Herausforderung Demenz – Wenn die Wut der Betreuung und Pflege im Wege steht Definition von Aggression Aggression (lateinisch aggressiō vom Deponens aggredī ‚heranschreiten‘, ‚sich nähern‘, ‚angreifen‘) ist ein in Tieren (incl. Mensch) verankertes, biologisch fundiertes Verhaltensmuster zur Verteidigung und Gewinnung von Ressourcen sowie zur Bewältigung potenziell gefährlicher Situationen. Bei Menschen wird emotionale Aggression durch negative Gefühle hervorgerufen • Frustration • Hitze, Kälte • Schmerz • Furcht. Ob und wie Aggressionen im Verhalten zum Ausdruck gebracht werden, unterliegt in hohem Maße den jeweiligen sozialen Normen. B.Ruhwinkel 1.4.14 Gewalt: In der Gerontologie nach Diek (1987): Gewalt wird verstanden als eine systematische Handlung oder Unterlassung mit dem Ergebnis einer ausgeprägt negativen Einwirkung auf die Befindlichkeit des Adressaten. Eine einmalige Handlung/Unterlassung muss sehr gravierende Negativfolgen für den Adressaten haben, soll sie unter den Begriff der Gewalt subsumiert werden. Arten: • Vernachlässigung (passive und aktive) • Misshandlung (körperliche, psychische, finanzielle Ausbeutung und Einschränkung des freien Willens)“. B.Ruhwinkel 1.4.14 Aggressionen, wozu? B.Ruhwinkel 1.4.14 Agressionen brauchen wir: • Zur Durchsetzung eigener Wünsche und Interessen • Um Beachtung bei anderen zu finden (Rangordnung) • Verteidigung/ Abwehr/ Notwehr • Vergeltung/ Rache • Zum Überleben (Schutz der Nachkommen) Todestrieb; Psychisches Energiepotential (S. Freud) Instinkt zur Fortentwicklung der Art (K. Lorenz) B.Ruhwinkel 1.4.14 Demenz ist nicht alles: Wieviel Prozent der 11 % der Männer Menschen über 80 haben 14 % der Frauen eine Demenz? Wieviel Prozent der über 90 Jährigen? Wieviel Prozent der Patienten beim HA die über 65 sind haben eine Depression? B.Ruhwinkel 1.4.14 22 % Männer 30 % Frauen 30 bis 40 % (Zahlen nach N. Herschkovitz " Das vernetzte Gehirn") Suizidalität im Alter: Anzahl vollendeter Suizide steigt mit dem Lebensalter Männer suizidieren sich im Alter 2-3 Mal häufiger als Frauen Kriterium Alter ist dritthäufigste Gefährdungskategorie nach Depression und Suchtmittelabhängigkeit B.Ruhwinkel 1.4.14 24 S./100 000 E. 45-60 Jahre 38 S./ 100 000 E. 75-80 Jahre 44 S./100 000 E. 85-90 Jahre Ursachen: Komplikation einer • depressiven Störung • narzistischen Krise Zahlen zur Demenz: Schweiz: 7.8 Mio Einwohner • Davon sind heute 107‘000 Menschen an Demenz erkrankt • Im Jahr 2030 rechnet man mit rund 200‘000 Fällen • Im Jahr 2050 mit 300‘000 Fällen • Rund 64‘000 demenzkranke Menschen leben zu Hause (ca. 45‘000 mit Angehörigen) • Nahezu zwei von fünf betagten Personen in Institutionen leiden an einer Demenz (BFS 07.06.2010) B.Ruhwinkel 1.4.14 Aggressionsprävalenz bei Demenz: M. Alzheimer 34% Vaskuläre Demenz 72 % Lewy-Body-Demenz 71 % Frontotemporale Demenz 69 % B.Ruhwinkel 1.4.14 Behaviorale und psychologische Symptome der Demenz BPSD Symptome des veränderten psychischen Erlebens (Depression (30%), Angst (30 – 50 %), Wahn, Halluzinationen(20 %)) und Verhaltenssymptome (Apathie (70%) Wiederholtes Vokalisieren, Aggressivität (verbal und körperlich 20 – 40 %), Wandern (20 %), Ernährungsprobleme, Störendes Sexualverhalten, öffentliches Ausziehen oder zuviele Kleider) (T.Dening und A. Thomas 2013) B.Ruhwinkel 1.4.14 Noncognitive Symptoms BPSD (T.Dening und A. Thomas 2013) B.Ruhwinkel 1.4.14 Ursachen der noncognitive Symptoms Neurobiologische Veränderungen: veränderter Gehirnstruktur und funktion mit erhöhter Vulnerabilität BPSD Biologische Auslöser/ Körperliche Symptome wie Schmerz, Hunger, Durst, Obstipation Seh- und Hörstörungen, Medikamente, Infekte B.Ruhwinkel 1.4.14 Ungünstige Kommunikation führt zu Frustration, weil Bedürfnisse unerfüllt bleiben Traumareaktivierungen Umgebungsänderungen Über- und Unterstimulation Leidensdruck und Beeinträchtigung des Erkrankten + Belastung der Pflegenden und Angehörigen Aggression im pflegerischen Alltag: - - - - Verbal aggressives Verhalten: vor sich hin fluchen, andere beschimpfen oder Gewalt androhen Nonverbale Gewaltandrohungen: mit dem Fuss stampfen, spucken oder mit dem Gehstock drohen Tätlich aggressives Verhalten: beabsichtigte Zerstörung von Gegenständen, die Anwendung körperlicher Gewalt Selbstgerichtete Aggression: Selbstverletzungen oder Suizidhandlungen B.Ruhwinkel 1.4.14 Was tun bei aggressivem Verhalten? Lassen Sie die betroffene Person aussprechen und hören Sie ihr zu. Zeigen Sie Verständnis für die Situation und versuchen Sie, sie aus der überfordernden Situation herauszuführen ▲ ruhiger Tonfall. ▲ genug Raum lassen für Flucht, Bewegung, Abstand ▲ evt. den Raum verlassen, um der Person die Möglichkeit zu geben, sich zu beruhigen. ▲ Schützen Sie sich selbst, holen Sie Hilfe B.Ruhwinkel 1.4.14 Damit sich die Stimmung nicht weiter auflädt… ▲ kurz darauf eingehen. Ignorieren verschärft oft die Situation. ▲ Diskutieren Sie nicht ▲ Provozieren Sie nicht ▲ Zeigen Sie keine Angst ▲ Schüchtern Sie nicht ein oder halten Sie die Person nicht fest. Wenn sich die Situation beruhigt hat... ▲ Lenken Sie die betroffene Person mit etwas ab, was sie gerne macht. ▲ Bestrafen Sie nicht, indem Sie etwas Angenehmes verweigern oder sie ignorieren ▲ Verhalten Sie sich so schnell wie möglich wieder normal und ruhig. ▲ Suchen Sie professionelle Hilfe, wenn Sie selbst nicht mit der Situation zurecht kommen oder sich das aggressive Verhalten häuft oder verschlimmert. B.Ruhwinkel 1.4.14 Was kann die Ursache sein? • Überforderung • • • • • • • • • Störung in der Kommunikation Demütigung Kritik zu viele Eindrücke Angst (Triggern alter Traumata) Erschrecken Körperliches Bedürfnis/ körperliche Beschwerden (Durst, Schmerz, Entzündung?) Halluzinationen/ Wahnvorstellungen Nebenwirkungen von Medikamenten genaue Exploration der jeweiligen Bedingungsfaktoren ist notwendig B.Ruhwinkel 1.4.14 hohe Belastung für Pflegende: • Rasche Analyse der Ursachen und suche nach Abhilfe ist zentral • Transparente Kommunikation im Team • • • • • B.Ruhwinkel 1.4.14 Vorfall besprechen Überlastung, Angst ansprechen Gemeinsam die Belastung tragen Interdisziplinäre Suche nach Ursachen und Entlastung Fallbesprechung im Team Weitere Massnahmen: • Bewegungsförderung • Milieutherapie • Aromatherapie • vernebeltes Lavendelöl, einmassiertes Melissenöl • Rezeptive Musik • Snoezelen (multisensorische Stimulation) • Basale Stimulation (einfache Kontaktaufnahme über Körper, Berührung, und Bewegung zur Informationsgabe über sich und die Umwelt) • Lichttherapie B.Ruhwinkel 1.4.14 Medikamentöse Interventionen: Nach den S3- Leitlinien Demenz: • • • • • • • • Cholinesteraseinhibitoren oder Memantin Risperidon (0,5 bis 2 mg) Aripripazol Quetiapin Haloperidol Pipamperon Evt. auch Citalopram, Trazodon oder Carbamazepin, Gabapentin, Lamotrigin Lorazepam, Zolpidem (SGAP Empfehlungen 2014) B.Ruhwinkel 1.4.14 Aggressionen erzeugen Aggressionen: B.Ruhwinkel 1.4.14 Nicht nur Demenzpatienten sind Überlastet Überfordert Frustriert Unwohl in ihrer Haut Haben Angst B.Ruhwinkel 1.4.14 Was tun, wenn meine Aggressionen steigen? • Abstand • Reden/Verstehen • Entlasten • Pause • Sich aus der Situation heraus nehmen • Sich mitteilen entlastet, gemeinsame Suche nach Ursachen und Lösungen • Die eigene Überforderung ernst nehmen • Altruistische Egozentrik (G. Schmid) B.Ruhwinkel 1.4.14 Aggressionen bei Angehörigen • Angehörige gehen oft bis an den Rand ihrer Belastbarkeit • Sehen keinen Ausweg • Können z.T. schlecht Hilfe annehmen • Haben Angst zu versagen B.Ruhwinkel 1.4.14 Die persönliche Nische Beziehungsraum, Beziehungsfeld einer Person , welche die Gesamtheit ihrer Beziehungen zur unbelebten und belebten Umwelt enthält. (Willi 1996) B.Ruhwinkel 1.4.14 Älterer Mensch B.Ruhwinkel 1.4.14 Pflegende Angehörige B.Ruhwinkel 1.4.14 Frau N. 1936 Alzheimer Demenz ED 2011 • B.Ruhwinkel 1.4.14 Zuweisung durch HA Juli 2013 wg Weglauftendenz und aggressivem Verhalten bei Demenz Anamnese Frau N. 1936 • 2 Jahre Sec, keine Lehre • Hilft auf dem elterl. Hof Heirat 1959 (LKW Fahrer) • 2 Töchter und 2 Söhne • Mehrere Enkel • • B.Ruhwinkel 1.4.14 Seit 2010 immer vergesslicher Exelon seit 2011 wegen fehlender Wirkung Juni 2013 stopp Juni 2013 OP bei Mammaca Seither AZ deutlich verschlechtert Spitex berichtet von Tätlichkeiten zwischen den Eheleuten Mann berichtet sie schlage ihn 1. Hospitalisation 7.13 • Neben den kognitiven starken Defiziten und Delirsymptomatik fallen Bereits Januar 2013 Antriebssteigerung und organisieren Kinder Platz Unruhe auf. in Tagesstätte • MMS 17/ 30 Herr N. schaffte es aber immer weniger seine Frau • Uhr 1/5 • Weitere Diagnostik, dorthin zu bringen (sie Delir Behandlung und weine dann) • Platzierung. Seit 5 Wochen Spitexunterstützung B.Ruhwinkel 1.4.14 2. Hospiatlisation 3.12.13 • FU wg. Aggressivem Verhalten bei AD • Ausgeprägte motorische Unruhe • HWI mit delirantem ZB • Töchter beklagen, dass sie nicht informiert würden, Vater erzähle ihnen nichts • Mann kommt täglich, Frau reagiert unruhig und z.T. aggressiv B.Ruhwinkel 1.4.14 • FG: Mann aggressiv und entwertend gegen Kinder und äussert suizidale Gedanken, weint immer wieder, • Töchter angespannt, vorwurfsvoll gegen Vater • Söhne kommen gar nicht • Ergebnisse Familiendynamik: Herr N B.Ruhwinkel 1.4.14 Fr. N Literatur: • S3 Leitlinien Demenz 2009 DGPPN und DGN • Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der behavioralen und Psychologischen Symptome der Demenz; SGAP und andere; Praxis 2014 (135 – 148) • Demenz 2011; H. Förstl und C. Kleinschmidt; Schattauer Verlag • Oxford Textbook of Old Age Psychiatry 2013; T. Dening und A. Thomas; Oxford • Alzheimervereinigung «Mit Aggressionen umgehen»© Januar 20 • Ökologische Psychotherapie J. Willi 1996 Horgrefe B.Ruhwinkel 1.4.14