Neurologische Grundlagen - Goethe

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Prof. Dr.med. Wolfgang Schlote
Neurologisches Institut (Edinger Institut)
Deutschordenstr. 46
der Johann Wolfgang Goethe-Universität
e-Mail: [email protected]
Titelbild Human Brain
Mapping 1993, zeigt eines
der ersten PET-Aufnahmen
(Positron Emission
Tomographie) zur
funktionellen Aktivierung
lokaler Hirnregionen
Aktuelle Publikation
in Brain and
Language 93, 2005,
32-45 über die
differente
Lokalisation von
belebten und
unbelebten Objekten
mit dem fMRI
(funktionelles
Magnet Resonanz
Imaging), dem
gegenwärtig besten
in vivo anwendbaren
Verfahren
Abbildung aus der
vorangehenden
Publikation, zeigt die
erheblich verbesserte
topographische
Auflösung gegenüber
dem PET von 1993
Gehirn, Schnitt durch die Mittellinie, zeigt Großhirn und Kleinhirn
(gelb) und Hirnstamm (weiß) sowie Hirnkammersystem (grün) und
Hirnhäute (blau) aus dem Buch „Nervensystem“ von Mennel, Gebert
und Bewermeyer, Schattauer Verlag Stuttgart 1992. Die
phylogenetische internationale Gliederung des Gehirns enthält
jedoch 5 Teile (Endhirn, Zwischenhirn, Mittelhirn, Nachhirn und
verlängertes Mark).
Zentralnervensystem (= Gehirn und Rückenmark) und peripheres
Nervensystem (hier: Hirnnerven), aus didaktischen Gründen ist links das
sensible System, rechts das motorische System dargestellt, in Wirklichkeit
sind beide Systeme beidseits vorhanden. Die römischen Ziffern beziehen
sich auf die 12 Hirnnerven. IC bedeutet Inselcortex (Sprache!)
Historische Darstellung hypothetischer Funktionen der Großhirnrinde
(Cortex cerebri) aus dem Jahr 1864.
Simplifizierte Einteilung der
Großhirnrinde in funktionelle
Sphären durch Karl Kleist,
Frankfurt (früherer Direktor der
Psychiatrischen
Universitätsklinik) aus dem
Jahr 1921. Außenseite der
menschlichen Hirnhemisphäre.
Die Zahlen beziehen sich auf
die international gültigen
morphologisch differenzierten
Brodmann-Felder (Areae), die
noch heute Bezugspunkte für
die Verständigung über
Hirnlokalisationen sind.
Innenseite der Hirnhemisphäre,
nach Karl Kleist
Differenzierte funktionelle
Gliederung des
menschlichen Gehirns
nach Karl Kleist, aufgrund
seiner Erfahrungen an
Hirnverletzten (aus dem 1.
Weltkrieg!). Die
Lokalisationen stimmen im
wesentlichen, die Grenzen
sind aber zu scharf
gezogen, sie variieren
individuell!
Sehr genau festgelegte Lokalisation in den Projektionszentren (Motorik und
Sinneszentren), hier am Beispiel der vorderen Zentralwindung (Willkürmotorik,
rechts) und der hinteren Zentralwindung (Tastzentrum, links) mit dem
kopfstehenden Humunculus.
In der Realität gibt es beide Zentren in beiden Hirnhälften, mit gekreuztem
Körperbezug.
Sprachregion mit grüner Linie umfahren (kein Zentrum! Assoziationsbereich,
sog. sekundäre Leistung).
Zeichenerklärung: B Broca-Bereich, W Wernickebereich, F Fasciculus arcuatus,
L Lexikon, S Gyrus supramarginalis, Feinmotorik, Praxie, A Gyrus angularis ,
transferiert visuelle Signale zum Wernicke-Bereich, „Carrefour visuo-acustique“).
Außerhalt der Sprachregion die Projektionszentren M Willkürmotorik, T
Tastzentrum, E Extrapyramidale Motorik, H Hörzentrum, V Sehzentrum
Blutversorgung des Gehirns
durch die 3 großen
Hirnarterien A. cerebri
anterior, media und posterior
(unerstrichen). Nach Klaus
Poeck (Aachen) ist die BrocaAphasie Folge einer
Blutversorgungsstörung in der
A. praerolandica, die
Wernicke-Aphasie Folge
einer Blutversorgungsstörung
in der A. temporalis posterior,
beide entspringen aus der A.
cerebri media.
Gehirn von unten gesehen
(Basalfläche) mit Augäpfeln,
Hirnstamm, Kleinhirn (eine Hälfte
entfernt) und Hirnnerven (einseitig
dargestellt)
Gleiche Sicht wie vorangehendes
Bild, die Zahlen der Hirnnerven IXII sind eingetragen. Sie gehören
zum peripheren Nervensystem
(außer Nr. I und II) und enthalten
afferente (zum Hirn führende) und
efferente (vom Hirn wegführende)
Nervenfasern („gemischte
Nerven“).
Modell einer Nervenzelle im
ZNS (Typ Pyramidenzelle)
mit dem Empfangsteil
(multiple apikale und basale
Dendriten, Zellkörper=
Soma) und dem Sendeteil
(der Neurit = Axon), feine
Linie an der Basis des
Zellkörpers entspringend,
Ende von mir rot markiert.
Rechts vergrößerte
Darstellung von
axodendritischen Synapsen,
die mit sog. Dornfortsätzen
der Dendriten verknüpft sind,
und einer axosomatischen
Synapse. From: Hamlyn
Horizontale Gliederung der
Großhirnrinde in 6 Schichten
(layers) I-VI rechts und
Verknüpfung dieser Schichten
mit Bildung von Netzwerken
(neuronal networks), rechts.
Vertikale Gliederung der
Großhirnrinde in Säulen
(Columns), links oben. Cave:
diese Säulen entsprechen
nicht den funktionellen
hypothetischen Modulen von
Fodor!! Diese sind weit
ausgedehnter und können
sich über mehrere Hirnareale
erstrecken.
Nervenzellen in corticalen Säulen (schwarz oder weiß dargestellt) können
kontinuierlich (A) oder diskontinuierlich (B) miteinander via Neuriten und
Synapsen verbunden sein. From: Amir, Harel and Malach 1993.
Entwicklungsperioden des menschlichen Gehirns, dargestellt aufgrund der Zunahme
des Hirngewichts ab Konzeption. A Periode der embryonalen Hirnanlage, B Periode
der embryonalen Gestaltbildung des Gehirns, C Periode der stürmischen
Hirnentwicklung, bedingt vor allem durch die Bildung der (gewichtsrelevanten)
Markscheiden an den Neuriten (Myelogenese) und der Dendritenbäume.Mitten in
dieser Periode liegt der Zeitpunkt der Geburt (*). Periode D weitere Entwicklung des
Gehirns bis zum Erreichen des des Hirngewichts des Erwachsenen (1200-1400 g)
im 12.-13. Lebensjahr. E Definitive strukturelle Ausreifung des Gehirns (nicht mehr
gewichtsmäßig relevant) mit Bildung der letzten Neuritenausläufer und Synapsen
innerhalb der Großhirnrinde.
Entwicklung der
Dendritenbäume (und
damit der Anzahl der
Synapsen) von der
Geburt bis zum Ende
des zweiten
Lebensjahres in der
Großhirnrinde (hier:
Sehzentrum) bei
Anwendung der GolgiMethode
(Silberimprägnation)
nach Conel 1959
Die Bildung der Dendriten in der Großhirnrinde erfolgt zum größeren Teil
(ca. 70%) aufgrund genetischer Programmierung, weitere Dendriten (3035%) aufgrund von Stimuli aus der Umwelt (Sinnesorgane). Dieser Anteil
führt zur maximalen Leistungsfähigkeit des Systems, hier dargestellt durch
Vergleich des Sehzentrums von Mäusen bei normaler Aufzucht (obere
Kurve) und bei Dunkelaufzucht (unten).
Plastizität des Gehirns nach Schädigungen (schematisch). Nach Ausfall
einer Nervenzelle geht der Neurit zugrunde, die Zielzelle wird nicht mehr
innerviert. Transplantierte (unter günstigen Bedingungen auch
benachbarte) Nervenzellen bilden neue Neuriten aus und können das
deafferenzierte Neuron erreichen und dort neue Synapsen herstellen. Dies
funktioniert nur über kurze Entfernungen (Größenordnung: Millimeter).
Spracherwerb. Die notwendigen Vorbedingungen und die
verschiedenartigen Faktoren, die beim Spracherwerb mitwirken, sind
anschaulich von Wendlandt in seinem Buch „Sprachstörungen im
Kindesalter“ dargestellt. Unabdingbare Quelle ist die Kommunikation
(Gießkanne).
Die Ursachen von Sprech- und Sprachentwicklungsstörungen bei Kindern
und Jugendlichen unterscheiden sich von den Ursachen der Sprach- und
Sprechstörungen (Aphasien und Dysarthrien) bei Erwachsenen nach
Abschluss des Spracherwerbs, sie überlappen sich nur teilweise.
Hören und Sprache.
Akustische Signale
treffen auf beiden Seiten
des Gehirns in den
primären Hörzentren
(Heschl’sche
Querwindungen) ein
(oben links). Handelt es
sich um linguistische
Informationen, werden
sie einseitig in der
sprachdominanten
Hemisphäre in der
Wernicke-Region
verarbeitet. Diese ist
nach Messungen am
Planum temporale (Bild
unten links) durch
Geschwind und Levitzky
(1968) bei 65% der
Erwachsenen links
voluminöser als rechts,
bei 21% rechts
voluminöser, bei 14%
seitengleich
ausgebildet.
Eigene Untersuchungen haben diese Asymmetrie an einer Stichprobe
bestätigt.
Horizontalschnitt durch das Gehirn eines Erwachsenen. Das Planum
temporale (Wernicke-Region) ist beidseits rot markiert, vor diesem liegen
die Heschl’schen Querwindungen (primäres Hörzentrum).
Das größere Planum
temporale der
sprachdominanten
Hemisphäre enthält nicht
mehr Nervenzellen,
sondern die Nervenzellen
haben größere Abstände,
zwischen ihnen befindet
sich somit ein reicher
ausgebildetes neuronales
Netzwerk (morphologisch:
Neuropil).
Die Überlappung der
Dendritenbäume ist
geringer (rote Markierung),
damit ist die Trennschärfe
bei der Verarbeitung
linguistischer Informationen
besser.
Witelson and Palay (Brain 96, 641-646
(1973) konnten zeigen, dass die
Asymmetrie des Planum temporale
bereits bei Neugeborenen zu finden
ist. Seit dieser bedeutenden
Entdeckung ist klar, dass damit ein
phylogenetisch erworbenes Angebot
der Natur vorliegt, die Sprachregion
auf der besser ausgestatteten Seite zu
etablieren.
Offenbar ist es ein Selektionsvorteil,
Sprachkompetenz in einer
Hirnhemisphäre zu konzentrieren.
Die nicht-sprachdominante Hemisphäre nimmt in jedem Fall in begrenztem Maß an
sprachlichen Leistungen teil, wie aus den Erfahrungen bei Aphasie bekannt ist.
Lange vor Erfindung der bildgebenden Verfahren (Imaging Methods) konnte
an der freigelegten Großhirnrinde bereits die Sprachlokalisation geprüft
werden, und zwar durch Unterdrückung einer Sprachantwort (speech
arrest) nach Reizung mit schwachen Strömen. Die ersten Ergebnisse
wurden 1952 von Penfield und Rasmussen publiziert.
Umgekehrt hat man viel später in
den gleichen Regionen durch
Reizung von Hirnarealen
sprachliche Äußerungen
provoziert, ebenfalls bei
Hirnoperationen, zuerst durch
Zusammenarbeit des
Neurophysiologen Creutzfeldt mit
dem Neurochirurgen Ojemann
Eric Lenneberg hat als
erster darauf
hingewiesen, dass bei
Hirnschädigungen
während des
Spracherwerbs und
Sprachverlust eine neue
Sprachkompetenz
erworben werden kann,
wenn die Schädigung bis
zum 5. Lebensjahr
eingetreten ist. Dies
wurde bisher mehrfach
bestätigt, wie hier von
Vargha-Kadem und
Mitarbeitern. Bei einer
nach dem 5. Lebensjahr
eintretenden Schädigung
ist dies nur noch teilweise
möglich.
glich
Es gibt sogar Berichte über
neue, durch
Überkompensation besonders
gute wenn auch stark
verlangsamt erworbene
Sprachkompetenz wie hier
nach neurochirurgischer,
wegen eines Tumors und
unstillbarer epileptischer
Anfälle notwendig gewordener
Entfernung der linken
Großhirnhemisphäre.
Wie sind die Beziehungen zwischen Denken und Sprache? Gibt es
kognitive Leistungen ohne Sprache? Die Erfahrungen mit Aphasikern sind
geeignet, diese Frage zu bejahen. Aus ganz anderem Blickwinkel hat sich
Einstein zu dieser Frage geäußert, als er gefragt wurde, wie er denke.
Frühe wissenschaftliche Untersuchungen (Piaget, Wygotsky, Whorf)
kommen zu verschiedenen Resultaten.
Moderne linguistische Ansätze von Baldo und Mitarbeitern (Brain and
Language 2005, 240-250) zur Untersuchung der inneren Sprache sind in
ihren Schlussfolgerungen vorsichtig: „Recent evidence suggests that such
internal verbalisation do indeed support normal cognition“ – „Such findings
imply that language supports cognition“, vor allem bei
Problemlösungsaufgaben. Auch transcorticale Aphasien sprechen hierfür.
denn bei ihnen ist der Einbezug kognitiver Leistungen in die
Sprachkompetenz gestört.
Im Lauf der Phylogenese wurde
der frei verfügbare, nicht durch
vitale Funktionen besetzte Bereich
der Großhirnrinde, der „non
committed cortex“, hier weiß
dargestellt, immer größer. So
konnte er in Sprachperzeption und
–produktion einbezogen werden.
Literaturverzeichnis
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