11 Schilddrüse

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11
Schilddrüse
R. Gärtner und M. Reincke
Frühere Bearbeitung: H. Gerber und H. Studer
11.1
Physiologische Grundlagen
und allgemeine
Pathophysiologie ... 271
Hormonsynthese und
-transport ... 271
Die kleinste funktionelle Einheit:
der Schilddrüsenfollikel ... 271
Hormonsynthese ... 271
Transport der Schilddrüsenhormone im Blut ... 273
Wirkung der
Schilddrüsenhormone ... 274
Wirkung auf Sauerstoffverbrauch
und Wärmeproduktion ... 274
Wirkung auf Wachstum und Entwicklung ... 274
Wirkung auf das Nervensystem ... 274
Wirkung am Muskel ... 275
Wirkung am Gastrointestinaltrakt ... 275
Wirkung auf Niere und Wasserhaushalt ... 275
Metabolismus der
Schilddrüsenhormone ... 275
11.2
Spezielle Pathophysiologie ... 278
Die Struma (= der Kropf) ... 278
Diffuse Struma ... 278
Iodmangelstruma ... 279
Nodöse, benigne Struma ... 279
Schilddrüsenkarzinome ... 282
Autoimmunerkrankungen
der Schilddrüse ... 283
Subakute granulomatöse Thyreoiditis de
Quervain ... 284
Fibrös invasive Thyreoiditis Riedel ... 285
Eitrige Thyreoiditis (akute Thyreoiditis) ... 285
Schilddrüsenfunktionsstörungen:
Hyperthyreose ... 285
Autonomie ... 286
Immunogene Hyperthyreose (Morbus Basedow) ... 286
Seltenere Hyperthyreoseformen ... 286
Thyreostatische Medikamente ... 287
Schilddrüsenfunktionsstörungen:
Hypothyreose ... 288
Laboruntersuchungen ... 276
Schilddrüsenhormone und TSH im Serum ... 276
Ergänzende Laboruntersuchungen ... 276
Bildgebende Verfahren ... 277
Szintigraphie ... 277
Ultraschall (Sonographie) ... 277
Siegenthaler, Blum, Klinische Pathophysiologie (ISBN 3134496097), 䊚 2006 Georg Thieme Verlag KG
11.1 Physiologische Grundlagen und allgemeine Pathophysiologie
11.1
Physiologische Grundlagen und allgemeine Pathophysiologie
Hormonsynthese und -transport
Die kleinste funktionelle Einheit:
der Schilddrüsenfollikel
Follikel. Die Schilddrüse setzt sich aus mikroskopisch
kleinen Bläschen (Follikeln) zusammen, die umgeben
sind mit einem feinen Netzwerk aus Blutkapillaren und
Bindegewebe (basolaterale Membran). Die Follikel bestehen aus einem einschichtigen, polarisierten Epithel,
gefüllt mit Kolloid. An der der basolateralen Membran
zugewandten Seite der Thyreozyten sind die Rezeptoren
für die spezifische Funktion und das Wachstum sowie
den Substrattransport lokalisiert, an der apikalen
Membran die Transport-und Enzymsysteme für die
Schilddrüsenhormonsynthese, -speicherung und -sekretion (Abb. 11.1). Das Kolloid besteht im Wesentlichen
aus hoch konzentriertem Thyreoglobulin (Tg), dem Synthese- und Speicherprotein der Schilddrüsenhormone.
Hormonsynthese
Schilddrüsenhormone. Schilddrüsenfollikel synthetisieren und sezernieren das Prohormon Thyroxin (T4) und
das stoffwechselaktive 3,3',5-Triiodthyronin (T3) im Verhältnis von etwa 10 : 1.
Durch Iodierung von Tyrosin im Tg-Molekül an der apikalen Zytoplasmamembran entstehen Monoiodtyrosin
(MIT) und Diiodtyrosin (DI). Aus MIT + DIT wird T3 oder
das biologisch inaktive „reverse 3,5,5'-T3“ (rT3, s. u.), aus
DIT + DIT wird T4 gebildet (Abb. 11.2). Sie werden im TgMolekül synthetisiert und erst nach Aufnahme in den
Thyreozyten durch lysosomale Enzyme freigesetzt. Bei
Abb. 11.1 Morphologie und Funktion der Follikelepithelzelle. Uniodiertes Thyreoglobulin (Tg) wird im
rauen endoplasmatischen Retikulum (RER) synthetisiert, im GolgiApparat (G) glykosiliert und wird
dann an der apikalen Zellmembran
ins Kolloid abgegeben. Iodid wird
über NIS entgegen einem Gradienten ins Zellinnere und dann an der
apikalen Membran über Pendrin/
hAIT aktiv transportiert. Die Iodierung von Tyrosin am Tg und die
Kopplung von MIT und DIT zu T3
und T4 erfolgen direkt an der apikalen Zellmembran, an der alle dafür
notwendigen Enzyme, die TPO und
die NADPH-Oxidasen ThOx1 und 2
verankert sind. TSH-abhängig wird
Kolloid (iodierte Tg) pinozytiert.
Nach Verschmelzung des Kolloidtröpfchens mit Lysosomen (Ly) werden durch saure Proteolyse T3 und
T4 freigesetzt. T3 und T4 werden
über einen bisher unbekannten
Mechanismus sezerniert. B = Basalmembran, M = Mitochondrien,
N = Nukleus, Mv = Mikrovilli,
NIS = Natrium-Iodid-Symporter,
hAIT = human apical iodide transporter, ThOx1/2 = NADPH-Oxidase
1 bzw. 2.
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11
Schilddrüse
ausreichender Iodversorgung überwiegt die T4-Synthese und -sekretion; T3 entsteht vorwiegend durch
periphere Monodeiodierung des T4 in den einzelnen
Organen (44, 75). Das von der Hypophyse gebildete
Thyreotropin (TSH) reguliert die Iodaufnahme, Thyreoglobulin-und Schilddrüsenhormonsynthese sowie -sekretion. Das TSH wird durch Schilddrüsenhormon gehemmt (negativer Feed-back), wodurch die physiologische Hormonhomöostase gewährleistet wird.
Natrium-Iodid-Symporter (NIS). Iodid wird über den Ionensymporter NIS zusammen mit Natrium entgegen einem elektrochemischen Gradienten von der Kapillare
ins Innere der Thyreozyten aktiv und TSH-abhängig
transportiert. Da Iodid immer zusammen mit Natrium
transportiert wird, nennt man es den Natrium-IodidSymporter (9). Das NIS ist in der basolateralen Zytoplasmamembran lokalisiert (Abb. 11.1).
➤ Das über 20 kB große NIS-Gen ist auf Chromosom
19 p12-p13.2 lokalisiert, besteht aus 15 Exons und
kodiert für eine mRNA von 3,9 kB (9).
➤ Das NIS-Protein umfasst 643 Aminosäuren, wird
posttranslational mehrfach glykosiliert und in der
SDS-PAGE als Glykoprotein von 70 – 80 kDA nachgewiesen (9, 12).
➤ NIS wird nicht nur in der Schilddrüse, sondern auch
in vielen anderen Organen exprimiert so z. B. in den
Speicheldrüsen, im Magen, im Epithel der Brustdrüse, im Kolon und im Ovar. In diesen Organen kommt
es aber nicht zu der anschließenden Iodorganifizierung wie im Thyreozyten (15).
Pendrin. Das für die Schilddrüsenhormonsynthese notwendige Iodid wird an der apikalen Zellmembran durch
den apikalen Halogenidtransporter Pendrin oder hAIT
Abb. 11.2
(human apical iodide transporter) aktiv in das Follikellumen transportiert (44, 50). Der Iodidtransport ist natriumunabhängig, Pendrin kann aber auch Chlorid
transportieren (daher der Name Halogenidtransporter),
ist also nicht spezifisch für Iodid.
➤ Das Pendrin-Gen ist auf Chromosom 7 q22 – 31.1 lokalisiert, das Protein besteht aus 760 Aminosäuren
und hat ein Molekulargewicht von 86 kDa.
➤ Es wird auch in der Cochlea exprimiert und ist dort
infolge von Mutationen verantwortlich für das
nichtsyndromische Pendred-Syndrom (33).
Thyreoglobulin. Nur die Schilddrüsenzelle besitzt die Fähigkeit, Thyreoglobulin, ein Glykoprotein mit einem Molekulargewicht von 660.000, zu synthetisieren (18), und
nur in der Schilddrüse ist die NIS mit der Thyreoglobulinsynthese und den Mechanismen der organischen Iodbindung an dieses Riesenmolekül gekoppelt (Abb. 11.1):
➤ Das rund 260 kB große Thyreoglobulin-Gen ist auf
Chromosom 8 q24 lokalisiert, besteht überwiegend
aus Introns – die über 40 Exons machen weniger als
2% in der 3'-Region und rund 10% in der 5'-Region
aus – und kodiert für ein Protein von rund 2800
Aminosäuren (18).
➤ Die Expression von Thyreoglobulin-, Peroxidase(s. u.) und anderen Genen wird durch verschiedene
Transkriptionsfaktoren gesteuert, die auch für die
Entwicklung der Schilddrüse während der Embryonalphase wichtig sind, wie z. B. TTF1, TTF2 (thyroid
transcription factor 1 und 2) und Pax 8 (18, 44).
Thyreoperoxidase. Das an der apikalen Zellmembran
verankerte Enzym Thyreoperoxidase (TPO) katalysiert
die oxidative Iodierung der Tyrosinreste am Thyreoglobulin zu den Iodthyrosinen sowie die anschließende
Biosynthese der Schilddrüsenhormone (vgl. Abb. 11.1).
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11.1 Physiologische Grundlagen und allgemeine Pathophysiologie
Koppelung zweier Iodtyrosine zu den Iodthyroninen
(75) (Abb. 11.2):
➤ Das rund 150 kB große TPO-Gen ist auf Chromosom
2 pter-p12 lokalisiert, kodiert für 2 mRNA von 4,0
und 3,2 kB, die wiederum in 100 bzw. 107 kDa große
Glykoproteine translatiert werden.
➤ Im aktiven Zentrum der TPO ist ein essenzieller
Häm-Rest als prosthetische Gruppe lokalisiert, für
die Synthese ist somit auch Eisen notwendig. Das
aktive Zentrum kann beispielsweise durch gezielte
Mutagenese oder Spontanmutationen inaktiviert
werden.
NADPH-abhängige Oxidase (ThOx). Die Breitstellung von
H2O2 für die Oxidierung in Iodid geschieht mithilfe der
an der apikalen Membran der Follikel vorhandenen
NADPH-abhängigen ThOx, die erst kürzlich identifiziert
wurde (8).
Glutathionperoxidasen (GPx). Bisher sind 6 unterschiedliche GPx bekannt, die GPx3 ist an der Regulation der
Schilddrüsenhormonsynthese beteiligt. Die GPx3 ist an
der apikalen Zellmembran lokalisiert und reduziert
H2O2. Unter TSH-Stimulation wird weniger GPx3 an der
apikalen Membran exprimiert, was eine erhöhte Iodidoxidation ermöglicht, während in unstimulierten Follikeln mehr GPx3 exprimiert wird und somit die Iodoxidation verhindert werden kann (2).
Da die Aktivität der GPx allein durch das mit der Nahrung zugeführte Selen reguliert wird, kann ein Selenmangel und damit eine verminderte GPx3-Aktivität die
Thyreozyten oxidativ schädigen, mit der Folge einer erhöhten Mutationsrate der Thyreozyten (49) oder auch
der Initiierung einer Autoimmunthyreoiditis (s. u.) (2,
28).
Schilddrüsenhormonsekretion. Vor der Sekretion von
Schilddrüsenhormonen müssen diese vom Tg abgespalten werden (Abb. 11.1):
➤ Der erste Schritt ist die Pinozytose von Kolloid, vermittelt durch sog. „coated vesicles“, endozytotische
Membranvesikel, die sich an der apikalen Membran
einstülpen. Im Zellinnern verschmelzen die Kolloidtröpfchen mit Lysosomen und bilden die sekundären
Lysomen, in deren saurem Milieu die Hydrolyse des
hormonhaltigen Tg stattfindet und sowohl MIT und
DIT als auch Iodthyronine freigesetzt werden (18).
➤ Auf welchem Weg freies T3 und T4 aus dem Thyreozyten in die Blutkapillaren gelangt, ist bisher nicht
bekannt. Es muss aber Schutzmechanismen geben,
die verhindern, dass die Thyreozyten sie mit Hormonen überschwemmen, denn sie besitzen auch T3Rezeptoren (44).
➤ Wahrscheinlich werden auch MIT und DIT aus der
Zelle ins Blut sezerniert, wo sie sehr rasch deiodiert
werden. Der größte Teil der MIT- und DIT-Moleküle
wird aber schon in der Schilddrüsenzelle deiodiert,
und das Iod wird zur Neusynthese von Schilddrüsenhormonen verwendet (18).
Auch wird intaktes Tg wahrscheinlich durch Exozytose
in die Schilddrüsenlymphe abgegeben und gelangt damit ins Blut (18).
Genetische Defekte und pharmakologische
Effekte können jeden einzelnen der zahlreichen Schritte, angefangen vom Iodidtransport in die Schilddrüsenzellen bis hin zur Sekretion der
fertigen Hormone in die Blutbahn, erschweren oder
ganz blockieren (9, 15, 18, 33, 40). Die Konsequenz ist,
wie beim schweren Iodmangel (s. u.), eine TSH-Erhöhung und Strumabildung.
Transport der Schilddrüsenhormone im Blut
Transportproteine. Die beiden Schilddrüsenhormone T3
und T4 sind nicht wasserlöslich und deshalb im Blut zum
größten Teil reversibel an 3 Transportproteine mit spezifischer Affinität zu T3 und T 4 gebunden (69):
➤ Thyroxinbindendes Globulin (TBG): TBG ist ein Glykoprotein mit einem Molekulargewicht von etwa
50.000, das in der Leber synthetisiert wird. Die normale Konzentration beträgt 170 – 510 nmol/l und die
biologische Halbwertszeit des TBG beträgt 5 Tage.
➤ Thyroxin bindendes Präalbumin (= Transthyretin,
TTR),
➤ Albumin.
Hormonbindung. Nur 0,3% des T4 und 0,3% des T3 zirkulieren als sog. freies T4 und freies T3 in nicht eiweißgebundener Form. Etwa 75% des T4 im Serum sind an TBG
gebunden; kleinere Mengen wandern mit dem Transthyretin (15%) und mit dem Albumin (10%). Obwohl das
Serumalbumin bei weitem die größte T4-Transport-Kapazität hat, ist biologisch das TBG weit wichtiger, weil
seine Affinität zu den Schilddrüsenhormonen viel größer ist (69).
Normabweichungen der Transportproteinkonzentrationen. Sie führen zu entsprechenden Abweichungen der Serumspiegel
von Gesamt-T4 und weniger auch von Gesamt-T3, nicht
aber der freien Hormonspiegel (69). Durch angeborene
oder erworbene Erhöhung oder Erniedrigung von TBG
erhöht oder erniedrigt sich auch der Serumspiegel von
Gesamt-T4 (s. u.). Daher sollten für die Diagnostik heute
nur noch die freien Hormonspiegel bestimmt werden.
Beispielsweise ist TBG im Serum erhöht bei:
➤ Schwangerschaft, Ovulationshemmereinnahme,
➤ akuten Lebererkrankungen,
➤ akuter intermittierender Porphyrie,
➤ Applikation von Östrogenen, Tamoxifen, Clofibrat, 5Fluorouracil, Heroin und Methadon.
Es ist erniedrigt bei:
➤ nephrotischem Syndrom,
➤ Enteropathie mit Proteinverlust,
➤ Morbus Cushing,
➤ chronischen Lebererkrankungen,
Applikation von Androgenen, Corticosteroiden und
L-Asparaginase.
Selten sind angeborene Anomalien von TBG, Transthyretin und Albumin (40).
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Schilddrüse
Hormontransport in die Zellen: Sowohl T4 als auch T3
werden über den MCT8 (monocarboxylate transporter
8) energieabhängig in die Zelle transportiert (23). Hohe
Konzentrationen von MCT8-Protein werden im Gehirn,
Leber, Niere und Herz exprimiert. Kürzlich konnte als
Ursache eines Syndroms, charakterisiert durch psychomotorische Entwicklungsstörung und abnorm hohe
Schilddrüsenhormonwerte, eine Mutation im MCT8Promoter nachgewiesen werden (17, 37).
Wirkung der
Schilddrüsenhormone
Konversion von T4 zu T3. T3 ist das stoffwechselaktive
Schilddrüsenhormon, die Zellkerne haben nur T3-Rezeptoren. Das T4 wird intrazellulär zu T3 deiodiert, die einzelnen Organe sind somit in der Lage, den Hormonbedarf in gewissen Grenzen selbst zu regulieren (43, 51).
Wirkung über T3-Rezeptoren. T3-Rezeptoren (TR; thyroid
hormone receptors) gehören zur Großfamilie der Steroid-Schilddrüsenhormon-Rezeptoren, die u. a. auch Rezeptoren für Vitamin D und Retinsäure umfasst (1, 77).
Es existieren verschiedene TR-Isoformen, namentlich
TR-α1, TR-α2, TR-β1 und TR-β2, die je nach Gewebe unterschiedlich exprimiert werden. In der Ontogenese
werden die TR-α schon in frühen Entwicklungsstadien
exprimiert, während TR-β erst später erscheinen. In der
Hypophyse werden z. B. mehr TR-β2 und -β1 als TR-α1
exprimiert, im Gehirn nur TR-α1 und -β1, im Herzmuskel mehr TR-α1 als -β2, in der Leber mehr TR-β1 als TRα1, in der Niere gleich viel von TR-α1 und -β1. Die T3Wirkung ist umso stärker, je mehr Rezeptoren exprimiert sind. Die TR interagieren nach Bindung von T3 mit
spezifischen DNA-Sequenzen, den sog. TRE (TR response
elements), aber auch verschiedenen Transkriptionsfaktoren und anderen Rezeptoren der o. g. Superfamilie (1,
40).
Direkte Wirkungen. Zusätzlich zum nukleären Effekt via
TR haben Schilddrüsenhormone aber auch zusätzliche,
direkte Effekte z. B. auf den Energieumsatz der Mitochondrien, die Ca-ATPase der Zellmembran, den Glucosetransport bestimmter Zellen und auf die Typ-II-Thyroxin-5'-Deiodinase (5'DII s. u.) (1).
Wirkung auf Sauerstoffverbrauch
und Wärmeproduktion
Sauerstoffverbrauch. T3 vermehrt den O2-Konsum vieler,
aber nicht aller Gewebe (1). Besonders empfindlich sind
Herz, Muskel, Leber, Niere, Haut, während der O2-Verbrauch von Gehirn und Gonaden kaum auf T3 und T4
reagiert. Die Variabilität der T3-Empfindlichkeit kann erklären, warum sich leichtere Hypo- und Hyperthyreosen
oft nur an einzelnen Organen auswirken.
Wärmeproduktion. Die Schilddrüse ist eines der Erfolgsorgane, an denen die Efferenzen der hypothalamischen
Thermoregulationszentren über eine vermehrte TSHSekretion der Hypophyse zur Wirkung kommen. Erhöhte Wärmeproduktion ist eine typische T3-Wirkung, die
Hyperthyreose geht mit Hyperthermie, die Hypothyreose mit Hypothermie einher. Auch zeigt der TSH-Spiegel
typische, jahreszeitlich abhängige Schwankungen, er ist
im Winter höher als im Sommer (68).
Der erhöhte O2-Verbrauch und die vermehrte Thermogenese bei Hyperthyreose beruhen nicht, wie noch in
den 50er Jahren vermutet, auf der Entkopplung der oxidativen Phosphorylierung, sondern entstehen, weil die
Schilddrüsenhormone die mitochondriale und nukleäre Genexpression beeinflussen. Typische Folgen sind
die vermehrte Synthese von Na+-K+-ATPase mit vermehrtem transmembranösem Na+-Transport, vermehrter ADP-Bildung und dadurch gesteigerter mitochondrialer oxidativer Aktivität (1).
Wirkung auf Wachstum und Entwicklung
Die schweren Störungen des Wachstums, die ein T3/T4Mangel bei vielen Säugetieren nach sich zieht, weckt
die Assoziation an die Abhängigkeit der Amphibienmetamorphose von Schilddrüsenhormonen. Beim Menschen hat der T3/T 4-Mangel folgende Wirkungen:
➤ Knochenwachstum und Epiphysenschluss sind verzögert (60).
➤ In bestimmten kritischen Zeiten der embryonalen
Entwicklung kann es zu irreversiblen Störungen der
Gehirnreifung kommen, denn die Wirkung des NGF
(nerve growth factor) ist abhängig von T3.
➤ Die Entwicklung anderer Organe wie z. B. der Lungen
– besonders der für die Surfactant-Bildung zuständigen Alveolarepithelien Typ II – ist gestört.
➤ Der periphere Effekt und die Sekretion des Wachstumshormons sind gestört (1).
Die beste klinische Illustration für die vielfältigen Wirkungen der Schilddrüsenhormone
auf die Entwicklung bietet der Kretinismus,
ein Krankheitsbild, das durch schweren Iod- und konsekutiven T3/T4-Mangel während der Fetalzeit verursacht
wird und im klassischen Fall durch irreversible Intelligenzschwäche mit neurologischen Störungen, Taubstummheit, Gangstörungen und/oder Hypothyreose
mit Kleinwuchs gekennzeichnet ist (1, 33). Der Kretinismus gehört in Ländern, in denen der Iodmangel behoben ist, der Vergangenheit an.
Wirkung auf das Nervensystem
Obwohl der O2-Verbrauch des Gehirns kaum messbar
von T3 und T4 beeinflusst wird, hängt die Funktion des
ZNS in unbekannter Weise vom Angebot der Schilddrüsenhormone ab. Sowohl bei schwerem Mangel wie bei
massivem Überangebot kann das Bewusstsein erlöschen (hypo- bzw. hyperthyreotes Koma). Ein T3-Mangel
führt zu Apathie und „slow cerebration“, ein T3-Über-
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11.1 Physiologische Grundlagen und allgemeine Pathophysiologie
angebot zu mannigfachen Formen der Übererregbarkeit. Schwere neurologische Ausfälle sind bei Hypothyreose beschrieben worden (1).
Wirkung am Muskel
Skelettmuskulatur. Bei langdauernder, ausgeprägter Hyperthyreose kann das klinische Bild der schweren myasthenischen Muskelschwäche auftreten. Aber auch das
Fehlen von T3 und T4 äußert sich am Muskel: Typisch
sind besonders der verlangsamte Ablauf des Sehnenreflexes und beim Kind eine merkwürdige Form der muskulären Hypertrophie. Das Muskelenzym Kreatin-Phosphokinase ist bei Hypothyreose häufig im peripheren Blut
erhöht (1).
Myokard. Die Expression und damit Wirkung der βadrenergen Rezeptoren ist im Wesentlichen abhängig
von den Schilddrüsenhormonen.
Die Wirkung der Schilddrüsenhormone auf
die β-Rezeptoren erklärt nicht nur die bei einer Hyperthyreose immer bestehende Ruhetachykardie, sondern auch die Herzrhythmusstörungen, insbesondere Vorhofflimmern, sowie das gesteigerte Herzminutenvolumen und bei länger unbehandelter schwerer Hyperthyreose eine dilatative Kardiomyopathie bis hin zum hyperdynamischen Herzversagen. Die gesteigerte β-adrenerge Wirkung führt auch
zur peripheren Vasodilatation, erniedrigtem diastolischem und erhöhtem systolischem Blutdruck und warmer Haut.
Umgekehrt ist bei Hypothyreose die Pulsfrequenz verlangsamt, die Muskelkontraktion vermindert, der diastolische Blutdruck gesteigert und der systolische erniedrigt, und bei länger unbehandelter Hypothyreose
kann sich eine biventrikuläre Herzinsuffizienz entwickeln (42).
Wirkung am Gastrointestinaltrakt
Magen-Darm-Trakt. Schilddrüsenhormone induzieren
eine beschleunigte intestinale Resorption von Kohlenhydraten, eine Steigerung der Glukoneogenese und Glykogensynthese sowie einen beschleunigten Kohlenhydratabbau und Glykogenolyse. Infolge einer Hyperthyreose kann eine latent diabetische Stoffwechsellage klinisch manifest werden. Insbesondere LDL-Cholesterin
wird bei Hyperthyreose schneller, bei Hypothyreose
langsamer abgebaut (19).
Leber. Schilddrüsenhormone erhöhen den Sauerstoffverbrauch in den Mitochondrien mit der Folge einer Gewebshypoxie, die für die erhöhten Transaminasen bei
Hyperthyreose verantwortlich gemacht wird. Spezifisch
wird auch die Synthese des SHBG (Sexualhormon bindendes Globulin) gehemmt und ist bei Hypothyreose erhöht.
Wirkung auf Niere und Wasserhaushalt
Durch die gesteigerte Na+-K+-ATPase-Aktivität (10) ist
die Natrium- und Wasserretention bei Hyperthyreose
erhöht. Die Calciumausscheidung ist infolge einer erhöhten GFR (glomeruläre Filtrationsrate) gesteigert,
was zu einem Calciumverlust aus dem Knochen mit der
Entwicklung einer Osteoporose führen kann.
Metabolismus der
Schilddrüsenhormone
Deiodasen. Der wichtigste Stoffwechselweg für Schilddrüsenhormone ist deren Aktivierung bzw. Inaktivierung durch 3 bisher bekannte und klonierte Selenoenzyme, die Deiodasen (43, 51). Die Typ-I-Deiodase (5'DI)
deiodiert T4 zu T3 am phenolischen Ring in 5'-Position
unter Bildung des stoffwechselaktiven T3. Es deiodiert
aber auch das inerte rT3 in 5'-Position unter Bildung von
3,3'-T2. Die Typ-II-Deiodase (5 'DII) deiodiert ebenfalls T4
in Position 5', hat aber gegenüber 5'DI eine geringere Affinität zu rT3. Die Typ-III-5 Deiodase (5 DIII) deiodiert T4
und T3 am Tyrosyl-Ring unter Bildung der inerten Metabolite rT3 oder 3,3'-T2 beim Abbau von T3. Somit ist 5 DIII
das wichtigste Enzym im Abbau sowohl von T4 als auch
T3 .
Die 5'DI ist vorwiegend in Leber, Niere, Schilddrüse
und Hypophyse lokalisiert und wohl hauptsächlich für
die Bildung des im Blut zirkulierenden T3 verantwortlich, wohingegen die 5'DII hauptsächlich für die lokale
Bildung von T3 verantwortlich ist.
➤ Das 5'DI-Gen ist auf Chromosom 1 p31 – 32 lokalisiert, besteht aus 4 Exons und ist ca. 20 kB groß.
➤ Das 5'DII-Gen ist auf Chromosom 14 q24.3 lokalisiert und hat 2 Exons. Das Enzym besteht aus 3 Untereinheiten, einem p29-Protein, einer cAMP-responsiven Untereinheit und einer bisher unbekannten Untereinheit.
➤ Das 5 DIII-Gen ist auf Chromosom 14 q32 lokalisiert.
Eine 2,1-kb-mRNA kodiert für ein 32-kDa-Protein.
Über das Holoenzym ist noch wenig bekannt.
Niedrig-T3-Syndrom (low-T3-syndrome).
Bei allen schweren Allgemeinerkrankungen,
die mit einem katabolen Metabolismus einhergehen (z. B. schwere Infektionen, Tumorerkrankungen, schlecht eingestellter Diabetes mellitus), oder längerem Fasten fällt das T3 ab, während das rT3 ansteigt
(3, 48, 53). Man spricht in diesen Fällen vom Niedrig-T3Syndrom oder Non-thyroidal-illness-Syndrome (NTIS)
(43, 51). Es erklärt sich durch die schnelle Abnahme der
5' DI-Aktivität in der Leber. Dadurch wird der Energiestoffwechsel eingeschränkt, was offenbar physiologisch
sinnvoll ist, denn eine Substitution mit T3 hat keine positive Wirkung auf den Krankheitsverlauf. In schweren Fällen ist auch TSH erniedrigt und die Laborkonstellation
ist vergleichbar mit einer sekundären Hypothyreose
(s. u.). Die TSH-Suppression wird durch Zytokine induziert (80).
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Siegenthaler, Blum, Klinische Pathophysiologie (ISBN 3134496097), 䊚 2006 Georg Thieme Verlag KG
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Schilddrüse
Medikamente. Der Metabolismus der Schilddrüsenhormone wird auch durch verschiedene Medikamente modifiziert (44, 51, 57):
1. durch Hemmung einzelner Deiodasen, z. B. durch
Röntgenkontrastmittel, Amiodaron, Propylthiouracil, Propranolol oder hochdosierte Glucocorticoide;
2. durch hepatische Enzyminduktion, z. B. Phenobarbital, Phenytoin, Carbamazepin, Rifampicin.
Tabelle 11.1 Normalwerte von Schilddrüsenhormonen und
TSH im Serum*
Hormon
Normalwert (SI)
Normalwert
(w/v)
Gesamt-T4
Freies T4 (FT4)
Gesamt-T3
Freies T3 (FT3)
TSH
58 – 160 nmol/l
9 – 23 pmol/l
1,2 – 2,7 nmol/l
3,5 – 7,7 pmol/l
0,3 – 4,0 mU/l
4,5 – 12,6 µg/dl
0,7 – 1,8 ng/dl
80 – 180 ng/dl
0,2 – 0,5 ng/dl
* sind geringfügig abhängig vom verwendeten Testsystem
Laboruntersuchungen
Schilddrüsenhormone und TSH im Serum
Der wichtigste Parameter für die Beurteilung der
Schilddrüsenfunktion ist die Konzentration des hypophysären Hormons TSH im Serum, unter der Voraussetzung einer normalen Hypophysenfunktion
(intakter hypohysärer Regelkreis) (13). Rationale
hierfür ist die große Seltenheit hypophysärer (sekundärer) Störungen im Vergleich zu primären Störungen der Schilddrüsenfunktion.
Sekundäre Störungen. Bei hypophysärer Insuffizienz (sekundäre Hypothyreose) oder dem Niedrig-T3-Syndrom
bei Schwerstkranken ist TSH inadäquat normal oder erniedrigt bei niedrigen T4- und T3-Spiegeln. Bei sekundärer Hypothyreose können auch erhöhte TSH-Werte vorkommen, wobei das sezernierte TSH eine reduzierte biologische Wirkung hat. Bei sekundärer Hyperthyreose,
z. B. durch ein TSH-produzierendes Adenom, sind T3 und
T4 erhöht bei normalem oder erhöhtem TSH.
Diagnostik der Schilddrüsenfunktion. Ist
TSH im Normbereich, liegt eine euthyreote
Stoffwechsellage vor, nur bei pathologischen
TSH-Werten ist die Messung von FT3 und FT4 erforderlich (13). Eine Erhöhung der TSH-Konzentration im Serum zeigt bereits eine drohende Unterfunktion der
Schilddrüse an, auch wenn die FT3- und FT4-Konzentrationen noch innerhalb des Normbereiches liegen; man
spricht dann von einer latenten oder „subklinischen“
Hypothyreose. Bei manifester Hypothyreose ist FT4 er-
Tabelle 11.2
niedrigt bei meist noch normalem FT3. Umgekehrt liegt
bei supprimiertem TSH und noch normalen freien Hormonspiegel eine latente oder „subklinische“ Hyperthyreose vor, eine manifeste Hyperthyreose geht dann mit
einem erhöhten FT3 (bei relativem Iodmangel) oder erhöhtem FT3 und FT4 einher (Tab. 11.1 u. 11.2).
Ein TRH-Test zur genaueren Untersuchung eines intakten Regelkreises ist nur bei V. a. sekundäre Hypothyreose erforderlich, in Ausnahmefällen auch bei NTIS und
dem V. a. eine Hyperthyreose.
Immunoassays. Die immunometrischen Bestimmungsmethoden sowohl für TSH als auch die freien Hormone
haben heute die früher ausschließlich verfügbaren Radioimmunoassays abgelöst; daher können TSH, FT3 und
FT4 mit hoher Präzision in allen Routinelabors bestimmt
werden (13).
Ergänzende Laboruntersuchungen
Thyreoglobulin
Der Thyreoglobulinnachweis dient als Parameter für
noch vorhandenes Schilddrüsengewebe nach Thyreoidektomie wegen eines differenzierten Schilddrüsenkarzinoms und in der Tumornachsorge zum Nachweis
bzw. Ausschluss eines Rezidivs oder von Metastasen.
Thyreoglobulin ist aber kein „Tumormarker“, da es von
allen differenzierten Schilddrüsenzellen freigesetzt
wird, und hat bei benignen Schilddrüsenerkrankungen
keinen diagnostischen Stellenwert (13).
Beurteilung der Schilddrüsenhormon- und TSH-Werte im Serum
FT4
FT3
TSH
Beurteilung
normal
niedrig
normal
niedrig
hoch
hoch
niedrig
niedrig
niedrig
normal
hoch
normal
hoch
normal
hoch
hoch
hoch
niedrig
niedrig
niedrig
hoch
präklinische (subklinische) Hypothyreose
primäre Hypothyreose (meistens Zerstörung der Schilddrüse durch eine Immunthyreoiditis mit sekundärer Mehrsekretion von TSH)
sekundäre Hypothyreose (Erkrankung der Hypophyse), oder bei NTIS (Non-thyroidalillness-Syndrom)
präklinische (subklinische) Hyperthyreose
klassische Hyperthyreose
sog. „T3-Hyperthyreose“ (bei Iodmangel)
T3-Rezeptor-Resistenz oder TSHom
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11.1 Physiologische Grundlagen und allgemeine Pathophysiologie
Antikörper
Biologische Wirkung
Typisch für
HashimotoMorbus Base- Thyreoiditis
dow
TSH-Rezeptor-stimulierende Antikörper (TSI)
TSH-Rezeptor-blockierende Antikörper (TBII)
TSH-Rezeptor-bindende
Antikörper (TRAK)
TPO-Ak
Stimulation der Funktion
+
⫺
Hemmung der Funktion
⫺
(+)
Summe aller TSH-Rezeptor-Antikörper
Zytotoxizität zusammen
mit Komplement
keine, Epiphänomen
unklar
+
(+)
(+)
+
+
(+)
+
(+)
TgAk
NIS-Ak
Schilddrüsenspezifische Autoantikörper
Verschiedene schilddrüsenspezifische Autoantikörper
können bei immunogenen Schilddrüsenerkrankungen
(s. u.) im Serum nachgewiesen werden (13, 53)
(Tab. 11.3). Diese können unterteilt werden in biologisch aktive und biologisch inaktive. Die TSH-RezeptorAntikörper (TSI) sind ursächlich für die Entstehung der
immunogenen Hyperthyreose, aber auch der endokrinen Orbitopathie (Morbus Basedow) verantwortlich
und für die Aktivität der Erkrankung diagnostisch bedeutsam (13, 31, 41, 53). Autoantikörper gegen TPO und
Tg sind biologisch inaktiv und kommen bei allen Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse vor (79).
Feinnadelpunktion
Diese für den Patienten kaum belastende Methode
stellt hohe Anforderungen an die Entnahmetechnik,
insbesondere aber an den Zytologen. Um einen Strumaknoten zytologisch zu charakterisieren, ist die Probe, die bei einer durch Ultraschall gesteuerten Feinnadelbiopsie entnommen wird, am besten geeignet; sie
hat aber abhängig von der Erfahrung der Untersucher
nur eine Treffsicherheit von 70 – 90% (35, 56).
Bildgebende Verfahren
Die hochauflösende Sonographie ist die beste Methode zur Bestimmung des Schilddrüsenvolumens
und zum Nachweis von Knoten sowie entzündlichen
Schilddrüsenerkrankungen und hat in den letzten
Jahren die Szintigraphie an die zweite Stelle der bildgebenden Verfahren gerückt. Ohne Sonographie ist
ein Szintigramm nicht eindeutig beurteilbar (36).
Szintigraphie
Prinzip. Differenzierte Schilddrüsenzellen haben die besondere Eigenschaft, Iodid über
den NIS aufzunehmen und zu organifizieren,
NIS transportiert aber auch Technetium und dies er-
Tabelle 11.3 Verschiedenartige
Schilddrüsenantikörper bei Morbus
Basedow und Hashimoto-Thyreoiditis
(53)
möglicht die bildliche zweidimensionale Darstellung
von Schilddrüsengewebe mit Isotopen dieser beiden
Substanzen (dem kurzlebigen I123 und dem Technetium-Isotop 99 mTc-Pertechnetat, beides reine γ-Strahler),
aber auch eine gezielte Bestrahlung und Destruktion
von Iod anreichernden Geweben mit dem langlebigen
I131 (97% β-Strahler, 3% γ-Strahler) (55). Letzteres wird
routinemäßig für die Therapie von funktionell aktiven
Knoten (autonomen Adenomen) und differenzierten
Schilddrüsenkarzinomen in der Klinik angewandt.
99 m
Tc-Pertechnetat(Technetium-)Szintigraphie. Dies ist
die Routinemethode zur Darstellung von Knotenstrumen. Man kann damit funktionell aktive Knoten bzw.
Bezirke („heiße Knoten) von inaktiven („kalte Knoten“)
unterscheiden. Die Menge des aufgenommenen 99 mTc ist
proportional zur Aktivität der Knoten und invers zum
Iodgehalt des Gewebes.
I123-Szintigraphie. Diese wird nur noch bei bestimmten
Fragestellungen eingesetzt, z. B. wenn es darum geht,
Iod-Organifizierungsdefekte nachzuweisen, oder bei
großen retrosternalen Strumen oder dem V. a. ektopes
Schilddrüsengewebe, da I123 ein stärkerer γ-Stahler als
99 m
Tc ist (55).
Nachteil der Szintigraphie. Mit szintigraphischen Methoden erhält man nur ein zweidimensionales Bild
(Abb. 11.3), und Knoten, die kleiner als 1 cm sind, werden
wegen der schlechten Auflösung nicht erfasst. Die enorme Heterogenität zwischen den einzelnen Follikeln
kranker Schilddrüsen entgeht der Szintigraphie (70, 72)
(Abb. 11.6).
Ultraschall (Sonographie)
Bedeutung. Mit den heute zur Verfügung stehenden Geräten ist die dreidimensionale Abbildung der Schilddrüsenmorphologie mit hoher Detailauflösung möglich.
Herdbefunde bis zu einem Durchmesser von 2 – 3 mm
können damit erfasst werden. Wegen der Einfachheit
der Durchführung und der fehlenden Belastung für den
Patienten ist die Sonographie der Schilddrüse das wichtigste und beliebig oft wiederholbare bildgebende Ver-
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Siegenthaler, Blum, Klinische Pathophysiologie (ISBN 3134496097), 䊚 2006 Georg Thieme Verlag KG
11
Schilddrüse
b
a
Abb. 11.3 Euthyreoter Knotenkropf einer 69-jährigen Patientin.
Das Szintigramm zeigt die heterogene Verteilung des 131I mit „kalten“ und „warmen“ Bezirken außerhalb und auch innerhalb der
fahren (36). Allerdings ist die Interpretation abhängig
von der Erfahrung des Untersuchers und der Qualität der
Geräte.
Mithilfe der ultraschallgesteuerten Feinnadelpunktion
lässt sich präziser die Zytologie auch aus kleineren
Knoten gewinnen (56).
Prinzip. Schallwellen werden an der Grenzfläche von Medien unterschiedlicher Dichte reflektiert. Da die normale Schilddrüse aus kolloidgefüllten Bläschen (Follikeln) zusammengesetzt ist,
erscheint die normale Schilddrüse sehr echoreich und
homogen, während eine Schilddrüse mit lymphozytärer
Infiltration und kleinen Follikeln (immunogene Hyperthyreose) echoarm erscheint. Bezirke oder Kno-
11.2
Knoten. Eine präzise Zuordnung zu histologischen Follikelstrukturen ist aber nicht möglich.
ten mit kleineren oder fehlenden Follikeln (z. B. Karzinom, Bindegewebe) sind echoarm, Zysten echofrei,
Verkalkungen erzeugen eine Schallauslöschung.
Das Volumen eines Schilddrüsenlappens oder auch Knotens kann nach der Formel eines Rotationsellipsoids berechnet werden (max. Länge (cm) · Breite (cm) · Tiefe
(cm) · 0,5 = Volumen in ml).
Duplexsonographie. Mithilfe der Duplexsonographie
kann der Grad der Durchblutung der Schilddrüse und
auch der einzelnen Knoten abgeschätzt werden. Erste
größere Untersuchungen deuten darauf hin, dass sich
aus der Kombination des Ultraschallmusters und des
Perfusionsgrades die Malignitätswahrscheinlichkeit eines Knotens besser abschätzen lässt (67).
Spezielle Pathophysiologie
Die Struma (= der Kropf)
Eine Vergrößerung der Schilddrüse ist ein Symptom
unterschiedlichster Ätiologie. Grundsätzlich unterscheidet man eine diffuse von einer nodösen Struma.
Die bei weitem häufigste Ursache ist der Iodmangel.
Die Iodmangelstruma ist die weltweit häufigste Erkrankung eines endokrinen Organs (27, 78).
Diffuse Struma
Ursachen. Eine diffuse Struma entsteht entweder durch
eine Hypertrophie (Größenzunahme der Thyreozyten
und/oder des Follikelvolumens), eine Hyperplasie (Proliferation der Thyreozyten und des Bindegewebes) oder
eine diffuse Infiltration des Organs mit Lymphozyten.
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