Islam in Deutschland

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Islam in Deutschland – Erscheinungsformen und Theologie
Dr. Thomas Lemmen
Der Islam in Deutschland erscheint aus christlicher Perspektive in doppelter Hinsicht
als eine fremde Religion. Die gegenwärtige muslimische Gemeinschaft geht auf die
Arbeitsmigration des vergangenen Jahrhunderts zurück. Die Religion ist gleichsam
mit den Arbeitnehmern aus der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien und anderen
Regionen der islamischen Welt „eingewandert“. Fremde Sprachen und Kulturen
gehören somit auch zur Fremdheit dieser Religion. Darüber hinaus fällt der Islam aus
dem Rahmen der jüdisch-christlichen Heilsgeschichte hinaus. Er ist sechs
Jahrhunderte nach dem Christentum entstanden. Dem Versuch einer Hinordnung
und theologischen Vereinnahmung durch das Christentum hat er sich in der
Geschichte erfolgreich entzogen. Der Islam tritt mit einem eigenen
Endgültigkeitsanspruch auf und bestreitet zentrale Inhalte des christlichen Glaubens,
wie zum Beispiel die Menschwerdung und Dreifaltigkeit. Historisch wie theologisch
erscheint er damit wie eine nachchristliche und nichtchristliche Religion. Christen
müssen sich den Zugang zum Islam erst erschließen.
Aus muslimischer Sicht gehören Judentum und Christentum als dem Islam
vorausgegangene Offenbarungsreligionen in die eigene Religionsgeschichte hinein.
Thora, Evangelium und Koran sind Abschriften einer im Himmel aufbewahrten
Urschrift. Der Mensch ist als Geschöpf Gottes zum Glauben aufgerufen. Die Hingabe
an Gott und die Unterwerfung unter seinen Willen machen seine Bestimmung aus.
Von dieser Bestimmung ist der Mensch durch sein Verhalten und seinen Unglauben
immer wieder abgewichen. Um ihn wieder auf den rechten Weg zu leiten hat Gott die
Zeiten hindurch seine Propheten gesandt. Der Koran kennt und nennt die Personen
des Alten und Neuen Testaments ausdrücklich. Somit teilen Juden und Christen mit
Muslimen nach muslimischem Verständnis den Glauben an einen Gott. „Unser Gott
und euer Gott ist einer“ heißt es anerkennend im Koran (Sure 29,46). Gleichzeitig
macht er ihnen den Vorwurf einer späteren Veränderung ihres Glaubens. Die ihnen
übermittelten heiligen Schriften sollen nachträglich verändert worden sein. Neben die
Gemeinsamkeiten, die sich aus der gemeinsamen Herkunft der heiligen Schriften
ergeben, treten somit Unterschiede, die auf die jeweiligen Glaubensgemeinschaften
zurückzuführen seien.
Der Islam steht damit in einer theologisch unaufgebbaren Beziehung zu Judentum
und Christentum. Das Verhältnis zueinander machen Gemeinsamkeiten und
Unterschiede aus, in dieser Spannung stehen die drei Religionen nach seinem
Verständnis zueinander.
Diese Voraussetzung hat für den christlich-islamischen Dialog Konsequenzen:
Muslime müssen sich den Zugang zum Christentum nicht erst erschließen, sondern
finden ihn durch die Lektüre ihrer eigenen heiligen Schrift. Der Glaube an Jesus (als
Propheten) und an sein Evangelium gehören zu ihrem Glaubensbekenntnis. Dabei
sehen und verstehen sie das Christentum in der Wahrnehmung des Korans. Diese
Sichtweise zu kennen und zu verstehen ist eine wichtige Voraussetzung für den
Dialog. Wie Muslime können auch Christen im Dialog bei Gemeinsamkeiten im
Glauben und Leben ansetzen. Zum richtigen Verständnis des Verhältnisses
zueinander gehören auch die Unterschiede, die sich im Wesentlichen auf das
Verständnis der Person Jesu Christi konzentrieren. Gemeinsamkeiten und
Unterschiede machen auch aus christlicher Sicht das Verhältnis zueinander aus.
Einem Ausspruch des Propheten Muhammad (570 bis 632 n.Chr.) zufolge, basiert
das religiöse Leben von Muslimen auf fünf Grundpflichten: Dem Glaubensbekenntnis
(„Es gibt keinen Gott außer Gott, und Muhammad ist der Gesandte Gottes.“), dem
fünfmaligen täglichen Gebet, der gesetzlichen Abgabe, der Wallfahrt sowie dem
Fasten im Monat Ramadan. Diese fünf Verpflichtungen, auch „Säulen des Islam“
genannt, geben dem Leben eines gläubigen Muslims eine feste Struktur. Das Gebet
prägt den Tagesablauf und das Fasten den Jahreskreis. Sofern möglich, soll man
einmal im Leben die Wallfahrt nach Mekka vollziehen. In der Beachtung dieser und
weiterer Vorschriften folgen Muslime dem Vorbild Muhammads. Nach dem Koran,
dem Wort Gottes, ist sein vorbildhaftes Beispiel die zweite Quelle der Scharia, des
islamischen Rechts. Ihre Aufgabe ist es, den Gläubigen die Rechtleitung Gottes in
den konkreten Dimensionen ihres Lebens zu erschließen.
Schätzungen zufolge leben zwischen 3,8 und 4,3 Millionen Muslime in Deutschland.
Knapp die Hälfte von ihnen ist im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft. Etwa
zwei Drittel aller Muslime stammen aus der Türkei. Weitere Hauptherkunftsregionen
sind Südosteuropa, der Nahe Osten und Nordafrika. Die wichtigsten konfessionellen
Ausprägungen des Islam sind auch in Deutschland anzutreffen. Fast drei Viertel der
Muslime gehören dem sunnitischen Islam an. Nur eine Minderheit (7%) sind Schiiten.
Demgegenüber ist mit einer größeren Zahl von Aleviten (12,7%), einer aus der Türkei
stammenden Sondergruppe, zu rechnen.
Neben der Familie ist die Moschee der wichtigste Ort der Religionsausübung von
Muslimen. Sie ist Stätte gemeinsamen Betens und religiöser Unterweisung. Darüber
hinaus organisieren Moscheegemeinden Angelegenheiten muslimischer
Religionsausübung (z.B. Wallfahrt, Spenden, Bestattungen). In vielen Fällen sind sie
zusätzlich Stätten der Kultur- und Heimatpflege. Die Zahl der Moscheen wird auf
2.500 geschätzt. Die meisten von ihnen sind so genannte Hinterhofmoscheen. An die
Stelle dieser Provisorien treten mit der Zeit repräsentative Um- oder Neubauten. Die
einzelnen Moscheegemeinden gehören in der Regel deutschlandweit tätigen
Verbänden an. Die Verbände unterhalten Beziehungen zu Mutterorganisationen in
den Heimatländern der zugewanderten Muslime. Die bedeutendsten Organisationen,
alle mit Sitz in Köln, sind: Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.
(DITIB), Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG), Verband der Islamischen
Kulturzentren e.V. (VIKZ) sowie die Alevitische Gemeinde Deutschlands e.V. (AABF).
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