5 Vollständige Induktion Natürliche Zahlen In den vorherigen Kapiteln haben wir die Menge der natürlichen Zahlen schon mehrfach als Beispiel benutzt. Das Konzept der natürlichen Zahlen erscheint uns einfach, da wir es schon lange kennen. Der Mathematiker L. Kronecker (1823-1881) sagte einst Die natürlichen Zahlen hat der liebe Gott gemacht, alles andere ist Menschenwerk. In der Tat werden wir die Existenz der natürlichen Zahlen zusammen mit einigen wenigen grundlegenden Eigenschaften einfach fordern. Danach werden wir aus den natürlichen Zahlen die ganzen Zahlen, und die rationalen Zahlen konstruieren. Wie man von den rationalen Zahlen zu den reellen Zahlen kommt ist nicht so leicht (und wird auch erst in Analysis I behandelt). Von den reellen Zahlen zu den komplexen Zahlen ist es wieder sehr einfach. Nun aber zu den natürlichen Zahlen. Diese führen wir axiomatisch ein. D.h. wir fordern gewisse Eigenschaften, die eine Menge, die wir dann natürlichen Zahlen nennen, erfüllen sollte. Denition 5.1 (Peano Axiome) M Ein Paar p:M →M und einer Abbildung (M, p) bestehend aus einer Menge nennen wir natürliche Zahlen , wenn die folgenden drei Bedingungen erfüllt sind: 1) Es gibt ein alle 2) p Anfangselement, d.h. ein Element p(n) = p(m) 3) Für jede Teilmenge T ⊂M t∈T folgt für impliziert n = m. mit p(t) ∈ T T = M. Sind alle Bedingungen für Element p(n) 6= e e∈T (ii) Aus gilt so dass n ∈ M. ist injektiv, d.h., (i) e ∈ M, p(n) nennen wir (M, p) 1 := e und N := M . n + 1 := p(n). erfüllt, schreiben wir Nachfolger von n, oder Diese Denition deckt sich mit dem, was wir von den Das natürlichen Zahlen, so wie wir sie gewohnt sind, kennen. In Zukunft werden wir einfach von der 19 5 Vollständige Induktion Menge der natürlichen Zahlen sprechen. Jede natürliche Zahl deutig bestimmten Nachfolger (nämlich n + 1). n hat einen ein- Beginnt man mit der 1 so kann man durch fortgesetztes Bilden eines Nachfolgers jede andere natürliche Zahl erreichen (diesen Vorgang nennt man zählen). Das Prinzip der vollständigen Induktion Vollständige Induktion ist eine sehr wichtige Beweismethode welche wir in allen mathematischen Disziplinen benutzen werden. Betrachten Sie die Aussagen A := Für alle n∈N 22 + 1 n ist die Zahl eine Primzahl und B := Für alle n∈N ist die Zahl 22n − 1 durch drei teilbar Sind die Aussagen wahr? Man könnte vermuten, dass A wahr ist, denn man rech2n net leicht nach, dass 2 + 1 für n = 1, 2, 3 eine Primzahl ist. Mit etwas Aufwand 24 25 sieht man auch das 2 + 1 eine Primzahl ist. Es gilt aber 2 + 1 = 4294967297 und das ist durch Die Aussage B 641 teilbar. Die Aussage ist allerdings A ist hiermit also widerlegt. wahr. Wieder könnte man anfangen, die Aussage für möglichst viele natürliche Zahlen n zu testen. Im Gegensatz zu oben werden Sie kein Gegenbeispiel nden. Die Aussage ist damit aber noch nicht beweisen, da Sie ja, egal wie schnell Ihr Computer ist, nur für endlich viele Die B n testen können. Vollständige Induktion ist nun eine Methode, die es ermöglicht Aussagen wie zu beweisen. Satz 5.2 (Prinzip der vollständigen Induktion) n∈N sei eine Aussage B(n) (A) B(1) gilt, d.h. die Aussage stimmt für (S) B(n) ⇒ B(n + 1) gilt, d.h. gilt die für n + 1 (Induktionsschluÿ). Dann stimmt die Aussage Für jede natürliche Zahl gegeben. Es gelte: B(n) für alle n = 1 (Induktionsanfang). Aussage für eine Zahl n ∈ N, so auch n ∈ N. B(1) dann folgt ja nach (S), dass die Aussage B(2) gilt. Daraus folgt dann, dass B(3) gilt und so weiter. Intuitiv ist dieser Satz sicher richtig. Gilt die Aussage Hier benutzen wir aber Anschauung über die natürlichen Zahlen. Wir wollen nun obigen Satz aus dem wenigen, was wir über natürliche Zahlen gefordert haben beweisen. Beweis: Betrachte die Menge T := {n ∈ N | B(n) ist eine Teilmenge von N und erfüllt (i) ist erfüllt und (ii) }. in Denition (5.1). Also ist M = N. 20 5 Vollständige Induktion Aus dem Prinzip der vollständigen Induktion lassen sich leicht verallgemeinerte Induktionsprinzipien ableiten: Z.B. gilt: Korollar 5.3 B(n) (A) für alle B(n0 ) Sei n0 ∈ Z = {0, ±1, ±2, . . . } fest gewählt. Um n ∈ Z mit n ≥ n0 zu beweisen, reicht es zu zeigen: eine Aussage gilt (Induktionsanfang) (S) Für beliebiges B(n + 1) n ∈ Z mit n ≥ n0 gilt: Falls B(n) richtig ist, so auch (Induktionsschritt). Beweis: Setze C(n) := B(n0 − n + 1) und wende das Prinzip der vollständigen Induktion auf C(n) an. Anwendung 1: Mit Hilfe des Induktionsprinzips, können wir rekursiv denieren. Verkettung einer Abbildung f : M → M fn : M → M f 1 := f deniert durch und f k+1 = f k ◦ f Addition auf N: Auf den natürlichen Zahlen denieren wir uns eine Abbildung +:N×N→N a + b. wir einfach auf N Addition nennen werden. Das Paar (a, b) ∈ N × N p (a) = p ◦ p . . . p(a) abgebildet. Statt +(a, b) schreiben | {z } die wir b wird hierbei auf die Zahl b−mal Analog deniert kann man eine Multiplikation · : N×N → N deneiren. Im folgenden denieren wir rekursiv eine wichtige Schreibweisen. Summe: n X ak deniert durch 1 X ak := a1 und k=1 k=1 n+1 X ak := n X k=1 k=1 n+1 Y n Y ak + an+1 Produkt: n Y ak deniert durch k=1 1 Y ak := a1 k=1 und k=1 ak := ak · an+1 k=1 Fakultät: n! n-faches deniert durch 0! := 1 und (n + 1)! := n! · (n + 1) karthesisches Produkt M1 × · · · × Mn := {(x1 , . . . , xn ) | x1 ∈ M1 ∧ · · · ∧ xn ∈ Mn }. 21 5 Vollständige Induktion Dabei werden die n-Tupel (x1 , . . . , xn ) rekursiv durch (x1 , . . . , xn ) := ((x1 , . . . , xn−1 ), xn ) deniert mit der Eigenschaft (x1 , . . . , xn ) = (y1 , . . . , yn ) ⇔ x1 = y1 , . . . , xn = yn . Anwendung 2: Viele wichtige Sätze, lassen sich durch voll- ständige Induktion beweisen. Wir zeigen nun zwei Beispiele dafür. Satz 5.4 Für alle natürlichen Zahlen n X k= k=1 n∈N gilt n(n + 1) . 2 Beweis: Wir betrachten also die Aussage A(n) : Pn k=1 k= n(n+1) . 2 Induktionsanfang:) Zunächst P müssen wir zeigen, dass die Aussage A(1) (A) ( wahr ist. Das ist leicht, denn 1 k=1 k=1= 1·2 . 2 (S) Nun müssen wir zeigen, dass A(n) ⇒ A(n + 1) wahr ist, d.h., wir zeiPn+1 Pn n+1(n+2) n(n+1) gilt muss auch gelten gen, dass falls k=1 k = k=1 k = 2 2 ( ). ( ) Sei also A(n) wahr. Induktionsschluÿ Induktionsannahme: (Induktionsschluÿ:) Dann gilt n+1 X k = k=1 Satz 5.5 ist A und B n!. n(n + 1) +n+1 2 (n + 1)(n + 2) n(n + 1) + 2(n + 1) = 2 2 A(n) ⇒ A(n + 1) Seien f :A→B k+n+1= k=1 = Die Aussage n X Mengen mit n Elementen. Die Anzahl der Bijektionen Beweis: Wir wollen zeigen, dass die Aussage C(n) = nen f :A→B Der ist n! für alle Induktionsanfang A → B falls A Insbesondere gilt n∈N Die Anzahl der Bijektio- wahr ist. ist wieder leicht. Es gibt genau eine Abbildung B nur also C(1). und ist also wahr. f : ein Element haben. Diese Abbildung ist bijektiv. Nun nehmen wir an dass C(n) wahr ist (Induktionsannahme). Induktionsschluÿ (n → n + 1): Seien A = {a1 , . . . , an+1 }, B = {b1 , . . . , bn+1 } Mengen 22 5 Vollständige Induktion n + 1 Elementen. Ist f : A → B Bijektion, so nimmt f (an+1 ) genau einen der n + 1 möglichen Werte b1 , . . . , bn+1 an. Ferner ist f |A\{an+1 } : A \ {an+1 } → B\{f (an+1 )} Bijektion zwischen nelementigen Mengen. Hier benutzen wir nun, dass C(n) wahr ist. Nach Induktionsvoraussetzung gibt es genau n! Bijektionen mit A \ {an+1 } → B \ {bi }, Daher gibt es zu jedem an+1 7→ bi . A → B. i = 1, . . . , n + 1 Also gibt es insgesamt genau 23 i = 1, . . . , n + 1. n! Bijektionen A → B mit (n + 1)n! = (n + 1)! Bijektionen genau