ratgeber Tumore des Spinalkanals – ein Überblick Nicht nur Bandscheibenvorfälle oder Spinalkanalstenosen können das Rückenmark oder die davon abgehenden Nervenwurzeln in Bedrängnis bringen – in seltenen Fällen ist auch ein Tumor die Ursa­che der Beschwerden. Oft werden diese jedoch erst spät bemerkt, wenn für die anhaltenden Rücken­schmerzen keine Ursache gefunden wird und die übliche Röntgendiagnostik unauffällig bleibt. ­Wichtig ist dann aber in jedem Fall ein schnelles Handeln, betont Dr. Charilaos Christopoulos, ­Chefarzt für Wirbelsäulenchirurgie an der OrthoParc Klinik in Köln-Junkersdorf. Herr Dr. Christopoulos, gibt es typische Symptome, die auf das Vorhandensein eines Wirbelsäulentumors hindeuten? Dr. Christopoulos: Bei den meisten Patienten zeigt sich ein ganz ähnlicher Verlauf: Auch wenn die Tumore meistens gutartig sind, kommt es durch ihre Raumforderung zu lokalen Schmerzen, die denen eines Bandscheibenvorfalls nicht unähnlich sind. Später kommen dann radikuläre Ausfälle hinzu, also Befindlichkeitsstörungen, die auf eine Kompression der abgehenden Nervenwurzeln schließen lassen. Das können Taubheitsgefühle, aber auch Schmerzen sein, die sich in Schultern und Armen bis hin zu den Fingern ausbreiten. Typischerweise treten die Beschwerden bei Tumoren beidseits auf, während bei Bandscheibenvorfällen meist nur eine Seite betroffen ist. Schließlich kommt es zu einem mehr oder weniger ausgeprägten Querschnittsyndrom mit starken neurologischen Ausfällen und Blasen- oder Darmentleerungsstörungen. Spätestens dann besteht sofortiger Handlungsbedarf: Ohne die entlastende Operation besteht je nach Lokalisation des Tumors durchaus auch akute Lebensgefahr. Wie wird die Diagnose „Spinalkanaltumor“ gesichert? Dr. Christopoulos: Die neuroradiologische Diagnostik stützt sich mittlerweile fast ausschließlich auf die Magnetresonanztomografie; CT- oder Röntgenaufnahmen werden in der Tumordiagnostik der Wirbelsäule heute nur noch selten eingesetzt. Der Grund dafür ist folgender: Während bösartige Tumore recht schnell Wirbelanteile Im T2-Bild sind die für die Ependymome charakteristischen Hämosiderinkappen (Pfeile) zu erkennen. zerstören, greifen gutartige Tumore den Knochen nicht an. Veränderungen werden im Röntgenbild daher kaum sichtbar. Gerade deshalb ist es besonders wichtig, dass der behandelnde Arzt die radiologischen Zeichen eines Spinaltumors kennt – in der Hand des erfahrenen Arztes sind Röntgenbilder nämlich eigentlich recht gut zum Screening von Wirbeltumoren geeignet, weil diese oft vom Knochen ausgehen. Tumorlokalisation ventral des Myelons im T2-gewichteten sagittalen MRT Dr. med. Charilaos Christopoulos Verhalten sich alle Wirbelsäulentumoren gleich, oder gibt es unterschiedliche Formen? Dr. Christopoulos: Prinzipiell unterscheidet man bei den Tumoren des Spinalkanals die extraduralen und die intraduralen Tumoren. Extradurale oder auch epidurale Tumoren liegen außerhalb der Rückenmarkshaut (Dura), intradurale Tumoren innerhalb. Die innerhalb der Dura gelegenen Tumoren werden zusätzlich differenziert in extramedulläre und intramedulläre Tumoren, je nachdem ob sie innerhalb oder außerhalb des Rückenmarks angesiedelt sind. Besonders die intramedullären Tumore sind meist gutartig, während sich unter den extraduralen Tumoren auch bösartige Neubildungen und auch Knochenmetastasen (Absiedelungen anderer Primärtumore) finden. Die bei Weitem häufigsten Neubildungen im Spinalkanal sind dabei die von den spinalen Nervenwurzeln ausgehenden gutartigen Neurinome und die von den Rückenmarkshäuten ausgehenden gutartigen Meningeome. Grundsätzlich können Tumore im Spinalkanal überall auftreten: Die Häufigkeit, mit der die einzelnen Wirbelsäulenabschnitte befallen werden, ist von der Art des Tumors abhängig, so sind etwa 80 Prozent aller Meningeome an der Brustwirbelsäule und im Bereich des thorakolumbalen Übergangs lokalisiert. Über alle Tumorarten hinweg ist die Verteilung jedoch ungefähr gleich, sodass Geschwulste an der Halswirbelsäule nicht seltener oder öfter auftreten als im Bereich der Brustoder Lendenwirbelsäule. Wenn zweifelsfrei ein Spinalkanaltumor diagnostiziert werden konnte, wie ist das weitere Vorgehen? Muss sofort operiert werden? Dr. Christopoulos: Prinzipiell muss man sich darüber im Klaren sein, dass nur eine operative Entfernung die vom Tumor ausgehende Gefahr bannen kann, denn dieser wächst ja – wenn auch langsam – immer weiter. Wenn noch keine neurologischen Ausfallerscheinungen zu beklagen sind, ist ein sofortiges Handeln zwar nicht notwendig, dennoch sollte man sich nicht zu lange Zeit mit der Entscheidung zur Operation lassen. Es gilt: Je größer der Tumor ist, desto schwieriger wird die Entfernung, und desto größer sind die Gewebeverletzungen, die beim Eingriff entstehen. Grundsätzlich erfolgt die Operation eines Spinalkanaltumors immer unter Sicht mit dem Operationsmikroskop. Abhängig von der Art des Tumors, seiner Größe und seiner Lage wird die Geschwulst schrittweise verkleinert und letztendlich komplett entfernt. Dabei ist es besonders wichtig, die Blutversorgung der Nerven und des Rückenmarks zu respektieren. Während der Operation erfolgt ein konsequentes Neuromonitoring, um die Nervenfunktionen zu überwachen und Veränderungen sofort zu bemerken. Die Anwendung mikrochirurgischer Operationstechniken und -Zugänge konnte dabei die auftretenden Komplikationen stark verringern, sodass bleibende Lähmungen und Gefühlsstörungen heute weitgehend vermieden werden können. Die von einigen Patienten verspürte Störung der Sensibilität durch den Eingriff bildet sich in aller Regel nach einer gewissen Zeit von selbst wieder zurück. Allerdings ist die Tumorchirurgie an der Wirbelsäule kein „Spaziergang“, den man verharmlosen sollte. Umso wichtiger ist – man kann nicht oft genug darauf hinweisen –, dass der Eingriff rechtzeitig erfolgt! Herr Dr. Christopoulos, haben Sie vielen Dank für Ihre Ausführungen! Weitere Informationen Tel.: 0221 / 48 49 05 - 0 [email protected]