unternehmensbilanzen in Japan und Euroland und das USLeistungsbilanzdefizit. Economics Vor dem globalen Aufschwung 6 1,2 Frühindikator (rechts) USA 1,0 G7-BIP (links) 0,8 0,6 5 4 EWU 3 0,4 2 0,2 1 0,0 0 -0,2 -1 Japan -2 -0,4 % gg. Vq. % gg. Vq. -3 -0,6 00 01 02 03 BIP 2002 2003 2004 USA 2,4 2,8 3,9 Japan 0,2 2,3 1,8 EWU 0,7 0,4 1,7 Deutschland 0,2 0,0 1,8 Industrieländer 1,6 1,8 2,7 2004 Inflation 2002 2003 USA 1,6 2,4 1,8 Japan -0,9 -0,3 -0,3 EWU 2,3 2,0 1,5 Deutschland 1,4 0,9 0,5 USA: Verschuldung der privaten Haushalte 160 Private Haushalte, gesamt 150 140 130 120 ohne Selbständige 110 100 90 % des verfügbaren Einkommens 80 70 90 92 94 96 98 00 02 3 Aktuelle Themen 1. USA: Finanzielle Situation der privaten Haushalte – besser als ihr Ruf 28. Oktober 2003 USA: Nettofinanzvermögen der privaten Haushalte Die Verschuldung der amerikanischen Haushalte ist in jüngster Zeit weiter kräftig gestiegen und hat Ende Juni 2003 nahezu 115% ihrer verfügbaren Einkommen erreicht. Einschließlich der Selbständigen beträgt sie sogar knapp 157% und liegt damit deutlich über der Verschuldungsquote deutscher Haushalte (Ende 2002: 111%). Dies hat Befürchtungen genährt, dass die Verschuldungssituation den privaten Konsum merklich dämpfen und damit die wichtigste Stütze der amerikanischen Konjunktur zum Einsturz bringen könnte. 400 350 300 250 Finanzvermögen kräftiger als Verschuldung gestiegen Die finanzielle Situation der amerikanischen Haushalte stellt sich aber besser dar, als sich aus den Verschuldungszahlen vermuten lässt. Denn gleichzeitig haben sich ihre Finanzvermögen aufgrund der Aktienmarkterholung kräftiger als die Verschuldung erhöht (auf gut 395% der verfügbaren Einkommen), so dass die Nettofinanzvermögen amerikanischer Haushalte Ende Juni 2003 mit rund 280% um fast 20%Punkte über ihrem Tiefstand von Ende September 2002 lagen. Amerikanische Haushalte profitieren aufgrund ihres hohen Aktienanteils (direkte und indirekte Aktienanlagen machen mehr als die Hälfte der Finanzvermögen aus) weitaus stärker von Kursveränderungen als beispielsweise deutsche Haushalte, deren Aktienquote merklich unter 10% liegt. Zudem haben auch die Immobilienvermögen amerikanischer Haushalte weiter zugenommen und die Vermögens-/ Verschuldungssituation sich damit zusätzlich verbessert. Allerdings würden bei einem starken Zinsanstieg die Immobilienpreise sinken. Schätzungen zufolge, verringert ein 10%iger Rückgang die Nettovermögen der privaten Haushalte um etwa 4%. % des verfügbaren Einkommens 200 90 92 94 96 98 00 02 USA: Schuldendienst der privaten Haushalte 15 14 Gesamt 13 Schuldendienstbelastung rückläufig Für die Beurteilung der finanziellen Situation ist weniger die absolute Verschuldung maßgebend, sondern die daraus resultierende Belastung, d.h. die Zins- und Tilgungszahlungen. Die Schuldendienstbelastung liegt zwar immer noch auf einem hohen Niveau, hat sich aber seit ihrem Höchststand von fast 14,5% der verfügbaren Einkommen auf zuletzt knapp 14% zurückgebildet. Dies liegt zum einen daran, dass amerikanische Haushalte direkt von den gesunkenen Zinsen profitieren, zum anderen an umfangreichen Refinanzierungen der Hypothekenkredite. Diese sind in den USA im Gegensatz zu Deutschland einfach durchführbar. Durch die gestiegenen Immobilienpreise sind Hypotheken höher belastbar. Die Differenz zur Ablösung der alten Hypothek steht zu Modernisierungen, aber auch zu Konsumzwecken zur Verfügung. Letztlich wurden mit niedrig verzinsten Hypothekenkredite zu einem erheblichen Teil Konsumentenkredite mit hoher Zinsbelastung substituiert. Dies zeigt sich auch an den relativen Anteilen: Hypothekenkredite machen knapp 70% der gesamten Verschuldung aus. Ihr Anteil an der Gesamtverschuldung hat sich seit Anfang 2000 um rund 4%-Punkte erhöht, während gleichzeitig der Anteil der Konsumentenkredite um fast 3%-Punkte auf knapp 21% gesunken ist. Amerikanische Haushalte haben durch die Hypothekenrefinanzierungen zwar ihre Verschuldung insgesamt erhöht, die Schuldendienstbelastung jedoch nicht. Auch der jüngste Zinsanstieg wird daran so schnell nichts ändern. Etwa 80% der Hypothekenkredite sind zu festen Zinssätzen abgeschlossen und haben eine geschätzte durchschnittliche Laufzeit von 3 bis 4 Jahren. Allerdings hat der starke Anstieg der Immobilienkredite das Zinsänderungs-Risiko für die staatlichen Refinanzierungsinstitute der Hypothekenbanken (Fannie 4 450 Economics 12 % des verfügbaren Einkommens 11 10 % des verfügbaren Einkommens 9 Konsumentenkredite 8 7 6 Immobilienkredite 5 4 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 28. Oktober 2003 Aktuelle Themen Mae, Freddie Mac) merklich erhöht. Die Hedging-Strategien dieser Institute könnten die negativen Auswirkungen eines kräftigen Zinsanstiegs merklich verstärken. Privater Konsum: Kein Einbruch in Sicht Der private Konsum dürfte durch den jüngsten Zinsanstieg über den Schuldendienst auf absehbare Zeit kaum getroffen werden. Allerdings haben die steigenden Zinsen zu einem Einbruch bei der Hypothekenrefinanzierung geführt. Dies bedeutet, dass die HypothekenCashouts merklich niedriger ausfallen werden, aber aufgrund weiter steigender Immobilienpreise immer noch möglich sind. Demgegenüber stehen merkliche Steuerentlastungen. Das jüngste Steuerpaket entlastet die amerikanischen Konsumenten im 2. Halbjahr um rund USD 35 Mrd. Im kommenden Jahr summieren sich die Entlastungen sogar auf insgesamt etwa USD 105 Mrd. (knapp 1 ½% ihrer verfügbaren Einkommen). Damit sind die von uns prognostizierten Konsumsteigerungen 2003 und 2004 von knapp 3% bzw. 3 ½% bei gleichzeitiger Erhöhung der Sparquote von 3,7 auf 4 ¼% in 2004 erreichbar, auch wenn die Beschäftigungszunahme hinter der in früheren Aufschwüngen zurückbleibt. USA: Schuldenstruktur 70 24 Konsumentenkredite (links) 23 69 68 67 22 66 Immobilienkredite (rechts) 21 %-Anteil 65 64 63 20 95 96 97 98 99 00 01 02 03 2. Verbesserung der Bilanzsituation in Japan und Europa Japan: Renditen verharren auf niedrigem Niveau Die japanische Wirtschaft hat im 1. Hj. alle Beobachter überrascht. Das BIP-Wachstum von über 3% (ann.) war sogar höher als in den USA, obwohl in Japan keine fiskalpolitischen Ankurbelungsmaßnahmen vorgenommen wurden. Die Frühindikatoren deuten darauf hin, dass sich der Aufschwung in der nächsten Zeit fortsetzen wird. Die Nachhaltigkeit des Aufschwungs ist von der weiteren Entwicklung des Unternehmenssektors sowie den Aktienkursen und Immobilienpreisen abhängig. Die starken Verluste am Aktien- und Immobilienmarkt und die folgenden Bilanzanpassungen waren ursächlich für die großen wirtschaftlichen Probleme Japans in den letzten Jahren. Die Unternehmen haben in den vergangenen sieben Jahren ihre Verschuldung beträchtlich zurückgeführt; die Gesamtverschuldung verringerte sich vom Höchststand Ende 1995 bis zum 1. Hj. 2003 um JPY 275 Billionen (siehe Chart). Die reale Verbesserung ist natürlich weniger ausgeprägt. Das Verhältnis von Fremd- zu Eigenkapital fiel im gleichen Zeitraum von über 3:1 unter 2:1, ist damit jedoch weiterhin höher als in anderen Industrienationen, wo es unter 1:1 liegt. Durch den Anstieg der Aktienkurse in der letzten Zeit verringert sich die Notwendigkeit von Bilanzanpassungen. Kostensenkungsmaßnahmen waren erfolgreich, wobei die Ertragslage der japanischen Unternehmen im historischen und internationalen Vergleich jedoch weiterhin sehr schwach ist. Im 2. Quartal 2003 betrug die Eigenkapitalrendite der japanischen Industrieunternehmen 2,7% und lag damit kaum über dem historischen Tiefstand vom Jahresbeginn 2002. Die Gesamtkapitalrentabilität von 0,7% und die Kapitalrendite von 2,9% liegen ebenfalls nur leicht über ihren historischen Tiefständen. Verglichen mit einem Renditeniveau von 1 ½% für Staatsanleihen sieht die Ertragssituation im Unternehmensbereich z. Zt. jedoch nicht so schlecht aus. Die wirtschaftliche Situation Japans hat sich offensichtlich auf niedrigem Renditeniveau stabilisiert. Economics Japan: Verbesserung der Bilanzsituation 900 5,0 4,5 4,0 Gesamtverschuldung (rechts) Bill. Yen 800 700 3,5 600 3,0 500 2,5 400 2,0 Debt-Equity-Ratio (links) 300 200 1,5 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 Japan: Operating Returns 1,8 10 %, 4Q gl. Durchschn. 1,6 1,4 7 Gesamtkapital- 6 rendite (links) 5 1,2 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 9 8 Eigenkapitalrendite (rechts) Umsatzrendite (rechts) %, 4Q gl. Durchschn. 0,0 4 3 2 1 0 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 5 Aktuelle Themen Stagnierender Kapitalstock Der entscheidendste Beitrag zur Kostensenkung erbrachte die Verringerung der Anlageinvestitionen, die momentan um JPY 6 Bill. (40%) pro Quartal unter dem Niveau der Bubble-Hochphase 1991 liegen. Ende 2002 waren die Nettoinvestitionen zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte niedriger als die Abschreibungen, was sich negativ auf das Wachstumspotential Japans auswirkt. Die Investitionen der Unternehmen liegen jetzt auch deutlich unter dem Cash Flow. Entscheidend für einen nachhaltigen Aufschwung ist das Erschließen neuer Geschäftschancen mit guten Ertragserwartungen. Dazu sind Strukturreformen weiterhin von großer Bedeutung. Aufgrund des stagnierenden Kapitalstocks ist es nicht überraschend, dass die Kapazitätsauslastung seit dem Tiefstand zu Beginn des Jahres 2002 zunimmt. Insgesamt scheint die Investitionstätigkeit nominal einen langfristigen Tiefpunkt erreicht zu haben. In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung haben sich die Realinvestitionen im letzten Jahr deutlich erhöht, was vor allem auf den starken Rückgang der Preise von Kapitalgütern zurückzuführen ist. 28. Oktober 2003 Japan: Investitionen und Abschreibungen Cashflow Ausrüstungsinvestitionen 16 14 12 10 8 Abschreibungen 6 4 Bio. JPY, 4Q gleit. Durchsch. 2 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 Weiterer Abbau von Arbeitsplätzen wahrscheinlich In den nächsten Jahren sind weitere Anpassungen der Beschäftigung zu erwarten. Viele Unternehmen sind weiterhin über die Höhe der Personalkosten im Verhältnis zur Ertragssituation unzufrieden. Wie der Tankan-Bericht zeigt, halten die meisten Unternehmen ihren Personalbestand weiterhin für überhöht. Das Verhältnis der Lohnkosten zu den Unternehmenseinnahmen ist immer noch ungefähr so hoch wie 1994 und liegt weit über dem Tiefstand während der Bubble Economy Anfang der 90er Jahre. Da die Arbeitsproduktivität Japans im internationalen Vergleich weiterhin sehr gering ist, ist ein weiterer Abbau von Arbeitsplatzen notwendig. Dies deutet darauf hin, dass die Arbeitseinkommen weiter unter Druck bleiben dürften: die Arbeitslosenquote wird sich in den nächsten Jahren wohl kaum verringern. Die monatlichen Löhne pro Arbeitnehmer haben sich allerdings nach einem fünfjährigen Rückgang zu Beginn 2003 stabilisiert, wobei ein weiterer starker Anstieg jedoch unwahrscheinlich ist. Mit Hilfe fallender Preise und einer rückläufigen Sparquote konnten die privaten Haushalte einen Anstieg des privaten Verbrauchs von 1% pro Jahr aufrechterhalten. Japan: Frühindikatoren 110 105 Shoko Chukin Kleinunternehmen-Index (rechts) 60 55 100 50 95 45 90 40 85 Gesamt (links) 80 35 88 90 92 94 96 98 00 02 Europäische Unternehmen: Sparen für Investitionen Während die Investitionsausgaben in den Jahren 1999 und 2000 über 1 %-Punkt zum BIP-Wachstum der EWU-Länder beitrugen, dämpften sie 2002 das Wirtschaftswachstum um 0,6 %-Punkte. Neben der starken Abschwächung des privaten Verbrauchs war die Reduzierung der Investitionen der Hauptgrund für die starke Verlangsamung des BIPWachstums in Euroland. Nachdem die Euphorie im Zusammenhang mit der New Economy verflogen war, wurde klar, dass die außerordentlich hohen, 1999/2000 getätigten Investitionen nicht die erwarteten Erträge nach sich ziehen würden und zudem die Unternehmensbilanzen in riskantes Territorium gebracht hatten. Der Wirtschaftstheorie entsprechend hat die finanzielle Situation eines Unternehmens starke Auswirkungen auf seine Investitionsbereitschaft. Außerdem ist sie ein wichtiges Kriterium für die Bereitschaft potentieller Kreditgeber, dem Unternehmen Kapital zur Verfügung zu stellen. Deshalb könnte ein anhaltender Konsolidierungsbedarf des Unternehmenssektors ein Hemmnis für einen Anstieg der Investitionsausgaben darstellen. Aufgrund ihrer Multiplikatoreffekte sind die Investitionen die wichtigste treibende 6 Economics EWU: Investitionen und Gewinnproxi 3,5 Gewinnproxi* 2,5 (links) 8,0 % gg. Vj. 6,0 4,0 1,5 2,0 0,5 0,0 -0,5 -2,0 -1,5 -2,5 -4,0 Investitionen (rechts) -6,0 -8,0 -3,5 92 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 * BIP-Deflator - Lohnstückkosten 28. Oktober 2003 Aktuelle Themen Kraft im Konjunkturzyklus. Wenn eine Erholung der Investitionsausgaben im 2. Hj. und 2004 ausbliebe, könnte sogar die aktuelle Prognose eines nur moderaten Wirtschaftswachstums nicht länger aufrechterhalten werden. Unternehmensgewinne: langsame Erholung Die Bruttoersparnisse der Unternehmen im Nicht-Finanz-Bereich – ein Indikator für die Unternehmensgewinne – erreichten 1998 bei praktisch unveränderten Lohnstückkosten ihren Höhepunkt (siehe Chart). Anschließend führten steigende Löhne und ein starker Produktivitätsrückgang in den Jahren 2000 und 2001 zu einem Anstieg der Lohnstückkosten und einem Rückgang der Bruttoersparnisse der Unternehmen auf 9% des BIP. Im Verlauf von 2002 verbesserte sich die Situation, da sich der Produktivitätszuwachs von -0,3% im 1. Quartal auf 1% gg. Vj. im 4. Quartal erhöhte, während sich die Lohnsteigerungen leicht abschwächten. Außerdem profitierten die Unternehmensgewinne von einer geringeren Zinslast, die auf den starken Rückgang der Kreditzinsen zurückzuführen war. Während die Kreditzinsen im 1. Quartal 2003 weiter zurückgingen, stiegen die Lohnstückkosten erneut an und lagen um 1,8% über dem Vorjahresniveau. Da im 2. Quartal keine größeren Veränderungen eingetreten sein dürften, ist die Erholung der Unternehmensgewinne im 1. Hj. wahrscheinlich zum Stillstand gekommen. Im 2. Hj. dürfte die erwartete, leichte konjunkturelle Aufwärtsbewegung zu Produktivitätssteigerungen und einem höheren Gewinnwachstum beitragen. Finanzsituation durch Sünden der Vergangenheit in Mitleidenschaft gezogen Obwohl die tatsächlichen Gewinne 1998 ihren Höhepunkt erreichten, stiegen die Gewinnerwartungen aufgrund der Hoffnung, dass ein neues ökonomisches Paradigma eingetreten sei, weiter stark an. Analysten prognostizierten mehrere Jahre lang einen jährlichen Gewinnanstieg der DAX-Unternehmen um 15% (ungefähr doppelt so hoch wie der historische Durchschnitt). Der steigende Marktwert führte zu einem Anstieg von Tobin’s q (Verhältnis des Marktwertes zum Wert des Kapitalstocks), was zu starken Investitionsanreizen führte und die Unternehmen dazu veranlasste, die notwendigen, durch die tatsächliche Gewinnentwicklung indizierten Anpassungsmaßnahmen zu verschieben. Insbesondere die Investitionen der Unternehmen in Finanzanlagen explodierten förmlich. Die jährlichen Akquisitionen von Finanzanlagen haben sich von 1997 bis 2000 um 240% erhöht, wobei sich die Käufe von Aktien und anderen Wertpapieranlagen – trotz der bereits starken Überbewertungen – mehr als vervierfacht haben. Dagegen sind die Bruttoanlageinvestitionen „nur“ um 25% gestiegen. Aufgrund des Rückgangs interner Mittel mussten Investitionen extern finanziert werden. Die jährliche Kreditaufnahme der Unternehmen hat sich von 1997 bis 2000 um 262% erhöht, während die Emission von Aktien und anderen Wertpapieren um 278% zunahm. Die interne Finanzierungsquote der Unternehmen (d.h. das Verhältnis der Bruttoersparnis zu den Anlageinvestitionen und den Nettoakquisitionen von Finanzanlagen) fiel im Jahr 2000 unter 40%. Da die Bruttoersparnis danach wieder anstieg und die Investitionen (insbesondere in Finanzanlagen) verringert wurden, hat sich die interne Finanzierungsquote deutlich erholt. Deshalb scheint die Verfügbarkeit interner Mittel kein großes Hindernis für zukünftige Unternehmensinvestitionen darzustellen. EWU: Bruttoersparnisse und Lohnstückkosten 10,2 Lohnstückkosten, 10,0 % BIP invert., % gg. Vj. 9,8 (rechts) 9,6 9,4 9,2 9,0 8,8 Bruttoersparnisse 8,6 (links) 8,4 8,2 96 97 98 99 00 01 02 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 EWU: Tobin's q und Investitionen 2,2 2,0 Investitionen 1,8 (rechts) 6 5 4 % gg. Vj. Tobin's q (links) 1,6 1,4 1,2 1,0 3 2 1 0 -1 -2 -3 0,8 0,6 0,4 95 96 97 98 99 00 01 02 03 Tobin's q = Marktwert des Unternehmens Wiederbeschaffungswert EWU: Nettoakquisitionen 900 Mrd. EUR 800 Anlageinvestitionen Finanzanlagen 700 600 500 400 300 Verschuldung hat sich stabilisiert 200 Der Verschuldungsgrad der Unternehmen ergibt ein weniger günstiges Bild. Das Verhältnis der Gesamtverschuldung zu den internen Mitteln hat sich von 6,2% im Jahr 1997 auf 8,4% im Jahr 2001 erhöht und hat 100 Economics 0 95 96 97 98 99 00 01 02 7 Aktuelle Themen sich im letzten Jahr nur leicht verringert. Die Schuldenquote der Unternehmen in Relation zum BIP ist zwischen 1997 und 2001 um volle 10 %-Punkte gestiegen. Erst 2002 hat sie sich bei 62% stabilisiert. Wenn die Unternehmen ihre Verschuldung auf das vor den Bubble-Jahren herrschende Niveau zurückführen wollen, erfordert dies weiterhin Investitionszurückhaltung, wenn nicht Verkäufe von Anlagen vorgenommen werden, die nicht zum Kernbereich des Unternehmens gehören. Die Bemühungen der Unternehmen, ihre Bilanzen anzupassen, konzentrierten sich im wesentlichen auf die Kürzung von Investitionen, wobei das Ausmaß des Rückgangs in Euroland vergleichbar mit den USA war. Während in den USA jedoch seit 2001 zusätzlich 2,7 Mio. Stellen abgebaut worden sind (-2%), ist die Anzahl der Beschäftigten in Euroland bis zum 1. Quartal 2003 um 850.000 gestiegen. Die vergleichsweise robuste Entwicklung des europäischen Arbeitsmarktes könnte z. T. auf zunehmende Teilzeitarbeit zurückzuführen sein. Die Hortung von Arbeitskräften in den europäischen Ländern ist aber trotzdem ein wesentlicher Grund für die Abschwächung des Produktivitätswachstums und die bisher deutlich geringere Erholung der Unternehmensgewinne im Vergleich zu den USA. 28. Oktober 2003 EWU: Unternehmensverschuldung 65 % des BIP 60 55 50 97 98 99 00 01 02 EWU: Interne Finanzierungsquote 70 60 50 Umstrukturierungen in Deutschland weiter fortgeschritten In Deutschland begann der Abbau von Arbeitsplätzen bereits ein Jahr früher als in den anderen EU-Ländern. Die Zahl der Beschäftigten hat sich im Vergleich zum 1. Quartal 2001 um 800.000 verringert (2. Quartal 2003). Deshalb sind die Lohnstückkosten im 1. Hj. im Vorjahresvergleich unverändert geblieben, was darauf hindeutet, dass die Unternehmensgewinne in Deutschland rascher ansteigen könnten als in den anderen Ländern Europas. Während die Nettogeldvermögensbildung der Unternehmen in Euroland insgesamt weiterhin negativ war, erzielten die deutschen Unternehmen im Fiskaljahr 2002 einen leichten Überschuss. 40 Bruttoersparnisse/(Bruttoausrüstungsinvestitionen + Nettoakquisitionen von Finanzanlagen) Das wachsende US-Leistungsbilanzdefizit, Spiegelbild der unterschiedlichen geld- und fiskalpolitischen Ausrichtung in der Welt, hat in jüngster Zeit die Verunsicherung von Investoren und Politiker merklich erhöht. Die Abwertung des USD auf handelsgewichteter Basis um gut 10% hatte Hoffnungen genährt, dass in den USA der außenwirtschaftliche Anpassungsprozess in Gang kommt. Schätzungen zufolge verbessert eine 10%-ige Abwertung des USD die Leistungsbilanz um USD 50 Mrd., Optimisten gehen sogar von USD 100 Mrd. aus. Die Ausweitung des US-Leistungsbilanzdefizits im 1. Halbjahr 2003 um fast USD 50 Mrd. sorgte für Ernüchterung und intensivierte die Diskussion, wie stark der USD weiter fallen müsste, damit das US-Leistungsbilanzdefizit auf ein langfristig tragbares Niveau zurückkehrt. Der jüngste Anstieg des 8 97 98 99 00 Economics 10 01 02 EWU: Konsolidierung im Vergleich 102 EWU Beschäftigung 3. US-Leistungsbilanzdefizit: Damoklesschwert für die Weltwirtschaft? 20 0 95 96 Investitionen in Europa: leichter Anstieg In den letzten zwölf Monaten haben die europäischen Unternehmen jedoch ebenfalls mit Stellenstreichungen begonnen, und die weitere Verschlechterung der Beschäftigungserwartungen der Unternehmen deutet darauf hin, dass sich der Arbeitsplatzabbau fortsetzen wird. Wie die Beschäftigungserwartungen der Unternehmen in der EU zeigen, sind die Unternehmer trotz der in den nächsten Monaten erwarteten allgemeinen Verbesserung der Konjunktursituation der Auffassung, die höhere Nachfrage mit den bestehenden Produktionskapazitäten erfüllen zu können. Deshalb dürften die Investitionsausgaben (einschließlich Bausektor) im 2. Hj. bestenfalls leicht ansteigen. Im Jahr 2004 ist ein Investitionsanstieg von 3 ½% zu erwarten (2003: 1%). 30 2001= 100 101 100 US Beschäftigung 99 98 EWU Investitionen 97 USAusrüstungsinvestitionen 96 95 94 93 2001 2002 2003 USA: Leistungsbilanz 20 0 -20 -40 -60 -80 -100 -120 Mrd. USD -140 -160 90 92 94 96 98 00 02 28. Oktober 2003 Aktuelle Themen Leistungsbilanzdefizits dürfte teilweise auf den sogenannten J-KurvenEffekt zurückzuführen sein. Danach passen sich Preise weitaus schneller an Wechselkursänderungen an als die Volumina, so dass sich eine Verbesserung der Leistungsbilanz verzögert. Zwillingsdefizite wie in den 80er Jahren Die Verschlechterung der außenwirtschaftlichen Position ist bei nahezu ausgeglichenem finanziellen Saldo des privaten Sektors (Investitionen minus Ersparnis) Spiegelbild der steigenden US-Budgetdefizite. Damit ist die aktuelle Entwicklung der Situation der „Zwillingsdefizite“ in den 80er Jahren vergleichbar. Allerdings hat das US-Leistungsbilanzdefizit schon lange sein damals erreichtes Rekordniveau (1987: -3,4% des BIP) überschritten. Hypothesen zur langfristigen Tragbarkeit des US-Leistungsbilanzdefizits US Finanzsalden 8 Finanzsaldo des Privatsektors Leis(Ersparnisse minus tungsInvestitionen) bilanz 6 4 2 0 -2 Finanzsaldo des öffentl. Sektors -4 -6 % des BIP 60 68 76 84 92 -8 00 5% des BIP - Bestimmungsfaktor: Wachstumsdifferenz Eine Studie der Fed kommt zu dem Ergebnis, dass Leistungsbilanzanpassungen üblicherweise bei einem Defizit von 5% des BIP beginnen und mit einem nachlassenden Wirtschaftswachstum und einer realen Abwertung um 10 bis 20% in einem Zeitraum von rund 3 Jahren einhergehen. Die Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass in den Industrieländern Leistungsbilanzanpassungen großteils eine Funktion der Wachstumszyklen sind. In den USA wird der kritische Wert für die Leistungsbilanz im laufenden Jahr zwar erreicht. Die US-Wirtschaft befindet sich allerdings alles andere als in einem die Leistungsbilanz verbessernden Abschwung. Im Gegenteil, die US-Wirtschaft dürfte in H2 2003 vor allem aufgrund fiskalischer Stimulierungen sowie der extrem lockeren Geldpolitik mit einer Jahresrate von rund 5% wachsen und auch im kommenden Jahr weiter um gut 3 ¾% expandieren. Das USWachstum übertrifft damit weiter das seiner Handelspartner. Da auch der Importsog pro Prozentpunkt des Wirtschaftswachstums in den USA stärker ist als im Rest der Welt, steigt der außenwirtschaftliche Fehlbetrag weiter an. Reales BIP, % gg. Vj. USA EWU Ja- Asien Lat. Ost- Welt pan Am. eur. 6,3 2000 3,8 3,5 2,8 7,2 4,1 4,0 2,4 2001 0,3 1,6 0,4 4,0 0,1 1,3 5,7 -1,3 4,2 2002 2,4 0,8 0,2 2,0 2003 2,7 0,6 2,3 5,4 2004 3,8 2,0 1,8 6,1 1,4 3,8 2,3 3,1 4,1 3,2 3-3 ½% des BIP - Bestimmungsfaktor: Nettoauslandsposition Andere Untersuchungen (beispielsweise von Fred C. Bergsten) setzen ein langfristig tragbares Leistungsbilanzdefizit mit dem Niveau gleich, bei dem die Nettoauslandsverschuldung nicht weiter steigt. Dies wäre bei einem Leistungsbilanzdefizit von 3 bis 3 ½% des BIP der Fall. Ob dies allerdings ein für die USA maßgebliches Kriterium ist, ist fraglich. Die Nettoauslandsposition der USA ist zwar als Folge der Leistungsbilanzdefizite seit 1989 negativ und die Nettoauslandsverschuldung bis 2002 auf 25% des BIP gestiegen. Sie liegt damit jedoch weit von den Niveaus (50-60%) entfernt, die andere Länder mit hohen Leistungsbilanzdefiziten, beispielsweise Australien, Portugal und Griechenland, aufweisen. Die Nettoauslandsverschuldung Neuseelands beträgt sogar 90% des BIP. US-Nettoschuldendienst äußerst gering USA: Nettoauslandsposition und Nettozinszahlungen 10 5 0 1,2 Nettoauslandsposition (links) 1,0 0,8 -5 Überdies haben die USA - trotz der merklich gestiegenen Nettoauslandsverschuldung - bis 2002 mehr Zinsen und Dividenden erhalten, als sie an das Ausland überwiesen haben; erst im laufenden Jahr ist hier mit einem Swing zu rechnen. Vor diesem Hintergrund sind die Finanzierungskosten der amerikanischen Auslandsverschuldung bei weitem noch nicht in der Größenordnung, die Anpassungen bei den inländischen Ausgaben und damit eine Verbesserung der US-Leistungsbilanz nach sich ziehen würden. Selbst wenn die Nettozinszahlungen bis 2004 auf etwa USD 30 Economics -10 0,6 -15 0,4 -20 0,2 -25 0,0 Nettozinszahlungen -0,2 -35 % des BIP (rechts) % des BIP -40 -0,4 80 82 84 8688 90 92 94 9698 00 02 04 -30 9 Aktuelle Themen 28. Oktober 2003 Mrd. ansteigen würden, wären dies immer noch nur ¼% des BIP. Im Vergleich dazu: die amerikanischen Konsumausgaben belaufen sich auf fast USD 7 300 Mrd., die Investitionen auf USD 1 600 Mrd. 2-6% des BIP - Bestimmungsfaktor: Portfolioallokation Ein weiteres Konzept zur Bestimmung der langfristigen Tragbarkeit (beispielsweise von Catherine L. Mann) stellt auf die Nettokapitalzuflüsse und damit auf die Portfolioentscheidungen internationaler Investoren ab. Um den derzeitigen US-Kapitalbedarf zu decken und die umfangreichen Kapitalzuflüsse in die USA aufrecht zu erhalten, müssen internationale Investoren bereit sein, US Vermögenswerte zu den aktuellen Preisen zu kaufen. Sollte dies nicht der Fall sein, müssen die Preise sinken bzw. die Renditen steigen. Damit bestimmen die Portfolioallokation und vor allem die Portfolioentscheidungen internationaler Investoren über den USD-Kurs das langfristig tragbare Leistungsbilanzdefizit. Nach den Ergebnissen von Befragungen von Portfoliomanagern durch die Zeitschrift Economist lag der Anteil von US-Aktien am gesamten Aktienportfolio von 1993 bis 1995 relativ konstant bei 30% (dies entspricht in etwa dem Anteil der US-Wirtschaft am Welt-BIP) und ist dann zwischen 1995 und 1997 dramatisch auf rund 50% gestiegen (was etwa dem Anteil des US-Aktienmarktes an der globalen Marktkapitalisierung entspricht). Derzeit liegt er bei rund 55%. Um den USD stabil zu halten, müssten internationale Investoren weiter wie von 1998 bis 2001 etwa 80% ihrer Portfolioneuanlagen in US-Vermögen anlegen, was historisch gesehen relativ hoch ist. Die Finanzierung der US-Leistungsbilanz wäre unter dieser Voraussetzung auf lange Sicht kein Problem und ein Fehlbetrag in der Größenordnung von 5-6% des BIP somit langfristig tragbar. Würde der Anteil der Neuanlagen jedoch auf 55% (Anteil der Aktienmarktkapitalisierung) sinken, wäre Modellrechnungen zufolge nur noch ein Defizit von 3 ½ bis 4% langfristig tragbar; würde der Anteil sogar auf 30% (Anteil am Welt-BIP) fallen, wären schon Leistungsbilanzfehlbeträge von mehr als 2% des BIP kritisch. Allerdings sind Risiko- und Renditebetrachtungen genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtigere Motive für die Portfolioentscheidungen internationaler Investoren als die der obigen Betrachtung zugrunde liegenden Benchmarküberlegungen. Das merklich höhere Wachstumspotenzial der US-Wirtschaft und damit tendenziell höhere Renditen auf US-Anlagen lassen eher das obere Drittel des aufgezeigten Bandes für das langfristig tragbare US-Leistungsbilanzdefizit als wahrscheinlich erscheinen. Fazit: Keine Klarheit über Niveau und Dauer der Anpassung Eindeutige Kriterien zur Bestimmung eines langfristig tragbaren USLeistungsbilanzdefizits gibt es nicht. Sie sind bestenfalls grobe Anhaltspunkte und mit Blick auf die Empirie teilweise willkürliche Festlegungen. So eignet sich die Argumentation über die Nettoauslandsposition kaum, die USD-Abwertung zu erklären. Der Portfolioansatz erscheint zwar auf den ersten Blick einleuchtend, hat aber den Nachteil, dass zur Festlegung, was langfristig tragbar ist, die Kenntnis über das künftige Verhalten der Portfoliomanager notwendig ist. Dies ist somit mehr ein tautologischer Zusammenhang. Zudem gibt es kein schlüssiges Konzept darüber, wie schnell das USLeistungsbilanzdefizit auf ein tragbares Niveau abgebaut werden muss bzw. soll. Der oftmals diskutierte Zeitraum von 2 Jahren scheint zu kurz, zumal die Anpassungen nicht nur für die USA schmerzhaft sein werden. Angesichts der Größe der amerikanischen Volkswirtschaft würde ein 10 Economics Anteil von US-Aktien am globalen Portfolio 60 55 50 45 40 35 30 % 25 93 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 Portfolionneuanlagen in US-Vermögen 100 % 80 60 40 20 0 1993-95 1996-97 1998-01 28. Oktober 2003 Aktuelle Themen Anpassungsprozess auch die Weltwirtschaft erheblich in Mitleidenschaft ziehen – und dies gerade in einer Zeit, in der Europa und Japan die Kraft der US-Konjunkturlokomotive dringend brauchen. Szenarien für die US-Leistungsbilanz: Wie stark muss der USD noch fallen? USA: Leistungsbilanz 100 Die meisten Vorschläge zum Abbau des US-Leistungsbilanzdefizit konzentrieren sich auf den Wechselkurs. Dabei reicht die Spanne für die notwendige Abwertung der amerikanischen Währung auf handelsgewichteter Basis je nachdem, welches Niveau als langfristig tragbar angesehen wird, von 25 bis 50%. Als Faustformel gilt, dass eine 10%-ige Abwertung des handelsgewichteten USD-Wechselkurses die US-Leistungsbilanz c.p. um etwa USD 50 Mrd. verbessert. Die Schätzungen von DB Research liegen damit in etwa in der Größenordnung, die der IWF ermittelte (gut USD 60 Mrd.), jedoch merklich unter der Einschätzung von Fred C. Bergsten, Leiter des Institute for International Economics, der von einer Verbesserung um USD 100 Mrd. in 2 bis 3 Jahren ausgeht. Letztere Schätzung erscheint uns zu optimistisch. Status Quo: US-Leistungsbilanzdefizit 2008 bei 6 ¾% des BIP Um die möglichen Entwicklungen der US-Leistungsbilanz zu analysieren, haben wir verschiedene Modellrechnungen durchgeführt. Dabei wird die Entwicklung der US-Importe durch das US-Wirtschaftswachstum sowie den handelsgewichteten Wechselkurs bestimmt, während die amerikanischen Exporte eine Funktion der ausländischen Nachfrage und der Wechselkurse sind. Nebenstehende Graphik zeigt, dass unser Modell die Entwicklung seit 1980 recht gut abbildet. Bei einem konstanten USD/EUR-Kurs von 1,20 und unter unseren Wachstumsannahmen würde sich das US-Leistungsbilanzdefizit im laufenden Jahr auf rund USD 550 Mrd. oder 5% des BIP (2002: USD -481 Mrd. oder 4,6% des BIP) und im kommenden auf über USD 600 Mrd. oder 5 ½% des BIP ausweiten. Wachsen danach die USA und der Rest der Welt im gleichen Tempo, steigt das Defizit der Leistungsbilanz bis 2008 auf über USD 950 Mrd. oder 6 ¾% des BIP 0 Tatsächlich -100 -300 -400 -500 Mrd. USD -600 80 85 90 95 00 Vorgehensweise: Ausgangspunkt: Exporte und Importe (Güter,Dienste, Zinsen/Dividenden, Einkommen) 1980, Fortschreibung mit den Preis- u. Einkommenselastizitäten aufgrund USWachstum, Wachstum im Rest der Welt sowie der Entwicklung des nominalen handelsgewichteten USD + Transferbilanz Asien-10: Devisenreserven 1200 1100 Mrd. USD Mrd. USD Veränderung gg. Vj. (rechts) 1000 200 160 900 120 800 Reduzierung bis 2008 auf 3% des BIP erfordert USD-Abwertung um 30% … 700 Will man den US-Fehlbetrag in den kommenden 5 Jahren auf 3% des BIP verringern (auch wenn dies wie oben beschrieben kein objektives Kriterium für ein langfristig tragbares Niveau ist), wäre bis 2008 eine Abwertung des USD auf handelsgwichteter Basis um insgesamt rund 30% notwendig. In 2008 würde der USD/EUR-Kurs bei 1,62 und damit nur leicht über seinen früheren Höchstständen liegen. Dies erscheint auf den ersten Blick durchaus machbar. In unserer Modellrechnung ist jedoch unterstellt, dass auch die Währungen der asiatischen Länder (beispielsweise auch China) im gleichen Tempo wie der EUR gegenüber dem USD aufwerten, da hier die größten Leistungsbilanzüberschüsse und damit Gegenposten zum US-Leistungsbilanzdefizit bestehen. Diese Annahme erscheint angesichts der fehlgeschlagenen Versuche der USRegierung, asiatische Ländern zu einer flexibleren Wechselkurspolitik zu bewegen, zu optimistisch. So sind die Devisenreserven vor allem asiatischer Emerging Markets zuletzt drastisch gestiegen. Die Veränderung der Devisenreserven ist nahezu so groß wie die Leistungsbilanzüberschüsse dieser Länder gegenüber den USA. Damit wird der Großteil der Überschüsse heute durch die Zentralbanken „receyceld“, während dies in früheren Jahren vor allem durch den privaten Sektor selbst geschah. 500 Economics -200 Modell Volumen (links) 80 600 40 400 0 1997 1999 2001 2003 H1 Asien-10: Devisenreserven und Leistungsbilanz Leistungsbilanzsaldo vs. USA 250 Mrd. USD Devisenreserven, Veränderung gg. Vj. 200 150 100 50 0 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 H1 11 Aktuelle Themen … und verringert Wachstum in Europa um knapp 1%-Punkt p.a. 28. Oktober 2003 Nominal effektiver USD-Wechselkurs Zudem muss die Verbesserung der US-Leistungsbilanz mit Wachstumseinbußen in Europa und Japan in der Größenordnung von knapp 1% p.a. erkauft werden. Fällt die Aufwertung der asiatischen Währungen schwächer aus, wären die Anpassungslasten und damit die Wachstumseinbußen in Europa sogar noch deutlich höher. Aber gerade das Gegenteil wäre wünschenswert: So sollte der Anpassungsprozess der USLeistungsbilanz vor allem über ein höheres Wachstum in Europa vonstatten gehen. 140 130 120 110 100 Wechselkursänderungen alleine reichen nicht aus 90 Wechselkursänderungen alleine können die US-Leistungsbilanz nicht nachhaltig stabilisieren. Da die Importe in den USA stärker auf Änderungen der Binnennachfrage reagieren als im Rest der Welt, verschlechtert sich die US-Leistungsbilanz selbst dann, wenn die USA und der Rest der Welt im Gleichgang wachsen würden. Daher sind kontinuierliche Abwertungen des USD um 5-8% p.a. notwendig, um die Wirkungen der unterschiedlichen Einkommenselastizitäten der Importnachfrage auszugleichen. Eine solche permanente Abwertung des USD ist allerdings keine realistische Option. Daher ist es dringend nötig, die Wachstumskräfte außerhalb der USA zu stärken. Eine solche Strategie hätte jedoch alleine ebenfalls kaum Aussicht auf Erfolg: Bei einem unveränderten USD-Kurs von 1,20 und einem US-Wirtschaftswachstum von knapp 2% p.a. müsste unseren Modellrechnungen zufolge der Rest der Welt um rund 6 ½% p.a. expandieren, um das US-Leistungsbilanzdefizit bis 2008 allein über die Wachstumsdifferenz auf 3% des BIP zu reduzieren. Stefan Bergheim, +49 69 910-31727 ([email protected]) Bernhard Gräf, +49 69 910-31738 ([email protected]) Stefan Schneider, +49 69 910-31790 ([email protected]) 1997=100 80 95 96 97 98 99 00 01 02 03 Leistungsbilanzsalden 200 EM Asien Japan Mrd. USD 100 0 EWU Lat. Amerika -100 -200 -300 USA -400 2000 -500 2001 -600 © 2003. Deutsche Bank AG, DB Research, D-60272 Frankfurt am Main, Bundesrepublik Deutschland (Selbstverlag). Alle Rechte vorbehalten. Bei Zitaten wird um Quellenangabe „Deutsche Bank Research“gebeten. Die in dieser Veröffentlichung enthaltenen Informationen beruhen auf öffentlich zugänglichen Quellen, die wir für zuverlässig halten. Eine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Angaben können wir nicht übernehmen, und keine Aussage in diesem Bericht ist als solche Garantie zu verstehen. Alle Meinungsaussagen geben die aktuelle Einschätzung des Verfassers/der Verfasser wieder und stellen nicht notwendigerweise die Meinung der Deutsche Bank AG oder ihrer assoziierten Unternehmen dar. Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Meinungen können sich ohne vorherige Ankündigung ändern. 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