Psychodynamische und verhaltenstherapeutische Störungstheorien und -modelle der Sucht Seminar: Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit Dozentin: C. Kuhn Referentinnen: C. Syska & S. Wedegärtner SS 08 ________________________Gliederung • Psychodynamische Modelle der Sucht • • • • Definition des Suchtbegriffes Psychodynamik Psychoanalytische Theoriebildung Psychoanalytisches Verständnis der Sucht • Verhaltenstherapeutische Sicht der Sucht • Diagnostik nach ICD-10 • Komorbidität • Kognitive Verhaltenstherapie 2 ________________Definition der Sucht • Sucht ist der krankhafte unbezähmbare Drang, sich trotz schädlicher Folgen und abweichend von der soziokulturellen Norm eine psychotrope Substanz zuzuführen oder bestimmte Handlungen auszuführen • Im ICD-10 und im DSM-IV wird Sucht als Krankheitsbegriff nicht mehr verwendet • ICD-10: Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen • DSM-IV: Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen 3 ___________________Psychodynamik 1. Biographie, Lebensgeschichte und psychische Entwicklungsbedingungen 2. Strukturniveau der Trieb-, Ichund Über-IchEntwicklung 3. Misslingen der Anpassung an Lebenssituation und an Lebensleistungen; Versagen an der Realität 4. Manifestation einer psychischen oder psychosomatischen Erkrankung als Fehlanpassung 5. Fehlanpassung durch Konsum chemischer Substanzen: Suchtentwicklung und Suchtstruktur Psychodynamische Störungstheorie 4 ____________________Theoriebildung Vier wichtige Richtungen der Psychoanalyse • Klassische Trieb- und Strukturtheorie • Ich-Psychologie • Selbstpsychologie • Objektbeziehungstheorie Psychodynamische Störungstheorie 5 ____________________Theoriebildung Klassische Trieb- und Strukturtheorie (1908 bis 1925) • Die „klassische“ psychoanalytische Sichtweise auf den Menschen nach Siegmund Freud. Mit Triebtheorie, Lehre vom Unbewussten und Instanzlehre (Es, Ich, Über-Ich) Ich-Psychologie (ab 30er Jahre) • Das Ich in seiner Entwicklung und Dynamik, mit seinen Ich-Funktionen, den Bewältigungs-, Anpassungs- und Abwehrmechanismen steht im Mittelpunkt Selbst-Psychologie (ab 60er Jahre) • Das Selbst in seiner Dynamik, Entwicklung und Pathologie steht im Mittelpunkt Objektbeziehungstheorie (ab 60er Jahre) • Die Entwicklung, Dynamik und Störungen der Objektbeziehungen stehen im Mittelpunkt Psychodynamische Störungstheorie 6 __________________Suchtverständnis Grundannahmen der Psychoanalyse • Nicht die chemische Wirkung der Rauschgifte entscheidet über die Entstehung und den Charakter der Sucht, sondern die psychische Struktur des Drogennutzers (Freud, 1898) • Nicht die Sucht ist die Krankheit, sondern lediglich die Spitze des Eisberges und Symptom des zugrunde liegenden Problems Psychodynamische Störungstheorie 7 __________________Suchtverständnis Klassische Trieb- und Strukturtheorie • Triebkonflikte stehen im Vordergrung • Sucht als Streben nach Lust • Alkohol als Mittel, unterdrückten und verdrängten triebhaften Impulsen zum Durchbruch zu verhelfen • Sublimierungen werden rückgängig gemacht und insbesondere latenten homosexuellen wie sadomasochistischcen Trieben zum Durchbruch verholfen Psychodynamische Störungstheorie 8 __________________Suchtverständnis Ich-Psychologie • Das Ich und die Störungen seiner zentralen Funktionen stehen im Vordergrund • Suchtmittelmissbrauch als Selbstheilungsversuch • Unfähigkeit des Ichs, Unlust zu vermeiden • Das Ich versagt in seinen stabilisierenden und regulierenden Funktionen • Drogenmissbrauch als Versuch, die defizitäre Funktion in der Ich-Organisation durch eine künstliche Ich-Funktion, die Entwicklung einer Sucht, zu ersetzen • Versuch, sich gegen bedrohliche, vom Ich nicht bewältigbare Reize aus der inneren wie aus äußeren Welt zu schützen • Gebrauch der Droge als Schutzmaßnahme und Anpassungsfunktion eines kranken labilen Ichs Psychodynamische Störungstheorie 9 __________________Suchtverständnis Selbst-Psychologie und Objektbeziehungstheorie • Die dranghafte Inkorporation als Ausdruck und Ergebnis einer Pathogenese • Die Bildung innerer Strukturen aus Selbst- und Objektrepräsentanzen durch Internalisierungsprozesse ist misslungen • Lücken im Selbst bewirken schwer erträgliche innere Zustände • Versuch, innere Strukturen durch Einnahme von Substanzen zu ersetzen Psychodynamische Störungstheorie 10 __________________Suchtverständnis Gegenwärtige Annahmen • Neuere psychoanalytische Auffassung der Sucht basiert auf den Annahmen der Selbst- und Objektbeziehungspsychologie • Die Suchterkrankung wird auf erfahrene, schwere Beziehungsstörungen und deren innerer Repräsentierung zurückgeführt • Insbesondere auf die nicht aufgelösten Abhängigkeiten des Selbst vom Objekt und die daraus resultierenden Störungen in der Entwicklung der inneren Strukturen Es, Ich und Über-Ich Psychodynamische Störungstheorie 11 Verhaltenstherapeutische Sicht der Sucht _____________Diagnostik nach ICD-10 Abhängigkeitssyndrom • • • • • • • Zwanghafter Konsum Kontrollverlust Körperliches Entzugssyndrom Toleranzentwicklung Einengung auf Beschaffung und Konsum Vernachlässigung anderer Aktivitäten Konsum trotz schädlicher Folgen Wenn 3 oder mehr Kriterien gleichzeitig mindestens 1 Monat oder wiederholt innerhalb von 12 Monaten vorhanden 13 ______________________Komorbidität aus verhaltenstherapeutischer Sicht • Zusätzlich zur Abhängigkeit liegen eine oder mehrere zusätzliche Krankheiten vor, die klar diagnostizierbar und behandlungsbedürftig sind • Hohe Komorbiditätsrate von Persönlichkeitsstörungen, Angst, depressiven Störungen und Psychosen • Methodisches Problem: • Folge oder Ursache? • Therapeutische Berücksichtigung von Abhängigkeit und komorbider Störung wichtig • Sonst droht Zuspitzung der jeweils unbeachteten Erkrankung 14 ________Kognitive Verhaltenstherapie Basiert auf Bedingungsanalyse • Vertikale Bedingungsanalyse • Frühere Erfahrungen in Kindheit und Jugend Entwicklung grundlegender Überzeugungen mögliche Förderung der Abhängigkeit • Biologische Bedingungen • Externe Bedingungen • Horizontale Bedingungsanalyse • Risikosituationen • Automatisierte dysfunktionale Gedanken • Selbstabwertende Gedanken, minimale Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, wiederholtes Erleben, dass das Suchtmittel diese negativen Emotionen dämpft • Ziel: Erhellung der verdeckten Wirkungsabsicht 15 ________Kognitive Verhaltenstherapie • Kognitiv-emotionale Prozesse spielen Schlüsselrolle bei Entwicklung und Aufrechterhaltung der Sucht • Grundthese: Auf kognitiv-emotionale Prozesse im inneren Erleben sind ebenso Prinzipien der klassischen und operanten Konditionierung anwendbar wie auf von außen beobachtbare Stimulus-Reaktion-Zusammenhänge 16 ________Kognitive Verhaltenstherapie • Modifikation unangemessener Bewertungen • Überprüfung der Logik und Realitätsnähe (sokratischer Dialog) • Frage nach Nutzen der Bewertungen (hedonistisches Kalkül) • Förderung der Antizipationsweite • Prüfung des Absolutheitsanspruchs • Veränderung negativer emotionaler Zustände • Wie Ärger, Angst, Hoffnungslosigkeit • Waren häufig Auslöser des Suchtmittelkonsums • Deren Dämpfung durch das Suchtmittel verstärkte operant den Konsum 17 ________Kognitive Verhaltenstherapie • Herausarbeiten und Deutlichmachen suchtfördernder Faktoren • Externe und interne Stimuli, die Suchtmittelkonsum auslösen • Suchtspezifische Gedanken, z.B. „Trinkerlaubnis“ in Stresssituationen • Dysfunktionale Grundüberzeugungen • Einsicht, dass Suchtmitelkonsum als kurzfristig wirksamer Ausweg (mehr oder weniger bewusst) gesucht wurde • Vermittlung kognitiver und behavioraler Techniken, die dem Patienten helfen, abstinent zu leben • Stressbewältigungsstrategien, Unterstützung von Ressourcen und Kompetenzen 18 ________Kognitive Verhaltenstherapie • Kognitive Techniken zur Erhöhung der Kontrollkompetenz • Patient an günstigen Umgang mit Risikosituation heranführen • Analyse der Vor- und Nachteile des Suchtmittelkonsums • Förderung der internalen Attribuierung statt Fremdschuldzuweisung • Gedankenstopp dysfunktionaler Kognitionen • Identifikation suchtspezifischer Grundannnahmen und deren Überprüfung • Entwicklung von Abstinenzgedanken 19 ________Kognitive Verhaltenstherapie • Verhaltenstraining 1. 2. 3. Hierarchie der Risikosituationen Vermittlung darauf bezogener Problemlösestrategien Einübung im Rollenspiel • Ablehnungstraining • Aktivitätsaufbau und Entspannungstraining 20 ________Kognitive Verhaltenstherapie • Therapeutische Beziehung • Wertschätzende und vertrauensvolle Beziehung zum Patienten aufbauen • Grenzen setzen • Glaubwürdigkeit und Zusammenarbeit aufrecht erhalten • Vereinnahmungsversuchen des Patienten widerstehen • Selbstwertgefühl des Patienten unterstützen • Entscheidend, da sie die Therapie überhaupt erst wirksam macht • Erfolgskriterien • Primäres: Abstinenz • Entwicklung komorbider Störungen • Soziale und berufliche Integration 21 _______________________Literatur • Bilitza, K. W., Schhler, P. (2007). Sucht. In: Senf, W. & Broda, M. Praxis der Psychotherapie. Kap. 50. S. 701-718. Thieme Verlag. • Auchter, T., Strauss, L. V. (2003). Kleines Wörterbuch der Psychoanalyse. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. • Bilitza, K. W. (2008). Psychodynamik der SuchtPsychoanalytische Beiträge zur Theorie. Göttingen: Hubert & Co. • Quelle: Die psychoanalytische Sicht der Sucht. Dr. Karl Schretzenmeyer • Rost, W. (1987). Psychoanalyse des Alkoholismus. Theorie, Diagnostik, Behandlung. Stuttgart: Klett-Cotta. 22