Leseprobe: 5.5 Verhaltenstherapie gewinnt klinische Beachtung Die Begründer der Lerntheorie Ein zweiter wichtiger Strang der Psychotherapieentwicklung, der in den 50/60er Jahren manifest wurde, war der behavioristische oder lerntheoretische. Was später als völlig konträr zur Psychoanalyse galt, war in jenen Jahrzehnten noch eher ein akademisches Mitstreiten im Ringen um ein neues Verständnis der Psyche. Dabei ist den Vertretern des Behaviorismus zu Gute zu halten, dass sie ihre theoretischen Vorstellungen von Anfang an experimentell zu überprüfen versuchten und so Theorie und Anwendung in eine Wechselbeziehung brachten. Es war keineswegs so, dass Psychoanalyse und Lerntheorie als unüberbrückbare Gegensätze galten. Auch namhafte Behavioristen, wie Pavlov , Bechterev und Watson, begrüßten zumindest anfänglich die Erkenntnisse der Psychoanalyse. Umgekehrt zeigten insbesondere in den USA prominente Psychoanalytiker wie Thomas M. French oder Lawrence S. Kubie großes Interesse für die Pavlovsche Konditionierungstheorie. Der Wie ner Psychoanalytiker Paul Schilder hatte während seines USA-Aufenthaltes an der Phipps Psychiatric Clinic in Baltimore in den 30er Jahren eigene Untersuchungen zur Konditionierung am Menschen durchgeführt, die ergaben, dass hinter den Konditionierungsmechanismen komplizierte psychische Abläufe steckten. Thomas M. French ging einen Schritt weiter, indem er konsequent die ersten Schritte einer psychoanalytischen Therapie lerntheoretisch zu erklären versuchte (French 1936). Mit Franz Alexander hat er später, wie erwähnt, diese Prinzipien in eine integrierte Therapieform zu überführen versucht. Es bestand also von beiden Seiten, sowohl von der Psychoanalyse wie von der Verhaltenstherapie her, eine große Bereitschaft, unterschiedliche methodische Elemente zu integrieren. Dieser theoretische und technische Eklektizismus war keineswegs naiv, sondern wurde mit zum Teil eindrücklichem Forschungsanspruch auch immer wieder überprüft. Trotz dieser Durchlässigkeit dürfen wir uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verhaltenstherapie primär lerntheoretische Wurzeln hat. Der Beitrag ihrer Pioniere wurde schon mehrfach erwähnt. Im Unterschied zur Psychoanalyse gab es allerdings keinen einzelnen, unbestrittenen Begründer, der auch künftig über die ›Reinheit der Lehre‹ hätte wachen können. Vielmehr war es eine größere Zahl von Theoretikern und Praktikern, die die behavioristischen Therapien voranbrachten. Nur was im Experiment zu überzeugen vermochte, kam schließlich auch in der Praxis an. Dies mag anfänglich die Rezeption der Verhaltenstherapie behindert haben, hat aber langfristig ihren wissenschaftlichen Erfolg beschleunigt. Dabei ist erstaunlich, welch breite Anerkennung der russische Physiologe Pavlov bei den amerikanischen Psychologen fand. Seine Studien zu den konditionierten Reflexen regten einige der amerikanischen Lerntheoretiker wie Hull , Guthrie und Skinner an, eige ne tierexperimentelle Untersuchungen vorzunehmen. Ein weiterer Grund, warum sich der Behaviorismus so früh in den USA durchzusetzen vermochte, war die Aufteilung der Berufsfelder: Die Zahl akademisch geschulter Psychologen, die meist an Lerntheorie interessiert waren, stand jener der psychoanalytisch tätigen Psychiater nicht nach. Während noch in den 20er/30er Jahren der Anpassungsdruck für Psychologen an die klinische Psychiatrie groß war, fühlten sich in den Nachkriegsjahren die klinischen Psychologen genügend le gitimiert , in der Verhaltenstherapie eigene Wege zu beschreiten. Gestärkt durch die im Kriegseinsatz gewonnene therapeutische Anerkennung schlossen sie ihre Reihen, ob praktisch oder theoretisch interessiert, und vereinigten ihre Fachgesellschaften zur American Psychological Association APA . Ihr Augenmerk galt der Förderung von Ausbildungsplätzen für klinisch und therapeutisch tätige Psychologen. Wesentliche theoretische Beiträge zur Fortentwicklung der Verhaltenstherapie in den USA kamen von Clark L. Hull (1884 – 1952) , der am renommierten interdisziplinären Institute of Human Relations an der Yale University wirkte. Anfänglich überprüfte er Pavlovs Experimente mit dem Ziel, die starke Verknüpfung von konditioniertem Stimulus und konditionierter Reaktion zu erklären. Methodisch trat er für ein streng deduktives Vorgehen ein. Später strebte er eine übergreifende Theorie an, die auch kognitive oder allgemeine psychische Mechanismen erklären sollte. Seine schließlich formulierte bedeutende Lerntheorie schloss vier Komponenten ein: Trieb (› drive ‹ ), Stimulus (› cue ‹ ), Reaktion (› response ‹ ) und Verstärkung (› reward ‹ ). Über die ursprüngliche Annahme von Pavlov hinaus sollten neben dem › Stimulus-Reaktion-Prozess ‹ auch der Trieb oder die Anlage sowie die Belohnung, also das Umfeld, eine Rolle spielen ( Schorr 1984). Wie auch andere Behavioristen gestand er der Psychoanalyse durchaus zu, valide Aussagen über menschliches Verhalten zu machen und schloss eine spätere Annäherung der Lerntheorie und der Psychoanalyse nicht aus. Diesen Ansatz verfolgten nach dem Zweiten Weltkrieg zwei jüngere Mitarbeiter des Institute of Human Relations , John Dollard und Neal Miller, deren Buch Personal ity and Psychotherapy (1950) auch in psychoanalytischen Kreisen mit Interesse aufgenommen wurde. Im Rückblick wird deutlich, dass dies einer der ersten bedeutenden Beiträge zur Integration von Psychotherapie-Methoden war, wie noch aufzuzeigen ist. Ihr Bemühen, den psychotherapeutischen Prozess rein lerntheoretisch zu erläutern, war durch die noch fehlenden experimentellen Ergebnisse eingeschränkt. Sie übernahmen zwar von der Psychoanalyse den Ansatz eines Triebkonfliktes. Dieser, so glaubten sie aber, sei in der Therapie nicht allein durch Kognition zu lösen, sondern müsse in der Realität entschärft werden. In manchem war die Übereinstimmung mit der Psychoanalyse durch Analogie-Bildung erreicht worden, was Kritiker der 50er Jahre hervorhoben. Therapie-technisch imponierte ihnen die tolerante permissive Haltung, wie sie Freud vertrat. Diese sei nach ihrer Interpretation dazu geeignet, Angst abzubauen, was die Lernprozesse erleichtere – eine Annahme, die auch French und Alexander und später Rogers vertraten. Die therapeutische Umsetzung geht vor Aus den USA kamen von E. R. Guthrie, O. H. Mowrer und B. F. Skinner weitere theoretische Beiträge, die sich auf Hulls Lerntheorie be zogen. Ein wichtiges Zentrum der Verhaltensforschung bildete sich zudem an der Universität von Johannesburg, Südafrika. Der Psychiater Joseph Wolpe (1915 – 1997) hatte seinerseits die Tierexperimente Pavlovs zur Erzeugung künstlicher Neurosen beim Menschen modifiziert. Anfänglich hatte Wolpe versucht, die Experimente des Psychoanalytikers Jules Massermann zu replizieren. Dieser ging von einem motivationalen Konflikt bei Katzen aus, die im Käfig widersprüchlichen Stimuli ausgesetzt wurden. Wolpe erklärte das Geschehen lerntheoretisch und glaubte, dass die experimentellen Neurosen durch › Additivität von Furcht‹ bedingt seien. Er nahm an, dass ein ›Prinzip der reziproken Hemmung‹ für das Tierverhalten verantwortlich sei ( Wolpe 1952). Später wurde dieses in der klinischen Psychologie als ›Gegenkonditionierung‹ anerkannt. Wolpe tat schließlich den entscheidenden Schritt hin zur klinischen Anwendung , indem er geeignete Möglichkeiten der Gegenkonditionierung beim Menschen suchte. Dabei stieß er auf die bereits 1938 erschienene Schrift von Edmund Jacobson über die ›Progressive Relaxation ‹ der Muskulatur. So waren die Bausteine für die erste verhaltenstherapeutische Methode, die eine große Verbreitung finden sollte, zusammengetragen: die systematische Desensibilisierung . Diese schließt drei Schritte ein: 1. Training tiefer Muskelentspannung nach Jacobson (später auch Autogenes Training, Hypnose etc.) 2. Erstellen der individuellen Angsthierarchie und 3. Gegenkonditionierung durch Vorstellung der Angst erzeugenden Stimuli in aufsteigender Folge der Angsthierarchie im Zustand der Entspannung. Wolpe vermutete, dass die Wirksamkeit der ›systematischen Desensibilisierung‹ in der wiederholten Hemmung der Angst zu sehen sei. Die Spannungs- und Entspannungsvorgänge der Skelettmuskulatur seien für den Angstabbau verantwortlich – eine Annahme, die später in einer Vielzahl von Experimenten widerlegt werden konnte (Halder-Sinn 1985). In den kommenden Jahren wurden unterschiedliche Erklärungsmodelle an Stelle der reziproken Hemmung erarbeitet, so Habituation an die Angst, Löschung der Erregung, soziale Verstärkung in angstfreiem Umfeld etc. (Reinecker 2000). In seiner Forschung in Johannesburg wurde Wolpe experimentell und klinisch von den jüngeren Kollegen Stanley Rachmann und Arnold Lazarus unterstützt, die auch die ersten theoretischen Einwände einbrachten. Lazarus soll zudem der erste gewesen sein, der den Begriff behavior therapy (›Verhaltenstherapie‹) geprägt habe (Lazarus 1958). Mit beiden hat Wolpe eine erste große klinische Wirksamkeitsstudie an über 200 neurotischen Patienten durchgeführt ( Wolpe 1958). Trotz äußerer Widerstände blieb die kleine Forschergruppe aktiv. 1966 nahm Wolpe einen Ruf an die Temple University in Philadelphia, USA, an. Sein junger Mitarbeiter Arnold A. Lazarus (geb. 1932) begleitete ihn, so dass sie gemeinsam erfolgreich eine verhaltenstherapeutisch orientierte Abteilung aufbauen konnten, die zugleich als Ausbildungszentrum diente (vgl. 6.3). In den folgenden Jahren konnten sie und andere die Methode der ›Systematischen Desensibi lisierung ‹ an einer großen Zahl von Patien ten quer durch das diagnostische Spektrum (Ängste, Phobien, Schlafstörungen, psy cho somatische funktionelle Störungen, Depressionen etc.) erprobten. Grawe und Mitarbeiter haben in ihrer umfassenden Metaanalyse ( Grawe et al. 1994) allein 56 kontrollierte Studien an über 2000 Patienten, mit überwiegend erfolgreichem Ausgang, aufgeführt. In den USA ging nach dem Zweiten Weltkrieg eine große Ausstrahlung von Burrhus F. Skinner (1904 – 1990) aus. Der junge Skinner betrieb 1931 bis 1936 an der Harvard University , später in Minneapolis und an der Indiana Universit y tierexperimentelle Forschung ( Skinner 1938). Er lehnte Hulls Ansatz ab, dass sich das Experiment der Theorie unterzuordnen habe, und bestand primär auf sorgfältiger Beobachtung des Verhaltens. Er wollte mit induktivem Vorgehen den Zusammenhang von Umwelteinwirkung und menschlichem Verhalten vorurteilsfrei klären ( radical behaviorism ) . 1945 wurde er an die University of Indiana berufen, wo sich die von ihm geführte Forschungsgruppe dem operanten Konditionieren zuwandte ( Skinner 1953; 1974; 1978). Dieses vom amerikanischen Lerntheoretiker E. L. Thorndike bereits Anfang des 20. Jahrhunderts von der Katzenbeobachtung abgeleitete › law of effect ‹ begründet wie Lernvorgänge via Belohnung/Bestrafung gesteuert werden können ( Fishman & Franks 2003). Der Begriff › operant ‹ soll ausdrücken, dass nicht ein Stimulus des Umfeldes, sondern ein Signal des Organismus oder eine bewusste Handlungs-Vorstellung ausschlaggebend ist. Die Wirksamkeit der Abläufe beruht auf › reinforcement ‹ (›Verstärkung‹) – meist als positive Verstärkung oder Belohnung, seltener als Bestrafung eingeführt. Um ein erwünschtes Verhalten zu erreichen, muss die ›Verstärkung‹ in klar umschriebenem Zusammenhang (› contingency ‹ ) und unmittelbar erfolgen. Dieses Lernmodell wurde vorerst im Tierexperiment geklärt, bevor es therapeutisch umgesetzt werden konnte. Skinner selbst soll an klinischen Fragestellungen nicht sonderlich interessiert gewesen sein. Er überließ dieses Feld seinen Schülern und wandte sich experimentalpsychologischen Untersuchungen zu, auch in pharmakologischen und später pädagogischen Bereichen. Nach seiner Rückkehr an die Harvard University 1948 stand für ihn die Vertiefung seiner Theorie des Radical Behaviorism im Vordergrund, den er in zahlreichen Büchern und wissenschaftlichen Publikationen vertrat. Durch seine vielfältigen Interessen und scharfen Analysen, auch gesellschaftlicher und politischer Prozesse, gilt er in den USA als einer der einflussreichsten Psychologen des 20. Jahrhunderts. Selbst wenn Psychotherapie nicht sein vertieftes Interesse fand, seine Anstöße waren von großer Bedeutung. Das Wirkprinzip des › operanten Konditionierens‹ fand breite therapeutische Anwendung. Es eröffnete auch einen psychotherapeutischen Zugang zu Bereichen, die bislang als wenig geeignet galten, insbesondere bei chronisch psychotisch Kranken. Eine Pionierleistung auf diesem Gebiet erbrachte Ogden Lindsley , ursprünglich Biologe, der später bei Skinner in Psychologie promovierte. Er erhielt Gelegenheit, am Metropolitan State Hospital in Waltham , Massachussetts , in einem eigens eingerichteten psychologischen Labor chronisch SchizophrenieKranken zu untersuchen. Dabei gelang es ihm, das durch die Langzeit-Hospitalisation bewirkte regressive Verhalten dieser Kranken in kleinen Lernschritten zu reduzieren und ihre soziale Integration zu fördern ( Lindsley 1960). So war der Grundstein geschaffen zu einem Verfahren, das als token economy gerade bei Langzeitpatienten (neben Schizophrenie-, auch bei AlkoholKranken, retardierten Kindern, später bei Patienten mit Essstörungen etc.) in jenen Jahren eine breite Anwendung fand. Die erste kontrollierte Studie, die bei Patienten mit chronischer Schizophrenie mit schwerem regressiven Hospitalismus erfolgreich durchgeführt wurde, war jene von Ayllon und Azrin (1968). Das Besondere des Vorgehens besteht darin, dass kleine Schritte in Richtung erwünschtes Verhalten durch Belohner (› token ‹) unmittelbar bestätigt werden. Die Belohner können Spielmünzen sein, die später Einkäufe, Kinobesuche, Unterhaltung etc. ermöglichen; es können aber auch soziale Vorteile sein, z. B. in der Auswahl von Zimmer- und Tischgenossen, frei gewählten Spaziergängen, Ausflügen, etc. Wenn auch nicht sehr verbreitet, haben doch einzelne Studien die Wirksamkeit dieser komplexen Interaktionen belegt. Herausragend ist etwa die Studie von Paul & Lentz (1977), die verschiedene Typen der Rehabilitation nach Lernprinzipien bei chronisch Schizophrenen untersucht haben. Die Ausstrahlung dieser und ähnlicher Studien war auch deshalb bedeutsam, da dadurch dem in jenen Jahren noch in vielen psychiatrischen Einrichtungen vorherrschenden regressivem Milieu, zuversichtlich neue therapeutische Möglichkeiten entgegengehalten wurden. Dem zuvor weit verbreiteten trägen Dahindämmern der Kranken auf chronischen Abteilungen, denen jegliche soziale Anreize fehlten, konnte nun dadurch entgegengewirkt werden, dass die Betreuer selbst stimuliert wurden. Als Hilfstherapeuten wurden sie aktiv in die Behandlung einbezogen – und damit ihre eigene Motivation verstärkt (Heim 1984). Gegen das Regime der › token economy ‹ und ähnlicher rein verhaltenstherapeutischer Verfahren gab es jedoch später, in den 70er Jahren ( Schorr 1984) kritische Stimmen und sogar rechtliche Einwände. Zum einen hielten die Erfolge nicht an, insbesondere nicht nach der Entlassung aus dem Krankenhaus, wenn dann offenbar die Anreize zum modifizierten Verhalten fehlten. Zum anderen wurden ethische Bedenken geäußert, da die chronischen Insassen der psychiatrischen Einrichtungen als nicht befähigt zur ›informierten Zustimmung‹ (› informed consent ‹), wie heute in der Forschung üblich, eingeschätzt wurden. Historisch bleibt der Beitrag jener Forscher jedoch unbestritten, für die chronisch psychisch Kranken neue therapeutische Modelle angeregt zu haben. Klinische Psychologie setzt sich in England durch Wie die vielseitigen Aktivitäten aufzeigen, bildete in den 50er/60er Jahren Amerika das Zentrum der Lerntheorie und Verhaltenstherapie. Die Basis dieser Entwicklung lag – anders als in Europa – nicht in der Medizin, inklusive der Psychiatrie, sondern in der nach dem Zweiten Weltkrieg erstarkten klinischen Psychologie. Eine junge Generation von Wissenschaftlern strebte eigenständig Erkenntnisse an, die ihnen nicht nur akademisch Profil verleihen, sondern auch berufspolitisch den Zugang zu Klinik und Therapie eröffnen sollten. In Europa dagegen war der Status der Psychologen, insbesondere der klinischen Psychologen, innerhalb der Medizin nach wie vor bescheiden. Wenn ihre klinische Mitarbeit überhaupt gesucht wurde, dann vorwiegend als testdiagnostische Experten. Das Institute of Psychiatry der University of London war eine der wenigen Institutionen, die sich überhaupt entschlossen, einen Ausbildungsgang für klinische Psychologen zuzulassen. Noch hatte die Verhaltenstherapie in den Nachkriegsjahren keine breite Anerkennung gefunden. Umso höher ist die Initiative und Innovationskraft einer Forschergruppe am Maudsley-Hospital in London einzustufen. Hier befand sich eine kleine Gruppe von Psychologen, die nicht nur gute Kenntnisse der bisherigen lerntheoretischen Forschung hatte, sondern auch darauf erpicht war, deren Anwendung in der Klinik durchzusetzen. Als erster Leiter der Abteilung klinische Psychologie wurde 1950 Hans J. Eysenck berufen. Zu seinen aktiven Mitarbeitern zählten in den folgenden Jahren M. B. Shapiro , H. G. Jones, C. M. Franks und andere. Während Eysenck jene Jahre vorwiegend der Entwicklung seiner Persönlichkeitstheorie wid mete , die später als dimensionale Unter scheidung in Extraversion/ Introversion und Neurotizismus breite Anerkennung fand, befassten sich seine Kollegen vor allem mit der klinischen Umsetzung lerntheoretischer Thesen. Besonders Jones verstand es, sich erfolgreich den Psychiatern als klinischer Partner anzubieten. Seine kombinierte Konditionierungstherapie, die er später ›Generalisationstechnik‹ nannte, vermochte zu überzeugen. Durch eine sinnvolle Synthese von Experiment und Therapie gelang es der Gruppe immer besser, die verantwortlichen Kliniker für ihre Überlegungen zu gewinnen. Das Spektrum an behandelbaren klinischen Störungen verbreiterte sich zunehmend. Der Leiter der Gruppe, Eysenck , primär mit der lerntheoretischen Perspektive seiner Persönlichkeitsforschung befasst ( Eysenck 1953; 1960; 1973), distanzierte sich von der Kompromissbereitschaft seiner Kollegen und ging zunehmend auf Konfrontation mit den Psychiatern und der von ihnen überwiegend vertretenen Psychoanalyse. Das › Maudsley ‹ jener Jahre blieb der Ort, wo erstmals die unterschiedlichen Schulrichtungen – der psychodynamischen Introspektion und der verhaltensorientierten experimentellen Therapien – heftig aufeinanderprallten ( Eysenck 1990; Fishman & Franks, 2003). Die Debatte wurde erst öffentlich, als Eysenck in einem kritischen Artikel, in welchem er die Wirksamkeit der Psychoanalyse generell anzweifelte, gezielt die traditionellen Therapieformen herausforderte ( Eysenck 1952). Zwei Drittel der Patienten, die einer nicht-behavioralen Therapie unterzogen wurden, wären ohnehin nach zwei Jahren spontan geheilt gewesen, meinte er. Wohl selten in der Geschichte der Psychotherapie hat eine einzelne Stellungnahme zu so heftigen und kontroversen Reaktionen geführt wie jener Artikel von Hans Eysenck . Er entwickelte ein zehn Punkte umfassendes › Phantombild der Verhaltenstherapie‹, das er den übrigen in jenen Jahren praktizierten Psychotherapien gegenüberstellte, denen er zugleich jegliche wissenschaftliche Begründung aberkannte ( Schorr 1984). Nicht nur vermisste er eine angemessen formulierte und konsistente Theorie der Psychoanalyse, sondern beklagte zudem das Fehlen jeglicher experimenteller Überprüfung der Deduktionen dieser Theorie. Die spätere Debatte fokussierte insbesondere die Behauptung Eysencks , dass Symptombehandlung durchaus dauerhafte Heilung erzielen könne, während Psychoanalytiker die Meinung vertraten, jegliche Symptombehandlung führe zu neuer Symptombildung. Nicht wenige der führenden Psychoanalytiker jener Jahre reagierten heftig und auch polemisch auf diese Fundamentalkritik, so etwa die früher selbst am › Maudsley ‹ tätige und später nach Boston emigrierte Elisabeth Zetzel , honorary secretary der International Psychoanalytical Association . Andere Exponenten der Psychoanalyse wie Jules Masserman , Edward Glover , Lawrence Kubie oder Judd Marmor gestanden Eysenck durchaus zu, dass die empirische Überprüfung der psychoanalytischen Metatheorie noch offen sei (Ehrenwald 1991). Die von der Maudsley-Gruppe geäußerte Kritik wirkte noch Jahre nach und hat bestimmt dazu beigetragen, dass die systematische Überprüfung der Ergebnisse von psychotherapeutischen Verfahren von einer späteren Generation von Forschern generell ernst genommen wurde. So konnte auch mancher Einwand Eysencks , dessen Erkenntnisse auf dem Stand der 50er Jahre beruhten, später nüchtern experimentell entkräftet werden (vgl. 7.1). Im Gegensatz zu Eysenck gab es in den 60er Jahren eine Gruppe von englischen Psychiatern, die der Verhaltenstherapie nahe standen und Interesse an klinischer Erforschung der Phobien zeigten, aber dennoch für psychodynamisches Denken offen blieben. Die Schrift von Marks und Gelder (1966) wurde allerdings von amerikanischen Verhaltenstherapeuten heftig kritisiert. Ihnen und der Gruppe um V. Meyer, E. Wolf und A. H. Crisp am Middlesex-Hospital ist es zu verdanken, dass technisch die Integration von psychodynamischer Behandlung (unter Berücksichtigung von Übertragung und Gegenübertragung) und Verhaltenstherapie angestrebt und in Trainingseinheiten an jüngere Kollegen vermittelt wurde. Offenbar ging es den Psychologen in dieser Gruppe aber auch um die berufspolitische Anerkennung, die den reinen Verhaltenstherapeuten noch vorenthalten blieb ( Schorr 1984). Zudem setzte sich auch innerhalb der behavioristischen Bewegung die Erkenntnis durch, dass viele der ersten eigenen Annahmen naiv oder einseitig waren. Viel zu wenig wurden die Beziehungsaspekte beachtet oder die Tatsache, dass die Wirksamkeit der Interventionen oft von der Kombination mit anderen Verfahren (wie Muskelrelaxation , Hypnose, Suggestion) abhing. In ihrem Eifer, den vagen in tro spektiven Therapien eine epistemologisch und theoretisch reinere Lehre entgegenzuhalten, hatten die frühen Verhaltenstherapeuten das eigene Tun nicht ausreichend reflektiert. Aber erstmals manifestierte sich kraftvoll eine neue Denkweise innerhalb der Psychotherapie-Szene, die die bislang unangefochtene Position der Psychoanalyse herausforderte. Im Unterschied zu dieser hatte die auf den Lerntheorien beruhende Verhaltenstherapie viele geistige Väter, deren Denken von ihren Schülern ungleich gewichtet wurde. Aber der Drang, neue Zugänge zu öffnen, war ihnen gemeinsam. Wie aufzuzeigen ist, kam die Korrektur dessen, was einseitig oder übertrieben war, in den 70er/80er Jahren, als die sogenannte ›kognitive Wende‹ es ermöglichte, dass die Verhaltenstherapie wieder auf die anderen Schulen zuging. 5.6 Humanistisch orientierte Therapien manifestieren sich Eine weitere, dritte Hauptrichtung im Kanon moderner Psychotherapien wird heute gemeinhin als jene der ›humanistischen Psychotherapien‹ bezeichnet. Diese Methoden weisen aber weniger Gemeinsamkeiten auf als die beiden vorgenannten Hauptstränge, die psychoanalytischen und behavioristischen Verfahren. Die Selbstbeschreibung als ›humanistisch‹ könnte als anmaßend gelten, wenn damit unterstellt würde, die anderen Verfahren seien weniger menschengerecht, weniger dem menschlichen Sein und Verhalten angemessen. Mit dieser Selbstdefinition wollen die Vertreter der humanistischen Schulen indes eher die Abgrenzung gegenüber ›biologistischen‹ Entwürfen hervorheben, in denen, wie in der Psychoanalyse, mechanistische, hierarchisch-elitäre, auf Triebkräfte bezogene Vorstellungen dominieren; oder die, wie im Be haviorismus , nüchterne, szientistisch messbare, reflektorische Abläufe postulieren. Die humanistische Psychologie hält diesem naturhaften Menschenbild die Sonderstellung des Menschen in der Lebenswelt entgegen, die seine Sprachfähigkeit, seine Symbol- und Sinnbildungskompetenz und die Möglichkeit der Selbstreflexion einschließt (Finke 2004). Diese Präferenz des Subjektivismus bringt die humanistische Psychologie bis auf den heutigen Tag der Romantik nahe (Safranski 2007). Philosophisch stehen diese Denker den Existentialphilosophen nahe, die schon erwähnt wurden ( Husserl , Heidegger, Jaspers u. a.). Ferner ist ihnen gemeinsam, dass sie die Subjektivität hervorheben, wie sie im phänomenologischen Zugang betont wird. Sie suchen das Verständnis menschlichen Verhaltens weniger in der Erforschung der Vergangenheit als in der Aktualisierung zu gewinnen und zur Befähigung zu geistigem Wachstum und Entwicklung einzusetzen. Von den schulbezogenen Methoden sind es hauptsächlich drei, die den humanistischen Psychotherapien zugezählt werden: die von Rogers begründete Klientenorientierte Therapie oder Gesprächspsychotherapie; die von Perls initiierte ›Gestalttherapie‹ mit ihren diversen Verästelungen und Therapeuten wie May (oder später Yalom 1980), die in den USA eine existentialistische Position einnehmen. Schon diese Aufzählung zeigt, dass diese Therapeuten, wenn nicht in den Grundannahmen so doch in der Praxis, sich untereinander zumindest ebenso deutlich unterscheiden, wie sie sich gegenüber den Vertretern der beiden anderen Hauptstränge abheben. Nicht wenige Vertreter der ›humanistischen Psychotherapie‹ hatten eine Ausbildung entweder im psychoanalytischen oder im behavioristischen Verfahren gemacht, bevor sie sich neuen Modellen zuwandten. Der Anstoß, diese disparaten Verfahren unter dem Begriff ›human psychology ‹ zusammenzufassen, ging vom New Yorker Psychologen Abraham Maslow (1908 – 1970) aus. Zunächst an der Cornell University, dann von 1951–1969 an der Brandeis University tätig, hat er sich vor allem durch seine Theorie der Hierarchie menschlicher Bedürfnisse ( Hierarchy of Needs ) einen Namen gemacht. Mit seiner Hinwendung zu Sinnfragen hat er etliche der Psychotherapeuten seiner Generation beeinflusst. In seinem Modell der ›Bedürfnishierarchie‹ sprach er sich für ein Sinnkonzept aus, das über die Befriedigung der Grundansprüche (› deficits needs ‹) hinaus ›Metabedürfnisse‹ (›growth needs ‹), mit Idealen verbunden , anstrebt . »The human being needs a framework of values, a philosophy of life, a religion or religion surrogate to live by, in about the same sense that he needs sunlight, calcium or love« (zit. Petzold & Orth 2005). Obwohl selbst nicht therapeutisch tätig, hatte er großes Interesse daran, menschliche Werte in der Behandlung zu stärken. Er fand Gleichgesinnte, die 1961 die American Association for Humanistic Psychology mitbegründeten und fortan eine eigene Zeitschrift herausgaben. 1964 fand in Old Saybrook erstmals eine Konferenz statt, die nicht wenige der bedeutenden amerikanischen Psychologen der Zeit versammelte, wie Gordon Allport , Charlotte Buhler, Abraham Maslow , Rollo May, Gardener Murphy und Carl Rogers. Die geistigen Führer der Bewegung blieben in den kommenden Jahren Maslow , Rogers und May, die neben gemeinsamen weiterhin auch eigenständige Positionen vertraten . Wie noch aufzuzeigen ist, hat sich die Humanistische Psychologie weit über den hier besprochenen Zeitabschnitt hinaus, auch in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, weiter verbreitet (vgl. 6.5).