Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Tinnitus: Ursachen, Vorkommen, therapeutische Ansätze Tinnitus auris: Definition • Akustische Wahrnehmungen, welche nicht externen akustischen Quellen zugeordnet werden können. Abgrenzung Prof. Dr. Dr. M. Kompis Leitender Arzt Audiologie • Halluzinationen haben informativen Inhalt – Sprache, Gesang – z.B. bei Psychosen oder nach gewissen cerebralen Insulten Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital, Bern Prof. Dr. Dr. M. Kompis Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Tinnitus als Herausforderung Einteilung 2 • Häufig – Mindestens 10% der Bevölkerung chronisch • Kann subjektiv belastend sein – Beeinträchtigt die normale Lebensführung bei bis zu 0.5% der Bevölkerung • Meist nicht objektivierbar • Therapeutische Optionen und Erfolge beschränkt – Blühender Markt „alternativer“ Therapien (Coles RR, 2002, Roy et al. 2007) Prof. Dr. Dr. M. Kompis 3 (Aus: Kompis M, „Audiologie“, Hans Huber Bern 3. Aufl. 2013) Prof. Dr. Dr. M. Kompis 4 Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Objektivierbarer Tinnitus Somatosensorischer Tinnitus (Costen-Syndrom) • • • • Relativ selten Häufig pulsierend (Pulssynchron oder unabhängiger Rhythmus) Untersuchung: Auskultation des Ohres/Halses Mögliche Ursachen: – Gefässmissbildungen, Stenosen – Gefässreiche Glomustumoren (Paragangliome) – Palataler Myoklonus (Klicktinnitus, eher selten) – Infekt der oberen Luftwege: transienter Klicktinnitus möglich Dorsal cochlear nucleus hypothesis: • Affektionen im Bereich der Hirnnerven V, VII, IX, X Disinhibition des Nucleus cochlearis dorsalis Klinik • Ipsilaterale Affektionen des Kopfes (Zähne!) und Nackens als Ursache • Rückgang Tinnitus bei Manipulation • Tinnitus bleibt manchmal trotz Beseitigung der Ursache... Nicht-objektivierbarer Tinnitus • Sehr häufig • Rauschen, Pfeifen, Surren, kombinierte Geräusche • Bei jeder Hörstörung möglich: Aussen-, Mittel-, Innenohr, N. VIII (Akustikusneurinom!), Hörbahn Prof. Dr. Dr. M. Kompis 5 Prof. Dr. Dr. M. Kompis (Levine RA, Am J Otolaryngol 1999) 6 1 Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Untersuchungen Audiogramm und Tinnitometrie nach Knalltrauma • Anamnese, u.a. – Audiologische Anamnese – Affektionen im Hals-Schulter-Bereich (Costen-Syndrom) – Psychiatrische Erkrankungen dB 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 • Standardisierte Fragebögen: – Tinnitus-Fregebogen (TF) nach Goebel und Hiller – Tinnitus-Liga • Audiogramm mit Tinnitometrie • Auskultation Ohr und Hals • Evtl. weitere Untersuchungen (OAE, ERA, MRI) Prof. Dr. Dr. M. Kompis 7 125 250 500 1000 2000 4000 8000 Hz Tinnitus Prof. Dr. Dr. M. Kompis 8 Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Was tun? Beratungsgespräch I • Ausschluss therapierbarer Ursachen • Tinnitus – Gegebenenfalls Therapie "C5-Senke" – Tinnitus wird wahrscheinlich bleiben – Ist sehr häufig (bei 10-15% der Bevölkerung chronisch) – Er wird in aller Regel nicht lauter – bleibt 5-15 dB über der Hörschwelle – Wird meist mit der Zeit gleichmässiger – Kann bei Belastung oder Nervosität subjektiv lauter werden – dies ist nicht objektivierbar aber häufig – Ist ein unspezifisches Symptom einer Hörstörung – Ist in aller Regel kein Frühwarnzeichen einer zugrundeliegenden ernsten Erkrankung • Beratung (sehr wichtig!) • Akustische Stimulation oder • Elektrische Stimulation • Tinnitussprechstunde – Bei hohem Leidensdruck (Tinnitus Grad 3 und 4) (Coles RR, 2002, Roy et al. 2007, Kompis, „Audiologie“, 2. Aufl. 2009) Prof. Dr. Dr. M. Kompis 9 Prof. Dr. Dr. M. Kompis Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Beratungsgespräch II Therapie • Bewährte Verhaltensregeln • Ursächliche Therapie, wo möglich – Das Leben mit/trotz Tinnitus zu geniessen – Ganz ruhige Umgebungen eher oder bei Bedarf meiden – Bei Einschlafproblemen: 10 – Costen-Syndrom: Zahnärztliche Behandlung, Manuelle Therapie etc. – Palataler Myoklonus: Botulinus Toxin – Glomustumor, Akustikusneurinom – Insgesamt eher selten • Radiowecker / tickende Uhr / Plätscherbrunnen – Grosse Zurückhaltung bei Therapien, die ein Verschwinden des Tinnitus versprechen • Hörgeräte bei Hörstörungen • Cochlea Implantat bei beidseitiger Taubheit • Tinnitus retraining • Noiser / Masker • Neue Therapieformen? Z.B. Neurostimulator • Wirksamkeit sehr zweifelhaft • Enttäuschungen sind vorprogrammiert • Es gibt sehr viele (Im Internet offenbar > 200) • z.T. teuer • Betroffene beschäftigen sich mit Ihrem Tinnitus • Grundidee: Kein Fokus auf dem Tinnitus Prof. Dr. Dr. M. Kompis 11 Prof. Dr. Dr. M. Kompis 12 2 Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Hörgeräte Indikationsbereich für Hörgeräte • Nutzen – Verbesserung des Hörvermögens – Zusätzliche Stimulation des Ohrs dB 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 • Zusätzliche, sinnvolle Beschäftigung des Gehörs • Verbessert Tinnitus zwar meistens, aber nicht immer • Kostenträger: IV beteiligt sich nur bei Kosten bei genügend ausgeprägter Hörstörung Prof. Dr. Dr. M. Kompis 13 125 250 500 1000 2000 4000 8000 Hz Prof. Dr. Dr. M. Kompis Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Elektrische Stimulation Noiser und Masker • An sich sehr wirksam. Cochlea Implantation bringt: • Rauschgeneratoren • Masker – Verbesserung bei 75-80% der Patienten – Komplette Unterdrückung bei 32-61% der Patienten – Aber: Verschlechterung bei 11-21% kein Hörgerät Hörgerät CochleaImplantat 14 – Laut soll Tinnitus verdecken • Noiser (Quaranta et al. 2004, Kompis et al. 2012, Pan et al 2009) – Leise – Tinnitus bleibt hörbar – Soll Aufmerksamkeit ablenken • Eigene Erfahrungen – Bringt nicht viel – Viele Patienten: „Noch mehr Rauschen“ Prof. Dr. Dr. M. Kompis 15 Prof. Dr. Dr. M. Kompis 16 Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital, Bern Prof. Dr. Dr. M. Kompis 18 3 Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Patientenvignette: Kompensierter Tinnitus Typ 1 Patient MK • 50 jährig, männlich • Präadipositas (BMI 25.4), sonst gesund • Hörsturz links im August 1989 – Tinnitus eines abends vor Einschlafen – Am nächsten Morgen Prof. Dr. Dr. M. Kompis Leitender Arzt Audiologie • Tinnitus verstärkt • Subjektiv vollständiger Hörverlust links • Leichter Drehschwindel – MRI: keine Pathologie entlang der Hörbahn • Nach 5 d Oxycarbon-Therapie – partielle Erholung des Gehörs – Tinnitus bleibt Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital, Bern Prof. Dr. Dr. M. Kompis Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Universitäts-HNO-Klinik, Inselspital Bern Audiogramm und Tinnitometrie Weitere Verlauf dB 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 Prof. Dr. Dr. M. Kompis 20 • Hörverlust: 125 250 500 1000 2000 4000 8000 Hz – Stabil – In ruhiger Umgebung völlig problemlos – Stört bei sozialen Anlässen z.T. erheblich (reduziertes Sprachverstehen) – Hörgeräteversuch vor ca. 7 Jahren ohne Verbesserung Wie tönt das? Rechts: Tinnitus Links: • Tinnitus: – Ist mit den Jahren gleichmässiger geworden, heute fast nur noch Rauschen (zu Beginn: mit plötzlich einsetzenden Pfeiftönen) – Kein Problem, keine wesentliche Belastung 21 Prof. Dr. Dr. M. Kompis 22 4